Gericht | VG Cottbus 5. Kammer | Entscheidungsdatum | 16.05.2024 | |
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Aktenzeichen | VG 5 K 22/19.A | ECLI | ECLI:DE:VGCOTTB:2024:0516.5K22.19.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Erwachsenen, arbeitsfähigen anerkannt Schutzberechtigten droht in Griechenland wegen der dort herrschenden sozio-ökonomischen Verhältnisse keine gegen Art. 3 EMRV oder Art. 4 EV-GR-Charta verstoßende Verelendung.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Kläger, am 1_____ in D____, am 5_____ in A____ bzw. am 1_____ in A____ geborene syrische Staatsangehörige, kurdischer Volkszugehörigkeit, wenden sich gegen die auf Zuerkennung internationalen Schutzes in Griechenland gestützte Ablehnung ihrer Asylanträge als unzulässig.
Nachdem die Kläger nach Griechenland über die Türkei am 20. April 2016 eingereist waren und dort am 10. Juni 2016 Asylanträge gestellt und am 8. November 2016 internationalen Schutz und jeweils eine bis zum 8. November 2019 gültige Aufenthaltserlaubnisse erhalten hatten, reisten sie über den Flughafen Berlin-Schönefeld am 8. März 2017 ins Bundesgebiet ein und stellten am 10. März 2017 abermals Asylanträge.
Bei der Einreise von der Bundespolizei nach dem Reisegrund gefragt gab der Kläger zu 1. an, dass seine Mutter trotz Vorstellung bei mehreren Ärzten in Griechenland unzureichend behandelt worden sei. Die Ärzte hätte ihre Beschwerden mit dem Alter erklärt.
Die Anhörung zur Zulässigkeit ihrer Asylanträge fand am 14. bzw. am 27. März 2017 statt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Asylverfahrens wird auf den Bescheid vom 3. Mai 2017 Bezug genommen, mit dem das Bundesamt die Asylanträge als unzulässig abgelehnt, Abschiebungsverbote hinsichtlich Griechenlands verneint, eine Abschiebung nach Griechenland angedroht und ein auf 30 Monate befristetes gesetzliches Einreise- und Aufenthaltsverbot verhängt hat.
Hiergegen erhoben die Kläger die anschließend an das Verwaltungsgericht Cottbus verwiesene Klage und beantragten die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen. Diesem Antrag entsprach das Gericht mit Beschluss vom 27. April 2018 und ordnete die aufschiebende Wirkung der Klage an, woraufhin das Klageverfahren übereinstimmend für erledigt erklärt wurde.
Mit dem Bescheid vom 11. Dezember 2018 lehnte das Bundesamt die Asylanträge erneut als unzulässig ab, verneinte Abschiebungsverbote hinsichtlich Griechenlands, drohte eine Abschiebung nach Griechenland an und verhängte ein auf 30 Monate befristetes gesetzliches Einreise- und Aufenthaltsverbot. Wegen der Begründung wird auf den Bescheid selbst Bezug genommen.
Mit ihrer am 7. Januar 2019 bei Gericht eingegangenen Klage greifen die Kläger den zweiten Bescheid an.
Zur Sache führen sie aus, dass anerkannten Schutzberechtigten in Griechenland wegen der dort herrschenden Lebensbedingungen eine erniedrigende und unmenschliche Behandlung drohe.
Mit Schreiben vom 15. Januar 2019 hat die Klägerin zu 2. angezeigt, dass sie vom Kläger zu 1. getrennt lebe. Mittlerweile sind die Kläger zu 1. und 2. geschieden.
Schriftsätzlich beantragen die Kläger sinngemäß,
den Bescheid des Bundesamtes vom 11. Dezember 2018 aufzuheben,
hilfsweise, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des vorgenannten Bescheides zu verpflichten, Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des AufenthG hinsichtlich Griechenlands festzustellen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge Bezug genommen. Sämtliche Akten waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Die Klage bleibt insgesamt ohne Erfolg.
Die Anfechtungsklage gegen die Ablehnungsentscheidung und die Abschiebungsandrohung ist aber unbegründet.
Die hilfsweise erhobene Verpflichtungsklage auf Feststellung von Abschiebungsverboten hinsichtlich Griechenlands ist ebenfalls unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.
Die Unzulässigkeitsentscheidung über den Asylantrag findet in § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ihre Grundlage. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Dies ist vorliegend der Fall. Ausweislich des Eurodac-Eintrages für den Kläger ist diesem am 30. August 2022 internationaler Schutz gewährt worden. Dies deckt sich mit seinem Vorbringen.
Dem Unzulässigkeitsverdikt steht auch kein höherrangiges Recht entgegen.
Dieses Unzulässigkeitsverdikt ist nur dann rechtswidrig, wenn eine Verletzung von Art. 4 der EU-GR-Charta droht (EuGH, Beschluss vom 13. November 2019 – C-540/17 und C-541/17 – Rn. 35, 44).
Gemessen daran ist die Unzulässigkeitsentscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden. Maßgeblich sind dabei die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG).
Gegen eine Verletzung von Art. 4 der EU-GR-Charta streitet die im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems geltende Vermutung, dass die Behandlung der Personen, die internationalen Schutz beantragen, in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta, der Genfer Konvention und der EMRK steht. Dies gilt insbesondere bei der Anwendung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie), in dem im Rahmen des mit dieser Richtlinie eingerichteten gemeinsamen Asylverfahrens der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zum Ausdruck kommt (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a. – Juris Rn. 85) und dessen Umsetzung ins nationale Recht § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG dient.
Die Anwendung dieser Vermutung ist nicht disponibel, sondern zwingend (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-297/17 u.a. – Rn. 41).
Die zur Widerlegung dieser Vermutung besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit wäre erst erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 – Juris Rn. 90). Daher ist das Gericht, das mit einem Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung befasst ist, mit der ein neuer Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abgelehnt wurde, in dem Fall, dass es über Angaben verfügt, die der Kläger vorgelegt hat, um das Vorliegen eines solchen Risikos in dem bereits internationalen Schutz gewährenden Mitgliedstaat nachzuweisen, verpflichtet, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 – Juris Rn. 88).
Es ist nicht die Aufgabe des Gerichts, durch Erhebungen über konkrete Lohnhöhe und Lebenshaltungskosten den Klägern nachzuweisen, dass sie in Griechenland ihren existentiellen Lebensunterhalt sichern können werden. Denn ein ernsthaftes Risiko eines Verstoßes gegen Art. 4 der EU-GR-Charta und Art. 3 EMRK besteht nicht bereits dann, wenn nicht sicher festzustellen ist, ob im Falle einer Rücküberstellung die Befriedigung der bezeichneten Grundbedürfnisse sichergestellt ist, sondern nur für den Fall, dass die Befriedigung eines der bezeichneten Grundbedürfnisse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist und der Drittstaatsangehörige dadurch Gefahr läuft, erheblich in seiner Gesundheit beeinträchtigt zu werden oder in einen menschenunwürdigen Zustand der Verelendung versetzt zu werden (BVerwG, Beschluss vom 19. Januar 2022 – 1 B 83.21 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 36 Rn. 12).
Die allgemeinen dem Gericht vorliegenden Informationen zur Lage in Griechenland lassen im Falle der Kläger nicht den Schluss zu, dass die Befriedigung eines der bezeichneten Grundbedürfnisse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist.
Der Rückkehrprognose ist dabei zu Grunde zu legen, dass die drei erwachsenen Kläger jeweils selbständig nach Griechenland zurückkehren. Die Kläger zu 1. und 2. sind geschieden. Die Klägerin zu 3., die Tochter des Klägers zu 1., mittlerweile 23 Jahre alt und damit erwachsen.
Angesichts der Arbeitsmarktsituation ist es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass eine erwerbsfähige, erwachsene Person ohne Unterhaltslasten außerstande ist, durch eigene Erwerbstätigkeit ein Existenzminimum oberhalb der Schwelle des Art. 4 EU-GR-Charta zu erwirtschaften. Dies hat die Kammer bereits in den Kammerurteilen vom 31. Dezember 2024 (5 K 522/22.A, 5 K 10/23.A und 5 K 181/23.A) ausgesprochen.
Nach den neuesten Angaben des staatlichen Statistikamts Elstat ging die Arbeitslosenquote im September 2023 auf zehn Prozent zurück. Das war der niedrigste Stand seit September 2009, als die Quote 10,1 Prozent betrug. Die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt spiegelt die starke Konjunktur wider. Griechenlands Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte in den beiden vergangenen Jahren insgesamt um 14 Prozent zu. Eine Rezession ist nicht in Sicht. Für das Jahr 2023 erwartet die griechische Regierung ein Plus von 2,3 Prozent. Für 2024 rechnet Wirtschafts- und Finanzminister Kostis Hatzidakis sogar mit drei Prozent Wachstum (Handelsblatt vom 7. November 2023: „Arbeitslosigkeit in Griechenland fällt unter Vorkrisenniveau“). Auch Wirtschaftsexperten außerhalb der griechischen Regierung bestätigen diese Entwicklung. Eine Analyse des britischen Wirtschaftsmagazins »Economist« stellt fest, dass die griechische Wirtschaft im Vergleich zu 35 anderen OECD-Staaten, darunter auch Deutschland, zum zweiten Mal in Folge am besten abgeschnitten hat. Untersucht wurden dafür fünf Wirtschaftsindikatoren, nämlich die Inflation, die sogenannte Inflationsbreite, das Bruttoinlandsprodukt, Beschäftigungswachstum und die Börsenentwicklung (www.spiegel.de vom 28. Dezember 2023 : „Economist“ kürt Griechenland zur besten Wirtschaft des Jahres“).
Die Beschäftigungschancen hängen nicht von Qualifikationen ab, die den Klägern abgehen. Denn zu den Branchen mit der besten Entwicklung und dem höchsten Anstieg der Beschäftigung gehören auch das verarbeitende Gewerbe, Transportwesen und das Lagerwesen. Insbesondere für ungelernte Arbeitskräfte wirkt sich aber aus, dass gerade in der Tourismusbranche, in der Landwirtschaft und im Bauwesen eine Vielzahl von Arbeitsplätzen angeboten wird (vgl. für die Tourismusbranche EURES, Arbeitsmarktinformationen: Griechenland vom 10. August 2023). Seit Mitte 2022 gibt es immer häufiger Berichte, denen zufolge in diesen Branchen (Landwirtschaft, Bau, Tourismus) auf Grund des Arbeitskräftemangels Arbeitgeber aktiv nach Arbeitskräften auch unter Schutzberechtigten suchen (Deutsche Botschaft Athen, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Stand Februar 2023, Seite 7, Ziffer 3.4). In der Landwirtschaft herrscht ein Mangel an Arbeitskräften, der u.a. der Abwanderung von Landarbeitern aus Drittländern während der Corona-Krise geschuldet ist. Im Obst-, Gemüse und Olivenanbau sowie bei den Viehzüchtern sollen derzeit 70.000 Arbeitskräfte fehlen (Deutschlandfunk, Bericht vom 18. Dezember 2023, „Griechenland will 30.000 Migranten eine Arbeitserlaubnis erteilen“). In der Tourismusbranche fehlen rund 100.000 Beschäftigte. Während der Corona-Pandemie haben sich nämlich viele Arbeitnehmer umorientiert (GTAI, Wirtschaftsumfeld/Griechenland/Arbeitsmarkt, Bericht vom 10. Oktober 2023). Diese Nachfrage nach ungelernten Arbeitskräften hat der griechische Gesetzgeber zum Anlass genommen, am 19. Dezember 2023 ein Gesetz zu verabschieden, um zehntausende Arbeitserlaubnisse selbst an jene Migranten zu erteilen, die sich noch in Asylverfahren befinden oder illegal in Griechenland leben (vgl. RND, Bericht vom 20. Dezember 2023, „Griechenland: Zehntausende Migranten erhalten Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung“). Vor diesem Hintergrund steht nicht zu erwarten, dass ein etwaiges Erlöschen der Steueridentifikationsnummer und der Arbeitserlaubnis, deren Erneuerung u.U. mehrere Monate dauern könnte, der Arbeitsaufnahme entgegensteht. Ginge – wie hier – das Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis und der Steueridentifikationsnummer auf Unterlassen eines Antrags auf Verlängerung kann sich der Kläger hierauf ohnehin nicht berufen (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 20. April 2023 – 24 ZB 23.30078 – Juris Rn. 16). Jedenfalls ist zur Abwendung extremer materieller Not auch der Verweis auf Tätigkeiten im Bereich der sogenannten "Schatten- oder Nischenwirtschaft" zumutbar (BVerwG, Beschluss vom 19. Januar 2022 – 1 B 83.21 – Buchholz 310 § 132 Abs 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 36 = Juris Rn. 25). Dies gilt umso mehr, als es nur um die Zeit bis zur Neuerteilung geht.
Obdachlosigkeit unter Flüchtlingen und Migranten stellt nach dem Bericht der Deutschen Botschaft Athen (a.a.O. Seite 9, Ziffer 3.7.1) weiterhin kein augenscheinliches Massenphänomen dar, was unter Bezugnahme auf die diesbezügliche Auskunft vom 06.12.2018 an das VG Stade (Az. 10 A 1632/18) auf die Bildung von eigenen Strukturen und Vernetzung innerhalb der jeweiligen Landsmannschaften zurückgeführt wird, über welche auf informelle Möglichkeiten zurückgegriffen werden kann. Für die Erfüllung der an Art. 4 der EU-GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK zu messenden Grundbedürfnisse gelten - gerade bei nichtvulnerablen Personen - nur an dem Erfordernis der Wahrung der Menschenwürde orientierte Mindestanforderungen. So kann etwa der Umstand, dass der betreffenden Person bezogen auf die Unterkunft ein Schlafplatz in einer von Kirchen, Nichtregierungsorganisationen oder Privatpersonen gestellten Notunterkunft oder in einer staatlich geduldeten "informellen Siedlung" zur Verfügung steht, genügen, sofern die zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten zumindest zeitweilig Schutz vor den Unbilden des Wetters bieten und Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse lassen (BVerwG, Beschluss vom 19. Januar 2022 – 1 B 83.21 –Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 36 Rn. 14).
In Ansehung dieser Verhältnisse in Griechenland lassen die individuellen Umstände der Kläger nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit besorgen, dass sie dort der Verelendung preisgegeben würden. Insbesondere ist es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass sie die sich dort bietenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt nicht ergreifen können werden. Die Kläger sind gesund, frei von Unterhaltslasten und erwerbsfähig. Etwaige aktuelle Erkrankungen haben sie während des fünfjährigen Gerichtsverfahrens nicht geltend gemacht, geschweige denn mit ärztlichen Bescheinigungen unterlegt. Es ist nicht erkennbar, dass ihnen jene körperliche Robustheit fehlt, welche sich zur Bewältigung körperlich anspruchsvoller Tätigkeiten, wie sie etwa im Agrarsektor oder im Bauwesen nachgefragt werden, als günstig erweist. Im Übrigen zeigen die selbst organisierten Ausreisen aus Syrien in die Türkei, aus der Türkei nach Griechenland und schließlich von dort nach Deutschland ein hohes Maß an Gewandtheit und Organisationsgeschickt, die den Klägern zu 1. und 2. auch in Griechenland erlauben werden, etwa auftretende Schwierigkeiten in der Anfangsphase zu meistern, wobei nicht jede vorübergehende Obdachlosigkeit gegen Art. 4 der EU-GR-Charta verstößt (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27. März 2023 – 13 A 10948/22.OVG – Juris Rn. 59; Bayerischer VGH, Beschluss vom 11. Oktober 2023 – 24 B 23.30525 – Juris Rn. 32). Warum anderes für die 23jährige Klägerin zu 3. gelten sollte, ist nicht erkennbar.
Dass den Klägern in Griechenland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein menschenunwürdiger Zustand der Verelendung droht (vgl. zum Prognosemaßstab BVerwG, Beschluss vom 19. Januar 2022 – 1 B 83.21 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 36 Rn. 12), lässt sich ebenso wenig auf Grund seiner Vorerlebnisse oder mit Blick auf die bisherige Rechtsprechung zur Lage in Griechenland prognostizieren.
Die individuellen Erlebnisse eines Klägers können zwar Anlass zur eingehenderen Prüfung geben (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15. Dezember 2020 – 7 A 11038/18 –Juris Rn. 37), sind aber für sich genommen keine Grundlage für die Widerlegung der Vermutung. Sie stellen schon keine objektiven Angaben im oben genannten Sinne dar. Ferner kommt ihnen, zumal wenn sie wie hier mehrere Jahre zurückliegen, nur in begrenztem Umfang Erkenntniswert zu, keinesfalls führen sie zu einer Beweislastumkehr (BVerwG, Beschluss vom 6. Juni 2014 – 10 B 35.14 – Buchholz 402.25 § 27a AsylVfG Nr. 2).
Gleiches gilt für die zur Lage von Inhabern internationalen Schutzes ergangene Rechtsprechung. Die unionsrechtliche Vermutung für eine Charta-konforme Behandlung kann nur auf der Grundlage gebührend aktualisierter Angaben widerlegt werden (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-297/17 – Juris Rn. 85 und 88; Urteil vom 30. November 2023 – C 228/21 u. a. – Rn. 136; BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 2022 – 1 B 73.22 – Juris Rn. 8). Deshalb kann in Verfahren der vorliegenden Art in der Regel nicht angenommen werden, dass eine obergerichtliche Grundsatzentscheidung zu einer bestimmten Tatsachenfrage nach längerem Zeitablauf noch unverändert Gültigkeit beanspruchen kann (eine Divergenz verneinend OVG Lüneburg, Beschluss vom 4. Dezember 2020 – 10 LA 264/19 – Juris Rn. 16). So verhält es sich insbesondere mit Blick auf das Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 23. November 2021 – 3 B 54.19 – Juris. Dieses Urteil beruht auf Erkenntnissen, welche in dem Zeitraum Ende 2020 bis Spätsommer 2021 publiziert wurden, also reale Verhältnisse wiedergeben, die mittlerweile drei Jahre oder länger zurückliegen. Es kommt hinzu, dass diese Erkenntnisse eine Situation widerspiegeln, die maßgeblich von der Corona-Pandemie geprägt gewesen ist, die sich ihrerseits besonders stark auf den Tourismussektor ausgewirkt hat und deshalb die Chancen ungelernter Arbeitskräfte ohne soziales Netzwerk besonders verschlechtert hat. Gleiches gilt auch für das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 27. April 2022 – 5 A 492/21 A – Juris. Die dort zu Grunde gelegten Erkenntnisse stammen aus dem Zeitraum von 2017 bis August 2021. Die neueste Erkenntnisquelle berichtet demnach über Verhältnisse, die länger als zweieinhalb Jahre zurückliegen. Auch dieser Tatsachenstoff kann wegen des Zeitablaufs und mit Blick auf das Ende der Corona-Pandemie und insbesondere die seitdem eingetretene signifikante Änderung der wirtschaftlichen Lage nicht mehr als „gebührend aktualisierte Angaben“ i.S.d. EuGH-Rechtsprechung gewertet werden. Auch die übrigen zitierten Judikate beruhen nicht auf neueren Erkenntnissen.
Der Wunsch der Kläger im Bundesgebiet zu verbleiben, steht auch in Ansehung der insoweit geltend gemachten Aufenthaltsdauer und etwa bereits unternommener Integrationsanstrengungen einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG nicht entgegen. Aus Völker- oder Unionsrecht folgt kein Recht auf Wahl des Zufluchtslandes. Hat ein Schutzsuchender in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union Schutz vor Verfolgung gefunden, folgt hieraus grundsätzlich kein Recht auf Weiterwanderung in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder auf die Durchführung eines weiteren Asyl Verfahrens. Ein solches Recht ergibt sich auch nicht aus dem Grundgesetz, namentlich auch nicht aus der Garantie der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG). Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG regelt im Einklang mit dem Grundgesetz (BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93, BVerfGE 94, 49) für das nationale Asylrecht, dass sich auf den Schutz politisch Verfolgter durch das Asylrecht nicht berufen kann, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Dies schließt auch einen unmittelbar aus der Menschenwürde abgeleiteten Anspruch auf Beachtung ihres Wunsches aus, als Schutzberechtigte in Deutschland und nicht in Bulgarien leben zu wollen (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 7. September 2021 – 1 C 3.21 – Rn. 15).
Abschiebungsverbote liegen nicht vor, stehen deshalb der Abschiebungsandrohung nicht entgegen. Sie begegnet auch mit Blick auf § 34 Abs. 1 Nr. 4 AsylG keinen Bedenken. Die Kläger als Angehörige der Kernfamilie können in Griechenland etwaige familiäre Bindungen pflegen. Soweit weitere erwachsene Verwandte des Klägers zu 1. im Inland leben, haben die Kläger schon mangels Konkretisierung bzw. Substantiierung dieser Beziehungen keine Belange geltend gemacht, die einer Abschiebung entgegenstehen könnten.
Gem. § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
Im Falle einer Abschiebung nach Griechenland droht keine konventionswidrige Behandlung. Dagegen streitet die im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems geltende Vermutung, dass die Behandlung der Personen, die internationalen Schutz beantragen, in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta, der Genfer Konvention und der EMRK steht. Dies gilt insbesondere bei der Anwendung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie in dem im Rahmen des mit dieser Richtlinie eingerichteten gemeinsamen Asylverfahrens der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zum Ausdruck kommt (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a. – Juris Rn. 85). Diese Vermutung wird nach dem Vorstehenden vorliegend nicht widerlegt.
Ebenso wenig greift ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ein. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Das normative Vergewisserungskonzept des Art. 16a Abs. 2 GG umfasst auch solche Gefährdungen; einer Prüfung bedarf es deshalb vor einer Aufenthaltsbeendigung in sichere Drittstaaten, wozu auch Griechenland als Mitglied der EU gehört, auch insoweit nicht (vgl. zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93 –, BVerfGE 94, 49-114, Rn. 186).
Nach dem Vorstehenden muss auch dem auf Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungsverboten gerichteten Hilfsantrag der Erfolg versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung: