Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 23.05.2024 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | OVG 3 S 25/24 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2024:0523.OVG3S25.24.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 101 Abs 1 Satz 2 GG, § 64 Abs 2 Nr 2 BbgSchulG, § 80 Abs 1 Satz 1 VwGO, § 80 Abs 8 VwGO |
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 22. April 2024 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Widerspruch der Antragsteller vom 4. April 2024 gegen den von der Antragsgegnerin für den Sohn der Antragsteller angeordneten Wechsel in eine Parallelklasse vom 2. April 2024 aufschiebende Wirkung hat.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt die Antragsgegnerin.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird für beide Rechtsstufen auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Die Beschwerde hat Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, das nach § 146 Abs. 4 VwGO den Umfang der Überprüfung durch das Oberverwaltungsgericht bestimmt, rechtfertigt eine Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses, den der Senat insgesamt – d.h. auch in Bezug auf die Streitwertfestsetzung - aufhebt, weil nicht der gesetzliche Richter entschieden hat (vgl. dazu unten).
Die Beschwerde macht zutreffend geltend, dass es sich entgegen der erstinstanzlichen Entscheidung bei dem von der Schulleiterin der M.-Schule für den Sohn der Antragsteller angeordneten Wechsel in eine Parallelklasse um einen Verwaltungsakt gemäß § 35 Satz 1 VwVfG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 VwVfGBbg und nicht um einen innerschulischen Organisationsakt ohne Außenwirkung und Regelungscharakter handelt. Damit kommt dem Widerspruch der Antragsteller nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung zu, was die Antragsgegnerin bislang nicht berücksichtigt hat. Um der faktischen Vollziehung der Umsetzungsverfügung entgegenzuwirken, stellt der Senat daher entsprechend dem erstinstanzlichen Antrag fest, dass dem Widerspruch aufschiebende Wirkung zukommt (vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Februar 2022 – OVG 3 S 1/22 - juris Rn. 9).
Unter einem Verwaltungsakt im Sinne von § 35 Satz 1 VwVfG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 VwVfGBbg ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme zu verstehen, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft, und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Die Maßnahme muss Rechte des Betroffenen unmittelbar begründen, ändern, verbindlich feststellen, beeinträchtigen, aufheben oder mit bindender Wirkung verneinen. Ob dies der Fall ist, muss anhand der zu §§ 133, 157 BGB entwickelten Maßstäbe nach ihrem objektiven Erklärungswert beurteilt werden. Maßgebend ist, wie der Empfänger die behördliche Erklärung unter Berücksichtigung der ihm erkennbaren Umstände bei objektiver Würdigung verstehen muss; Unklarheiten gehen zu Lasten der Verwaltung (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. November 2009 – 4 C 3/09 – juris Rn. 21).
Gemessen daran ist das Schreiben der Schulleiterin der M.-Schule vom 2. April 2024 in Bezug auf den Sohn der Antragsteller als Regelung mit Außenwirkung und damit als Verwaltungsakt zu qualifizieren. Zwar heißt es dort, der Wechsel des Sohnes in eine Parallelklasse erfolge aus schulorganisatorischen Gründen und stelle ausdrücklich keine Ordnungsmaßnahme gegenüber dem Sohn dar. Die fehlende Qualifizierung als Ordnungsmaßnahme sagt jedoch – anders als das Verwaltungsgericht meint - für sich genommen und ohne Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles noch nichts darüber aus, ob der angeordnete Klassenwechsel regelnd in Rechte des Sohnes eingreift, denn dessen Überweisung in eine parallele Klasse kam als Ordnungsmaßnahme gemäß § 64 Abs. 2 Nr. 2 BbgSchulG nur deshalb nicht in Betracht, weil sie ein – von der Schulleitung verneintes - schwerwiegendes Fehlverhalten des Sohnes vorausgesetzt hätte. Angesichts dessen handelt es sich entgegen der Beschwerde nicht um eine „verkappte Ordnungsmaßnahme“, denn der angeordnete Klassenwechsel stellt sich gerade nicht als Reaktion auf das Verhalten des Sohnes, sondern vielmehr als Reaktion auf das Verhalten des Antragstellers zu 1) als dessen Vater dar.
Die Umsetzung des Sohnes der Antragsteller in eine Parallelklasse lässt sich hier nicht mit rein organisatorischen Umständen wie z.B. dem Ausgleich differierender Klassen- oder Kursstärken oder der Auflösung einer Klasse begründen. Sie betraf den Sohn als individuelle Maßnahme, damit seine Klassenlehrerin und sein Vater, der Antragsteller zu 1), nicht mehr zusammenwirken mussten: Letztlich sollten durch den Klassenwechsel Störungen des Schulbetriebs abgewendet werden, zu denen der Antragsteller zu 1) aus der Sicht der Schule zumindest beigetragen hatte. Dies ergibt sich auch aus dem als Verwaltungsakt zu qualifizierenden Schreiben der Schulleiterin vom 2. April 2024, wonach der Klassenwechsel zur Sicherstellung der schulbetrieblichen Abläufe notwendig geworden sei, weil ein weiterer Verbleib des Sohnes in der bisherigen Klasse aufgrund des schweren persönlichen Zerwürfnisses zwischen der Klassenlehrerin und dem Vater, in das inzwischen auch der Sohn involviert sei, nicht mehr verantwortet werden könne. Die erheblichen Vorwürfe, die sich die Klassenlehrerin und der Antragsteller zu 1) gemacht hatten, hatten u.a. zu gegenseitigen Strafanzeigen geführt.
Nach alledem greift der erzwungene Klassenwechsel hier regelnd und mit Außenwirkung in die Rechte des Sohnes der Antragsteller ein, weil der Sohn nicht aus rein organisatorischen Gründen aus dem vertrauten Klassenverband herausgenommen wurde, sondern – worauf die Beschwerde zutreffend hinweist - weil sich der Klassenwechsel zugleich, auch für die weiteren Schülerinnen und Schüler der Klasse sowie für deren Eltern, als schulische Reaktion auf väterliches Verhalten im Umgang mit der Klassenlehrerin darstellt und deshalb bei verständiger Betrachtung mit einem Unwerturteil für den Sohn und den Antragsteller zu 1) verbunden ist. Der Sohn war dem Schreiben der Schulleiterin zufolge – ohne dass ihm dies als Fehlverhalten vorgeworfen wurde – sogar in den Konflikt „involviert“, weil er in seiner Klasse u.a. von der Strafanzeige seines Vaters berichtet hatte. Auch Eltern von Mitschülerinnen und Mitschülern hatten von einer möglichen Herausnahme der Klassenlehrerin aus der Klasse erfahren und sich für deren Verbleib ausgesprochen. Dass der Konflikt zwischen der Klassenlehrerin und dem Antragsteller zu 1) den Eltern bekannt gewesen sein muss, ergibt sich aus dem Inhalt der von diesen verfassten E-Mails, in denen unter anderem von Mobbing gegenüber der Klassenlehrerin die Rede ist.
Da elterliches Verhalten, das aus der Sicht der Schule den Schulbetrieb erheblich beeinträchtigt, unter Umständen auch zu unmittelbaren Maßnahmen gegenüber diesen Eltern führen kann, die sich allein als Verwaltungsakt qualifizieren lassen (vgl. z.B. OVG Münster, Beschluss vom 26. Oktober 2005 – 19 B 1473/05 – juris, OVG Koblenz, Beschluss vom 4. Mai 2005 – 2 B 10439/05 – juris), gilt nichts anderes, wenn die Schule im Hinblick auf elterliches (Fehl-)Verhalten meint, dass sich der ordnungsgemäße Schulbetrieb nur durch den Wechsel ihres Kindes in eine Parallelklasse wiederherstellen oder aufrecht erhalten lasse (vgl. auch OVG Bremen, Beschluss vom 10. September 2002 – 2 B 305/02 – juris).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG. Der Senat hat die erstinstanzliche Streitwertfestsetzung von Amts wegen in entsprechender Anwendung von § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG aufgehoben und den Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht erneut (in derselben Höhe) festgesetzt, weil die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts - ebenso wie der gesamte Beschluss vom 22. April 2024, was die Beschwerde allerdings nicht gerügt hat – den Anspruch der Antragsteller auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt. Der Vorsitzende durfte hier nicht anstelle der Kammer „bei Verhinderung der weiteren berufsrichterlichen Mitglieder der Kammer wegen besonderer Dringlichkeit“ nach §§ 80 Abs. 8, 123 Abs. 2 Satz 3 VwGO entscheiden, weil eine solche Dringlichkeit, die keinen weiteren Aufschub duldete und deshalb ausnahmsweise ein Abweichen von der regulären Besetzung des § 5 Abs. 3 Satz 2 VwGO rechtfertigte, weder nachvollziehbar dargelegt ist noch offensichtlich vorlag (zu den Anforderungen vgl. im Einzelnen OVG Lüneburg, Beschluss vom 17. September 2018 – 2 ME 486/18 – juris Rn. 5; OVG Bautzen, Beschluss vom 20. Juni 2018 – 1 B 108/18 – juris Rn. 9).
Der Antrag der Antragsteller auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist am 9. April 2024 bei dem Verwaltungsgericht eingegangen. Über ihn musste – auch aus der Sicht des Verwaltungsgerichts - nicht sofort entschieden werden. Ganz im Gegenteil: Nachdem der Vorsitzende der Antragsgegnerin mit seiner Eingangsverfügung eine Stellungnahmefrist bis zum 12. April 2024 eingeräumt und die Absicht angekündigt hatte, am 15. April 2024 zu entscheiden, gewährte er den Antragstellern auf deren Bitte hin eine Stellungnahmefrist bis zum 19. April 2024 und kündigte eine Entscheidung für den 22. April 2024 an. Warum der Vorsitzende angesichts dieses Verfahrensablaufes bei nicht weiter erläuterter Abwesenheit der übrigen Kammermitglieder ohne Mitwirkung der regulären Vertreter am 22. April 2024 wegen besonderer Dringlichkeit alleine entscheiden musste, ist nicht nachvollziehbar.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).