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Entscheidung 10 UF 139/11


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 2. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 02.08.2012
Aktenzeichen 10 UF 139/11 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts Strausberg vom 20. April 2011 abgeändert. Dem Antragsteller wird die gesamte elterliche Sorge für die Kinder T… T… und L… T… allein übertragen. Die Beschwerde der Antragsgegnerin wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Beschwerdewert: 3.000 €.

Gründe

I.

Die beteiligten Eltern streiten über das Sorgerecht für die beiden gemeinsamen Kinder.

Die Kinder T… und L… T… sind am ….2006 bzw. …2007 außerhalb einer Ehe geboren worden. Die beteiligten Eltern haben Sorgeerklärungen nicht abgegeben. Nach der Trennung der Eltern Ende 2007 lebten die Kinder zunächst bei der allein sorgeberechtigten Mutter.

Unter dem 20.7.2009 richtete das Jugendamt an das Amtsgericht Lübben eine Mitteilung über Kindeswohlgefährdung. Dabei wies das Jugendamt darauf hin, dass bei der Mutter „wüste Wohnverhältnisse“ vorgefunden worden seien. Der Alltag der Kinder werde nicht strukturiert. Dem Vater sei ein Umgangsverbot erteilt worden. Dies alles entspreche nicht dem Kindeswohl. Das Verfahren - 30 F 215/09 - endete in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht Lübben vom 20.8.2009 dadurch, dass die Eltern einen Vereinbarung über den Umgang des Vaters mit den Kindern alle 14 Tage am Wochenende schlossen, das Amtsgericht diese übernahm sowie der Mutter die Auflagen erteilte, Anträge zur Aufnahme der Kinder in eine Kita abzugeben und für den regelmäßigen Kita-Besuch zu sorgen, eine regelmäßige kinder- und zahnärztliche Betreuung der Kinder sowie eine intensive logopädische Behandlung T… sicherzustellen. Ferner sollte die Mutter sozialpädagogische Familienhilfe in Anspruch nehmen.

Unter dem 18.10.2010 berichtete das Jugendamt dem Amtsgericht Strausberg über erneute Probleme im Haushalt der Mutter. Danach erfolgten Blutuntersuchungen bei L…, die an einer Stoffwechselerkrankung leidet, nur unregelmäßig, obwohl diese Untersuchungen wegen der Gefahr einer geistigen Behinderung notwendig seien. Entsprechendes gelte für die unabdingbare logopädische Förderung von T…. Bei einem Gespräch im Jugendamt mit den beiden Familienhelferinnen habe sich die Mutter geweigert, eine zuvor getroffene Vereinbarung zu unterzeichnen. Inzwischen habe die Mutter erklärt, die Familienhilfe nicht mehr zu benötigen und eine weitere Zusammenarbeit abgelehnt. Dieses Verfahren - 2.1 F 21/10 - endete dadurch, dass der Mutter in der mündlichen Verhandlung vom 10.2.2010 Auflagen zur kontinuierlichen und zuverlässigen Zusammenarbeit mit der Familienhelferin Frau K…, zur Absicherung der logopädischen und zahnärztlichen Behandlung T… sowie zur Durchführung der vierwöchigen Blutentnahme und der jährlichen tagesklinischen Untersuchung L… sowie Wahrnehmung des alle drei Monate fällig werdenden Termins zur Vorstellung L… im Klinikum in C… erteilt wurden.

Auf Antrag des Vaters vom 1.7.2010 regelte das Amtsgericht Strausberg durch Beschluss vom 8.7.2010 - 2.1 F 204/10 - seinen Umgang mit den beiden Kindern sowohl während der Wochenenden als auch während der Ferien und der Feiertage.

Unter dem 9.9.2010 hat der Vater das vorliegende Verfahren unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht vom 21.7.2010 eingeleitet und beantragt, der Mutter die elterliche Sorge, hilfsweise das Aufenthaltsbestimmungsrecht, für die Kinder zu entziehen und auf ihn zu übertragen. Durch Beschluss vom 14.10.2010 hat das Amtsgericht die Einholung eines Gutachtens durch die Sachverständige Sch… zur Frage der Erziehungsfähigkeit der Eltern angeordnet. Ein schriftliches Sachverständigengutachten ist nicht erstellt worden. Am 13.4.2011 informierte die Sachverständige das Amtsgericht, dass die Mutter nach Auflösung ihrer Wohnung mit unbekannten Aufenthalt verschwunden sei, sie an einer Borderline-Störung leide sowie hoch verschuldet sei und dass das Verschwinden im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Gerichtstermin am 20.4.2011 stehe. Daraufhin hat das Amtsgericht am 13.4.2011 wegen Dringlichkeit ohne Anhörung im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder der Mutter entzogen und das Jugendamt zum Pfleger bestellt. Zugleich hat es angeordnet, dass die Mutter die Kinder unverzüglich an den Vater herauszugeben hat. Unter dem 19.4.2011 teilte die Mutter mit, aufgrund seelischer und körperlicher Belastung mit den Kindern zu ihrer Mutter gezogen und dort seit dem 1.4.2011 ordnungsgemäß gemeldet zu sein. Der Umzug sei dem Vater mehrfach angekündigt worden.

Durch den angefochtenen Beschluss vom 20.4.2011 hat das Amtsgericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitsfürsorge und das Recht zum Stellen von Anträgen nach sozialrechtlichen Vorschriften für die beiden Kinder der Mutter entzogen und dem Vater übertragen sowie die Herausgabe der Kinder an ihn angeordnet. Zur Begründung hat es sich insbesondere auf die mündlichen Äußerungen der Sachverständigen Sch… im Termin vom 20.4.2011 bezogen und die Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater auf die Vorschrift des § 1680 BGB gestützt.

Gegen diese Entscheidung wenden sich beide Eltern mit ihren Rechtsmitteln.

Zur Begründung ihrer Beschwerde trägt die Mutter vor, das Amtsgericht habe gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verstoßen. Weder im vorliegenden Verfahren noch im vorangegangen Verfahren seien die Kinder vom Gericht persönlich angehört worden. Eine Anhörung hätte ergeben, dass es sich um fröhliche und folgsame Kinder handele und unter keinem Gesichtspunkt von einer Kindeswohlgefährdung auszugehen sei.

Ein ordnungsgemäßes Gutachten der Sachverständigen liege nicht vor. Diese habe sich im Termin vom 20.4.2011 lediglich mündlich geäußert. Zur Diagnose einer angeblichen Borderline-Störung sei die Sachverständige weder beauftragt noch berechtigt gewesen und im Übrigen auch nicht in der Lage. Außerdem habe sie die Sachverständige nicht von ihrer Schweigepflicht entbunden. Somit sei die sie - die Mutter - betreffende gutachterliche Stellungnahme nicht verwertbar.

Die Sachverständige habe sich mit der Erziehungsfähigkeit des Vaters nicht mit der gebotenen Gründlichkeit auseinandergesetzt. Der Vater sei mehrfach strafrechtlich wegen Körperverletzung in Erscheinung getreten und neige zum Jähzorn. Er habe noch nicht einmal Schlafmöbel für die Kinder bereitgestellt und auch kein Interesse an der Betreuung der Kinder. Die Initiative gehe von der Großmutter väterlicherseits aus. Dem Vater fehle es auch an der erforderlichen Bindungstoleranz. Er habe in der Vergangenheit jegliches Gespräch mit ihr über Erziehungsangelegenheiten verweigert. Außerdem boykottiere er nach dem Obhutswechsel ohne nachvollziehbare Gründe den Kontakt der Kinder zu ihr.

Schließlich verstoße die angefochtene Entscheidung gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Eine Gefährdungssituation sei zu keiner Zeit gegeben gewesen.

Die Mutter beantragt,

ihre alleinige elterliche Sorge wiederherzustellen.

Der Vater beantragt,

ihm über den angefochtenen Beschluss hinaus die gesamte elterliche Sorge für die beiden Kinder allein zu übertragen.

Zur Begründung seiner Beschwerde macht der Vater geltend, die Entscheidung des Amtsgericht sei ihrem wesentlichen Inhalt nach zutreffend und nicht zu beanstanden. Der Beschluss sei jedoch unvollständig, da keine Entscheidung über seinen Antrag, ihm das alleinige Sorgerecht zu übertragen, getroffen worden sei. Die Voraussetzungen hierfür lägen nach § 1671 BGB vor. Auf die Frage des § 1666 BGB komme es insoweit nicht an.

Im Übrigen beantragen beide Eltern die Zurückweisung der jeweils gegnerischen Beschwerde.

Unter dem 10.5.2011 hat die Mutter beim Amtsgericht Strausberg den Antrag auf Regelung ihres Umgangs mit den Kindern gestellt. Das Verfahren - 2.1 F 122/11 - endete im Termin vom 7.7.2011, bei dem die Sachverständige Sch… anwesend war und Erklärungen zu Protokoll gegeben hat, mit einer gerichtlich gebilligten Vereinbarung der Eltern, wonach die Mutter im Anschluss an die Empfehlung der Sachverständigen einmal wöchentlich an einem Werktag in der Zeit von 15 bis 17 Uhr in begleiteter Form Umgang mit den Kindern hat.

Mit Beschluss vom 5.9.2011 hat der Senat die Einholung eines schriftlichen Gutachtens der Sachverständigen Dipl.-Psych. S… W… angeordnet, das diese unter dem 8.2.2012 erstellt hat. Hierauf sowie auf die gewechselten Schriftsätze der beteiligten Eltern und die ergänzenden schriftlichen Stellungnahmen des Jugendamts und der Verfahrensbeiständin wird Bezug genommen. Ferner hat der Senat die beteiligten Eltern, die Kinder und die Verfahrensbeiständin angehört.

II.

Die gemäß §§ 58 ff FamFG zulässigen Beschwerden der beteiligten Eltern führen in der Sache nur im Hinblick auf das Rechtsmittel des Vaters zum Erfolg. Das Amtsgericht hat im Ergebnis zu Recht Teile des elterlichen Sorgerechts auf ihn übertragen. Unter den vorliegend gegebenen Voraussetzungen entspricht es dem Kindeswohl am besten, wenn die Kinder T… und L… nicht nur weiter im Haushalt des Vaters leben, sondern er auch die gesamte elterliche Sorge für sie allein ausübt.

1.

Nach § 1626 a BGB steht nicht verheirateten Eltern die elterliche Sorge dann gemeinsam zu, wenn sie erklären, dass sie die Sorge gemeinsam übernehmen wollen (Sorgeerklärung), im Übrigen hat die Mutter die elterliche Sorge. In letzterem Fall kann der Vater mit Zustimmung der Mutter beantragen, dass ihm das Familiengericht die elterliche Sorge oder einen Teil davon allein überträgt. Dem Antrag ist stattzugeben, wenn die Übertragung dem Wohl des Kindes dient (§ 1672 Abs. 1 BGB). Diese Regelung, die es dem nichtehelichen Vater unmöglich macht, ohne Zustimmung der Mutter eine Sorgerechtsübertragung auf sich zu beantragen, hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 21.7.2010 (FamRZ 2010, 1403) für unvereinbar mit Art. 6 Abs. 2 GG erklärt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Regelung greife unverhältnismäßig in das Elternrecht des Vaters ein, wenn die Weigerung der Mutter, der gemeinsamen Sorge mit dem Vater zuzustimmen, nicht gerichtlich am Maßstab des Kindeswohls überprüft werden könne.

Als Folge der bestehenden Unvereinbarkeit der Regelungen aus den §§ 1626 a Abs. 1 Nr. 1 und 1672 Abs. 1 BGB mit Art. 6 Abs. 2 GG ergibt sich nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts weder die Nichtigkeit noch die Unanwendbarkeit der Vorschriften, da anderenfalls selbst bei übereinstimmendem Willen der Eltern keine Sorgerechtsübertragung mehr möglich wäre. Es sei erforderlich, dem Vater die Möglichkeit einzuräumen, gerichtlich überprüfen zu lassen, ob er aus Gründen des Kindeswohls an der elterlichen Sorge zu beteiligen oder ihm - auch in Abwägung seines Elternrechts mit dem der Mutter - sogar die alleinige Sorge für das Kind zu übertragen ist. Dabei soll ein am Kindeswohl orientierter Prüfungsmaßstab sicherstellen, dass die Belange des Kindes maßgeblich Berücksichtigung finden, jedoch die Zugangsvoraussetzungen zur gemeinsamen Sorge nicht zu hoch angesetzt werden (vgl. hierzu BVerfG, FamRZ 2010, 1403; FamFR 2011, 138). Zur Vermeidung von Wiederholungen wird wegen der Einzelheiten auf die von den Eltern für den Streitfall selbst herangezogene verfassungsgerichtliche Entscheidung Bezug genommen.

Das Bundesverfassungsgericht hat für die Zeit bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung angeordnet, dass das Familiengericht - in Anlehnung an die Regelung in § 1671 BGB - den Eltern auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge gemeinsam überträgt, soweit zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl entspricht. Hierzu bedarf es insbesondere einer tragfähigen Beziehung zwischen den Eltern.Die Ausübung der gemeinsamen Verantwortung für ein Kind erfordert ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen den Eltern. Fehlt es daran und sind die Eltern zur Kooperation weder bereit noch in der Lage, kann die gemeinsame Sorge für das Kind dem Kindeswohl zuwiderlaufen (vgl. BVerfG, a.a.O.).

Von diesen rechtlichen Grundsätzen ausgehend entspricht es nicht dem Kindeswohl, wenn die Beteiligten zu 1. und 2. die elterliche Sorge für T… und L… gemeinsam ausüben würden. Nach dem vom Senat bei der Anhörung der Beteiligten gewonnenen Eindruck bestehen gegenwärtig bei beiden Elternteilen so erhebliche Vorbehalte gegen den jeweils anderen, dass sie ein vertrauensvolles Zusammenwirken im Interesse des Kindeswohls ausschließen. Ferner gibt es zwischen den beteiligten Eltern derzeit keine Gesprächsbasis. Schließlich fehlt es an einem Mindestmaß elterlicher Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit. Zudem sind sie zu keiner Kommunikation betreffend die gemeinsamen Kinder bereit und in der Lage. Das gemeinsame Sorgerecht ist dementsprechend auch zu Recht von beiden Eltern nicht beantragt worden.

2.

Bei der Frage, welcher Elternteil das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder ausüben soll, gewinnen unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Anlehnung an die Regelung in § 1671 BGB insbesondere folgende Gesichtspunkte Bedeutung, wobei der hier gewählten Reihenfolge im Hinblick auf ihren Stellenwert keine Bedeutung zukommt (vgl. hierzu Johannsen/Henrich/Jaeger, Familienrecht, 5. Aufl., § 1671 BGB, Rn. 84):

- die Erziehungsfähigkeit/Förderkompetenz, nämlich die Eignung, Bereitschaft und Möglichkeit der Eltern zur Übernahme der für das Kindeswohl maßgeblichen Erziehung und Betreuung,

- die Bindungstoleranz, also die Bereitschaft, den persönlichen Umgang des Kindes mit dem anderen Elternteil zuzulassen und zu fördern,

- die Bindung, d.h. eine gefühlsbestimmte Beziehung des Kindes an beide Elternteile und vorhandene Geschwister,

- der Wille des Kindes, soweit er mit seinem Wohl vereinbar ist und das Kind nach Alter und Reife zu einer autonomen und stabilen Willensbildung im natürlichen Sinne in der Lage ist,

- der Kontinuitätsgrundsatz, der auf das grundlegende Bedürfnis des Kindes nach gleichbleibenden und stabilen Lebensverhältnissen abstellt.

Die einzelnen Kriterien stehen allerdings nicht wie Tatbestandsmerkmale kumulativ nebeneinander. Jedes von ihnen kann im Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam für die Beurteilung sein, was dem Wohl des Kindes am besten entspricht (vgl. hierzu BGH, FamRZ 2011, 796; FamRZ 2010, 1060). Die Beurteilung des Kindeswohls anhand der genannten Gesichtspunkte und deren Gewichtung ist Aufgabe des Senats. Im Ergebnis führt dies hier im Anschluss an die Empfehlungen der Sachverständigen W…, der Verfahrensbeiständin und des Jugendamts zu einer Übertragung der gesamten elterlichen Sorge für T… und L… auf den Vater.

a)

Zu Recht hat das Amtsgericht festgestellt, dass Bedenken gegen die Erziehungsfähigkeit der Mutter bestehen. Nach den Ausführungen der Sachverständigen W… in ihrem vom Senat eingeholten schriftlichen Gutachten vom 15.11.2011 gelingt es dem Vater deutlich besser als der Mutter, die Kinder zu versorgen und zu fördern, so dass jedenfalls von seiner höheren Erziehungskompetenz auszugehen ist.

Beide Eltern betonen, ein großes Interesse an ihren Kindern T… und L… zu haben. Jedoch hat die Mutter in der Vergangenheit, als die Kinder noch in ihrem Haushalt lebten, nicht kontinuierlich gezeigt, dass sie in der Lage ist, ihre Kinder zu versorgen und zu fördern, vor allem im Hinblick auf die bestehenden Probleme betreffend die Stoffwechselerkrankung der Tochter, die sprachlichen Defizite beider Kinder sowie ihre kinder- und zahnärztliche Betreuung. Die Mutter erschien bis zum Wechsel der Kinder in den Haushalt des Vaters mit deren altersangemessener Versorgung überfordert, während sich der Vater nach dem Umzug bei auftretenden Problemen regelmäßig Unterstützung und Empfehlungen bei Kindergärtnerinnen oder dem Jugendamt holte.

Wegen der Überforderung der Mutter mit der Versorgung ihrer Kinder wurden ihr seinerzeit Hilfen zur Erziehung durch das Amt für Jugend und Soziales des Landkreises M… gewährt, die dazu beitragen sollten, die Grundbedürfnisse der Kinder zu sichern. Die notwendige kontinuierliche und zuverlässige Zusammenarbeit mit der Familienhilfe ist der Mutter - wie unter Ziffer I. dargestellt - jedoch nicht gelungen bzw. wurde von ihr nicht als erforderlich angesehen. Auch die nicht zuverlässige Wahrnehmung des am 7.7.2011 geregelten (begleiteten) Umgangs der Mutter mit T… und L… ist als Indiz zu werten, dass sie die Bedürfnisse der Kinder nicht ausreichend zu erkennen vermag bzw. berücksichtigt. Die Erklärungen der Mutter im Senatstermin vom 10.7.2012 haben deutlich gemacht, dass sie ihren eigenen Gefühlen und Interessen ein größeres Gewicht beimisst als den berechtigten kindlichen (emotionalen) Bedürfnissen nach Wahrnehmung der festgelegten Umgangstermine mit der Mutter.

Auch den gesundheitlichen Bedürfnissen der Kinder kommt der Vater angemessen nach. Hier musste er aufgrund mangelnder kontinuierlicher (zahn-)ärztlicher Behandlungen in der Vergangenheit bis zum Wechsel der Kinder in seinen Haushalt in 4/2011 zunächst die durch die Versäumnisse der Mutter entstandenen Defizite kompensieren. Dies ist ihm auch gelungen.

Hinsichtlich der künftigen Wohnverhältnisse des Vaters und der Kinder nach ihrem Auszug aus dem Haus der Großmutter erscheint es nach den von der Mutter im Senatstermin geäußerten Bedenken angezeigt, dass vom Jugendamt hier auf die neuen Wohnverhältnisse und deren Kindeswohlverträglichkeit ein Augenmerk gerichtet wird. Gegenwärtig bestehen jedoch keine greifbaren Anhaltspunkte, dass die neuen Wohnverhältnisse des Vaters und der Kinder oder deren neue häusliche Umgebung in jedem Fall zu beanstanden sein werden. Maßgebend wird sein, dass T… und L… beim Vater unter Nutzung der für sie in Zukunft vorgesehenen Räumlichkeiten einerseits in der Lage sind, sich kindgerecht zu entfalten, und andererseits über genügend Freiräume und Rückzugsmöglichkeiten verfügen können.

Im Hinblick auf die Berufsausübung der Eltern ergibt sich ebenfalls kein Vorrang der Mutter. Der in Vollzeit beruflich eingebundene Vater hat seit dem Wechsel der Kinder in seinen Haushalt in 4/2011 gezeigt, dass er in der Lage ist, die Abholung der Kinder aus der Kita zu organisieren und sicherzustellen. Davon ist nach seinen Angaben im Senatstermin mangels entgegenstehender Anhaltspunkte auch für die Zukunft auszugehen. Die Erziehungsfähigkeit der Mutter wird zwar auf der einen Seite nicht durch ihre derzeitige Arbeitslosigkeit beeinträchtigt. Es besteht jedoch andererseits kein allein aus dem Zeitfaktor resultierender Vorrang eines nicht oder nur teilweise berufstätigen vor dem vollschichtig berufstätigen Elternteil (vgl. hierzu OLG Brandenburg, FamRZ 2003, 1949; Johannsen/Henrich/Jaeger, Familienrecht, 5. Aufl., § 1671 BGB, Rn. 56). Das gilt umso mehr, als andernfalls die Verletzung der gesteigerten Erwerbsobliegenheit der Mutter, die sie seit dem Wechsel der Kinder in den Haushalt des Vaters in 4/2011 trifft und der sie bis heute nicht nachgekommen ist, für sie zu einem (unberechtigten) Vorteil führen könnte.

b)

Hinsichtlich der Bindungstoleranz gegenüber dem jeweils anderen Elternteil hat die Sachverständige W… in ihrem Gutachten festgestellt, dass die Eltern sich feindselig ablehnend gegenüberstehen. Sie erkennen nicht, dass sich Konflikte auf verschiedenen Ebenen austragen lassen und die Paarebene von der Elternebene getrennt werden muss. Erst diese Akzeptanz ermöglicht es den Eltern, sensibel auf die Bedürfnisse und Belange ihrer Kinder einzugehen sowie ihnen die Möglichkeit zu geben, unabhängig von eigenen Bedürfnissen den Kontakt zu beiden Elternteilen positiv aufrechtzuerhalten. Dazu aber muss der Kontakt der betroffenen Kinder zum jeweils anderen Elternteil nicht nur formal gewünscht sein, sondern auch objektiv gefördert werden. Nach den Feststellungen der Sachverständigen W… in ihrem schriftlichen Gutachten gelingt dies bislang weder der Mutter noch dem Vater. Auf Seiten beider Eltern ist daher gegenwärtig von einer eingeschränkten Bindungstoleranz auszugehen.

Demgegenüber gestaltet sich die geschwisterliche Bindung zwischen T… und L… als eng und liebevoll. Die Kinder sind gegenseitig sehr aufeinander bezogen und vermitteln sich somit (unbewusst) Halt und Geborgenheit. Beide Kinder gaben gegenüber der Sachverständigen an, viel Zeit miteinander zu verbringen, sich um den anderen (altersangemessen) zu sorgen und da sein zu wollen, wo der andere sich gerade aufhält. Dementsprechend ist es wichtig, dass T… und L… auch zukünftig gemeinsam aufwachsen und nicht etwa eine Geschwistertrennung vorgenommen wird.

c)

Dem Willen von T… und L… als Kindeswohlkriterium kommt vorliegend keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Abgesehen davon, dass dieses Kriterium nicht unumstritten ist, kann von einem kindlichen Willen als wesentliche Einflussgröße für eine Entscheidung nur gesprochen werden, sofern insoweit jedenfalls vier Mindestanforderungen, nämlich Zielorientierung, Intensität, Stabilität und Autonomie, gegeben sind. Die beteiligten Eltern haben vorliegend selbst nicht behauptet, dass die Kinder einen konkreten Willen geäußert hätten, wo sie zukünftig leben wollen. Davon abgesehen hat auch die Sachverständige in ihrem Gutachten ausgeführt, dass T… und L… aufgrund ihrer sprachlichen und kognitiven Entwicklung nicht in der Lage waren bzw. sind, einen entsprechenden Willen zu äußern, ohne sie hierdurch in eine emotionale Überforderung zu bringen. Die Sachverständige hat jedoch im Rahmen ihrer Gespräche mit den Kindern ausdrücklich festgestellt, dass es ihnen im Haushalt des Vaters gefällt. Sie fühlen sich dort geborgen und sicher.

d)

Das Kontinuitätsprinzip, dem die Annahme zugrunde liegt, dass Kinder ein grundlegendes Bedürfnis nach gleichbleibenden und stabilen Lebensverhältnissen besitzen, spricht vorliegend ebenfalls für den Vater.

Auch wenn wegen des anstehenden Umzugs des Vaters und der Kinder die räumliche Kontinuität betreffend die Wohnung nicht aufrechterhalten bleiben kann, ist für die Kinder hier vor allem die erzieherische Kontinuität von Bedeutung. Nach den Feststellungen der Sachverständigen W… erscheint der Vater gegenwärtig als die wichtigere Bezugs- und Vertrauensperson für die Geschwister. Insbesondere L… fühlt sich im Haushalt des Vaters sehr wohl und die starke emotionale Vertrautheit und Bindung der Kinder untereinander hat auch T… dazu veranlasst, sich gegenüber der Sachverständigen für ein Zusammenleben im Haushalt des Vaters auszusprechen. Seit 4/2011 und damit bereits seit über einem Jahr leben die Kinder beim Vater. Die Sachverständige hat festgestellt, dass ein erneuter Wechsel des (erzieherischen) Bezugsrahmens als kritisch zu betrachten wäre, da beide Kinder aufgrund der eingetretenen emotionalen Beeinträchtigung ein hohes Maß an Stabilität brauchen. Zudem stünden weder T… noch L… ausreichende emotionale Ressourcen zur Verfügung, so dass durch einen erneuten Wechsel in den Haushalt der Mutter ihre emotionale als auch soziale Stabilität verloren ginge. Des Weiteren hat die Sachverständige ihre Befürchtung geäußert, dass auch der momentane außerfamiliäre Bezugsrahmen (Kita) nach den Erfahrungen in der Vergangenheit nicht ausreichend und regelmäßig von der Mutter in Anspruch genommen werden würde, so dass damit zusätzliche stabilisierende Faktoren im Leben beider Kinder verloren gingen.

e)

Das Jugendamt hat sich in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 15.6.2012 den schriftlichen Empfehlungen der Sachverständigen W… in ihrem Gutachten angeschlossen und sich für einen Verbleib der Kinder im Haushalt des Vaters sowie für die Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf ihn ausgesprochen, da er hierfür geeigneter als die Mutter erscheine. Aus der Sicht des Jugendamts hat die Mutter durch den nicht regelmäßig wahrgenommenen begleiteten Umgang seit Oktober 2011 gezeigt, dass auf ihrer Seite nicht der erforderliche Kompetenzzuwachs eingetreten ist, der Voraussetzung für eine Sorgerechtsausübung wäre.

f)

Auch die Verfahrensbeiständin hat sich in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 1.7.2012 nach persönlichen Gesprächen mit T… und L… (einzeln) im Haushalt des Vaters am 21.6.2012 im Interesse und zum Wohl der Kinder dafür ausgesprochen, dass der Vater die elterliche Sorge für beide Kinder allein ausübt.

Im Ergebnis folgt der Senat nach Anhörung aller Beteiligten den gutachterlichen Beurteilungen der Sachverständigen W… sowie den Empfehlungen des Jugendamts und der Verfahrensbeiständin, dass es dem Wohl von T… und L… am besten entspricht, wenn sie auch in Zukunft im Haushalt des Vaters leben und dieser die elterliche Sorge für die Kinder ausübt.

3.

Auf der Grundlage der eingangs getroffenen Feststellung, dass im Streitfalle eine gemeinsame Sorgerechtsausübung im Hinblick auf die fehlende Kommunikation sowie Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Eltern ausscheidet und weil dem Vater die elterliche Sorge entsprechend § 1671 Abs. 1 und 2 BGB allein zu übertragen ist, da er insbesondere erziehungsgeeigneter ist als die Mutter, besteht kein Anlass für eine Beschränkung der Sorgerechtsübertragung auf die vom Amtsgericht genannten Teilbereiche (Aufenthaltsbestimmungsrecht, Gesundheitsfürsorge und das Recht zur Antragstellung nach sozialrechtlichen Vorschriften). Da die Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater dem Kindeswohl am besten entspricht, keine Veranlassung für eine Sorgerechtsbeschränkung besteht, ist antragsgemäß auszusprechen, dass der Vater die gesamte elterliche Sorge für T… und L… allein ausübt. Die Entscheidung des Amtsgerichts ist daher zugunsten des Vaters entsprechend abzuändern und die Beschwerde der Mutter dementsprechend zurückzuweisen.

4.

Soweit sich sowohl die Sachverständige als auch das Jugendamt dafür ausgesprochen haben, dass der Umgang zwischen Mutter und Kindern ausgedehnt wird, weil der Umgang bislang nur in begleiteter Form und im Umfang von zwei Stunden wöchentlich stattfindet, kann im vorliegenden Verfahren hierzu keine Regelung getroffen werden. Denn dieses betrifft allein die elterliche Sorge für die beiden Kinder und nicht das Umgangsrecht der Mutter.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 FamFG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.