Gericht | VG Potsdam 3. Kammer | Entscheidungsdatum | 31.05.2024 | |
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Aktenzeichen | VG 3 L 237/24 | ECLI | ECLI:DE:VGPOTSD:2024:0531.3L237.24.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 20 Abs 2 lit.a AEUV, Art 21 AEUV, Art 45 Abs 3 AEUV, § 54 Abs 1 AufenthG, § 54 Abs 2 AufenthG, § 3 Nr 10 AuslRZV, § 6 Abs 1 Satz 1 FreizügG/EU, Art 27 FreizügRL, Art 45 GRCh |
1. Der Antrag des Antragsstellers,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechts in der Bundesrepublik Deutschland des Antragsgegners vom 14. März 2024 wiederherzustellen,
hat Erfolg.
Der Antrag ist nach § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 2 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Er ist auch begründet. Hat die Behörde – wie hier – unter Hinweis auf § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO im öffentlichen Interesse die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes angeordnet, so kann das Verwaltungsgericht gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag hat Erfolg, wenn entweder die Vollziehungsanordnung an formellen Mängeln leidet – was hier nicht der Fall ist – oder wenn das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Bei der insoweit vorzunehmenden Interessenabwägung sind namentlich die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache maßgeblich, wenn sie nach der grundsätzlich nur gebotenen summarischen Prüfung offensichtlich sind oder zumindest mit überwiegender Wahrscheinlichkeit beurteilt werden können.
a) Die vorzunehmende Interessenabwägung fällt hinsichtlich der Regelung unter I. des streitgegenständlichen Bescheids zu Gunsten des Suspensivinteresses des Antragstellers aus. Der Widerspruch gegen die Regelung, mit der der Antragsgegner den Verlust des Freizügigkeitsrechts des Antragsstellers in der Bundesrepublik Deutschland aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit festgestellt und mit dem Agieren des Antragsstellers u.a. als Gründungsmitglied bzw. Obmann der ..., dem Inhalt seiner Veröffentlichungen in sozialen Medien, Büchern und Artikeln, aufgrund derer er systematisch am Aufbau und Unterhaltung eines Netzwerks der Neuen Rechten partizipiere und der Tätigkeit als Referent bei Veranstaltungen des rechtsextremen Spektrums im Rahmen regelmäßiger Reisen nach Deutschland begründet hat, wird voraussichtlich Erfolg haben. Der angegriffene Bescheid dürfte sich insoweit als rechtswidrig erweisen und den Antragsteller in seinen Rechten verletzen, vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.
Dabei kann im Rahmen dieses Eilverfahrens dahinstehen, ob der Antrag bereits deshalb Erfolg hat, weil der Bescheid formell rechtswidrig ist. Insbesondere keiner Klärung bedarf insoweit, ob der Antragsgegner anfänglich zuständig war und ob er auch unter Geltung des § 3 Nr. 10 AuslRZV nach der Änderung mit der zweiten Verordnung zur Änderung der Ausländerrechtszuständigkeitsverordnung (GVBl.II/24, [Nr. 11]) weiterhin zuständig ist bzw. welche Folgen ein etwaiger Zuständigkeitsübergang für das vorliegende gerichtliche Verfahren hat.
Denn jedenfalls ist der Bescheid voraussichtlich materiell rechtswidrig.
aa) Rechtsgrundlage der Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechts ist § 6 Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU. Danach kann der Verlust des Rechts eines Unionsbürgers auf Einreise und Aufenthalt (§ 2 Abs. 1 FreizügG/EU) u. a. aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit festgestellt werden. Die Maßstäbe der § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU sind vorliegend nicht zu berücksichtigen, denn diese setzen den Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts nach § 4 FreizügG/EU bzw. einen Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet voraus, was vorliegend nicht der Fall ist. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU liegen jedoch voraussichtlich nicht vor.
bb) Zu berücksichtigen ist, dass die Vorschriften des FreizügG/EU (zuvor: AufenthG/EWG) zur Durchführung der aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen des Unionsrechts bestimmt sind, insbesondere zur Durchführung des Art. 45 Abs. 3 AEUV, nach dem Einschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sein müssen (vgl. zur Vorgängerregelung des § 12 AufenthG/EWG insgesamt: BVerwG, Urteil vom 3. August 2004 – 1 C 30/02 –, juris Rn. 22 ff. m.w.N.). Zudem ist zu beachten, dass das Freizügigkeitsgesetz/EU 2004 zur Konzentration verschiedener Regelungen geschaffen ist, die das Recht der Unionsbürger betreffen, sich in den übrigen Mitgliedsstaaten aufzuhalten und ebenso der Umsetzung der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 „über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten“ (Freizügigkeitsrichtlinie – FreizügRL) dient. Die Regelungen sind folglich im Sinne der entsprechenden unionsrechtlichen Bestimmungen, insbesondere auch Art. 27 FreizügRL und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszulegen. Ferner ist zu beachten, dass nach Art. 20 Abs. 2 lit. a) AEUV und Art. 21 AEUV jeder Unionsbürger das Recht hat, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. Auch nach Art. 45 GRCh haben die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, wobei für die abwehrrechtlichen wie für die gleichheitsrechtlichen Gewährleistungen des Art. 45 GRCh gilt, dass die Rechtfertigung von Eingriffen gem. Art. 52 Abs. 2 GRCh den Bestimmungen des Art. 21 AEUV folgt (vgl. Klatt, in: Groeben, von der/Schwarze/Matthias Klatt, Europäischens Unionsrecht, 7. Aufl, GRC, Art. 45 Rn. 8).
Danach sind Ausnahmen von dem Grundsatz der Freizügigkeit eng zu verstehen. Bei jeder Beschränkung der Freizügigkeit haben die Ausländerbehörden und die Gerichte die besondere Rechtsstellung der vom Unionsrecht privilegierten Personen und die entscheidende Bedeutung des Grundsatzes der Freizügigkeit zu berücksichtigen. § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU erfordert eine hinreichend schwere Gefährdung (vgl. auch Art. 27 Abs. 2 UA 2 S. 1 FreizügRL: „erhebliche Gefahr“). Der EuGH hat wiederholt entschieden, dass der Begriff der erheblichen Gefahr im vorliegenden Zusammenhang enger auszulegen ist als in anderen Fällen, in denen das Unionsrecht auf ihn zurückgreift.
Hinsichtlich der öffentlichen Ordnung setzt die rechtmäßige Verlustfeststellung eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers danach auf Tatbestandsebene voraus, dass aufgrund des persönlichen Verhaltens des Betroffenen außer der Störung der öffentlichen Ordnung, die jede Gesetzesverletzung darstellt, eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (§ 6 Abs. 2 S. 2 und S. 3 FreizügG/EU und stRspr des EuGH, Urteile vom 27. Oktober 1977, – 30/77 –, juris, Rn. 33 ff. und vom 29. April 2004, – C-482/01 –, juris, Rn. 66). Dieser Maßstab verweist – anders als der Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im deutschen Polizeirecht – nicht auf die Gesamtheit aller Rechtsnormen, sondern auf einen spezifischen Rechtsgüterschutz, nämlich ein Grundinteresse der Gesellschaft, das berührt sein muss. Zu den Grundinteressen der Gesellschaft gehört dabei die Sicherung des friedlichen Zusammenlebens der Einwohner eines Staates unter Beachtung der geltenden Rechtsordnung, insbesondere in ihrer strafrechtlichen Ausprägung (vgl. zum Fall eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen: BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 -, juris, Rn. 15).
Hinsichtlich der öffentlichen Sicherheit ist zu beachten, dass unionsrechtlich eine Unterscheidung zur öffentlichen Ordnung nicht immer trennscharf vorgenommen werden kann (vgl. Hailbronner, in: Hailbronner, Ausländerrecht, § 6 FreizügG/EU, Rn. 50 ff.). Die öffentliche Sicherheit umfasst nach der Rechtsprechung des EuGH sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit, „sodass die Beeinträchtigung des Funktionierens der Einrichtungen des Staates und seiner wichtigen öffentlichen Dienste sowie das Überleben der Bevölkerung ebenso wie die Gefahr einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker oder eine Beeinträchtigung der militärischen Interessen die öffentliche Sicherheit berühren können“ (EuGH, Urteil vom 13. September 2016 – C-165/14 –, juris, Rn. 83 m.w.N.)
Das Erfordernis einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung bzw. Sicherheit besagt dabei nicht, dass eine "gegenwärtige Gefahr" im Sinne des deutschen Polizeirechts vorliegen müsste, die voraussetzt, dass der Eintritt des Schadens sofort und nahezu mit Gewissheit zu erwarten ist. Es verlangt vielmehr eine hinreichende – unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit nach dem Ausmaß des möglichen Schadens und dem Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts differenzierende – Wahrscheinlichkeit, dass der Ausländer künftig die öffentliche Ordnung im Sinne des Art. 45 Abs. 3 AEUV beeinträchtigen wird. Es gilt ein differenzierender, mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Auch der Gerichtshof der Europäischen Union geht davon aus, dass die für Einschränkungen von Aufenthaltsrechten erforderliche erhebliche Gefahr keine statische Wahrscheinlichkeit bedeutet, sondern dass in jedem Einzelfall auch der Grad der aktuellen Gefährlichkeit des Betroffenen zu ermitteln ist (vgl. VG Berlin, Urteil vom 11. Januar 2024, VG 10 K 297/22, S. 7 m.w.N.). Für die Annahme einer Wahrscheinlichkeit, der Antragsteller werde ein Grundinteresse der Gesellschaft bzw. die öffentliche Sicherheit berühren, genügt indes nicht, dass lediglich der durch bestimmte Tatsachen begründete Verdacht für das Vorliegen einer Gefahr besteht. Denn § 6 Abs. 1 bis 3 FreizügG/EU setzt tatbestandlich nicht nur – wie etwa § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG – voraus, dass "bestimmte Tatsachen die Annahme begründen", dass eine Gefahr besteht. Erforderlich ist vielmehr, dass eine tatsächliche gegenwärtige Gefahr besteht. Dafür muss der – in Hauptsacheverfahren gemäß § 108 Abs. 1 S. 1 VwGO zur Überzeugung des Gerichts feststehende – Sachverhalt mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Schadenseintritt erwarten lassen (vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 11. November 2014 – 22 K 6836/13 –, juris Rn. 68 ff.).
cc) Unter Beachtung dieses Maßstabs hat der Antragsteller eine erforderliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nicht hinreichend dargelegt.
(1) Soweit der Antragsgegner eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit damit zu begründen versucht, dass der Antragsteller durch das beschriebene Agieren die „unverrückbaren staatlichen Grundlagen der Bundesrepublik verändern woll[e]“, „mit [seinen] Aktivitäten zugrundeliegenden Ethnopluralismus die Garantie der Menschenwürde und das Staatsvolkverständnis des Grundgesetz verletz[t“], „Prinzipien verfolg[t], die undemokratisch und damit rechtsstaatswidrig sind“, „die historische Verpflichtung Deutschlands für den Holocaust als Grundlage unserer Staatsanwesen negier[t]“ und „das friedliche Zusammenleben der Völker durch die von [ihm] praktizierte und von [ihm] angestrebte Zusammenarbeit extremistischer Netzwerke gefährde[t]“, vermag er die Kammer nicht vom Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU zu überzeugen.
Zwar ist dem Antragsgegner zuzugestehen, dass die abschließende Regelung der Verlustgründe im Unionsrecht mangels einer umfassenden Begriffsdefinition der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Berücksichtigung nationaler Ordnungsvorstellungen nicht schlechthin ausschließt. Derartige Ordnungsvorstellungen sind z.B. für das allgemeine Ausländerrecht in den schwerwiegenden oder besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen des § 54 Abs. 1 und 2 AufenthG niedergelegt. Zudem ist – worauf der Antragsgegner zutreffend hinweist – eine strafrechtliche Verurteilung keine zwingende Voraussetzung für freiheitsbeschränkende Maßnahmen.
Allerdings ist nach Ansicht der Literatur, der sich die Kammer anschließt, bei Verhaltensweisen, die nicht zu einer strafrechtlichen Verurteilung führen, ein besonders strenger Maßstab anzuwenden, da gerade über die strafrechtliche Ausprägung der geltenden Rechtsordnung der Mitgliedstaat bestimmt, welche Verhaltensweisen einem Unwerturteil ausgesetzt sind. Fehlt es an einem solchen Unwerturteil, kann schwerlich ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt sein. Aufgrund der unterschiedlichen Rechtsstellung eines Unionsbürgers mit einem Drittstaatsangehörigen ist auch eine unmittelbare Orientierung an den Ausweisungsinteressen des § 54 AufenthG nicht möglich. Vielmehr ist ergänzend zu den in § 54 Abs. 1 oder 2 AufenthG aufgeführten Tatbeständen eine auch den Verlust des Freizügigkeitsrechts eines Unionsbürgers rechtfertigende, hinreichend schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung nach unionsrechtlichen Grundsätzen zu bestimmen. Hinreichend gewichtige Gründe für eine schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland können daher ohne strafrechtliche Verurteilung nur vorliegen, wenn entweder anhand objektiver Anhaltspunkte die Begehung künftiger gewichtiger Straftaten zu befürchten ist, ohne dass bereits strafrechtliche Maßnahmen getroffen werden können oder wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Zugehörigkeit oder Unterstützung terroristischer Organisationen vorliegen (vgl. Hailbronner in: Hailbronner, Ausländerrecht, § 6 FreizügG/EU, Rn. 26, 37, 44). Beides wird hier seitens des Antragsgegners nicht substantiiert vorgetragen. Zwar legen die Ausführungen des Antragsgegners zu den Äußerungen des Antragstellers zur Verfolgung eines mit Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG sowie Art. 116 GG unvereinbaren „Ethnopluralismus“, der mit Art. 20 Abs. 2 GG unvereinbaren Ablehnung einer gleichberechtigten Teilhabe aller Staatsangehörigen an der politischen Willensbildung, einer Reduzierung der NS-Vernichtungspraxis auf ein unbedeutendes Ereignis der Weltgeschichte eine strafrechtliche Relevanz nahe, die der Antragsgegner allerdings nicht näher konkretisiert. Überdies ist nicht hinreichend belegt, dass der Antragsteller wegen der vom Antragsgegner angeführten Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit tatsächlich mit strafrechtlichen Verurteilungen rechnen müsste. Für die Vergangenheit führt der Bescheid selbst aus, dass diverse Strafverfahren gegen den Antragsteller eingeleitet wurden u.a. wegen des Vorwurfs des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB), Volksverhetzung (§ 130 StGB), Körperverletzung (§ 223 StGB), Geldwäsche (§ 261 StGB), Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz (§ 26 VersammlG), wegen Gewaltdarstellung (§ 131 StGB) und Nötigung (§ 240 StGB). Die Ermittlungsverfahren sind alle indes eingestellt worden. Auch in ... resultierten die Ermittlungs- bzw. Strafverfahren in Einstellungen bzw. Freisprüchen. Der Bescheid verhält sich nicht dazu, weshalb sich dies nun anders darstellen sollte.
(2) Soweit der Antragsgegner die Feststellung des Verlustes der Freizügigkeit im Übrigen sinngemäß damit begründet, dass die Grundinteressen der Gesellschaft auch dann berührt seien, wenn mittels kontinuierlichen und planvollen Bestrebung verfassungsfeindliche Ideologien „salonfähig“ gemacht werden sollen, um auf demokratischem Weg verfassungsfeindliche Ziele zu erreichen, verfängt das nicht. Einer entsprechenden Ausweitung des Grundinteresses steht bereits entgegen, dass die Freizügigkeitsverlustfeststellung nur im Ausnahmefall in Betracht kommt.
(3) Soweit die Tatbestandlichkeit im Ergebnis damit begründet wird, dass der Antragssteller eine „enge Verbindung zu G_____“ habe und die Bücher des Antragstellers in dem von Herrn K_____ geleiteten Verlag veröffentlicht werden und die Anwesenheit des Antragstellers im Bundesgebiet zu einer größeren Leserschaft führen, besteht aus Sicht der Kammer bereits eine Widersprüchlichkeit darin, dass u.a. das namentlich benannte Buch „R_____“ am freien Warenverkehr in der Europäischen Union teilhaben kann, das Erschließen einer größeren Leserschaft indes eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bzw. Ordnung darstellen soll. Diese Widersprüchlichkeit steht der Annahme einer hinreichenden Schwere entgegen, auch wenn der Verlag vom Bundesamt für Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft ist.
(4) Soweit der Antragsgegner seinen Bescheid ferner damit begründet, dass der Antragsteller Ideengeber und Führungsperson der ... () bzw. ... ... (), bzw. ... Deutschland () bzw. der Bewegung „D_____ ist und diese Gruppierungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet sind, lässt sich – nach Ansicht der Kammer – auch damit eine erhebliche Gefährdung eines Grundinteresses nicht belegen. Zwar ist auch insoweit dem Antragsgegner zuzugestehen, dass das zur konkreten Bestimmung des Grundinteresses heranzuziehende nationale Recht in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ein Ausweisungsinteresse besonders schwer wiegt, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Dabei ist jedoch nicht allein die Zielrichtung entscheidend. Von einer derartigen Gefährdung ist nach der Norm erst dann auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand. Es ist jedoch weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der Antragsteller terroristische Aktivitäten verfolgt, noch eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet i.S.d. § 89a StGB. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die vorbenannten Strukturen verboten sind, so dass eine Bezugnahme auf § 54 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG nicht in Betracht kommt.
(5) Darüber hinaus erweist sich die Maßnahme auch deshalb als voraussichtlich rechtswidrig, weil weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist, dass gegen gleiche Verhaltensweisen eigener Staatsangehöriger vergleichbare Maßnahmen ergriffen werden. Freizügigkeitsbeschränkende Maßnahmen unter Berufung auf ordre public-Erwägungen sind indes unter Beachtung des unionsrechtlichen Kohärenzgebots nur dann zulässig, wenn ein Mitgliedstaat gegen ein als sozialschädlich angesehenes Verhalten gegen seine eigenen Staatsangehörigen in gleicher Weise Maßnahmen ergreift. Bleiben etwaige Maßnahmen bei gleichen Verhaltensweisen gegenüber eigenen Staatsangehörigen aus, ist das geschilderte Verhalten nicht als hinreichend schwerwiegend anzusehen (EuGH, Urteil vom 18. Mai 1982, C-115/81, juris, Rn. 8). Der betreffende Mitgliedstaat kann zwar in vergleichbaren Situation aufgrund des Vorbehalts der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit keine eigenen Staatsbürger aus seinem Territorium entfernen oder ihnen die Einreise verweigern, weil diese ein unentziehbares Aufenthaltsrecht besitzen. Gleichwohl scheidet eine Qualifikation des Verhaltens als hinreichend schwerwiegend aus, wenn der Mitgliedstaat keine Zwangsmaßnahmen oder andere tatsächliche und effektive Maßnahmen zur Bekämpfung eines etwaigen vergleichbaren Verhaltens ergriffe (vgl. Hailbronner in: Hailbronner, Ausländerrecht, § 6 FreizügG/EU, Rn. 21). Daran fehlt es vorliegend.
Dabei ist nach Ansicht der Kammer darauf abzustellen, welche staatlichen Maßnahmen auf individueller Ebene ergriffen würden. Unergiebig ist insoweit, dass etwaige Tätigkeiten, die dem Antragsteller vorgehalten werden nach § 3 VereinsG ein Vereinsverbot rechtfertigen können, wenn der Verein „sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet“. Ebenso außer Betracht zu bleiben hat, dass nach § 8 Abs. 1 S. 1 BVerfSchG i.V.m. § 4 Abs. 1, § 3 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 4 BVerfSchG eine Prüfung, Beobachtung und ggf. Einstufung durch den Verfassungsschutz des Bundes bzw. nach den entsprechenden Regeln des Brandenburgisches Verfassungsschutzgesetz erfolgt, da darin keine Maßnahmen zur unmittelbaren „Bekämpfung“ gesehen werden können. Etwaige strafrechtliche Unwerturteile, die eigene Staatsbürger bei gleichen Verhaltensweisen gleichermaßen treffen würden, werden hingegen seitens des Antragsgegners – wie dargelegt – nicht vorgetragen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Möglichkeiten des Art. 18 GG in einem vergleichbaren Fall herangezogen würden.
(6) Auch unter der Annahme, dass die vergangenen oder seitens des Antragsgegners erwarteten Äußerungen des Antragstellers den Anfangsverdacht unterschiedlicher Straftaten etwa der Volksverhetzung (§ 130 StGB) begründen würden, genügt das ebenfalls nicht, eine erhebliche Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft zu begründen. Nicht jede strafbewährte Handlung bzw. Äußerung führt dazu, dass ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt wird. Das ergibt sich bereits daraus, dass nach § 6 Abs. 2 S. 1 FreizügG/EU die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung für sich allein nicht genügt, um die in hier getroffene Entscheidungen zu begründen. Zudem gibt auch – das zur konkreten Bestimmung des Grundinteresses heranzuziehende – nationale Recht in § 54 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 Nr. 1 AufenthG vor, dass eine strafrechtliche Verurteilung von einigem Gewicht für ein (besonders) schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vorliegen muss. Das ist angesichts der Vorstrafenfreiheit und der Art der hier allenfalls in Rede stehenden Straftaten nicht zu erwarten. Eine Straftat gegen die in § 54 Abs. 1 Nr. 1a, 1b, 1b, 1c bzw. Abs. 2 Nr. 2a, 3 AufenthG genannten Normen liegt nicht vor. Ist überdies schon für eine Ausschreibung eines Drittstaatsangehörigen zur Einreiseverweigerung nach Art. 24 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2 Buchst. b Verordnung (EU) 2018/1861 i.V.m. § 30 Abs. 5 BPolG eine „schwere Straftat“ erforderlich, zu denen eine Strafbarkeit nach § 130 StGB nicht zuzuordnen sein dürfte (vgl. insoweit die Definition in Anhang II der Richtlinie (EU) 2016/681, vgl. ferner den Beschluss der Kammer vom 14. Mai 2024 – VG 3 L 379/24 –), wäre ein Wertungswiderspruch zu befürchten, wenn man für eine Freizügigkeitsverlustfeststellung eines Unionsbürgers diese Kriminalitätsform ausreichen ließe, so dass auch eine unmittelbare Orientierung an § 54 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG ausscheiden dürfte. Nach Ansicht der Kammer ist nicht hinreichend belegt, dass der Antragsteller etwaige Straftaten nach § 129a StGB (Bildung terroristischer Vereinigungen) oder § 129b StGB (Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland; Einziehung) verwirklichen wird. Eine Verurteilung des Antragstellers im Zusammenhang mit der Tat von B_____ im März 2019 ist nicht erfolgt. Ebenso wenig ist vorgetragen, dass der Antragsteller darauf zielt, seine im Bescheid dargestellten Ziele unter Anwendung von Gewalt durchzusetzen.
dd) Schließlich dürfte sich die Freizügigkeitsverlustfeststellung auch unter der Annahme der Tatbestandsmäßigkeit als ermessensfehlerhaft i.S.d. § 114 VwGO darstellen.
Bei der Entscheidung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU sind insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in Deutschland, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen (§ 6 Abs. 3 FreizügG/EU). Die Rechtmäßigkeit der Ausweisung eines Unionsbürgers hängt auf Rechtsfolgenseite davon ab, ob das öffentliche Interesse am Schutz der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit im Sinne des Art. 45 Abs. 3 AEUV das private Interesse des Unionsbürgers an seinem Verbleib im Bundesgebiet deutlich überwiegt. Diese Abwägung hat die Ausländerbehörde im Rahmen der in jedem Falle gebotenen Ermessensentscheidung vorzunehmen. Bei der Prüfung, wo der angemessene Ausgleich zwischen den betroffenen berechtigten Interessen jeweils liegt, ist stets die besondere Rechtsstellung der vom Unionsrecht privilegierten Personen und die besondere Bedeutung des Grundsatzes der Freizügigkeit zu berücksichtigen (vgl. EuGH, Urteil vom 29. April 2004, a.a.O., Rn. 96). Wie bei jeder Ermessensentscheidung ist bei der Interessenabwägung außerdem den Grundrechten, hier insbesondere Art. 45 GRCh Rechnung zu tragen (vgl. EuGH, Urteil vom 29. April 2004, a.a.O., Rn. 97). Im Übrigen ist der unionsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen. Darüber hinaus sind die in § 55 AufenthG genannten privaten Belange in die Ermessenserwägungen einzustellen. Die Ausländerbehörde darf in ihre Abwägung aber auch die in den § 54 AufenthG aufgeführten Gründe für ein besonderes Ausweisungsinteresse als – weder abschließende noch zwingende – Wertungen des Bundesgesetzgebers einbeziehen. Die darin normierten Tatbestände dürfen allerdings auch hier nicht im Sinne einer Regelvermutung oder einer sonstigen schematisierenden Entscheidungsdirektive angewendet werden, die auch nur den Anschein eines Automatismus begründet. Vielmehr ist stets auf die Umstände und Besonderheiten des Einzelfalles abzustellen (vgl. zur Vorgängerregelung des § 12 AufenthG/EWG: BVerwG, Urteil vom 3. August 2004 – 1 C 30/02 –, juris Rn. 27 ff. m.w.N.).
Dabei dürfte sich die Verlustfeststellung als unverhältnismäßig erweisen, da – unter Zugrundelegung der Ansicht des Antragsgegners zur Tatbestandsmäßigkeit der verfügten Maßnahme – bereits die Einreiseverweigerung nach § 6 Abs. 1 S. 2 FreizügG/EU ein milderes gleichwirksames Mittel darstellen dürfte, um etwaige – vom Antragsgegner angenommene – Gefahren, die mit einem spezifischen Einreisezweck einhergehen, zu adressieren. Die hier getroffene Regelung, die unterschiedslos, jede Einreise für die Dauer der Befristung unter III. des Bescheides, mithin für drei Jahre untersagt, greift hingegen in die Rechte des Antragstellers über Gebühr ein, da damit auch rein private Reisen unterbunden werden, für die keine Gefahr im Sinne der Bescheidbegründung vorgetragen oder sonst erkennbar ist. Es ist nach dem Vortrag des Antragsgegners auch nicht ersichtlich, dass Veranstaltungen in einem derartigen Umfang stattfinden, dass eine einzelfallbezogene Einreiseverweigerung von vornherein ausscheidet.
b) Erweist sich die Freizügigkeitsverlustfreistellung nach obigen Ausführungen als voraussichtlich rechtswidrig, gilt das auch für die Regelungen unter II. bis IV. in dem streitgegenständlichen Bescheid, denen insoweit die Grundlage entzogen wird. Auch hinsichtlich dieser Regelungen überwiegt daher das Aussetzungsinteresse des Antragstellers.
c) Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
2. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG. Die Kammer hat den Auffangstreitwert in Höhe von 5.000 Euro mit Blick auf die begehrte vorläufige Entscheidung in Anwendung von Ziffer 1.5 des Streitwertkataloges auf die Hälfte reduziert.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen den Beschluss zu 1. steht den Beteiligten die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht zu. Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht Potsdam, Friedrich-Ebert-Straße 32, 14469 Potsdam, innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung einzulegen.
Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Hardenbergstraße 31, 10623 Berlin, einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.
Vor dem Oberverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten durch nach § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung zugelassene Bevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde.
Gegen den Beschluss zu 2. ist die Beschwerde zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt oder die Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zugelassen wird. Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht Potsdam innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen; der Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten bedarf es nicht.