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Entscheidung 6 U 78/23


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 6. Zivilsenat Entscheidungsdatum 28.05.2024
Aktenzeichen 6 U 78/23 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2024:0528.6U78.23.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

  1. Die Berufung der Klägerin gegen das am 04.09.2023 verkündete Urteil des Landgerichts Potsdam, Az. 8 O 209/18, wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage hinsichtlich der Zinsforderung und der Feststellungsklage als unbegründet abgewiesen wird.

  2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

  3. Das angefochtene Urteil des Landgerichts und dieses Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Die Klägerin verlangt als Einzugsstelle für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag nach § 28h Abs. 1, 2 Satz 1 SGB IV von dem Beklagten Schadensersatz wegen vorsätzlichen Vorenthaltens von Beiträgen zur Sozialversicherung (§ 823 Abs. 2 BGB iVm § 266a StGB).

Der Beklagte war Inhaber der Firma „X“ in M…. In den Jahren 2011 bis 2013 war Herr M… E… für ihn tätig, ob als Selbständiger oder Angestellter ist zwischen den Parteien streitig. Der Beklagte führte für Herrn E… keine Sozialversicherungsbeiträge ab.

Auf Grundlage einer Betriebsprüfung im Jahr 2015 stellte die Deutsche Rentenversicherung (DRV) mit Bescheid vom 10.07.2015 die Versicherungspflicht für Herrn E… fest und erstellte gegenüber dem hiesigen Beklagten für die Jahre 2011 bis 2013 Beitragsnachberechnungen über einen Gesamtbetrag an ausstehenden Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteilen in Höhe von 20.152,98 € (Anlage zur Anspruchsbegründung Bl. 13-15). Der dagegen erhobene Widerspruch des Beklagten blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 27.01.2017), wie auch seine Klage zum Sozialgericht Potsdam (S 53 KR 61/17). Die gegen das Urteil des Sozialgerichts vom 11.03.2020 (Bl. 90) eingelegte Berufung (LSG Berlin-Brandenburg L 26 BA 34/20) nahm der Beklagte am 28.06.2022 zurück.

Gegen den Beklagten wurde ein Strafverfahren wegen des Verdachts des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) eingeleitet (StA Potsdam 466 Js 14152/18 Wi), das mit Bescheid vom 21.06.2018 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde. Ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Beklagten wurde mangels Masse abgelehnt.

Die Klägerin hat behauptet, der Beklagte sei verpflichtet gewesen, in Bezug auf die Jahre 2011 bis 2013 für Herrn E… Beiträge zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 20.152,98 € zahlen, in dieser Höhe sei der Sozialversicherung ein Schaden entstanden. Der Beklagte habe Herrn E… wissentlich abhängig beschäftigt. Dies ergebe sich aus den bestandskräftigen Bescheiden der DRV. Der Beklagte sei zur Zahlung auch in der Lage gewesen. Er habe in Kenntnis aller Tatbestandsmerkmale und damit zumindest bedingt vorsätzlich § 266a StGB erfüllt.

Der Klageantrag zu 2) sei begründet, da im Rahmen eines nicht auszuschließenden Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Beklagten nur so eine weitere Klage nach § 184 InsO vermieden werden könne. Außerdem ermögliche die Feststellung eine Vollstreckung nach § 850f Abs. 2 ZPO.

Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,

  1. den Beklagten zu verurteilen, an sie 20.152,98 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

  2. festzustellen, dass ihr Anspruch auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruht.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat behauptet, Herr E… sei selbständig zeitgleich auch für andere Unternehmen tätig gewesen und er habe sich selbständig privat rentenversichert. Er hat die Ansicht vertreten, der Klägerin komme wegen des Bescheides der Rentenversicherung für die Klage kein Rechtsschutzbedürfnis zu, sie sei unzulässig.

Das Landgericht hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil, auf das nach § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen wird, als unzulässig abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dem Zahlungsantrag fehle das Rechtsschutzbedürfnis, weil die Klägerin mit dem Bescheid der DRV vom 10.07.2015 bereits über einen Vollstreckungstitel verfüge. Auch für den Feststellungsantrag bestehe kein Rechtsschutzinteresse, weil mit Blick auf das mangels Masse zur Deckung der Verfahrenskosten nicht eröffnete Insolvenzverfahren und die Aussage der Klägerin, sie lehne das Stellen eines Antrags auf Durchführung des Insolvenzverfahrens ab, nicht wahrscheinlich sei, dass in naher Zukunft über das Vermögen des Beklagten ein Insolvenzverfahren eröffnet werde, wodurch der Klägerin die bereits laufende Vollstreckung aus dem vorhandenen Titel abgeschnitten würde.

Mit der am 12.09.2023 eingegangenen und nach Verlängerung der Begründungsfrist am 05.12.2023 begründeten Berufung greift die Klägerin das am ihr am 05.09.2023 zugestellte landgerichtliche Urteil vollumfänglich an. Sie führt aus, es sei strikt zu trennen zwischen öffentlich-rechtlicher Bescheidung und daraus folgender Vollstreckung sowie zivilrechtlichen Ansprüchen. Ihr Rechtsschutzbedürfnis für die Klage ergebe sich daraus, dass öffentlich-rechtliche Forderungen nicht insolvenzfest seien. Bei einem nicht auszuschließenden Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten sei die Forderung aus dem Bescheid deshalb, anders als zivilrechtliche, mit dem Forderungsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung angemeldete Ansprüche (§ 302 InsO), nicht mehr vollstreckbar. Gleiches gelte für den Feststellungsantrag.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Beklagten zu verurteilen, an sie 20.152,98 € nebst Zinsen i.H.v. 5 %Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen und festzustellen, dass ihr Anspruch auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruht.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das landgerichtliche Urteil und verweist darauf, dass die Klägerin bereits aus dem Leistungsbescheid der DRV die Vollstreckung betreibe. Eines weiteren Vollstreckungstitels bedürfe sie nicht, deshalb fehlte der Klage das Rechtsschutzbedürfnis. Der Vortrag der Klägerin belege keine deliktische Haftung. Herr E… sei für ihn, einen nicht einschlägig bewanderten Handwerker, nicht Arbeitnehmer, sondern Vertragspartner gewesen. Die Rentenversicherung habe lediglich im Nachhinein den Status des Herrn E… abweichend beurteilt.

Die Akten der Staatsanwaltschaft Potsdam zu Az.: 466 Js 14152/18 Wi waren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung (§§ 511, 517, 519, 520 ZPO) hat in der Sache keinen Erfolg. Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht die Zahlungsklage betreffend die Hauptforderung als unzulässig abgewiesen. Entgegen des landgerichtlichen Ausspruchs ist die Klage allerdings zulässig, soweit die Klägerin Zinsen auf die Hauptforderung verlangt und die Feststellung verfolgt, dass der gegenüber dem Beklagten bestehende Zahlungsanspruch auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruht. Allerdings ist die Klage insoweit unbegründet, so dass die Berufung insgesamt - mit der im Tenor ausgesprochenen Maßgabe - zurückzuweisen war.

1. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht die Klage hinsichtlich des Zahlungsantrages betreffend die Hauptforderung als unzulässig abgewiesen. Der Klage auf Schadensersatz wegen Nichtabführung von Sozialversicherungsabgaben aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 266a StGB fehlt es an einem Rechtsschutzbedürfnis. Denn mit dem bestandskräftigen Bescheid der DRV vom 10.07.2015 (Bl. 13) verfügt die Klägerin bereits über einen gleichwertigen Vollstreckungstitel. Dies schließt eine neue Klage aus (vgl. BGH, Urteile vom 19.12.2006 - XI ZR 113/06 Rn. 10 und vom 21.04.2016 - I ZR 100/15 Rn. 17; vgl. OLG Hamm, Urteil vom 09.05.2023 - I-7 U 135/22 Rn. 23; jew. zit. nach juris).

Der Bescheid der DRV vom 10.07.2015 stellt einen Verwaltungsakt dar, der die von dem Beklagten als Einzelunternehmer geschuldeten Sozialversicherungsabgaben für die Beschäftigung des M…E… tituliert. Nach § 28p Abs. 1 S. 5 SGB IV erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten erfüllt haben, Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und zur Beitragshöhe. Um einen solchen Verwaltungsakt handelt es sich bei dem Bescheid vom 10.07.2015, er benennt als Rechtsgrund der geforderten Zahlung „Nachberechnung von Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung (gesetzliche Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung) für den im Zeitraum vom 01.01.2011 bis 31.12.2013 beschäftigten Arbeitnehmer M…E….“. Der Bescheid ist auch bestandskräftig, nachdem der Widerspruch und die Klage des Beklagten erfolglos geblieben sind und er die Berufung vor dem Landessozialgericht zurückgenommen hat.

Der Bescheid stellt damit einen einem Urteil gleichwertigen Vollstreckungstitel dar, aus dem der Träger der Rentenversicherung die Vollstreckung zu betreiben hat (§ 28 Abs. 1 Satz 3 SGB IV; § 66 SGB X). Dies kann entweder nach den Regeln der ZPO (Antrag auf Pfändungs- und Überweisungsbeschluss beim AG) oder im Wege der Verwaltungsvollstreckung erfolgen (vgl. BSGE 64, 289, juris Rn. 18). Einer entsprechenden Vollstreckung ist der Beklagte, wie er in seiner Anhörung vor dem Landgericht mitgeteilt hat, auch ausgesetzt, indem die von der DRV bezogene Erwerbsminderungsrente anteilig verrechnet wird mit den titulierten Rückständen.

Soweit die Klägerin nunmehr neben den bereits durch den Leistungsbescheid titulierten Ansprüchen auf ausstehende Sozialversicherungsabgaben Ansprüche auf Schadensersatz wegen Verletzung eines öffentlich-rechtlichen Schutzgesetzes (§ 823 Abs. 2 BGB iVm § 266 a StGB) verfolgt, ist zwar der Zivilrechtsweg eröffnet (vgl. BGH, Beschluss vom 02.12.2010 - IX ZB 271/09 Rn. 5; BVerwG, Beschluss vom 12.04.2013 - 9 B 37/12; KG Beschluss vom 29.06.2023 - 1 W 21/23; jew. zit. nach juris). Daraus folgt aber - entgegen der Auffassung der Klägerin - nicht ohne Weiteres, dass für eine solche Klage auch ein Rechtschutzbedürfnis besteht. Zwar stellen die Ansprüche aus dem Leistungsbescheid auf Nachzahlung vorenthaltener Sozialversicherungsbeiträge und die Klage auf Schadensersatz wegen nicht gezahlter Sozialversicherungsbeiträge unterschiedliche Streitgegenstände dar, deren Inhalt einmal in der geschuldeten Abgabe selbst und im anderen Fall in einem Schadensersatzanspruch besteht (vgl. BGHZ 209, 168, juris Rn. 27f). Wirtschaftlich sind die Ansprüche allerdings auf das gleiche gerichtet und die Klägerin kann den sich daraus ergebenden Betrag nur einmal und nur gegenüber dem Beklagten, der als Einzelunternehmer für die Abführung der Abgaben persönlich verantwortlich war, geltend machen. Ein rechtlich schützenswertes Interesse an einer Titulierung des Schadensersatzanspruches wegen vorenthaltener Arbeitsentgelte besteht deshalb nicht mehr (vgl. OLG Hamm, a.a.O., Rn. 29).

Nur ausnahmsweise, wenn besondere Umstände vorliegen, kommt auch dann, wenn bereits ein Titel über die zu leistenden Abgaben selbst besteht, eine erneute Titulierung in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 19.12.2006 - XI ZR 113/06 Rn. 10; vom 21.04.2016 - I ZR 100/15 Rn. 17; jew. zit. nach juris). Solche hat die Klägerin aber nicht vorgetragen. Dass sie geltend macht, der Leistungsbescheid sei nicht „insolvenzfest“, genügt insoweit nicht, denn auch ein vor dem Zivilgericht erwirkter Zahlungstitel verliert mit einer nach Abschluss eines Privatinsolvenzverfahrens erteilten Restschuldbefreiung seine Wirkung. Dem kann nach § 302 Nr. 1 InsO bzw. nach § 805f Abs. 2 ZPO lediglich dadurch begegnet werden, dass zusätzlich zur Zahlungspflicht gerichtlich festgestellt wird, dass diese auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruht (Zöller-Herget, ZPO, 35. Aufl., § 850f Rn. 9), wie es die Klägerin auch mit dem Klageantrag zu 2) beantragt.

2. Allerdings hat das Landgericht die Zulässigkeit des Zinsantrages rechtsfehlerhaft verneint. Insoweit fehlt es der Klägerin nicht an einem Rechtsschutzbedürfnis (a). Allerdings war die Klage auch insoweit im Ergebnis abzuweisen, weil sich der Zinsantrag auf die vermeintliche Hauptforderung aus §§ 823 Abs. 2 BGB iVm § 266a StGB bezieht und die Klage insoweit unbegründet ist (b).

a) Der Zahlungsantrag ist, soweit er sich auf die Verzinsung der Hauptforderung richtet, zulässig. Anders als hinsichtlich der Hauptforderung verfügt die Klägerin hinsichtlich der Verzinsung der Hauptforderung nicht über einen Titel gegenüber dem Beklagten, weil der Leistungsbescheid keinen Ausspruch über Zinsen oder die nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB IV zu zahlenden Säumniszuschläge enthält.

Der Anspruch auf Prozesszinsen wird auch nicht von der Unzulässigkeit der Klage betreffend die Hauptforderung mit umfasst. Prozesszinsen gewähren dem Gläubiger einen Mindestersatz für die zeitweilige Vorenthaltung der Hauptsumme ohne Rücksicht auf den tatsächlichen Schaden (Staudinger/Feldmann (2019) BGB § 291 Rn. 2; BAG 25.04.2007 - 10 AZR 586/06, juris) und stellen damit einen Risikozuschlag dar, den der Schuldner zu entrichten hat, wenn er sich auf einen Prozess einlässt und unterliegt (BGH, NJW-RR 2013, 825; vgl. Staudinger/Feldmann, aaO Rn. 1; MüKo-Ernst, BGB, 9. Aufl., § 291 Rn. 1). Dies führt allerdings nicht im Sinne einer strikten Akzessorietät dazu, dass Prozesszinsen immer nur dann zuzusprechen sind, wenn auch die Hauptforderung zugesprochen wird. Denn der Anspruch auf Prozesszinsen ist ein gegenüber der Hauptforderung selbständiger materiell-rechtlicher (nicht prozessualer) Anspruch (OLG München 25.03.2015 - 15 U 458/14, juris), der auch (erst) in einer dem Hauptsacheverfahren nachfolgenden Klage geltend gemacht werden kann (BAG, Urteil vom 25.04.2007 - 10 AZR 586/06 Rn. 11; BVerwGE 38, 49 Rn. 11; BSG, Urteil vom 25.10.2018 - B 7 AY 2/18 R Rn. 18; Staudinger/Feldmann, aaO Rn. 3; jew. zit. nach juris), vorausgesetzt, die Hauptforderung besteht.

b) Daran fehlt es allerdings vorliegend, so dass das Landgericht im Ergebnis auch den Zinsanspruch zu Recht abgewiesen hat. Ein Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB iVm § 266a StGB lässt sich nicht festzustellen.

aa) Zwar stellt § 266a StGB nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB dar (BGH, Urteil vom 18.04.2005 - II ZR 61/03 m. Nachweisen auch aus der Literatur; BGHZ 134, 304ff.; 144, 301ff.; jew. zit. nach juris). Der Klägerin als der nach § 28h Abs. 1 SGB IV zuständigen Einzugsstelle kann deshalb neben dem Anspruch auf Zahlung der jeweils fällig werdenden Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung auch ein Anspruch auf Schadensersatz wegen nicht gezahlter Beiträge zustehen (vgl. BGH, Urteile vom 28.06.1960 - VI ZR 146/59 und vom 20.12.1988 - VI ZR 145/88; jew. zit. nach juris).

bb) Ein solcher Schadensersatzanspruch setzt allerdings voraus, dass der Inanspruchgenommene, hier der Beklagte, in eigener Person die strafrechtlichen Voraussetzungen für ein Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung gemäß § 266a StGB erfüllt hat (BGH vom 04.07.1989 - VI ZR 23/89, juris Rn. 8).

(1) Dass der Beklagte als Inhaber einer Einzelfirma von ihm geschuldete Beiträge zur Sozialversicherung in Höhe von 21.651,78 € nicht abgeführt hat, steht aufgrund der Tatbestandswirkung des Leistungsbescheides der DRV vom 10.07.2015 fest. Zivilgerichte haben grundsätzlich Existenz und Inhalt eines Verwaltungsakts zu beachten und ihren eigenen Entscheidungen zugrunde zu legen, solange er nicht von Amts wegen oder auf einen Rechtsbehelf hin in dem dafür vorgesehenen Verfahren aufgehoben worden ist (BGH, Urteile vom 14.07.1995 - V ZR 39/94 Rn. 10 und vom 22.03.2006 - IV ZR 6/04; KG Urteil vom 15.11.2006 - 11 U 28/044 Rn. 25; jew. zit, nach juris). Dies greift der Beklagte auch nicht an.

(2) Es fehlt allerdings am notwendigen subjektiven Tatbestand.

(2.1) Die Strafbarkeit nach § 266a StGB setzt in allen Varianten Vorsatz voraus, wobei bedingter Vorsatz genügt (BGH, Beschluss vom 28.05.2022 - 5 StR 16/02, juris Rn. 22; Urteil vom 24.09.2019 - 1 StR 346/18; jew. zit. nach juris). Bedingt vorsätzliches Handeln verlangt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Urteil vom 24.04.2019 - 2 StR 377/18, juris Rn. 11), dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt (Wissenselement) sowie dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (Willenselement). Hinsichtlich der Arbeitgebereigenschaft in § 266a StGB und der daraus folgenden Abführungspflicht kommt es für das Vorliegen von bedingtem Vorsatz entscheidend darauf an, ob der Arbeitgeber erkannt und billigend in Kauf genommen hat, dass aufgrund der Umstände des Einzelfalls möglicherweise von einer abhängigen Beschäftigung auszugehen ist und daraus gegebenenfalls für ihn eine Abführungspflicht folgt. Er muss in einer zumindest laienhaften Bewertung erkannt haben, dass er selbst möglicherweise Arbeitgeber ist, dass eine Abführungspflicht existieren und er durch die fehlende Anmeldung oder unvollständige oder unrichtige Angaben die Heranziehung zum Abführen von Sozialabgaben ganz oder teilweise vermeiden könnte. Eine bloße Erkennbarkeit reicht insofern nicht aus (BGH, Urteil vom 24.09.2019 - 1 StR 346/18, juris).

Ob eine Person Arbeitgeber ist, richtet sich nach dem Sozialversicherungsrecht. Der Beurteilung, die aufgrund einer Vielzahl von Kriterien zu erfolgen hat (unter anderem das Maß der Eingliederung des die Dienste Leistenden in den Betrieb, das Bestehen eines Direktionsrechts bezüglich Zeit, Dauer, Ort und Ausführung der Dienstleistung, das Vorliegen eines eigenen unternehmerischen Risikos des die Dienste Leistenden, vgl. BSG, Urteil vom 14.03.2018 - B 12 LR 13/17 R, juris Rn. 16 ff.), kann eine komplexe Wertung zugrunde liegen, wobei sich die Ergebnisse, da die Kriterien im Einzelfall unterschiedliches Gewicht haben können, nicht immer sicher vorhersehen lassen. Entscheidend für die Abgrenzung von unselbständiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit sind - ausgehend vom Vertragsverhältnis der Beteiligten (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2015 - B 12 KR 16/13 R, juris Rn. 18) - die tatsächlichen Gegebenheiten der „gelebten Beziehung“, die einer wertenden Gesamtbetrachtung zu unterziehen sind (BGH, Beschluss vom 13.12.2018 - 5 StR 275/18; Urteil vom 24.09.2019 - 1 StR 346/18; jew. zit. nach juris).

Dass diese Voraussetzungen erfüllt sind, hat die Klägerin darzulegen und zu beweisen, den Beklagten trifft allenfalls eine sekundäre Darlegungslast (vgl. BGH, Urteil vom 18.12.2012 - II ZR 220/10; juris). Wird der Vorsatz des Beklagten nicht nachgewiesen, geht dies deshalb zum Nachteil der Klägerin. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu der Vorschrift des § 823 Abs. 2 BGB, wonach bei objektiv feststehender Verletzung eines Schutzgesetzes der das Schutzgesetz Übertretende in aller Regel Umstände darlegen und beweisen müsse, die geeignet seien, die daraus folgende Annahme seines Verschuldens auszuräumen (Urteile vom 04.04.1967 - VI ZR 98/65, vom 26.11.1968 - VI ZR 212/66 und vom 13.12.1984 - III ZR 20/83; jew. zit. nach juris) steht dem nicht entgegen. Denn dieser an die Beweislastverteilung nach § 280 BGB angelehnte Grundsatz gilt nicht, wenn der Schadensersatzanspruch - wie im Streitfall - Vorsatz voraussetzt (vgl. BGH, Urteil vom 18.12.2012 - II ZR 220/10; juris).

(2.2) Konkrete Tatsachen, die den Schluss zulassen, der Beklagte habe die Sozialversicherungsbeiträge betreffend Herrn E… vorsätzlich nicht abgeführt, hat die Klägerin nicht vorgetragen. Sie beruft sich allein auf die Feststellungen der Rentenversicherung, wie sie im Leistungsbescheid und im Urteil des Sozialgerichts ihren Niederschlag finden. Diese verhalten sich allerdings nicht zu einem etwaigen Vorsatz des Beklagten, weil es darauf nach den sozialrechtlichen Vorschriften nicht angekommen ist. In die Würdigung ist zudem einzustellen, dass der Beklagte nicht nur die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft betreffend das gegen ihn geführte Ermittlungsverfahren vorgelegt, sondern auch vorgetragen hat, dass Herr E… in ähnlicher Funktion wie bei ihm auch für sechs weitere, im Einzelnen benannte Unternehmen tätig war und private Rentenversicherungsverträge abgeschlossen hatte. Zudem hat er den der Tätigkeit von Herrn E… zugrunde liegenden „Rahmenvertrag für Lieferungen und Dienstleistungen“ vom 03./04.12.2010 vorgelegt (Bl. 141), der keinen Anhaltspunkt für eine Eingebundenheit Herrn E… in den Betrieb des Beklagten bietet. Damit ist der Beklagte seiner ihm gegebenenfalls obliegenden sekundären Darlegungslast nachgekommen.

Diesem Sachvortrag ist die Klägerin nicht entgegengetreten, sondern sie hat sich für den Nachweis des Vorsatzes des Beklagten weiter auf die Feststellungen im Leistungsbescheid bezogen. Dies ist, wie auch das im Schriftsatz vom 25.01.2023 enthaltene Beweisangebot, unbehelflich, wonach der zuständige Bearbeiter der DRV dazu gehört werden solle, dass er die ihm übergebenen Unterlagen geprüft habe und dabei zum Ergebnis der Versicherungspflicht des Herrn E… gelangt sei. Diese Aussage unterstellt, wäre ein vorsätzliches Vorgehen des Beklagten gleichwohl nicht belegt. Auch nachdem das Landgericht mit Beschluss vom 05.06.2023 dem Beklagten für die erste Instanz Prozesskostenhilfe bewilligt und dabei insbesondere darauf abgestellt hat, dass die Klägerin einen Vorsatz des Beklagten nicht hinreichend dargelegt hat, ist kein weiterer Vortrag erfolgt.

Die aus den Akten erkennbaren Umstände des Streitfalles bieten auch keine sonstigen Indizien, die einen Rückschluss auf einen entsprechenden Vorsatz des Beklagten zuließen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes können Begleitumstände als Indizien heranzuziehen sein, wenn sie für das Vorliegen einer Arbeitgeberstellung sprechen. Dabei kann etwa von Relevanz sein, ob und inwiefern der Arbeitgeber im Geschäftsverkehr erfahren ist oder nicht und ob das Thema illegaler Beschäftigung in der jeweiligen Branche im gegebenen zeitlichen Kontext gegebenenfalls vermehrt Gegenstand des öffentlichen Diskurses war. Ein gewichtiges Indiz kann auch sein, ob das gewählte Geschäftsmodell von vornherein auf Verschleierung oder eine Umgehung von sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtungen ausgerichtet ist. Jedenfalls bei Kaufleuten, die als Arbeitgeber zu qualifizieren sind, sind auch die im Zusammenhang mit ihrem Gewerbe bestehenden Erkundigungspflichten in Bezug auf die arbeits- und sozialrechtliche Situation in den Blick zu nehmen, weil eine Verletzung einer Erkundigungspflicht auf die Gleichgültigkeit des Verpflichteten hinsichtlich der Erfüllung dieser Pflicht hindeuten kann (vgl. BGH, Urteil vom 08.09.2011 - 1 StR 38/11, juris Rn. 27). Entsprechende Umstände sind vorliegend nicht erkennbar.

3. Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht auch den Antrag, mit dem die Klägerin die Feststellung begehrt, dass die Zahlungspflicht des Beklagten auf einer vorsätzlich sittenwidrigen Handlung beruht, als unzulässig beurteilt. Auch dieser Antrag bleibt aber im Ergebnis ohne Erfolg, weil er zwar zulässig ist, aber unbegründet.

a) Unzutreffenderweise hat das Landgericht in Bezug auf den Klageantrag zu 2) das für einen Feststellungsantrag nach § 256 ZPO notwendige Feststellungsinteresse verneint. Das danach erforderliche schutzwürdige Interesse des Klägers an der begehrten Feststellung liegt vorliegend darin, dass es im Hinblick auf einen möglichen Ausschluss der Restschuldbefreiung nach § 302 Nr. 1 InsO oder Vollstreckungserleichterungen nach § 850f Abs. 2 ZPO auf die rechtliche Qualifizierung des Anspruches als vorsätzlich unerlaubte Handlung ankommt (vgl. Zöller-Greger, aaO, § 256 ZPO Rn. 19). Dieses Feststellungsinteresse ist entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht dadurch entfallen, dass der Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Beklagten im Jahr 2017 mangels Masse abgewiesen worden ist; dies bietet entgegen der Ansicht des Landgerichts keine hinreichende Gewähr dafür, dass nicht in Zukunft ein (weiteres) Insolvenzverfahren eröffnet werden wird. Zudem lässt diese Argumentation die Wirkungen nach § 850f Abs. 2 ZPO außer Betracht. Das Feststellungsinteresse entfällt auch nicht deshalb, weil der Zahlungsantrag unzulässig ist. Vielmehr hat die Klägerin gerade ein schützenswertes Interesse daran festzustellen, dass ihr dem Grunde nach ein Anspruch auf Schadensersatz aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung in der begehrten Höhe zusteht. Allein der Zahlungsklage steht der Leistungsbescheid entgegen.

b) Der Feststellungsantrag ist allerdings unbegründet, weil sich das von der Klägerin behauptete vorsätzliche Vorenthalten von Beiträgen zur Sozialversicherung, wie gezeigt, nicht feststellen lässt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zukommt noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern. Die entscheidungserheblichen Grundsätze sind höchstrichterlich geklärt; im Übrigen beruht die Entscheidung auf den Umständen des Einzelfalles.