Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 7. Senat | Entscheidungsdatum | 11.06.2024 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | OVG 7 B 4/24 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2024:0611.OVG7B4.24.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | §§ 38, 45, 53, 55, 80, 155, 208, 209, 210 InsO, §§ 3, 7, 30 TEHG, § 132 Abs 2 Nr 1 VwGO, Art 12, 16 Emissionshandelsrichtlinie 2003/87/EG, Art 67 Registerverordnung Nr. 389/2013 |
Bei einer Betriebseinstellung und nachfolgenden Insolvenz zählt die Abgabepflicht des Betreibers nach § 7 TEHG für Emissionen des Vorjahres nicht zu den Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zugelassen.
Die Beteiligten streiten um die Pflicht des Klägers zur Abgabe von Emissionsberechtigungen für das Jahr 2012 und zur Zahlung einer Sanktion in Höhe von 2.716.900,- Euro.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter der T_____. Die T_____ war ein emissionshandelspflichtiges Luftfahrtunternehmen. Am 28. Januar 2013 setzte das Luftfahrtbundesamt die Betriebsgenehmigung der T_____ aus. Am 5. und 6. Februar 2013 wurden fünf nichtgewerbliche Überführungsflüge durchgeführt. Weitere Flugtätigkeiten fanden nicht statt. Der Kläger wurde am 29. Januar 2013 als vorläufiger Insolvenzverwalter und mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1. April 2013 als Insolvenzverwalter bestellt. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zeigte er die Masseunzulänglichkeit an und begründete dies damit, dass aufgrund von Arbeitnehmerverbindlichkeiten in Höhe von 3.803.296,64 Euro der vorhandene Massebestand nicht ausreiche, um die Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 InsO zu erfüllen.
Der Kläger reichte am 4. April 2013 einen verifizierten Emissionsbericht für das Berichtsjahr 2012 ein. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich auf dem Emissionshandelsregisterkonto der T_____ 10.220 kostenlos zugeteilte Berechtigungen für das Jahr 2012. Diese gab der Kläger an die Beklagte mit dem Hinweis ab, es handle sich um zweckgebundenes Sondervermögen.
Mit Schreiben vom 19. Dezember 2013 hörte die Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt) den Kläger dazu an, dass der verifizierte Emissionsbericht fehlerhaft sei und dass die Pflicht zur Abgabe weiterer Berechtigungen bestehe. Mit Bescheid vom 16. April 2014 schätzte die DEHSt die vom Kläger als Luftfahrzeugbetreiber verursachten Emissionen im Jahr 2012 auf 37.601 t CO2 (Ziffer 1). Sie stellte fest, dass der Kläger bis zum 30. April 2013 insgesamt 27.421 Berechtigungen zu wenig abgegeben hat und forderte ihn auf, die noch fehlenden Berechtigungen bis zum 31. Januar 2015 abzugeben (Ziffer 2). Weiterhin setzte sie eine Zahlungspflicht in Höhe von 2.742.100,- Euro fest (Ziffer 3).
Den am 14. Mai 2014 erhobenen Widerspruch wies die DEHSt mit Widerspruchsbescheid vom 5. November 2019 mit einer geringfügigen Änderung zurück. Die Zahlungspflicht wurde auf 2.716.900,- Euro festgesetzt.
Der hiergegen gerichteten Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 9. November 2021 stattgegeben und die Ziffern 2) und 3) des Bescheides vom 16. April 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. November 2019 aufgehoben.
Mit Beschluss vom 20. Dezember 2022 hat der 12. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg auf Antrag der Beklagten die Berufung zugelassen.
Die Beklagte begründet die Berufung im Wesentlichen damit, dass die Abgabepflicht und die Sanktionspflicht eine Masseverbindlichkeit darstellten, die direkt gegenüber dem Kläger geltend gemacht werden könne. Die Betreibereigenschaft des Insolvenzverwalters sei nach den §§ 7, 30 TEHG weit auszulegen, da die Begriffsbestimmungen aus dem TEHG auf den Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht eins zu eins übertragbar seien. Eine Differenzierung zwischen der Abgabe in Höhe der kostenlosen Zuteilungen und der restlichen Abgabepflicht sähen weder das Insolvenzrecht noch das Emissionshandelsrecht vor. Um die Ziele des Emissionshandelsrechts zu erreichen, sei eine konsequente Durchsetzung der Abgabepflicht geboten. Die Abgabepflicht nach § 7 Abs. 1 TEHG sei eine der zentralen Pflichten der Betreiber im Emissionshandelsrecht. Da die Abgabepflicht als Hauptforderung eine Masseverbindlichkeit darstelle, sei auch die Zahlungspflicht als Masseverbindlichkeit einzuordnen. § 25 Abs. 3 Satz 2 TEHG n.F. finde hier keine Anwendung. Das Verwaltungsgericht verstehe die Gesetzesbegründung falsch, wenn es davon ausgehe, dass der vorliegende Fall materiell nach den gleichen Maßstäben zu behandeln sei. Die Abgabepflicht sei vergleichbar mit den fortbestehenden Pflichten zur handels- und steuerrechtlichen Rechnungslegung nach § 155 Abs. 1 InsO. Aus Art. 67 Nr. 1 der Registerverordnung Nr. 389/2013 ergebe sich, dass die Abgabepflicht eine sachbezogene Pflicht darstelle. Diese gehe nach § 80 InsO auf den Insolvenzverwalter über. Da die Abgabepflicht eine unvertretbare Handlung darstelle, könne sie keine Insolvenzforderung sein. Werde sie nicht als Masseverbindlichkeit eingeordnet, bedeute dies daher das vollständige Erlöschen bzw. den Untergang der Abgabepflicht. Vor einer Bestätigung des angegriffenen Urteils müsse eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof erfolgen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 9. November 2021 zu dem Aktenzeichen VG 10 K 491.19 zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger macht geltend, dass es sich bei der Abgabe- und Sanktionspflicht nicht um eine Masseverbindlichkeit handele, die direkt an ihn als Insolvenzverwalter gerichtet werden könne. Es liege kein Fall des § 55 InsO vor. Da der Betrieb unstreitig vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingestellt worden sei, sei er zu keinem Zeitpunkt Betreiber gewesen. Der Begriff der Betriebsfortführung könne nicht in sein Gegenteil – die Betriebseinstellung – umgedeutet werden. Ein Vorrang des Unionsrechts im Insolvenzverfahren bestehe nicht, da auch die Rechtsposition der Insolvenzgläubiger über Art. 14 GG und Art. 17 GR-Charta geschützt sei. Sehe man – wie das Verwaltungsgericht und die Beklagte – die Abgabepflicht als unvertretbare Handlung an, könne sie weder als Masseverbindlichkeit noch als Insolvenzforderung am Insolvenzverfahren teilnehmen. Sie richte sich vielmehr gegen das insolvenzfreie Vermögen. Die Konstellation der kostenlos zugeteilten Emissionsberechtigungen sei mit der Pflicht zur Abgabe weiterer Berechtigungen nicht zu vergleichen. Die kostenlos zugteilten Berechtigungen, die sich zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung auf dem Registerkonto befänden, seien nicht durch Art. 14 GG oder Art. 17 GR-Charta geschützt. Schließlich sei der Bescheid wegen der Anzeige der Masseunzulänglichkeit rechtswidrig. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum fehlenden Rechtschutzbedürfnis von Leistungsklagen sei auf Leistungsbescheide zu übertragen.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird neben der Gerichtsakte auf die Bände 1 und 2 des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen. Diese haben vorgelegen und sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.
Die Berufung hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet.
Ziffer 2 und 3 des Bescheides vom 16. April 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. November 2019 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 709 der Zivilprozessordnung.
Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Die Frage der emissionshandelsrechtlichen Verpflichtungen des Insolvenzverwalters bei Stilllegung des Betriebs vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens soll höchstrichterlich geklärt werden. Eine eindeutige gesetzliche Regelung fehlt. Das Verfahren betrifft keinen Einzelfall. Die Beantwortung der Rechtsfragen hat Auswirkungen auf das Funktionieren des europäischen Emissionshandelssystems.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen die Entscheidung steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu.
Die Revision ist bei dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Hardenbergstraße 31, 10623 Berlin, innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung einzulegen. Die Revisionsfrist ist auch gewahrt, wenn die Revision innerhalb der Frist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, eingelegt wird. Die Revision muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen.
Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, einzureichen. Die Revisionsbegründung muss einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen angeben, die den Mangel ergeben.
Rechtsanwälte, Behörden, juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie Vertretungsberechtigte, die über ein elektronisches Postfach nach § 55a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 VwGO verfügen, sind zur Übermittlung elektronischer Dokumente nach Maßgabe des § 55d VwGO verpflichtet.
Im Revisionsverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für die Einlegung der Revision. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschulen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. In Angelegenheiten, die ein gegenwärtiges oder früheres Beamten-, Richter-, Wehrpflicht-, Wehrdienst- oder Zivildienstverhältnis betreffen, und in Angelegenheiten, die in einem Zusammenhang mit einem gegenwärtigen oder früheren Arbeitsverhältnis von Arbeitnehmern im Sinne des § 5 des Arbeitsgerichtsgesetzes stehen einschließlich Prüfungsangelegenheiten, sind auch die in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nr. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) bezeichneten Organisationen einschließlich der von ihnen gebildeten juristischen Personen gemäß § 67 Absatz 2 Satz 2 Nr. 7 VwGO als Bevollmächtigte zugelassen; sie müssen durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln. Ein als Bevollmächtigter zugelassener Beteiligter kann sich selbst vertreten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt vertreten lassen; das Beschäftigungsverhältnis kann auch zu einer anderen Behörde, juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einem der genannten Zusammenschlüsse bestehen. Richter dürfen als Bevollmächtigte nicht vor dem Gericht auftreten, dem sie angehören.