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beamtenrechtliches Disziplinarverfahren, gerichtliches Disziplinarklageverfahren im Land Berlin, statische Verweisung, Grundsätze des intertemporalen Prozessrechts, Polizeibeamter, Berufung, Berufungsbegründung, Ort der Einreichung, Rechtsmittelbelehrung, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 80. Disziplinarsenat Entscheidungsdatum 13.06.2024
Aktenzeichen OVG 80 D 4/22 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2024:0613.OVG80D4.22.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 41 DiszG des Landes Berlin i. d. F. vom 4. Oktober 2023, § 3 DiszG des Landes Berlin, § 64 Abs 1 Satz 2 BDG a.F., § 64 Abs 1 Satz 3 BDG a.F., § 58 VwGO, § 60 Abs 1 VwGO, § 173 Satz 1 VwGO, § 85 Abs 2 ZPO

Leitsatz

1. Die Berufung im beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren im Land Berlin ist beim Verwaltungsgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen und zu begründen. Die Berufungsbegründung muss, auch wenn sie mit einem gesonderten Schriftsatz innerhalb der Frist nachgereicht wird, grundsätzlich beim Verwaltungsgericht eingereicht werden.

2. Lediglich in der Fallkonstellation, in der die Frist zur Begründung der Berufung auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag vom Vorsitzenden des Disziplinarsenats verlängert wird, kann die Begründung fristwahrend auch beim Oberverwaltungsgericht vorgelegt werden.

3. In der Rechtsmittelbelehrung des Urteils des Verwaltungsgerichts über eine Disziplinarklage im Land Berlin ist nur über die Monatsfrist für die Einlegung der Berufung nach § 64 Abs. 1 Satz 2 BDG zu belehren, nicht aber über die Verpflichtung zur Begründung der Berufung innerhalb dieser Frist.

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 27. Oktober 2022 wird verworfen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 v.H. des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Das Berufungsverfahren betrifft Fragen der Zulässigkeit der Berufung und der Bemessung einer Disziplinarmaßnahme für ein außerdienstliches Dienstvergehen eines Polizeibeamten.

Der 1969 in G_____ geborene und seit 2018 in gleichgeschlechtlicher Ehe verheiratete Beklagte steht seit 1997 im Dienst des Klägers. Er trat als Kriminalkommissar-Anwärter in den Polizeidienst des Klägers ein. Im Mai 2001 erlangte der Beklagte mit Abschluss des Studiums den akademischen Grad Diplom-Verwaltungswirt. Nach Absolvierung der Anwärter- sowie der Probezeit ernannte ihn der Kläger im Jahr 2003 im Amt eines Kriminalkommissars zum Beamten auf Lebenszeit und beförderte ihn im Jahr 2010 zum Kriminaloberkommissar (Besoldungsgruppe A 10). In seiner letzten aktenkundigen dienstlichen Beurteilung (Beurteilungszeitraum 25. August 2015 bis 31. Mai 2016) erhielt er die Gesamtnote „3 oberer Bereich" (befriedigend). Aus ihr geht zudem hervor, dass er im Beurteilungszeitraum im Bereich der Ermittlung, Verfolgung, Aufklärung von Straftaten im Bereich der organisierten Kriminalität, Banden- und Rauschgiftkriminalität sowie des Menschenhandels tätig war. Disziplinarrechtlich ist der Beklagte bislang nicht in Erscheinung getreten. Strafrechtliche Vorbelastungen sind nicht ersichtlich.

Der Leiter der Direktion 1 des Polizeipräsidenten leitete gegen den Beklagten am 28. September 2018 wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs eines Jugendlichen und des Besitzes von kinder- und jugendpornographischen Schriften ein behördliches Disziplinarverfahren ein. Der Beklagte wurde mit einem ihm am 5. Oktober 2018 bekannt gegebenen Schreiben über die Einleitung des Disziplinarverfahrens informiert. Im Hinblick darauf, dass es bezüglich der Vorwürfe noch nicht abgeschlossene strafrechtliche Ermittlungen gegen den Beklagten gab, setzte der Kläger das Disziplinarverfahren mit einem dem Beklagten am 5. Oktober 2018 bekannt gegebenen Schreiben aus.

Das Strafverfahren führte zu folgenden Ergebnissen:

Durch das seit dem 30. März 2020 rechtskräftige Urteil vom 1. Oktober 2019 verurteilte das Amtsgericht Tiergarten - (262 Ls) 284 Js 2472/16 (10/19) - den Beklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen nach § 182 Abs. 2 StGB in Tatmehrheit mit dem Besitz kinderpornographischer und jugendpornographischer Schriften nach §§ 184b Abs. 1 Nr. 1a und c, Abs. 3, 184c Abs. 1 Nr. 1b, Abs. 3, 184a, 11 Abs. 3 StGB zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Urteil enthält folgende Feststellungen, wobei der Beklagte als Angeklagter bezeichnet wird:

1. Der Angeklagte fesselte den 14- bzw. 15-jährigen I_____ (geboren am 7_____), dessen Alter ihm bekannt war, an einem nicht näher bestimmbaren Tag vor dem 4. August 2016 in seiner Wohnung in F_____, mit einem Stoffgürtel an den Füßen. Bei dieser oder einer weiteren Gelegenheit fesselte der Angeklagte auch die Hände sowie die Hände und Füße hinter dem Rücken des Geschädigten und steckte Holzstäbe zwischen dessen Zehen. Bei dieser oder einer weiteren Gelegenheit fesselte der Angeklagte die Hände und Füße vor dem Körper des Geschädigten und schob eine Stange unter dessen Knien hindurch. Der Geschädigte war hierbei jeweils lediglich mit einer Boxershorts bekleidet. Der Geschädigte ging aufgrund eines schriftlich geschlossenen Vertrags und wegen ihm überlassener Geldbeträge in Höhe von ca. 200,00 Euro sowie von Kleidung und Schuhen davon aus, dass er verpflichtet sei, die Handlungen des Angeklagten zu erdulden. Dem Angeklagten waren sowohl das Alter des Jungen und die Sexualbezogenheit aufgrund der Sadomasopraktiken bekannt.

2. Am 28. März 2017 verwahrte der Angeklagte in seiner Wohnung, F_____, einen Computer der Marke F_____, auf dem sich 323 kinderpornografische Bilddateien befanden, die gefesselte Kinder zeigten. Am gleichen Tag und Ort befanden sich auf dem oben genauer bezeichneten Computer des Angeklagten 14 kinderpornografische Bilddateien sowie eine kinderpornografische Videodatei, die primäre Geschlechtsorgane und Gesäße unbekleideter männlicher Kinder wiedergeben. Die Gesamtspieldauer der Videodatei beträgt 1 Minute und 13 Sekunden.

Am gleichen Tag und Ort befanden sich auf dem oben genauer bezeichneten Computer des Angeklagten 14 jugendpornografische Bilddateien, die Jungen über vierzehn, aber unter achtzehn Jahren unbekleidet und in einer auf ihr Geschlecht fokussierten Weise darstellen.

Sämtliche Dateien zeigen ohne Bezug zu anderen Lebenssachverhalten in einer den Menschen zum bloßen Objekt menschlicher Begierde degradierenden Weise sexuelle Handlungen an Kindern sowie Darstellungen der Geschlechtsteile von Kindern und Jugendlichen, wobei diese unter Ausklammerung emotional-individualisierender Bezüge, die den Menschen zum bloßen, auswechselbaren Objekt geschlechtlicher Begierde oder Betätigung macht, in den Fokus des Betrachters gerückt werden.

Dem Angeklagten war in allen Fällen bewusst, dass er die Bilder nicht besitzen durfte. (…)

Der Angeklagte hat die Taten hinsichtlich des objektiven Tatbestandes eingeräumt. Das unter Il. 1. geschilderte Geschehen treffe zu, habe aber keinen sexuellen Bezug gehabt. Schon früh habe es seiner Neigung entsprochen, andere zu kitzeln, zu fesseln und Füße zu massieren sowie Fotos zu sammeln. Sexuell sei er dominant, I_____ war aber nie ein devoter Partner gewesen. Dieser habe ihm von seinem Rauswurf zu Hause erzählt. Weil I_____ kein Geld von seiner Mutter erhalten habe, habe er ihm Geld gegeben. Irgendwann habe er aber kein Geld mehr ohne Gegenleistung geben wollen. I_____ habe aber abgelehnt, zum Beispiel zu putzen. Deswegen habe er ihm Geld angeboten, wenn er sich kitzeln und fotografieren lasse. Er habe gewusst, dass er, der Angeklagte, schwul sei. Es sei stets nur erfolgt, was auch vereinbart worden sei. Insbesondere sei vereinbart gewesen, dass das Kitzeln, Fesseln und Fotografieren nur in bekleideten Zustand erfolgen solle und der Intimbereich ausgelassen werde. Auch die Fesselung sei stets so erfolgt, dass I_____ sich hätte befreien können. I_____ habe einmal eine Geschichte schreiben sollen, in dieser aber maßlos übertrieben. Als die Mutter diese gefunden habe, sei sie in Panik verfallen.

Über die Jahre hinweg habe er eine Vielzahl von Fotos, weit mehr als 100.000 Stück gesammelt. Diese habe er einzeln heruntergeladen. Sie seien seit Langem in seinem Besitz. An die unter Il. 2. genannten Dateien habe er gar nicht mehr gedacht.

Das Gericht folgt dem Angeklagten, soweit er den objektiven Tatbestand eingeräumt hat. Soweit der Angeklagte sich darauf beruft, dass die mit dem I_____ ausgeführten Handlungen keinen sexuellen Bezug gehabt haben, hält das Gericht dies für eine Schutzbehauptung. Denn die Vielzahl und der Inhalt der vom Zeugen gefertigten Fotos — insoweit wird auf den Inhalt des SH-Beweismittel I, welcher in der Beweisaufnahme in Augenschein genommen wurde, Bezug genommen - lässt gar keine andere Bewertung zu, als dass ein sexueller Bezug besteht, dennoch einer Vielzahl der Lichtbilder wird der Zeuge nur leicht bekleidet, teilweise in gefesseltem Zustand abgebildet, wobei kein Zusammenhang zu sonstigen Lebenssachverhalten erkennbar ist. Die Fotos verdeutlichen eine klare Unterordnung des Fotografierten. Der Angeklagte hat selbst eingeräumt, von seiner sexuellen Veranlagung her schwul und dominant zu sein. In dieses Rollenbild fügen sich die Lichtbilder ein.

Dem Angeklagten muss auch der Inhalt der unter Il. 2. genannten Lichtbilder bekannt gewesen sein. Denn seinen Angaben zufolge hatte er sie einzeln und nicht etwa im Block, zum Beispiel in einer *zip-Datei heruntergeladen. Er muss insoweit auch jeweils den Inhalt wahrgenommen haben. Zwar ist nachvollziehbar, dass der Angeklagte bei mehr als 100.000 Fotos nicht mehr den Inhalt jedes einzelnen Fotos im Kopf gehabt haben wird. Insoweit hat er aber zumindest billigend in Kauf genommen, auch Fotos mit strafbarem Inhalt zu besitzen.

Am 21. Dezember 2020 führte der Kläger das Disziplinarverfahren fort und gab dem Beklagten mit einem ihn am 4. Januar 2021 zugegangenen Schreiben Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Beklagte äußerte sich nicht.

Der Kläger hat nach Beteiligung des Personalrats und der Frauenvertreterin, die der Sache nach ihr Einverständnis erklärten, am 30. April 2021 beim Verwaltungsgericht Berlin Disziplinarklage erhoben und beantragt, den Beamten aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten - (262 Ls) 284 Js 2472/16 (10/19) vom 21. Oktober 2022 wurde dem Beklagten die Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen.

Das Verwaltungsgericht Berlin hat den Beklagten mit Urteil vom 27. Oktober 2022 aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Disziplinarklage sei begründet. Mit den im Urteil des Amtsgerichts Tiergarten festgestellten Straftaten habe der Beklagte zugleich ein außerdienstliches Dienstvergehen begangen, indem er gegen seine Dienstpflicht zu achtungs- und vertrauensgerechtem Verhalten nach § 34 Satz 3 BeamtStG verstoßen habe. Der Beklagte sei aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Er habe seine Vertrauensstellung, die er als Polizeibeamter auch gegenüber Kindern und Jugendlichen innehabe, in erheblicher Weise missbraucht. Der sexuelle Missbrauch des Jugendlichen sei die schwerste Verfehlung. In der Zusammenschau mit dem strafbaren Besitz erheblicher Mengen kinderpornographischer sowie einiger jugendpornographischer Bilder, was für sich genommen ebenfalls ein gravierendes Dienstvergehen darstelle, komme keine unter einer Entfernung liegende Disziplinarmaßnahme in Betracht. Die Verhängung der Höchstmaßnahme verstoße nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der Beklagte habe ein besonders schweres Fehlverhalten gezeigt und damit die Vertrauensgrundlage für die Fortsetzung des Beamtenverhältnisses endgültig zerstört.

In der dem Urteil beigefügten Rechtsmittelbelehrung wird darauf hingewiesen, dass den Beteiligten gegen das Urteil die Berufung zusteht und diese bei dem Verwaltungsgericht Berlin innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen ist.

Der Beklagte hat gegen das ihm am 22. November 2022 zugestellte Urteil am 19. Dezember 2022 beim Verwaltungsgericht Berufung eingelegt. Ausweislich eines Vermerks vom 20. Dezember 2022 hat der Vorsitzende Richter der Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichtes telefonisch den Beklagten vorsorglich darauf hingewiesen, dass die Berufung innerhalb der Monatsfrist für die Einlegung zu begründen sei (§ 41 DiszG i.V.m. 64 Abs. 1 Satz 2 BDG). Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt, dass der Vorsitzende des Disziplinarsenats die Begründungsfrist verlängern soll. Am Donnerstag, den 21. Dezember 2022 um 16:55 Uhr ging die Berufungsbegründung beim Oberverwaltungsgericht ein. In Ergänzung der Eingangsverfügung des Vorsitzenden des Disziplinarsenats vom 27. Dezember 2022 machte der Berichterstatter mit Schreiben vom 30. Dezember 2023 darauf aufmerksam, dass die an das Oberverwaltungsgericht adressierte Berufungsbegründung des Beklagten vom 21. Dezember 2022 am gleichen Tag beim Oberverwaltungsgericht eingereicht worden sei, obwohl § 41 DiszG i.V.m. § 64 Abs. 1 BDG fordere, dass die Berufung bei dem Verwaltungsgericht zu begründen sei.

Daraufhin hat der Beklagte am 9. Januar 2023 beim Oberverwaltungsgericht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Die Berufungsbegründung sei vom Bevollmächtigten des Beklagten aus prozessökonomischen Erwägungen zum Oberverwaltungsgericht „geschickt“ worden, da die - möglicherweise unbegründete - Vermutung bestanden habe, dass die Verfahrensakte aufgrund der räumlichen Nähe der beiden Gerichte in Berlin vom Verwaltungsgericht schon an das Oberverwaltungsgericht „geschickt“ worden sein könnte. Die Rechtsmittelbelehrung verweise darauf, dass die Berufung innerhalb eines Monats beim Verwaltungsgericht einzulegen ist. Zur Berufungsbegründung werde keine Aussage getroffen, so dass aus der Sicht des Beklagten die Begründung damit auch fristwahrend beim Oberverwaltungsgericht eingereicht werden konnte. Aufgrund der Regelungen von § 41 DiszG i.V.m. 64 Abs. 1 BDG habe der Bevollmächtigte des Beklagten die Auffassung vertreten, dass eine Einreichung der Begründung unter Einhaltung der Begründungsfrist ohne Verlängerungsantrag alternativ bei dem Oberverwaltungsgericht möglich sei.

Zudem hat der Beklagte den Berufungsbegründungsschriftsatz am 10. Januar 2023 an das Verwaltungsgericht übermittelt.

Der Beklagte führt zur Begründung der Berufung im Wesentlichen Folgendes aus:

Der Beklagte stelle sich der Annahme des Verwaltungsgerichtes, die tatsächlichen Feststellungen in dem rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts Tiergarten hätten Bindungswirkungen, nicht entgegen, da er selbst durch Rücknahme der Berufung die Rechtskraft des Strafurteils herbeigeführt habe.

Entgegen der Annahme des erstinstanzlichen Urteils, welches die strafrechtliche Würdigung des Amtsgerichts Tiergarten hinsichtlich der Ausnutzung einer „Zwangslage“ i.S.v. § 182 Abs. 1 StGB geteilt habe, sehe der Beklagte dies anders und verneine dies aufgrund der praktischen Ausgestaltung der damaligen Umstände.

Der Beklagte erstrebt im Berufungsverfahren eine mildere Disziplinarmaßnahme. Durch die vom Verwaltungsgericht verhängte „Höchststrafe“, also der Entfernung aus dem Dienst, sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Das Dienstvergehen sei nicht so schwerwiegend, dass er damit das Vertrauen des Klägers und der Allgemeinheit in seine Zuverlässigkeit endgültig verloren habe. Er sehe für das vorgeworfene Verhalten als Disziplinarmaßnahme eine Zurückstufung bzw. Kürzung der Dienstbezüge eher für einschlägig als eine Entfernung aus dem Dienst.

Als Milderungsgründe und entlastende Gesichtspunkte sei zu berücksichtigen, dass sich der Beklagte, bis auf den vorgeworfenen Sachverhalt, der Grundlage der Disziplinarklage sei, nichts habe zu Schulden kommen lassen. Er habe deutlich gemacht, dass er die notwendigen Schlussfolgerungen für sich gezogen habe, damit sich Derartiges zukünftig nicht wiederholen werde. Das ansonsten in der Vergangenheit völlig untadelige Verhalten und sein dienstliches Engagement über Jahre seien entlastende Umstände, die ausnahmsweise dazu führten, auch eine mildere Disziplinarmaßnahme als eine Entfernung aus dem Dienst in Betracht zu ziehen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 27. Oktober 2022 zu ändern und eine im Ermessen des Oberverwaltungsgerichts stehende mildere Disziplinarmaßnahme zu verhängen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil und tritt der Berufung entgegen.

Die Berufung sei bereits unzulässig. Aus § 41 DiszG i. V. m. § 64 Abs. 1 Satz 2 BDG ergebe sich eindeutig, dass die Berufungsbegründung beim Verwaltungsgericht eingereicht werden müsse. Der Beklagte habe die Berufung beim Verwaltungsgericht Berlin eingelegt, die Begründung jedoch mit Schreiben vom 21. Dezember 2022 beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg. Die Begründung der Berufung sei daher nicht fristwahrend erfolgt.

Die Berufung sei auch unbegründet. Das Verwaltungsgericht führe zutreffend aus, dass das besonders schwere Fehlverhalten des Beklagten die Vertrauensgrundlage für die Fortsetzung des Beamtenverhältnisses endgültig zerstöre und daher eine mildere Maßnahme nicht in Betracht komme. Die Maßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis sei verhältnismäßig. Da Milderungsgründe nicht ersichtlich seien, rechtfertige die besondere Schwere des Fehlverhaltens, dem gravierende Straftaten zu Grunde lägen, die Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten, auf die dem Senat vorliegenden Akten der Staatsanwaltschaft Berlin, die Akte des behördlichen Disziplinarverfahrens sowie die Personalakte des Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung waren.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung des Beklagten ist unzulässig und daher zu verwerfen (vgl. § 41 Disziplinargesetz des Landes Berlin – DiszG - i.V.m. § 64 Abs. 1 Satz 5 Bundesdisziplinargesetz - BDG -). Die Berufungsbegründung des Beklagten ist nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist des § 41 DiszG i.V.m. § 64 Abs. 1 Satz 2 BDG beim Verwaltungsgericht eingereicht worden (1.) und die vom Beklagten beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 3 DiszG i.V.m. §  60 Abs. 1 VwGO) ist ausgeschlossen (2.).

1. a. Nach der zeitlich in dem anhängigen Rechtsstreit anwendbaren verfassungsrechtlich zulässigen statischen Verweisung (BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 1 BvL 8/10 – juris Rn. 75) des § 41 Disziplinargesetz des Landes Berlin (i.d.F. vom 4. Oktober 2023 [GVBl. S. 334], vgl. Abgeordnetenhaus Berlin, Drs. 18/1124 S. 6) gilt, soweit sich aus vorgenanntem Gesetz nichts anderes ergibt, für das gerichtliche Disziplinarverfahren der Teil 4 des Bundesdisziplinargesetzes in der Fassung vom 9. Juli 2001 (BGBl. I S. 1510), das zuletzt durch Artikel 62 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328) geändert worden ist. Nach den Grundsätzen des intertemporalen Prozessrechts erfasst die vorgenannte Änderung des Verfahrensrechts durch § 41 DiszG anhängige Rechtsstreitigkeiten (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2020 – 4 CN 3.19 - juris Rn. 12; BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 1992 – 2 BvR 1631/90 – juris Rn. 39), zumal die Änderung hier zum Fortbestand der verfahrensrechtlichen Regelungen des gerichtlichen Disziplinarverfahrens nach dem Landesrecht Berlin trotz der Änderung des Bundesdisziplinargesetzes durch das Gesetz zur Beschleunigung von Disziplinarverfahren in der Bundesverwaltung und zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften vom 20. Dezember 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 389 S. 1) führt.

b. Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts über eine Disziplinarklage steht den Beteiligten nach § 64 Abs. 1 Satz 1 BDG die Berufung an das Oberverwaltungsgericht zu. Gemäß § 64 Abs. 1 Satz 2 BDG in der hier anwendbaren Fassung vom 9. Juli 2001 (BGBl. I S. 1510), das zuletzt durch Artikel 62 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328)) geändert wurde, ist die Berufung bei dem Verwaltungsgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen und zu begründen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Berufung unzulässig (§ 64 Abs. 1 Satz 5 BDG). Der Wortlaut des Gesetzes ("einzulegen und zu begründen") ist insoweit eindeutig, als er sowohl die Einlegung als auch die Begründung der Berufung einer Disziplinarklage hinsichtlich Frist und Ort denselben Anforderungen unterwirft, nämlich der Einreichung beim Verwaltungsgericht (BVerwG, Beschluss vom 23. Mai 2017 – 2 B 51.16 – juris Rn. 12; Köhler/Braunack, BDG, 7. Aufl. 2020, § 54 Rn. 3). Die Berufungsbegründung muss, wenn sie mit gesondertem Schriftsatz innerhalb der Frist nachgereicht wird, beim Verwaltungsgericht eingereicht werden (Schütz/Schmiemann/Werres, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, 4. Aufl. [Stand Januar 2024], § 64 Rn. 10). Lediglich für die Fallkonstellation eines rechtzeitig gestellten Fristverlängerungsantrags gemäß § 41 DiszG i.V.m. § 64 Abs. 1 Satz 3 BDG hat die Rechtsprechung eine Ausnahme von dem Erfordernis des § 64 Abs. 1 Satz 2 BDG entwickelt (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 23. Mai 2017 – 2 B 51.16 – juris - Rn. 12; Beschluss vom 22. Juli 2019 – 2 B 25.19 – juris Rn. 8). Wird die Frist zur Begründung der Berufung auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag vom Vorsitzenden des Disziplinarsenats verlängert, kann die Begründung fristwahrend auch beim Berufungsgericht vorgelegt werden (BVerwG, Urteil vom 13. Juli 2023 – 2 C 1.23 – juris. Rn. 8, 22; Urteil vom 13. Juli 2023 – 2 C 3/23 – juris Rn. 7, 21; Urteil vom 13. Juli 2023 – 2 C 13.22 – juris Rn. 9, 23; Urteil vom 13. Juli 2023 – 2 C 7.22 juris – Rn. 10; vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24. August 2023 – OVG 80 D 3/22 – juris Rn. 19).

Diesen Anforderungen ist die Berufung des Beklagten nicht gerecht geworden. Das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27. Oktober 2022 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin ist dem Beklagten am 22. November 2022 zugestellt worden. Der Beklagte hätte demnach gemäß § 41 DiszG i.V.m. § 64 Abs. 1 Satz 2 BDG die Berufung bis zum Ablauf des 22. Dezember 2022 bei dem Verwaltungsgericht einlegen und begründen müssen. Hieran fehlt es. Der Beklagte hat zwar innerhalb der Monatsfrist am 19. Dezember 2022 beim Verwaltungsgericht Berufung eingelegt. Die Begründung der Berufung mit gesondertem Schriftsatz legte er demgegenüber am 21. Dezember 2022 beim Oberverwaltungsgericht vor; eine fristgerechte Übersendung an das Verwaltungsgericht unterblieb. Der vom Beklagten nach gerichtlichen Hinweisschreiben vom 30. Dezember 2022 erst am 10. Januar 2023 beim Verwaltungsgericht eingereichte Berufungsbegründungsschriftsatz erfolgte nach Ablauf der Monatsfrist des § 41 DiszG i.V.m. § 64 Abs. 1 Satz 2 BDG. Der Beklagte hat auch keinen Fristverlängerungsantrag gemäß § 41 DiszG i.V.m. § 64 Abs. 1 Satz 3 BDG gestellt, weshalb die Frist zur Begründung der Berufung auch hier nicht vom Vorsitzenden des Senates verlängert wurde. Es liegt daher auch kein Ausnahmefall vor, in dem nach der Rechtsprechung die Begründung fristwahrend auch beim Berufungsgericht vorgelegt werden könnte. Auch soweit der Beklagte argumentiert, er habe die Berufungsbegründung aus prozessökonomischen Erwägungen am 21. Dezember 2022 zum Oberverwaltungsgericht „geschickt“, weil er vermutet habe, dass die Verfahrensakte schon beim Oberverwaltungsgericht sei, verändert das an der Bewertung nichts. Derartige prozessökonomische Erwägungen sprechen nur dann für die ausnahmsweise gegebene Möglichkeit der fristwahrenden Einreichung der Berufungsbegründung auch beim Oberverwaltungsgericht, wenn der Vorsitzende des für die Berufung zuständigen Senats die Berufungsbegründungsfrist verlängert hat (BVerwG, Beschluss vom 22. Juli 2019 – 2 B 25.19 – juris Rn. 8). Dies ist hier schon mangels Fristverlängerungsantrages des Beklagten nicht der Fall.

c. Die Rechtsmittelbelehrung im Urteil des Verwaltungsgerichts vom 27. Oktober 2022 ist nicht unrichtig erteilt, sodass für die Begründung der Berufung nicht die Jahresfrist nach § 3 DiszG i.V.m. § 58 Abs. 2 VwGO gilt. Soweit der Beklagte vorbringt, die Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils verweise nur darauf, dass die Berufung innerhalb eines Monats beim Verwaltungsgericht einzulegen sei, und es werde keine Aussage getroffen, wo die Berufungsbegründung einzureichen sei, vermag dieses Vorbringen nicht zu begründen, dass die Rechtsmittelbelehrung im Urteil des Verwaltungsgerichts unrichtig erteilt ist im Sinne von § 3 DiszG i.V.m. § 58 Abs. 2 VwGO. Nach § 3 DiszG i.V.m. § 58 Abs.1 VwGO sind die Beteiligten nur über den Rechtsbehelf, das Gericht, bei dem der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch zu belehren. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes ist in der Rechtsmittelbelehrung des Urteils eines Verwaltungsgerichts über eine Disziplinarklage nur über die Monatsfrist für die Einlegung der Berufung nach § 64 Abs. 1 Satz 2 BDG zu belehren, nicht aber über die Verpflichtung zur Begründung der Berufung innerhalb dieser Frist (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. November 2023 – 2 C 4.23 – juris Ls. u. Rn. 7; von der Weiden, jurisPR-BVerwG 12/2024 Anm. 3 B. und D. auch zur Rechtslagen nach § 64 BDG n.F.). Es ist auch nicht darüber zu belehren, wo die Berufungsbegründung einzureichen ist. Nach der bereits oben erwähnten Regelung des § 3 DiszG i.V.m. § 64 Abs. 1 Satz 2 BDG ist die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts über eine Disziplinarklage bei dem Verwaltungsgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen und zu begründen. Gemäß § 58 Abs. 1 VwGO, der nach § 3 DiszG entsprechend anzuwenden ist, muss in der Rechtsmittelbelehrung des erstinstanzlichen Urteils über eine Disziplinarklage jedoch nur über die für die Einlegung der Berufung geltende Monatsfrist belehrt werden. Eine Pflicht zur Belehrung über die innerhalb einer bestimmten Frist vorzulegende Begründung des Rechtsmittels besteht nur bei zweistufig aufgebauten Rechtsmitteln, bei denen im Anschluss an die erste Stufe der fristgebundenen Einlegung die zweite Stufe der Vorlage der Begründung innerhalb einer gesonderten Frist nachfolgt (BVerwG, Urteil vom 9. November 2023 – 2 C 4.23 – juris Rn. 8). Zwar schreibt das Gesetz in § 41 DiszG i.V.m. § 64 Abs. 1 Satz 2 BDG die Einreichung einer Begründung der Berufung vor, sieht dafür aber keine gesonderte Frist vor, über die nach Maßgabe des § 58 Abs. 1 VwGO zu belehren wäre. § 3 DiszG i.V.m. § 64 Abs. 1 Satz 2 BDG ist vielmehr mit einer Vorschrift wie § 132 Abs. 3 Satz 3 VwGO in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 1990 geltenden Fassung zu vergleichen. Danach musste in der innerhalb eines Monats beim Ausgangsgericht einzulegenden Beschwerdeschrift der Grund für die Zulassung der Revision in der Beschwerdeschrift dargelegt und bezeichnet werden. Diese Vorschrift wurde stets dahingehend ausgelegt, dass in der Rechtsmittelbelehrung über die Nichtzulassungsbeschwerde nicht auf die Pflicht zur Begründung und die Begründungsfrist hingewiesen werden müsse (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. November 2023 – 2 C 4.23 – juris Rn. 11 m.w.N.) Auch das Schutzbedürfnis des Verfahrensbeteiligten, der Berufung gegen das Urteil einzulegen beabsichtigt, rechtfertigt keine erweiternde Auslegung des § 3 DiszG i.V.m. § 58 Abs. 1 VwGO in dem Sinne, dass auf sämtliche Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Rechtsmittels hinzuweisen ist. Denn der Gesetzgeber hat im Interesse der Rechtssicherheit in § 58 Abs. 1 VwGO diejenigen Aspekte abschließend benannt, über die der Beteiligte zur Wahrung seiner Interessen im Verfahren zu belehren ist. Aus Wortlaut und Systematik des § 58 Abs. 1 VwGO folgt, dass die Belehrung nicht sämtlichen tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten Rechnung tragen und dem Beteiligten jede eigene Überlegung ersparen muss (BVerwG, Urteil vom 9. November 2023 – 2 C 4.23 –juris Rn. 13 m.w.N.).

2. Die vom Beklagten beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 3 DiszG i.V.m. § 60 Abs. 1 VwGO ist ausgeschlossen. Dem Beklagten ist wegen der Versäumung der Begründung der Berufung innerhalb der Berufungsbegründungsfrist des § 41 DiszG i.V. § 64 Abs. 1 Satz 2 BDG beim Verwaltungsgericht nicht Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gemäß § 60 Abs. 1 VwGO zu gewähren.

Nach § 60 Abs. 1 VwGO, der über § 3 DiszG auch im gerichtlichen Disziplinarverfahren Anwendung findet, kann einem Verfahrensbeteiligten auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, wenn er ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Wie sich unmittelbar aus § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO ergibt, besteht diese Möglichkeit auch bei der Versäumung der gesetzlichen Frist zur Begründung der Berufung. Verschulden ist gegeben, wenn der Beteiligte hinsichtlich der Wahrung der Frist diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten und ihm nach den gesamten Umständen zuzumuten ist. Ein Verschulden setzt stets den Verstoß gegen eine individuelle Sorgfaltspflicht voraus, auf die der Beteiligte oder sein Bevollmächtigter sich einstellen konnte (BVerwG, Beschluss vom 23. Februar 2021 – 2 C 11.19 – juris Rn. 6 m.w.N.). Der die Wiedereinsetzung beantragende Beteiligte muss die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft machen (§  60 Abs. 2 Satz 2 VwGO).

Die beantragte Wiedereinsetzung ist hier ausgeschlossen, weil der Beklagte nicht ohne Verschulden verhindert war, die Frist für die Einreichung der Berufungsbegründung beim Verwaltungsgericht einzuhalten, und ihm das Verschulden seines Bevollmächtigten zuzurechnen ist. Es gehört zu den Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts in Fristensachen, den Betrieb seiner Anwaltskanzlei so zu organisieren, dass fristwahrende Schriftsätze vor Fristablauf beim zuständigen Gericht, bei dem sie einzureichen sind, eingehen. Im Disziplinarklageverfahren ist die Besonderheit zu beachten, dass die Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung auf denselben Tag fallen. Diese besondere Regelung über die Rechtsmittelfristen begründet im Disziplinarklageverfahren eine gesteigerte Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. April 2019 – 2 B 1.19 – juris Rn. 11 f.). Dies gilt auch hinsichtlich des Ortes der Einreichung, hier der Einreichung der Berufungsbegründung beim Verwaltungsgericht. Nach dem Sachvortrag des Bevollmächtigten des Beklagten hat dieser „aus prozessökonomischen Erwägungen“ die Berufungsbegründung zum Oberverwaltungsgericht „geschickt“, da er aufgrund der räumlichen Nähe beider Gerichte in der Metropole Berlin annahm, dass die Verfahrensakten am 21. Dezember 2022 bereits vom Verwaltungsgericht an das Oberverwaltungsgericht geschickt worden sein könnten. Dabei hat der Bevollmächtigte seine individuellen Sorgfaltspflichten hinsichtlich der Wahrung des Orts der Einreichung der Berufungsbegründung außer Acht gelassen. Dem Bevollmächtigten des Beklagten war es zumutbar, den eindeutigen Wortlaut der gesetzlichen Regelung des § 41 DiszG i.V.m § 64 Abs. 1 Satz 2 BDG auszuwerten, wonach die Berufung bei dem Verwaltungsgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich „einzulegen und zu begründen“ ist. Hinzu kommt, dass er die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes zu der hier einschlägigen Regelung (BVerwG, Beschluss vom 23. Mai 2017 – 2 B 51.16 – juris Rn. 12), wonach sowohl die Einlegung als auch die Begründung der Berufung einer Disziplinarklage hinsichtlich Frist und Ort denselben Anforderungen unterworfen ist, nämlich (grundsätzlich) der Einreichung beim Verwaltungsgericht, hätte recherchieren können und bei der Einreichung der Berufungsbegründung berücksichtigen müssen. Soweit der Bevollmächtigte des Beklagten vorträgt, er habe nach den oben genannten gesetzlichen Regelungen die Auffassung vertreten, dass eine Einreichung der Begründung unter Einhaltung der Begründungsfrist auch ohne einen Verlängerungsantrag (vgl. §  64 Abs. 1 Satz 3 BDG) „alternativ“ beim Oberverwaltungsgericht möglich sei, so verletzt er seine Sorgfaltspflichten eines gewissenhaften und seine Pflichten sachgerecht wahrnehmenden Prozessbevollmächtigten. Etwas anderes folgt auch nicht aus der Argumentation des Bevollmächtigten des Beklagten, in der Rechtsmittelbelehrung des Urteils des Verwaltungsgerichts werde zur Berufungsbegründung keine Aussage getroffen. Da, wie oben ausgeführt, in der Rechtsmittelbelehrung des Urteils eines Verwaltungsgerichts über eine Disziplinarklage nur über die Monatsfrist für die Einlegung der Berufung nach § 41 DiszG i.V.m. § 64 Abs. 1 Satz 2 BDG zu belehren ist, nicht aber über die Verpflichtung zur Begründung der Berufung innerhalb dieser Frist und zum Ort der Einlegung der Berufungsbegründung, hätte der Bevollmächtigte des Beklagten bei gewissenhafter und sachgerechter Wahrnehmung seiner Pflichten eigene Überlegungen und Recherchen anstellen müssen, wo er die Berufungsbegründung innerhalb der Frist einzureichen hat. Da weder die Rechtsmittelbelehrung des Urteils noch der telefonische Hinweis des Vorsitzenden der Disziplinarkammer des erstinstanzlichen Gerichtes sich zum Ort der Einreichung der Berufungsbegründung verhielten, wurde der Bevollmächtigte des Beklagten auch nicht aufgrund einer fehlerhaften gerichtlichen Belehrung zum Ort der Einreichung in die Irre geleitet, weshalb er nicht ohne Verschulden verhindert war, die gesetzliche Berufungsbegründungsfrist durch Einreichung der Berufungsbegründung beim Verwaltungsgericht einzuhalten.

Der Beklagte muss sich das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen. Es ist geklärt, dass auch im beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren das Verschulden eines Bevollmächtigten dem von diesem vertretenen Beteiligten gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist. Soweit - wie hier - die Versäumung einer Rechtsmittelbegründungsfrist auf dem Verschulden des Bevollmächtigten beruht, muss sich der vertretene Beamte dieses Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Februar 2021 – 2 C 11.19 – juris Ls. u. Rn. 13 ff.). Für den Beklagten als Beamten des Landes Berlin ergibt sich diese Rechtslage aus § 3 DiszG.

Schließlich hätte auch eine im ordentlichen Geschäftsgang veranlasste Weiterleitung des Begründungsschriftsatzes vom 21. Dezember 2022, der am späten Nachmittag des gleichen Tages um 16:55 Uhr bei der Poststelle des Oberverwaltungsgerichts eingegangen ist und am Freitag, den 22. Dezember 2022 dem Vorsitzenden des Senats vorgelegt wurde, nicht dazu geführt, dass der Beklagte die Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung bei dem Verwaltungsgericht noch hätte einhalten können, weshalb ihm auch mit Blick auf eine etwaige Verpflichtung des Oberverwaltungsgerichts zur Weiterleitung im ordnungsgemäßen Geschäftsgang keine Wiedereinsetzung gewährt werden kann (vgl. dazu OVG Münster, Beschluss vom 21. Dezember 2022 – 31 A 1824/22.O – juris Rn. 89). Der Beklagte konnte bei einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang nicht erwarten, dass das Oberverwaltungsgericht den am falschen Ort eingereichten Berufungsbegründungsschriftsatz derart schnell weiterleitet, dass er noch am gleichen Tag vom Vorsitzenden Richter des Oberverwaltungsgerichts zur Kenntnis genommen würd und der Schriftsatz noch am gleichen Tag im Wege der Weiterleitung im Geschäftsgang beim Verwaltungsgericht eingehen würde.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 DiszG, § 77 Abs. 1 BDG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §  3 DiszG i.V.m. § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 708 Nr. 10, § 711 Satz 1 und 2 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 41 DiszG, § 69 BDG i.V.m. §  132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

Rechtsmittelbelehrung

Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.

Die Beschwerde ist bei dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Hardenbergstraße 31, 10623 Berlin, innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung einzulegen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen.

Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist bei dem oben genannten Gericht schriftlich oder in der bezeichneten elektronischen Form einzureichen.

Rechtsanwälte, Behörden, juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie Vertretungsberechtigte, die über ein elektronisches Postfach nach § 3 DiszG, § 55a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 VwGO verfügen, sind zur Übermittlung elektronischer Dokumente nach Maßgabe des § 55d VwGO verpflichtet.

Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschulen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. In Angelegenheiten, die ein gegenwärtiges oder früheres Beamten-, Richter-, Wehrpflicht-, Wehrdienst- oder Zivildienstverhältnis betreffen, und in Angelegenheiten, die in einem Zusammenhang mit einem gegenwärtigen oder früheren Arbeitsverhältnis von Arbeitnehmern im Sinne des § 5 des Arbeitsgerichtsgesetzes stehen einschließlich Prüfungsangelegenheiten, sind auch die in § 3 DiszG i.V.m. § 67 Absatz 2 Satz 2 Nr. 5 VwGO bezeichneten Organisationen einschließlich der von ihnen gebildeten juristischen Personen gemäß § 67 Absatz 2 Satz 2 Nr. 7 VwGO als Bevollmächtigte zugelassen; sie müssen durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln. Ein als Bevollmächtigter zugelassener Beteiligter kann sich selbst vertreten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt vertreten lassen; das Beschäftigungsverhältnis kann auch zu einer anderen Behörde, juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einem der genannten Zusammenschlüsse bestehen. Richter dürfen als Bevollmächtigte nicht vor dem Gericht auftreten, dem sie angehören.