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Entscheidung 13 UF 71/24


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 4. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 16.07.2024
Aktenzeichen 13 UF 71/24 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2024:0716.13UF71.24.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts N... vom 08.03.2024 - 21 F 13/24 - wird zurückgewiesen.

2. Der Antragsgegner hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

3. Der Wert des Beschwerdegegenstands wird auf 4.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsgegner wendet sich gegen die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für seine beiden Töchter auf deren Mutter, die Antragstellerin, allein.

Seit der Trennung ihrer - für beide Kinder gemeinsam sorgeberechtigten - Eltern im Januar 2023 leben die beiden Mädchen im Haushalt der Mutter. R… hat keinen, A… sporadischen Kontakt zum Vater.

Nachdem die Antragstellerin den Antragsgegner vorgerichtlich vergeblich um Zustimmung zu einem beabsichtigten Umzug der beiden Mädchen mit ihr nach H… / B… zum Ende des Schuljahrs 2024 gebeten hat, hat sie mit verfahrenseinleitendem Antrag vom 16.01.2024 (Bl. 1) die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich allein geltend gemacht. Sie wolle in die Nähe ihres neuen Lebenspartners ziehen, habe in H… Aussicht auf Wohnraum und Arbeit, und die beiden Mädchen hätten signalisiert, gerne mit ihr nach dorthin umziehen zu wollen.

Der Antragsgegner ist dem mit Schriftsatz vom 20.02.2024 (Bl. 19) entgegen getreten. Mit dem beabsichtigten Umzug würde sein und der Kinder Wohnort rund 170 km auseinander liegen, was gegenseitige Besuche erheblich erschweren und zu einer Entfremdung zwischen ihm und den Kindern führen würde. Auch werde sich der Schulwechsel und die Entwurzelung der Mädchen aus ihrem gewohnten Umfeld in N… nachteilig auf ihr Wohl auswirken.

Das Amtsgericht hat den beiden Mädchen eine Verfahrensbeiständin bestellt und sie in deren Anwesenheit am 29.02.2024 persönlich angehört. Wegen des Inhalts der Anhörung wird auf den Vermerk vom selben Tag (Bl. 31) verwiesen.

Durch die angefochtene Entscheidung vom 08.03.2024 (Bl. 36) hat das Amtsgericht - der Empfehlung der Verfahrensbeiständin in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 19.02.2024 (Bl. 15), die sie im Anhörungstermin der erwachsenen Verfahrensbeteiligten und des Jugendamts vom 21.02.2024 (Bl. 24) vertieft hat, folgend, die gemeinsame elterliche Sorge der Eltern in Ansehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für die beiden Mädchen aufgehoben und auf die Mutter allein übertragen. Angesichts des tiefgreifenden Dissenses der Eltern betreffend den Lebensmittelpunkt der beiden Mädchen sei die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge insoweit erforderlich. Da die Mädchen seit der Trennung ausschließlich in der Obhut der Antragstellerin lebten, keinen oder kaum Kontakt zum Antragsgegner pflegten, diesen auch - wie beide in ihrer persönlichen Anhörung mitgeteilt hätten - nicht zu treffen wünschten, und überdies den Wunsch geäußert hätten, mit der Mutter nach H... umzuziehen, diene die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Mutter allein dem Kindeswohl am besten.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners vom 22.04.2024 (Bl. 48), die er weder innerhalb der vom Senat mit Verfügung vom 26.04.2024 (Bl. 3 der Akte des OLG, im Folgenden: OLG) gesetzten Frist, noch in der Folge begründet hat.

Die Antragstellerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde (Bl. 8 OLG). Die Mädchen seien in ihrem Haushalt fest verankert und ihr Wunsch, mit der Mutter nach H... zu ziehen, sei stabil.

Die Verfahrensbeiständin spricht sich in ihrer Stellungnahme vom 09.07.2024 (Bl. 12) für die Aufrechterhaltung der angefochtenen Entscheidung aus. Der ausdrückliche Wunsch der beiden Mädchen, im Haushalt ihrer Mutter zu verbleiben und mit dieser in H... zu leben, sei zu berücksichtigen. Dieser Wunsch sei während einer langen destruktiven Beziehung zu ihrem Vater entstanden. Die Mutter sei für beide Mädchen die Hauptbezugsperson.

Das zuständige Jugendamt hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.

Der Senat entscheidet, wie angekündigt (Bl. 6 OLG), über die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung, § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG. Der erst- und zweitinstanzliche Schriftwechsel der Beteiligten, die ausführlichen Anhörungsvermerke des Amtsgerichts und die beiden ergiebigen schriftlichen Stellungnahmen der Verfahrensbeiständin vermitteln dem Senat ein umfassendes und anschauliches Bild der Positionen der Beteiligten, insbesondere auch der beiden Mädchen. Es ist angesichts dessen nicht ersichtlich, welchen zusätzlichen Erkenntnisgewinn die Durchführung eines Anhörungstermins dem Senat verschaffen könnte.

II.

Die nach §§ 58 ff. FamFG statthafte und in zulässiger Weise erhobene Beschwerde des Antragsgegners ist in der Sache unbegründet.

Die angefochtene Entscheidung, die angesichts des Nichtvorliegens einer nicht zwingend einzureichenden (§ 65 Abs. 1 FamFG) Beschwerdebegründung durch den Senat amtswegig überprüft wird, ist ohne Verfahrensfehler und in der Sache rechtmäßig.

Das Amtsgericht hat nach der persönlichen Anhörung der beiden Mädchen am 27.02.2024 und der erwachsenen Beteiligten sowie des Jugendamts am 21.02.2024 und unter Berücksichtigung der schriftlichen Stellungnahme der Verfahrensbeiständin vom 19.02.2024 auf hinreichend gesicherter Tatsachengrundlage (§ 26 FamFG) über die Kindeswohldienlichkeit der verfahrensgegenständlichen Zuordnung des Sorgerechts (§ 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB) entschieden. Die Stellungnahme der Verfahrensbeiständin stimmt inhaltlich vollumfänglich mit den ausweislich des Anhörungsvermerks der persönlichen Anhörung der Mädchen geäußerten Wünschen überein; zusammen mit den Äußerungen der Verfahrensbeteiligten und der Mitarbeiterin des Jugendamts im Rahmen der erstinstanzlich erfolgten Anhörung zeigt sich insgesamt ein einheitliches, widerspruchsfreies Bild der Interessenlage der Jugendlichen und ihrer Lebenssituation, das die Notwendigkeit zusätzlicher Ermittlungen - etwa durch Einholung ein Sachverständigengutachten - nicht erkennen lässt.

Die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge in Ansehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts ist angesichts des nach Aktenstand unvermindert andauernden Elternstreits über die Frage, ob die Mädchen im Haushalt der nach H... verziehenden Mutter oder im Haushalt des Vaters in N... leben sollen, aus Kindeswohlgründen erforderlich, § 1671 Abs, 1 Satz 2 Nr. 2 BGB. Die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung setzt ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge und insgesamt eine tragfähige soziale Beziehung der Eltern voraus; da die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge in das Elternrecht aus § 1671 Abs. 1 BGB eingreift, kommt sie indes nur aus Gründen des Kindeswohls und unter strenger Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in Betracht (BVerfGE 75, 201, 218f.; BGH NJW 2016, 2497). Hieran gemessen ist die gemeinsame elterliche Sorge in Ansehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts aufzuheben, wenn, wie vorliegend, die Positionen der Elternteile unversöhnlich gegenüber stehen und sich eine Einigung über den Lebensmittelpunkt der Töchter als unerreichbar erweist.

Bei Abwägung der für die Entscheidung darüber, welchem Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht zuzuweisen ist, maßgeblichen Kriterien - Fördergrundsatz, Kontinuitätsgrundsatz, Bindungen der Kinder an beide Elternteile und der Wille der Jugendlichen - (vgl. BGH NJW 2016, 2497) bleibt es bei der erstinstanzlich erfolgten Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Antragstellerin allein.

Entscheidungsmaßstab für die Frage, auf welchen Elternteil die elterliche Sorge oder ein Teil derselben dann, wenn - wie vorliegend - deren gemeinsame Wahrnehmung durch die Eltern nicht in Betracht kommt, ist allein das Kindeswohl (BGH NJW 2010, 2805; FamRZ 2009, 1897). Anhand der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten sogenannten gewichtigen Aspekte des Kindeswohls, nämlich der Erziehungseignung und - fähigkeit sowie der Förderfähigkeit der Eltern, der Bindungen und Beziehungen des Kindes zu den Elternteilen, deren Bindungstoleranz und -fürsorge, dem Grundsatz der räumlichen und sozialen Kontinuität der Lebensumstände des Kindes sowie dessen Willen (BGH NJW 2010, 2805; FamRZ 2009, 1897), ist im Wege einer Abwägung der vorgenannten Kriterien, die nicht kumulativ nebeneinander stehen, sondern im konkreten Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam für das Kindeswohl sein können, die dem Kindeswohl am besten entsprechende Zuordnung des Sorgerechts festzustellen.

Gegeneinander abzuwägen ist vorliegend nicht ein Verbleib der Mädchen im Haushalt der Mutter an ihrem bisherigen Wohnort in N... gegenüber einem Umzug der Mädchen mit der Mutter nach H...; Gegenstand der Kindeswohlprüfung ist nicht eine etwaige „Berechtigung“ eines Elternteils, mit dem Kind an einen anderen Wohnort zu ziehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH BeckRS 2010, 12894), von der abzuweichen der Senat keine Veranlassung hat, entscheidet das Gericht bei einem beabsichtigten Umzug eines Elternteils mit einem Kind nicht darüber, ob der umzugswillige Elternteil mit dem Kind am bisherigen Wohnort zu verbleiben hat, selbst wenn diese Option dem Kindeswohl am besten dienen würde. Vielmehr hat das Gericht allein darüber zu entscheiden, in wessen Haushalt die Begründung oder Beibehaltung des Lebensmittelpunkts des Kindes - in dem des am Wohnort verbleibenden oder in dem des umzugswilligen Elternteil - dem Kindeswohl am besten dient.

Hieran gemessen überwiegen vorliegend die Vorteile, die mit einem Verbleib der beiden Mädchen im mütterlichen Haushalt (unter Berücksichtigung eines Umzugs nach H...) einhergehen, nämlich die Aufrechterhaltung ihrer Beziehung zu ihrer Mutter als Hauptbezugsperson und die Beachtung des auf einen Verbleib im Haushalt der Mutter gerichteten Willens der Jugendlichen, die Nachteile, die für die Mädchen mit einem Verlust ihres bisherigen Lebensumfelds in N... und einer Vertiefung der bereits eingetretenen Entfremdung von ihrem Vater einhergehen, ganz erheblich.

Es ist schon nicht vorstellbar, dass eine Entscheidung über den Lebensmittelpunkt der beiden Jugendlichen, die ihrem ausdrücklichen Willen zuwiderläuft, ihr Wohl unbeeinträchtigt lassen könnte. Mit zunehmendem Altern des betroffenen Kindes kommt seinem manifesten, nachhaltig geäußerten Willen zunehmende Bedeutung zu. In der Regel wird bereits der geäußerte Wille eines elfjährigen Kindes für die Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht maßgeblich sein (vgl. OLG Hamm BeckRS 2014, 06513; BeckOGK/Fuchs, 1.7.2024, § 1671 BGB Rn. 287). Der Umstand, dass der Gesetzgeber dem Kind, das das 14. Lebensjahr vollendet hat, ein Widerspruchsrecht nach § 1671 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BGB einräumt, zeigt die Intention des Gesetzgebers, das 14-jährige Kind als mit Reife und Urteilsfähigkeit ausgestattet anzusehen, so dass ab diesem Alter der Kindeswille auf jeden Fall bei der Entscheidungsfindung beachtlich ist (BeckOGK/Fuchs § 1671 BGB Rn. 286). Vorliegend kommt erschwerend hinzu, dass es angesichts des ausdrücklichen Wunschs der beiden Jugendlichen, im Haushalt der Mutter zu verbleiben, fernliegend erscheint, dass ein erzwungener Umzug in den väterlichen Haushalt der eingetretenen Entfremdung vom Vater Einhalt gebieten könnte. Es ist nicht zu erwarten, dass das Ziel des Vaters, die Entfremdung seiner Töchter aufzuhalten, mithilfe eines erzwungenen Umzugs der Mädchen in seinen Haushalt zu erreichen sein könnte. Vielmehr ist zu befürchten, dass ein erzwungener Umzug in den väterlichen Haushalt eine oppositionelle Haltung der Jugendlichen gegenüber dem Vater vertiefen und dadurch den vom Vater angestrebten Erfolg gerade zuwiderlaufen würde.

Anhaltspunkte dafür, dass der von beiden Mädchen geäußerte Wille aus Kindeswohlgründen unbeachtet zu bleiben haben könnte, sind nicht ersichtlich und vom Antragsgegner auch nicht dargelegt worden. Vielmehr entspricht der Wunsch der beiden Mädchen auch der erstinstanzlich - insbesondere aufgrund der Stellungnahme Verfahrensbeiständin - festgestellten Qualität ihrer Bindungen zu den Elternteilen. Da die Mädchen seit der Trennung ihrer Eltern ausschließlich im Haushalt der Mutter gelebt haben, während sie zum Vater keinen oder kaum Kontakt hatten, erweist sich die Mutter als Hauptbezugsperson, zu der die Kinder eine weitaus engere Beziehung pflegen als zum Vater, zu dem sie den Kontakt - jedenfalls derzeit - ausdrücklich ablehnen.

Schließlich wiegen die Vorteile, die für die beiden Mädchen mit der Kontinuität der räumlichen Lebensverhältnisse bei einem Umzug in den väterlichen Haushalt einhergehen würden, die damit hervorgerufene Beeinträchtigung ihrer Selbstwirksamkeit - indem ihrem Willen zuwider entschieden würde - nicht auf. Die Kontinuität der räumlichen Lebensverhältnisse spielt vorliegend für die beiden Jugendlichen schon deshalb keine gewichtige Rolle, weil beide diesen Aspekt - wie sich aus ihrer persönlichen Anhörung durch das Amtsgericht und der Stellungnahme der Verfahrensbeiständin ergibt - in ihre Willensbildung bereits einbezogen und abgewogen haben. Beide Mädchen haben mitgeteilt, sich einen „Neubeginn“ in H... sowohl in schulischer Hinsicht als auch im Hinblick auf ihre jeweiligen Freundeskreise vorstellen zu können und sich darauf zu freuen. Anhaltspunkte dafür, dass die Mädchen die Reichweite eines Schulwechsels, eines Umzugs in eine andere Stadt und den damit einhergehenden Bruch bisherigen Freundschaften mit Gleichaltrigen nicht abschätzen können, sind nicht ersichtlich.

Darüber hinaus würde ein Umzug der Mädchen in den Haushalt des Vaters zu einem - vorliegend weitaus gewichtigeren - Bruch der Kontinuität der Beziehung zu ihrer Hauptbezugsperson, der Mutter, führen. Die Aufrechterhaltung der Einheitlichkeit, Gleichmäßigkeit und Stabilität des Erziehungsverhältnisses - personale Kontinuität - (Senat, Beschl. v. 19.09.2012, 13 UF 9/11, juris) ist für die beiden Jugendlichen im Haushalt und unter der Obhut der Antragstellerin am besten gewährleistet.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Wertfestsetzung folgt aus §§ 55 Abs. 2, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.

Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, besteht nicht, § 70 Abs. 2 FamFG.