Gericht | OLG Brandenburg 2. Strafsenat | Entscheidungsdatum | 06.06.2024 | |
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Aktenzeichen | 2 Ws 59/24 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2024:0606.2WS59.24.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 29. Februar 2024 wird als unbegründet verworfen.
Der Verurteilte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
2. Der Antrag auf Beiordnung eines notwendigen Verteidigers wird zurückgewiesen.
I.
Die österreichischen Behörden ersuchen mit Bescheinigung nach Artikel 4 des Rahmenbeschlusses 2008/909/JI des Rates vom 27. November 2008 um Übernahme der Strafvollstreckung der mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 4. August 2021 (Az.: 16 Hz 30/21z) in Verbindung mit dem Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 11. November 2021 (Az.: 7 Bs 249/21g) verhängten Freiheitsstrafe von fünf Monaten.
Nach Anhörung des Verurteilten, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und in Deutschland lebt, beantragte die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) bei dem Landgericht Frankfurt (Oder) unter dem 21. Februar 2024, das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 4. August 2021 in Verbindung mit dem Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 11. November 2021 für vollstreckbar zu erklären. Im Hinblick auf das Bewilligungshindernis des § 84d Abs. 4 IRG führte die Staatsanwaltschaft aus, dass dieses Hindernis nicht geltend gemacht werden soll, „da aufgrund des Aufenthalts des Betroffenen in Deutschland keine Überstellung erfolgen muss und die Freiheitsstrafe noch vollständig in Deutschland zu vollstrecken wäre.“
Das Landgericht Frankfurt (Oder) erklärte mit Beschluss vom 29. Februar 2024 das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 4. August 2021 in Verbindung mit dem Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 11. November 2021 für vollstreckbar.
Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit seiner sofortigen Beschwerde. Er begehrt eine Umwandlung der Freiheitsstrafe in eine Geldstrafe gemäß § 84g Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 IRG sowie die Beiordnung eines Pflichtverteidigers.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt, den Antrag auf Bestellung eines Rechtsbeistands und die sofortige Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Der Senat entscheidet antragsgemäß.
II.
1. Die gemäß §§ 84g Abs. 2 Satz 3, 55 Abs. 2 IRG statthafte und zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg, da das Landgericht im Ergebnis zu Recht das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 4. August 2021 in Verbindung mit dem Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 11. November 2021 hinsichtlich der verhängten Freiheitsstrafe von fünf Monaten gemäß § 84g Abs. 3 IRG für vollstreckbar erklärt hat.
Nach dieser Regelung wird ein ausländisches Erkenntnis durch das Gericht für vollstreckbar erklärt, soweit die Vollstreckung zulässig ist und die Staatsanwaltschaft ihr Ermessen, Bewilligungshindernisse nach § 84d Nr. 1 bis 6 IRG nicht geltend zu machen, fehlerfrei ausgeübt hat (§ 84g Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 IRG) oder dieses Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat und eine andere Ermessensentscheidung nicht gerechtfertigt ist (§ 84 g Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 IRG).
Zutreffend geht das Landgericht Frankfurt (Oder) zunächst davon aus, dass die Voraussetzungen für die Übernahme der Vollstreckung der Freiheitsstrafe von fünf Monaten aus dem Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 4. August 2021 in Verbindung mit dem Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 11. November 2021 nach §§ 48 f., 84a Abs. 1, 84c IRG vorliegen und keine Zulässigkeitshindernisse nach §§ 84b, 73 Abs. 1 IRG bestehen.
Jedoch trifft die Annahme des Landgerichts, dass die Staatsanwaltschaft ihr Ermessen, Bewilligungshindernisse nach § 84d Nr. 1 bis 6 nicht geltend zu machen, fehlerfrei ausgeübt hat, nicht zu. Es liegt im Hinblick auf die Vollstreckung der Freiheitsstrafe von fünf Monaten das Bewilligungshindernis des § 84d Nr. 4 IRG vor, so dass sich die durch die Staatsanwaltschaft getroffene Ermessensentscheidung schon insoweit als fehlerhaft darstellt.
Der Staatsanwaltschaft steht bei der Entscheidung, Bewilligungshindernisse nach § 84d Nr. 1 bis 6 IRG nicht geltend zu machen, ein sehr weites behördliches Ermessen zu (vgl. Schomburg/Lagodny - Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl., § 84g Rn. 5). Dieses ist durch das Gericht lediglich auf Ermessensfehler (vgl. KG, Beschluss vom 26. Oktober 2015, (4) 151 AR 38/15 (197/15), BeckRS 2015, 19929; Schomburg/Lagodny, a.a.O., § 84g Rn. 5), d. h. dahingehend überprüfbar, ob die Staatsanwaltschaft von einem vollständig ermittelten und zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie die Grenzen des Ermessens eingehalten hat und ob sie von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Dabei hat das Gericht auch zu überprüfen, ob die Staatsanwaltschaft maßgebliche Gesichtspunkte, die bei der Ermessensentscheidung von Belang sein können, falsch bewertet oder außer Acht gelassen hat (vgl. KG, a.a.O.).
Nach diesen Grundsätzen erweist sich die durch die Staatsanwaltschaft getroffene Entscheidung als ermessensfehlerhaft, da sie ersichtlich nicht die besonderen persönlichen Interessen des Verurteilten an einer Vollstreckung in Deutschland bzw. Österreich vollständig berücksichtigt und abgewogen hat.
Gleichwohl kann das vorgenannte Urteil unter den vorliegenden Umständen für vollstreckbar erklärt werden, da das Ermessen hinsichtlich der Vollstreckung des ausländischen Erkenntnisses in Deutschland auf Null reduziert ist (vgl. § 84g Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 IRG).
Zutreffend geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass für eine Vollstreckung in Deutschland zum einen spricht, dass der Verurteilte aufgrund seines Wohnortes nicht mehr überstellt werden müsste. Zum anderen liegt die zu vollstreckende Freiheitsstrafe von fünf Monaten nur wenig unterhalb der Sechs-Monats-Grenze des § 84d Nr. 4 IRG. Insbesondere aber ist das Interesse an einer effektiven Strafverfolgung zu berücksichtigen. Eine solche könnte in Österreich angesichts des bis 2025 geltenden Aufenthaltsverbots derzeit tatsächlich nicht erfolgen, wohingegen eine solche in Deutschland möglich wäre.
Letztlich sprechen aber auch die Interessen des Verurteilten selbst für eine Strafvollstreckung in Deutschland. Nach seiner Ausweisung aus Österreich ist er nach E… verzogen, wo er sozial und beruflich integriert ist. Er lebt dort gemeinsam mit seinen minderjährigen Kindern und geht seit August 2023 einer Erwerbstätigkeit in der dortigen Papierfabrik nach. Im Fall der Vollstreckung der Freiheitsstrafe in Deutschland wären die in der Haft möglichen Resozialisierungsmaßnahmen sowie die Aufrechterhaltung des Kontaktes zu seinen minderjährigen Kindern, ggf. im Rahmen der Unterbringung im offenen Vollzug, deutlich einfacher umzusetzen als bei einer Vollstreckung in Österreich.
Soweit der Verurteilte die Umwandlung der Freiheitsstrafe in eine Geldstrafe gemäß § 84g Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 IRG begehrt, kam eine solche nicht in Betracht. Die Umwandlung einer im Ausland verhängten Sanktion in eine ihr im deutschen Recht am meisten entsprechende Sanktion kann nach dieser Norm nur dann erfolgen, wenn die verhängte Sanktion ihrer Art nach keiner Sanktion entspricht, die das im Geltungsbereich dieses Gesetzes geltende Recht vorsieht. Hiermit sind solche freiheitsentziehenden Sanktionen gemeint, die dem deutschen Recht fremd sind (vgl. Schomburg/Lagodny, a.a.O., § 84g Abs. 21). Vorliegend hat das Landesgericht Feldkirch eine (kurze) Freiheitsstrafe verhängt, welche unzweifelhaft auch im deutschen Recht als Sanktion vorgesehen ist (vgl. §§ 38 Abs. 2, 47 Abs. 1 StGB).
2. Der Antrag auf Beiordnung eines notwendigen Verteidigers war zurückzuweisen, da weder die Sach- und Rechtslage schwierig ist noch ersichtlich ist, dass der Verurteilte nicht in der Lage ist, seine Rechte selbst hinreichend wahrzunehmen (§§ 53 Abs. 2, 84 Abs. 2 IRG). Vielmehr hat sich der Verurteilte im Rahmen des Verfahrens selbst schriftlich geäußert und gezeigt, dass er seine Rechte im Rahmen der überschaubaren Sach- und Rechtslage selbst hinreichend wahrnehmen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.