Gericht | OLG Brandenburg 1. Senat für Familiensachen | Entscheidungsdatum | 20.06.2024 | |
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Aktenzeichen | 9 UF 41/24 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2024:0620.9UF41.24.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Auf die Beschwerde der Kindesmutter wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Cottbus vom 23.01.2024 (Az. 53 F 14/24) und das Verfahren, auf dem er beruht, aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht - Familiengericht - Cottbus zurückverwiesen.
2. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Im Übrigen obliegt dem Familiengericht die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 4.000 € festgesetzt.
4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
I.
Die weiteren Beteiligten zu 1. und 2. sind die Eltern des nichtehelich geborenen Kindes B... Z..., geboren am ...2020. Die elterliche Sorge übten die Kindeseltern gemeinsam aus. Das Kind lebt seit der Trennung der Kindeseltern im Haushalt der Mutter.
In dem vor dem Amtsgericht Cottbus zum Az. 53 F 216/23 anhängigen Verfahren hat der Vater die Regelung des Umgangs mit seinem Sohn begehrt. Nach Vorlage des beauftragten Gutachtens der Sachverständigen G. vom 20.10.2023 haben die Eltern im Anhörungstermin vom 17.01.2024 eine familiengerichtlich gebilligte Umgangsvereinbarung getroffen. Ausweislich des Anhörungsvermerks haben sich die Eltern damit einverstanden erklärt, dass „vorläufig für die Teilbereiche Aufenthaltsbestimmungsrecht, Gesundheitsfürsorge, Recht zur Beantragung von Sozialleistungen und das Recht zur Regelung des Umgangs ein Ergänzungspfleger eingesetzt wird.“
Das Amtsgericht hat sodann von Amts wegen das vorliegende Verfahren eröffnet und mit dem angefochtenen Beschluss vom 23.01.2024 - auf den der Senat wegen der weiteren Einzelheiten verweist - den Kindeseltern die vorbenannten Teilbereiche der elterlichen Sorge entzogen und das Jugendamt zum Pfleger bestellt. Mit Beschluss vom 30.01.2024 hat das Amtsgericht für das Kind einen Verfahrensbeistand bestellt.
Gegen die ihr am 30.01.2024 zugestellte Entscheidung hat die Kindesmutter mit einem beim Amtsgericht am 28.02.2024 eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt, mit der sie die Übertragung der entzogenen Teilbereiche der elterlichen Sorge auf sich allein begehrt. Sie beantragt,
die Aufhebung der Entscheidung des Amtsgerichts Cottbus (Az. 53 F 14/24) vom 23.01.2024 und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht - Familiengericht - Cottbus.
Der Senat entscheidet gemäß § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG ohne mündliche Verhandlung. Zur Beurteilung der dem Amtsgericht unterlaufenen Verfahrensfehler, die zur Zurückverweisung der Sache führen, reicht der schriftliche Vortrag der Beteiligten aus. Ein zusätzlicher Erkenntnisgewinn im Rahmen einer erneuten Anhörung der Beteiligten im Beschwerdeverfahren ist nicht zu erwarten.
II.
Die nach §§ 58 ff. FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat insoweit vorläufig Erfolg, als sie gemäß § 69 Abs. 1 Satz 2 und 3 FamFG zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und des Verfahrens sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht führt.
Das Amtsgericht hat verfahrensfehlerhaft gegen seine Pflicht zur Anhörung des Kindes und der weiteren Beteiligten sowie zur Bestellung eines geeigneten Verfahrensbeistandes für das Kind vor Erlass der angefochtenen Entscheidung in dem von Amts wegen eröffneten Hauptsacheverfahren gemäß §§ 1666, 1666a BGB verstoßen.
Es liegt ein erheblicher Verfahrensfehler vor, da das Amtsgericht die Kindeseltern nicht gemäß § 160 Abs. 1 S. 2 FamFG persönlich angehört hat. In dem von Amts wegen eröffneten - besonders schwerwiegenden - Verfahren nach §§ 1666, 1666a BGB besteht die zwingende Pflicht zur Anhörung der (sorgeberechtigten) Eltern, von der nach Abs. 3 nur bei Vorliegen schwerwiegender Gründe abgesehen werden. In diesem Fall müssen jedoch die tragenden Gründe in der Entscheidung dargelegt werden (vgl. Sternal (vormals Keidel), Familienrecht, 21. Auflage 2023, § 160 Rn. 4; Musielak/ Borth/ Frank/ Frank, 7. Aufl. 2022, FamFG § 160 Rn. 7 ).
Ausweislich des Protokolls haben die Kindeseltern zwar ihr Einverständnis, jedoch nur zu einem vorläufigen teilweisen Sorgerechtsentzug erklärt. Eine Anhörung in dem von Amts wegen eröffneten Hauptsacheverfahren ist indes nicht erfolgt und kann auch nicht allein durch die protokollierte Einverständniserklärung der Kindeseltern - zu einem vorläufigen teilweisen Sorgerechtsentzug - ersetzt werden. Vielmehr ist gerade nicht erkennbar, dass mit den Kindeseltern erörtert worden ist, in welcher Weise durch öffentliche Hilfen einer drohenden oder tatsächlich eingetretenen Gefährdung des Kindeswohls begegnet werden kann. Schwerwiegende Gründe, von der zwingenden persönlichen Anhörung der Kindeseltern abzusehen, sind nicht ersichtlich. Die hierfür tragenden Gründe wurden auch nicht in der angefochtenen Entscheidung angegeben. Bereits die nicht ordnungsgemäße Anhörung der Eltern begründet einen wesentlichen Verfahrensmangel, der nach § 69 Abs. 1 S. 3 FamFG zur Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung des Verfahrens an das Familiengericht führt.
Ein weiterer erheblicher Verfahrensfehler liegt in der unterlassenen Anhörung des Kindes nach § 159 Abs. 2 FamFG vor. Danach ist ein - auch jüngeres - Kind persönlich anzuhören, wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sein kann oder wenn eine persönliche Anhörung aus sonstigen Gründen angezeigt ist. Eine Anhörung kann bei kleineren Kindern etwa von einem Alter ab drei Jahren bedeutsam sein, da auch kleine Kinder durchaus schon beachtenswerte Wünsche, Tendenzen, Präferenzen, aber auch Aversionen gegenüber einem Elternteil, die in der Verhaltensweise und den Reaktionen des Kindes erkennbar werden können und daher für die Entscheidung wichtig sind, haben können (vgl. Sternal, a. a. O., § 159 FamG Rn. 8 a m. w. N.). Dieser Verpflichtung ist das Amtsgericht im vorliegenden Verfahren nicht nachgekommen. Ein schwerwiegender Grund, von einer Anhörung des zum Zeitpunkt der Entscheidung 3 Jahre und 5 Monate alten Kindes abzusehen (vgl. § 159 Abs. 3 S 1 FamFG), ist nicht ersichtlich. Allein der Umstand, dass B... in seiner Sprachentwicklung rückständig ist, steht dem nicht entgegen. Denn auch in diesem Fall kann sich das Amtsgericht im Rahmen der erforderlichen Anhörung einen persönlichen Eindruck von dem Kind verschaffen, die angesichts der Verhaltensweisen des Kindes ebenfalls Rückschlüsse auf beachtenswerte Wünsche, Vorlieben und Abneigungen zulassen. Jedenfalls fehlt es an einer entsprechenden Begründung des Gerichts in der angefochtenen Entscheidung, die ein Absehen von der persönlichen Anhörung des Kindes nachvollziehbar macht. Der Verstoß gegen diese Anhörungspflicht rechtfertigt daher ebenfalls eine Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.
Zudem liegt ein erheblicher Verfahrensfehler vor, da das Amtsgericht erst nach Erlass der angefochtenen Entscheidung einen Verfahrensbeistand für das Kind bestellt hat. Nach § 158 Abs. 2 Nr. 2 FamFG ist die Bestellung eines Verfahrensbeistandes in dem von Amts wegen eröffneten Hauptsacheverfahren nach §§ 1666, 1666a BGB zwingend erforderlich. Gemäß Abs. 3 S. 1 ist der Verfahrensbeistand jedoch so rechtzeitig zu bestellen, dass er noch vor der Entscheidung des Gerichts gehört werden kann und damit gewährleistet ist, dass er auf die Gestaltung und den Ausgang des Verfahrens Einfluss nehmen kann (vgl. Sternal, a. a. O., § 158 Rn. 31 m. w. N.). Vorliegend erfolgte die Bestellung jedoch erst nach Erlass der angefochtenen Entscheidung. Eine Anhörung des Verfahrensbeistandes ist ausweislich des Anhörungsvermerks vom 17.01.2024 auch nicht in dem zum Aktenzeichen 53 F 216/22 geführten Umgangsverfahren erfolgt.
Den nach § 69 Abs. 1 S. 3 FamFG erforderlichen Antrag eines Beteiligten auf Zurückverweisung der Sache hat die Kindesmutter mit Schriftsatz vom 15.04.2024 gestellt. Dies führt zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht, damit dieses die notwendigen, einer Beweiserhebung im Sinne von § 69 Abs. 1 Satz 3 FamFG gleichstehenden (vgl. MüKoFamFG/ Fischer, a. a. O., § 69 Rn. 90; Zöller/Feskorn, ZPO, 35. Auflage 2024., § 69 FamFG Rn. 10 m. w. N.), Ermittlungen (§ 26 FamFG) durch Anhörung aller Verfahrensbeteiligten nachholen kann. Gerade die noch zu treffenden umfangreichen Tatsachfeststellungen lassen es sachgerecht erscheinen, das Verfahren zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Dies gilt umso mehr, als eine Prüfung der Übertragung der elterlichen Sorge auf ein Elternteil nach § 1671 Abs. 1 Nr. 2 FamFG ebenso wenig erfolgt ist, wie eine Prüfung im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, ob nicht auch mildere Mittel zur Verfügung stehen, die das Auswahlermessen des Gerichts beschränken.
Die Nichterhebung der Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 20 Abs. 1 Satz 1 FamGKG. Die übrige Kostenentscheidung über das Beschwerdeverfahren ist dem Amtsgericht vorzubehalten (vgl. Keidel-Sternal, a. a. O., § 69, Rn. 39 a m. w. N.).
Die Wertfestsetzung beruht auf den §§ 40 Abs. 1, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.
Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen (§ 70 Abs. 2 FamFG), besteht nicht.