Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 7. Kammer | Entscheidungsdatum | 14.11.2023 | |
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Aktenzeichen | 7 Sa 210/23 | ECLI | ECLI:DE:LAGBEBB:2023:1114.7SA210.23.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 520 ZPO, § 538 Abs. 2 ZPO, § 514 ZPO, § 15 AGG, §§ 214, 218 ZPO |
Rechtsmissbrauch eines Entschädigungsverlangens ist im Einzelfall anzunehmen, wenn eine Person, die vier Wochen nach ihrer Bewerbung auf eine Stelle, die unter Verstoß gegen § 7 Absatz 1 AGG ausgeschrieben wurde - hier „Sekretärin in Potsdam“ - Klage auf Zahlung einer Entschädigung wegen Diskriminierung im Bewerbungsverfahren einreicht, ohne dass eine Absage durch die/den potenzielle/n Arbeitgeber/in erfolgte und ohne dass sich die Person nach dem Stand des Bewerbungsverfahren erkundigte, die Person in der Klageschrift gleichwohl mehrfach eine Ablehnung aus Gründen des Geschlechts behauptet. Diese Person hat kein ernsthaftes Interesse an ihrer Bewerbung für die ausgeschriebene Stelle, sondern möchte die Bewerbung ausschließlich nutzen, um die formale Position eines Bewerbers/eine Bewerberin zu erlangen.
I. Die Berufung des Klägers gegen das 2. Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Brandenburg an der Havel vom 01.02.2023 - 5 Ca 10163/23 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines zweiten Versäumnisurteils sowie in der Sache über Entschädigungsansprüche nach dem AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz).
Der Kläger macht geltend, sich auf eine Stellenanzeige der Beklagten bei Indeed für einer Sekretärin in P. beworben zu haben. Auf eine zur Akte gereichte Ausschreibung (Blatt 6 folgend der Akte), ein zur Akte gereichtes Bewerbungsanschreiben des Klägers (Blatt 54 der Akte) sowie seinen Lebenslauf (Anlage B2, Blatt 50 der Akte) wird verwiesen.
Mit Schriftsatz vom 30.09.2022, eingegangen beim Arbeitsgericht Potsdam am 04.10.2022, erhob der Kläger gegen die Beklagte Klage auf Zahlung einer Entschädigung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch 7.500,00 EUR nicht unterschreiten sollte. Die Klageschrift wurde der Beklagten am 07.10.2022 zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 03.11.2022 (Anlage B1, Blatt 44 fortfolgende der Akte) erhob der Kläger Klage vor dem Arbeitsgericht Passau gegen die A GmbH auf Zahlung einer Entschädigung; auf den Inhalt dieser Klageschrift wird vollumfänglich verwiesen.
Der Kläger hat behauptet, die Beklagte habe eine Stellenanzeige für eine Sekretärin in P. bei Indeed veröffentlicht. Die Beklagte habe wiederholt Stellenanzeigen bei Indeed veröffentlicht. Der Kläger hat unter Hinweis auf den Ausdruck einer Stellenanzeige (Blatt 53 der Akte) behauptet, die streitgegenständliche Stellenanzeige auf Indeed sei abgelaufen. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, es sei irrelevant, durch wen die Anzeige geschaltet worden sei. Dieses Handeln sei der Beklagten jedenfalls zuzurechnen. Der Kläger hat unter Hinweis auf die Veröffentlichung eines Stellenangebots auf der Homepage der Beklagten (Anlage B1, Blatt 86 folgend der Akte) zudem behauptet, die Beklagte habe auch weiterhin eine Sekretärin gesucht.
Der Kläger hat weiterhin behauptet, er erfülle alle Anforderungen für die ausgeschriebene Stelle und bringe auch Erfahrung mit. Er sei ausgebildeter Industriekaufmann, belege derzeit ein Fernstudium zum Wirtschaftsjuristen (LL.M.) und verfüge über gute Kenntnisse auf dem Gebiet des Arbeits- und Gesellschaftsrechts. Der Kläger hat behauptet, er habe sich mit dem zur Akte gereichten Bewerbungsanschreiben auf die ausgeschriebene Stelle beworben. Des Weiteren habe er einen Lebenslauf über die Jobbörse bei Indeed eingestellt.
Der Kläger hat zudem behauptet, die Beklagte habe ihm aufgrund seines Geschlechts abgesagt und seine Bewerbung ignoriert, ohne ihn zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Die Beklagte wolle ausschließlich Frauen beschäftigen. Dies werde durch ihre Stellenanzeige bewiesen. Die ausgeschriebene Stelle sei mittlerweile durch eine weibliche Person besetzt und die Stellenausschreibung auf Indeed gelöscht.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe seinen Anspruch fristgerecht geltend gemacht.
Der Kläger hat schließlich behauptet, das Durchschnittsgehalt eines Sekretärs in Potsdam betrage etwa 2.500,00 EUR brutto. Die Stelle sei als Vollzeitstelle ausgeschrieben gewesen. Es sei eine Entschädigung in Höhe von drei Bruttomonatsverdiensten angemessen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dem Kläger stehe kein Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung zu.
Die Beklagte hat behauptet, sie habe keine Anzeige auf Indeed geschaltet. Sie habe dort nicht einmal einen Account. Eine Anzeige habe auf Joyn geschaltet werden sollen. Vor Fertigstellung sei die Anzeige von dem Mitarbeiter Herrn B im Internetportal Joyn hochgeladen worden. Zu diesem Zeitpunkt sei keine Stelle frei gewesen. Mit der Stellenanzeige auf Indeed habe die Beklagte nichts zu tun.
Die Beklagte hat des Weiteren eine Bewerbung des Klägers über die Plattform Indeed bestritten. Der Kläger habe lediglich einen Lebenslauf hochgeladen. Ein Anschreiben oder eine Bewerbung seien der Beklagten nicht zugegangen, insbesondere das vorgebliche Bewerbungsschreiben vom 03.09.2022 nicht.
Zudem hat die Beklagte bestritten, nur Frauen beschäftigen zu wollen und, dass die Stelle nunmehr mit einer Frau besetzt sei. Es sei wieder eine Frau noch ein Mann eingestellt worden. Die Beklagte hat behauptet, die Bewerbung des Klägers sei nicht ernst gemeint und sei daher rechtsmissbräuchlich. Die Beklagte hat bestritten, dass der Kläger plane, nach Berlin oder ins Umland zu ziehen. Der Kläger habe in der Klageschrift vor dem Arbeitsgericht Passau vom 03.11.2022 behauptet, nach Bayern in die Nähe seines Onkels oder in den Umkreis ziehen zu wollen oder sich dies gut vorstellen zu können. Eine zeitgleiche Bewerbung in mehreren Bundesländern könne nicht ernst gemeint sein. Des Weiteren sei der Kläger ausweislich seines Lebenslaufes, der der Beklagten erst nach Klagezustellung bekannt geworden sei, für die Stelle einer Sekretärin überqualifiziert, was die Bewerbung ebenfalls nicht ernst gemeint erscheinen lasse. Dass die Bewerbung nicht ernst gemeint gewesen sei, ergebe sich aber insbesondere aus dem Klageverfahren vor dem Arbeitsgericht Passau, in dem der Kläger vergleichbare Schriftsätze eingereicht habe. Auch in diesem Verfahren habe die dortige Beklagte von dem Bewerbungsanschreiben und dem Kläger bis zum Klageverfahren keine Kenntnis gehabt. Die Beklagte vermutet zudem, der Kläger sei ein AGG-Hopper. Unstreitig führe er vor mehreren Arbeitsgerichten in ganz Deutschland eine Vielzahl von (mindestens 11) Verfahren und verlange AGG-Entschädigungen. Die Beklagte hat zuletzt die rechtzeitige Geltendmachung der Forderung nach § 15 Absatz 4 AGG bestritten.
Der Kläger wurde formlos am 14.10.2022 zum Gütetermin am 08.11.2022 um 10:15 Uhr geladen. Am 08.11.2022 um 10:35 Uhr erging ein klageabweisendes Versäumnisurteil gegen den Kläger. Das Versäumnisurteil wurde dem Kläger am 12.11.2023 zugestellt (Blatt 27 der Akte). Der Kläger legte mit Schriftsatz vom 11.11.2022, eingegangen beim Arbeitsgericht Potsdam am 21.11.2022, Einspruch ein. Auf die Verfügung vom 16.01.2023, ausgeführt am 18.01.2023 (Blatt 81 Rückseite der Akte), wurde der Kläger für den 01.02.2023 um 9:45 Uhr zum Einspruchskammertermin formlos geladen. Im Einspruchskammertermin am 01.02.2023 wurde ausweislich des Protokolls die ordnungsgemäße Ladung des Klägers festgestellt. Es wurde weiterhin festgestellt, dass nach Aufruf der Sache bis 10:10 Uhr niemand für den Kläger erschienen sei. Mit Schreiben vom 16.02.2023, eingegangen beim Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel am 20.02.2023, beantragte der Kläger das Protokoll zu berichtigen. Ergänzt werden müsse, dass der Kläger zweimal während der Wartezeit angerufen habe, einmal bei der Geschäftsstelle und einmal bei einem Rechtspfleger.
Das Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel hat auf die mündliche Verhandlung vom 01.02.2023 den Einspruch des Klägers gegen das Versäumnisurteil vom 08.11.2022 durch Erlass eines zweiten Versäumnisurteils verworfen.
Gegen dieses, dem Kläger am 07.02.2023 zugestellte zweite Versäumnisurteil, legte dieser mit Schriftsatz vom 27.02.2023 Berufung ein und begründete diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 12.05.2023 mit Schriftsatz vom 06.05.2023.
Der Kläger ist der Auffassung, es liege kein Fall schuldhafter Säumnis vor. Das Arbeitsgericht habe ein zweites Versäumnisurteil erlassen, obwohl der Kläger innerhalb der Wartefrist angerufen und mitgeteilt habe, dass er sich wegen eines unvorhergesehenen Staus verspäte. Beim Eintreffen am Arbeitsgericht habe er ein zweites Mal auf der Geschäftsstelle angerufen, da der Sitzungssaal verschlossen gewesen sei. Auf einen Anruf der Geschäftsstelle beim Rechtspfleger sei dieser zum Sitzungssaal gekommen. Der Rechtspfleger habe nach Rücksprache dem Kläger mitgeteilt, dass ein zweites Versäumnisurteil erlassen wurde. Der Kläger ist der Auffassung, die Wartefrist verlängere sich, wenn eine Partei innerhalb der Wartefrist bei Gericht anrufe und ankündige, dass sie zeitnah erscheinen werde. Die Säumnis sei zudem unverschuldet. Der Kläger habe einen Zeitpuffer von einer Stunde eingeplant. Auf dem Weg hätte es unvorhersehbare Verzögerungen gegeben. Weiterhin sei eine Ladung zur Unzeit erfolgt. Der Kläger ist weiterhin der Auffassung, die Ladung sei nicht ordnungsgemäß erfolgt. Die Zustellung sei erst am Montag, den 30.01.2023 und damit später als üblich erfolgt, da im Zustellbereich des Klägers in Niedersachsen zu diesem Zeitpunkt gestreikt worden sei. Auf die Einhaltung der Ladungsfrist habe er nicht verzichtet. Der Kläger ist schließlich der Auffassung, die Uhr im Gerichtssaal sei falsch gegangen. Das Arbeitsgericht hätte aus diesen Gründen den Einspruchskammertermin von Amts wegen vertagen müssen.
Der Kläger beantragt unter Rücknahme im Übrigen zuletzt,
unter Abänderung des am 01.02.2023 verkündeten und am 07.02.2023 zugestellten Urteils des Arbeitsgerichts Brandenburg an der Havel (5 Ca 10163/23) zu erkennen,
unter Abänderung des 1. Versäumnisurteils vom 08.11.2022, das 2. Versäumnisurteil vom 01.02.2023 aufzuheben und die Sache an das Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, der Kläger sei verschuldet säumig gewesen. Da dem Kläger die Ladung zugegangen sei, habe er deren verspäteten Zugang darzulegen. Zudem sei der Kläger auch am Terminstag erschienen, was eine etwaig verspätete Zustellung geheilt habe. Bestritten werde, dass er als Jurist keine Kenntnis von Ladungsfristen habe. Bei Versendung per Post sei am zweiten Werktag nach Versendung von einer Zustellung auszugehen. Weiterhin habe der Kläger kurz vor dem Termin nochmals vorgetragen, was als Verzicht auf die Ladungsfrist zu verstehen sei. Der Zugang der Ladung an sich sei unstreitig; der ordnungsgemäße Zugang sei zudem im Protokoll vermerkt. Die Beklagte ist weiterhin der Auffassung, das Arbeitsgericht habe nicht länger auf den Kläger im Einspruchskammertermin warten müssen. Wenn der Kläger eine Verspätung von 10 Minuten ankündige, hätte er sich bis spätestens 9:55 Uhr im Gerichtssaal einfinden müssen. Bis zum Aufruf um 10:10 Uhr sei der Kläger nicht erschienen. Der Kläger habe während der Verhandlung kein zweites Mal angerufen. Zu weiterem Zuwarten sei das Gericht nicht verpflichtet gewesen.
In der Sache behauptet die Beklagte ergänzend zu ihrem erstinstanzlichen Vorbringen, dass ihr ein Bewerbungsschreiben nicht zugegangen sei und dass die Beklagte keine freie Stelle zu besetzen gehabt habe. Die Bewerbung sei nicht ernsthaft, denn der Kläger habe sich nur 20 Tage später in Bayern beworben.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Rechtsvortrages wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
A.
Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet.
I.
Die Berufung des Klägers ist nach §§ 8 Absatz 2, 64 Absatz 1 und 2 Buchstabe d) ArbGG (Arbeitsgerichtsgesetz) statthaft sowie form- und fristgerecht im Sinne der §§ 64 Absatz 6, 66 Absatz 1 Satz 1, 2 und 5 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 Abs. 1 ZPO (Zivilprozessordnung) eingelegt und begründet worden.
1.
Dabei ist es ausreichend aber auch erforderlich, dass die Berufung damit begründet wird, dass ein Fall der schuldhaften Säumnis nicht vorgelegen habe. Anders als im Verfahren vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist für die Zulässigkeit nicht erforderlich, dass die Begründung schlüssigen Tatsachenvortrag dazu enthält, dass ein Fall der schuldhaften Säumnis nicht vorgelegen habe. Diese zu § 514 Absatz 2 ZPO ergangene Rechtsprechung (BGH, 25.11.2008 – VI ZR 317/07, NJW 2009, 687; BGH, 03.11.2005 – I ZR 53/05, NJW 2006, 448; Heßler in Zöller, ZPO, 32. Auflage 2016, § 514 Rn. 12) findet im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren keine Anwendung, weil auch § 514 Absatz 2 ZPO nicht anwendbar ist. Insoweit ist § 64 Absatz 2 Buchstabe d) ArbGG eine die Regelung des § 514 Abs. 2 ZPO verdrängende Sondervorschrift (Schleusener in Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 10. Auflage 2022, § 64 Rn. 62) im Sinne des § 64 Absatz 6 Satz 1 ArbGG.
Entsprechend der vorgenannten Grundsätze hat der Kläger die Berufung hinreichend begründet. Er hat sich darauf berufen, dass kein Fall schuldhafter Säumnis vorgelegen habe. Er hat dabei zum einen darauf verwiesen, binnen der Wartefrist angerufen und sein verspätetes Eintreffen mitgeteilt zu haben, weshalb das Arbeitsgericht hätte längere Zeit zuwarten müssen. Zum anderen hat er sich auf eine nicht ordnungsgemäße Ladung berufen, da die dreitägige Ladungsfrist nicht eingehalten sei, weshalb das Arbeitsgericht ebenfalls den Termin hätte von Amts wegen vertagen müssen.
2.
Die Berufung blieb auch nach Rücknahme des zunächst gestellten Hilfsantrages zu 2. zulässig. Die Berufungsbegründung entspricht auch nach dieser Teilrücknahme den Anforderungen des § 520 Absatz 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO.
a.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt auch ein lediglich auf Aufhebung und Zurückverweisung gerichteter Antrag grundsätzlich dem Erfordernis, dass die Berufungsbegründung die Erklärung enthalten muss, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge). Denn in der Regel lässt dieser Antrag die Weiterverfolgung des bisherigen Sachbegehrens als Ziel des Rechtsmittels erkennen (BGH, 22.03.2006 - VIII ZR 212/04, NJW 2006, 2705 Rn. 8 mit weiteren Nachweisen). In einem solchen Fall schadet es nicht, wenn ein ausdrücklicher Sachantrag unterbleibt. Die Vorschrift des § 520 Absatz 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO soll den Berufungskläger im Interesse der Beschleunigung des Berufungsverfahrens dazu anhalten, sich eindeutig über Umfang und Ziel seines Rechtsmittels zu erklären und Berufungsgericht sowie Prozessgegner über Umfang und Inhalt seiner Angriffe möglichst schnell und zuverlässig ins Bild setzen. Sie erfordert dafür nicht unbedingt einen förmlichen Antrag. Vielmehr reicht es aus, wenn die innerhalb der Begründungsfrist eingereichten Schriftsätze des Berufungsklägers ihrem gesamten Inhalt nach eindeutig ergeben, in welchem Umfang und mit welchem Ziel das Urteil angefochten werden soll (BGH, 22.03.2006 - VIII ZR 212/04, NJW 2006, 2705 Rn. 8 mit weiteren Nachweisen). Der bloße Antrag auf Aufhebung und Zurückverweisung ohne (weiteren) Sachantrag kann dann als ordnungsgemäßer Berufungsantrag gewertet werden, wenn der Berufungsbegründung ansonsten hinreichend klar entnommen werden kann, ob bzw. in welchem Umfang der erstinstanzliche Antrag weiterverfolgt wird (BGH, 22.03.2006 - VIII ZR 212/04, NJW 2006, 2705 Rn. 9).
b.
Dementsprechend wird aus dem gestellten Antrag samt der Berufungsbegründung des Klägers erkennbar, inwieweit das erstinstanzliche Urteil angefochten und eine Abänderung beantragt werden. Der Kläger beantragt zuletzt unter Abänderung des 1. Versäumnisurteils, das 2. Versäumnisurteil aufzuheben und die Sache an das Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. Der Kläger beruft sich zudem in seiner Berufungsbegründung einschränkungslos darauf, dass das Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel die Klage zu Unrecht abgewiesen habe und das Urteil insoweit zur Überprüfung durch das Berufungsgericht gestellt werde. Er nimmt vollumfänglich auf den erstinstanzlichen Vortrag Bezug und trägt sodann ergänzend vor. Der Kläger greift damit das erstinstanzliche Urteil vollumfänglich an und stellt es insgesamt zur Überprüfung.
Mit der Rücknahme des Hilfsantrags zu 2. hat der Kläger ersichtlich keine Beschränkung des Prüfungsumfanges der durch ihn eingelegten Berufung bezweckt. Die Teilrücknahme war Ergebnis der inhaltlichen Erörterungen im Termin, zu denen der Klägervertreter mitgeteilt hat, sich zu den einzelnen Punkten nicht einlassen zu können. Auf die vom Klägervertreter mündlich formulierte Frage, ob ihm auf die Erörterungsinhalte eine weitere Stellungnahmefrist gewährt werde und zur Antwort des Gerichts, dass diese Frage der Schlussberatung vorbehalten bleibe sowie die Vorberatung auf Grundlage der angekündigten Anträge erfolgte, nahm er den Hilfsantrag zu 2. zurück. Der Kläger wollte ersichtlich der von ihm favorisierten Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel Nachdruck verleihen, nicht aber seinem zunächst zulässigen Rechtsmittel die Zulässigkeit durch (unzulässige) Beschränkung des Berufungsumfangs entziehen.
II.
Die Berufung des Klägers ist unbegründet, weshalb sie zurückzuweisen war. Zwar ist das zweite Versäumnisurteil am 01.02.2023 in unzulässiger Weise ergangen, weil ein rechtzeitiger Ladungsnachweis gegen den Kläger nicht vorliegt und er als nicht säumig galt. Die Klage hat aber in der Sache keinen Erfolg. Dem Kläger steht der gegen die Beklagte eingeklagte Anspruch nicht zu, weshalb das erste Versäumnisurteil als aufrechterhalten gilt.
1.
Das zweite Versäumnisurteil vom 01.02.2023 des Arbeitsgerichts Brandenburg an der Havel ist zu Unrecht ergangen. Mangels rechtzeitiger Ladung hätte die Verhandlung vertagt werden müssen.
a.
Die Berufung gegen ein Zweites Versäumnisurteil setzt nach § 514 Absatz 2 ZPO voraus, dass der Berufungskläger in dem früheren Einspruchskammertermin nicht säumig gewesen ist. Daher könnte die Berufung an sich nur dann Erfolg haben, wenn eine Säumnis nicht vorgelegen hat, weil zum Beispiel die Partei nicht oder nicht rechtzeitig geladen worden ist. Der fehlenden Säumnis steht das unverschuldete Nichterscheinen gleich. Diese Säumnis genügt aber grundsätzlich nur dann dem § 514 Absatz 2 ZPO, wenn sie dem Gericht rechtzeitig mitgeteilt worden ist, weil nur dann das Gericht seiner aus § 337 ZPO folgenden Pflicht zur Vertagung genügen kann. Hiervon gilt eine Ausnahme lediglich für den Fall, dass der Säumige unverschuldet nicht nur an der Wahrnehmung des Termins, sondern auch daran gehindert gewesen ist, dieses Ereignis dem Gericht rechtzeitig mitzuteilen.
Daraus folgt andererseits, dass die Berufung nach § 514 Absatz 2 ZPO nicht begründet ist, wenn entweder die Säumnis schuldhaft gewesen oder die unverschuldete Säumnis nicht rechtzeitig mitgeteilt worden ist, obwohl dies möglich war. Der Berufungskläger trägt dafür die Darlegungslast.
Ein zweites Versäumnisurteil darf erlassen werden, wenn der Einspruchsführer im Termin zur Verhandlung über seinen Einspruch säumig ist, weil er nicht erscheint oder nicht zur Hauptsache verhandelt, § 345 ZPO. Säumnis in diesem Sinne setzt nach allgemein für den Erlass von Versäumnisentscheidungen geltenden Grundsätzen voraus, dass der nicht erschienenen Partei der korrekt anberaumte Termin ordnungsgemäß bekannt gemacht war. Die Bekanntmachung erfolgt durch Ladung der Partei nach Maßgabe der Vorschriften in §§ 214 fortfolgende ZPO, wobei gemäß § 218 ZPO eine Ladung zu solchen Terminen entbehrlich ist, die in verkündeten Entscheidungen bestimmt worden sind. Fehlt es an beidem, darf – vorbehaltlich der Sonderfälle nach §§ 331 Absatz 3, 497 Absatz 2 ZPO – gemäß § 335 Absatz 1 Nr. 2 ZPO kein Versäumnisurteil ergehen (BGH, 20.12.2010 - VII ZB 72/09, juris, Rn. 11). Die Versäumnisentscheidung ist unzulässig, wenn die nicht erschienene Partei nicht ordnungsgemäß, insbesondere nicht rechtzeitig geladen war. Der Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils ist dann zurückzuweisen, § 335 Absatz 1 Nr. 2 ZPO, und die Verhandlung zu vertagen, § 337 ZPO.
b.
Vorliegend ist eine ordnungsgemäße Ladung des Klägers zum Einspruchskammertermin nicht ersichtlich.
aa.
Die Terminsbestimmung nach Eingang des Einspruchs gegen das Versäumnisurteil vom 08.11.2022 richtete sich nach § 341a ZPO. Danach ist der Termin zur mündlichen Verhandlung über Einspruch und die Hauptsache den Parteien bekannt zu machen. Die Bekanntmachung entspricht der Ladung beider Parteien (MüKoZPO/Prütting, 6. Auflage 2020, ZPO § 341a Rn. 3). Gemäß § 214 ZPO war die Ladung von Amts wegen zu veranlassen mit dem Inhalt gemäß § 215 ZPO und durch Zustellung spätestens drei Tage vor dem Terminstag, § 217 2. Alt. ZPO. Die Zustellung hatte förmlich, das heißt bei der anwaltlich nicht vertretenen Partei gemäß Zustellungsurkunde, zu erfolgen; die formlose Ladung der anwaltlich nicht vertretenen Partei kann gemäß § 497 Absatz 1 ZPO nur zu dem auf die Klage folgenden Termin erfolgen (MüKoZPO/Deppenkemper, 6. Auflage 2020, § 497 Rn. 3), das heißt zum Gütetermin.
bb.
Eine rechtzeitige Ladung des Klägers kann danach nicht festgestellt werden.
(1)
Der Kläger ist zum Einspruchskammertermin formlos geladen worden. Er behauptet, die Ladung erst am 30.01.2023 erhalten zu haben. Eine Zustellungsurkunde im Sinne des § 182 ZPO, die den Zeitpunkt der Zustellung der Ladung nachweisen könnte, enthält die Akte nicht. Mangels anderer Anhaltspunkte ist die Behauptung des Klägers zum Zeitpunkt des Zugangs zugrunde zu legen. Bei einem Zugang der Ladung am 30.01.2023 war die nach § 217 ZPO zu wahrende dreitägige Ladungsfrist bis zum Einspruchskammertermin am 01.02.2023 nicht gewahrt, da bei der Berechnung der Frist der Tag der Zustellung und des Termins nicht eingerechnet werden (MüKoZPO/Stackmann, 6. Auflage 2020, § 217 Rn. 5).
(2)
Durch das Sitzungsprotokoll vom 01.02.2023 ist die ordnungsgemäße Ladung einschließlich der Zustellung eines Ladungsschreibens nicht nachgewiesen. Zwar findet sich dort die Feststellung, der Kläger sei zu dem Termin ordnungsgemäß geladen. Damit ist aber nur nachgewiesen, dass das Gericht eine entsprechende Feststellung geäußert hat. Der Inhalt der Feststellung nimmt dagegen nicht an der besonderen Beweiskraft des Protokolls gemäß § 165 ZPO teil, die sich nur auf den äußeren Hergang der Verhandlung bezieht.
(3)
Der Mangel der rechtzeitigen Zustellung und der damit nicht gewahrten Ladungsfrist ist nicht geheilt.
Die Einhaltung von Ladungsfristen ist grundsätzlich verzichtbar (MüKoZPO/Prütting, 6. Auflage 2020, § 295 Rn. 25).
§ 189 ZPO greift bei Fehlern in der Form der Zustellung. Wird vorliegend auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs abgestellt, ist die dreitätige Ladungsfrist nicht gewahrt. Auch eine Heilung nach § 295 ZPO liegt nicht vor. Es handelt sich beim Verzicht um eine einseitige prozessuale Erklärung (MüKoZPO/Prütting, 6. Auflage 2020, § 295 Rn. 34). Eine Verzichtserklärung auf Seiten des Klägers ist nicht ersichtlich. Weder die Einreichung eines Schriftsatzes vor dem Einspruchskammertermin noch der Versuch am Tag des Einspruchskammertermins, rechtzeitig zum Termin zu erscheinen, erfüllen die Voraussetzungen einer prozessualen Verzichtserklärung.
2.
Der Rechtsstreit war nicht an das Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel zurückzuverweisen. Das Gericht konnte in der Sache entscheiden. Der Rechtsstreit war entscheidungsreif.
a.
In den Fällen des § 538 Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 bis 4, 6 ZPO entscheidet das Landesarbeitsgericht entsprechend dem Grundsatz von § 538 Absatz 1 ZPO in der Sache selbst, es sei denn, es hält eine eigene Entscheidung nicht für geboten. Grundvoraussetzungen für eine Zurückverweisung sind das Vorliegen eines Zurückverweisungsantrages mindestens einer Partei und die fehlende Entscheidungsreife (Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath/Pfeiffer, Arbeitsrecht, 5. Auflage 2022, § 68 ArbGG Rn. 7). Ein Rechtsstreit ist zur Entscheidung reif, sobald das Gericht darüber zu befinden vermag, ob der Klage stattzugeben ist oder sie als unzulässig oder als unbegründet abgewiesen werden muss. Dies setzt voraus, dass der entscheidungserhebliche Tatsachenstoff hinreichend geklärt worden ist (MüKoZPO/Musielak, 6. Auflage 2020, ZPO § 300 Rn. 2 mit weiteren Nachweisen). Zudem eröffnet die Formulierung in § 538 Absatz 2 Satz 1 ZPO („darf… zurückverweisen“) einen eingeschränkten Ermessensspielraum, als es hierfür sachdienliche Gründe geben muss (Schwab in Schwab/Weth, ArbGG, 6. Auflage 2022, § 68 Rn. 26).
b.
Dementsprechend war der Rechtsstreit nicht zurückzuverweisen, sondern in der Sache selbst zu entscheiden.
Ein Zurückverweisungsantrag des Klägers lag vor, weshalb zu prüfen war, ob der Rechtsstreit entscheidungsreif war. Die Rücknahme des Hilfsantrags zu 2. ändert am dargestellten Prüfungsumfang nichts. Danach war der Rechtsstreit entscheidungsreif. Sämtliche Tatsachen für den geltend gemachten Entschädigungsanspruch waren von den Parteien in den Schriftsätzen an das Arbeitsgericht angesprochen und aus ihrer jeweiligen Sicht vorgetragen. Das gilt insbesondere für die Darlegung des Bewerberstatus, die Arbeitgeberstellung der Beklagten und einen etwaigen Rechtsmissbrauch. Dass einzelne Tatsachen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung streitig bleiben, steht der Entscheidungsreife nicht entgegen.
Der Verlust einer Tatsacheninstanz für den Kläger überwiegt das im arbeitsgerichtlichen Verfahren stets zu beachtende Beschleunigungsgebot nicht. Der Klägervertreter hat in der mündlichen Verhandlung lediglich pauschal mitgeteilt, sich auf die einzelnen zu erörternden Fragen nicht einlassen zu können, ohne dies in Bezug auf einzelne Inhalte näher zu begründen. Dass auch der klageweise geltend gemachte Entschädigungsanspruch Gegenstand der mündlichen Verhandlung sein würde, ergibt sich aus § 538 ZPO, an dem der Klägervertreter auch seine Anträge orientierte. Weiterhin hat die Beklagte in ihrer Berufungsbeantwortung neben ihren Ausführungen zu § 514 ZPO nochmals inhaltlich zu allen Sachfragen Stellung genommen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung sind keine anderen Sach- und Rechtsfragen aufgeworfen worden, die zuvor nicht Gegenstand der Schriftsätze gewesen wären.
3.
Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Einspruch des Klägers vom 11.11.2022 gegen das Versäumnisurteil vom 08.11.2022 war zulässig. Dadurch wurde der Rechtsstreit in die Lage zurückversetzt, in der er sich vor Eintritt der Säumnis befand, § 342 ZPO. Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung gemäß § 15 Absatz 2 AGG, weshalb das erste Versäumnisurteil als aufrechterhalten gilt.
a.
Der Einspruch des Klägers gegen das Versäumnisurteil vom 08.11.2022 ist zulässig.
aa.
Der Einspruch ist nach §§ 59 Satz 1 ArbGG, 338 ZPO statthaft. Gegen den Kläger ist am 08.11.2022 ein Versäumnisurteil verkündet worden.
bb.
Der Einspruch ist form- und fristgemäß. Er ist durch unterzeichneten Schriftsatz vom 11.11.2022 eingelegt, welcher beim Arbeitsgericht Potsdam am 21.11.2022 einging. Das Versäumnisurteil vom 08.11.2022 wurde dem Kläger am 12.11.2022 zugestellt. Damit lief die einwöchige Einspruchsfrist grundsätzlich am 19.11.2022 ab. Da dies jedoch ein Samstag war, lief die Frist erst mit Ablauf des kommenden Montags, dem 21.11.2022 ab, § 193 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch).
Der Rechtsstreit war damit in die Lage zurückversetzt, in der er sich vor Eintritt der Säumnis befand, § 342 ZPO.
b.
Der Einspruch des Klägers gegen das Versäumnisurteil vom 08.11.2022 ist unbegründet. In Anwendung der Regelung des § 343 Satz 1 ZPO gilt das erste Versäumnisurteil vom 08.11.2022 als aufrechtzuerhalten. Der Kläger kann von der Beklagten nicht die Zahlung einer Entschädigung gemäß § 15 Absatz 2 AGG beanspruchen.
aa.
Der Entschädigungsanspruch ist nicht verfallen. Die Klageschrift ist der Beklagten am 07.10.2022 zugestellt worden und damit vor Ablauf einer Frist von zwei Monaten, auch ohne dass eine Absage der behaupteten Bewerbung vom 03.09.2022 festgestellt werden kann. Damit ist sowohl die Frist des § 15 Absatz 4 Satz 1 AGG als auch die Frist des § 61b Absatz 1 ArbGG gewahrt (vergleiche BAG, 22.05.2014 – 8 AZR 662/13, RdA 2015, 353 Rn. 10 fortfolgende).
bb.
Es ist nicht ersichtlich, dass der persönliche Anwendungsbereich des AGG eröffnet ist, insbesondere dass der Kläger als Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis gilt, § 6 Absatz 1 Satz 2 Alternative 1 AGG.
(1)
Für Bewerber wird festgelegt, dass sie als Beschäftigte „gelten“. Schutz vor Benachteiligung soll vor der Anbahnung des Arbeitsverhältnisses (BAG, 16.2.2012 – 8 AZR 697/10, NZA 2012, 669), während seiner Durchführung bis hin zu seiner Beendigung und darüber hinaus geboten werden. Die Eigenschaft als „Bewerber“ ist nach der Rechtsprechung (BAG, 15.12.2016 – 8 AZR 454/15, NZA 2017, 715) formal danach zu bestimmen, ob ein Bewerbungsschreiben eingereicht worden (BAG, 19.12.2019 – 8 AZR 2/19, NZA 2020, 707) und dem Arbeitgeber zugegangen ist (BAG, 23.01.2020 – 8 AZR 484/18, NZA 2020, 851). Zugegangen im Sinne von § 130 Absatz 1 Satz 1 BGB ist eine Willenserklärung, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von ihr Kenntnis zu nehmen. Zum Bereich des Empfängers gehören von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen. Ob die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist nach den „gewöhnlichen Verhältnissen“ und den „Gepflogenheiten des Verkehrs“ zu beurteilen. Dabei ist nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers abzustellen. Im Interesse der Rechtssicherheit ist vielmehr eine generalisierende Betrachtung geboten. Wenn für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist es unerheblich, ob er daran durch Krankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere besondere Umstände einige Zeit gehindert war. Ihn trifft die Obliegenheit, die nötigen Vorkehrungen für eine tatsächliche Kenntnisnahme zu treffen. Unterlässt er dies, wird der Zugang durch solche – allein in seiner Person liegenden – Gründe nicht ausgeschlossen (stetige Rechtsprechung, vergleiche BAG, 23.01.2020 – 8 AZR 484/18, NZA 2020, 851 mit weiteren Nachweisen Rn. 18).
(2)
Entsprechend der vorgenannten Grundsätze hat der Kläger in dem behaupteten Bewerbungsverfahren keinen Bewerberstatus erlangt, so dass er nicht als Beschäftigter im Sinne des AGG gilt.
Der Vortrag des Klägers, er habe sich mit dem zur Akte gereichten Bewerbungsanschreiben vom 03.09.2022 auf eine durch die Beklagte bei Indeed veröffentliche Stellenanzeige beworben, genügt für die Erlangung des formalen Bewerberstatus nicht.
Unabhängig vom Bestreiten der Beklagten, die streitgegenständliche Stellenanzeige auf Indeed veröffentlicht zu haben, hat die Beklagte weiter vorgetragen, dass sie nach Klageeingang geforscht habe und lediglich einen vom Kläger hochgeladenen Lebenslauf, aber kein Bewerbungsanschreiben gefunden habe. Auch nachdem der Kläger ein Bewerbungsanschreiben vom 03.09.2022 zur Akte gereicht hat, hat die Beklagte weiter vorgetragen, dass sie dieses Bewerbungsanschreiben nicht kenne; es ihr zu keinem Zeitpunkt zugegangen sei. Auf diesen Vortrag hat der Kläger seinen Vortrag nicht dahin konkretisiert, wie er sich konkret beworben haben will. Der Kläger hat weder dargelegt, wie der Bewerbungsprozess auf der Plattform Indeed abläuft, noch wie er konkret das besagte Bewerbungsschreiben derart hochgeladen hat, so dass die Beklagte die Möglichkeit gehabt hätte, von dessen Inhalt Kenntnis zu nehmen. Der Kläger hat weder eine Bestätigung des Eingangs des Bewerbungsanschreibens noch einen Screenshot zur Akte gereicht, aus welchem sich das Hochladen dieses Bewerbungsanschreibens sowie die Möglichkeit der Kenntnisnahme entnehmen lassen könnte.
Auch der Vortrag des Klägers, er habe einen Lebenslauf über die Jobbörse von Indeed erstellt und hochgeladen, genügt für die Erlangung des formalen Bewerberstatus nicht. Zwar hat die Beklagte eingeräumt, bei ihren Nachforschungen nach Klageerhebung diesen Lebenslauf gefunden zu haben. Dies allein genügt jedoch für die Erlangung des formalen Bewerberstatus nicht. Welche Funktionen die vom Kläger angesprochene Jobbörse auf Indeed hat und wie die Jobbörse mit veröffentlichten Stellenanzeigen verknüpft ist, ist nicht vorgetragen worden. Auch wenn unterstellt würde, der Lebenslauf wird bei Erstellung über die Jobbörse der konkreten Annonce zugeordnet, ergibt sich aus seinem Inhalt keine konkrete Bewerbung auf die streitgegenständliche Stelle. Der Lebenslauf nimmt an keiner Stelle Bezug auf die Ausschreibung einer Stelle im Sekretariat bei der Beklagten in Potsdam. Aus dem Text des Lebenslaufs wird nicht ersichtlich, dass sich der Kläger um die Stelle bewirbt.
Nach alledem hat der Kläger nicht den Status eines Bewerbers erlangt. Der Rechtsstreit war insoweit entscheidungsreif. Auf die Nachfrage des Klägervertreters im Termin zur mündlichen Verhandlung, ob ihm auf die erörterten Fragen eine Schriftsatzfrist gewährt werde, war eine solche Frist nicht zu gewähren. Die Beklagte hat in jedem ihrer Schriftsätze (in erster und zweiter Instanz) ausgeführt, dass sie das zur Akte gereichte Bewerbungsschreiben des Klägers nicht kenne und von der Existenz des Klägers erst durch das Klageverfahren Kenntnis erlangt habe. Es hätte daher dem Kläger oblegen, nähere Tatsachen vorzutragen, aus denen sich sein Status als Bewerber auf die streitgegenständliche Stelle ergibt.
c.
Weiterhin ist das Entschädigungsverlangen des Klägers dem durchgreifenden Einwand des Rechtsmissbrauchs, § 242 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch), ausgesetzt. Der Kläger hat sich nicht beworben, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, vielmehr ging es ihm mit der Bewerbung darum, nur den formalen Status eines Bewerbers im Sinn von § 6 Absatz 1 Satz 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, eine Entschädigung geltend zu machen.
aa.
Das Entschädigungsverlangen eines erfolglosen Bewerbers nach § 15 Absatz 2 AGG kann dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand ausgesetzt sein. Rechtsmissbrauch ist anzunehmen, sofern diese Person sich nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihr darum ging, nur den formalen Status als Bewerber im Sinn von § 6 Absatz 1 Satz 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung und/oder Schadensersatz geltend zu machen (BAG, 31.03.2022 – 8 AZR 238/21, NZA 2022, 1401 Rn. 37; BAG, 25.10.2018 - 8 AZR 562/16, NZA 2019, 527 Rn. 46 fortfolgende).
Nach § 242 BGB sind durch unredliches Verhalten begründete oder erworbene Rechte oder Rechtsstellungen grundsätzlich nicht schutzwürdig. Der Ausnutzung einer rechtsmissbräuchlich erworbenen Rechtsposition kann demnach der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegenstehen. Allerdings führt nicht jedes rechts- oder pflichtwidrige Verhalten stets oder auch nur regelmäßig zur Unzulässigkeit der Ausübung der hierdurch erlangten Rechtsstellung. Hat der Anspruchsteller sich die günstige Rechtsposition aber gerade durch ein treuwidriges Verhalten verschafft, liegt eine unzulässige Rechtsausübung im Sinn von § 242 BGB vor (BAG, 31.03.2022 – 8 AZR 238/21, NZA 2022, 1401 Rn. 38 mit weiteren Nachweisen). Für das Vorliegen der Voraussetzungen, die gegenüber einem Entschädigungsanspruch nach § 15 Absatz 2 AGG die Einwendung des Rechtsmissbrauchs begründen, ist der Arbeitgeber darlegungs- und beweisbelastet. Dieser muss deshalb Indizien vortragen und im Bestreitensfall beweisen, die den rechtshindernden Einwand begründen (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vergleiche etwa BAG, 31.03.2022 – 8 AZR 238/21, NZA 2022, 1401 Rn. 39; BAG, 25.10.2018 - 8 AZR 562/16, NZA 2019, 527 Rn. 48 mit weiteren Nachweisen). Unter diesen engen Voraussetzungen begegnet der Rechtsmissbrauchseinwand nach § 242 BGB gegenüber Ansprüchen aus § 15 AGG auch keinen unionsrechtlichen Bedenken (BAG, 31.03.2022 – 8 AZR 238/21, NZA 2022, 1401 Rn. 40; hierzu ausführlich BAG, 25.10.2018 – 8 AZR 562/16, NZA 2019, 527 Randnummer 49 mit weiteren Nachweisen).
bb.
Aufgrund der vorliegenden Umstände ist davon auszugehen, dass – dafür werden eine Bewerbung des Klägers und eine Stellenausschreibung von Seiten der Beklagten unterstellt - das Entschädigungsverlangen des Klägers dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand aus § 242 BGB ausgesetzt ist. Bei einer Würdigung aller Umstände im Zusammenhang mit seiner Bewerbung und der nachfolgenden Klageerhebung steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass es dem Kläger zu keinem Zeitpunkt darum ging, die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern dass er mit seiner Bewerbung nur die Voraussetzungen für die Zahlung einer Entschädigung schaffen wollte. Damit liegt sowohl das für den Rechtsmissbrauchseinwand erforderliche objektive als auch das erforderliche subjektive Element vor. Eine Person, die mit ihrer Bewerbung nicht die betreffende Stelle erhalten, sondern nur die formale Position eines Bewerbers/einer Bewerberin im Sinn von § 6 Absatz 1 Satz 2 AGG erlangen will mit dem alleinigen Ziel, eine Entschädigung nach § 15 Absatz 2 AGG geltend zu machen, handelt auch nach Unionsrecht rechtsmissbräuchlich (vergleiche EuGH, 28.07.2016 - C-423/15 - [Kratzer], NZA 2016, 1014 Rn. 35 fortfolgende).
Der Kläger hat sich seinem Vortrag nach am 03.09.2022 auf die Ausschreibung einer Stelle im Sekretariat beworben. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 30.09.2022, welcher beim Arbeitsgericht Potsdam am 04.10.2022 einging, Klage auf Zahlung einer Entschädigung erhoben. Der Kläger hat sich zu keinem Zeitpunkt bei der Beklagten nach dem Stand des Bewerbungsverfahrens erkundigt. So verhält sich jedoch kein Bewerber, der ein ernsthaftes Interesse an seiner Bewerbung hat. Es wäre vielmehr naheliegend gewesen, zunächst - bevor finanzielle Ansprüche geltend gemacht werden – nach dem Stand des Bewerbungsverfahrens zu fragen und im Fall der Mitteilung einer Ablehnung nach deren Gründen. Mit einer Nachfrage hätte der Kläger vielleicht auch erfahren, welchen Aspekt das Geschlecht tatsächlich für die Bewerbung und das Auswahlverfahren spielte. Wenn (zunächst) keine Rückäußerung auf eine Bewerbung erfolgt, kann das vielfältige Gründe haben, ohne dass das Bewerbungsverfahren bereits beendet sein muss. Es kann sein, dass die Auswahl geeigneter Bewerber für ein Bewerbungsgespräch längere Zeit in Anspruch nimmt, weil es eine Vielzahl von Bewerbungen gegeben hat. Eine Verzögerung kann auch – gerade in kleineren Unternehmen – eintreten, wenn die mit der Auswahl betrauten Personen aus verschiedenen denkbaren Gründen an der Fortsetzung des Auswahlverfahrens gehindert sind, sei es aufgrund vorrangiger anderer Aufgaben oder längerer Abwesenheit. Den Weg, nach der Bewertung seiner Bewerbung zu fragen, ist der Kläger nicht gegangen. Vielmehr hat er die Beklagte ohne weitere Kontaktaufnahme im Klageweg finanziell in Anspruch genommen und an eine Diskriminierung in der Stellenausschreibung angeknüpft. Das fehlende Interesse des Klägers, sich auch nur einmal nach seiner Bewerbung zu erkundigen, ist aber ein sehr deutlicher Hinweis darauf, dass er den Umstand, dass die Stellenausschreibung Indizien aufwies, dass die Stelle unter Verstoß gegen § 7 Absatz 1 AGG ausgeschrieben wurde, dergestalt für sich ausnutzen wollte, dass er sich formal bewerben wollte, das vorrangige Ziel aber darin bestand, möglichst schnell zur Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen überzugehen. Dem entspricht auch der vorletzte Satz seiner Klageschrift. Er lautet: „Die Beklagte lehnt eine gütliche außergerichtliche Lösung ab, obwohl sie ersichtlich gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verstößt.“ Da es kein Bewerbungsgespräch, keine Mitteilung von Ablehnungsgründen, keine Absage und auch sonst keine vorgerichtliche Korrespondenz gab – wie der Kläger weiß -, wird deutlich, dass der Kläger sein gesamtes Vorgehen auf der Formulierung der Stellenausschreibung aufbaute. Daraus ergibt sich aber, dass er sich nur auf die nicht diskriminierungsfrei formulierte Ausschreibung bewarb, um formal als Bewerber gelten zu können.
Dass es dem Kläger mit seiner Bewerbung ausschließlich oder ganz überwiegend darum ging, die Voraussetzungen vorzubereiten, um anschließend eine Entschädigung zu verlangen, wird auch dadurch bestätigt, dass er ohne den Stand des Bewerbungsverfahrens oder etwaige Ablehnungsgründe zu kennen, in der erhobenen Klage mehrfach behauptet, seine Bewerbung sei von der Beklagten abgelehnt worden und das aus Gründen seines Geschlechts. Er behauptete weiter, die Beklagte wolle ausschließlich Frauen einstellen, sie habe darauf bestanden, dass diese Position mit einer Frau besetzt werde und die Stelle sei mittlerweile mit einer weiblichen Bewerberin besetzt. Das alles hat der Kläger behauptet, ohne später auf Bestreiten der Beklagten seine Behauptungen in irgendeiner Weise näher substantiieren zu können. Der Kläger wollte mit diesen Formulierungen ersichtlich den Eindruck erwecken, die Beklagte habe auf die Bewerbung des Klägers in diskriminierender Art und Weise reagiert.
Auch das weitere Vorgehen des Klägers bekräftigt die Einschätzung, der Kläger gehe rechtsmissbräuchlich vor. Nach dem unbestrittenen Vorbringen der Beklagten hat der Kläger auf eine behauptete Bewerbung am 23.09.2022 auf eine Stellenanzeige in Bayern unter dem 03.11.2022 mit vergleichbarem Vorgehen und Wortlaut Klage auf Entschädigung vor dem Arbeitsgericht Passau erhoben. Auch im dortigen Verfahren gab es keine Absage seitens der Beklagten, hat der Kläger vor Klageerhebung nicht bei der Beklagten nachgefragt, denn auch die dortige Beklagte hat vom Kläger erst im Klageverfahren Kenntnis erlangt; und dennoch hat der Kläger auch dort in der Klageschrift behauptet, ihm sei aufgrund seines Geschlechts abgesagt und die Stelle mit einer weiblichen Person besetzt worden. Die Gleichartigkeit des Vorgehens bekräftigt die Annahme eines zielgerichteten Vorgehens.
Gegen die Bewertung der vorstehenden Umstände im Zusammenhang mit der Frage des Rechtsmissbrauchs, also auch der Art und Weise der Klageerhebung spricht nicht die vom Kläger zitierte Rechtsprechung, nach der sich die Beklagte für die Darlegung des Rechtsmissbrauchs lediglich auf Umstände im Bewerbungszeitraum bis zur Absage berufen könne (BAG, 26.01.2017 – 8 AZR 848/13, juris Rn. 142). Da es vorliegend keine formale Absage der Beklagten gibt, ist ein Berufen auf die Umstände der Klageerhebung nicht ausgeschlossen.
Auch hinsichtlich der Frage des Rechtsmissbrauchs war der Rechtsstreit entscheidungsreif. Die Beklagte hat in jedem ihrer Schriftsätze (in erster und zweiter Instanz) auf das Vorgehen des Klägers vorgerichtlich und im hiesigen Klageverfahren sowie vor dem Arbeitsgericht Passau hingewiesen. Es war für den Kläger ersichtlich, dass es nunmehr ihm oblag, dem Vorwurf des Rechtsmissbrauchs widersprechende Tatsachen vorzutragen, weshalb keine weitere Stellungnahmefrist zu gewähren war.
B.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Absatz 6 ArbGG in Verbindung mit § 97 Absatz 1 ZPO. Der Kläger hat die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
C.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 72 Absatz 2 ArbGG liegen nicht vor. Der Kläger wird auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde hingewiesen, § 72a ArbGG.