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Einwurfeinschreiben; gewöhnliche Postzustellzeiten in Berlin; Maßregelungsverbot


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Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 5. Kammer Entscheidungsdatum 16.05.2024
Aktenzeichen 5 Sa 893/23 ECLI ECLI:DE:LAGBEBB:2024:0516.5SA893.23.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 130 BGB; § 612 a BGB

Leitsatz

1.

Ein- und Auslieferungsbeleg eines Einwurfeinschreibens begründen keinen Anscheinsbeweis für den im Auslieferungsbeleg genannten Tag der Zustellung, wenn der Auslieferungsbeleg eine falsche Postleitzahl ausweist.

2.

Im Bereich der Stadt B. ist nach der Verkehrsanschauung bis jedenfalls 15.30 Uhr mit einer Entnahme von Postsendungen aus dem Briefkasten zu rechnen. Jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt in einen Wohnungsbriefkasten eigeworfene Postsendungen gehen der adressierten Person am gleichen Tag zu.

3.

Den Arbeitnehmer trifft die volle Beweislast dafür, dass er vom Arbeitgeber durch den Ausspruch der Kündigung benachteiligt worden ist, weil er in zulässiger Weise seine Rechte ausgeübt hat. Im Rahmen des § 612a BGB können dem Arbeitnehmer indessen Beweiserleichterungen nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises zugutekommen.

Dies ist dann der Fall, wenn ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der benachteiligenden Maßnahme und der Ausübung eines Rechts besteht. Besteht jedoch zugleich ein enger zeitlicher Zusammenhang zu anderen möglichen Kündigungsanlässen (hier: Ablauf der Probezeit), scheidet der Anscheinsbeweis aus.

Tenor

I.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 11. Mai 2023 – 42 Ca 5964/22 – wird als unzulässig verworfen, soweit sie gegen die Abweisung der mit dem Klageantrag zu 2. erhobenen Klage gerichtet ist.

II.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 11. Mai 2023 – 42 Ca 5964/22 – im Übrigen abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger eine Lohnabrechnung für Juni 2022 zu erteilen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen

III.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

IV.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

V.
Die Revision des Klägers und der Beklagten werden nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

Der Kläger war aufgrund des Arbeitsvertrages vom 03. Dezember 2021 (Blatt 5 ff der Akte) seit dem 03. Dezember 2021 als Reinigungskraft bei der Beklagten zu einem Bruttomonatsgehalt von durchschnittlich 2.666,40 EUR beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer.

Der Jahresurlaub des Klägers betrug nach § 9 des Arbeitsvertrages vom 03. Dezember 2021 30 Tage. Mit Formular vom 27. Mai 2022 (Blatt 46 f der Akte), das er der Personalabteilung der Beklagten sowie deren Geschäftsführer zusandte, beantragte der Kläger Urlaub für den Zeitraum vom 07. Juni 2022 bis zum 06. Juli 2022.

Mit Schreiben vom 01. Juni 2022 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 17. Juni 2022 (Blatt 15 der Akte). Dieses Schreiben fand der Kläger am 03. Juni 2022 in seinem Briefkasten vor.

Später zahlte die Beklagte an den Kläger Vergütung für Juni 2022 bis zum 17. Juni 2022.

Mit der am 21. Juni 2022 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 28. Juni 2022 zugestellten Klage sowie einer Klageerweiterung hat sich der Kläger unter anderem gegen die Kündigung gewendet und die Herausgabe der Lohnabrechnung für Juni 2022 begehrt. Er hat vorgetragen, die Kündigung sei nach § 1 Kündigungsschutz (KSchG) unwirksam. Diese sei ihm nicht am 02. Juni 2022 zugegangen, an diesem Tag habe er seinen Briefkasten um 09.00 Uhr sowie zwischen 15.00 Uhr und 16.00 Uhr geleert und kein Kündigungsschreiben vorgefunden. Ferner sei sie gemäß § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nichtig, da sie gegen das Maßregelungsverbot nach § 612 a BGB verstoße. Er habe Anfang des Jahres 2022 erfolglos Urlaub für April 2022 beantragt, ebenso erfolglos am 23. Januar 2022 Urlaub unter anderem für Juli 2022 (Blatt 44 der Akte). Parallel dazu habe er am 15. Februar 2022 einen Urlaubsantrag direkt bei der Personalabteilung gestellt (Blatt 41 der Akte). Seine Vorgesetzte habe ihm mitgeteilt, dass er im Sommer definitiv keinen Urlaub bekommen werde. Als er am 03. Juni 2022 zur Arbeit erschienen sei, habe man ihm mitgeteilt, er solle die Schlüssel abgeben, da er entlassen sei. An diesem Tag sei zudem ein Mitarbeiter der Beklagten zu ihm gekommen, um über seine übrigen Urlaubstage zu sprechen. Die Kündigung sei nur aufgrund der Geltendmachung des Urlaubs und als Sanktion für seine Beharrlichkeit hierbei ausgesprochen worden.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 01. Juni 2022 nicht zum 17. Juni 2022 aufgelöst wird;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 17. Juni 2022 hinaus fortbesteht;

3. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen, hilfsweise ein qualifiziertes Endzeugnis zu erteilen;

4. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger die Lohnabrechnung für Juni 2022 herauszugeben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen, die Kündigung vom 01. Juni 2022 sei dem Kläger bereits am 02. Juni 2022 zugegangen. Die Personalleiterin der Beklagten, die Zeugin A, habe das Kündigungsschreiben am 30. Juni 2022 erstellt und gemäß Einlieferungsbeleg (Blatt 60 der Akte) unter der Sendungsnummer XY als Einwurfeinschreiben zur Post aufgegeben. Die Kündigung sei gemäß der Reproduktion des Auslieferungsbeleges (Blatt 58 der Akte) durch den Zeugen B am 02. Juni 2022 zwischen 09.30 Uhr und 14.00 Uhr in den Briefkasten des Klägers eingeworfen worden. Die Kündigung verstoße nicht gegen das Maßregelungsverbot. Ein Urlaubsantrag des Klägers für den Monat April 2022 liege ihr nicht vor. Auch ein Urlaubsantrag vom 15.02.2022 sei ihr nicht bekannt. Der Kläger habe entgegen seinen Ausführungen nicht über Monate hinweg erfolglos versucht, bei der Beklagten Urlaub zu beantragen. Hierzu sei ein förmlicher Antrag auf dem hierfür vorgesehenen Antragsformular der Beklagten erforderlich, welches der Kläger am 27. Mai 2022 erstmals verwendet habe. Bereits zuvor habe sie entschieden, das Arbeitsverhältnis über die Probezeit hinaus nicht fortzusetzen. Ursächlich dafür sei insbesondere der Umstand gewesen, dass der Kläger wiederholt Arbeitsanweisungen des zuständigen Objektleiters als auch der Vorarbeiterin C missachtet habe und sich wiederholt geweigert habe, ihm zugewiesene Arbeiten auszuführen. Diese Entscheidung sei bereits am 23. Mai 2022 gefallen.

Das Arbeitsgericht hat durch Vernehmung des Zeugen B Beweis zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11. Mai 2023 (Blatt 93 ff der Akte) Bezug genommen.

Mit Urteil vom 11. Mai 2023 hat das Arbeitsgericht die Klage hinsichtlich der Anträge zu 1., 2. und 4. abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage sei hinsichtlich des Antrages zu 2. mangels Feststellungsinteresses unzulässig. Die angegriffene Kündigung sei nicht gemäß § 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) unwirksam, weil das KSchG auf das Arbeitsverhältnis der Parteien keine Anwendung finde. Das Kündigungsschreiben sei am 02. Juni 2022 in den Briefkasten des Klägers eingeworfen worden, was der Kläger nicht bestritten habe und wofür aufgrund des vorgelegten Einlieferungsbeleges und der Reproduktion des Auslieferungsbeleges ein Anscheinsbeweis spreche. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe auch fest, dass das Kündigungsschreiben gegen 14.30 Uhr, spätestens jedoch 16.00 Uhr vom Zeugen und damit vor Ende der üblichen Postzustellzeiten eingeworfen worden und damit zugegangen sei. Die Kündigung sei auch nicht gemäß § 612 a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unwirksam. Zwar habe der Kläger mit seinem Urlaubsantrag vom 27. Mai 2022 in zulässiger Weise seine Rechte ausgeübt, es sei aber nicht ersichtlich, dass dieser Antrag das wesentliche Motiv für die Kündigung gewesen sei. Der zeitliche Zusammenhang zur Kündigung vom 01. Juni 2022 ergebe sich aus dem Ablauf der Probezeit am 02. Juni 2022. Da der Kläger Arbeitsanweisungen habe schriftlich bekommen wollen, sei davon auszugehen, dass es zu Komplikationen in der Zusammenarbeit der Parteien gekommen sei, die das wesentliche Motiv für die Kündigung in der Probezeit gewesen seien. Der Anspruch auf Herausgabe der Lohnabrechnung für Juni 2022 sei nach § 108 Gewerbeordnung (GewO) sei mangels Vergütungszahlung nicht gerechtfertigt.

Gegen dieses dem Kläger am 24. Juli 2023 zugestellte Urteil richtet sich seine am 22. August 2023 eingegangene und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 23. Oktober 2023 am 22. Oktober 2023 begründete Berufung. Der Kläger trägt vor, das Arbeitsgericht habe nicht aufgrund des Auslieferungsbeleges von einem Anscheinsbeweis des Zugangszeitpunktes der Kündigung ausgehen dürfen, da es nicht festgestellt habe, dass der Zeuge B das ordnungsgemäße Zustellverfahren eingehalten habe. Zudem enthalte der Auslieferungsbeleg eine falsche Postleitzahl. Der Zeuge B habe ausgesagt, dass es auch sein könne, dass er die Sendung erst um 16:30 Uhr oder später eingeworfen habe, beziehungsweise dass es schon auch mal später geworden sein könne. Diese letzte Aussage hat das Arbeitsgericht trotz Protest des Klägervertreters nicht ins Sitzungsprotokoll aufgenommen und in seiner Entscheidung unberücksichtigt gelassen. Fehlerhaft habe das Arbeitsgericht hinsichtlich der Bestimmung der Uhrzeit des Einwurfs der Sendung in den Briefkasten des Klägers auf die allgemeinen Arbeitszeiten des Zeugen B abgestellt und unberücksichtigt gelassen, dass der Kläger am 02. Juni 2022 zwischen 15:00 Uhr und 16:00 Uhr kein Kündigungsschreiben seinem Briefkasten vorgefunden habe. Das Arbeitsgericht habe auch nicht begründet, warum es sich bei Zeiten bis 16.00 Uhr noch um allgemein übliche Postzustellzeiten handele. Diese endeten im Bereich des Klägers spätestens um 14.30 Uhr. Auch am 04. Februar 2022 habe der Kläger erfolglos einen Urlaubsantrag vom 03. Februar 2022 (Blatt 144 der Akte) für April, Mai, Juli und September 2022 gestellt. Mit seinen mehrfachen Urlaubsanträgen habe er in zulässiger Weise seine Rechte ausgeübt und habe in engem zeitlichen Zusammenhang zu seinem letzten Urlaubsantrag die Kündigung erhalten, weshalb das Arbeitsgericht zu Unrecht angenommen habe, dass diese nicht gegen das Maßregelungsverbot verstoße.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 11. Mai 2023, Az. 42 Ca 5964/22, abzuändern und   

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteiendurch die Kündigung der Beklagten vom 01.06.2022 nicht zum 17.06.2022 aufgelöst wurde;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch andere Beendigungstatbestände endete, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 17. Juni 2022 hinaus fortbestand;

3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger die Lohnabrechnung für Juni 2022 herauszugeben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, soweit sie erstinstanzlich vorgetragen habe, dass die Zeugin A das Kündigungsschreiben vom 01. Juni 2022 am 30. Juni 2022 erstellt und als Einwurfeinschreiben eingeliefert habe, sei das letztgenannte Datum auf dem 01. Juni 2022 zu berichtigen. Der Zeuge B habe bekundet, die in Rede stehende Sendung ausgescannt und den Auslieferungsvorgang auf dem Auslieferungsbeleg dokumentiert zu haben. Die Zustellung der Sendung sei nach alledem ordnungsgemäß erfolgt. Dass ihm das Kündigungsschreiben zu der im Auslieferungsbeleg genannten Sendungsnummer übersandt worden sei, habe der Kläger erstinstanzlich nicht in Zweifel gestellt. Der Zeuge habe auch nicht erklärt, dass er die Sendung erst 16.30 Uhr oder später eingeworfen haben könne. Diesem sei die Route im Einzelnen bekannt gewesen und er habe präzise angeben können, innerhalb welchen Zeitfensters er aufgrund des Routenverlaufs am Wohnort des Klägers eingetroffen sei und die Sendung eingeworfen habe. Bis 16.00 Uhr sei von üblichen Postzustellzeiten auszugehen. Zu Recht sei das Arbeitsgericht auch davon ausgegangen, dass der vom Kläger beantragte Urlaub nicht das wesentliche Motiv für die Kündigung gewesen sei.

Wegen des weiteren Vortrages der Parteien in der zweiten Instanz wird auf die Schriftsätze und Anlagen des Klägers vom 20. Oktober 2023 (Blatt 132 bis144 der Akte), der Beklagten vom 27. November 2023 (Blatt 149 bis 167 der Akten) sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 25. Januar 2024 (Blatt 170 bis 171 der Akte) und vom 16. Mai 2024 (Blatt 195 bis 197 der Akte) verwiesen.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin A auf Antrag der Beklagten. Wegen des Beweisthemas wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 25. Januar 2024 (Blatt 171 der Akte) und wegen deren Ergebnisses auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16. Mai 2024 (Blatt 195 bis 197 der Akte) verwiesen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung ist gemäß §§ 8 Absatz 2, 64 Absatz 2 Buchstabe b) und Absatz 6, 66 Absatz 1 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG), 519 Zivilprozessordnung (ZPO) statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie wurde nur teilweise gemäß §§ 64 Absatz 6 ArbGG, 520 Absatz 3 ZPO ausreichend begründet.

1. Soweit sich die Berufung gegen die Abweisung des Klageantrages zu 2. als unzulässig richtet, fehlt es an der gemäß § 520 Absatz 3 ZPO erforderlichen Begründung. Die Berufung ist insoweit als unzulässig zu verwerfen.

2. Im Übrigen ist die Berufung gemäß den sich aus § 520 Absatz 3 ZPO ergebenden Anforderungen begründet worden.

II. Die Berufung ist nur im Hinblick auf den Klageantrag zu 4. begründet, weshalb das angefochtene Urteil insoweit abzuändern ist. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet und zurückzuweisen.

1. Das Arbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Kündigung vom 01. Juni 2022 nicht unwirksam ist und somit das Arbeitsverhältnis der Parteien beendete.

a) Die Kündigung ist nicht gemäß § 1 KSchG sozialwidrig und damit unwirksam. Diese Vorschrift findet gemäß § 1 Absatz 1 KSchG auf das Arbeitsverhältnis der Parteien keine Anwendung, denn das Arbeitsverhältnis der Parteien bestand zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung nicht länger als sechs Monate.

aa) Das Arbeitsverhältnis der Parteien bestand seit dem 03. Dezember 2021. Die in § 1 Absatz 1 KSchG genannte Frist endete somit mit dem 02. Juni 2022.

bb) Am 02. Juni 2022 und damit vor Ablauf der genannten Frist ging das Kündigungsschreiben vom 01. Juni 2022 dem Kläger zu.

(1) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts geht eine verkörperte Willenserklärung unter Abwesenden im Sinne von § 130 Absatz 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von ihr Kenntnis zu nehmen. Zum Bereich des Empfängers gehören von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie ein Briefkasten. Ob die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist nach den „gewöhnlichen Verhältnissen“ und den „Gepflogenheiten des Verkehrs“ zu beurteilen. So bewirkt der Einwurf in einen Briefkasten den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist. Dabei ist nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers abzustellen. Im Interesse der Rechtssicherheit ist vielmehr eine generalisierende Betrachtung geboten. Wenn für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist es unerheblich, ob er daran durch Krankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere besondere Umstände einige Zeit gehindert war. Ihn trifft die Obliegenheit, die nötigen Vorkehrungen für eine tatsächliche Kenntnisnahme zu treffen. Unterlässt er dies, wird der Zugang durch solche - allein in seiner Person liegenden - Gründe nicht ausgeschlossen (BAG, Urteil vom 22. August 2019 – 2 AZR 111/19 –, Randnummer 12).

(2) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahmen erster und zweiter Instanz von einem Zugang des Kündigungsschreibens vom 01. Juni 2022 als Einwurfeinschreiben mit der Sendungsnummer XY beim Kläger am 02. Juni 2022 auszugehen.

(a) Allerdings spricht entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts nicht bereits aufgrund der in Kopie vorgelegten Ein- und Auslieferungsbelege ein Anscheinsbeweis für den Zugang des Einwurfeinschreibens mit der Sendungsnummer XY beim Kläger am 02. Juni 2022. Der Auslieferungsbeleg vom 02. Juni 2022 weist nicht die Postleitzahl des Wohnortes des Klägers aus (XXXX9), sondern die Postleitzahl XXXX8. Damit ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass das Einwurfeinschreiben am 02. Juni 2022 an einen zum Postleitzahlbereich XXXX8 gehörenden Wohnort ausgeliefert wurde und nicht an den Kläger, legt man allein Ein- und Auslieferungsbeleg zugrunde.

(b) Jedoch kann nach dem Ergebnis der erst- und zweitinstanzlichen Beweisaufnahmen ein Zugang des Kündigungsschreibens vom 01. Juni 2022 als Einwurfeinschreiben mit der Sendungsnummer XY am 02. Juni 2022 festgestellt werden. Dass Frau A zur Sendungsnummer XY ein Einwurfeinschreiben für den Empfänger D, Postleitzahl XXXX9, Berlin aufgab, hat der Kläger nicht bestritten und wird dadurch bestätigt, dass die Beklagte sich im Besitz eines Einlieferungsbeleges mit entsprechenden Angaben befindet. Der Kläger hat bestritten, dass hiermit das Kündigungsschreiben durch die Zeugin A ausgeliefert wurde, dass sich der Einlieferungsbeleg und die Reproduktion des Auslieferungsbelegs auf das Kündigungsschreiben beziehen und dass die aufgegebene Sendung das Kündigungsschreiben enthielt. Die Kammer hat jedoch aufgrund der vom Arbeitsgericht festgestellten und von der Kammer gemäß § 529 Absatz 1 Nummer 1 ZPO zugrunde zu legenden und auf den Angaben des Zeugen B beruhenden Tatsachen sowie der Angaben der Zeugin A und dem unstreitigen Geschehensverlauf, wonach der Kläger am 03. Juni 2022 das Kündigungsschreiben in seinem Briefkasten vorfand, die Überzeugung erlangt, dass das Kündigungsschreiben von der Zeugin A zur Sendungsnummer XY als Einwurfeinschreiben aufgegeben wurde und durch den Zeugen B am 02. Juni 2022 circa 14.30 Uhr oder etwa 20 bis 30 Minuten später in den Briefkasten des Klägers eingeworfen wurde.

(aa) Die Zeugin A hat glaubhaft bekundet, das Kündigungsschreiben vom 01. Juni 2022 auf den Tag datiert zu haben, an dem sie es erstellte. Sie hat ferner unter Hinweis auf die zum gegebenen Zeitpunkt bestehende beklagtenseitige Übung bei der Versendung von Kündigungsschreiben bekundet, sie habe das Schreiben als Einwurfeinschreiben einliefern lassen. Nach Aussage der Zeugin hat eine Mitarbeiterin auf der das Kündigungsschreiben betreffenden Sendung Namen Postleitzahl und Wohnort des Klägers angebracht, die Zeugin hat von der Deutschen Post zur Verfügung gestellte Aufkleber mit Sendungsnummern entnommen und jeweils einen davon auf dem Briefumschlag des Kündigungsschreibens sowie dem Einlieferungsbeleg angebracht, von dem eine Kopie zur Akte gereicht worden ist und der neben dem Namen des Klägers, seiner Postleitzahl (XXXX9) und dem Ort „B.“ die Sendungsnummer XY ausweist. Anschließend hat nach Aussage der Zeugin ein Kurier das Einwurfeinschreiben mitsamt Einlieferungsbeleg zur Deutschen Post gebracht, wo es weiterverarbeitet wurde. Ein bis zwei Tage später ist der Einlieferungsbeleg mit einem maschinellen Code versehen wieder zurück gelangt. Die Zeugin ist für die Kammer glaubwürdig, Umstände, die gegen ihre Glaubwürdigkeit sprechen, hat der Kläger nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich.

(bb) Dem Zeugen F. ist bei seiner Aussage vor dem Arbeitsgericht der Auslieferungsbeleg zur Sendungsnummer XY vom 02. Juni 2022 vorgehalten worden, er hat dazu gesagt, dass es nicht sein könne, dass das Schreiben nicht zugestellt wurde. Er hat ferner bekundet, dass auf seiner Tour als Springer die Zustellung im Verlauf des Tages circa 14.30 Uhr an der Adresse des Klägers hätte erfolgt sein müssen, möglicherweise auch etwa 20 bis 30 Minuten später. Dass die Adresse des Klägers nicht zu dieser Tour gehörte, hat er nicht bekundet. Soweit der Kläger behauptet, der Zeuge habe bekundet, dass es auch sein könne, dass er die Sendung erst um 16:30 Uhr oder später eingeworfen habe beziehungsweise dass es schon auch mal später geworden sein könne und dass diese letzte Aussage vom Arbeitsgericht nicht ins Sitzungsprotokoll aufgenommen worden sei, bezieht sich diese Angabe des Zeugen auf die letzte Zustellung am Tag, die auch protokolliert worden ist. Er hat nämlich bekundet, diese circa 16.00 Uhr gemacht zu haben, ferner hat er bekundet, im Juni 2022 pro Arbeitstag 45 Minuten bis 1 Stunde Überstunden geleistet zu haben, was bedeutet, dass es auch nach 16.30 Uhr noch zur Ausführung der letzten Zustellung eines Tages kommen konnte. Zum Zeitpunkt der hier maßgeblichen Zustellung an der Adresse des Klägers hat er jedoch circa 14.30 Uhr genannt und auf Nachfragen des Klägervertreters gesagt, dass es aufgrund höheren Arbeitsaufkommens auch etwa 20 bis 30 Minuten später gewesen sein könne. Der Zeuge konnte naturgemäß keine Angaben zum Inhalt des Einwurfeinschreibens machen, dessen Zustellung nach Aussage des Zeugen durch den Auslieferungsbeleg festgestellt wird. Wenn jedoch feststeht, dass die Beklagte zu dieser Sendungsnummer ein Einwurfeinschreiben für den Kläger als Empfänger aufgab und dass zu eben dieser Sendungsnummer der Zeuge am 02. Juni 2022 ein Einwurfeinschreiben auslieferte, steht unter weiterer Berücksichtigung der Aussage der Zeugin A auch fest, dass mit diesem Einwurfeinschreiben von ihm am 02. Juni 2022 um circa 14.30 Uhr, möglicherweise auch etwa 20 bis 30 Minuten später, das Kündigungsschreiben vom 01. Juni 2022 in den Briefkasten des Klägers eingeworfen wurde. Dem steht nicht entgegen, dass der Auslieferungsbeleg vom 02. Juni 2022 nicht die Postleitzahl der Adresse des Klägers (XXXX9), sondern die Postleitzahl XXXX8 ausweist. Es kann nach Überzeugung der Kammer ausgeschlossen werden, dass der Zeuge das unter der Sendungsnummer XY aufgegebene Einwurfeinschreiben, das nach Bekundungen der Zeugin A das Kündigungsschreiben enthielt, von dem Zeugen B am 02. Juni 2022 in den Briefkasten einer zum Postleitzahlbereich XXXX8 gehörenden Adresse eingeworfen wurde, denn dann hätte der Kläger es nicht am 03. Juni 2022 in seinem Briefkasten vorfinden können. Dass er am 02. Juni 2022 oder danach auch noch ein anderes Schreiben der Beklagten vorfand, trägt der gemäß § 138 Absatz 2 ZPO zum Gegenvortrag verpflichtete Kläger nicht vor.

(cc) Von einer wiederholten Vernehmung des Zeugen B (§ 398 ZPO) hat die Kammer abgesehen. Anhaltspunkte, die gegen seine Glaubwürdigkeit sprechen, sind nicht vorgetragen worden. Seine Angaben erscheinen auch glaubhaft. Dass er als Springer Angaben zur ungefähren zeitliche Ankunft am Wohnort des Klägers machen konnte, ist angesichts der ihm auch als Springer vorgegebenen Route nicht unglaubhaft. Anhaltspunkte für die Unvollständigkeit der protokollierten Aussage des Zeugen bestehen nicht. Soweit der Kläger vorträgt, Angaben des Zeugen zu späteren Zustellungszeitpunkten seien nicht protokolliert worden, trifft dies nicht zu, weil die Angaben zu diesen Zeitpunkten protokolliert worden sind und die letzte Zustellung am Tag, nicht jedoch die hier maßgebliche Zustellung am Wohnort des Klägers betreffen.

(c) Damit steht fest, dass der Zeuge B das Kündigungsschreiben vom 01. Juni 2022 am 02. Juni 2022 um circa 14.30 Uhr, möglicherweise auch 20 bis 30 Minuten später, also spätestens kurz nach 15.00 Uhr in den Briefkasten des Klägers einlegte. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung des Arbeitsgerichts vom 12. Januar 2023 behauptet hat, er habe seinen Briefkasten am 02. Juni 2022 zwischen 15.00 Uhr und 16.00 Uhr geleert und kein Kündigungsschreiben vorgefunden, steht dies dieser Feststellung nicht entgegen. Denn auszuschließen ist auch nach dieser Behauptung nicht, dass der Kläger seinen Briefkasten um 15.00 Uhr leerte und der Zeuge B das Kündigungsschreiben erst kurz danach in den Briefkasten einlegte, weil dieser nach seinen Angaben auch erst kurz nach 15.00 Uhr (circa 14.30 Uhr, möglicherweise auch 20 bis 30 Minuten später) am Wohnort des Klägers eingetroffen sein konnte.

(3) Aufgrund dieser Feststellungen ist von einem Zugang des Kündigungsschreibens beim Kläger am 02. Juni 2022 auszugehen, weil im Bereich der Stadt B., in welcher der Kläger wohnt, bis jedenfalls 15.30 Uhr nach der Verkehrsanschauung noch mit einer Entnahme von Postsendungen aus dem Briefkasten des Klägers zu rechnen war. Denn im Bereich der Stadt B., in dem nicht nur die Deutsche Post, sondern auch andere private Dienstleister Post- und Warensendungen ausliefern, muss auch noch nach 15.00 Uhr bis jedenfalls 15.30 Uhr mit dem Einwurf derartiger Sendungen in den Wohnungsbriefkasten gerechnet werden. Bereits die Bekundung des Zeugen B, wonach er bei seiner Arbeit als Briefzusteller die letzte Zustellung pro Tag bis circa 16.00 Uhr vornimmt, bei Überstunden gegebenenfalls auch noch später, indiziert das. Im Übrigen kann auch die Kammer, die mit den Bedingungen der Auslieferung von Post- und Warensendungen im Bereich der Stadt B. aufgrund eigener Erfahrungen vertraut ist, ohne sachverständige Hilfe hiervon ausgehen. Der Richter, der das Verständnis des Verkehrs ohne sachverständige Hilfe ermittelt, geht davon aus, dass er aufgrund eigenen Erfahrungswissens selbst über die erforderliche Sachkunde verfügt. Dementsprechend ist die Frage, ob diese Annahme zutrifft, grundsätzlich nach denselben Regeln zu beurteilen, die auch ansonsten für die Beantwortung der Frage gelten, ob ein Gericht auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens verzichten und stattdessen aufgrund eigener Sachkunde entscheiden kann. Wenn es um die Feststellung der Verkehrsauffassung der Allgemeinheit geht, zu der der Tatrichter als Teil der Allgemeinheit regelmäßig ohne Weiteres in der Lage ist, bedarf es keiner weiteren Darlegung der richterlichen Sachkunde. Insoweit reicht es aus, dass er – wie vorliegend die Kammer in ihrer zur Entscheidung über die Berufung des Klägers berufenen Besetzung – den angesprochenen Verkehrskreisen angehört (BAG, Urteil vom 22. August 2019 – 2 AZR 111/19 –, Randnummer 17).

b) Zu Recht geht das Arbeitsgericht davon aus, dass die Kündigung auch nicht gemäß §§ 134, 612 a BGB unwirksam ist.

aa) Nach § 612a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht deshalb bei einer Maßnahme benachteiligen, weil dieser in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Das Benachteiligungsverbot soll den Arbeitnehmer in seiner Willensfreiheit bei der Entscheidung darüber schützen, ob ein Recht ausgeübt wird oder nicht. Die Norm erfasst einen Sonderfall der Sittenwidrigkeit. Auch eine Kündigung kann eine Maßnahme im Sinne von § 612 a BGB sein. Ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612 a BGB liegt vor, wenn die zulässige Rechtsausübung der tragende Beweggrund, das heißt das wesentliche Motiv für die benachteiligende Maßnahme ist. Es reicht nicht aus, dass die Rechtsausübung nur den äußeren Anlass für die Maßnahme bietet. Handelt der Arbeitgeber aufgrund eines Motivbündels, so ist auf das wesentliche Motiv abzustellen (BAG, Urteil vom 20. Mai 2021 – 2 AZR 560/20 –, Randnummer 26). Den Arbeitnehmer trifft aber die volle Beweislast dafür, dass er vom Arbeitgeber durch den Ausspruch der Kündigung benachteiligt worden ist, weil er in zulässiger Weise seine Rechte ausgeübt hat. Im Rahmen des § 612a BGB können dem Arbeitnehmer indessen Beweiserleichterungen nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises zugutekommen. Dies ist dann der Fall, wenn ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der benachteiligenden Maßnahme und der Ausübung eines Rechts besteht. Sofern der Kläger den Prima-facie-Beweis erbracht hat, obliegt es dem Arbeitgeber, den Anschein durch einen vereinfachten Gegenbeweis zu erschüttern. Hierzu braucht der Arbeitgeber nur die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des erfahrungsgemäßen Ablaufs zu beweisen. Die Tatsachen, aus denen eine solche Möglichkeit abgeleitet werden soll, bedürfen indessen des Vollbeweises. Letztlich muss das Gericht aufgrund des Vortrags des Arbeitgebers davon überzeugt sein, dass - entgegen des ersten Anscheins - ein atypischer Geschehensablauf vorlag. Erst dann fällt die volle Darlegungs- und Beweislast an den klagenden Arbeitnehmer zurück (Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 28. Juni 2005 – 5 Sa 64/05).

bb) Der Kläger hatte nach seinem Vortrag bereits Anfang des Jahres 2022 später nicht bestätigten Urlaub für April 2022 sowie am 23. Januar 2022 Urlaub unter anderem für Juni/Juli 2022 bei seiner Vorgesetzten beantragt und die Beklagte mit Schreiben vom 15. Februar 2022 darauf hingewiesen, er habe hierauf keine Antwort erhalten. Am 28. Mai 2022 hat er sodann nach seinem Vortrag mit zwei Schreiben an die Personalabteilung beziehungsweise an den Geschäftsführer der Beklagten einen Urlaubsantrag vom 27. Mai 2022 für die Zeit vom 07. Juni 2022 bis 06. Juli 2022 übersandt. Damit steht der Zugang des Kündigungsschreibens vom 01. Juni 2022 am 02. Juni 2022 zwar in engem zeitliche Zusammenhang zu dem Urlaubsantrag vom 27. Mai 2022, nicht jedoch zu den nach seinem Vortrag zuvor gestellten und nicht bewilligten Urlaubsanträgen. Der Kläger hatte nach seinem Vortrag bereits seit längerer Zeit mehrfach vergeblich Urlaub für verschiedene Zeiträume beantragt gehabt, als ihm das Kündigungsschreiben zuging. Weil lediglich der letzte Urlaubsantrag in engem zeitlichen Zusammenhang zu der Kündigung steht, nicht jedoch die vorangegangenen erfolglosen Urlaubsanträge, kann eine Beweiserleichterung für den Kläger im vorgenannten Sinne nicht dafür angenommen werden, dass die mehrfache Beantragung von Erholungsurlaub durch den Kläger tragender Beweggrund für die Kündigung sei. Hinzu kommt, dass nicht nur der Urlaubsantrag vom 27. Mai 2022, sondern auch das Ende der in § 2 Nummer 2 des Arbeitsvertrages vom 03. Dezember 2021 vereinbarten Probezeit von sechs Monaten in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Ausspruch der Kündigung vom 01. Juni 2022 steht. Auch dies steht dem Anschein entgegen, gerade der Urlaubsantrag vom 27. Mai 2022 und nicht Erwägungen im Zusammenhang mit der Erprobung des Klägers sei tragender Beweggrund für den Ausspruch der Kündigung gewesen. Da somit die Voraussetzungen eines Anscheinsbeweises nicht vorliegen, fehlt es an schlüssigem Vortrag und Beweisantritt des Klägers für seine Behauptung, sein Urlaubsantrag vom 27. Mai 2022 sei wesentliches Motiv für den Kündigungsausspruch gewesen. Die Voraussetzungen des § 612 a BGB liegen bereits nach seinem Vortrag nicht vor, auf den Gegenvortrag der Beklagten zum Kündigungsanlass kommt es nicht an.

cc) Der Berufungsantrag zu 3. ist jedoch begründet, nachdem die Beklagte die Vergütung für Juni 2022 an den Kläger gezahlt hat.

(1) Der Antrag zu 3. ist trotz seines Wortlautes nicht auf die Durchsetzung eines Herausgabeanspruchs gerichtet, sondern ausweislich der Erklärung des Klägervertreters in der mündlichen Verhandlung vom 16. Mai 2024 auf Erteilung der Lohnabrechnung für Juni 2022. Auch in dieser Fassung ist der Antrag zulässig.

(2) Der Antrag zu 3. ist gemäß § 108 Absatz 1 GewO begründet. Die Beklagte hat die Vergütung für Juni 2022 gezahlt und war verpflichtet, dem Kläger dabei eine den Anforderungen des § 108 Absatz 1 Satz 2 GewO genügende Abrechnung in Textform zu erteilen. Diesen Anspruch hat sie unstreitig bislang nicht erfüllt.

III. Die Kostenentscheidung beruht für beide Instanzen auf § 92 Absatz 2 Nummer 1 ZPO.

IV. Es liegen keine Gründe im Sinne von § 72 Absatz 2 ArbGG dafür vor, die Revision für den Kläger oder die Beklagte zuzulassen.