Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 1. Senat | Entscheidungsdatum | 08.08.2024 | |
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Aktenzeichen | OVG 1 S 46/24 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2024:0808.OVG1S46.24.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 123 VwGO, § 6 Abs 3 Nr 2 KrWaffKontrG |
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 10. Juni 2024 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde tragen die Antragsteller.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 10.000 EUR festgesetzt.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, das nach § 146 Abs. 4 VwGO den Umfang der Überprüfung durch das Oberverwaltungsgericht bestimmt, rechtfertigt keine Änderung oder Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses.
I. Die Antragsteller verfolgen im Beschwerdeverfahren ihren erstinstanzlichen Sachantrag weiter und beantragen,
die Antragsgegnerin einstweilen bis zur Entscheidung über die Hauptsache, längstens bis zur Beendigung der Kriegshandlungen in Gaza zu verpflichten, Genehmigungen von Waffenlieferungen an den Staat Israel gemäß § 6 Abs. 3 Nr. 2 KrWaffKontrG zu versagen.
II. 1. Ob die Beschwerde mangels hinreichender Auseinandersetzung mit den Gründen der ablehnenden erstinstanzlichen Entscheidung bereits gemäß § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO unzulässig ist, wie die Antragsgegnerin meint, bedarf keiner Entscheidung, denn sie ist jedenfalls unbegründet.
2. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht für unzulässig befunden.
Es hat zutreffend angenommen, dass der Antrag auf die Gewährung vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutzes gerichtet ist, und zwar auf die (vorläufige) Verpflichtung der Antragsgegnerin zum Erlass einer unbestimmten Anzahl drittbelastender Verwaltungsakte. Der Senat nimmt gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die gründlichen Ausführungen des Erstgerichts Bezug und macht sie sich zu eigen.
Wie das Erstgericht im Einzelnen dargelegt hat, kommt vorbeugender vorläufiger Rechtsschutz nur in Ausnahmefällen in Betracht (vgl. statt vieler: BVerwG, Urteil vom 23. Juni 2016 - BVerwG 2 C 18.15 - juris, Rn. 19ff.). Er setzt ein spezielles, gerade auf die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes gerichtetes, qualifiziertes Rechtsschutzinteresse voraus. Vorbeugender Rechtsschutz ist mithin nur dann statthaft, wenn sich das vorbeugend abzuwehrende Verwaltungshandeln hinreichend konkret abzeichnet, insbesondere die für eine Rechtmäßigkeitsprüfung erforderliche Bestimmtheit aufweist (BVerwG, Urteile vom 25. Januar 2023 - 6 A 1.22 - juris Rn. 21; vom 13. Dezember 2017 - 6 A 6.16 - juris Rn. 12 und vom 9. November 2023 - 10 A 3.23 - juris Rn. 13). Wenn und solange jedoch - auch darauf weist das Verwaltungsgericht zutreffend hin - sich nicht mit der erforderlichen Bestimmtheit absehen lässt, welche Maßnahmen künftig überhaupt drohen bzw. - bezogen auf den vorliegenden Fall - für welche Waffen eine Genehmigung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz (KrWaffKontrG) erteilt werden soll und unter welchen tatsächlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen sie ergehen wird, kann ein qualifiziertes Rechtsschutzinteresse nicht angenommen werden. Ein solchermaßen qualifiziertes Rechtsschutzinteresse legen die Antragsteller nicht dar.
Die Antragsteller zeigen auch mit der Beschwerde nicht auf, dass die Antragsgegnerin nach Februar 2024 entgegen § 6 Abs. 3 Nr.2 KrWaffKontrG Genehmigungen zum Export von - genehmigungspflichtigen - Kriegswaffen nach Israel erteilt hat, noch, dass eine solche Genehmigung in absehbarer Zeit zu erwarten ist. Vielmehr legen sie in der Beschwerdebegründung lediglich dar, dass die Antragsgegnerin bis einschließlich Februar 2024 Genehmigungen für Kriegswaffenexporte an Israel erteilt habe. Wurden jedoch solche - auch nach Ansicht der Antragsteller - nach Februar 2024 nicht mehr erteilt, so vermag das Beschwerdevorbringen die Auffassung des Erstgerichts, die ab Frühjahr 2024 geänderte Genehmigungspraxis der Antragsgegnerin stelle sich gerade als Reaktion auf die geänderten Verhältnisse dar, nicht nachhaltig in Zweifel zu ziehen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Beschwerdevorbringen, soweit dort Äußerungen des Regierungssprechers und von Regierungsmitgliedern zwischen April und Juni 2024 zitiert werden. Inwiefern im Zusammenhang mit einem Zwei-Jahres-Arbeitsplan der israelischen Marine mit der deutschen Marine - dessen Bestehen unterstellt - der sachliche Anwendungsbereich des KrWaffKontrlG eröffnet sein sollte, wird von der Beschwerde nicht dargelegt. Soweit - wie die Beschwerde darlegt - vor dem Angriff der Hamas oder im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang danach Waffen an Israel geliefert worden sein sollten, legt die Beschwerde nicht dar, inwiefern dies für die ab diesem Frühjahr geänderte und künftige Genehmigungspraxis präjudizierend sein könnte. Soweit die Beschwerde moniert, das Verwaltungsgericht habe nicht zwischen Einzel- und Sammelgenehmigungen unterschieden, legt sie keine belastbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass nach Februar 2024 eine Sammelgenehmigung erteilt worden ist.
Die Antragsteller haben mithin nicht glaubhaft gemacht, warum vor diesem Hintergrund davon auszugehen sein sollte, dass ohne die begehrte einstweilige Anordnung die Antragsgegnerin in absehbarer Zeit rechtswidrige Genehmigungen erteilen würde. Daran ändert die Äußerung des Bundeskanzlers in der Sommerpressekonferenz am 24. Juli 2024 nichts, auch zukünftig seien Kriegswaffenlieferungen nach Israel nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Denn er hat auch dort darauf hingewiesen, dass Exportgenehmigungen der Entscheidung im jeweiligen Einzelfall vorbehalten bleiben.
Soweit die Beschwerde dem Verwaltungsgericht eine mangelhafte Sachverhaltsaufklärung vorwirft, verkennt sie, dass es in erster Linie die Aufgabe der Antragsteller ist, die für einen Antrag nach § 123 VwGO erforderlichen Darlegungen zu erbringen und glaubhaft zu machen. Die Antragsteller legen zudem nicht dar, welche Ermittlungen sich dem Gericht für die hier maßgebliche Frage des Vorliegens eines qualifizierten Rechtsschutzinteresses hätten aufdrängen müssen. Anders als die Antragsteller meinen, konnten streiterhebliche Akten schon deshalb von der Antragsgegnerin nicht vorgelegt werden, weil es kein vorgelagertes Verwaltungsverfahren gegeben hat.
Die Antragsgegnerin (Schriftsatz vom 21. Mai 2024 S. 17 ff.) und das Verwaltungsgericht (BA S. 5 ff.) haben eingehend ausgeführt, welche völkerrechtlichen, unionsrechtlichen und nationalen Regelwerke bei der Entscheidung über die Kriegswaffenexportgenehmigung zu berücksichtigen sind. Wie die Antragsgegnerin ferner im Einzelnen dargelegt hat (Schriftsatz vom 21. Mai 2024, S. 12 f.), hat auch der IGH in seiner Entscheidung vom 30. April 2024 diese Anforderungen für ausreichend erachtet, um Verstöße gegen das Völkerrecht zu vermeiden. Dass die in diesen Regelwerken aufgestellten Anforderungen unzureichend sind, eine den Anforderungen des § 6 Abs. 3 KrWaffKontrG genügende Entscheidung im Einzelfall zu gewährleisten, behaupten die Antragsteller nicht. Sie legen nicht substantiiert dar, weshalb zu erwarten ist, dass die Antragsgegnerin bei zukünftigen Entscheidungen über Waffenexporte nach Israel diese Regelwerke außer Acht lassen wird. Aus dem Umstand, dass die Antragsgegnerin entschieden hat, Anträge über Waffenlieferungen nach Israel priorisiert zu bescheiden, folgt dies nicht, denn auch das lässt nicht auf eine Außerachtlassung der genannten Regelwerke schließen. Besteht mithin bislang lediglich die theoretische Möglichkeit, dass die Antragsgegnerin eine Waffenexportgenehmigung unter Verletzung von § 6 Abs. 3 KrWaffKontrG erteilen könnte, rechtfertigt dies die Gewährung vorbeugenden Eilrechtsschutzes nicht. Rechtsschutz in rein abstrakten Gefährdungslagen fordert Art. 19 Abs. 4 GG nicht (BVerfG, Beschluss vom 23. April 2009 - 1 BvR 3405/08 - juris Rn. 15).
Gegenteiliges kann auch nicht daraus abgeleitet werden, dass die Antragsteller keinen durchsetzbaren Anspruch darauf haben, bereits vor einer Entscheidung über anhängige Genehmigungsverfahren nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz und ihren konkreten Gegenstand unterrichtet zu werden und auch über erteilte Genehmigungen nur beschränkt und unter Beachtung des Schutzes von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen Auskunft zu erteilen ist. Genehmigungsverfahren über den Export von Kriegswaffen, insbesondere solche unter Beteiligung des Bundessicherheitsrats, betreffen den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung, unterliegen im Verhältnis zu den Herstellern der Rüstungsgüter der Grundrechtsbindung und genießen daher Vertraulichkeitsschutz (BVerfG, Urteil vom 21. Oktober 2014 - 2 BvE 5/11 - BVerfGE 137, 185, juris Rn. 137 ff.; BVerwG, Beschluss vom 24. Januar 2024 - 20 F 9.23 - juris Rn. 15 ff.). Diese der Regierung zum Schutz einer unbeeinflussten Entscheidungsfindung und zur Wahrung außenpolitischer Belange eingeräumten Verschwiegenheitsrechte würden quasi in ihr Gegenteil verkehrt, wollte man daraus einen Anspruch auf Untersagung der Erteilung der Exportgenehmigung bereits aufgrund einer abstrakten Gefahr einer Verletzung der in § 6 Abs. 3 KrWaffKontrG genannten Belange ableiten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).