Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 06.08.2024 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | OVG 3 N 52/24 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2024:0806.OVG3N52.24.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 103 Abs 1 GG, § 124 Abs 2 Nr 5 VwGO , § 86 Abs 1 Satz 1 VwGO , § 96 VwGO , § 98 VwGO, §§ 373 ff. ZPO , § 33 AufenthG |
Die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 5. März 2024 wird auf den Antrag der Klägerinnen zugelassen.
I.
Die Klägerin zu 1) und ihre 2021 im Bundesgebiet geborene Tochter, die Klägerin zu 2), sind kamerunische Staatsangehörige. Für die Klägerin zu 2) hat der ebenfalls aus Kamerun stammende Herr Y_____, dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Asylfolgeverfahren 2017 wegen geltend gemachter Homosexualität die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hatte, die Vaterschaft anerkannt. Herr Y_____ ging 2016 eine Lebenspartnerschaft mit einem deutschen Staatsangehörigen ein und ist im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Im Dezember 2021 verzichtete er gegenüber dem Bundesamt auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Die Ausländerbehörde lehnte den Antrag der Klägerinnen auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG bzw. nach § 33 Satz 1 AufenthG ab. Die Klägerin zu 1) sei u.a. nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist. Die Nachholung des Visumverfahrens und eine gemeinsame Ausreise mit Herrn Y_____ seien zumutbar, weil dieser seit Dezember 2018 nicht mehr unter derselben Anschrift wie sein Lebenspartner gemeldet sei und sich seinen Angaben zufolge im Februar 2021 von seinem Lebenspartner getrennt habe. Die Klägerin zu 2) könne aus dem Aufenthaltsrecht des Herrn Y_____ nicht automatisch einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ableiten.
Das Verwaltungsgericht hat - nach informatorischer Anhörung der Klägerin zu 1) und des Herrn Y_____ - der auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen gerichteten Klage teilweise stattgegeben und den Beklagten verpflichtet, über den Antrag der Klägerin zu 2) auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 33 Satz 1 AufenthG erneut zu entscheiden. Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Regelung lägen vor. Herr Y_____ sei der rechtliche (sowie auch leibliche) Vater der Klägerin zu 2) und es bestehe zwischen beiden eine familiäre Lebensgemeinschaft. Allerdings sei das dem Beklagten nach § 33 Satz 1 AufenthG eingeräumte und von ihm fehlerhaft ausgeübte Ermessen entgegen der Auffassung der Klägerinnen nicht auf Null reduziert, sondern der Beklagte könne die begehrte Aufenthaltserlaubnis sowohl erteilen als auch versagen. Einer Führung der familiären Lebensgemeinschaft in Kamerun stehe die von Herrn Y_____ behauptete Homosexualität nicht entgegen, denn die Kammer sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass es sich insoweit um eine verfahrensangepasste Aussage zur Erlangung aufenthaltsrechtlicher Vorteile handele. Außerdem gibt das Urteil dem Beklagten Hinweise zu seiner erneuten Ermessensausübung. Danach könne z.B. berücksichtigt werden, dass Herrn Y_____ die Niederlassungserlaubnis „nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme“ rechtswidrig erteilt worden sei.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist begründet. Die Klägerinnen machen mit Erfolg einen der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegenden Verfahrensmangel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO geltend, der vorliegt und auf dem das angegriffene Urteil beruht.
Das Verwaltungsgericht hat gegen die ihm nach § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO obliegende Aufklärungspflicht verstoßen, denn es hätten sich ihm, wie das Rechtsmittel zutreffend ausführt, vor der abschließenden Würdigung des § 33 Satz 1 AufenthG und der in diesem Zusammenhang zu Lasten der Klägerin zu 2) gezogenen Schlussfolgerung, Herr Y_____ sei entgegen seiner Behauptung nicht homosexuell und könne mit den Klägerinnen nach Kamerun zurückkehren, weitere Ermittlungen aufdrängen müssen. Angesichts dessen ist es hier unschädlich, dass die anwaltlich vertretenen Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung keinen Beweisantrag gestellt haben (vgl. dazu z.B. BVerwG, Beschluss vom 12. April 2024 – 9 B 30/23 – juris Rn. 9).
Das Verwaltungsgericht hat sich zur Begründung seiner Würdigung, wonach Herr Y_____ allein aus aufenthaltsrechtlichen Gründen behauptet habe, homosexuell zu sein, im Wesentlichen auf folgendes gestützt: Zunächst hat es auf den Umstand abgestellt, dass Herr Y_____ seine Sexualität offenbar mit Frauen auslebe, wie er mit seinem Vortrag zur Zeugung der Klägerin zu 2) selbst geltend gemacht habe. Dies stehe im Widerspruch zu seiner Angabe in der mündlichen Verhandlung, er könne aufgrund seiner Homosexualität keine Kinder bekommen. Außerdem sei Herr Y_____ in der mündlichen Verhandlung nicht bereit gewesen, Auskünfte zu seinen Beziehungen mit Männern zu geben, was in Anbetracht seines übrigen Aussageverhaltens nicht nachvollziehbar sei. Hinzu komme, dass Herr Y_____ auf die mehrfache Frage zu einer möglichen Rückkehr nach Kamerun seine Homosexualität nicht als Rückkehrhindernis erwähnt habe. Außerdem habe er seine Homosexualität erstmals im Asylfolgeverfahren und nicht bereits mit dem ersten Asylantrag geltend gemacht. Angesichts dessen gehe die Kammer davon aus, dass die eingetragene Lebenspartnerschaft mit dem deutschen Staatsangehörigen F. nur zur Erlangung aufenthaltsrechtlicher Vorteile geschlossen worden sei. Dafür spreche auch, dass Herr Y_____ unmittelbar nach Erhalt der Niederlassungserlaubnis angegeben habe, er befinde sich mit seinem Lebenspartner in der Trennungsphase, wobei er insoweit in der mündlichen Verhandlung einen unzutreffenden (widersprüchlichen) Zeitpunkt angegeben habe. Nach der Melderegisterauskunft sei Herr Y_____ aus der gemeinsamen Wohnung bereits im Dezember 2018 ausgezogen. Die hierzu gegebene Erklärung halte die Kammer nicht für überzeugend. Zum Trennungsgrund habe sich Herr Y_____ nur pauschal geäußert.
Dieser Würdigung tritt das Zulassungsvorbringen durchgreifend entgegen und zeigt mit Erfolg auf, dass die von dem Verwaltungsgericht zugrunde gelegten tatsächlichen Umstände nicht ausreichen, um der Klägerin zu 2) eine wahrheitswidrig behauptete sexuelle Orientierung ihres Vaters entgegenzuhalten, die dem Ziel gedient habe, sich aufenthaltsrechtliche Vorteile zu verschaffen. So beanstandet das Rechtsmittel z.B. zu Recht, dass das Verwaltungsgericht die Aussage der in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehörten Klägerin zu 1) in seiner Würdigung nicht berücksichtigt hat, obwohl die Klägerin zu 1) auch Angaben zur sexuellen Orientierung des Herrn Y_____, dessen Kinderwunsch und der fehlenden Paarbeziehung gemacht hat. Ferner wendet der Zulassungsantrag zutreffend ein, dass das Verwaltungsgericht eine aus seiner Sicht vorgetäuschte Homosexualität nicht maßgeblich mit der Begründung annehmen durfte, Herr Y_____ lebe seine Sexualität offenbar mit Frauen aus, obwohl dem Verwaltungsgericht insoweit nur die - im Übrigen von der Klägerin zu 1) erläuterte - Zeugung der beiden Kinder bekannt war und dies allein noch nicht gegen Homosexualität sprechen muss. Weiterhin rügt der Zulassungsantrag zu Recht, dass das Verwaltungsgericht den Lebenspartner des Herrn Y_____ nicht als Zeugen gehört hat, obwohl sich dies hier geradezu aufgedrängt hätte.
Nach alledem kann offenbleiben, ob sich das angegriffene Urteil auch als Überraschungsentscheidung darstellt und gegen den Anspruch der Klägerinnen auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO verstößt. Ebenso wenig kommt es auf den weiteren Verfahrensfehler im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO an, der darin liegt, dass das Verwaltungsgericht Herrn Y_____ als nicht am Verfahren beteiligten Dritten in der mündlichen Verhandlung ohne prozessuale Grundlage u.a. zu seiner als entscheidungserheblich angesehenen sexuellen Orientierung lediglich „informatorisch“ befragt (vgl. Urteilsabdruck, S. 5) und dessen Erklärungen als „Ergebnis der Beweisaufnahme“ zu Lasten der Klägerin zu 2) gewürdigt hat (vgl. Urteilsabdruck, S. 10, Urteilsabdruck S. 13 unten). Die informatorische Anhörung eines Dritten durch das Gericht zur Überprüfung von Tatsachenbehauptungen stellt grundsätzlich kein prozessual zulässiges Beweismittel dar und kann die gebotene Zeugenvernehmung des Dritten gemäß §§ 96 Abs. 1, 98 VwGO, §§ 373 ff. ZPO, aufgrund derer das Gericht die entscheidungserheblichen – streitigen oder zu überprüfenden - Tatsachen zu würdigen hat, nicht ersetzen (vgl. dazu auch im Einzelnen BVerwG, Beschluss vom 19. Mai 2022 – 2 B 41/21 – juris Rn. 24).
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens folgt der Kostenentscheidung im Berufungsverfahren.
Rechtsmittelbelehrung
Der Beschluss über die Zulassung der Berufung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Das Antragsverfahren wird als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Hardenbergstraße 31, 10623 Berlin, einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe).
Rechtsanwälte, Behörden, juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie Vertretungsberechtigte, die über ein elektronisches Postfach nach § 55a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 VwGO verfügen, sind zur Übermittlung elektronischer Dokumente nach Maßgabe des § 55d VwGO verpflichtet.
Im Berufungsverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für die Berufungsbegründung. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschulen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus können auch die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen auftreten. Ein als Bevollmächtigter zugelassener Beteiligter kann sich selbst vertreten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt vertreten lassen; das Beschäftigungsverhältnis kann auch zu einer anderen Behörde, juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einem der genannten Zusammenschlüsse bestehen. Richter dürfen als Bevollmächtigte nicht vor dem Gericht, ehrenamtliche Richter nicht vor einem Spruchkörper auftreten, dem sie angehören.