Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Duldung für Personen mit ungeklärter Identität, Kenia, Passbeschaffung,...

Duldung für Personen mit ungeklärter Identität, Kenia, Passbeschaffung, Heimreisedokument, Emergency Travel Document, behördliche Hinweispflicht


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 13.08.2024
Aktenzeichen OVG 3 S 22/24 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2024:0813.OVG3S22.24.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 60 Abs 1 AufenthG, § 60 Abs 3 AufenthG

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 20. März 2024 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde ist im Ergebnis nicht begründet. Das Beschwerdevorbringen, das nach § 146 Abs. 4 VwGO allein den Umfang der Überprüfung durch das Oberverwaltungsgericht bestimmt, rechtfertigt keine Aufhebung oder Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses, mit dem das Verwaltungsgericht der Antragstellerin vorläufigen Rechtsschutz gewährt hat. Danach darf ihr der Antragsgegner keine Duldung für Personen mit ungeklärter Identität gemäß § 60b Abs. 1 Satz 1 AufenthG erteilen, denn der Antragstellerin könne nicht entgegengehalten werden, dass sie keine zumutbaren Handlungen zur Erfüllung der besonderen Passbeschaffungspflicht im Sinne von § 60b Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 AufenthG vorgenommen habe, obwohl sie hierzu verpflichtet gewesen sei.

Die Beschwerde rügt zwar mit Erfolg, dass das Verwaltungsgericht das von dem Antragsgegner an die Antragstellerin gerichtete Schreiben vom 25. Juli 2023 zur Erfüllung der in § 60b Abs. 3 Satz 2 AufenthG normierten behördlichen Hinweispflicht als nicht ausreichend angesehen hat, weil der Antragsgegner lediglich den Gesetzestext – u.a. des § 60b Abs. 3 Satz 1 AufenthG - wiederhole und keine konkreten Maßnahmen beschrieben habe, die die Antragstellerin ergreifen müsse, um eine für die Ausstellung eines kenianischen Reisepasses benötigte ID-Card zu erhalten.

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin mit seinem Schreiben vom 25. Juli 2023 vorgehalten, dass sie nach Aktenlage nicht im Besitz eines gültigen Passes sei und sie aufgefordert, einen solchen Pass bzw. sonstige Dokumente oder Urkunden, aus denen sich ihre Identität ergebe, vorzulegen. Außerdem hat er die Antragstellerin auf ihre Pflicht zur Passbeschaffung hingewiesen und sie angehalten, die insoweit erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Dies genügt noch den Anforderungen des § 60b Abs. 3 Satz 2 AufenthG. Die im Schrifttum vertretene Auffassung, ein allgemeiner Verweis auf die Mitwirkungspflichten, etwa durch Wiedergabe des Gesetzeswortlautes, genüge der Hinweispflicht nicht (so z.B. Eichler/Mantel, in: Huber/Mantel, AufenthG, § 60b Rn. 15), lässt sich dem Antragsgegner hier nicht entgegenhalten, wobei ohnehin viel dafür spricht, dass diese Ansicht zu pauschal ist und die Umstände des Einzelfalles nicht hinreichend berücksichtigt. Nichts anderes ergibt sich aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die die Erfüllung von Mitwirkungspflichten (erst dann) als verweigert im Sinne von § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG ansieht, wenn die Behörde die Mitwirkungspflicht gegenüber dem Betroffenen konkret aktualisiert hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 2010 – 1 C 18/09 - juris Rn. 17). Auch hier kommt es auf die jeweiligen individuellen Umstände an. Soweit die obergerichtliche Rechtsprechung fordert, die Behörde müsse die im Einzelfall erwartbaren und zumutbaren Mitwirkungshandlungen konkretisieren, wird dies zu Recht unter den Vorbehalt gestellt, dass sich ein bestimmtes Verhalten nicht bereits aufdränge oder dem Ausländer nicht wenigstens hinreichend erkennbar sei, was er konkret zu unternehmen habe (vgl. OVG Bautzen, Beschluss vom 3. Juni 2021 – 3 B 164/21 – juris Rn.11; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. November 2019 – OVG 3 S 111.19 – juris Rn. 5 zu § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG).

Gemessen daran ist es regelmäßig zunächst Aufgabe eines vollziehbar zur Ausreise verpflichteten Ausländers, der - wie hier die Antragstellerin - nicht im Besitz eines gültigen Passes ist, nach einem behördlichen Hinweis auf die Passbeschaffungspflicht Kontakt zu der für ihn zuständigen Auslandsvertretung aufzunehmen. Dieses Vorgehen ist so selbstverständlich, dass es keines weiteren konkreten Hinweises bedarf. Ebenso leicht erkennbar ist es für den Betroffenen, dass er zur Passbeschaffung erforderliche Informationen bei seiner Auslandsvertretung einzuholen hat: Er muss sich zunächst selbst erkundigen, welche konkreten Papiere er für die Ausstellung oder Verlängerung eines Passes benötigt, wie er diese Papiere erhalten kann und welche Anträge hierfür, ggf. auch durch Einschaltung dritter Personen im Herkunftsstaat, zu stellen sind. Der Antragsgegner weist zutreffend darauf hin, dass nur die Auslandsvertretung verbindlich erklären kann, welche konkreten Schritte in einem individuellen Fall zur Passbeschaffung erforderlich sind.

Dies gilt grundsätzlich auch für die 1967 geborene Antragstellerin, für die es nach Erhalt des Hinweisschreibens auf der Hand lag und für die es auch nicht unzumutbar war, sich zur Beschaffung eines Passes oder zur Rückkehr berechtigender Dokumente an die kenianische Auslandsvertretung zu wenden. Hinzu kommt, dass die Antragstellerin entsprechend ihrer Erklärung im Asylverfahren sowohl im Besitz eines kenianischen Reisepasses als auch im Besitz einer ID-Card („Personalausweis“) gewesen ist, sie beides jedoch an einem ihr nicht bekannten Ort verloren habe. Die Antragstellerin hat mehrere Jahrzehnte in ihrem Herkunftsland gelebt, dort ihren Angaben zufolge neun Jahre die Schule besucht und ist erst 2019 mit einem Visum in das Bundesgebiet eingereist. Über weitere (konkrete) Maßnahmen musste der Antragsgegner hier grundsätzlich nicht vorab informieren. Das konkrete Vorgehen und die zu ergreifenden Schritte bei der Passbeschaffung hängen von den individuellen, der Ausländerbehörde in der Regel nicht bekannten Verhältnissen des ausländischen Staatsangehörigen ab.

Allerdings hat die Beschwerde im Ergebnis dennoch keinen Erfolg, weil sie sich nicht zu der die Stattgabe selbstständig tragenden Würdigung des angegriffenen Beschlusses verhält, dass die für die Antragstellerin als Handlungsmöglichkeit allein in Betracht kommende Beantragung eines Heimreisepapiers (so genanntes Emergency Travel Document) von vornherein ohne Erfolg habe bleiben müssen, sodass ihr die Nichtvornahme dieser Handlung nicht entgegengehalten werden könne. Das Verwaltungsgericht ist insoweit – im Übrigen in Übereinstimmung mit dem Widerspruchsbescheid des Antragsgegners vom 25. Januar 2024 – unter Hinweis auf Rechtsprechung des Senats davon ausgegangen, die Antragstellerin könne mangels (für die Passbeantragung erforderlicher) ID Card bzw. Geburtsurkunde bei der kenianischen Auslandsvertretung im Bundesgebiet lediglich ein Emergency Travel Document als Heimreisepapier erhalten. Im Gegensatz zu dem Widerspruchsbescheid, wonach zur Beantragung eines solchen Dokumentes bereits die Glaubhaftmachung der kenianischen Staatsangehörigkeit ausreicht, ist das Verwaltungsgericht aufgrund einer von ihm zitierten (Internet-)Auskunft der kenianischen Botschaft davon ausgegangen, dass eine bestätigte Flugbuchung bzw. ein Flugschein vorgelegt werden müsse, worüber die Antragstellerin nicht verfüge. Da diese auch nicht verpflichtet sei, im Rahmen der Passbeschaffungsbemühungen einen Flug zu buchen, habe die Beantragung eines Emergency Travel Documents von vornherein keinen Erfolg haben können. Dazu äußert sich die Beschwerde entgegen § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).