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Amtsgericht, Präsidium, Geschäftsverteilung, negativer Kompetenzkonflikt, klärender Beschluss, Willkür, richterliche Unabhängigkeit


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 4. Senat Entscheidungsdatum 24.07.2024
Aktenzeichen OVG 4 S 18/24 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2024:0724.OVG4S18.24.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 21e GVG, § 23b Abs 1 GVG, § 42 ZPO, § 26 Abs 3 DRiG, § 65 Nr 4 Buchst. f BbgRiG

Leitsatz

Zur Rechtsschutzmöglichkeit von Richtern gegen Präsidiumsbeschlüsse über die Geschäftsverteilung.

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 27. Mai 2024 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten der Beschwerde.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Das von der Antragstellerin eingeleitete Verfahren ist immerhin zulässig, was als Sachentscheidungsvoraussetzung vom Senat stets zu prüfen ist. Das Bundesverwaltungsgericht sieht seit seinem Urteil vom 28. November 1975 – VII C 47.73 – BVerwGE 50, 11 den Verwaltungsrechtsweg für Feststellungsklagen von Richterinnen und Richtern gegen Geschäftsverteilungspläne ihres Gerichts für eröffnet und in der Hauptsache Feststellungsklagen für statthaft an. Dementsprechend werden auch Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung für zulässig erachtet (VGH Mannheim, Beschluss vom 17. Januar 2011 – 4 S 1/11 – juris Rn. 2; VGH München, Beschluss vom 26. Januar 2016 – 6 CE 15.2800 – juris Rn. 16; OVG Hamburg, Beschluss vom 25. Juni 2018 – 3 Bs 73/18 – juris Rn. 23). So auch vom erkennenden Senat. Diese Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen ebenfalls, wenn eine Richterin der Auffassung ist, es werde zu ihrem Nachteil durch einen Beschluss des Präsidiums der Geschäftsverteilungsplan des Gerichts verletzt.

Anstelle der von der Antragstellerin ursprünglich benannten Antragsgegner 1. Präsidium ihres Gerichts und 2. Land Brandenburg, vertreten durch das Ministerium der Justiz ist richtigerweise das Land Brandenburg (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 17. Januar 2011 – 4 S 1/11 – juris Rn. 2; VGH München, Beschluss vom 26. Januar 2016 – 6 CE 15.2800 – juris Rn. 18; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 21e Rn. 123; Pabst, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2022, § 21a GVG Rn. 17), vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Brandenburg (wie das Ministerium der Justiz zutreffend in seiner erstinstanzlichen Antragserwiderung vom 16. Mai 2024 ausführte), als Antragsgegner zu führen (siehe zur Abänderungsbefugnis des Senats Kopp/Schenke, VwGO, 29. Aufl. 2023, § 82 Rn. 5).

Das Oberverwaltungsgericht prüft gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zunächst nur die von der Antragstellerin fristwahrend dargelegten Gründe der Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts. Erweisen sich die mit der Beschwerde dargelegten Gründe als berechtigt, setzt eine Stattgabe durch das Oberverwaltungsgericht voraus, dass sich die angefochtene Entscheidung nicht aus anderen Gründen als richtig erweist (ständige Rechtsprechung des Senats, siehe OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Januar 2024 – OVG 4 S 47/23 – juris Rn. 1).

Die von der Antragstellerin dargelegten Gründe sind nicht stichhaltig.

Das Verwaltungsgericht hält einen Anordnungsanspruch nicht für glaubhaft gemacht. Die Antragstellerin könne gerichtlich nur die Sicherung eigener Rechtspositionen erreichen. Das Gericht dürfe nur prüfen, ob das Präsidium zum Nachteil der Antragstellerin sein Ermessen pflichtgemäß ausgeübt habe oder der Präsidiumsbeschluss vom 18. April 2024 willkürlich sei. Es sei keine Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit der Antragstellerin ersichtlich. Der Präsidiumsbeschluss sei auch nicht willkürlich. Er beruhe nicht auf einer pflichtwidrigen Ermessensbetätigung. Selbst wenn der Geschäftsverteilungsplan vom Präsidium fehlerhaft ausgelegt worden sein sollte, stelle sich das angesichts der nachvollziehbaren Begründung nicht als willkürlich dar.

Die Antragstellerin hält dem entgegen, sie habe eine vollständige Begründung vorgelegt. Der Präsidiumsbeschluss sei sehr wohl willkürlich gewesen und greife außerdem in die richterliche Unabhängigkeit der Antragstellerin ein.

Da die Antragstellerin den vom Verwaltungsgericht gewählten Maßstab der Willkürprüfung nicht beanstandet, braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob der Präsidiumsbeschluss einer umfassenden Rechtmäßigkeitsprüfung zu unterziehen wäre (für eine Willkürprüfung Pabst, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2022, § 21e GVG Rn. 67). Der Senat braucht auch nicht den von der Antragstellerin und der Gegenseite vorgeschlagenen Definitionen der Willkür nachzugehen. Denn Willkür ist dem Präsidium in Hinsicht auf den beanstandeten Beschluss zur Auslegung seines Geschäftsverteilungsplans keinesfalls vorzuhalten.

Mit ihrer gegenteiligen Auffassung lässt die Antragstellerin eine Besonderheit des Jahresgeschäftsverteilungsplans des Amtsgerichts außer Betracht. Das Präsidium hat nicht etwa, wie es für Gerichte typisch sein dürfte, Spruchkörper (Abteilungen, Kammern oder Senate) benannt und diesen Spruchkörpern die Geschäfte zugeteilt und Richterinnen bzw. Richter zugewiesen. In Bezug auf die familienrechtliche Streitigkeit, die den Ausgang des hier zu entscheidenden Konflikts markiert, wäre nach § 23b Abs. 1 GVG zu erwarten gewesen, dass eine oder mehrere Abteilungen für Familiensachen (Familiengerichte) gebildet werden. In einem solchen Fall verbliebe eine Rechtssache in der Abteilung, auch wenn ein an sich zuständiger Richter wegen Befangenheit im Einzelfall ausschiede. Die von Präsidien in der Jahresgeschäftsverteilung beschlossenen Vertretungsketten knüpfen regelmäßig an den jeweiligen Spruchkörper an.

Stattdessen hat hier das Präsidium den namentlich genannten Richterinnen und Richtern des Amtsgerichts abstrakt bestimmte Geschäfte zugeteilt und eine personenbezogene Vertretungsregel beschlossen. Danach war die Richterin am Amtsgericht S. für Familiensachen mit dem Buchstaben M bis Y mit weiterer Maßgabe und folglich für die Sache 29 F 73/23 zuständig, bis sie mit Erfolg wegen Befangenheit abgelehnt wurde. Nach § 6 Abs. 1 FamFG in Verbindung mit § 42 ZPO scheidet eine Richterin aus dem Prozess aus, wenn die Ablehnung gerichtlich für begründet erklärt ist; die abgelehnte Richterin steht einer ausgeschlossenen Richterin gleich (Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024 § 42 Rn. 7).

Vor diesem Hintergrund ist die Auslegung des Geschäftsverteilungsplans, die das Präsidium wegen des negativen Kompetenzkonflikts vorgenommen hat, gut vertretbar, wenn nicht sogar zutreffend, jedenfalls nicht im Ansatz willkürlich. Das Präsidium hat sich nach B.I.3. des Geschäftsverteilungsplans bei Meinungsverschiedenheiten der Richter über die Bestimmungen des Geschäftsverteilungsplanes und über ihre Zuständigkeit ausdrücklich die Entscheidung vorbehalten; das dürfte allerdings auch nach allgemeinen Regeln gelten (so Pabst, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2022, § 21e GVG Rn. 67). Wie der Direktor des Amtsgerichts im Schriftsatz vom 20. Juni 2024 ausführt, sind die Erwägungen des Präsidiums so zu verstehen, dass ein Ausscheiden wegen Befangenheit keine (vorübergehende) Verhinderung sei, sondern mehr. Der Richter am Amtsgericht R. sei nunmehr der originär zuständige Richter. Das würde bedeuten: Ist die Richterin am Amtsgericht S. unwiderruflich ausgeschieden, ist sie für die Bearbeitung der Sache 29 F 73/23 nicht zuständig. Zuständig ist vielmehr der erstgenannte Vertreter dieser Amtsrichterin. Das ist der Richter am Amtsgericht R. Wenn und soweit dieser Amtsrichter vorübergehend verhindert ist, sind seine Vertreter zur Entscheidung berufen. Das wäre die hier allerdings ausgeschlossene Richterin am Amtsgericht S. als dessen erste Vertreterin und sodann die Antragstellerin als dessen zweite Vertreterin. Die für das Präsidium vorgebrachte Argumentation lässt sich hören und ist mithin – bei einem Willkürmaßstab – nicht weiter vom Senat zu hinterfragen.

Die zusätzliche Behauptung der Antragstellerin, der Beschluss des Präsidiums greife in ihre richterliche Unabhängigkeit ein, ist nach ihrem eigenen Vorbringen unerheblich. Denn die Antragstellerin bejaht einen solchen Eingriff, wenn sich aufgrund einer rechtlich nicht vertretbaren und damit willkürlichen Anordnung der Schluss aufdränge, dass die Zuweisung des konkreten Geschäfts auf sachfremden Erwägungen beruhe. Das trifft wie gezeigt nicht zu. Der Senat braucht deswegen nicht zu entscheiden, ob die Rüge der Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit, wenn sie einleuchtend und nachvollziehbar vorgetragen wäre, in diesem Verfahren oder aber nach § 65 Nr. 4 Buchst. f BbgRiG, § 26 Abs. 3 DRiG im dienstgerichtlichen Verfahren zu überprüfen wäre (siehe dazu BGH, Urteil vom 4. Dezember 1989 – RiZ (R) 5/89 – juris und anschließend BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. April 1990 – 2 BvR 249/90 – juris Rn. 6; Göertz, in: Anders/Gehle, ZPO, 82. Aufl. 2024, § 26 DRiG Rn. 14 ff.; Staats, DRiG, 1. Aufl. 2012, § 26 Rn. 9).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG (halber Auffangwert).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).