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Arbeitsmarktsituation, dreiköpfige Familie, Einschulungsalter und Ganztagsschulen, Eltern mit internationalem Schutz in Griechenland, Griechenland, Klage auf Abschiebungsverbote hinsichtlich Griechenlands, Kläger mit IKT-Qualifikation, Unteilbarkeit der Abschiebungsandrohung


Metadaten

Gericht VG Cottbus 5. Kammer Entscheidungsdatum 25.06.2024
Aktenzeichen VG 5 K 1202/18.A ECLI ECLI:DE:VGCOTTB:2024:0625.5K1202.18.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Wegen der Kosten ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Den Klägern wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenen Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Kläger wenden sich gegen die auf die Zuerkennung internationalen Schutzes in Griechenland gestützte Ablehnung ihres in Deutschland gestellten Asylantrages als unzulässig, erstreben jedenfalls Abschiebungsverbote hinsichtlich Griechenlands.

Nachdem die Kläger am 7. Januar 2016 Syrien verlassen und nach einer Durchreise durch den Libanon sowie einem zweimonatigen Aufenthalt in der Türkei in Griechenland auf ihre Asylanträge internationalen Schutz erhalten hatten, verließen sie Griechenland nach einem achtmonatigen Aufenthalt und stellten am 8. November 2016 in Deutschland abermals Asylanträge. In einem Fragebogen gegenüber dem Bundesamt gab der Kläger an, über ein abgeschlossenes Abitur zu verfügen und an der Fachhochschule ein Studium mit der Fachrichtung PC und IT aufgenommen zu haben. Zuletzt habe er als Elektriker gearbeitet. Die Klägerin gab in ihrem Fragebogen an, einen Abiturabschluss erlangt und an der Uni Jura studiert zu haben. Beide Kläger gaben an, arabisch und englisch zu sprechen.

In ihrer Anhörung am 8. November 2016 trugen sie vor, in Griechenland griechische Reisepässe und auf 3 Jahre befristete Aufenthaltstitel erhalten zu haben. Mit den Reisepässen hätten sie Griechenland auf dem Luftwege nach Berlin verlassen. Als Grund für die Ausreise aus Griechenland nannten die Kläger ihre wirtschaftliche Situation. Sie hätten keine Unterstützung erhalten und anfangs in einem Zelt, später in einem Wohnwagen gewohnt. Gegen eine Rückkehr nach Griechenland wandte der Kläger ferner ein, dass sein Bruder in Deutschland lebe.

Mit Schreiben vom 19. Januar 2017 teilten die griechischen Behörden dem Bundesamt mit, dass die Kläger am 25. Mai 2016 Asyl beantragt hatten und ihnen am selben Tag die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt sowie Aufenthaltserlaubnisse mit Geltung bis zum 25. Mai 2019 erteilt worden waren.

Mit Bescheid vom 27. Januar 2017 lehnte das Bundesamt die Asylanträge als unzulässig ab und drohte den Klägern die Abschiebung nach Griechenland an. Nachdem das Verwaltungsgericht Cottbus mit Beschluss vom 3. März 2017 (5 L 86/17.A) die aufschiebende Wirkung der gegen den Bescheid erhobenen Klagen angeordnet hatte, wurde dieser Bescheid unwirksam, woraufhin das Klageverfahren übereinstimmend für erledigt erklärt wurde.

Unter dem 24. Mai 2018 erließ das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den streitgegenständlichen Bescheid, mit dem es die Asylanträge der Kläger als unzulässig ablehnte, Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes verneinte und eine Abschiebung nach Griechenland androhte. Ferner stellte es fest, dass die Kläger nicht nach Syrien abgeschoben werden dürfen und verhängte ein auf 30 Monate befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot. Wegen der Begründung wird auf den Bescheid selbst Bezug genommen.

Hiergegen haben die Kläger am 11. Juni 2018 Klage erhoben.

Zur Begründung berufen sich die Kläger auf sozioökonomische Bedingungen, die sie in Griechenland zu einem Leben unterhalb des Existenzminimums zwingen würden. Zur Begründung verweisen sie auf mehrere verwaltungsgerichtliche Entscheidungen und legen zuletzt einen Bericht der Stiftung Pro Asyl vom März 2024 über den Zugang zu offiziellen Dokumenten und über sozioökonomische Rechte von Inhaber internationalen Schutzes in Griechenland vor.

Die Kläger sind Eltern eines am 2. November 2017 in Deutschland geborenen Sohnes geworden, der unter dem Aktenzeichen 7_____ beim Bundesamt ein Asylverfahren betreibt.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid des Bundesamtes mit Ausnahme der Ziffer 1 und mit Ausnahme des letzten Satzes der Ziffer 3 dieses Bescheides aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, zu Gunsten der Kläger Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes hinsichtlich Griechenlands festzustellen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge Bezug genommen. Sämtliche Akten wurden zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

Entscheidungsgründe

Die Klage bleibt insgesamt ohne Erfolg.

Die Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsandrohung ist unzulässig.

§ 88 VwGO verpflichtet das Gericht, den Klageantrag sachgerecht in Übereinstimmung mit dem Rechtsschutzziel des Klägers auszulegen. Es ist nicht an die Fassung der Anträge gebunden, darf aber nicht über das Klagebegehren hinausgehen. Dabei ist es wegen der Dispositionsbefugnis des Klägers an dessen ausdrücklich und unmissverständlich erklärten Willen gebunden. Insbesondere ist es dem Gericht verwehrt, an die Stelle dessen, was eine Partei erklärtermaßen will, das zu setzen, was sie - nach Meinung des Gerichts - zur Verwirklichung ihres Bestrebens wollen sollte (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2023 – 1 C 34.22 – Juris Rn. 20).

Auf die Bedenken gegen die Zulässigkeit hingewiesen haben die Kläger an dem schriftsätzlich angekündigten Antrag insoweit festgehalten, als die Feststellung in der Ziffer 3 des angefochtenen Bescheides, wonach die Kläger nicht nach Syrien abgeschoben werden dürfen, von der Anfechtung ausgenommen werden soll.

Damit ist der gegen die Ziffer 3 des angefochtenen Bescheides gerichtete Anfechtungsantrag insgesamt unzulässig (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2023 – 1 C 34.22 – Juris Rn. 21).

Die unter Ziffer 3 des Bescheides getroffene Regelung ist nicht teilbar.

Eine Teilbarkeit setzt voraus, dass die rechtlich unbedenklichen Teile nicht in einem untrennbaren inneren Zusammenhang mit dem rechtswidrigen Teil stehen, sondern als selbstständige Regelung weiter existieren können, ohne ihren ursprünglichen Bedeutungsgehalt zu verändern. Das Bestehen eines derartigen inneren Zusammenhangs ist durch Auslegung zu ermitteln, bei der der Bedeutungsinhalt der Gesamtregelung in den Blick zu nehmen und zu fragen ist, ob die Behörde die (Rest-)Regelung auch isoliert erlassen hätte (BVerwG, Beschluss vom 2. Mai 2005 - 6 B 6.05 - juris Rn. 8; Decker, in: Posser/Wolff/Decker, BeckOK VwGO, Stand: 1. Oktober 2023, § 113 Rn. 36).

Gemessen hieran darf die negative Staatenbezeichnung von der Androhung der Abschiebung unter Bestimmung einer Frist und der Bezeichnung eines Zielstaates gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 AufenthG generell, jedenfalls aber im vorliegenden Fall nicht trennbar sein, sodass sie nur das Schicksal der genannten übrigen Bestandteile der Abschiebungsandrohung teilen kann.

Bereits nach dem Wortlaut der gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG auch für den Erlass der vorliegenden asylrechtlichen Abschiebungsandrohung maßgeblichen - § 60 Abs. 10 Satz 2 und § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG kann die negative Staatenbezeichnung nur "in der Androhung" erfolgen. Sie schränkt die Abschiebungsandrohung lediglich dahingehend ein, dass die Abschiebung in den negativ bezeichneten Staat nicht erfolgen darf. Kann aber im Fall der Aufhebung der Abschiebungsandrohung schon nicht in den bezeichneten Zielstaat abgeschoben werden, hat eine Regelung zur Einschränkung der Abschiebung keinen Anknüpfungspunkt und keinen sinnvollen Regelungsgehalt mehr.

Die Verpflichtungsklage auf Feststellung von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG ist unbegründet. Den Klägern steht kein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes hinsichtlich Griechenlands.

Gem. § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

Im Falle einer Abschiebung nach Griechenland droht keine konventionswidrige Behandlung. § 60 Abs. 5 AufenthG bewahrt den Ausländer vor der Abschiebung in bestimmte Staaten und vermittelt eine relative Schutzposition. Indes umfasst das normative Vergewisserungskonzept des Art. 16a Abs. 2 GG über die Sicherheit eines Drittstaates die generelle Feststellung, dass einem Ausländer, der diesen Staat als Flüchtling erreicht, der Schutz der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährt wird. Soll der in der Bundesrepublik um Schutz nachsuchende Flüchtling daher in diesen Drittstaat zurückgewiesen oder zurückverbracht werden, so entfällt deshalb auch eine gesonderte Prüfung der in 60 Abs. 5 AufenthG geregelten Abschiebungshindernisse, soweit diese aus der Europäischen Menschenrechtskonvention folgen (§ 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK); einer Prüfung bedarf es deshalb vor einer Aufenthaltsbeendigung in sichere Drittstaaten, wozu auch Griechenland als Mitglied der EU gehört, insoweit nicht (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93 –, BVerfGE 94, 49-114, Rn. 186 zu § 53 Abs. 1 und 4 AuslG). Eine Prüfung, ob der Zurückweisung oder sofortigen Rückverbringung in den Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, kann der Ausländer nur erreichen, wenn es sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass er von einem der im normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist. An diese Darlegung sind strenge Anforderungen zu stellen (BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93 –, BVerfGE 94, 49-114, Rn. 190).

Ein solcher vom Vergewisserungskonzept nicht erfasster Sonderfall liegt nicht vor.

Der für die Beurteilung dieser Gefahr maßgeblichen Rückkehrprognose ist zu Grunde zu legen, dass die Kläger dieses Verfahrens zusammen mit ihrem am 2. November 2017 im Inland geborenen Sohn ausreisen.

Bei der für jedes einzelne Familienmitglied anzustellenden Gefahrenprognose ist bei realitätsnaher Betrachtung der Rückkehrsituation im Regelfall davon auszugehen, dass eine im Bundesgebiet in familiärer Gemeinschaft lebende Kernfamilie (Eltern und minderjährige Kinder) im Familienverband in das Zielland der Abschiebungsandrohung zurückkehrt (vgl. BVerwGE 166, 113-125, Rn. 15). Lebt der Ausländer – wie hier -auch in Deutschland in familiärer Gemeinschaft mit der Kernfamilie, ist hiernach für die Bildung der Gefahrenprognose der hypothetische Aufenthalt des Ausländers im Herkunftsland in Gemeinschaft mit den weiteren Mitgliedern dieser Kernfamilie zu unterstellen. Bereits für die Bestimmung der voraussichtlichen Rückkehrsituation ist daher im Grundsatz davon auszugehen, dass ein nach Art. 6 GG/Art. 8 EMRK besonders schutzwürdiger Familienverband aus Eltern mit ihren minderjährigen Kindern nicht aufgelöst oder gar durch staatliche Maßnahmen zwangsweise getrennt wird. Die Mitglieder eines solchen Familienverbandes werden im Regelfall auch tatsächlich bestrebt sein, ihr - grundrechtlich geschütztes - familiäres Zusammenleben in einem Schutz- und Beistandsverband entweder im Bundesgebiet oder im Herkunftsland fortzusetzen (BVerwGE 166, 113-125, Rn. 17). Diese Rechtsprechung ist auf die vorliegende Konstellation der Rückführung eines in einem anderen EU-Mitgliedstaat als Flüchtling oder subsidiär schutzberechtigt Anerkannten in diesen Staat dem Grunde nach ohne weiteres übertragbar (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 7. Juli 2022 – A 4 S 3696/21 – Juris Rn. 35). Die Regelvermutung gemeinsamer Rückkehr Das Bundesverwaltungsgericht hat die Frage, ob die in seinem Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 45.18 – aufgestellte Regelvermutung einer gemeinsamen Rückkehr im Familienverbund auch dann gilt, wenn die familiäre Lebensgemeinschaft im Herkunftsland noch nicht bestanden hat, bislang offen gelassen (Beschl. v. 15.8.2019 - 1 B 33.19 -, juris Rn. 4). Diese Frage ist zu bejahen (OVG Lüneburg, Urteil vom 14. März 2022 – 4 LB 20/19 – Juris Rn. 93; Bay. VGH, Urteil vom 29. Oktober 2020 - 13a B 20.30347 - Juris Rn. 18). Entscheidender Gesichtspunkt für die anzustellende Prognose ist nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, dass ein nach Art. 6 GG/Art. 8 EMRK besonders schutzwürdiger Familienverband aus Eltern mit ihren minderjährigen Kindern nicht aufgelöst oder gar durch staatliche Maßnahmen zwangsweise getrennt wird. Die Mitglieder eines solchen Familienverbandes werden im Regelfall auch tatsächlich bestrebt sein, ihr - grundrechtlich geschütztes - familiäres Zusammenleben in einem Schutz- und Beistandsverband entweder im Bundesgebiet oder in einem anderen Land fortzusetzen (vgl. BVerwGE 166, 113-125, Rn. 17) . Ob die schützenswerte Lebensgemeinschaft erst im Bundesgebiet begründet worden ist, ist hierfür nicht von entscheidendem Belang, maßgeblich ist vielmehr, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung und der in diesem Rahmen zu erfolgenden Prognose – wie hier - eine schützenswerte Lebens- und Erziehungsgemeinschaft besteht.

Schließlich steht der Prognose einer gemeinsamen Rückkehr nicht entgegen, dass das Kind der Kläger keinen Aufenthaltstitel für Griechenland besitzt. Denn es besitzt jedenfalls einen hierauf gerichteten aus Art. 24 Abs. 1, zweiter Unterabsatz i.V.m. Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU folgenden Anspruch.

Diese Prognose gemeinsamer Rückkehr zu Grunde gelegt droht den Klägern keine Verletzung von Art. 3 EMRK.

Die dem Gericht vorliegenden Erkenntnisse lassen eine solche Gefahr nicht besorgen.

Im Falle der Kläger lässt sich nicht feststellen, dass ihnen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein menschenunwürdiger Zustand der Verelendung droht (vgl. zum Prognosemaßstab BVerwG, Beschluss vom 19. Januar 2022 – 1 B 83.21 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 36 Rn. 12).

Maßgeblich sind dabei die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG).

Es ist nicht die Aufgabe des Gerichts, durch Erhebungen über konkrete Lohnhöhe und Lebenshaltungskosten den Klägern nachzuweisen, dass sie in Griechenland ihren existentiellen Lebensunterhalt sichern können werden. Denn ein ernsthaftes Risiko eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK besteht nicht bereits dann, wenn nicht sicher festzustellen ist, ob im Falle einer Rücküberstellung die Befriedigung der bezeichneten Grundbedürfnisse sichergestellt ist, sondern nur für den Fall, dass die Befriedigung eines der bezeichneten Grundbedürfnisse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist und der Drittstaatsangehörige dadurch Gefahr läuft, erheblich in seiner Gesundheit beeinträchtigt zu werden oder in einen menschenunwürdigen Zustand der Verelendung versetzt zu werden (BVerwG, Beschluss vom 19. Januar 2022 – 1 B 83.21 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 36 Rn. 12).

Die allgemeinen dem Gericht vorliegenden Informationen zur Lage in Griechenland lassen im Falle der Kläger nicht den Schluss zu, dass die Befriedigung eines der Grundbedürfnisse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist.

Angesichts der Arbeitsmarktsituation ist es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass eine erwerbsfähige, erwachsene Person außerstande ist, durch eigene Erwerbstätigkeit ein Existenzminimum oberhalb der Schwelle des Art. 3 EMRK zu erwirtschaften. Dies hat die Kammer bereits in den Kammerurteilen vom 31. Dezember 2024 (5 K 522/22.A, 5 K 10/23.A und 5 K 181/23.A) ausgesprochen.

Nach den neuesten Angaben des staatlichen Statistikamts Elstat ging die Arbeitslosenquote im September 2023 auf zehn Prozent zurück. Das war der niedrigste Stand seit September 2009, als die Quote 10,1 Prozent betrug. Die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt spiegelt die starke Konjunktur wider. Griechenlands Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte in den beiden vergangenen Jahren insgesamt um 14 Prozent zu. Eine Rezession ist nicht in Sicht. Für das Jahr 2023 erwartet die griechische Regierung ein Plus von 2,3 Prozent. Für 2024 rechnet Wirtschafts- und Finanzminister Kostis Hatzidakis sogar mit drei Prozent Wachstum (Handelsblatt vom 7. November 2023: „Arbeitslosigkeit in Griechenland fällt unter Vorkrisenniveau“). Auch Wirtschaftsexperten außerhalb der griechischen Regierung bestätigen diese Entwicklung. Eine  Analyse des britischen Wirtschaftsmagazins »Economist«  stellt fest, dass die griechische Wirtschaft im Vergleich zu 35 anderen OECD-Staaten, darunter auch Deutschland, zum zweiten Mal in Folge am besten abgeschnitten hat. Untersucht wurden dafür fünf Wirtschaftsindikatoren, nämlich die Inflation, die sogenannte Inflationsbreite, das Bruttoinlandsprodukt, Beschäftigungswachstum und die Börsenentwicklung (www.spiegel.de vom 28. Dezember 2023: „Economist“ kürt Griechenland zur besten Wirtschaft des Jahres“).

Die Beschäftigungschancen hängen nicht von Qualifikationen ab, die den Klägern abgehen (zu den besonderen Qualifikationen des Klägers zu 1. vgl. weiter unten). Denn zu den Branchen mit der besten Entwicklung und dem höchsten Anstieg der Beschäftigung gehören auch das verarbeitende Gewerbe, Transportwesen und das Lagerwesen. Insbesondere für ungelernte Arbeitskräfte wirkt sich aber aus, dass gerade in der Tourismusbranche, in der Landwirtschaft und im Bauwesen eine Vielzahl von Arbeitsplätzen angeboten wird (vgl. EURES, Arbeitsmarktinformationen: Griechenland vom 10. August 2023). Seit Mitte 2022 gibt es immer häufiger Berichte, denen zufolge in diesen Branchen (Landwirtschaft, Bau, Tourismus) auf Grund des Arbeitskräftemangels Arbeitgeber aktiv nach Arbeitskräften auch unter Schutzberechtigten suchen (Deutsche Botschaft Athen, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Stand Februar 2023, Seite 7, Ziffer 3.4). In der Landwirtschaft herrscht ein Mangel an Arbeitskräften, der u.a. der Abwanderung von Landarbeitern aus Drittländern während der Corona-Krise geschuldet ist. Im Obst-, Gemüse und Olivenanbau sowie bei den Viehzüchtern sollen derzeit 70.000 Arbeitskräfte fehlen (Deutschlandfunk, Bericht vom 18. Dezember 2023, „Griechenland will 30.000 Migranten eine Arbeitserlaubnis erteilen“). In der Tourismusbranche fehlen rund 100.000 Beschäftigte. Während der Corona-Pandemie haben sich nämlich viele Arbeitnehmer umorientiert (GTAI, Wirtschaftsumfeld/Griechenland/Arbeitsmarkt, Bericht vom 10. Oktober 2023). Diese Nachfrage nach ungelernten Arbeitskräften hat der griechische Gesetzgeber zum Anlass genommen, am 19. Dezember 2023 ein Gesetz zu verabschieden, um zehntausende Arbeitserlaubnisse selbst an jene Migranten zu erteilen, die sich noch in Asylverfahren befinden oder illegal in Griechenland leben (vgl. RND, Bericht vom 20. Dezember 2023, „Griechenland: Zehntausende Migranten erhalten Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung“). Vor diesem Hintergrund steht nicht zu erwarten, dass ein etwaiges Erlöschen der Steueridentifikationsnummer und der Arbeitserlaubnis, deren Erneuerung u.U. mehrere Monate dauern könnte, der Arbeitsaufnahme entgegensteht. Ginge – wie hier – das Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis und der Steueridentifikationsnummer auf Unterlassen eines Antrags auf Verlängerung kann sich der Kläger hierauf ohnehin nicht berufen (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 20. April 2023 – 24 ZB 23.30078 – Juris Rn. 16). Jedenfalls ist zur Abwendung extremer materieller Not auch der Verweis auf Tätigkeiten im Bereich der sogenannten "Schatten- oder Nischenwirtschaft" zumutbar (BVerwG, Beschluss vom 19. Januar 2022 – 1 B 83.21 – Buchholz 310 § 132 Abs 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 36 = Juris Rn. 25). Dies gilt umso mehr, als es nur um die Zeit bis zur Neuerteilung geht.

Obdachlosigkeit unter Flüchtlingen und Migranten stellt nach dem Bericht der Deutschen Botschaft Athen (a.a.O. Seite 9, Ziffer 3.7.1) weiterhin kein augenscheinliches Massenphänomen dar, was unter Bezugnahme auf die diesbezügliche Auskunft vom 06.12.2018 an das VG Stade (Az. 10 A 1632/18) auf die Bildung von eigenen Strukturen und Vernetzung innerhalb der jeweiligen Landsmannschaften zurückgeführt wird, über welche auf informelle Möglichkeiten zurückgegriffen werden kann. Für die Erfüllung der an Art. 3 EMRK zu messenden Grundbedürfnisse gelten.

In Ansehung dieser Verhältnisse in Griechenland lassen die individuellen Umstände der Kläger nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit besorgen, dass sie dort der Verelendung preisgegeben würden. Insbesondere ist es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass sie die sich dort bietenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt nicht ergreifen können werden.

Die Kläger sind gesund und erwerbsfähig.

Dies gilt auch für die Klägerin zu 2. Insbesondere ist sie durch die Betreuung des gemeinsamen Sohnes nicht an der Arbeitsaufnahme gehindert. Der am 2. November 2017 geborene Sohn ist nämlich mit seinen knapp 7 Jahren bereits schulpflichtig. Die Schulpflicht setzt in Griechenland mit der Vollendung des 6. Lebensjahres ein (Wikipedia: Bildungssystem in Griechenland, Stand 18. November 2023). Dabei steht ist davon auszugehen, dass die Klägerin, die eigenen Angaben zu Folge auch Englisch spricht, einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen kann. Denn an ungefähr 50 % aller Grundschulen gibt es ein Betreuungsprogramm für Kinder berufstätiger Eltern, das bis 17:30 Uhr dauert (Wikipedia a.a.O.). Jedenfalls steht das Gegenteil, nämlich, dass die Klägerin an einer Vollzeitbeschäftigung gehindert wäre, nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit fest.

Im Übrigen ist schon mit Blick auf die besondere Qualifikation des Klägers zu 1. davon auszugehen, dass er ein das Existenzminimum für die gesamte Familie sicherndes Einkommen erzielen kann. Der Kläger arbeitet bereits für eine auf dem Gebiet der Elektrotechnik bundesweit tätige Firma als Projektleiter und betreut etwa die Einrichtung einer computertomografischen Diagnostik in der Notaufnahme des B_____-Krankenhauses oder den Bau von Photovoltaikanlagen auf Gebäuden der F_____. Angesichts des in Griechenland herrschenden Fachkräftemangels in der IKT-Branche (vgl. GTAI Bericht vom 10. Oktober 2023: Griechenland/Arbeitsmarkt) drängt es sich auf, dass dem ebenfalls Englisch sprechenden Kläger auch in Griechenland einträgliche Beschäftigungsoptionen offenstehen werden.

Dass den Klägern in Griechenland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein menschenunwürdiger Zustand der Verelendung droht (vgl. zum Prognosemaßstab BVerwG, Beschluss vom 19. Januar 2022 – 1 B 83.21 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 36 Rn. 12), lässt sich ebenso wenig auf Grund der Vorerlebnisse oder mit Blick auf die bisherige Rechtsprechung zur Lage in Griechenland prognostizieren.

Vorerlebnissen kommt, zumal wenn sie - wie hier - mehrere Jahre zurückliegen, nur in begrenztem Umfang Erkenntniswert zu, keinesfalls führen sie zur einer Beweislastumkehr (BVerwG, Beschluss vom 6. Juni 2014 – 10 B 35.14 – Buchholz 402.25 § 27a AsylVfG Nr. 2).

Gleiches gilt für die zur Lage von Inhabern internationalen Schutzes ergangene Rechtsprechung. Die unionsrechtliche Vermutung für eine Charta-konforme Behandlung kann nur auf der Grundlage gebührend aktualisierter Angaben widerlegt werden (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-297/17 – Juris Rn. 85 und 88; Urteil vom 30. November 2023 – C 228/21 u. a. – Rn. 136; BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 2022 – 1 B 73.22 – Juris Rn. 8). Deshalb kann in Verfahren der vorliegenden Art in der Regel nicht angenommen werden, dass eine obergerichtliche Grundsatzentscheidung zu einer bestimmten Tatsachenfrage nach längerem Zeitablauf noch unverändert Gültigkeit beanspruchen kann (eine Divergenz verneinend OVG Lüneburg, Beschluss vom 4. Dezember 2020 – 10 LA 264/19 – Juris Rn. 16). So verhält es sich insbesondere mit Blick auf das Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 23. November 2021 – 3 B 54.19 – Juris. Dieses Urteil beruht auf Erkenntnissen, welche in dem Zeitraum Ende 2020 bis Spätsommer 2021 publiziert wurden, also reale Verhältnisse wiedergeben, die mittlerweile drei Jahre oder länger zurückliegen. Es kommt hinzu, dass diese Erkenntnisse eine Situation widerspiegeln, die maßgeblich von der Corona-Pandemie geprägt gewesen ist, die sich ihrerseits besonders stark auf den Tourismussektor ausgewirkt hat und deshalb die Chancen ungelernter Arbeitskräfte ohne soziales Netzwerk besonders verschlechtert hat. Gleiches gilt auch für das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 27. April 2022 – 5 A 492/21 A – Juris. Die dort zu Grunde gelegten Erkenntnisse stammen aus dem Zeitraum von 2017 bis August 2021. Die neueste Erkenntnisquelle berichtet demnach über Verhältnisse, die länger als zweieinhalb Jahre zurückliegen. Auch dieser Tatsachenstoff kann wegen des Zeitablaufs und mit Blick auf das Ende der Corona-Pandemie und insbesondere die seitdem eingetretene signifikante Änderung der wirtschaftlichen Lage nicht mehr als „gebührend aktualisierte Angaben“ i.S.d. EuGH-Rechtsprechung gewertet werden. Auch die übrigen zitierten Judikate beruhen nicht auf neueren Erkenntnissen.

Soweit sich die Kläger auf den Bericht der Stiftung Pro Asyl, März 2024, „Inhaber internationalen Schutzes in Griechenland: Zugang zu Dokumenten und sozio-ökonomische Rechte“ berufen, greift der damit geltend gemachte Einwand nicht durch, weil die Kläger gerade nicht auf die Unterstützung des griechischen Staates angewiesen sein werden, sondern ihren Lebensunterhalt selbst erarbeiten können. Hinsichtlich der erforderlichen Dokumente wird auf die Ausführungen zur Arbeitsmarktlage Bezug genommen.

Der Wunsch der Kläger im Bundesgebiet zu verbleiben, steht auch in Ansehung der insoweit geltend gemachten Aufenthaltsdauer und etwa bereits unternommener Integrationsanstrengungen einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG nicht entgegen. Aus Völker- oder Unionsrecht folgt kein Recht auf Wahl des Zufluchtslandes. Hat ein Schutzsuchender in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union Schutz vor Verfolgung gefunden, folgt hieraus grundsätzlich kein Recht auf Weiterwanderung in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder auf die Durchführung eines weiteren Asyl Verfahrens. Ein solches Recht ergibt sich auch nicht aus dem Grundgesetz, namentlich auch nicht aus der Garantie der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG). Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG regelt im Einklang mit dem Grundgesetz (BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93, BVerfGE 94, 49) für das nationale Asylrecht, dass sich auf den Schutz politisch Verfolgter durch das Asylrecht nicht berufen kann, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Dies schließt auch einen unmittelbar aus der Menschenwürde abgeleiteten Anspruch auf Beachtung ihres Wunsches aus, als Schutzberechtigte in Deutschland und nicht in Bulgarien leben zu wollen (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 7. September 2021 – 1 C 3.21 – Rn. 15).

Ebenso wenig greift ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ein. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Das normative Vergewisserungskonzept des Art. 16a Abs. 2 GG umfasst auch solche Gefährdungen; einer Prüfung bedarf es deshalb vor einer Aufenthaltsbeendigung in sichere Drittstaaten, wozu auch Griechenland als Mitglied der EU gehört, auch insoweit nicht (vgl. zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93 –, BVerfGE 94, 49-114, Rn. 186).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

Rechtsmittelbelehrung: