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Arzt, Kammermitglied, Ärztekammer Berlin, berufsgerichtliches Verfahren, Berufsobergericht für Heilberufe Berlin, Senat für Heilberufe Berlin, Rechtsmittel, Beschwerde, Anwaltszwang, Postulationsfähigkeit


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 90. Senat Entscheidungsdatum 29.07.2024
Aktenzeichen OVG 90 H 1/23 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2024:0729.OVG90H1.23.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 60 Abs 1 BlnHKG, § 63 Abs 2 BlnHKG, § 82 Abs 4 BlnHKG, § 67 Abs 4 VwGO, § 147 Abs 1 Satz 2 VwGO, § 78 Abs 3 ZPO

Leitsatz

Nach dem Berliner Heilberufekammergesetz kann ein Arzt die Beschwerde gegen eine Sachentscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin - Kammer für Heilberufe - nicht selbst einlegen.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Berufsgerichts für Heilberufe bei dem Verwaltungsgericht Berlin vom 10. Februar 2023 wird verworfen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.

Die Einleitungsbehörde stellte mit Bescheid vom 19. Mai 2022 ein gegen den Antragsteller geführtes berufsrechtliches Verfahren ein. In der Begründung sah sie ein Berufsvergehen als bestätigt an, erklärte eine berufsgerichtliche Maßnahme jedoch nicht für angezeigt und ergänzte, der Bescheid sei unanfechtbar. Der Antragsteller hat dagegen einen Rechtsbehelf beim Berufsgericht für Heilberufe bei dem Verwaltungsgericht Berlin eingereicht mit zehn Anträgen. Das Berufsgericht hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass eine mündliche Verhandlung nur in der ersten Instanz nach Ermessen des Gerichts möglich sei, aber nicht angestrebt werde. Der Antragsteller hat darauf erwidert, er verzichte ausdrücklich und endgültig auf eine mündliche Verhandlung. Das Berufsgericht hat mit Beschluss vom 10. Februar 2023, zugestellt am 20. Februar 2023, den Antrag des Antragstellers auf Entscheidung zurückgewiesen. Das Berufsgericht kam zu dem Ergebnis, dass der Antrag in Anwendung des Berliner Heilberufekammergesetzes – BlnHKG –unzulässig sei. In der Rechtsmittelbelehrung hat es auf die Möglichkeit einer innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung einzulegenden Beschwerde hingewiesen.

Der Antragsteller hat am 2. März 2023 eine von ihm selbst unter dem Datum 1. März 2023 verfasste und unterschriebene Beschwerdeschrift nebst weiteren Anträgen beim Berufsgericht eingereicht. Das Berufsobergericht für Heilberufe hat den Antragsteller unter dem 14. März 2023 darauf hingewiesen, dass nach der (näher erläuterten) Berliner Rechtslage die ohne einen Prozessbevollmächtigten gemäß § 67 Abs. 4 VwGO eingelegte Beschwerde unzulässig sein dürfte. Dem tritt der Antragsteller entgegen mit dem Hinweis darauf, dass nach Auskünften einer Beschäftigten der Geschäftsstelle des Berufsgerichts und seines Anstaltsleiters, zudem nach der Formulierung der Rechtsbehelfsbelehrung, weiter nach den gesetzlichen Bestimmungen und deren Kommentierung und schließlich nach der Rechtsprechung u.a. zum Hamburger Heilberufsrecht die selbst vorgenommene Beschwerde möglich sei. Der Antragsteller stellt in seinem am 3. April 2023 beim Berufsobergericht eingegangenen Schreiben einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

II.

Das Berufsobergericht für Heilberufe entscheidet über eine Beschwerde gegen einen auf dem Berliner Heilberufekammergesetz beruhenden Beschluss des Berufsgerichts für Heilberufe nach § 82 Abs. 6 Satz 1 BlnHKG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss. Auf diese Entscheidungsform ist der Antragsteller wie auch die Einleitungsbehörde vom Vorsitzenden im Schreiben vom 14. März 2023 hingewiesen worden. Er hat sich nicht dagegen verwahrt.

Die Beschwerde ist als unzulässig zu verwerfen (Stuhlfauth, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth u.a., VwGO, 8. Aufl. 2021, § 67 Rn. 23) aus den im Schreiben vom 14. März 2023 genannten Gründen. Der Antragsteller, der nicht die Befähigung zum Richteramt besitzt, erfüllt nicht die formellen Voraussetzungen zum wirksamen Einlegen des Rechtsmittels. Womöglich missverständliche oder falsche Auskünfte, auf die sich der Antragsteller beruft, würden die Rechtslage nicht abändern können.

Nach § 60 Abs. 1 BlnHKG sind die Bestimmungen der Verwaltungsgerichtsordnung entsprechend anzuwenden, soweit nicht im Berliner Heilberufekammergesetz etwas anderes bestimmt ist oder die Eigenart des berufsrechtlichen oder berufsgerichtlichen Verfahrens entgegensteht. Gemäß § 67 Abs. 4 VwGO müssen sich die Beteiligten vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht durch dort näher bestimmte Prozessbevollmächtigte mit juristischer Qualifikation (siehe auch § 63 Abs. 2 BlnHKG; vgl. dazu Stuhlfauth, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth u.a., VwGO, 8. Aufl. 2021, § 67 Rn. 32) vertreten lassen (so ausdrücklich für eine Beschwerde schon VGH Mannheim, Beschluss vom 19. August 2014 – 8 S 1235/14 – juris Rn. 3), von hier nicht gegebenen Ausnahmen einmal abgesehen.

Das Recht eines beschuldigten Kammermitglieds, sich einer bzw. eines Bevollmächtigten oder eines Beistands zu bedienen (§ 63 Abs. 1 Satz 3 BlnHKG), ist keine „andere Bestimmung“ im Sinn des § 60 Abs. 1 BlnHKG, die der Anwendung von § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO entgegensteht. Das Berliner Heilberufekammergesetz unterscheidet Bevollmächtigte, die die Befähigung zum Richteramt haben müssen, und Beistände, die auch Berufsangehörige sein können (§ 63 Abs. 2 Satz 1 BlnHKG). Die einen vertreten das Kammermitglied, die anderen unterstützen es (so Abgeordnetenhaus Berlin, Drs. 18/0454, zu § 63). Ein Beistand ist nicht nur in der ersten, sondern auch in der zweiten Instanz möglich, wie aus § 82 Abs. 1 Satz 2 BlnHKG zu schließen ist (vgl. Abgeordnetenhaus Berlin, Drs. 18/0454, zu § 82). Der Berliner Gesetzgeber knüpft mit der Unterscheidung an eine in der Gesetzgebung bereits eingeführte Terminologie an. Sie findet sich etwa in der Verwaltungsgerichtsordnung (§ 67 Abs. 2 mit Abs. 7 VwGO). Mit der Möglichkeit eines Beistands ist nichts über die (an anderer Stelle angeordnete) Notwendigkeit einer Vertretung in zweiter Instanz durch einen Bevollmächtigten, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, gesagt.

Der Gesetzgeber hat ausweislich der Begründung für das Berliner Heilberufekammergesetz vom 29. Juni 2017 (Abgeordnetenhaus Berlin, Drs. 18/0454) in diesem Punkt die Rechtslage, wie sie bislang galt, nicht beanstandet oder erklärtermaßen abändern wollen. Das bis dahin geltende Berliner Kammergesetz hatte in dessen § 24 über § 3 DiszG ebenfalls auf § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO Bezug genommen. Das Erfordernis, sich in zweiter Instanz durch einen Bevollmächtigten im Sinne dieser Vorschrift vertreten lassen zu müssen, war im Disziplinarrecht schon damals unbestritten (vgl. Urban/Wittkowski, BDG, Kommentar, 2. Aufl. 2017, § 3 Rn. 7, § 20 Rn. 6, § 64 Rn. 3a; Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Loseblatt-Kommentar, § 3 Rn. 8, Stand: März 2009; Hummel/Köhler/Mayer/Baunack, BDG, Kommentar, 6. Aufl. 2016, § 64 Rn. 1; Weiß, GKÖD II, Loseblatt-Kommentar, Anh 1 M § 20 Rn. 1, Stand: April 2010, § 63 Rn. 40, 70, Stand: Januar 2012; siehe ferner OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. Juni 2007 – 19 ZD 6/07 – juris Rn. 2 f.).

Der Umstand, dass die Beschwerde nach § 82 Abs. 4 BlnHKG auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eingelegt werden kann, ergibt nicht vermittels § 78 Abs. 3 ZPO die Möglichkeit des betroffenen Arztes, selbst das Rechtsmittel wirksam einlegen zu können. Das Berliner Heilberufekammergesetz enthält keinen Verweis auf die Anwendbarkeit der Zivilprozessordnung. § 78 Abs. 3 ZPO ist auch nicht vermittels der in Bezug genommenen Verwaltungsgerichtsordnung aufgrund von § 173 Satz 1 VwGO anwendbar. Denn die Verwaltungsgerichtsordnung trifft in § 67 Abs. 4 VwGO eine abschließende Regelung (BVerwG, Beschluss vom 11. Dezember 2012 – 8 B 58.12 – juris Rn. 13).

Das Berufsobergericht für Heilberufe hat bereits zum früheren Berliner Kammergesetz entschieden, dass § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO anzuwenden ist (Urteil vom 28. November 2018 – OVG 90 H 1.15 – UA S. 4 f.). Das vom Antragsteller aufgebotene Urteil des Hamburgischen Berufsgerichtshofs für die Heilberufe vom 4. November 2020 – 15 Bf 63/20.HBG – (juris Rn. 54) setzt sich weder mit der Rechtsprechung des Berliner Berufsobergerichts noch mit dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Dezember 2012 – 8 B 58.12 – (juris [auch auf der Homepage des BVerwG] Rn. 11 f.) auseinander und argumentiert zudem mit Besonderheiten der hamburgischen Rechtslage.

Das Bundesverwaltungsgericht hat zu § 44 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO (das Ablehnungsgesuch „kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden“) ausgeführt: „Jedenfalls seit der Neufassung des § 67 VwGO durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom 12. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2840) ist jedoch für eine Verdrängung der Vorschrift des § 67 Abs. 4 VwGO durch § 44 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht kein Raum mehr. Die für die Zivilgerichte geltende Vorschrift des § 44 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO ist nach der Regelung in § 54 Abs. 1 VwGO auf verwaltungsgerichtliche Verfahren lediglich ‚entsprechend‘ anzuwenden. Eine entsprechende Anwendung der Vorschrift kommt jedoch von vornherein nicht in Betracht, soweit in der Verwaltungsgerichtsordnung u.a. für Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eine anderweitige ausdrückliche Regelung getroffen worden ist. Dies ist in der Spezialvorschrift des § 67 Abs. 4 VwGO geschehen, der ausdrücklich vorschreibt, dass sich die Beteiligten vor dem Bundesverwaltungsgericht, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen müssen. Der Wortlaut der Vorschrift nimmt lediglich Prozesskostenhilfeverfahren vom Vertretungszwang aus. In allen übrigen Verfahren ist eine solche Ausnahme gerade nicht vorgesehen. Damit ist eine erkennbar abschließende Bestimmung getroffen (vgl. dazu u.a. Eyermann/Schmidt, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 67 Rn. 7 m.w.N.). Dafür spricht auch die Entstehungsgeschichte der Regelung“ (BVerwG, Beschluss vom 11. Dezember 2012 – 8 B 58.12 – juris Rn. 12).

Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Rechtsauffassung zu § 44 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO und mithin zu einer Norm bekräftigt, die im Unterschied zu § 147 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht ausdrücklich erklärt, dass § 67 Abs. 4 VwGO unberührt bleibt. Auf einen solchen ausdrücklichen Vorbehalt kommt es der höchstrichterlichen Rechtsprechung ausdrücklich nicht an (BVerwG, Beschluss vom 11. Dezember 2012 – 8 B 58.12 – juris Rn. 13). Dem schließt sich das Berufsobergericht für Heilberufe an.

Aus der aktuellen Kommentierung zur Verwaltungsgerichtsordnung ergibt sich nichts anderes (siehe Czybulka/Siegel und Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 67 Rn. 52 ff. und § 147 Rn. 7 ff.; Stuhlfauth, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth u.a., VwGO, 8. Aufl. 2021, § 67 Rn. 22 ff. und § 147 Rn. 7; Hoppe und Happ, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2023, § 67 Rn. 16 und § 147 Rn. 4; W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 29. Aufl. 2023, § 67 Rn. 29 f. und § 147 Rn. 2; Meissner/Schenk und Rudisile, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Band VwGO, Stand März 2023, § 67 Rn. 68 und § 147 Rn. 4).

Schließlich folgt die Zulässigkeit der Beschwerde nicht aus dem vom Antragsteller gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Nach § 60 Abs. 1 BlnHKG in Verbindung mit § 60 VwGO kann zwar Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Sie kommt indes nur in Betracht, wenn innerhalb der Antragsfrist die versäumte Rechtshandlung nachgeholt wird (§ 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Die Antragsfrist beträgt, soweit es um die Einlegung der Beschwerde geht, einen Monat (§ 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Dazu hätte ein zugelassener, vom Antragsteller beauftragter Prozessbevollmächtigter in dieser Frist die Beschwerde einlegen müssen. Das ist jedoch bis heute nicht geschehen.

Die Kostenentscheidung beruht in diesem von § 85 Abs. 4 BlnHKG nicht geregelten Fall auf § 85 Abs. 1 Satz 1 BlnHKG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 BlnHKG, § 154 Abs. 2 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 82 Abs. 3 BlnHKG).