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Entscheidung 2 OAus 26/24


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 2. Strafsenat Entscheidungsdatum 01.08.2024
Aktenzeichen 2 OAus 26/24 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2024:0801.2OAUS26.24.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Gegen den Verfolgten wird die Auslieferungshaft angeordnet.

Gründe

I.

Die türkischen Justizbehörden ersuchen mit Verbalnote der Botschaft der Republik Türkei vom 15. August 2023 auf der Grundlage des Haftbefehls der Oberstaatsanwaltschaft von („Stadt 01“) vom 28. April 2023 (Az. 2017/1-1526) um Auslieferung des zur Fahndung ausgeschrieben Verfolgten mit türkischer Staatsangehörigkeit zum Zwecke der Strafvollstreckung der durch „Urteil der 1. Vollstreckungsrichterschaft“ von („Stadt 01“) vom 22. November 2022 (Az. 2022/6607, Urteilsnummer 2022/6614) erkannten Gesamtfreiheitstrafe von 15 Jahren, 30 Monaten und 100 Tagen. Diese Gesamtfreiheitsstrafe, von denen der Verfolgte einen Tag, 488 Tage sowie 134 Tage bereits verbüßt hat, wurde aus sieben Einzelstrafen gebildet und beruht auf den folgenden vier in Anwesenheit des Verfolgten ergangenen Verurteilungen durch die türkische Strafjustiz:

1.)

Das 4. Schwurgericht von („Stadt 01“) verurteilte den Verfolgten am 7. Februar 2017 (Az. 2016/133, Urteilsnummer 2017/43) wegen Handelns oder Beschaffung von Betäubungsmitteln oder Stimulanzien (Art. 188 Abs. 3, Art. 62, Art. 52 Abs. 2, Abs. 4, Art. 63 und Art. 53 des türkischen StGB Nr. 5237) zu einer Freiheitsstrafe von 8 Jahren und 4 Monaten sowie einer Freiheitsstrafe von 50 Tagen.

Nach der deutschen Übersetzung des Schreibens der Oberstaatsanwaltschaft („Stadt 01“) vom 2. Mai 2023 lag diesem Urteil der Vorwurf zugrunde, dass bei einer ordnungsgemäßen Durchsuchung der Wohnung des Verfolgten am 18. März 2016 in („Stadt 01“) 1,4 Gramm Cannabis und 376,25 Gramm Cannabis in einer weiteren Tüte, sowie 0,44 Gramm Amphetamin und 105,05 Gramm Amphetamin in einer weiteren Tüte beschlagnahmt worden seien. Unter Berücksichtigung der Vielzahl und der Art der beschlagnahmten Substanzen sowie ihrer Menge und Verfügbarkeit zum Verkauf sei das Gericht zu dem Schluss gekommen, dass der Verfolgte die besagten Substanzen behalten habe, um sie zu verkaufen und auf diese Weise die ihm zur Last gelegten Straftaten des Handelns oder der Beschaffung von Betäubungsmitteln oder Stimulanzien begangen habe.

2.)

Mit Urteil des Schwurgerichts von („Stadt 02“) vom 15. November 2017 (Az. 2017/28, Urteilsnummer 2017/111) wurde der Verurteilte wegen Handelns oder Beschaffung von Betäubungsmitteln oder Stimulanzien (Art. 188 Abs. 3, Art. 62 Abs. 1, Art. 52 Abs. 2, 63 und Art. 53 Abs. 1 des türkischen StGB Nr. 5237) zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 8 Monaten sowie einer Freiheitsstrafe von 25 Tagen verurteilt.

Dem Verfolgten wurde nach der Sachverhaltsschilderung in dem Schreiben der Oberstaatsanwaltschaft („Stadt 01“) vom 2. Mai 2023 und den dies ergänzenden Auslieferungsunterlagen zur Last gelegt, er habe am 15. März 2013 in („Stadt 02“) zusammen mit weiteren Personen versucht, aus einem von der Polizei verfolgten Fahrzeug, das für einen Drogentransport benutzt worden sei, zu fliehen. Es habe sich dann herausgestellt, dass Drogen aus dem Fenster des Fahrzeugs geworfen worden seien. Die Menge der beschlagnahmten Drogen habe 41,485 Gramm Cannabispulver und drei synthetische Drogentabletten betzragen. Dabei seien unter Berücksichtigung der Aussagen der vermutlich gemeinsam handelnden Personen, der Menge und Qualität der beschlagnahmten Betäubungsmittel sowie der in der Akte enthaltenen Kommunikationsaufzeichnungen die oben genannten Strafen bestimmt worden.

3.)

Das 12. Strafgericht erster Instanz von („Stadt 01“) verurteilte den Verfolgten am 30. März 2017 (Az. 2016/437, Urteilsnummer 2017/150) wegen Urkundenfälschung (Art. 204 Abs. 1, Art. 62 Abs. 1, Art. 53 Abs. 1 des türkischen StGB Nr. 5237) zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 8 Monaten.

Dem Urteil liegt nach der Sachverhaltsschilderung in dem Schreiben der Oberstaatsanwaltschaft („Stadt 01“) vom 2. Mai 2023 und den dies ergänzenden Auslieferungsunterlagen der Vorwurf der „offiziellen Urkundenfälschung“ zugrunde. Der Verfolgte habe in dem Wissen einer gegen ihn verhängten rechtskräftigen Freiheitsstrafe am 18. März 2016 in („Stadt 01“) ein Foto (von sich) auf einem (fremden) Personalausweis angebracht, um damit über seine Identität zu täuschen. Dies habe er gestanden. Der so gefälschte Personalausweis sei auch insoweit zur Täuschung geeignet gewesen.

4.)

Mit Urteil des 9. Strafgerichts erster Instanz von („Stadt 01“) vom 14. September 2017 (Az. 2017/454, Urteilsnummer 2017/457) wurde der Verfolgte wegen des Kaufs, Tragens oder Besitzes von nicht lizensierten Schusswaffen und Kugeln (Art. 13 Abs. 1 des Gesetzes über Schusswaffen und Messer und andere Geräte des Gesetzes Nr. 6136; Art. 62, 52, 53 des türkischen StGB Nr. 5237) zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten sowie einer Geldstrafe von 500 TL verurteilt.

In diesem Urteil wurde dem Verfolgten nach dem Schreiben der Oberstaatsanwaltschaft („Stadt 01“) vom 2. Mai 2023 Folgendes zur Last gelegt:

Am 19. März 2013 sei in („Stadt 01“) das Auto mit dem Kennzeichen …, in dem sich der Verfolgte aufgehalten habe, von Polizeibeamten durchsucht worden. In der Tür des Fahrzeugs seien eine nicht lizenzierte Waffe mit der Seriennummer …, 7,65 mm Durchmesser, Marke … und fünf „gefüllte“ Kugeln dieser Waffe gefunden und beschlagnahmt worden. Im Rahmen der Kriminalermittlungen zu den betreffenden Waffen und Kugeln habe sich herausgestellt, dass die Waffe und die Kugeln nach dem Gesetz Nr. 6136 über Schusswaffen und Messer verboten seien.

Der Verfolgte ist in („Adresse 01“) gemeldet. Hierbei handelt es sich um eine Gemeinschaftsunterkunft für Asylsuchende, die der Verfolgte ausweislich der polizeilichen Ermittlungen regelmäßig aufsucht, um seine Post abzuholen, letztmalig am 3. Juni 2024. Zudem begibt er sich einmal monatlich zu der Ausländerbehörde des Landkreises …, um die Sozialleistungen in Empfang zu nehmen. Der Verfolgte ist rechtskräftig abgelehnter Asylbewerber und ausreisepflichtig. Einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit geht er nicht nach. Er ist nach islamischem Recht verheiratet und hat einen am 21. Oktober 2021 geborenen Sohn. Zu dem tatsächlichen Wohnort des Verfolgten und seiner Familie liegen keine Erkenntnisse vor.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt, gegen den sich in Freiheit befindlichen Verfolgten die Auslieferungshaft anzuordnen.

II.

Der Senat entscheidet antragsgemäß. Seine örtliche Zuständigkeit beruht auf § 14 Abs. 1 IRG, weil nach den polizeilichen Ermittlungen tatsächliche Anhaltspunkte für den Aufenthalt des Verfolgten im Bezirk des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vorliegen (vgl. OLG Koblenz, NStZ-RR 2005, 383). Die Voraussetzungen für den Erlass eines Auslieferungshaftbefehls (§§ 15, 17 IRG) sind gegeben. Gründe, die prognostisch der Auslieferung entgegenstehen könnten (§ 15 Abs. 2 IRG) sind aufgrund der dem Senat vorliegenden Unterlagen nicht erkennbar.

1. Der Auslieferungsverkehr mit der Republik Türkei findet nach dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk) in Verbindung mit dem zweiten Zusatzprotokoll vom 17. März 1978 und dem Dritten Zusatzprotokoll vom 10. Oktober 2010 zu dem vorbezeichneten Übereinkommen statt; nachrangig nach den Bestimmungen des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe (IRG). Die auf dem dafür vorgesehenen Geschäftsweg (Art. 12 Abs. 1 Satz 1 EuAlÜbk) zwischen der Botschaft der Republik Türkei und dem Auswärtigen Amt übermittelten Auslieferungsunterlagen genügen den gemäß § 10 Abs. 1 IRG, Art. 12 Abs. 1 EuAlÜbk an ihren Inhalt zu stellenden Anforderungen. Die darin enthaltenen Sachverhaltsdarstellungen enthalten nach dieser Maßgabe ausreichende Angaben zu Ort, Zeit und Art und Weise der Tatdarstellung; sie sind einer strafrechtlichen Subsumtion zugänglich und zudem ausreichend konkret beschrieben, um eine wiederholte Verfolgung oder Verurteilung wegen derselben Tat auszuschließen. Obwohl ein solches (weiteres) Erfordernis nicht bestand, sind ferner auch die Ermittlungsergebnisse bzw. Beweismittel im Einzelnen konkret aufgeführt worden.

2. Die Auslieferungsfähigkeit der dem Verfolgten vorgeworfenen Straftaten ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk, § 3 Abs. 1, 2 IRG. Die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegenden Taten sind sowohl nach dem türkischen Strafgesetzbuch als auch nach deutschem Recht strafbar und nach diesem im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bedroht.

Die Taten zu 1.) und 2.) wären nach deutschem Recht als Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Handeltreiben mit Cannabis gemäß §§ 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG; 34 Abs. 1 Nr. 4, KCanG; 52 Abs. 1 StGB strafbar; die Tat zu 3.) als Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB und die Tat zu 4.) als unerlaubter Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe gemäß §§ 52 Abs. 1 Nr. 2 lit. b) WaffG in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Munition gemäß § 52 Abs. 3 Nr. 2 lit. b) WaffG.

3. Vollstreckungsverjährung ist nach dem gemäß Art. 10 EuAlÜbk zu beachtenden deutschem Recht nach Maßgabe von § 79 Abs. 3 Nr. 4 StGB (Verjährungsfrist von fünf Jahren, gemäß § 79 Abs. 6 StGB beginnend mit der Rechtskraft der Entscheidung) lediglich hinsichtlich der Freiheitsstrafe von zehn Monaten aus dem Urteil des 12. Strafgerichts erster Instanz von („Stadt 01“) vom 30. März 2017 (Az. 2016/437, Urteilsnummer 2017/150) mit der Folge eingetreten, dass insoweit die Auslieferung des Verfolgten nicht bewilligt werden darf (Tat zu 4.). Hinsichtlich der bei Gesamtstrafenbildung berücksichtigten weiteren Verurteilungen (Taten zu 1. bis 3.) ist sowohl nach türkischem als auch nach deutschem Recht eine Vollstreckungsverjährung nicht gegeben.

4. Ein Auslieferungshindernis gemäß § 6 Abs. 2 IRG, Art. 3 Abs. 1 und 2 EuAlÜbk liegt nicht vor.

Die dem Verfolgten zur Last gelegten Taten weisen keine Bezüge zu einer politischen oder mit einer solchen Zusammenhängenden strafbaren Handlung auf, so dass Art. 3 Abs. 1 EuAlÜbk der Auslieferung nicht entgegen steht.

Die dem Senat vorliegenden Erkenntnisse aus der Asylverfahrensakte und sein dortiges Vorbringen ergeben ferner keine ernstlichen Gründe für die Annahme, dass das Auslieferungsersuchen wegen einer nicht politischen strafbaren Handlung gestellt worden ist, um den Verfolgten aus auf politischen Anschauungen beruhenden Erwägungen zu verfolgen oder zu bestrafen (Art. 3 Abs. 2 1. Alt. EuAlÜbk), oder dass der Verfolgte der Gefahr einer Erschwerung seiner Lage aus solchen Gründen ausgesetzt wäre (Art. 3 Abs. 2 2. Alt. EuAlÜbk).

Die Behauptung des Verfolgten im Rahmen seines Asylverfahrens, die in der Türkei gegen ihn geführten Strafverfahren und die daraus resultierenden Verurteilungen seien auf der Grundlage fingierter Tatvorwürfe erfolgt, ist durch nichts belegt. Dies haben sowohl das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in seinem Bescheid vom 26. April 2019 (7527090 - 163) als auch das Verwaltungsgericht Potsdam in seinem am 10. Mai 2022 verkündeten Urteil (VG 1 K 2434/19. A) mit schlüssiger Begründung festgestellt. Wegen der Einzelheiten nimmt der Senat auf diese Entscheidungen Bezug. Gegen die Annahme vorgetäuschter Tatvorwürfe und damit einem rechtsmissbräuchlichen Auslieferungsersuchen der türkischen Behörden sprechen aber insbesondere auch die in den übermittelten Auslieferungsunterlagen konkret aufgeführten Ermittlungsergebnisse bzw. Beweismittel. Auch das sich in der Akte des beigezogenen Asylverfahrens befindliche Urteil des Schwurgerichts von („Stadt 02“) vom 15. November 2017 (Tat zu 2.) gibt keinen Anlass, von einem fingierten Tatvorwurf auszugehen. Die Täterschaft des Verfolgten wird nach den Urteilsgründen auf der Grundlage einer nachvollziehbaren und plausiblen Beweiswürdigung festgestellt. Vor diesem Hintergrund liegen keine besonderen Umstände vor, die - auch mit Blick auf die Übrigen Verurteilungen - Anlass zur Prüfung des Tatverdachts geben würden (§ 10 Abs. 2 IRG). Dass der Verfolgte die Tatbegehung bestreitet und einen abweichenden Sachverhalt schildert, genügt hierfür jedenfalls nicht (vgl. Hackner in Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl., § 10 IRG Rn. 36 ff. m. w. N.).

5. Ein Auslieferungshindernis gemäß § 73 Satz 1 IRG besteht auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass dem Verfolgten im Falle seiner Überstellung an die türkischen Behörden die Vollstreckung einer „unerträglich harten (schweren) Strafe“ droht (vgl. Gleiß/Wahl/Zimmermann in Schomburg/Lagodny, a. a. O., § 73 Rn. 60 m. w. N.).

Die Leistung von Rechtshilfe, zu der auch die Auslieferung (Überstellung) gehört, ist nach § 73 Abs. 1 Satz 1 IRG unzulässig, wenn sie den wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung, namentlich den einzelnen Grundrechten und dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) widersprechen würde. Der Kernbereich dieser unabdingbaren verfassungsrechtlichen Anforderungen ist auch im Auslieferungsverkehr zu beachten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Juni 2003 - 2 BvR 685/03, BeckRS 2003, 30321512 Rn. 29 - 31; OLG Hamm, Beschluss vom 22. November 2021 - 2 Ausl. 178/21, 2 Ausl. 195/21, BeckRS 2021, 37765 Rn. 18). Den zuständigen Organen der Bundesrepublik Deutschland ist es deshalb verwehrt, einen Verfolgten auszuliefern, wenn die Strafe, die in dem ersuchenden Staat gegen ihn verhängt wurde, unerträglich hart, mithin unter jedem Gesichtspunkt unangemessen erscheint (vgl. BVerfG, a. a. O. Rn. 30); OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. März 2016 - 1 AK 108/15, BeckRS 2016, 10529 Rn. 1). Dies gilt hingegen nicht, wenn die Strafe lediglich als in hohem Maße hart anzusehen ist und bei einer Beurteilung allein am Maßstab des deutschen Verfassungsrechts nicht mehr als angemessen erachtet werden könnte (vgl. BerfG, a. a. O. Rn.31; OLG Hamm, a. a. O.; OLG Karlsruhe, a. a. O.). Da das Grundgesetz von der Eingliederung Deutschlands in die Völkerrechtsordnung ausgeht, gebietet es zugleich, im Rechtshilfeverkehr Strukturen und Inhalte fremder Rechtsordnungen und -anschauungen grundsätzlich zu beachten, auch wenn sie im Einzelnen nicht mit den innerstaatlichen Auffassungen übereinstimmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2015 - 2 BvR 2088/15, BeckRS 2016, 40283, Rn. 25; OLG Hamm, a. a. O.). Das bedeutet, dass die Auffassung der deutschen Rechtsordnung von maß- und sinnvollen Strafen - zumal auf einem Gebiet wie dem der Betäubungsmitteldelikte, auf dem sich die entsprechenden Auffassungen der einzelnen Staaten insgesamt derart unterscheiden, dass vom Bestehen eines internationalen Mindeststandards nicht gesprochen werden kann - im Auslieferungsverkehr nur insoweit zur Geltung zu bringen ist, als sie Bestandteil zwingender, unabdingbarer verfassungsrechtlicher Grundsätze der Bundesrepublik Deutschland ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Januar 2010 - 2 BvR 2299/09, BeckRS 2010, 45668 Rn. 19 f.; OLG Hamburg, Beschluss vom 26. Januar 2022 - Ausl 99/20, BeckRS 2022, 7116 Rn. 19). Mit Blick hierauf ist bei der Prüfung der Vereinbarkeit der Auslieferung mit den in Bezug genommenen verfassungsrechtlichen Standards ein Vergleich der jeweiligen Straferwartung vorzunehmen; neben den Besonderheiten des Einzelfalls sind auch die gegebenen Umstände der Strafvollstreckung, des Strafvollzugs und der Strafaussetzung im Blick zu behalten (vgl. BVerfG, a. a. O. Rn. 26; OLG Hamm, a. a. O.).

Gemessen an diesen Grundsätzen sind weder die durch Urteil des 1. Vollstreckungsrichters von („Stadt 01“) vom 22. November 2022 erkannte Gesamtfeiheitsstrafe von 15 Jahren, 30 Monaten und 100 Tagen noch die diesem Urteil zugrunde liegenden vier Verurteilungen durch die türkische Strafjustiz im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung unerträglich hart.

Dies gilt namentlich zunächst hinsichtlich der mehrjährigen Freiheitsstrafen für die Taten zu 1.) und 2.) auf der Grundlage des türkischen Betäubungsmittelstrafrechts. Zwar spricht bei der Betrachtung der Tat zu 2.) für den Verfolgten, dass er zum Zeitpunkt deren Begehung noch nicht das neunzehnte Lebensjahr vollendet hatte und nach deutschem Recht die Anwendung von Jugendstrafrecht zu prüfen gewesen wäre. Ferner ist die relativ geringe Menge der festgestellten Betäubungsmittel bzw. des Cannabis ein zu Gunsten des Verfolgten zu berücksichtigender strafmildernder Gesichtspunkt. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und acht Monaten ist zwar mit Blick hierauf nach deutschem Verständnis sehr hoch. Sie ist aber weder unerträglich hart noch schlechterdings - unter jedem denkbaren Gesichtspunkt - unangemessen. Denn ausweislich der dem Senat mit der beigezogenen Akte des Asylverfahrens vorliegenden Urteilsgründe handelte es sich bei dem Tatgeschehen um eine Kurierfahrt (Drogentransport), die unter Leitung des Verfolgten von mehreren Tätern arbeitsteilig und professionell aufeinander abgestimmt durchgeführt worden ist und sich nach den Urteilsgründen als Geschehen im Rahmen eines organisierten und gewinnbringenden Handels mit Betäubungsmitteln bzw. Cannabis dargestellt hat, was bei der Gesamtbetrachtung der Tat nicht nur nach deutschem sondern insbesondere auch nach türkischem Recht in erheblicher Weise strafschärfend Berücksichtigung finden musste. Ferner wird die Höhe der erkannten Freiheitsstrafe dadurch relativiert, dass nach dem türkischem Strafvollstreckungs- bzw. Strafvollzugsrecht bei Verurteilungen zu zeitlich begrenzten Freiheitsstrafen eine vorzeitige (bedingte) Entlassung nach Verbüßung von zwei Drittel der verhängten Freiheitsstrafe möglich ist (Art. 107 türkisches StVollzG).

Vor diesem Hintergrund ist auch die für die Tat zu 1.) gegen den Verfolgten verhängte Freiheitsstrafe von 8 Jahren und vier Monaten angesichts der in diesem Fall erheblichen Mengen von Betäubungsmitteln und Cannabis und des von der türkischen Justiz auch insoweit angenommenen Handeltreibens mit Drogen zu Erwerbszwecken damit nicht als unerträglich hart zu werten.

Dies gilt somit im Ergebnis auch für die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegende Vollstreckung der erkannten und aus den aufgeführten vier Verurteilungen (durch Addition) gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren, 30 Monaten und 100 Tagen. Hierauf werden nach Mitteilung der türkischen Behörden die bereits erlittenen Haftzeiten angerechnet, so dass noch ein Strafrest von 10 Jahren, fünf Monaten und 26 Tagen verbleiben würde. In diesem Zusammenhang wäre aber zu berücksichtigen, dass aufgrund der Vollstreckungsverjährung nach deutschem Recht hinsichtlich der Tat zu 4.) die Auslieferung insoweit durch einen Spezialitätsvorbehalt zu beschränken wäre (vgl. BGH; NJW 1977, 1598; OLG Koblenz, Beschluss vom 20. Juli 2011 - 1 Ausl A 76/11, BeckRS 2011, 20648; Zimmermann in Schomburg/Lagodny, a. a. O., § 9 IRG Rn. 29).

6. Ein Auslieferungshindernis gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 IRG i. V. m. Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK besteht unter den vorliegenden Umständen auch nicht mit Blick auf möglicherweise problematische Haftbedingungen im Strafvollzug der Türkei. Mit Verbalnote vom 20. Februar 2024 haben die türkischen Behörden mitgeteilt, dass der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung in der Justizvollzugsanstalt des geschlossenen Vollzugs Typ T in („Stadt 03“) untergebracht werden wird. Sie haben unter dieser Prämisse völkerrechtlich verbindlich und einzelfallbezogen konkret zugesichert, dass die Unterbringung des Verfolgten den Anforderungen nach Art. 3 EMRK entspricht und er im Sinne dieser Regelung keiner Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen sein wird. Ferner ist zugesichert worden, dass der zuständigen deutschen Auslandsvertretung die Möglichkeit eingeräumt wird, den Verfolgten zu besuchen und sich vor Ort über die bestehenden Verhältnisse zu informieren. Solche Zusicherungen seitens der türkischen Behörden sind als belastbar anzusehen (so Stellungnahme des Auswärtigen Amts vom 12. Juli 2022 zu Rechtsstaatlichkeit und Haftbedingungen in der Türkei; vgl. dazu ausführlich OLG Hamm, Beschluss vom 18. November 2021 - 2 Ausl. 174/20, BeckRS 2021, 45583, Rn. 88 bis 97; OLG Bremen, Beschluss vom 3. Januar 2022 - 1 Ausl. A 28/20; BeckRS 2022, 177 Rn. 14 f.).

7. Der Umstand, dass die Gesamtstrafenentscheidung der „1. Vollstreckungsrichterschaft von („Stadt 01“)“ vom 22. November 2022 nach den dem Senat vorliegenden Unterlagen in Abwesenheit des Verfolgten ergangen sein dürfte, steht der Zulässigkeit der Auslieferung nicht entgegen. Die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegenden Gesamtfreiheitsstrafe wurde allein durch Addition der zuvor gegen den Verfolgten verhängten vier Freiheitsstrafen gebildet, ohne diese neu zu bewerten. Da dem erkennenden türkischen Gericht bei der Bildung der Gesamtfreiheitstrafe insoweit kein Ermessen bei der Strafzumessung zustand und die Gesamtstrafenbildung ausschließlich das Ergebnis einer arithmetischen Rechnung ist, beruht die Gesamtstrafenentscheidung nicht auf einem Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör bzw. auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK (vgl. EuGH, Urteil vom 10. August 2017 - C - 271/17 PPU, BeckRS 2017, 121046 Rn. 87 - 90).

8. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG). Der Verfolgte wird im Falle seiner Überstellung an die türkischen Behörden mit der Vollstreckung einer besonders hohen Freiheitsstrafe zu rechnen haben. Der daraus herzuleitende Fluchtanreiz wird nach dem derzeitigen Erkenntnisstand nicht durch hinreichend belastbare familiäre, soziale ober berufliche Bindungen ausgeräumt. Zudem hat sich der Verfolgte nach den Erkenntnissen aus der dem Senat vorliegenden Unterlagen der weiteren Strafvollstreckung durch Flucht entzogen, so dass nicht zu erwarten ist, dass er sich dem Auslieferungsverfahren freiwillig stellen wird.

Weniger einschneidende Maßnahmen gemäß § 25 Abs. 1 IRG bieten vor diesem Hintergrund keine ausreichende Gewähr, die Auslieferung sicherzustellen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht bei dieser Sachlage der Anordnung der Auslieferungshaft nicht entgegen.