Gericht | OLG Brandenburg 1. Senat für Familiensachen | Entscheidungsdatum | 02.08.2024 | |
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Aktenzeichen | 9 AR 1/24 (SA F) | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2024:0802.9AR1.24SA.F.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Zuständig ist das Amtsgericht - Familiengericht - Stade.
1.
Gegenstand des dem Zuständigkeitsstreit zugrunde liegenden Verfahrens ist ein (fünfter) Ordnungsgeldantrag des Vaters zur Durchsetzung der mit Beschluss des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 9. Mai 2023 gerichtlich gebilligten Vereinbarung über den Umgang des Vaters mit der am 5. Mai 2013 geborenen Tochter („Name 01“), die die Beteiligten im Anhörungstermin am 9. Mai 2023 geschlossen haben (Az. 44 F 124/22). Der Vater hat in der Vergangenheit zur Durchsetzung seines Umgangsrechts wiederholt Ordnungsgeldanträge gestellt, im hier zugrunde liegenden Vollstreckungsverfahren eingehend am 12. Dezember 2023. Die inzwischen in („Ort 01“) wohnhafte Mutter hat mit Schriftsätzen vom 25. Januar und 21. Februar 2024 „Abgabe“ an das Amtsgericht Stade als ihr und ihrer Tochter wohnortzuständiges Familiengericht, bei dem zwischenzeitlich auch bereits ein Umgangsabänderungsverfahren (Az. 42 F 873/23 des Amtsgerichts Stade) geführt wurde, beantragt.
Nach Anhörung des Antragstellers hat das Amtsgericht - Familiengericht - Brandenburg an der Havel sich mit Beschluss vom 6. März 2024 für örtlich unzuständig erklärt und das Ordnungsgeldverfahren an das Amtsgericht - Familiengericht - Stade verwiesen, weil die Vollstreckungsgegnerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt in („Ort 01“) habe (§ 88 Abs. 1 FamFG). Dieser Beschluss wurde den Beteiligten bekannt gegeben.
Das Amtsgericht - Familiengericht - Stade hat mit dem - seinerseits den Beteiligten zur Kenntnis gebrachten - Beschluss vom 21. März 2024 die Übernahme des Ordnungsgeldverfahrens abgelehnt. Die Abgabe sei willkürlich, weil das Ordnungsgeldverfahren als Annex des beim Amtsgericht Brandenburg an der Havel geführten und weiterhin anhängigen Umgangsverfahrens zu führen sei und nicht isoliert abgegeben werden könne.
Das Amtsgericht - Familiengericht - Brandenburg an der Havel hält an seiner dem Verweisungsbeschluss zugrunde gelegten Auffassung fest und hat mit (ebenfalls den Beteiligten bekannt gegebener) Verfügung vom 11. April 2024 das Verfahren nach § 5 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 FamFG dem Brandenburgischen Oberlandesgericht zur Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit vorgelegt.
2a.
Der Senat ist zur Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit der beteiligten Gerichte nach § 5 Abs. 2 FamFG berufen, weil das Amtsgericht Brandenburg an der Havel zuerst angerufen worden ist.
Die Voraussetzungen für eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG liegen vor. Die an dem Kompetenzkonflikt beteiligten Amtsgerichte – Familiengerichte haben sich „rechtskräftig“ für unzuständig erklärt, das Amtsgericht Brandenburg an der Havel durch den nach § 3 Abs. 3 Satz 1 FamFG unanfechtbaren Verweisungsbeschluss vom 6. März 2024 und das Amtsgericht - Familiengericht - Stade durch den die Übernahme - mit Begründung - ablehnenden Beschluss vom 21. März 2024. Beide Beschlüsse sind den Beteiligten übermittelt worden. Dies genügt den Anforderungen an das Merkmal „rechtskräftig“ im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG, weil es insoweit allein darauf ankommt, dass eine den Beteiligten bekannt gemachte ausdrückliche Kompetenzleugnung vorliegt (vgl. Schulte-Bunert/Weinreich, FamFG, 5. Aufl., § 5 Rdnr. 11; erkennender Senat, Beschluss vom 17. August 2010, Az. 9 AR 4/10 sowie zum insoweit gleich lautenden § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO: BGHZ 102, 338 – zitiert nach juris; Zöller-Schultzky, ZPO, 35. Aufl., § 36 Rdnr. 34 f.).
b)
Zuständig ist das Amtsgericht – Familiengericht Stade aufgrund gemäß § 3 Abs. 3 Satz 2 FamFG bindender Verweisung.
Aufgrund der klaren gesetzlichen Regelung in dieser Vorschrift kann die Bindungswirkung nur ausnahmsweise infolge der Verletzung höherrangigen (Verfassungs-)Rechts, namentlich bei der ungenügenden Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder bei objektiv willkürlicher Entziehung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfallen. Im Interesse einer baldigen Klärung der Gerichtszuständigkeit und der Vermeidung von wechselseitigen (Rück-)Verweisungen ist die Willkürschwelle hoch anzusetzen. Hierfür genügt nicht, dass der Beschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist. Einfache Rechtsanwendungsfehler rechtfertigen die Annahme einer objektiv willkürlichen Verweisung demzufolge grundsätzlich nicht. Willkür liegt nur vor, wenn dem Verweisungsbeschluss jede rechtliche Grundlage fehlt und er bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (ständige höchst- und obergerichtliche Rechsprechung, vgl. nur BGH MDR 2011, 253/254 und 1254 Brandenburgisches Oberlandesgericht, 1. Zivilsenat, JMBl. 2011, 25 – jeweils mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).
Die - vom Amtsgericht Stade in seinem Beschluss vom 21. März 2024 zugrunde gelegte - Annahme einer Willkürentscheidung des verweisenden Familiengerichts ist im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt. Tatsächlich erweist sich der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel nicht nur als nicht willkürlich, sondern vielmehr als in jeder Hinsicht zutreffend.
Nach § 88 Abs. 1 FamFG ist für die Durchführung der Vollstreckung das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Person zum Zeitpunkt der Einleitung der Vollstreckung ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Zum Zeitpunkt der Einleitung des (fünften und hier zugrunde liegenden) Ordnungsgeldverfahrens Mitte Dezember 2023 hatte die Antragsgegnerin mit der gemeinsamen Tochter unstreitig ihren gewöhnlichen Aufenthalt in („Ort 01“).
Das Vollstreckungsverfahren nach den §§ 86 ff. FamFG ist - entgegen der vom Amtsgericht Stade vertretenen Auffassung - ein selbständiges (mit besonderen Regeln über Rechtsmittel, Kosten und Zuständigkeit, §§ 87 Abs. 4 und 5; 88 Abs. 1 FamFG, ausgestaltetes) Verfahren und nicht lediglich ein (unselbständiger) Annex des dem zu vollstreckenden Umgangstitels zugrunde liegenden Kindschaftsverfahrens nach § 151 Nr. 2 FamFG (ganz herrschende Meinung, vgl. Sternal [vormals Keidel], FamFG, 21. Aufl., § 88 Rdnr. 5; Hammer in: Prütting/Helms, FamFG, 6. Aufl., 2023, § 88 Rdnr. 10; BeckOK, FamFG, Stand 1. Mai 2024, § 88 Rdnr. 1; MüKo, FamFG, 3. Aufl., § 88 Rdnr. 3; Zöller-Feskorn, ZPO, 35. Aufl., § 88 FamFG Rdnr. 2; OLG Hamm, Beschluss vom 26. September 2013, Az. II-2 SAF 11/13 – Rdnr. 21 ff. bei juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 17. März 2010, Az. 16 WF 41/10 - Rdnr. 13 bei juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 19. Februar 2010, Az. 5 WF 28/10; vgl. auch BGH FamRZ 1990, 35, wonach bereits das Vollstreckungsverfahren nach § 33 FGG a.F. ein selbständiges Verfahren war - für die vom Amtsgericht Stade vertretene Auffassung findet sich - soweit ersichtlich - kein Beleg). Die Regelung trägt der Tatsache Rechnung, dass vor der Festsetzung von Vollstreckungsmaßnahmen nicht selten neue Ermittlungen - etwa zum Verschulden des zur Einhaltung getroffener Regelungen anzuhaltenden Elternteils - durchgeführt werden müssen, für die dem Gesichtspunkt der Ortsnähe erhebliche Bedeutung zukommen kann (der Gesetzgeber zu § 88 FamFG in BT-Drucks. 16/6308, S. 217 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf BGH FamRZ 1986, 789 f.).
Bei dieser Sach- und Rechtslage ist nicht die - ohnehin bindende - Verweisung durch das Amtsgericht Brandenburg an der Havel willkürlich oder missbräuchlich, sondern die Verweigerung der Übernahme durch das Amtsgericht - Familiengericht - Stade.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.