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Befristetes Arbeitsverhältnis, Probezeit, Angemessenheit, Abbedingung der Wartezeit nach KSchG durch Probezeitvereinbarung, Folgen der Unwirksamkeit der Probezeitvereinbarung, nichtlinienkonforme Auslegung und deren Grenzen


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 19. Kammer Entscheidungsdatum 02.07.2024
Aktenzeichen 19 Sa 1150/23 ECLI ECLI:DE:LAGBEBB:2024:0702.19SA1150.23.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 15 Abs. 3 TzBfG, Art. 8 Abs. 2 ABRL, § 1 Abs. 1 KSchG, § 307 Abs. 1, Abs. 2 BGB

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das am 04.10.2023 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Berlin – 55 Ca 13442/22 – wird zurückgewiesen.

II. Die Anschlussberufung der Beklagten gegen das am 04.10.2023 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Berlin – 55 Ca 13442/22 – wird zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin zu 5/6 und die Beklagte zu 1/6 zu tragen.

IV. Die Revision wird für beide Parteien zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung des zwischen ihnen bestehenden befristeten Arbeitsverhältnisses und in diesem Zusammenhang, ob die vereinbarte Probezeit gegen § 15 Abs. 3 TzBfG verstößt.

Die Parteien hatten mit Wirkung zum 22.08.2022 einen für die Dauer eines Jahres befristeten Arbeitsvertrag geschlossen. Demgemäß wurde die Klägerin als Advisor I, Customer Service bei der Beklagten, die mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt, für ein näher bezeichnetes Projekt gegen eine monatliche Bruttovergütung iHv. 2.500,00 € eingestellt (Bl. 5ff. d.A.).

In § 16 des Arbeitsvertrages – Inkrafttreten / Vertragsdauer / Kündigung / Hinweise – heißt es ua. (Bl. 11 d.A.):

„(1) Dieser Vertrag tritt am 22. August 2022 in Kraft und ist befristet bis zum 21. August 2023.

(2) (...)

(3) Die ersten vier Monate der Tätigkeit (vom 22. August 2022 bis 21. Dezember 2022) gelten als Probezeit. In dieser Zeit kann der Arbeitsvertrag von beiden Vertragsparteien mit einer Frist von 2 Wochen gekündigt werden.

(4) Unbeschadete der in Absatz 1 geregelten Befristung bleibt beiden Parteien vorbehalten, das Arbeitsverhältnis nach der Probezeit ordentlich unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfristen des § 622 BGB und bei Vorliegen eines wichtigen Grundes außerordentlich zu kündigen. Eine ordentliche Kündigung vor Dienstantritt ist ausgeschlossen.

(5) Eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses bedarf der Schriftform. Eine E-Mail erfüllt die Schriftform nicht. (…)“

Mit Schreiben vom 09.12.2022 (Bl. 29 f. d.A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis „innerhalb der Probezeit ordentlich zum nächstzulässigen Zeitpunkt“. Das sei nach Auffassung der Beklagten der 28.12.2022.

Gegen diese der Klägerin am 10.12.2022 zugegangene Kündigung richtet sich ihre am 30.12.2022 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangene Klage.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die vereinbarte viermonatige Probezeit widerspreche § 15 Abs. 3 TzBfG. Die Probezeit stehe nicht in einem angemessenen Verhältnis zur Dauer der Befristung. Dies folge auch aus der Europäischen Arbeitsbedingungen-Richtlinie. Damit entfalle die der Probezeitvereinbarung zugrundeliegende Kündbarkeit des Vertrages. Dies führe zur Unwirksamkeit der Kündigung insgesamt. Allenfalls ergebe sich eine Kündbarkeit frühestens zum 15. des Folgemonats.

Der Zweck der Probezeit bestehe darin, Klarheit darüber zu erhalten, ob eine dauerhafte Zusammenarbeit möglich sei. Die Dauer bemesse sich nicht an der Dauer einer erforderlichen Einarbeitung, Schulung und dergleichen. Die Beklagte gehe selbst davon aus, dass die jeweiligen Arbeitnehmer:innen nach drei Monaten hinreichend qualifiziert seien. Die Möglichkeit der Urlaubnahme habe keine Bedeutung für die vereinbarte Probezeit.

Bei Zweifeln am Erfolg der Probezeit stehe es der Beklagten insbesondere bei der Kürze der Befristung frei, das Arbeitsverhältnis entsprechend auslaufen zu lassen.

Entsprechend sei auch § 1 Abs. 1 KSchG im Wege der teleologischen Reduktion so auszulegen, dass auch diese sich auf drei Monate verkürze.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die Kündigung der Beklagten vom 09.12.2022 nicht zum 28.12.2022 aufgelöst wird, sondern ungekündigt fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die vereinbarte Probezeit im Verhältnis zur Befristungsdauer für angemessen gehalten. Die von der Klägerin ausgeführte Tätigkeit erfordere eine 16-wöchige Ausbildungszeit (drei Wochen theoretisches Training, vier Wochen praktisches Nesting-Training, neun Wochen Non-Tenure Phase), ehe die Stelleninhaberin voll produktiv tätig werden könne. Innerhalb der Probezeit könne zudem Erholungsurlaub in Anspruch genommen werden; auch die Klägerin habe einen solchen vom 23.11.2022 bis 29.11.2022 geplant. Die Klägerin habe zudem an 28 Arbeitstagen wegen Arbeitsunfähigkeit gefehlt, wodurch sich die Ausbildungszeiten verlängert hätten. Eine Probezeit von vier Monaten sei daher zwingend erforderlich.

Jedenfalls sei die Kündigung in eine Wartezeitkündigung umzudeuten. Die Beklagte wolle sich in jedem Falle von der Klägerin trennen; dies gehe eindeutig aus der Kündigung hervor.

Mit Urteil vom 04.10.2023 (Bl. 54 ff. d.A.) hat das Arbeitsgericht Berlin der Klage insoweit entsprochen, als es festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung vom 09.12.2022 am 15.01.2023 geendet hat. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

Die zulässige Klage sei insoweit begründet, als die Unwirksamkeit der Probezeitvereinbarung geltend gemacht werde und daraus eine verlängerte Kündigungsfrist resultiere. Im Übrigen sei die Klage nicht begründet. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ende aufgrund der Kündigung vom 09.12.2022 unter Einhaltung einer Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 1 BGB von vier Wochen am 15.01.2023 während der Wartezeit. Die vereinbarte Probezeit im Rahmen des auf ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages sei hingegen unwirksam gemäß § 15 Abs. 3 TzBfG.

Gemäß § 15 Abs. 3 TzBfG müsse die in einem befristeten Arbeitsverhältnis vereinbarte Probezeit im Verhältnis zu der erwarteten Dauer der Befristung und der Art der Tätigkeit stehen.

Es stelle sich die Frage der Angemessenheit der Probezeit im Verhältnis zur Befristungsdauer und der Art der Tätigkeit. Die Frage der Angemessenheit werde in Erwägungsgrund 28 der Richtlinie (EU) 2019/1152 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union (im Folgenden: ABRL) insbesondere bei befristeten Arbeitsverhältnissen von weniger als zwölf Monaten angesprochen.

Wenn die Dauer der vereinbarten Probezeit unverhältnismäßig sei, sei diese unwirksam. Dies habe nach der Gesetzesbegründung zur Folge, dass die Probezeit nicht wirksam vereinbart worden sei und damit die verkürzte Kündigungsfrist des § 622 Abs. 3 BGB nicht greife (BT-Drucks. 20/1636, S. 34).

Die regelmäßige Dauer der Probezeit bei unbefristeten Arbeitsverhältnissen betrage sechs Monate. Diese Frist werde gemeinhin als angemessen angesehen. Lediglich in Ausnahmefällen, wenn es zum Bespiel der Charakter der Tätigkeit erfordere (etwa bei einem Orchestermusiker) werde auch eine längere Probezeit als zulässig angesehen.

Folgerichtig müsse die Angemessenheit der Dauer der Probezeit bei befristeten Arbeitsverhältnissen im Verhältnis zur Dauer des Arbeitsverhältnisses stehen. Je kürzer die Befristungsdauer sei, desto kürzer müsse im Verhältnis dazu auch die Probezeit sein. Die Richtlinie (EU) 2019/1152 gebe hierzu selbst zwar keine Hinweise. Nach dem Änderungsantrag 91 des Europäischen Parlaments zu Art. 8 Abs. 2 S. 1 der Richtlinie halte dieses eine Probezeit von 25 % der Vertragsdauer bei befristeten Arbeitsverhältnissen von unter einem Jahr für angemessen (vergleiche EP, A8-0335/2018, Änderungsantrag 91; Maul-Sartori, Die neue Arbeitsbedingungenrichtlinie, NZA 2019, 1161-1168, 1167; HK-ArbR/Schmitt, 5. Auflage 2022, § 622 BGB, Rn. 33). Dem schließe sich die erkennende Kammer für die vorliegende Konstellation eines auf ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages an.

Ein auf eine geringe Dauer befristetes Arbeitsverhältnis erfordere in der Regel auch keine längere Probezeit, da die Arbeitgeberin die geschuldeten Arbeitsleistungen für einen kurzen Zeitraum erwarte und in diesem Zeitraum eine aufwändige Einarbeitung und Erprobung regelmäßig nicht angenommen können werde.

Da die Parteien gem. § 16 Abs. 3 des Arbeitsvertrags für die Dauer des auf ein Jahr befristeten Arbeitsverhältnisses eine Probezeit von vier Monaten vereinbart hätten, umfasse diese damit einen Zeitraum von einem Drittel der Vertragsdauer und übertreffe damit die aus Sicht der Kammer als angemessen angesehene Dauer von etwa einem Viertel der Gesamtlaufzeit der Befristung.

Die Beklagte habe zwar dargelegt, dass die Eigenheiten der vereinbarten Tätigkeit eine Dauer der Schulung und Einarbeitung von 16 Wochen erforderten, die in der Probezeit zu erbringen seien, und berücksichtige man dies, umfasse der Anteil der eigentlichen Erprobung gerade noch eineinhalb Wochen. Diese Erfordernisse könnten zugunsten der Beklagten unterstellt werden, rechtfertigten gleichwohl aber nicht die vereinbarte verlängerte Probezeit im Verhältnis zur Gesamtbefristungsdauer. Zudem habe es die Beklagte in der Hand, die Verhältnismäßigkeit zwischen Probezeit und Gesamtdauer der Befristung dadurch zu gewährleisten, dass die Gesamtbefristungsdauer entsprechend verlängert werde. Bei einer Befristungsdauer von 16 Monaten sei eine angemessene Dauer der Probezeit von vier Monaten ohne weiteres gewährleistet. Der Beklagten habe es auch freigestanden, überhaupt keine Probezeit zu vereinbaren. In diesem Falle würde die kürzeste gesetzlich vorgesehene Kündigungsfrist gelten. Prozessuale Risiken für den Fall einer Klage gegen die Kündigung bestünden angesichts der Wartezeit des § 1 Abs.1 KSchG für die Beklagte nur in geringem Umfang.

Da die vereinbarte Probezeit nicht in einem angemessenen Verhältnis zur Gesamtdauer der Befristung stehe, sei die Vereinbarung des § 16 Abs. 3 des Arbeitsvertrages gemäß § 15 Abs. 3 TzBfG unwirksam.

Die Folge dessen sei, dass die kurze Kündigungsfrist des § 622 Abs. 3 BGB von zwei Wochen nicht zur Anwendung komme, sondern die Frist von vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Monatsletzten gemäß § 622 Abs. 1 BGB. Die am 10.12.2022 der Klägerin zugegangene Kündigung der Beklagten habe somit das Arbeitsverhältnis erst zum 15.01.2023 beenden können.

Entgegen der Ansicht der Klägerin habe es für den Ausspruch der Kündigung auch keiner Kündigungsgründe im Sinne von § 1 Abs. KSchG bedurft, denn die Kündigung sei in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses ausgesprochen worden, also innerhalb der Wartefrist des § 1 Abs. 1 KSchG. Die soziale Rechtfertigung der Kündigung nach dem KSchG sei wegen seines zeitlichen Geltungsbereiches nicht zu prüfen gewesen.

Soweit die Klägerin unter Hinweis auf den Erwägungsgrund 28 und Literaturmeinungen die Auffassung vertrete, es sei bei unionsrechtskonformer Auslegung auch von einer Verkürzung der gesetzlichen Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG auszugehen, folge dem die Kammer nicht. Im Unterschied zum Teilzeit- und Befristungsgesetz habe der Gesetzgeber davon abgesehen, das Kündigungsschutzgesetz in vergleichbarer Weise zu ändern. Eine solche Schlussfolgerung könne aus dem Wortlaut der Richtlinie nicht gezogen werden.

Da das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung finde, habe es aus Sicht der Beklagten nicht der Darlegung von Kündigungsgründen im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG bedurft.

Für arbeitgeberseitige (ordentliche) Kündigungen außerhalb des Geltungsbereiches des Kündigungsschutzgesetzes gelte im Grundsatz das Recht der Kündigungsfreiheit. Dies bedeute, dass es jedenfalls in aller Regel für eine ordentliche Arbeitgeberkündigung keines irgendwie gearteten - verständigen, sinnvollen oder sachlichen - Grundes bedürfe (ständige Rechtsprechung seit BAG vom 12.12.1957, 2 AZR 574/55, ArbuR 1959, 58).

Gegen dieses der Klägerin am 12.10.2023 zugestellte Urteil wendet sich diese mit ihrer am Montag, den 13.11.2023 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen und - nach Fristverlängerung bis zum 15.01.2024 – am 15.01.2024 begründeten Berufung.

Die Berufungsbegründung der Klägerin ist der Beklagten am 23.01.2024 zugestellt worden und die Frist zur Berufungsbeantwortung ist auf ihren Antrag antragsgemäß bis zum 23.03.2024 verlängert worden. Am 12.03.2024 ist daraufhin seitens der Beklagten die Berufung beantwortet worden und ihrerseits Anschlussberufung eingelegt worden.

Die Klägerin hält die Anwendung der (Grund-)Kündigungsfrist von vier Wochen für rechtsfehlerhaft. Außerdem habe hier das Kündigungsschutzgesetz außerhalb der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG von Anfang an Anwendung gefunden bzw. die Zeit sei zu kürzen. Drei Monate Probezeit entsprächen ausweislich des Erwägungsgrund Nr. 28 ABRL der unteren Grenze der in den Mitgliedstaaten üblichen Probezeit im unbefristeten Arbeitsverhältnis. Auch mit Blick auf § 14 Abs. 2 TzBfG sei davon auszugehen, dass die Probezeit – vorbehaltlich hier nicht vorliegender – Besonderheiten im Hinblick auf die vereinbarte Tätigkeit maximal ein Viertel der vereinbarten Vertragsdauer betragen dürfe.

Die Tatsache, dass der deutsche Gesetzgeber bei Umsetzung der einschlägigen EU-Richtlinie das KSchG nicht in einer zu § 15 Abs. 3 TzBfG vergleichbaren Weise geändert habe, sei entgegenzuhalten, dass er dies nicht in Umsetzung der Richtlinie habe tun müssen. Die Wartezeit gem. § 1 Abs. 1 KSchG diene der Erprobung und ermögliche – ebenso wie die kürzeren Kündigungsfristen während der Probezeit – eine leichtere Lösung des Arbeitsverhältnisses. Sie sei mithin eine Probezeit iSd. ABRL, da sie mit deren Funktion identisch sei (vgl. Erwägungsgrund 27).

Die ordentliche Kündigungsmöglichkeit eines befristeten Arbeitsverhältnissses stelle nicht den gesetzlichen Regelfall dar (vgl. § 15 Abs. 4 TzBfG), sondern müsse vereinbart werden. Damit komme auch das KSchG einschließlich der Wartezeit des § 1 KSchG nicht kraft Gesetzes, sondern durch Vereinbarung zur Anwendung. Das gelte auch für die hier zu lange Wartezeit, die insgesamt unwirksam sei. Rechtsfolge sei, dass auf das Arbeitsverhältnis von vorneherein das KSchG gelte und Kündigungsgründe iSd. KSchG vorliegen müssten. Jedenfalls sei die Wartezeit im Wege der richtlinenkonformen Auslegung bzw. teleologischen Reduktion auf die zulässige Höchstdauer der Probezeit zu reduzieren.

Die Anschlussberufung könne keinen Erfolg haben. Die Beklagte lege nicht überzeugend dar, warum bei einer Befristung von einem Jahr hier eine Erprobung von 4 Monaten erforderlich sei, was einer gerichtlichen Kontrolle nicht entzogen werden könne. Dabei sei es im Interesse einer praktikablen Handhabung nicht zu beanstanden, von Regelprobezeiten auszugehen, von denen in Ausnahmefällen bei entsprechender Begründung abgewichen werden könne. Zu der klägerseits präferierten „Vereinbarungslösung“, also der Annahme, dass mit der Vereinbarung einer Probezeit auch die Wartezeit höchstens in entsprechender Dauer vereinbart werde, spreche, dass befristete Arbeitsverhältnisse grundsätzlich nicht kündbar seien und dass die Wartezeit nach dem KSchG als eine Probezeit im Sinne der Richtlinie zu werten sei.

Die Berufungsklägerin, Klägerin und Anschlussberufungsbeklagte beantragt zweitinstanzlich,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 04.10.2023 – 55 Ca 1344/22 – teilweise abzuändern und

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 09.12.2022 nicht aufgelöst worden ist, sondern bis zum Ablauf des 21. August 2023 fortbestanden hat.

Die Berufungsbeklagte, Beklagte und Anschlussberufungsklägerin beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Ferner beantragt sie im Wege der Anschlussberufung, das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 04.10.2023 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Die Beklagte meint, die vereinbarte Probezeit sei als Allgemeine Geschäftsbedingung auch in Hinblick auf § 15 Abs. 3 TzBfG nicht zu beanstanden. Soweit sich das Arbeitsgericht auf den Änderungsantrag 91 im Normsetzungsverfahren der ABRL beziehe, verkenne es, dass dieser Änderungsantrag gerade nicht Inhalt der ABRL geworden sei. Die Bestimmung der Verhältnismäßigkeit der Probezeit anhand der Dauer der Befristung und der Art der Tätigkeit versperre sich schematischen Lösungen und erfordere letztlich eine Einzelfallabwägung. Der Beklagten obliege hier keine nähere Begründungspflicht dafür, dass die vereinbarte Probezeit von vier Monaten verhältnismäßig sei, eine solche treffe sie nur, wenn die Probezeit sechs Monate übersteigen solle. Überobligatorisch habe die Beklagte erstinstanzlich einen solchen Begründungsversuch gleichwohl unternommen. Der Verweis auf die dreimalige Verlängerungsmöglichkeit befristeter Verträge überzeuge nicht, dies habe mit der Erprobung nichts zu tun.

Zu beachten sei auch, dass es nicht bloß auf die initiale Befristungsabrede ankomme, vielmehr sei auf die zu erwartende Dauer der Befristung abzustellen. Hier sei jedoch – hätte die Beklagte das Arbeitsverhältnis nicht kündigen müssen – eine Verlängerung der Befristung sehr wahrscheinlich gewesen mit einer maximalen Befristungsdauer ohne Sachgrund von zwei Jahren. Bei Zugrundelegung einer 25%-Regelung wäre dieses Quorum dann nicht einmal erreicht gewesen.

Die Probezeit sei nicht Wartezeit, wie das Arbeitsgericht insoweit zutreffend erkenne. Die Vereinbarung einer Probezeit führe nicht zur (rechtsgeschäftlichen) Vereinbarung eines vorgezogenen Kündigungsschutzes. Dieser trete kraft Gesetzes ein. Der Begriff der Probezeit werde außer in § 15 Abs. 3 TzBfG nur in § 622 Abs. 3 BGB verwendet, dessen sei sich der Gesetzgeber bewusst. Eine Auslegung des § 1 Abs. 1 KSchG über den Wortlaut hinaus scheide aus.

Die eindeutigen Regelungen § 15 Abs. 3 TzBfG und § 1 Abs. 1 KSchG bedürften keiner richtlinienkonformen Auslegung. Es finde sich kein Anhaltspunkt dafür, dass mit dem Begriff der Probezeit die Wartezeit in Hinblick auf den Kündigungsschutz nach dem KSchG gemeint sei und demzufolge eine Ausweitung des nach deutschem Recht bestehenden Kündigungsschutzes gewollt sei. Eine Auslegung dürfe nicht contra legem erfolgen. Die Fristen der §§ 15 Abs. 3 TzBfG und 1 Abs. 1 KSchG liefen parallel und unabhängig voneinander, bei befristeten Verträgen komme das KSchG nicht kraft Vereinbarung, sondern kraft Gesetzes zum Tragen. Im Ergebnis würde der Arbeitnehmer nach der Sichtweise der Beklagten durch die Vereinbarung einer zu langen Probezeit quasi mit einem Kündigungsschutz belohnt, dies widerspreche dem Grundgedanken des § 306 Abs. 2 BGB. Im Falle der Unwirksamkeit einer Klausel gelte die gesetzliche Regelung, mithin – wie das Arbeitsgericht richtig erkannt habe – die Regelkündigungsfrist.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsniederschriften beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A. Die Anschlussberufung der Beklagten

I. Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG, 511, 524 Abs. 1 ZPO statthafte Anschlussberufung der Beklagten ist form- und fristgerecht im Sinne von §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 524 Abs. 3 ZPO eingelegt und begründet worden.

II. Die Anschlussberufung der Beklagten ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete aufgrund der Kündigung der Beklagten vom 09.12.2022 nicht bereits am 28.12.2022. Denn die Bestimmung in § 16 Abs. 3 S. 1 des Arbeitsvertrags, wonach die ersten vier Monate des Arbeitsverhältnisses als Probezeit gelten, in der das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von nur zwei Wochen gekündigt werden kann, ist als allgemeine Geschäftsbedingung gem. § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam. Die Bestimmung verstößt gegen § 15 Abs. 3 TzBfG, wonach die in einem befristeten Arbeitsverhältnis vereinbarte Probezeit in keinem (angemessenen) Verhältnis zu der erwarteten Dauer der Befristung und der Art der Tätigkeit steht.

Das Gesetz legt in § 15 Abs. 3 TzBfG kein starres Verhältnis von Befristungs- und Probezeitdauer fest, ebenso wenig wie die ABRL in Art. 8 Abs. 2. Dies hindert aber auch nach Auffassung der Berufungskammer nicht daran, aus Gründen der Handhabbarkeit ein gewisses Quorum regelmäßig als angemessen anzusehen mit der Möglichkeit, dass der Verwender darlegen kann, dass die Probezeitdauer insbesondere aufgrund der Art der Tätigkeit länger sein muss. Denn dem Überprüfungszweck der Probezeit (vgl. Erwägung 27 der ABRL) ist es immanent, dass die Dauer der Probezeit regelmäßig in einem nicht unbedeutenden Abstand zu der Dauer der Befristung steht. Der Berufungskammer erscheint, ebenso wie dem Arbeitsgericht, in handhabbarer Weise ein Quorum von 25 % als Regelfall jedenfalls bei einer einjährigen Befristung angemessen (so auch: MüKoBGB/Engshuber TzBFG § 15 Rn. 27b; vgl. a. Maul-Sartori, NZA 2019, 1161 (1167)). Dagegen lässt sich auch nicht mit Erfolg einwenden, dass der Änderungsantrag 91 im Normsetzungverfahren keinen Erfolg gehabt habe, denn dort ist die Rede von einer starren Quote, während die regelhafte Annahme von einer 25%-Quote, von der im begründeten Einzelfall durchaus Abweichungen möglich sind, etwas anderes ist.

Der Beklagten gelingt es indes nicht, überzeugend darzulegen, warum bei einer Befristungsdauer von einem Jahr das im hiesigen Arbeitsvertrag geregelte höhere Verhältnis von Befristungsdauer und Probezeitdauer im Umfang eines Drittels insbesondere auf Grund der Art der Tätigkeit ein angemessenes Verhältnis darstellen würde. Dabei ist der Beklagtenseite nicht zuzustimmen, dass sie diese Dauer erst dann substantiiert erklären und darlegen muss, wenn die Befristungsdauer sechs Monate überschreite. Dies würde außer Acht lassen, dass Dauer der Befristung und Dauer der Probezeit aufeinander bezogen sein müssen und relativ in einem angemessenen Verhältnis stehen müssen, wie dies sowohl in § 15 Abs. 3 TzBfG als auch in Art. 8 Abs. 2 ABRL zum Ausdruck kommt. Aus den Darlegungen der Beklagten insbesondere im Schriftsatz vom 25.03.2023 (Bl. 43 d.A.) geht indes hervor, dass die Klägerin nach einem dreiwöchigen theoretischen Training und einen sich anschließenden vierwöchigen Nesting-Training eine neunwöchige Non-Tenure-Phase durchläuft. Hierzu trägt die Klägerin im Schriftsatz vom 04.05.2023 unwidersprochen vor, dass jedenfalls in letztgenannter Phase die Mitarbeiter schon weitgehend sich selbst überlassen blieben. Inwieweit der Beklagten daher innerhalb von drei Monaten in adäquater Weise eine hinreichende Überprüfung der Klägerin nicht möglich sein soll, erschließt sich aus dem Vorbringen der Beklagten nicht, auch eingedenk des allgemeinen Umstandes, dass es für einen neu einstellenden Arbeitgeber grundsätzlich als vorteilhafter empfunden wird, eine längere Beobachtungsphase hinsichtlich der neu eingestellten Person zu haben, als eine kürzere.

Soweit die Beklagte zuletzt zu argumentieren sucht, der 25%-Anteil sei gar nicht erreicht, weil es der Beklagten – hätte sie nicht gekündigt – möglich gewesen wäre, das Arbeitsverhältnis sachgrundlos gem. § 14 Abs. 2 TzBfG bis zur Dauer von zwei Jahren zu verlängern, so bewertet die Kammer diese Erwägung als nicht weiterführend. Es geht hier um die Angemessenheit von Befristung und Probezeitdauer in dem konkret vorliegenden Vertrag. Ob sich an diesen andere Verträge ggf. angeschlossen hätten, bewegt sich im Bereich der Spekulation. Zu Recht weist die Beklagte allerdings darauf hin, dass sich aus der dreimaligen Verlängerungsmöglichkeit des § 14 Abs. 2 TzBfG nichts für die Frage der Angemessenheit einer Probezeit für eine konkrete Befristung herleiten lässt.

Da die Regelung im § 16 Abs. 3 des Arbeitsvertrags mithin nicht mit dem Grundgedanken des bei Abschluss des Arbeitsvertrags schon existenten § 15 Abs. 3 TzBfG übereinstimmt, ist von der Unwirksamkeit dieser Regelung auszugehen (§ 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB).

Die Nichtigkeit dieser Regelung führt nicht zu Nichtigkeit des Vertrages im Übrigen (§ 306 Abs. 1 BGB). Der Inhalt des Vertrages richtet sich insoweit nach den gesetzlichen Vorschriften (§ 306 Abs. 2 BGB). Das Arbeitsgericht gelangt daher zutreffend unter Zugrundelegung der (Grund‑) Kündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB zu einem Kündigungsdatum vom 15.01.2023 (vgl. ErfK/Müller-Glöge TzBfG § 15 Rn. 12).

Daraus folgt, dass die Anschlussberufung der Beklagten keinen Erfolg hat.

B. Die Berufung der Klägerin

I. Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG, 511 ZPO statthafte Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht im Sinne von §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG, 519 ZPO eingelegt und begründet worden.

II. Die Berufung der Klägerin bleibt in der Sache jedoch ebenfalls ohne Erfolg. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin hat aufgrund der Kündigung der Beklagten vom 09.12.2022 mit Ablauf der Grundkündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB geendet.

Die Probezeitvereinbarung des § 16 Abs. 3 des Arbeitsvertrags ist, wie vorstehend ausgeführt, als zusammenhängende Regelung insgesamt unwirksam. Gleichwohl entfällt damit nicht die generelle Kündigungsmöglichkeit des befristeten Arbeitsverhältnisses in den ersten vier Monaten des Arbeitsverhältnisses, weil es etwa an einer Vereinbarung iSd. § 15 Abs. 4 TzBfG fehlen würde (dies allerdings erwägend: Bayreuther NZA 2022, 951 (955)). Denn der Arbeitsvertrag enthält hier auch noch eine weitere Regelung über die Kündigungsmöglichkeit, nämlich die in § 16 Abs. 4 des Arbeitsvertrags. Nach Auffassung der Berufungskammer lässt sich daraus die Passage „nach der Probezeit“ in Hinblick auf die Unwirksamkeit der Probezeitvereinbarung zum einen streichen und es verbleibt bei einer sinnvollen Regelung über die Kündigungsmöglichkeit als solche in der Befristungszeit (sog. Blue-Pencil-Test, vgl. BAG 10. November 2011 – 10 AZR 257/20 – Rn. 62). Unabhängig davon, ist der Abs. 4 des § 16 des Arbeitsvertrags in einem Erst-Recht-Schluss so auszulegen, dass unabhängig von der Dauer der Kündigungsfrist in einer Probezeit das befristete Arbeitsverhältnis durchgängig ordentlich kündbar sein soll.

Der Auffassung der Klägerin, dass mit der Vereinbarung der Probezeit auch die Wartezeit vereinbart sei, hält die Berufungskammer nicht für richtig und kann ihr daher nicht nähertreten.

Die Kündbarkeit des Vertrages ist hier während der – unwirksamen – Probezeit zwar im Sinne des § 15 Abs. 4 TzBfG vereinbart. Der Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz tritt aber grundsätzlich nicht kraft Vereinbarung ein, sondern kraft Gesetzes, und zwar gem. § 1 Abs. 1 KSchG erst bei längerem Bestand des Arbeitsverhältnisses als ein halbes Jahr. Diese Bestandsdauer lag hier bei Ausspruch der Kündigung vom 09.12.2022 noch nicht vor und es gab auch keine rechtsgeschäftliche Vereinbarung über die Abkürzung der Wartezeit iSd. § 1 Abs. 1 KSchG.

Auch eine richtlinienkonforme Auslegung des § 1 Abs. 1 KSchG kann hier nicht zu einer Betrachtung im Sinne der Klägerin führen.

Dies hat zum einen methodische Gründe. Die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts den Inhalt einer Richtlinie heranzuziehen, wird durch die allgemeinen Rechtsgrundsätze und insbesondere durch den Grundsatz der Rechtssicherheit und das Rückwirkungsverbot begrenzt; auch darf sie nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen (EuGH, Urteil vom 4. Juli 2006 – C-212/04 – Rn. 110, zit. nach juris). Die Abweichung von der gesetzlich klar geregelten Wartezeit – ohne deren gesonderte rechtsgechäftliche Abkürzung - würde vorliegend jedoch contra legem einen Verstoß gegen § 1 Abs. 1 KSchG darstellen (so auch Ascheid/Preis/Schmidt/Backhaus TzBfG § 15 Rn. 15c).

Zum anderen ist auch aus den Erwägungsgründen zur ABRL, insbesondere Nr. 27 und 28, nicht hinreichend klar, dass der europäischen Normengeber die Vorverlegung des Kündigungsschutzes nach dem KSchG mit Art. 8 Abs. 2 ABRL intendiert. Dies ist zunächst nicht ausdrücklich so bestimmt. Die Verkürzung der Kündigungsfrist in einer Probezeit, so wie sie im deutschen Recht iSd. § 622 Abs. 3 BGB verstanden wird, dient dabei auch schon der besseren Überprüfbarkeit iSd. Erwägungsgrundes Nr. 27 für die Parteien dahingehend, ob sie länger miteinander arbeiten können und wollen oder nicht. Darüber hinaus kann die Wartezeit iSd. § 1 Abs. 1 KSchG auch weiteren Zwecken dienen als der Überprüfung, ob der Arbeitnehmer und die Stelle, für die er eingestellt worden ist, miteinander vereinbar sind. So kann die erleichterte Lösungsmöglichkeit in der Wartezeit gem. § 1 Abs. 1 KSchG etwa auch einer Unsicherheit des Arbeitgebers Unsicherheit geschuldet sein, wenn dieser überhaupt unsicher ist über den notwendigen Personalbedarf in den nächsten sechs Monaten, auch ohne dass dies mit der Vereinbarkeit der Stelle mit der Person des neu eingestellten Arbeitnehmers und dessen Fähigkeiten primär zusammenhinge. Somit ist auch inhaltlich eine richtlinienkonforme Auslegung, so wie sie die Klägerin befürwortet, nicht veranlasst.

Die Berufung der Klägerin kann daher ebenfalls keinen Erfolg haben. 

C. Die Klägerin und die Beklagte haben die Kosten des Rechtsstreits je nach dem Maße ihres Obsiegens und Unterliegens zu tragen (§ 92 Abs. 1 S. 1 ZPO), was dazu führt, dass - bei einem Streitwert von drei Monatsgehältern und einem Obsiegen mit etwa einem halben Monat - die Klägerin die Kosten des Rechtsstreits im Umfang von 5/6 und die Beklagte im Umfang von 1/6 zu tragen hat.

D. Die Revision war gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG für beide Parteien zuzulassen.