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Auswahlverfahren an Gesamtschule (Bildungsgang FOR), Ermittlung der jeweils kürzesten Wegstrecke (hier verneint), Ermittlung der Nähe der Wohnung zur Schule, Schulrecht (Aufnahme in die 7. Klasse), Verwendung des Routenplaners "Google Maps" in der Einstellung "mit dem Auto"


Metadaten

Gericht VG Cottbus 1. Kammer Entscheidungsdatum 26.08.2024
Aktenzeichen VG 1 L 442/24 ECLI ECLI:DE:VGCOTTB:2024:0826.1L442.24.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 53 Abs. 3 Satz 7 i.V.m. Satz 5 Nr. 2. BbgSchulG, § 50 Abs. 2 Satz 3 Sek I-V

Leitsatz

Der Routenplaner Google Maps ist in der Einstellung mit dem Auto ungeeignet, um die jeweils kürzeste Entfernung der Wohnung zur Schule gemäß § 53 Abs. 3 Satz 5 Nr. 2 BbgSchulG und § 50 Abs. 2 Satz 3 Sek I-V verlässlich zu bestimmen.

Tenor

1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Antragstellerin zu 1. zum Schuljahr 2024/2025 im Bildungsgang Fachoberschulreife vorläufig in die Klassenstufe 7 aufzunehmen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Begehren, die Antragstellerin zu 1., geboren am 3_____ 2012, zum Schuljahr 2024/2025 vorläufig in die 7. Klasse der Grund- und Gesamtschule S_____im Bildungsgang „Fachoberschulreife“ aufzunehmen, ist zulässig und begründet.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gefahr zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass der jeweilige Antragsteller das Bestehen eines materiellen Anspruchs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 und § 294 der Zivilprozessordnung (ZPO).

Die Antragsteller haben sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund (unter 5.) glaubhaft gemacht.

Die Entscheidung der Antragsgegnerin, die Antragstellerin zu 1. nicht aufzunehmen, ist im Ergebnis rechtswidrig. Zwar unterliegt die Ausgangskapazität der neu eingerichteten 7. Klassen an der Grund- und Gesamtschule S_____ebenso wenig durchgreifenden Bedenken (unter 1.) wie die weitere Berechnung der Aufnahmekapazität (unter 2.). Als voraussichtlich fehlerhaft erweist sich jedoch die Ermittlung des maßgeblichen Kriteriums der Nähe der Wohnung zur Schule (unter 3.). Aufgrund der Rechtswidrigkeit der getroffenen Auswahlentscheidungen ist auch der Antragstellerin zu 1. ein weiterer Platz zuzuteilen (unter 4.).

1. Die Festsetzung der Ausgangskapazität auf 109 Schülerinnen und Schüler ist bedenkenfrei.

Nach § 50 Abs. 3 Satz 2 des Brandenburgischen Schulgesetzes (BbgSchulG) ist die Aufnahmekapazität so zu bemessen, dass nach Ausschöpfung der verfügbaren personellen, räumlichen, sächlichen und fachspezifischen Ausstattung die Unterrichts- und Erziehungsarbeit gesichert ist. Nach § 4 Abs. 2 der Sekundarstufe I-Verordnung (Sek I-V) bestimmt der Schulträger im Rahmen der Schulorganisation die Zügigkeit und die Zahl der Plätze der Klassen in den jeweiligen Jahrgangsstufen unter Beachtung der Maßgaben des § 50 Abs. 3 Satz 2 BbgSchulG (Aufnahmekapazität). Die Grund- und Gesamtschule S_____ist danach eine vierzügige Schule, wobei für drei 7. Klassen Plätze für jeweils 28 Schülerinnen und Schüler sowie für eine 7. Klasse Plätze für 25 Schülerinnen und Schülern zur Verfügung gestellt werden. Bedenken hiergegen sind weder substantiiert dargelegt noch veranlasst.

Nach § 103 Abs. 4 Satz 1 BbgSchulG darf in Klassen der Jahrgangsstufe 7 eine Höchstgrenze von 30 Schülerinnen und Schülern nicht überschritten werden. Im Übrigen legt das für Schule zuständige Ministerium nach § 103 Abs. 4 Satz 2 BbgSchulG fest die Richtwerte für die Klassenfrequenz neu einzurichtender Klassen (Nr. 1.), die Bandbreiten für die Klassenfrequenz bestehender Klassen (Nr. 2.) sowie die Bedingungen u.a. für eine Überschreitung von Bandbreiten (Nr. 3. lit. c). Die Festlegung von Frequenzrichtwerten für die Bildung neu einzurichtender Schulklassen und von Bandbreiten für die Klassenfrequenz bestehender Klassen durch Verwaltungsvorschriften oder Rundschreiben des für Schule zuständigen Ministeriums findet in der Ermächtigungsnorm des § 103 Abs. 4 Satz 2 BbgSchulG eine ausreichende gesetzliche Grundlage und der nach § 50 Abs. 3 Satz 2 BbgSchulG für die Bemessung der Aufnahmekapazität vorgegebene gesetzliche Rahmen wird durch diese untergesetzlichen Vorschriften in zulässiger Weise ausgestaltet (vgl. Beschluss der Kammer vom 08. August 2023 – 1 L 164/23 –, juris Rn. 9 m. w. N.).

Nach Nr. 5 Abs. 1 Satz 1 der hiernach maßgeblichen Verwaltungsvorschriften des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport über die Unterrichtsorganisation vom 26. Juli 2017 (VV-Unterrichtsorganisation – Abl. MBJS/17, S. 302; zuletzt geändert durch Verwaltungsvorschrift vom 06. Februar 2023, Abl. MBJS/23, S. 55) gilt bei der Einrichtung von Klassen unter anderem in den Jahrgangsstufen 1 und 7 der jeweilige Frequenzrichtwert gemäß Anlage 1; für die Fortführung bestehender Klassen gilt die Bandbreite gemäß Anlage 1, die durch den oberen und den unteren Wert bestimmt wird, Nr. 5 Abs. 2 Satz 1 und 2 VV-Unterrichtsorganisation. Der Anlage 1 VV-Unterrichtsorganisation nach beträgt der Frequenzrichtwert in der Sekundarstufe I an Gesamtschulen und Gymnasien 27 Schülerinnen und Schüler; die – den eindeutigen Bestimmungen in § 103 Abs. 4 Satz 2 BbgSchulG und Nr. 5 Abs. 1 und 2 VV-Unterrichtsorganisation nach – für die Fortführung bestehender Klassen relevante Bandbreite (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 02. September 2021 – OVG 3 S 102/21 –, juris Rn. 7) beträgt bei Gesamtschulen und Gymnasien in der Sekundarstufe I 20 bis 28 Schülerinnen und Schüler. Nach Nr. 11 Abs. 1 VV-Unterrichtsorganisation soll für neu einzurichtende Klassen mit Gemeinsamem Unterricht allerdings eine Klassenfrequenz von 25 nicht überschritten werden. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass das gemeinsame Unterrichten von Schülern mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf eine niedrigere Klassenfrequenz als das Unterrichten von Schülern ohne sonderpädagogischen Förderbedarf angezeigt erscheinen lässt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. August 2019 – OVG 3 S 52.19 –, juris Rn. 9; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08. Oktober 2020 – OVG 3 S 92/20 –, juris Rn. 8; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. Oktober 2020 – OVG 3 S 61/20 –, juris Rn. 3).

Hiervon ausgehend ist jedenfalls bei einer 7. Klasse eine Frequenzabsenkung auf 25 Schülerinnen und Schüler zulässig, so dass sich eine Gesamtkapazität von 106 Plätzen ergeben hätte. Die tatsächlich zur Verfügung gestellte Gesamtkapazität für alle Bildungsgänge von 109 Plätzen überschreitet bereits den Frequenzrichtwert nach Nr. 5 Abs. 1 Satz 1 VV-Unterrichtsorganisation.

2. Die weitere Berechnung der Aufnahmekapazität einer Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe (Gesamtschule) bestimmt sich gemäß § 53 Abs. 3 Satz 7 BbgSchulG zu zwei Dritteln der Aufnahmekapazität entsprechend dem Aufnahmeverfahren an Oberschulen und zu einem Drittel der Aufnahmekapazität für den Bildungsgang zum Erwerb der allgemeinen Hochschulreife entsprechend dem Aufnahmeverfahren an Gymnasien mit der Maßgabe, dass § 53 Abs. 5 Satz 1 bis 3 BbgSchulG keine Anwendung findet.

Für das Aufnahmeverfahren an Oberschulen bestimmen § 53 Abs. 3 Satz 5 und 6 BbgSchulG, dass die Auswahl nach besonderen Härtefällen gemäß § 53 Abs. 4 BbgSchulG (Nr. 1.) und im Übrigen nach der Nähe der Wohnung zur Schule erfolgt (Nr. 2.); im Umfang von bis zu 50 Prozent der Aufnahmekapazität können Schülerinnen und Schüler vorrangig vor dem Kriterium der Nähe der Wohnung zur Schule berücksichtigt werden, wenn ein besonderer Grund gemäß § 53 Abs. 6 BbgSchulG vorliegt.

Für die Einzelheiten der Kapazitätsberechnung im Rahmen des vorliegend maßgeblichen Bildungsganges der Fachoberschulreife (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 lit. b. BbgSchulG und § 20 Abs. 1 Satz 1 BbgSchulG) sind des Weiteren die Bestimmungen der Sekundarstufe I-Verordnung, hier vor allem § 6 Abs. 4, § 7 Abs. 2 Satz 1 und 2, § 32 Abs. 1 bis 3 und Abs. 5 bis 6 sowie § 50 Sek I-V, maßgeblich.

Nach § 32 Abs. 1 Sek I-V werden, wenn die Zahl der Anmeldungen die Aufnahmekapazität einer Gesamtschule übersteigt, bis zu einem Drittel der Plätze an Schülerinnen und Schüler vergeben, die den Bildungsgang zum Erwerb der allgemeinen Hochschulreife gewählt haben; die übrigen Plätze sind an Schülerinnen und Schüler zu vergeben, die den Bildungsgang zum Erwerb der Fachoberschulreife und der erweiterten Berufsbildungsreife gewählt haben. Nach § 32 Abs. 2 Sek I-V ist die für die Drittelung gemäß § 53 Abs. 3 Satz 7 BbgSchulG maßgebliche Aufnahmekapazität die Anzahl der Plätze, die sich aus der Gesamtzahl aller in der Jahrgangsstufe 7 zu vergebenden Plätze abzüglich – soweit vorliegend von Bedeutung – der Plätze für Schülerinnen und Schüler ergibt, die nach § 50 Abs. 2 BbgSchulG aufgenommen werden und nach den Rahmenlehrplananforderungen für den Bildungsgang zum Erwerb des Abschlusses der Schule (lit. a.) mit dem sonderpädagogischen Förderschwerpunkt „Lernen“ oder (lit. b.) mit dem sonderpädagogischen Förderschwerpunkt „geistige Entwicklung“ unterrichtet werden (Nr. 1.) oder die nicht am Aufnahmeverfahren teilnehmen, weil sie ihr Schulverhältnis nach § 6 Abs. 4 Sek I-V fortsetzen (Nr. 2.). Nach § 32 Abs. 3 Sek I-V werden Schülerinnen und Schüler, die nach § 50 Abs. 2 BbgSchulG aufgenommen werden und nach den Rahmenlehrplananforderungen für die Bildungsgänge in der Sekundarstufe I unterrichtet werden oder die nach § 53 Abs. 4 BbgSchulG bei der Aufnahme vorrangig zu berücksichtigen sind, entsprechend dem gewählten Bildungsgang den jeweiligen Aufnahmedritteln gemäß § 53 Abs. 3 Satz 7 BbgSchulG vorab zugeordnet.

Für die gerichtliche Überprüfung dieser Voraussetzungen der Kapazitätsberechnung ist im Grundsatz die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Aufnahmeentscheidung maßgebend, die als Abschluss des bei Übernachfrage durchzuführenden Auswahlverfahrens ergeht (Beschluss der Kammer vom 08. August 2023 – 1 L 162/23 –, juris Rn. 15 m. w. N.). Die Aufnahmeentscheidung war vorliegend gemäß dem „Zeitplan für Übergangsverfahren in die Jahrgangsstufe 7 zum Schuljahr 2024/2025“ (https://mbjs.brandenburg.de/sixcms/media.php/140/zeitplan_ue7-verfahren_schul-jahr_2024-25.pdf; abgerufen am 24. Juli 2024) ab dem 07. Juni 2024 (Versand aller Aufnahme- und Zuweisungsbescheide an die Eltern) abgeschlossen.

Nach alledem sind von den 109 für alle Bildungsgänge zur Verfügung stehenden Plätzen zunächst 4 Plätze für die Schülerinnen und Schüler abzuziehen, die dem Gemeinsamen Unterricht in der Grund- und Gesamtschule S_____vom Staatlichen Schulamt wegen sonderpädagogischen Förderbedarfs in dem Förderschwerpunkt „Lernen“ zugewiesen wurden (S. 24 bis 35 Beiakte [BA] II zum Verfahren VG 1 L 286/24; vgl. zu dieser Berechnung auch: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. September 2022 – OVG 3 S 60.22 –, Beschlussabdruck S. 2 [n. v.]). Des Weiteren sind 23 Plätze für Schülerinnen und Schüler abzuziehen, die ihr Schulverhältnis gemäß § 6 Abs. 4 Sek I-V an der Grund- und Gesamtschule S_____fortsetzen (S. 22 und S. 36 bis 200 BA II zum Verfahren VG 1 L 286/24). Schließlich sind 2 Plätze in Abzug zu bringen, die nach § 7 Abs. 2 Satz 1 Sek I-V für 2 Wiederholerinnen oder Wiederholer zurückgehalten wurden (S. 23 BA II zum Verfahren VG 1 L 286/24).

Die sich danach ergebenden 80 Plätze stehen für eine Aufteilung auf die Bildungsgänge – AHR auf der einen Seite, FOR/EBR auf der anderen Seite – zur Verfügung, wobei, wie von der Antragsgegnerin errechnet (S. 8 BA II zum Verfahren VG 1 L 286/24), auf den Bildungsgang AHR 26 Plätze entfallen. Es ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 32 Abs. 1 Satz 1 Sek I-V („bis zu einem Drittel“), dass hinsichtlich des Bildungsgangs AHR keine Aufrundung, sondern nur eine Abrundung in Betracht kommt (Beschluss der Kammer vom 11. August 2023 – 1 L 232/23 –, juris Rn. 20). „Die übrigen Plätze“, mithin 54, sind für das Kontingent im Bereich FOR/EBR zur Verfügung zu stellen, von denen mit Blick auf den eindeutigen Wortlaut des § 32 Abs. 3 Sek I-V in diesem Verfahrensstadium – und nicht nach § 4 Abs. 4 Satz 1 Sek I-V bereits vor der „Drittelung“ (a. A. VG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 19. August 2010 – 1 L 258/10 –, juris Rn. 15) – die weiteren vom Staatlichen Schulamt zugewiesenen Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, in diesem Bildungsgang 5 Schüler mit dem Förderbedarf in dem Förderschwerpunkt „emotionale und soziale Entwicklung“ (S. 424 bis 438 BA III zum Verfahren VG 1 L 286/24), abzuziehen sind.

Ein besonderer Härtefall nach § 53 Abs. 4 BbgSchulG oder ein besonderer Grund nach § 53 Abs. 6 BbgSchulG ist in dem hier maßgeblichen Bildungsgang demgegenüber von der Antragsgegnerin nicht berücksichtigt worden.

3. Nach alledem stehen im Bildungsgang FOR/EBR 49 Plätze zur Verfügung, die nach der Nähe der Wohnung zur Schule zu vergeben waren, § 53 Abs. 3 Satz 7 i. V. m. Satz 5 Nr. 2 BbgSchulG und § 50 Abs. 2 Satz 2 Sek I-V.

Gemäß § 50 Abs. 2 Satz 3 Sek I-V wird die Nähe der Wohnung zur Schule durch die Schulleiterin oder den Schulleiter unter dem Gesichtspunkt der Schulwegzeit oder der Entfernung bestimmt. Vorliegend hat sich die Antragsgegnerin entschieden, die Nähe der Wohnung zur Schule anhand der Entfernung zu bestimmen. Die insoweit maßgebliche Rangliste „Ü 7 Verfahren FOR/EBR“ (Stand: 15. Mai 2024; S. 15 bis 21 BA II zum Verfahren VG 1 L 286/24), die auch die Schülerinnen und Schüler umfasst, die die Grund- und Gesamtschule S_____im Erstwunsch gewählt haben, erweist sich allerdings als fehlerhaft. Der von der Antragsgegnerin zur Ermittlung der Entfernungen verwendete Routenplaner bietet – jedenfalls in der konkret verwendeten Einstellung – keine hinreichende Gewähr dafür, dass die jeweils kürzeste Wegstrecke ermittelt wird. Infolgedessen sind die getroffenen Auswahlentscheidungen rechtswidrig.

Die Antragsgenerin hat das von ihr gewählte Kriterium der Entfernung anhand des Routenplaners „Google Maps“ in der Einstellung „mit dem Auto“ ermittelt und danach für alle Schülerinnen und Schüler die Entfernung nach Kilometern (auf eine Kommastelle) bestimmt (S. 8 und 12 BA II zum Verfahren VG 1 L 286/24). Demzufolge soll der kürzeste Schulweg (Listenplatz 1) 1,4 Kilometer und der längste noch berücksichtigte Schulweg (Listenplatz 49) 14,7 Kilometer lang sein. Der Schulweg der Antragstellerin zu 1. soll demgegenüber eine Länge von 16,8 Kilometern (S. 19 BA II zum Verfahren VG 1 L 286/24 und Bl. 41 der Gerichtsakte) aufweisen.

Zwar ist die Nutzung eines internetbasierten Routenplaners zulässig und die sich ergebenden Pauschalierungen und Typisierungen müssen Eltern und ihre Kinder grundsätzlich hinnehmen, sofern sich nicht im Einzelfall aufdrängen muss, dass die vom Routenplaner berechnete Wegstrecke nicht dem nach Länge oder Dauer kürzest möglichen Schulweg entspricht (vgl. etwa Sächsisches OVG, Beschluss vom 05. September 2022 – 2 B 237/22 –, juris Rn. 9 [zur Berechnung des Fußwegs mittels „Google Maps“] m. w. N.; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. August 2021 – 19 B 1245/21 –, juris Rn. 8 [zur Berechnung mit zwei Systemen] m. w. N.). Auch die Kammer hat die Ermittlung des maßgeblichen Kriteriums der Entfernung mittels eines internetbasierten Routenplaners unter einheitlicher Berücksichtigung der Wegbewältigung mit dem Kraftfahrzeug in der Vergangenheit nicht beanstandet (vgl. etwa Beschluss der Kammer vom 11. August 2023 – 1 L 232/23 –, juris Rn. 23 [zum „Falk Routenplaner“]). Sie hat dabei aber als selbstverständlich vorausgesetzt – Anlass zu Zweifeln bestand seinerzeit nicht –, dass jeweils die kürzeste Wegstrecke ermittelt und zugrunde gelegt worden ist; der damals zu beurteilende Routenplaner ermöglichte diese Berechnung durch Auswahl der „kürzesten Route“ gegenüber der Voreinstellung „schnellste Route“.

Das ist vorliegend jedoch nicht der Fall. So gibt der von der Antragsgegnerin verwendete Routenplaner „Google Maps“ für die Wegstrecke des Antragstellers zu 1. bei identischem Start- und Zielpunkt über „M_____“ eine Wegstrecke mit dem Auto von lediglich 11,8 Kilometern statt der ermittelten und zugrunde gelegten 16,8 Kilometer an, mithin 5 Kilometer weniger (Bl. 33 und 45 der Gerichtsakte). In der „Google Maps-Hilfe“ wird zur Funktion „spritsparenden Routenplanung“ ausgeführt (https://support.google.com/maps/answer/11470237?hl=de&ref_topic=3292869&sjid=9097109178217920731-EU; abgerufen am 22. August 2024):

„(…) Wenn diese Funktion in Maps aktiviert ist, wird bei der Ermittlung der besten Route die Kraftstoffeffizienz zusätzlich zu Faktoren wie diesen berücksichtigt:

· Verkehr in Echtzeit

· Einfachheit der Route

· Straßenverhältnisse

Dadurch wird in Google Maps neben der schnellsten Route immer die effizienteste Route hervorgehoben, sofern es mehrere Routen zum angegebenen Ziel gibt.

Wenn die Funktion deaktiviert ist, wird die schnellste Route berechnet. (…)“

Daraus geht hervor, dass der Routenplaner „Google Maps“ in der Einstellung „mit dem Auto“ grundsätzlich die zeitlich kürzeste Route ermittelt, die aber keineswegs der kürzesten Entfernung entsprechen muss. Selbst die „effizienteste Route“ – ohnehin liegen keine Erkenntnisse dazu vor, dass die Antragsgegnerin die Funktion „spritsparende Routenplanung“ genutzt hätte –, muss nicht die kürzeste Entfernung darstellen, sondern wird allein in Anknüpfung an den Kraftstoffverbrauch berechnet. Soweit ersichtlich, bietet der Routenplaner „Google Maps“ keine Möglichkeit, die „kürzeste Route“ als Auswahlparameter voreinzustellen (anders beispielsweise der internetbasierte „Falk Routenplaner“ unter der Auswahl „Optionen“, www.falk.de/routenplaner). Hiernach ergibt sich nicht nur für die Antragstellerin zu 1., sondern ergeben sich auch für weitere Schülerinnen und Schüler auf der von der Antragsgegnerin erstellten Rangliste kürzere, teils deutlich kürzere Wegstrecken. Davon betroffen sind auch weitere, derzeit bei der Kammer anhängige Verfahren.

Soweit das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg die Nutzung des Routenplaners „Google Maps“ in der Einstellung für Kraftfahrzeuge bisher, soweit ersichtlich, nicht beanstandet hat (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Oktober 2022 – 3 S 49/22 –, Beschlussabdruck S. 4 f. [n. V.]; unter Verweis auf Sächsisches OVG, Beschluss vom 05. September 2022 – 2 B 237/22 – [zur Berechnung des Fußwegs mittels „Google Maps“]), war seinerzeit offenbar nicht in Zweifel gezogen worden, dass es sich bei der ermittelten Entfernung um die kürzeste mit dem Kraftfahrzeug zurückzulegende Wegstrecke handelt. Streitig war dort vielmehr die – hier nicht inmitten stehende – Frage, ob bei der Ermittlung der Entfernung überhaupt das Kraftfahrzeug berücksichtigt werden darf, wenn der Fuß- oder Fahrradweg kürzer ist.

Das Vorbringen der Antragsgegnerin im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, die kürzere Route werde von „Google Maps“ nicht als Route ausgegeben, da mindestens eine Teilstrecke über den H_____führe, der laut Mitteilung auf dem Internetauftritt der Stadt M_____vom 22. Oktober 2020 (https://www.mittenwalde.de/de/news/ansicht/umwidmung-der-strasse-von-krummensee-zur-b246-hofjagdweg; abgerufen am 15. August 2024) in eine Fahrradstraße umgewidmet worden sei, überzeugt nicht. Sowohl aus der Mitteilung als auch aus dem dort verlinkten „Infomaterial“ (https://www.mittenwalde.de/fileadmin/user_upload/Fotos_und_Dokumente/Aktuelles/Umwidmung_der_Strasse_von_Krummen-see_Sued_zur__B246__2020.pdf; abgerufen am 15. August 2024) geht unzweifelhaft hervor, dass die Benutzung der Fahrradstraße u.a. für „Personenkraftwagen“ freigegeben werden sollte. Eine Mitarbeiterin des Ordnungsamts der Stadt M_____hat dem Berichterstatter am 15. August 2024 auf fernmündliche Anfrage mitgeteilt, dass die Umwidmung in eine Fahrradstraße wie geplant umgesetzt worden und die Mitbenutzung des H_____durch Pkw danach zulässig sei (Gesprächsvermerk vom 15. August 2024, Bl. 55 der Gerichtsakte). Dies bestätigt letztlich auch der Routenplaner „Google Maps“ selbst, der die kürzere Route uneingeschränkt für Kraftfahrzeuge ausweist, sobald der Anwender angibt, über „M_____“ fahren zu wollen. Weder bestehen danach Anhaltspunkte für die Annahme, es handle sich um einen „Schleichweg“, noch ist feststellbar, dass die Befahrung nur „witterungsabhängig“ oder nur „im Ausnahmefall“ mit dem Pkw möglich wäre. Nach alledem kann keine Rede davon sein, der Routenplaner „Google Maps“ – jedenfalls in der Einstellung „mit dem Auto“ – erweise sich, wie von der Antragsgegnerin behauptet, als „zuverlässig“, was die Ermittlung der jeweils kürzesten Wegstrecke angeht.

Vielmehr ist der von der Antragsgegnerin verwendete Routenplaner „Google Maps“ in der Einstellung „mit dem Auto“ ungeeignet, um die jeweils kürzeste Entfernung der Wohnung zur Schule gemäß § 53 Abs. 3 Satz 5 Nr. 2 BbgSchulG und § 50 Abs. 2 Satz 3 Sek I-V verlässlich zu bestimmen. Es liegt auf der Hand, dass sich die geschilderte Problematik bei Verwendung des Routenplaners „Google Maps“ in der Einstellung „zu Fuß“ wohl nicht stellen dürfte. Zu einer solchen Ermittlung der Entfernung hat sich die Antragsgegnerin jedoch gerade nicht entschieden. Das durchgeführte Auswahlverfahren leidet danach an einem Systemfehler, der die Platzierung aller Schülerinnen und Schüler auf der hier maßgeblichen Rangliste (Stand: 15. Mai 2024) in Zweifel zieht. Um eine sinnvolle Rangfolge zu ermitteln, müsste das Auswahlverfahren wiederholt werden.

Auf seine Bedenken hat das Gericht die Antragsgegnerin mit Verfügung vom 13. August 2024 hingewiesen. Wie sie die Rangliste bei Kenntnis der Rechtswidrigkeit des von ihr gewählten Auswahlverfahrens konkret gestaltet hätte, ist offen; Anhaltspunkte hierfür lassen sich weder den vorgelegten Verwaltungsvorgängen noch dem Vorbringen der Antragsgegnerin entnehmen. Es ist insbesondere auch nicht Aufgabe des Gerichts, die Antragsgegnerin auf die Nutzung eines bestimmten Routenplaners oder gar eine konkrete Einstellung eines bestimmten Routenplaners festzulegen, sodass seiner Auffassung nach die Maßgabe der Ermittlung der kürzesten Entfernung erfüllt sein könnte. Diese Wahl bleibt nach § 50 Abs. 2 Satz 3 Sek I-V der Antragsgegnerin vorbehalten, wie sie auch darüber entscheidet, mit welchem Verkehrsmittel (z. B. zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit dem Auto) sie die Entfernungen einheitlich unter allen Schülerinnen und Schülern ermittelt und ob sie das Kriterium der Nähe der Wohnung zur Schule anhand der Schulwegzeit oder der Entfernung bestimmt. Das Gericht vermag daher auch nicht zu prognostizieren, wie sich ein neu durchzuführendes Auswahlverfahren auf die Platzierung der Antragstellerin zu 1. konkret auswirken könnte.

4. Aufgrund der Rechtswidrigkeit der getroffenen Auswahlentscheidungen ist auch der Antragsgegnerin zu 1. ein weiterer Platz zuzuteilen, soweit die Funktionsfähigkeit des Schulbetriebs – was vorliegend nicht zweifelhaft ist – weiterhin gewährleistet werden kann.

Angesichts dessen, dass die Antragstellerin zu 1. bei Zurückweisung des vorläufigen Rechtsschutzbegehrens – wenn auch ggf. nur bis zu einer anderweitigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren – nicht die gewünschte Schule besuchen könnte, ist es nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) geboten, die Rechtsverletzung in Folge des rechtswidrigen Auswahlverfahrens und damit einen Anordnungsanspruch zu unterstellen. Ein weiteres Abwarten bis zur Korrektur der Auswahlentscheidung durch die Antragsgegnerin, die ein neues Auswahlkonzept voraussetzt, ist den Antragstellern nicht zumutbar. Hieraus folgt die Pflicht der Antragsgegnerin, die Rechtsverletzung durch Aufnahme der Antragstellerin zu 1. zu beheben (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. September 2013 – OVG 3 S 50.13 –; juris Rn. 6; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 06. Oktober 2017 – OVG 3 S 71.17 –, juris Rn. 7).

5. Die Antragsteller haben auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Es kann ihnen unter Beachtung des Gebotes effektiven Rechtsschutzes nicht zugemutet werden, eine Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren abzuwarten, denn es ist zu befürchten, dass sich ihr Anspruch in diesem Fall durch Zeitablauf mit Ende des Schuljahres 2024/2025 erledigen würde. Das begründet einen wesentlichen Nachteil im Sinne von § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Die Antragsteller müssen sich auch nicht darauf verweisen lassen, dass die Antragstellerin zu 1. den gewünschten Bildungsgang an einer anderen Schule durchlaufen kann und dass diese Schule zumutbar erreichbar ist, denn § 53 Abs. 1 BbgSchulG vermittelt grundsätzlich ein Recht auf Aufnahme entsprechend dem Elternwunsch (vgl. etwa Beschluss der Kammer vom 11. August 2023 – 1 L 232/23 –, juris Rn. 28 m. w. N.).

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) i. V. m. Ziffer 38.4 des aktuellen Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Der Auffangwert ist in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren (Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs).