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Auflage, Kutte, Motorradclub, Uniform, Versammlung


Metadaten

Gericht VG Potsdam 3. Kammer Entscheidungsdatum 02.08.2024
Aktenzeichen VG 3 L 682/24 ECLI ECLI:DE:VGPOTSD:2024:0802.3L682.24.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 15 Abs 1 VersG, § 3 Abs 1 VersG

Leitsatz

Bei einer Versammlung in Gestalt eines Motorradkorsos kann das Tragen sogenannter Kutten mit Abzeichen (Patches), die typischen Abzeichen von Rockervereinigungen nachempfunden sind, einen Verstoß gegen das Uniformierungsverbot des § 3 Abs. 1 VersG darstellen.

Tenor

  1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

    Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

  2. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Der am 1. August 2024 eingegangene Antrag des Antragstellers,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Polizeipräsidiums vom 31. Juli 2024 wiederherzustellen,

bleibt ohne Erfolg.

1. Der Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 VwGO zulässig. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Danach entfällt die aufschiebende Wirkung u.a. eines Widerspruchs im Falle der behördlichen Anordnung der sofortigen Vollziehung. So liegt es hier, denn der Antrag richtet sich gegen die im angefochtenen Bescheid unter Anordnung der sofortigen Vollziehung ergangenen versammlungsrechtlichen Auflage, wonach das Tragen sogenannter Kutten oder ähnlicher Kleidungsstücke mit Abzeichen („Patches“), die typischen Abzeichen von Rockervereinigungen nachempfunden sind, untersagt wird. Der Antrag ist jedoch unbegründet.

Bei der gerichtlichen Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Suspensivinteressen auf Grund summarischer Erfolgsprüfung kommt dem Vollzugsinteresse umso größeres Gewicht zu, je geringer die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Oktober 2014 – BVerwG 7 VR 4.13 –, juris Rn. 10). Vorliegend wird sich der angegriffene Bescheid voraussichtlich als rechtmäßig erweisen.

a. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Sie lässt nachvollziehbar die Erwägungen erkennen, die den Antragsgegner im vorliegenden Fall zur Anordnung der sofortigen Vollziehung bewogen haben. So führt er im angefochtenen Bescheid aus, dass das Interesse des Antragstellers an der Durchführung der Versammlung mit den Kennzeichen hinter das Interesse der Allgemeinheit, von Beeinträchtigungen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und zentraler Rechtsgüter im Zusammenhang mit der Versammlung verschont zu bleiben, zurückzutreten hat. Ob die angeführten Gründe die Anordnung der sofortigen Vollziehung tatsächlich rechtfertigen, ist keine Frage des formellen Begründungserfordernisses; insoweit kommt es auf die inhaltliche Richtigkeit der gegebenen Begründung nicht an (ständige obergerichtliche Rechtsprechung, vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Juli 2015 – OVG 10 S 14.15 –, juris Rn. 5; OVG Münster, Beschluss vom 18. August 2015 – 4 B 361.15 –, juris Rn. 8).

b. Rechtsgrundlage für die streitige Auflage ist § 15 Abs. 1 VersG. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Diese Voraussetzungen sind bei der in diesem Verfahren nur gebotenen summarischen Prüfung erfüllt.

Gemäß § 3 Abs. 1 VersG ist es verboten, öffentlich oder in einer Versammlung Uniformen, Uniformteile oder gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung zu tragen. Die eigentliche Zielrichtung des Uniformierungsverbots ist die bedrohlich und einschüchternd wirkende Manifestation der mit der Uniformierung oder uniformartigen Bekleidung bekundeten politischen Gesinnung (Enders, in: Dürig-Friedl/ders., Versammlungsrecht, 2. Aufl. 2022, § 3 Rn. 1). Erfasst werden vom Wortlaut des Verbots nicht nur Uniformen selbst, sondern auch gleichartige Kleidungsstücke. Diese sollen als spezifische Manifestation der politischen Gesinnung, als bestimmtes Mittel des Ausdrucks einer politischen Gesinnung ausgeschlossen werden (Enders, a.a.O., Rn. 3). Die mit Rücksicht auf die durch Art. 5 GG geschützte Meinungsfreiheit gebotene verfassungskonforme restriktive Auslegung der Vorschrift führt auf das zusätzliche Erfordernis, dass die Uniformierung eine potentielle Gewaltbereitschaft demonstriert, die den Eindruck der Aggressivität und Militanz der Äußerung vermittelt. Das ist der Fall, wenn durch das Tragen der einheitlichen Kleidungsstücke der Eindruck entstehen kann, dass die Kommunikation im Sinne eines freien Meinungsaustausches abgebrochen und die eigene Ansicht notfalls gewaltsam durchgesetzt werden soll (BGH, Urteil vom 11. Januar 2018 – 3 StR 427/17 –, juris Rn. 17).

So liegt es hier bei den von der streitigen Auflage bezeichneten „Kutten mit Patches“, zu denen der Antragsteller vorträgt, dass diese bei dem beabsichtigten Motorradkorso in Gestalt von „Kutten und Vereinsemblemen, soweit letztere nicht unter das Kennzeichenverbot fallen“, getragen werden sollen, wobei nach dem Inhalt des Verwaltungsvorgangs auch Patches in Gestalt von Phantasiesymbolen verwendet werden. Der mit dem Tragen der „Kutten“ einhergehende Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung folgt aus dem Thema der Versammlung, bei der nach dem Vortrag des Antragstellers die Entwicklung der Biker-Kultur und der Protest gegen die Verschärfung des Vereinsgesetzes im Jahre 2017 zum Ausdruck kommen sollen. Mit dieser Änderung wurde der Anwendungsbereich des Verbots, bestimmte Kennzeichen im Sinne des Vereinsgesetzes zu tragen, erweitert. Unter einer Kutte versteht man in Bezug auf Motorradclubs regelmäßig eine Lederweste, die mit Aufnähern versehen sind, die in bestimmter Form angeordnet sind und regelmäßig einen inhaltlichen Bezug zum jeweiligen Club bzw. der Funktion des Trägers aufweisen, vgl. Wikipedia zum Schlagwort Kutte (Motorradfahrer) – https://de.wikipedia.org/wiki/Kutte_(Motorradfahrer), zuletzt abgerufen am 2. August 2024. Diese im Wesentlichen gleichartig gestalteten und insoweit gleichartigen Kleidungsstücke im Sinne des § 3 Abs. 1 VersG sind auch geeignet, eine suggestiv-militante einschüchternde Wirkung (vgl. auch OVG Bautzen, Urteil vom 9. November 2011 – 3 BS 257/01 –, juris Rn. 7) zu erzeugen. Dies folgt für die Kammer aus der Funktion und der Symbolik dieses Kleidungsstückes im Zusammenhang mit ihrer Verwendung durch Motorradclubs, wie sie sich aus der nachfolgenden Beschreibung ergibt:

„Die Kutten und die auf ihnen angebrachten Kennzeichen verfolgen damit gleich zwei Ziele:

  • Zum einen dienen sie als visualisierte Vergewisserung der Vereinsmitglieder untereinander, der gleichen Organisation anzugehören und deren Regeln zu befolgen. Diesem Zusammengehörigkeitsgefühl kommt im Zusammenwirken mit einem übersteigerten Männlichkeitspathos innerhalb der Vereinigung eine entscheidende Bedeutung zu, dass das einzelne Mitglied insoweit stets im Interesse des Vereins – und damit gegebenenfalls auch entgegen persönlichen Moralvorstellungen – handelt, und senkt damit die individuelle Hemmschwelle des einzelnen Mitglieds, sich an Straftaten zu beteiligen.
  • Zum anderen dienen sie nach außen dazu, dem einzelnen Gegenüber ebenso wie der Gesellschaft allgemein zu signalisieren, dass der Träger der Kutte, auch wenn er möglicherweise alleine auftritt, immer als Teil einer größeren und sehr gewaltbereiten Vereinigung anzusehen ist, die im Zweifel zu seinen Gunsten in einen etwaigen Konflikt eingreifen wird. Die Kutte (und im weiteren Sinne die Abzeichen dieser OMCG allgemein) dient damit als Instrument zur Machtprojektion: Selbst wenn in der konkreten Situation durch den Träger gar keine (physische) Überlegenheit besteht, macht er jedoch deutlich, dass er eine solche physische Überlegenheit durch das Hinzuziehen weiterer Mitglieder des Vereins herstellen könnte.“ (Heinke, Aus für die Rocker-Kutten, in: Die Kriminalpolizei, Juni 2017 – https://www.kriminalpolizei.de/ausgaben/2017/juni/detailansicht-juni/artikel/aus-fuer-die-rocker-kutten.html, zuletzt abgerufen am 2. August 2024).

Da es insoweit auf die potentielle Wirkung des Erscheinungsbildes der Versammlungsteilnehmer ankommt, kann der Antragsteller dem nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass eine solche Wirkung im konkreten Fall nicht beabsichtigt sei.

Die Auflage erweist sich auch als voraussichtlich ermessensfehlerfrei (§ 114 VwGO) Sie begegnet keinen Bedenken in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit. Sie ist geeignet, einen Verstoß gegen § 3 Abs. 1 VersG zu verhindern. Ein milderes Mittel ist nicht ersichtlich. Die Auflage ist auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Die Versammlung selbst bleibt von der Auflage im Wesentlichen unbeeinträchtigt. Die Versammlungsteilnehmer können in der beabsichtigten Form ihrem Anliegen Ausdruck verleihen und müssen lediglich auf sogenannte Kutten verzichten, wenn sie mit „Patches“ versehen sind, die in einer Art gestaltet sind, wie sie typischerweise von Rockerclubs verwendet werden. Der Antragsgegner weist im angefochtenen Bescheid ausdrücklich darauf hin, dass dem Tragen von T-Shirts, Wind- oder Regenjacken ebenso wenig etwas entgegensteht wie dem Tragen motorradtypischer Schutzkleidung. Selbst das Tragen von Lederwesten wird von der Auflage nicht erfasst, soweit sie nicht die beschriebenen „Patches“ aufweisen. Damit wird der Antragsteller vor dem Hintergrund der durch Art. 8 Abs. 1 GG gewährleisteten Versammlungsfreiheit im Hinblick auf die Einhaltung einzelner durch Art. 3 Abs. 1 VersG geregelter Einschränkungen nicht übermäßig belastet. Der Antragsteller hat auch nichts dafür vorgetragen, dass die Darstellung des Versammlungsthemas ohne die Verwendung der streitigen Kutten nicht möglich wäre.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über den Wert des Verfahrensgegenstandes beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Dabei hat sich die Kammer an Nr. 45.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 orientiert, jedoch wegen der faktischen Vorwegnahme der Hauptsache auf eine Halbierung des sich daraus ergebenden Betrages verzichtet.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen die Sachentscheidung steht den Beteiligten die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht zu. Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht Potsdam, Friedrich-Ebert-Straße 32, 14469 Potsdam, innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung einzulegen.

Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Hardenbergstraße 31, 10623 Berlin, einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.

Vor dem Oberverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten durch nach § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung zugelassene Bevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde.

Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt oder die Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zugelassen wird. Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht Potsdam innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen; der Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten bedarf es nicht.