Gericht | VG Cottbus 5. Kammer | Entscheidungsdatum | 22.08.2024 | |
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Aktenzeichen | VG 5 K 30/21.A | ECLI | ECLI:DE:VGCOTTB:2024:0822.5K30.21.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG, § 8 RVG, Art. 2, 5 und 6 der Rückführungsrichtlinie |
In den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG findet § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG infolge teleologischer Reduktion keine Anwendung.
Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Sprungrevision wird zugelassen.
Die Klägerin, nach eigenen Angaben syrische Staatsangehörige und am 2_____ 1993 geboren, wendet sich gegen die Ablehnung ihres Asylantrages als unzulässig und gegen die Abschiebungsandrohung nach Bulgarien.
Nachdem die Klägerin aufgrund des dort gestellten Asylantrages in Bulgarien am 18. Juli 2018 internationalen Schutz erhalten hatte, reiste sie weiter ins Bundesgebiet ein, um hier am 26. September 2018 erneut einen Asylantrag zu stellen.
Die Klägerin wurde am 27. September 2018 persönlich zur Zulässigkeit ihres Asylantrages angehört. Sie gab an, sie habe Syrien im März 2018 verlassen und sich vor ihrer Einreise nach Deutschland ca. fünf Monate in Bulgarien aufgehalten. In Bulgarien sei sie festgenommen und während ihrer ca. einmonatigen Haft gezwungen worden, einen Asylantrag zu stellen. Sie habe ursprünglich Familiennachzug nach Deutschland beantragen wollen. In Bulgarien sei ihr gesagt worden, dass sei nicht möglich, sie müsse dort einen Asylantrag stellen, sonst müsse sie zurück nach Syrien. Ob über ihren Antrag in Bulgarien bereits entschieden sei, wisse Sie nicht. Sie habe im Camp einen Bescheid erhalten, aus dem sich ergeben habe, dass sie für drei Jahre einen Aufenthaltstitel für Bulgarien erhalten habe. Damit habe sie Bulgarien aber nicht verlassen dürfen. Für ihre Unterkunft sei sie zwischen dem Flüchtlingscamp sowie der Wohnung ihres Ehemannes gependelt. Ihr Ehemann, A_____, der zu der Zeit in Deutschland gearbeitet habe, habe sie finanzielle unterstützt. Nach Bulgarien könne Sie nicht zurück, da sie dort niemanden habe.
Herrn A_____ wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 22. September 2016 der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt.
Am 0_____ 2019 kam die gemeinsame Tochter zur Welt. Ihr wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 21. August 2020, abgeleitet über ihren Vater, der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt.
Nachdem die Beklagte die erste Unzulässigkeitsentscheidung im Bescheid vom 15. Oktober 2018 mit dem Bescheid vom 22. September 2019 wieder aufgehoben hatte, lehnte sie nunmehr mit Bescheid vom 08. Dezember 2020 den Antrag der Klägerin erneut als unzulässig ab, verneinte Abschiebungsverbote, drohte die Abschiebung nach Bulgarien an und verhängte ein auf 10 Monate ab der Abschiebung befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot. Die Antragstellerin dürfe nicht nach Syrien abgeschoben werden. Zu Begründung wird auf den Bescheid Bezug genommen.
Mit ihrer am 21. Dezember 2020 erhobenen Klage macht die Klägerin geltend, sie habe abgeleitet von ihrem Ehemann oder abgeleitet von ihrer Tochter einen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Ihre Ehe sei nach syrischem Recht selbst dann wirksam, wenn sie nicht staatlich registriert worden sei. Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Tochter auch einen Anspruch auf subsidiären Schutz aus eigenem Recht hätte, denn die Gefahr, ziviles Opfer im Konflikt in Syrien zu werden, sei so hoch, dass auch ohne eine eigene individuelle Gefährdung jede Person betroffen sei. Jedenfalls in diesem Fall könne die Klägerin für sich den abgeleiteten Schutzstaus in Anspruch nehmen. Auch sei zweifelhaft, ob die Klägerin in Bulgarien noch den Schutzstatus habe. Es könnte sein, dass dieser Schutzstatus mittlerweile erloschen sei. Dies sei durch eine Auskunft bei den bulgarischen Behörden zu klären. Auch sei im Rahmen der Rückkehrprognose auf den Familienverband abzustellen. Die dauerhafte Trennung von Mutter und Tochter, die in Lebensgemeinschaft lebten, würde zu einer Kindeswohlgefährdung führen. Dieses sei bereits bei Erlass der Rückkehrentscheidung zu berücksichtigen, wie sich aus der Entscheidung des EuGH in der Rs. C484/22 ergebe. In diesem Zusammenhang nimmt die Klägerin Bezug auf das Urteil des Bayerischen VGH vom 04. März 2024, Aktenzeichen: 24 B 22.30376. Danach erfasse eine Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 3 Nr. 3 RL 2008/115/EG (Rückführungsrichtline) wegen Art. 6 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Abs. 1 Rückführungsrichtlinie auch Abschiebungsandrohungen, die nach § 35 AsylG einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union als Zielstaat nennen.
Nachdem die Klägerin zunächst die Aufhebung des Bescheides sowie hilfsweise die Feststellung von Abschiebungsverboten beantragt hat, beantragt sie nunmehr ausdrücklich,
den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 08. 12.2020, Gz. 7_____ aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid. Ergänzend macht sie geltend, dass eine Zuerkennung subsidiären Schutzes abgeleitet über die Tochter nicht in Betracht komme.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes Bezug genommen. Sämtliche Akten waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
I. Das Gericht entscheidet gemäß § 77 Abs. 2 AsylG im schriftlichen Verfahren. Hiernach kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entschieden werden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen. Das Gericht hat einen entsprechenden Hinweis hier unter dem 01. August 2024 erteilt.
II. Soweit die Klage hinsichtlich des Hilfsantrages zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zurückgenommen wurde, wird das Verfahren nach § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO eingestellt. Hinsichtlich des noch streitig zu entscheidenden Teils bleibt die Klage ohne Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 08. Dezember 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
1. Die Unzulässigkeitsentscheidung ist nicht schon in Ansehung von § 26 Abs. 1 oder 3 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 und 2 AsylG rechtswidrig (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2020, - 1 C 8.19 -, BVerwGE 170, 326-388). Die Klägerin hat im maßgeblichen Zeitpunkt keinen Anspruch auf Zuerkennung von Familienasyl nach den genannten Vorschriften.
Soweit die Klägerin den Status von Herrn A_____ableiten möchte, hat sie die wirksame Schließung der Ehe in Syrien vor ihrer Ausreise nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Eine Originalheiratsurkunde hat die Klägerin weder vor dem Bundesamt noch im gerichtlichen Verfahren vorgelegt. Es handelt sich – wie aus den Übersetzungen deutlich wird – bei beiden vorgelegten Urkunden lediglich um vermeintlich beglaubigte Kopien. Auffallend ist dabei, dass beide Kopien alleine von der optischen Betrachtung her auch im Arabischen nicht identisch scheinen. So hat die zuletzt im Klageverfahren eingereichte Kopie sowohl im Kopf- als auch im Unterschriftenbereich Zusätze, die sich nicht in der ersten Kopie wiederfinden. Hinzu kommt, dass die Übersetzungen in den wesentlichen Aspekten nicht identisch sind. So differiert das Datum der Eheschließung zwischen dem 08. März 2018 und 08. März 2011. Auch weichen die Angaben zur Mitgift und den zuständigen Würdenträgern jeweils ab. Wesentlich ist auch, dass die Klägerin vorträgt, sowohl sie als auch ihr Ehemann hätten ihren Vater bevollmächtigt, sie seien beide während der Eheschließung in Syrien nicht anwesend gewesen. Dies steht im Widerspruch zur Feststellung in beiden Kopien, dass der Bräutigam selbst anwesend war und sich unter seinem Unterschriftenfeld eine Unterschrift findet.
Einer Ableitung von ihrer Tochter steht zunächst entgegen, dass diese selbst den subsidiären Schutzstatus auf Grund einer Ableitung von ihrem Vater erhalten hat. Eine Ableitung eines Schutzstatus von einer Person, der dieser Status ebenfalls kraft Ableitung zuerkannt wurde („Kettenableitung“), ist unzulässig (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Dezember 2021 – 1 B 35.21 –, juris Rn. 5 ff. m.w.N.) und kommt daher auch im Streitfall nicht in Betracht. Soweit die Klägerin meint, ihrer Tochter stünde auch aus eigenem Recht der subsidiäre Schutzstatus zu, kann diese Frage dahinstehen, denn selbst wenn, würde dies auf Grund von § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AsylG nicht einen Anspruch auf Zuerkennung der Klägerin begründen. Hiernach werden die Eltern eines minderjährigen ledigen Asylberechtigten oder ein anderer Erwachsener im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU auf Antrag als Asylberechtigte anerkannt, wenn die Familie im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird. Dies ist hier nicht der Fall, denn die Tochter ist im Februar 2019 im Bundesgebiet geboren worden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. November 2023 – 1 C 7.22 –, juris Rn. 12ff.)
2. Die Unzulässigkeitsentscheidung über den Asylantrag findet in § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ihre Grundlage. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Dies ist vorliegend der Fall. Ausweislich der klägerischen Angaben sowie die Einträge in der EURODAC-Datei ist der Klägerin am 18. Juli 2018 internationaler Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt worden.
Dieser Schutzstatus besteht auch mangels konkreter Anhaltspunkte für eine Entziehung fort. Zwar kann nach Ablauf der dreijährigen Befristung der Aufenthaltserlaubnis und mangels eines rechtzeitigen Verlängerungsantrages der Schutzstatus unter bestimmten Bedingungen aufgehoben werden. So kann nach Art. 42 Abs. 5 des bulgarischen Gesetzes über das Asyl und die Flüchtlinge in Bezug auf einen Ausländer, dem internationaler Schutz gewährt worden ist und der keinen Antrag auf Verlängerung seiner - nach § 59 Abs. 1 des bulgarischen Gesetzes über Identitätspapiere im Fall von Flüchtlingsschutz fünf Jahre und im Fall von subsidiärem Schutz drei Jahre gültigen - Identitätspapiere einreicht, ein Verfahren zur Aberkennung oder Aufhebung des gewährten internationalen Schutzes eingeleitet werden, wenn der Ausländer nicht nachweisen kann, dass er seiner Obliegenheit, einen Antrag auf Verlängerung zu stellen, aus objektiven Gründen nicht nachgekommen ist. Gleichwohl ist unter Bezugnahme auf die Auskunft des Auswärtigen Amtes (Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG für das Land Nordrhein-Westfalen , S. 2 f.) davon auszugehen, dass - wie im Falle der Klägerin - auch drei Jahre nach Ablauf der Gültigkeitsdauer der Identitätspapiere keine „automatische“ Entziehung des internationalen Schutzes erfolgt, sondern dass jeweils im Einzelfall die Aufnahme eines Verfahrens möglich ist, an dessen Ende die Entziehung des Schutzstatus stehen kann (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20. Juli 2023 – 11 A 2811/21.A –, juris Rn. 26 ff. sowie OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24. August 2023 – 11 A 892/21.A –, juris Rn. 32 f. unter Bezugnahme auf die Auskunft des Auswärtigen Amtes). Für ein solches Verfahren ist nichts ersichtlich geschweige denn vorgetragen. Im Übrigen dürfte es auf den Fortbestand des Schutzes – wenn dieser allein auf Grund einer eigenen Handlung oder einem Unterlassen der Klägerin entzogen wurde – nicht ankommen (vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 28. März 2024 – 24 B 22.31136 –, juris Rn. 15 f. m.w.N.).
Der Feststellung der Unzulässigkeit des Asylantrags stehen auch nicht die Gewährleistungen aus Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK entgegen.
Liegen die geschriebenen Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG vor, kann eine Unzulässigkeitsentscheidung nach der Rechtsprechung des EuGH aus Gründen vorrangigen Unionsrechts gleichwohl ausnahmsweise ausgeschlossen sein. Das ist der Fall, wenn die Lebensverhältnisse, die den Antragsteller als anerkannten Schutzberechtigten in dem anderen Mitgliedstaat erwarten würden, ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta zu erfahren. Unter diesen Voraussetzungen ist es den Mitgliedstaaten untersagt, von der durch Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2013/32/EU eingeräumten Befugnis Gebrauch zu machen, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen (vgl. ausdrücklich EuGH, Beschluss vom 13. November 2019, Hamed u.a., verb. Rs. C-540/17 und C-541/17, EU:C:2019:964, Rn. 35; EuGH, Urteil vom 19. März 2019, Ibrahim u.a., verb. Rs. C-297/17, C318/17, C319/17 und C438/17, EU:C:2019:219, Rn. 88; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 20. Mai 2020 – 1 C 34.19 –, juris Rn. 15 f.).
Allerdings gilt es zu berücksichtigen, dass auf Grundlage des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems auch bei der Anwendung des Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 2013/32/EU die Vermutung gilt, dass die Behandlung der Asylantragsteller bzw. der Personen, die internationalen Schutz genießen, in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entspricht (EuGH, Urteil vom 19. März 2019, Jawo, C-163/17, EU:C:2019:218, Rn. 84; EuGH, Urteil vom 19. März 2019, Ibrahim u.a., verb. Rs. C-297/17, C 318/17, C 319/17 und C 438/17, EU:C:2019:219, Rn. 83 ff.). Diese Vermutung ist widerlegbar.
Sie wird nur widerlegt, wenn das mit dem Rechtsbehelf gegen eine Überstellungsentscheidung befasste Gericht in dem Fall, dass es über Angaben verfügt, die der Antragsteller vorgelegt hat, um das Vorliegen eines solchen Risikos in dem bereits subsidiären Schutz gewährenden Mitgliedstaat nachzuweisen, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte feststellt, dass entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen (EuGH, Urteil vom 19. März 2019, Jawo, C-163/17, EU:C:2019:218, Rn. 90; EuGH, Urteil vom 19. März 2019, Ibrahim u.a., verb. Rs. C-297/17, C 318/17, C 319/17 und C 438/17EU:C:2019:219, Rn. 88; EuGH, Beschluss vom 13. November 2019, Hamed u.a., verb. Rs. C-540/17 und C-541/17, EU:C:2019:964, Rn. 38). Solche Schwachstellen fallen nur dann unter Art. 4 GR-Charta, der Art. 3 der EMRK entspricht und nach Art. 52 Abs. 3 GR-Charta die gleiche Bedeutung und Tragweite hat, wie sie ihm in der EMRK verliehen wird, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt (EuGH, Urteil vom 19. März 2019, Jawo, C-163/17, EU:C:2019:218, Rn. 91; EuGH, Urteil vom 19. März 2019, Ibrahim u.a., verb. Rs. C-297/17, C 318/17, C 319/17 und C 438/17, EU:C:2019:219, Rn. 89; EuGH, Beschluss vom 13. November 2019, Hamed u.a., verb. Rs. C-540/17 und C-541/17, EU:C:2019:964, Rn. 39). Diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit wäre erst erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zu-stand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, Urteil vom 19. März 2019, Jawo, C-163/17, EU:C:2019:218, Rn. 92; EuGH, Urteil vom 19. März 2019, Ibrahim u.a., verb. Rs. C-297/17, C 318/17, C 319/17 und C 438/17, EU:C:2019:219, Rn. 90). Diese Schwelle ist daher selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (EuGH, Urteil vom 19. März 2019, Jawo, C-163/17, EU:C:2019:218, Rn. 93; EuGH, Urteil vom 19. März 2019, Ibrahim u.a., verb. Rs. C-297/17, C 318/17, C 319/17 und C 438/17EU:C:2019:219, Rn. 91; EuGH, Beschluss vom 13. November 2019, Hamed u.a., verb. Rs. C-540/17 und C-541/17, EU:C:2019:964, Rn. 39).
Diese Schwelle der Erheblichkeit kann in Bezug auf vulnerable Personen schneller erreicht sein als etwa in Bezug auf gesunde und erwerbsfähige erwachsene Personen, hinsichtlich derer die Feststellung, sie seien vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängig und befänden sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not, im Lichte des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens grundsätzlich gesteigerten Anforderungen an die Entkräftung der Vermutung der Vereinbarkeit der Behandlung solcher Personen in dem betreffenden Mitgliedstaat mit den Erfordernissen der Charta, der Genfer Konvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention, insbesondere aus Art. 4 GR-Charta und Art. 3 EMRK, unterliegt (EuGH, Urteil vom 19. März 2019, Ibrahim u.a., verb. Rs. C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17, EU:C:2019:219, Rn. 93; BVerwG, Urteil vom 7. September 2021, 1 C 3.21, juris Rn. 20 und 23). Der Umstand, dass die betreffende Person in dem Mitgliedstaat keine existenzsichernden Leistungen erhält, ohne jedoch anders als die Angehörigen dieses Mitgliedstaats behandelt zu werden, genügt dem regelmäßig nicht (EuGH, Urteil vom 19. März 2019, Ibrahim u.a., verb. Rs. C-297/17, C 318/17, C 319/17 und C 438/17, EU:C:2019:219, Rn. 93; BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 2022, - 1 B 66.21 -, juris Rn. 19).
Im Rahmen dieser Rückkehrprognose ist zu Grunde zu legen, dass die Klägerin zusammen mit ihrer minderjährigen Tochter und ihrem Lebensgefährten nach Bulgarien zurückkehren würde. Bei der für jedes einzelne Familienmitglied anzustellenden Gefahrenprognose ist bei realitätsnaher Betrachtung der Rückkehrsituation im Regelfall davon auszugehen, dass eine im Bundesgebiet in familiärer Gemeinschaft lebende Kernfamilie (Eltern und minderjährige Kinder) im Familienverband in das Zielland der Abschiebungsandrohung zurückkehrt (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 – 1 C 45.18, BVerwGE 166, 113-12, Rn. 15 ff. zu § 60 Abs. 5 AufenthG). Diese zur Abschiebungsandrohung ins Herkunftsland entwickelte Rechtsprechung ist auf die vorliegende Konstellation einer Rückführung eines in einem anderen Mitgliedstaat der EU als subsidiär Schutzberechtigten anerkannten in diesem Staat dem Grunde nach ohne weiteres übertragbar (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 07. Juli 2022 – A 4 S 3696/21 – juris Rn. 35). Die Regelvermutung gemeinsamer Rückkehr als Grundlage der Gefahrenprognose setzt eine familiäre Gemeinschaft voraus, die zwischen den Eltern und ihren minderjährigen Kindern (Kernfamilie) bereits im Bundesgebiet tatsächlich als Lebens- und Erziehungsgemeinschaft (fort-) besteht und infolgedessen die Prognose rechtfertigt, sie werde bei einer Rückkehr in das Herkunftsland dort fortgesetzt werden (BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 – 1 C 45.18 , BVerwGE 166, 113-125, Rn. 18). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Klägerin lebt mit ihrer minderjährigen Tochter und dem Lebensgefährten in familiärer Gemeinschaft. Bestätigt wird diese Annahme dadurch, dass Herr A_____der Klägerin nicht erst im Bundesgebiet, sondern schon während ihres Aufenthaltes in Bulgarien finanziell beistand. Der Annahme einer Rückkehr im Familienverbund steht nicht entgegen, dass die Lebens- und Erziehungsgemeinschaft im Bundesgebiet begründet worden ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Frage, ob die in seinem Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 45.18 – aufgestellte Regelvermutung einer gemeinsamen Rückkehr im Familienverbund auch dann gilt, wenn die familiäre Lebensgemeinschaft im Herkunftsland noch nicht bestanden hat, bislang offengelassen (BVerwG, Beschluss vom 15. August 2019 - 1 B 33.19 -, juris Rn. 4). Diese Frage ist zu bejahen (OVG Lüneburg, Urteil vom 14. März 2022 – 4 LB 20/19 –, juris Rn. 93; Bayerischer VGH, Urteil vom 29. Oktober 2020 - 13a B 20.30347 - juris Rn. 18). Entscheidender Gesichtspunkt für die anzustellende Prognose ist nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, dass ein nach Art. 6 GG/Art. 8 EMRK besonders schutzwürdiger Familienverband aus Eltern mit ihren minderjährigen Kindern nicht aufgelöst oder gar durch staatliche Maßnahmen zwangsweise getrennt wird. Die Mitglieder eines solchen Familienverbandes werden im Regelfall auch tatsächlich bestrebt sein, ihr - grundrechtlich geschütztes - familiäres Zusammenleben in einem Schutz- und Beistandsverband entweder im Bundesgebiet oder im Herkunftsland fortzusetzen (BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 – 1 C 45.18 , BVerwGE 166, 113-125, 17). Ob die schützenswerte Lebensgemeinschaft erst im Bundesgebiet begründet worden ist, ist hierfür nicht von entscheidendem Belang, maßgeblich ist vielmehr, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung und der in diesem Rahmen zu erfolgenden Prognose eine schützenswerte Lebens- und Erziehungsgemeinschaft besteht.
Vorliegend ist die unionsrechtliche Vermutung nicht widerlegt, da dem Gericht keine objektiven, zuverlässigen, genauen und gebührend aktualisierten Erkenntnisse zur Verfügung stehen, dass infolge Gleichgültigkeit bulgarischer Behörden eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen.
Bei dieser Prognose folgt das Gericht im Wesentlichen der aktuellen Einschätzung durch den Bayrischen VGH, Urteil vom 28. März 2024 – 24 B 22.31136 –, juris Rn. 31-42ff.
Mit Blick auf die Erwerbsfähigkeit der Klägerin und ihres Lebensgefährten, der Arbeitskräftenachfrage in Bulgarien und eingedenk flankierender Hilfen durch Hilfswerke kann eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verelendung nicht festgestellt werden. So stellt der Bayrische VGH in dem oben genannten Urteil Rn. 31 ff. fest:
„In wirtschaftlicher Hinsicht ist die Situation in Bulgarien zwar im Allgemeinen und damit auch für Rückkehrer schwierig. Es bestehen aber dennoch grundsätzlich ausreichende Möglichkeiten, Erwerbsgelegenheiten zu ergreifen und so zumindest einen Betrag zum eigenen Lebensunterhalt zu leisten.
Anerkannt Schutzberechtigte haben zum Arbeitsmarkt in rechtlicher Hinsicht auf die gleiche Weise Zugang wie bulgarische Staatsbürger. Zwar haben viele der arbeitenden anerkannt Schutzberechtigten nur schlecht bezahlte und unqualifizierte Beschäftigung; sie können aber dennoch auf diese Weise einen Beitrag zu ihrem Lebensunterhalt erwirtschaften. Der Arbeitsmarkt ist auch aufnahmebreit und die Wirtschaft wächst. Für das Jahr 2024 wird derzeit von einem Wachstum von 3,0 % ausgegangen (vgl. Wirtschaftskammer Österreich [WKO], Außenwirtschaft, Wirtschaftsbericht Bulgarien, S. 3 f.; https://www.wko.at/oe/aussenwirtschaft/bulgarien-wirtschaftsbericht.p df). Die Arbeitslosenquote betrug im Jahr 2022 4,3 %, es besteht ein relevanter Fach- und Arbeitskräftemangel (vgl. WKO, a.a.O.). Im Jahr 2022 waren rund 150.000 Stellen unbesetzt. Den größten Bedarf an Arbeitskräften wiesen im Jahr 2022 der Sektor für persönlichen Dienstleistungen (Gastronomie, Pflegekräfte usw.), das Baugewerbe und die Logistikbranche auf (vgl. EURES, Labour market information: Bulgaria, https://eures.ec.europa.eu/living-and-working/labour-market-information/labour-market-informa tion-bulgaria_en; Stand: 8.5.2023).
Zudem geben internationale Organisationen Hilfestellung und unterstützen bei der Integration in den Arbeitsmarkt. Besondere Bedeutung kommt insoweit der Internationalen Organisation für Migration (IOM) Bulgarien, dem United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) Bulgarien, dem Bulgarischen Roten Kreuz und der Caritas Bulgarien zu (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, 17.5.2023, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, S. 25). Gemeinsam mit der Staatlichen Arbeitsagentur und der Staatlichen Flüchtlingsagentur organisieren sie beispielsweise unter Federführung des UNHCR „Jobmessen“. Das Bulgarische Rote Kreuz betreibt ferner ein Informations- und Integrationszentrum in Sofia, das Sprachkurse – insbesondere auch für Schutzberechtigte – durchführt und neben allgemeiner Hilfestellung und Beratung auch Unterstützung bei der Suche nach einem Arbeitsplatz leistet.
bb) Soweit es nicht gelingt, auf dem Arbeitsmarkt selbst Fuß zu fassen, bieten zahlreiche nichtstaatliche Organisationen karitative Hilfe – auch über die unmittelbare Unterstützung bei der Integration in den Arbeitsmarkt hinaus – an, die verhindern, dass Rückkehrer trotz ihrer gegebenenfalls weitreichenden Abhängigkeit von Unterstützung in eine Situation extremer materieller Not geraten. So betreibt die Caritas Bulgarien in Sofia das sog. Refugee and Migrant Integration Center St. Anna, das – neben arbeits- und wohnungsbezogener Unterstützung – auch psychologische Hilfe, Bildungsservices, soziale Beratung und humanitäre Hilfe anbietet. Es hilft auch bei Meldeangelegenheiten, bei der Registrierung beim praktischen Arzt und bietet noch andere Integrationsmaßnahmen an. Das Bulgarische Rote Kreuz betreibt in Sofia ebenfalls ein Informations- und Integrationszentrum, das Sprachkurse durchführt, allgemeine Hilfestellung und Beratung zu den Rechten von Flüchtlingen in Bulgarien und zum Zugang zu medizinischer Versorgung leistet und überdies die Bildung von Kindern durch zusätzlichen Bulgarisch-Unterricht und Unterrichtsmaterialien fördert und Flüchtlingen mit besonderen Bedürfnissen (wie Behinderten, Alleinerziehenden, Erwachsenen und unbegleiteten Minderjährigen) hilft. Die Nichtregierungsorganisation Council of Refugees and Migrants listet auf ihrer Internetseite noch weitere Organisationen auf, die Schutzberechtigte unterstützen: u.a. das Centre for Social Rehabilitation and Integration of Refugees in Plovdiv, die UNHCR-Vertretung in Sofia, das Büro von IOM in Sofia, das Bulgarian Council on Refugees and Migrants in Sofia, die Sofioter Ombudsmann-Stelle, das Bulgarische Helsinki Komitee, die Foundation of Access to Rights, das Centre for Legal Aid-Voice in Bulgaria, das Council of Refugee Women in Bulgaria, und die Stiftung Center Nadya für psychologische Beratung (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, 17.5.2023, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, S. 25f. m.w.N.). Ferner gibt es in begrenztem Umfang Angebote von Partnerorganisationen des UNHCR und von anderen Nichtregierungsorganisationen wie auch Wohltätigkeitsvereinen vor Ort, um eine Versorgung mit Grundnahrungsmitteln und Kleidung sicherzustellen (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Potsdam vom 11.3.2021, S. 7).
Staatliche Unterstützungsleistungen aus den allgemeinen Sozialversicherungssystemen stehen den anerkannt Schutzberechtigten faktisch nur selten zur Verfügung, auch wenn sie rechtlich unter denselben Bedingungen wie bulgarische Staatsangehörige Anspruch auf Sozialleistungen haben (die Sozialhilfe beträgt ca. 38 EUR pro Monat, vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an OVG Hamburg vom 7.4.2021). Denn Anerkannte sehen sich häufig mit hohen Zugangshürden konfrontiert, die einer tatsächlichen Inanspruchnahme der Leistungen vielfach entgegenstehen. Ohne Beiziehung eines Dolmetschers oder ohne Inanspruchnahme anderer Vermittlerleistungen, deren Verfügbarkeit aber ihrerseits weder gesetzlich noch institutionell gewährleistet sind, scheitert die Inanspruchnahme häufig (vgl. AIDA, Country Report: Bulgaria, Stand: 2022, S. 112; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, 29.9.2023, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, S. 24).“
Anhaltspunkte, dass die Klägerin und ihr Lebensgefährte nicht arbeitsfähig sind und nicht beide zum eigenen Lebensunterhalt beitragen können, sind nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich. Vielmehr trägt die Klägerin ausdrücklich vor, dass ihr Lebensgefährte aktuell zum Lebensunterhalt der Familie in Deutschland durch Erwerbstätigkeit beiträgt. Es steht zu vermuten, dass er selbiges auch in Bulgarien kann. Auch steht die Kinderbetreuung einer Arbeitsaufnahme sowohl der Klägerin als auch ihres Lebensgefährten nicht entgegen. Die Tochter der Klägerin ist im Entscheidungszeitpunkt 5 ½ Jahre alt. In Bulgarien besteht für Kinder vom 6. bis zum 16. Lebensjahr Schulpflicht. Ab dem Schuljahr 2023/2024 tritt gemäß dem Vorschul- und Schulbildungsgesetz die Vorschulpflicht für Kinder in Kraft, die das 4. Lebensjahr vollendet haben, wobei zunächst die im Jahr 2019 geborenen Kinder und damit auch die Tochter der Klägerin erfasst werden. Diese Vorschule wird zumeist von Kommunen betrieben. Seit dem 01.04.2022 entfallen auch die Gebühren für öffentliche Kinderkrippen und Kindertagesstätten (vgl. EURES, Lebens- und Arbeitsbedingungen Bulgarien, Stand: April 2024).
Die unionsrechtliche Vermutung für mit Art. 4 EU GR-Charta vereinbare Aufnahmebedingungen wird auch mit Blick auf Sicherung von Obdach nicht widerlegt. Hierzu führt der Bayrische VGH in dem oben genannten Urteil Rn. 36 ff aus:
„cc) Hinsichtlich der für die Rückkehrprognose auch relevanten Frage nach der Verfügbarkeit ausreichender Unterkunftsmöglichkeiten rechtfertigt die Lage in Bulgarien nicht die Annahme einer ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung. Rückkehrer haben trotz bestehender Schwierigkeiten ausreichende Möglichkeiten, eine Unterkunft zu finden.
(1) Für eine Unterkunft sind Rückkehrer – vorbehaltlich anderweitiger Notunterkünfte (dazu unten Rn. 40) – vorrangig auf eine privatrechtliche Anmietung angewiesen. Denn ein Anspruch auf Unterbringung in einer Flüchtlingsunterkunft besteht nur für 14 Tage nach Erlass einer Anerkennungsentscheidung (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, 29.9.2023, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, S. 21). Gleichwohl waren nach Berichten der Staatlichen Agentur für Flüchtlinge beim Ministerrat (State Agency for Refugees with the Council of Ministers – SAREF) Ende des Jahres 2022 sogar 298 anerkannt Schutzberechtigte in den Aufnahmezentren für Asylsuchende untergebracht (vgl. AIDA, Country Report: Bulgaria, Stand 2022, S. 111). Auch ein Anspruch auf eine Sozialwohnung besteht nicht, weder für Rückkehrer noch für bulgarische Staatsangehörige. Rückkehrer können sich allenfalls auf die – wenigen – Sozialwohnungen bewerben (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Potsdam vom 11.3.2021, S. 1). Bei kommunalen Wohnungen richten sich die Zugangsvoraussetzungen nach den jeweils örtlichen Vorschriften und variieren entsprechend. Sie sind aber für Rückkehrer in der Regel nicht zu erfüllen (vgl. im Einzelnen Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, 22.8.2023, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, S. 23). Die privatrechtliche Anmietung einer Unterkunft stößt zwar regelmäßig auf praktische Schwierigkeiten, rechtlich aber sind Rückkehrer an der Anmietung einer Wohnung nicht gehindert. Sie sind als anerkannte Flüchtlinge bulgarischen Staatsangehörigen im Wesentlichen gleichgestellt, als subsidiär Schutzberechtigte verfügen sie zumindest über die gleichen Rechte wie dauerhaft Aufenthaltsberechtigte (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, 29.9.2023, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, S. 22).
(2) Das Anmieten einer Unterkunft scheitert auch nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit an einem „Teufelskreislauf“, der daraus bestehen soll, dass für eine Anmietung der Besitz gültiger Identitätspapiere erforderlich ist, deren Ausstellung ihrerseits aber von einem Wohnsitz abhängt und deshalb nicht erfolgt (vgl. AIDA, Country Report: Bulgaria, Stand: 2022, S. 103). Der diesbezügliche Vortrag der Klägerinnen, der sich im Wesentlichen auf einen Bericht der Asylinformationsdatenbank (AIDA) stützt, ist schon nicht ausreichend substantiiert. Der vorgelegte AIDA-Bericht und andere in Bezug genommene Quellen sind in ihrer Problembeschreibung vage. Der AIDA-Bericht spricht lediglich davon, dass die Schutzberechtigten in der Praxis auf diesbezügliche „Schwierigkeiten stoßen“ (AIDA, Country Report: Bulgaria, Stand: 2022, S. 103: „However, difficulties are encountered by beneficiaries in obtaining identity documents in practice…“). Abgesehen hiervon bestehen ferner keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der behauptete „Teufelskreislauf“ überhaupt in dem für die Annahme einer Funktionsstörung notwendigen Umfang in allgemeiner Hinsicht besteht und es lässt sich weder dem Vortrag noch den sonstigen verfügbaren Erkenntnismitteln anderweitig entnehmen, dass die vorgetragenen Schwierigkeiten mit Folgen verknüpft sind – etwa zu einem faktischen Ausschluss vom Rechtsverkehr führen –, die eine ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta begründen könnten. Eine solche Folge ist im Übrigen auch nicht plausibel. Denn zum einen ist es nicht ungewöhnlich, dass die melderechtliche Erfassung und die Ausstellung von Ausweisdokumenten einen Wohnsitz bzw. die Mitwirkung des Vermieters verlangt (vgl. für Deutschland etwa die Wohnungsgeberbescheinigung nach § 19 Bundesmeldegesetz). Zum anderen ergibt sich aus den Erkenntnismitteln nicht, dass Anerkannten bzw. Rückkehrern jede Form von Identitätsnachweis verwehrt wird. Dass ein solcher Zustand in Bulgarien vorherrscht ist im Übrigen auch deshalb schon fernliegend, weil Klägerinnen und Kläger in Verfahren, die beim Senat anhängig sind, vielfach über von Bulgarien ausgestellte Identitätspapiere und teilweise sogar Reisedokumente verfügen.
Ungeachtet dessen sind jedenfalls etwaig bestehende Schwierigkeiten, wegen fehlender Wohnung keine amtlichen Identitätspapiere zu erhalten, nicht unüberwindbar. Es ist ausweislich der Erkenntnismittel möglich, dass Betroffene eine (Schein-)Meldeadresse erwerben. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) liegen die Preise bei EUR 350 bis 400 pro Person, wobei es auch Unterstützung gibt, diese Beträge aufzubringen (wiedergegeben bei Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, 29.9.2023, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, S. 22). Einem solchen Erfordernis möglicherweise ausgesetzt zu sein, ist vor dem Hintergrund des strengen Maßstabs von Art. 4 GR-Charta zumutbar und stellt keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung dar.
(3) Aber auch wenn – gleich aus welchen Gründen – die Anmietung einer Unterkunft nicht gelingt, ist anerkannt Schutzberechtigten die Hilfe von Nichtregierungsorganisationen – in einer den Anforderungen des Art. 4 GR-Charta genügender Weiser – sicher (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Potsdam vom 11.3.2021, pdf S. 1). Diese Unterstützung besteht zwar nicht landesweit, ist in der Praxis aber offenbar dennoch wirksam. Die Erkenntnismittel enthalten keine Hinweise auf eine größere Zahl von Obdachlosen unter den anerkannt Schutzberechtigten (in diesem Sinne auch OVG NW, B.v. 22.8.2023 – 11 A 3374/20 – juris Rn. 62 ff.; vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG Hamburg vom 7.4.2021; zur Lage zuvor: OVG RhPf, B.v. 17.3.2020 – 7 A 10903/18.OVG – juris Rn. 72; SächsOVG, U.v. 15.6.2020 – 5 A 382/18 – juris Rn. 44). Anzunehmen, dass die Unterbringung mit Hilfe der Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen regelhaft gelingt, ist auch deshalb plausibel, weil bereits die Zahl an Schutzsuchenden gering ist, denn die Aufnahmezentren für Asylsuchende sind nur wenig ausgelastet und weisen einen hohen Leerstand auf. So waren Ende des Jahres 2022 sogar 298 anerkannt Schutzberechtigte in den Aufnahmezentren für Asylsuchende untergebracht (vgl. Rn. 37). Von den in den Aufnahmezentren in Sofia, Banya, Pastrogor und Harmanli zur Verfügung stehenden rund 5.160 Plätzen waren nach Angaben von AIDA, Country Report: Bulgaria, Stand 2022, S. 75, Ende 2020 1.032, Ende 2021 2.447 und Ende 2022 nur 2.412 Plätze belegt. Selbst wenn von den vorhandenen Plätzen rund 1.200 ungeeignet sein sollten (vgl. AIDA, a.a.O., S. 75), waren in den letzten Jahren immer noch freie Plätze in stattlicher Zahl faktisch verfügbar und können auch weiterhin gegebenenfalls für Schutzsuchende verwendet werden.
(4) Jenseits der konkreten Unterstützung durch Nichtregierungsorganisationen können anerkannt Schutzberechtigte schließlich auch noch in zwei verschiedenen Arten von Notunterkünften unterkommen und damit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung entgehen. Es gibt sog. Zentren für die vorübergehende Unterbringung und sog. Notunterkünfte für Obdachlose. Zentren für die vorübergehende Unterbringung bieten bis zu drei Monate in einem Kalenderjahr eine Unterkunft; es besteht die Möglichkeit einer Verlängerung um weitere drei Monate. Um einen Antrag zu stellen, muss man die örtliche Sozialhilfeeinrichtung am Meldeort aufsuchen (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, 22.8.2023, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, S. 25). Notunterkünfte für Obdachlose stehen zumindest im Winter jeweils für eine Nacht zur Verfügung. Die meisten Notunterkünfte verlangen Identitätspapiere, Ausnahmen sind allerdings möglich (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, 17.5.2023, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, S. 24). Ferner bieten in Ausnahmefällen die Caritas Sofia und das Bulgarische Rote Kreuz Notunterkünfte für bis zu zwei Wochen für von Obdachlosigkeit bedrohte vulnerable Personen an (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, 22.8.2023, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, S. 25). Die Unterbringung in einem staatlichen Obdachlosenheim, das allerdings nicht nur Flüchtlingen, sondern allen Bedürftigen offensteht, ist schließlich ebenfalls möglich, wenngleich sie nur wenig verfügbar sind und der Zugang mit hohen formalen Hürden verbunden ist (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Potsdam vom 11.3.2021, S. 2).
dd) Die Gesamtsituation für Rückkehrer stellt sich insbesondere hinsichtlich der wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen als schwierig dar und geht mit großen Herausforderungen einher. Sie ist aber nicht mit Belastungen verbunden, die es rechtfertigen, anzunehmen, dass die Betroffenen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sind. Soweit die eigenverantwortliche Teilhabe insbesondere am Arbeits- und Wohnungsmarkt nicht gelingt, bieten die vorhandenen und für die Betroffenen auch faktisch zugänglichen Hilfsangebote jedenfalls einen ausreichenden Rahmen, um Personen, die in Bulgarien internationalen Schutz gewährt bekommen haben, die Rückkehr zumuten zu können.“
Diese Beurteilung entspricht auch der aktuellen Rechtsprechung zur Sekundärmigration aus Bulgarien (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21. Juli 2023 – 11 A 3153/20.A –, juris; VG Bayreuth, Beschluss vom 1. August 2023 – B 7 S 23.30606 –, juris; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20. Dezember 2023 – 11 A 70/23.A –, juris; Bayerischer VGH, Urteil vom 28. März 2024 – 24 B 22.31136 –, juris; Bayerischer VGH, Urteil vom 28. März 2024 – 24 B 22.31108 –, juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juli 2024 – A 4 S 257/24 –, juris; VG Bremen, Urteil vom 26. April 2024 – 2 K 1603/23 –, juris; und zwar selbst für einen alleinerziehenden Vater VG Leipzig, Urteil vom 28. November 2023 – 7 K 1287/23.A –, juris).
Auch sonst sind keine neueren Erkenntnismittel bekannt, aus denen sich ergibt, dass gesunde und arbeitsfähige anerkannte Schutzberechtigte in Bulgarien in der familiären Situation der Klägerin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu verelenden drohen. Dies folgt insbesondere daraus, dass die durchschnittlichen Einkommen im Verhältnis zu den durchschnittlichen Lebenserhaltungskosten auskömmlich sind. Die bulgarische Regierung legt jedes Jahr einen Mindestlohn pro Stunde und pro Monat fest. Seit dem 1. Januar 2024 liegen diese Beträge bei 933 BGN (ca. 477 Euro) bzw. 5,58 BGN (2,85 Euro) bei einem 8-Stunden-Arbeitstag und einer 5-tägigen Arbeitswoche für einen vollen Arbeitsmonat. Darüber hinaus gibt es noch ein sozialversicherungspflichtiges Mindesteinkommen für die Grundwirtschaftsbereiche und Berufsgruppen. Nach Abzug der obligatorischen Lohnabzüge ergibt sich das so genannte „steuerpflichtige Einkommen“. 10 % davon entfallen auf die Einkommensteuer. Bei einem Bruttolohn von 2.000 BGN (etwa 1.000 Euro) liegt der Nettolohn bei etwa 1 550 BGN, abgezogen werden also insgesamt etwa 450 BGN. Nach Angaben des Nationalen Instituts für Statistik beträgt für das vierte Quartal des Jahres 2023 das durchschnittliche monatliche Bruttoeinkommen pro Haushalt 5.728,68 BGN, der durchschnittliche monatliche Bruttoarbeitslohn pro Person 2.873,7 BGN (etwa 1.468,49 Euro). Die durchschnittlichen Ausgaben eines Haushaltes liegen bei 5.409,9 BGN im Monat; die monatlichen Pro-Kopf-Ausgaben betragen 2.714 BGN. Der größte Anteil der Konsumausgaben entfällt auf Nahrungsmittel und Getränke; es folgen die Ausgaben für Wohnung, Wasser, Strom und Brennstoffe. Auf häufig besuchten privaten Internetseiten für Immobilien kann man z. B. sehen, dass die durchschnittlichen Mietpreise für eine 2-Zimmer-Wohnung wie folgt sind: in Sofia 533 EUR; in Warna 362 EUR; in Plowdiw 319 EUR; in Burgas 317 EUR. (vgl. zum Ganzen: EURES, Lebens- und Arbeitsbedingungen Bulgarien, Stand: April 2024). Es bestehen nach wie vor keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Lohn für geringfügig qualifizierte Tätigkeiten nicht zur Deckung des eigenen Existenzminimums eines erwerbsfähigen Schutzberechtigten einschließlich der Finanzierung einer Unterkunft ausreicht. Entsprechend gibt es weiterhin auch keine konkreten Erkenntnisse über eine verbreitete Obdachlosigkeit (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 28. März 2024 – 24 B 22.31106 –, juris Rn. 40; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 22. August 2023 – 11 A 3374/20.A –, juris Rn. 64 und vom 21. Juli 2023 – 11 A 3153/20.A –, juris Rn. 68 jeweils m.w.N.; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. Dezember 2019 – OVG 3 B 8.17 –, juris Rn. 65-67 m. w. N.).
3. Der streitgegenständliche Bescheid ist auch nicht bezüglich Ziffer 2 aufzuheben. Bedenken gegen die Feststellung, dass nationale Abschiebungsverbote nach Maßgabe des § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf den angedrohten Zielstaat der Abschiebung, Bulgarien, nicht festzustellen sind, bestehen angesichts des identischen Prüfungsmaßstabs in § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK, der hier allein im Raume steht, nicht. Da die Klägerin gesund war bzw. nichts Gegenteiliges vorgetragen hat, ist auch die Ablehnung der Feststellung eines Abschiebungsverbotes auf der Grundlage von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus rechtmäßig.
4. Auch die in Ziffer 3 des streitgegenständlichen Asylbescheids enthaltene Abschiebungsandrohung nach Bulgarien ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten.
Rechtsgrundlage für die angefochtene Abschiebungsandrohung sind §§ 34 Abs. 1, 35 AsylG i.V.m. § 59 und § 60 Abs. 10 AufenthG. Gemäß § 35 AsylG droht das Bundesamt dem Ausländer in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG die Abschiebung in den Staat an, in dem er vor Verfolgung sicher war. Das ist vorliegend Bulgarien. Die Ausreisefrist von einer Woche entspricht der zwingenden Vorgabe des § 36 Abs. 1 AsylG. In der Abschiebungsandrohung wird im Einklang mit § 60 Abs. 10 AufenthG auch Syrien als der Staat bezeichnet, in den die Klägerin nicht abgeschoben werden darf.
Nach Auffassung des Gerichts können die geltend gemachten familiären Bindungen der Klägerin im Bundesgebiet dem Erlass der Abschiebungsandrohung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als Folge der Ablehnung des Asylantrags der Klägerin als nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig nicht entgegenhalten werden.
Etwas anders ergibt sich auch nicht aus § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG, wonach das Bundesamt nach den §§ 59 und 60 Absatz 10 des Aufenthaltsgesetzes eine schriftliche Abschiebungsandrohung nur erlässt, wenn der Abschiebung weder das Kindeswohl noch familiäre Bindungen noch der Gesundheitszustand des Ausländers entgegenstehen. Auf Grundlage einer teleologischen Reduktion findet § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG, bei einer nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG i.V.m. § 35 AsylG erlassenen Abschiebungsandrohung keine Anwendung (in diese Richtung auch VG Bremen, Urteil vom 26. April 2024 – 2 K 1603/23 –, juris Rn. 54; VG Bremen, Urteil vom 15. Februar 2024 – 2 K 1624/23 –, juris Rn. 56).
Die Eigenart der teleologischen Reduktion besteht - als Gegenstück zur Analogie - darin, dass sie die auszulegende Vorschrift entgegen ihrem Wortlaut hinsichtlich eines Teils der von ihr erfassten Fälle für unanwendbar hält, weil Sinn und Zweck, Entstehungsgeschichte und der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen gegen eine uneingeschränkte Anwendung sprechen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 7. April 1997 - 1 BvL 11/96 - NJW 1997, 2230 <2231>). Bei einer derart planwidrigen Gesetzeslücke ist eine zu weit gefasste Regelung im Wege teleologischer Reduktion auf den ihr nach Sinn und Zweck zugedachten Anwendungsbereich zurückzuführen (wörtlich BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2019 – 1 C 15.18 –, BVerwGE 164, 179-203, Rn. 18; siehe auch BVerwG, Urteil vom 22. Mai 2014 -5 C 27.13 -, juris Rn. 22)
So liegt der Fall hier.
Die nach der grammatikalischen Fassung erforderliche Einbeziehung einer auf Grundlage von § 35 AsylG i.V.m. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG erlassenen Abschiebungsandrohung in den Anwendungsbereich von § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG widerspricht der inneren Teleologie (Zielsetzung) der Norm.
§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG ist auf Grundlage von Art. 2 Nr. 9 b des Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz) (BGBl. 2024 I Nr. 54 vom 26.02.2024) neu eingefügt worden. Schon aus dem Fußnotenzeichen zur Überschrift ergibt sich der eindeutige Bezug zur Umsetzung der unionsrechtlichen Rechtsprechung zur Rückführungsrichtlinie. So wird wörtlich festgehalten: „Artikel 1 Nummer 4 Buchstabe a Doppelbuchstabe cc, Nummer 7 Buchstabe a und Nummer 12 sowie Artikel 2 Nummer 9 dienen der Umsetzung der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 vom 24.12.2008, S. 98) (…)“. Dies erfolgt durch den Bundesgesetzgeber selbst in Kenntnis und damit auch Anerkennung der Einschlägigkeit der Hinweispflicht aus Art. 20 Abs. 1 UAbs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) (vgl. BT-Drs. 20/10090, S. 16).
Auch durch die Gesetzesbegründung wird deutlich, dass die Berücksichtigung und die damit einhergehende gesetzliche Normierung der unionsrechtlichen Rechtsprechung zu Art. 5 Buchstabe a bis c der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) im bestehenden System des AsylG ausschließlicher Sinn und Zweck der Einführung von § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG waren. So wird einleitend hervorgehoben: „Die Änderung des § 34 Absatz 1 AsylG dient der Anpassung an die durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs festgestellten unionsrechtlichen Anforderungen an die Abschiebungsandrohung. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) muss vor Erlass einer Abschiebungsandrohung prüfen, ob zugunsten eines Antragstellers überwiegend schutzwürdige Belange im Sinne des Artikel 5 erster Halbsatz Buchstabe a bis c der Rückführungsrichtlinie eingreifen. Liegen solche schutzwürdigen Belange vor, erlässt das BAMF keine Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung.“ (BT-Drs. 20/9463, S.23, siehe auch S. 58).
Die eindeutige Zielsetzung ergibt sich auch aus der in diesem Zusammenhang zu berücksichtigenden Begründung zu den Änderungen in § 59 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AufenthG. In § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist nunmehr ausdrücklich normiert, dass der Abschiebung weder das Kindeswohl noch familiäre Bindungen noch der Gesundheitszustand des Ausländers entgegenstehen dürfen. Auch hier wird die Änderung nur mit der Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH zu den unionsrechtlichen Anforderungen an die Rückkehrentscheidung nach der Rückführungsrichtlinie begründet (BT-Drs. 20/9463, S. 22, 44 f.). Entsprechend dazu wird auch für die Neufassung des § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG hervorgehoben, diese beruhe auf der „Opt-out“ Regelung nach Art. 2 Abs. 2 Buchstabe b der Rückführungsrichtlinie (BT-Drs. 20/9463, S. 45).
Art. 5 der Rückführungsrichtlinie bestimmt, dass bei der Umsetzung dieser Richtlinie die Mitgliedstaaten in gebührender Weise: a) das Wohl des Kindes, b) die familiären Bindungen, c) den Gesundheitszustand der betreffenden Drittstaatsangehörigen, berücksichtigen und den Grundsatz der Nichtzurückweisung einhalten hat. Die Umsetzung diese Richtlinie ist der Erlass einer Rückkehrentscheidung gegen alle illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 der Rückführungsrichtlinie (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Januar 2021, Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid (Retour d’un mineur non accompagné), C-144/19, EU:C:2021:9, Rn. 39 ff.).
Wird – wie hier – die Abschiebung in einen anderen Mitgliedstaat der EU angedroht, greift dieser Gesetzeszweck nicht. Denn eine gemäß § 35 i.V.m. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ergangene Abschiebungsandrohung ist nicht an den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie zu messen, weil sie nicht in deren Anwendungsbereich fällt. Dies hat der EuGH in seiner Entscheidung M u.a. (Transfert vers un État membre) vom 24. Februar 2021 ausdrücklich festgestellt. (EuGH, Urteil vom 24. Februar 2021, M u.a. (Transfert vers un État membre), C-673/19, EU:C:2021:127, Rn. 45). Es handelt sich nicht um eine Rückkehrentscheidung i.S.d. Art. 3 Nr. 3, 4 und 6 Abs. 1 Rückführungsrichtlinie (siehe unter Bezug auf die EuGH Entscheidung auch: VG Bremen, Urteil vom 26. April 2024 – 2 K 1603/23 –, juris Rn. 54; VG Bremen, Urteil vom 15. Februar 2024 – 2 K 1624/23 –, juris Rn. 56 ff. m.w.N.; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 17. November 2023 – 12 S 986/23 –, juris Rn. 23; OVG Sachsen, Urt. v. 7. September 2022 – 5 A 153/17.A –, juris Rn. 61; VG Hamburg, Beschl. v. 19. Januar 2024 – 12 AE 5637/23 –, juris Rn. 14 ff. m.w.N.). Auch das BVerwG hebt jüngst hervor, dass die Definition der „Rückkehr“ in Art. 3 Nr. 3 der Rückführungsrichtlinie jedenfalls Mitgliedstaaten nicht erfasse (BVerwG, Beschluss vom 5. April 2024 – 1 B 7.24 –, juris Rn. 11 mit Verweis auf die Empfehlung (EU) 2017/2338 der Kommission vom 16.11.2017 für ein gemeinsames „Rückkehr-Handbuch“, das von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Durchführung rückkehrbezogener Aufgaben heranzuziehen ist, ABl. L 339 vom 19.12.2017, S. 90 zu 1.3.).
Der Erlass einer Rückkehrentscheidung zum Verlassen des Unionsgebiets (vgl. hierzu EuGH, Beschluss vom 26. April 2023, Migrationsverket, C-629/22, EU:C:2023:365, Rn. 22) kommt im Übrigen auch nicht in Betracht, weil offensichtlich ist, dass die Klägerin nicht in ein Transitland oder in ein anderes Drittland, in das sie freiwillig zurückkehren will und in dem sie aufgenommen wird (siehe Art. 3 Nr. 3 Rückführungsrichtlinie), zurückgeführt werden kann (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Februar 2021, M u.a. (Transfert vers un État membre), C-673/19, EU:C:2021:127, Rn. 40 ff.). Insbesondere ist es wegen der erfolgten Schutzgewähr nicht möglich, die Klägerin in ihr Herkunftsland (Syrien) zurückzuführen, ohne gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung zu verstoßen. Dieser Grundsatz ist in Art. 18 und in Art. 19 Abs. 2 der GR-Charta gewährleistet. Des Weiteren ermöglicht keine Vorschrift der Rückführungsrichtlinie und kein in ihr vorgesehenes Verfahren die Vornahme der Abschiebung der Klägerin, obgleich sie sich illegal im Hoheitsgebiet der Beklagten aufhält (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 42).
Die Entscheidung der Beklagten, der Klägerin die Abschiebung nach Bulgarien anzudrohen, wo ihr subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, gehört vielmehr zur Ausübung ihrer alleinigen Zuständigkeit als Mitgliedstaat der Europäischen Union im Bereich der rechtswidrigen Einwanderung. Denn die Rückführungsrichtlinie hat weder zum Ziel, die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Aufenthalt von Ausländern insgesamt zu harmonisieren. Sie soll auch nicht die Folgen bestimmen, die sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aus dem illegalen Aufenthalt Drittstaatsangehöriger ergeben, gegenüber denen keine Entscheidung über die Rückführung in ein Drittland erlassen werden kann, selbst wenn diese Unmöglichkeit – wie hier – insbesondere aus dem Grundsatz der Nichtzurückweisung folgt (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 43-45; siehe auch VG Bremen, Urteil vom 15. Februar 2024 – 2 K 1624/23 –, juris Rn. 63). Dies verkennt der Bayrische VGH, wenn er der Ansicht ist, dass eine Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 3 Nr. 3 Rückführungsrichtlinie nach Art 6 Abs 2 S 2 i.V.m. Abs 1 Rückführungsrichtlinie auch Abschiebungsandrohungen, erfasst die nach § 35 AsylG einen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Zielstaat nennen (so Bayerischer VGH, Urteil vom 21. März 2024 – 24 B 23.30860 –, juris Rn. 54), zumal er sich in seinem Urteil nicht mit der vorgenannten Entscheidung des EuGH auseinandersetzt.
Andere Zwecke verfolgt der Gesetzgeber mit der Änderung des § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG nicht. Soweit in der Gesetzesbegründung von der Entlastung der Ausländerbehörden die Rede ist (vgl. BT-Drs. 20/9463, S. 20, 23) intendiert der Gesetzgeber dies mit der Änderung andere Vorschriften, nämlich einzelner ausdrücklich bestimmter des AufenthG und des § 63 Abs. 2 Satz 2 AsylG. Eine solche Entlastung wäre auch ohne Änderung des unangetastet gebliebenen § 42 Satz 1 AsylG nicht zu erzielen. § 42 Satz 1 AsylG sieht nur vor, dass die Ausländerbehörde an die Entscheidung des Bundesamtes oder des Verwaltungsgerichts über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes gebunden ist. Soweit das Bundesamt nach § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 AsylG vor Erlass einer Abschiebungsandrohung auch inlandsbezogene Abschiebungshindernisse zu prüfen hat, kommt seiner Entscheidung indes keine Bindungswirkung (vgl. Pietzsch, in: Kluth/Heusch (Hrsg.), BeckOK Ausländerrecht, 42. Edition Stand: 01.04.2024, § 42 AsylG Rn. 6.1). Eine andere Auslegung wäre – im Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie – auch nicht mit der aus Art. 5 Buchst. a Rückführungsrichtlinie und Art. 24 Abs. 2 der GR-Charta folgenden Anforderung zu vereinbaren, dass das Wohl des Kindes in allen Stadien des Verfahrens zu berücksichtigen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Januar 2021, Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid (Retour d’un mineur non accompagné), C-441/19, EU:C:2021:9, Rn. 54).
Nach dem Vorstehenden kann dahinstehen, ob die Überlegungen des VG Düsseldorf im Beschluss vom 09. Juli 2024 – 22 L 1422/24.A – Rn. 19 ff. rechtlich zutreffend sind und ob im konkreten Fall sowohl die Tochter als auch der mit der Klägerin und der gemeinsamen Tochter in Lebensgemeinschaft lebende Lebensgefährte nach den Maßstäben der Richtlinie 2003/86/EG vom 02. September 2003 (Familienzusammenführungsrichtlinie) ein Einreise- und Aufenthaltsrecht haben.
5. Bedenken gegen das Einreise- und Aufenthaltsverbot in Ziffer 4 des Bescheides bestehen nicht.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 der Zivilprozessordnung.
IV. Die Sprungrevision wird gemäß § 78 Abs. 6 AsylG, § 134 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 VwGO zugelassen. Die Rechtssache hat gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO insofern grundsätzliche Bedeutung, als die Rechtsfrage einer Anwendung des § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG für die auf Grundlage von § 35 AsylG i.V.m. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG erlassenen Abschiebungsandrohung unterschiedlich beantwortet wird, sie noch nicht höchstrichterlich durch das Bundesverwaltungsgericht geklärt ist und ihr fallübergreifende Bedeutung für sämtliche in den Anwendungsbereich von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG fallende Konstellationen zukommt.