Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Entscheidung

Entscheidung VG 7 K 1520/23


Metadaten

Gericht VG Cottbus 7. Kammer Entscheidungsdatum 13.06.2024
Aktenzeichen VG 7 K 1520/23 ECLI ECLI:DE:VGCOTTB:2024:0613.7K1520.23.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Der Bescheid des Beklagten vom 7. August 2023, Az. K_____, und der Widerspruchsbescheid vom 30. November 2023, Az. K_____, werden aufgehoben, soweit die Entziehung der Fahrerlaubnis aller Klassen (Anordnung vor Nr. 1 des Bescheides und Nr. 1 des Widerspruchsbescheides) und die Herausgabe des Führerscheins (Nr. 1 des Bescheides und Nr. 2 des Widerspruchsbescheides) angeordnet und soweit im Bescheid vom 7. August 2023 Gebühren und Auslagen in Höhe von 152,76 Euro (Nr. 6 des Bescheides) festgesetzt werden.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Entziehung ihrer Fahrerlaubnis. Sie war die Inhaberin einer Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, C1, C1E und Einschlussklassen.

Als die Klägerin am 15. November 2022 beim Beklagten als zuständiger Fahrerlaubnisbehörde vor Ort den Umtausch ihres Führerscheins beantragte, gab es Probleme bei der Verständigung zwischen der Klägerin und einer Mitarbeiterin des Beklagten, so dass der Beklagte Kenntnis davon erlangte, dass bei der Klägerin eine Schwerhörigkeit vorliegt. Daraufhin erließ der Beklagte mit Datum vom 29. Dezember 2022 gegenüber der Klägerin eine Anordnung, nach der sie bis spätestens zum 31. März 2023 ein Gutachten eines Facharztes für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde mit verkehrsmedizinischer Qualifikation beibringen sollte. Die Fragestellung lautete:

„Kann Frau E_____ trotz Schwerhörigkeit auf beiden Ohren Kraftfahrzeuge der Klassen C1E (und deren Einschlussklassen) sicher führen? Das Gutachten soll Aussagen über Belastbarkeit und Auswirkungen bei Langzeitbelastungen enthalten“.

Der Aufforderung wurde eine Liste mit möglichen Gutachtern beigefügt; u.a. enthielt sie den Namen des Facharztes für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde D_____. Die Klägerin reichte daraufhin beim Beklagten ein Schreiben ein, das mit „Beschwerde und Widerspruch“ überschrieben war und mit dem sie darlegte, dass sie sich aufgrund der Anordnung diskriminiert fühle. Es kam dann am 23. Januar 2023 zu einem persönlichen Gespräch zwischen der Klägerin und einem Mitarbeiter des Beklagten, in dessen Rahmen die Klägerin einen Bescheid des Versorgungsamtes C_____vorlegte. Laut diesem Bescheid liegen bei der Klägerin über eine Schwerhörigkeit hinaus die Erkrankungen „psychische Störung mit funktionalen Organbeschwerden, Ohrgeräusche links, Funktionsstörung Wirbelsäule, Funktionsstörung des linken Schultergelenks“ vor.

Mit Schreiben vom 7. März 2023 legte die Klägerin dem Beklagten ein Privatrezept, ausgestellt von einer Fachärztin für HNO-Heilkunde, vor, auf dem stand: „Videonystagmografie vom 6.3.23: beide periphere Vestibularorgane erregbar, kein Spontannystagmus“. Hierauf nahm der Beklagte mit Schreiben an die Klägerin vom 28. März 2023 Bezug und erläuterte, dass das vorgelegte Privatrezept kein Attest darstelle. Der Beklagte gab der Klägerin die Möglichkeit, bis zum 28. April 2023 eine ärztliche Bescheinigung ihres behandelnden Facharztes für HNO-Heilkunde beizubringen, aus der hervorgehen sollte, ob im Zusammenhang mit ihrer Schwerhörigkeit gleichzeitig andere schwerwiegende Mängel/körperliche Beeinträchtigungen (z.B. Gleichgewichtsstörungen, Sehstörungen, Somatosensorik) vorliegen.

Mit Schreiben vom 8. Juni 2023 nahm der Beklagte auf das zuvor genannte Schreiben Bezug und erklärte gegenüber der Klägerin, dass sie mangels Vorlage eines Nachweises ihres Facharztes nunmehr spätestens bis zum 17. Juli 2023 das mit Schreiben vom 29. Dezember 2022 angeordnete Gutachten beibringen müsse.

Mit Schreiben vom 18. Juli 2023 erläuterte der Beklagte der Klägerin, dass die Entziehung ihrer Fahrerlaubnis aller Klassen beabsichtigt sei und gab Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 4. August 2023.

Mit Bescheid vom 7. August 2023 entzog der Beklagte der Klägerin die Fahrerlaubnis aller Klassen. Nach der vorab aufgenommenen Anordnung zur Entziehung folgte eine nummerierte Auflistung, und Nummer 1 dieser Auflistung regelte, dass die Klägerin ihren Führerschein spätestens innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheides dem Beklagten übersenden muss. Für den Fall der Unauffindbarkeit des Führerscheins wurde angeordnet, eidesstattliche Angaben über den Verbleib zu treffen (Nummer 2 des Bescheides). Die sofortige Vollziehung wurde in Nummer 3 des Bescheides hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis, der Herausgabe des Führerscheins und der Verpflichtung zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung angeordnet. Für den Fall der nicht fristgerechten Herausgabe des Führerscheins oder Abgabe der eidesstattlichen Versicherung wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 € angedroht (Nummer 4 des Bescheides). Soweit eine Herausgabe des Führerscheins oder die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung trotz Festsetzung eines Zwangsgeldes nicht erfolgt, wurde die Anwendung unmittelbaren Zwanges angedroht (Nummer 5 des Bescheides). Schließlich wurden in Nummer 6 des Bescheides Gebühren und Auslagen in Höhe von 152,76 € festgesetzt.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin gemäß § 11 Abs. 8 der Fahrerlaubnisverordnung als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen sei, da es berechtigte Zweifel an ihrer Fahreignung gegeben habe, sie aber das geforderte Gutachten nicht fristgerecht beigebracht habe.

Der Führerschein der Klägerin ging am 15. August 2023 beim Beklagten ein.

Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 7. September 2023 legte die Klägerin gegen den Bescheid vom 7. August 2023 Widerspruch ein. Mit dem Widerspruch legte sie darüber hinaus ein Gutachten des Facharztes für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde D_____ vor, in dem ausgeführt wurde, dass bei der Klägerin rechts ein Hörverlust von 77 % und links ein Hörverlust von 79 % bestehe. Es gebe keine Erkrankung des Gleichgewichtsorgans, und es zeigten sich keine Beeinträchtigungen des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens im Sinne der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 der Fahrerlaubnisverordnung. Zur Begründung des Widerspruchs wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass schon die Gutachtenanordnung unverhältnismäßig gewesen sei; jedenfalls bestätige das nun vorgelegte Gutachten die Eignung.

Am 15. September 2023 stellte die Klägerin beim Verwaltungsgericht Cottbus einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz; dieses Verfahren wurde unter dem Aktenzeichen V_____ geführt. Nachdem der Beklagte der dreimaligen Aufforderung des Gerichts, zum Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz Stellung zu nehmen und die Verwaltungsvorgänge vorzulegen, nicht nachgekommen war, stellte das Gericht mit Beschluss vom 12. Oktober 2023 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Klägerin gegen den Bescheid des Beklagten vom 7. August 2023 wieder her, soweit die Fahrerlaubnis aller Klassen entzogen und die Klägern zur Übersendung des Führerscheins aufgefordert wurde. Des Weiteren wurde der Beklagte in dem Beschluss zur Herausgabe des Führerscheins an die Klägerin verpflichtet.

Der Klägerin wurde ihr Führerschein am 19. Oktober 2023 ausgehändigt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30. November 2023 wies der Beklagte den Widerspruch gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis aller Klassen zurück (Nummer 1 des Widerspruchsbescheides). In der Nummer 2 wurde die Verpflichtung zur Übersendung des Führerscheins an den Beklagten innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheides angeordnet. Für den Fall der Unauffindbarkeit des Führerscheins ordnete Nummer 3 des Widerspruchsbescheides die Verpflichtung zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung an. In Nummer 4 wurde die sofortige Vollziehung hinsichtlich der zuvor genannten Regelungen angeordnet. In Nummer 5 wurde hinsichtlich der Nichtbefolgung der Nummern 2 und 3 ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 € angedroht. Bei Nichtbefolgung der Nummern 2 und 3 nach Festsetzung eines Zwangsgeldes wurde in Nummer 6 die Anwendung unmittelbaren Zwanges angedroht. In Nummer 7 wurden der Klägerin die Kosten des Verfahrens auferlegt, und Nummer 8 setzte Gebühren und Auslagen in Höhe von 152,76 € fest. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Gutachten des D_____ nicht verwertet werden könne, da die Einverständniserklärung zur Eignungsbegutachtung nicht unterschrieben worden sei. Somit sei eine Begutachtung nicht möglich gewesen, da ohne die Einverständniserklärung die Akte nicht an die begutachtende Stelle habe übersandt werden können und die Angabe des Untersuchungsgrundes nicht möglich gewesen sei. Das Gutachten entspreche nicht den Begutachtungsleitlinien. Die Gutachtenanordnung sei zu Recht erfolgt, denn die Eignung sei bei einer hochgradigen Schwerhörigkeit nur gegeben, wenn nicht gleichzeitig andere schwerwiegende Mängel vorliegen. Da ein verwertbares Gutachten nicht vorliege, sei gemäß § 11 Abs. 8 FeV von der Nichteignung auszugehen.

Am 12. Dezember 2023 ging der Führerschein der Klägerin erneut beim Beklagten ein.

Die Klägerin hat am 22. Dezember 2023 Klage erhoben und einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht Cottbus gestellt. Mit Beschluss vom 15. Februar 2024 zum Aktenzeichen VG 7_____ hat die Kammer festgestellt, dass der Klage der Klägerin gegen den Bescheid des Beklagten vom 7. August 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2023 entsprechend des Beschlusses der Kammer vom 12. Oktober 2023 zum Aktenzeichen 7_____ hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis und der Verpflichtung zur Übersendung des Führerscheins aufschiebende Wirkung zukommt. Der Beklagte ist verpflichtet worden, der Klägerin ihren Führerschein unverzüglich herauszugeben. Der Beklagte hat der Klägerin sodann am 26. März 2024 ihren Führerschein ausgehändigt.

Zur Begründung ihrer Klage führt die Klägerin im Wesentlichen aus, dass sich ungeachtet dessen, dass schon die Gutachtenanordnung rechtswidrig gewesen sei, jedenfalls die Kraftfahreignung aus dem vorgelegten Gutachten ergebe. Sie nimmt außerdem Bezug auf die Begründungen der stattgebenden gerichtlichen Beschlüsse.

Die Klägerin beantragt wörtlich,

den Bescheid des Beklagten vom 07.08.2023 Aktenzeichen KW 36.41-10-1396-23; E_____, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 30.11.2023, Aktenzeichen KW 36.41-W-0467-23, aufzuheben und dem Beklagten aufzugeben, den von der Klägerin am 12.12.2024 abgegebenen Führerschein mit der Nr. D_____ unverzüglich wieder an die Klägerin herauszugeben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er führt im Wesentlichen aus, dass kein verwertbares Gutachten des D_____ vorliege. Im Verfahren und bei der Erstellung des Gutachtens seien die Vorgaben des § 11 Abs. 5 und 6 sowie der Anlage 4a FeV nicht eingehalten worden; dies habe sich nicht durch eine Nachbegutachtung nachbessern lassen. Die Gutachtenanordnung sei zu Recht erfolgt, aber da kein verwertbares Gutachten vorgelegen habe, sei gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung der Klägerin zu schließen.

Die Beteiligten haben sich einverstanden erklärt mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht entscheidet nach § 6 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) durch den Einzelrichter, da die Kammer ihm durch unanfechtbaren Beschluss vom 13. Mai 2024 den Rechtsstreit zur Entscheidung übertragen hat.

Darüber hinaus konnte das Gericht gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.

Der Antrag war nach § 88 VwGO auszulegen. Die Klägerin wendet sich dem wörtlich gestellten Antrag und der Begründung nach gegen die Regelungen im Bescheid vom 7. August 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2023. Damit sind die Regelungen des Ausgangsbescheides mit Verwaltungsaktqualität in der Fassung angefochten, die sie durch den Widerspruchsbescheid erhalten haben. Soweit darüber hinaus im Widerspruchsbescheid erneut die Herausgabe des Führerscheins angeordnet wurde, ist auch dies Gegenstand des Klagebegehrens, nicht hingegen die im Widerspruchsbescheid erfolgten gesonderten Regelungen zu den Nummern 3 bis 8. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Nr. 4 des Widerspruchsbescheides stellt ohnehin keinen angreifbaren Verwaltungsakt dar, und die Kostengrundentscheidung in Nr. 7 ist kein eigenständiger Streitgegenstand, sondern folgt der Entscheidung in der Hauptsache. Demgegenüber erweisen sich die Regelungen der Nummern 2, 3, 5, 6 und 8 jeweils als eine zusätzliche Beschwer im Widerspruchsbescheid im Sinne des § 79 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Eine derartige zusätzliche Beschwer kann allein oder auch zusammen mit dem Ausgangsbescheid angefochten werden, allerdings muss dann der Kläger entweder im Antrag oder aber jedenfalls in der Begründung deutlich machen, dass er gerade auch die zusätzliche Beschwer des Widerspruchsbescheides angreifen möchte (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 25. April 1991 – 8 B 42/91 –, juris, Rn. 2). Hinsichtlich der im Widerspruchsbescheid nochmals erfolgten Verpflichtung zur Herausgabe des Führerscheins (Nr. 2) ist dies geschehen, da im wörtlich gestellten Klageantrag ausdrücklich die Herausgabe des Führerscheins verlangt wird. Hintergrund dessen ist, dass die Klägerin nach der erstmaligen Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins im Ausgangsbescheid diesen tatsächlich beim Beklagten abgegeben hatte; sie hatte ihn aber nach der gerichtlichen Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Ausgangsbescheid vom Beklagten zurückerhalten. Als der Beklagte dann im Widerspruchsbescheid – unter Missachtung des gerichtlichen Beschlusses – erneut die sofortige Vollziehung und die Herausgabe des Führerscheins angeordnet hatte, gab die Klägerin diesen nochmals beim Beklagten ab, so dass die zum zweiten Mal erfolgte Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins eine zusätzliche Beschwer im Widerspruchsbescheid darstellte, die die Klägerin aber erkennbar angegriffen hat, indem sie – wie oben dargelegt – die (erneute) Herausgabe des Führerscheins verlangt hat.

Nicht Streitgegenstand sind hingegen die gesonderten Regelungen im Widerspruchsbescheid vom 30. November 2023 zu den Nummern 3, 5, 6 und 8. Den oben dargelegten Anforderungen an eine Anfechtung einer zusätzlichen Beschwer genügt der wörtlich gestellte Antrag der Klägerin, dass der Bescheid vom 7. August 2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2023 aufgehoben werden soll, nicht, denn weder Antrag noch Klagebegründung lassen erkennen, dass gerade auch die zusätzliche Verpflichtung zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung, die Zwangsmittelandrohung und die Gebührenforderung im Widerspruchsbescheid aus Gründen, die außerhalb der Sachentscheidung liegen, rechtswidrig sein sollen. Hinsichtlich der Verpflichtung zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung und der Zwangsmittelandrohung wäre eine eigenständige Anfechtung auch ohnehin nicht zielführend gewesen, da die Klägerin nach dem Erlass des Widerspruchsbescheides den Führerschein erneut beim Beklagten abgegeben hatte, so dass hinsichtlich dieser Regelungen Erledigung eintrat.

Die Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

Soweit sich die Klage gegen die im Ausgangsbescheid vom 7. August 2023 getroffenen Anordnung auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung bei Unauffindbarkeit des Führerscheins und die dort getroffene Zwangsmittelandrohung richtet, ist sie bereits unzulässig.

Hinsichtlich der im Ausgangsbescheid geregelten Anordnung auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung (Nummer 2 des Bescheides) und der Zwangsmittelandrohung (Nummern 4 und 5 des Bescheides) fehlt es am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis. Zwar ist davon auszugehen, dass weder die freiwillige Befolgung eines Verwaltungsakts noch dessen zwangsweise Vollziehung im Regelfall zu seiner Erledigung führen. Dieser Grundsatz beansprucht jedoch nur dann Geltung, wenn der Verwaltungsakt mit einer im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts fortdauernden Beschwer einhergeht, was etwa bei einer mit den Mitteln des Verwaltungszwangs durchzusetzenden Grundverfügung der Fall sein kann. Demgegenüber hatte sich die Androhung von Verwaltungszwang mit der erstmals erfolgten Abgabe des Führerscheins beim Beklagten erledigt. Darüber hinaus trat auch Erledigung hinsichtlich der Anordnung zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung ein. Dies ist zwar eine mit Verwaltungszwang durchsetzbare Grundverfügung, allerdings konnte der Fall der Unauffindbarkeit des Führerscheins seitens der Klägerin nicht mehr eintreten, nachdem sie den Führerschein (erstmalig) abgegeben hatte, und diese Anordnung bleibt auch nicht als Rechtsgrund für den Verbleib des Führerscheins beim Beklagten erhalten; diesen Rechtsgrund bildet vielmehr die Anordnung zur Abgabe des Führerscheins.

Im Übrigen ist die Klage als Anfechtungsklage zulässig, insbesondere fehlt der Klägerin hinsichtlich der im Widerspruchsbescheid nochmals erfolgten Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Zwar hat der Beklagte laut des Verwaltungsvorganges der Klägerin nach dem gerichtlichen Beschluss zum Aktenzeichen 7_____ den Führerschein zum zweiten Mal herausgegeben. Dies ist aber nur erfolgt aufgrund der bestehenden aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Anordnung zur Abgabe des Führerscheins. Dies ändert nichts daran, dass die Anordnung zur Abgabe des Führerscheins grundsätzlich den Rechtsgrund für den Verbleib des Führerscheins beim Beklagten darstellt, so dass sich deren rechtliche Folgen nicht erledigt haben.

Soweit die Anfechtungsklage zulässig ist, ist sie auch begründet. Sowohl die Entziehung der Fahrerlaubnis als auch die Anordnungen zur Abgabe des Führerscheins in Ausgangs- und Widerspruchsbescheid als auch die Gebühren- und Auslagenfestsetzung im Ausgangsbescheid sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis sind die Voraussetzungen der einzig in Betracht kommenden Rechtsgrundlage des § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl. I S. 310), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 12. Juli 2021 (BGBl. I S. 3108) –StVG- i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Artikel 4 der Verordnung vom 20. Juli 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 199) nicht erfüllt. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV).

Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anordnen, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisinhabers begründen. Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden. Der Schluss auf die Nichteignung ist allerdings nur zulässig, wenn die Anordnung der Begutachtung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (stRspr, vgl nur: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17. November 2016 – 3 C 20.15 – juris, Rn. 19 m.w.N.).

Die Voraussetzungen des § 11 Abs. 8 FeV sind vorliegend nicht erfüllt. Zwar hat die Klägerin das fachärztliche Gutachten vom 22. August 2023, das ihre Kraftfahreignung bestätigt, erst nach Ablauf der ihr in der Gutachtenanordnung vom 29. Dezember 2022 gesetzten Frist beim Beklagten eingereicht. Dieser hatte das Gutachten dennoch zur Würdigung heranzuziehen und durfte nicht den Schluss einer unterbliebenen Mitwirkung nach § 11 Abs. 8 FeV ziehen. Denn hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis kommt es maßgeblich auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung an (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 7. April 2022 – 3 C 9/21 –, juris, Rn. 12f.). Da vorliegend das Widerspruchsverfahren zu dem Zeitpunkt, als die Klägerin das Gutachten vorgelegt hatte, noch nicht abgeschlossen war, hätte der Beklagte dessen Inhalt berücksichtigen müssen. Dabei kann dahinstehen, ob der Vortrag des Beklagten zutreffend ist, dass im Verfahren und bei der Erstellung des Gutachtens die Vorgaben des § 11 Abs. 5 und 6 sowie der Anlage 4a FeV nicht eingehalten worden sind. Das Gutachten wurde von einem Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde erstellt, der sich sogar auf der Liste des Beklagten zur Gutachterauswahl befand und der die medizinischen Aussagen traf, dass das Gleichgewichtsorgan der Klägerin nicht beschädigt sei und sich keine körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen des Leistungsvermögens im Sinne der Anlage 4 der FeV gezeigt hätten. Diese inhaltlichen Aussagen durfte der Beklagte nicht einfach ignorieren und schlicht auf die Nichtvorlage eines Gutachtens innerhalb der Frist schließen. Sogar in Fällen, in denen die Eignung zunächst nicht vorhanden war, es aber Anhaltspunkte gibt, dass der Betroffene seine Eignung zwischenzeitlich während des behördlichen Verfahrens zur Entziehung der Fahrerlaubnis wiedererlangt hat, wäre bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides diesen Anhaltspunkten durch weitere Aufklärung nachzugehen (vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 25. Oktober 2022 – 13 S 1641/22 –, juris, Rn. 13). Dementsprechend hätte der Beklagte selbst dann, wenn bei der Erstellung des Gutachtens rechtliche Vorgaben nicht beachtet worden sind, jedenfalls die sich aus den Aussagen des Gutachtens aufdrängenden Anhaltspunkte für eine Eignung der Klägerin zur Kenntnis nehmen und bei dennoch weiterhin bestehenden Eignungszweifeln auf der Grundlage der inhaltlichen Feststellungen des Gutachtens weiter aufklären – und notfalls eine neue Begutachtung anordnen – müssen.

Aber selbst wenn man die Auffassung des Beklagten zugrunde legt, dass das vorgelegte Gutachten gänzlich unverwertbar und eine Nachbesserung nicht möglich gewesen sei, sind die Voraussetzungen des § 11 Abs. 8 FeV nicht erfüllt, denn dann kommt es auf die Rechtmäßigkeit der Gutachtenanordnung vom 29. Dezember 2022 an; diese war aber zum maßgeblichen Zeitpunkt ihres Erlasses (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17. November 2016 – 3 C 20/15 –, Rn. 14) rechtswidrig, denn sie war nicht anlassbezogen.

Anlassbezogen ist eine Gutachtenanordnung dann, wenn sich aufgrund eines konkreten Sachverhalts, der der Fahrerlaubnisbehörde bekannt wird, Eignungszweifel ergeben. Insofern genügt nicht jede entfernte Möglichkeit eines Eignungsmangels, vielmehr müssen tatsächliche Feststellungen zugrunde gelegt werden, die einen Eignungsmangel als nahe liegend erscheinen lassen (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 5. Juli 2001 – 3 C 13/01 –, juris, Rn. 23). Dabei ist der Beklagte vorliegend der Auffassung, den Anlass habe die festgestellte Schwerhörigkeit der Klägerin gegeben. Laut der Ausführungen des Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 30. November 2023 ist er der Auffassung, dass die Eignung bei einer hochgradigen Schwerhörigkeit nur dann gegeben sei, wenn nicht gleichzeitig andere schwerwiegende Mängel vorliegen. Er ist insofern der Meinung, dass bei hochgradiger Schwerhörigkeit bereits Eignungszweifel bestünden und diese erst entkräftet werden, wenn kein anderer schwerwiegender Mangel hinzutritt. Mit dieser Rechtsauffassung verkennt der Beklagte den eindeutigen Wortlaut der maßgeblichen rechtlichen Grundlage. Hinsichtlich der Frage der Eignung wird in § 11 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere auf die Anlage 4 verwiesen. Nr. 2 dieser Anlage bestimmt für den Fall ein- oder beidseitiger hochgradiger Schwerhörigkeit (Hörverlust von 60 % und mehr) und für den Fall ein- oder beidseitiger Gehörlosigkeit in den Spalten „Eignung oder bedingte Eignung“ sowohl für die Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 1 als auch der Gruppe 2 wörtlich: „ja, wenn nicht gleichzeitig andere schwerwiegende Mängel (z.B. Sehstörungen, Gleichgewichtsstörungen) vorliegen“.

Dies bedeutet, dass der Wortlaut der Anlage 4 Nr. 2 klar festlegt, dass weder (beidseitige) hochgradige Schwerhörigkeit noch (beidseitige) vollständige Gehörlosigkeit für sich genommen einen Eignungsmangel begründen, denn die Eignung wird in beiden Fällen ausdrücklich bejaht (so auch: Verwaltungsgericht Neustadt (Weinstraße), Beschluss vom 28. Januar 2016 – 3 L 4/16.NW –, juris, Rn. 26). Eignungszweifel treten erst dann auf, wenn zu der hochgradigen Schwerhörigkeit oder der Gehörlosigkeit weitere schwerwiegende Mängel im Sinne der Anlage 4 Nr. 2 FeV hinzutreten. Dabei kann dahinstehen, ob die bei der Klägerin im Weiteren bekannt gewordenen Erkrankungen „psychische Störung mit funktionalen Organbeschwerden, Ohrgeräusche links, Funktionsstörung Wirbelsäule, Funktionsstörung des linken Schultergelenks“ schwerwiegende Mängel in diesem Sinne darstellen, was jedenfalls zweifelhaft ist, da diese Erkrankungen im Gegensatz zu den in Anlage 4 Nr. 2 FeV aufgeführten Beispielen „Sehstörungen, Gleichgewichtsstörungen“ keine Auswirkungen auf die Wahrnehmung nahelegen. Dies kann aber deshalb offen bleiben, weil der Beklagte von diesen Erkrankungen der Klägerin erst am 23. Januar 2023 erfuhr, maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Gutachtenanordnung ist aber – wie oben dargelegt – der Zeitpunkt ihres Erlasses und damit hier der 29. Dezember 2022. Zu diesem Zeitpunkt war dem Beklagten überhaupt keine Erkrankung der Klägerin außer der Schwerhörigkeit bekannt, so dass es keine Eignungszweifel und damit auch keinen Anlass für die Anordnung eines Gutachtens gab. In diesem Kontext ist noch darauf hinzuweisen, dass der Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 28. März 2023 – und dementsprechend nach der Gutachtenanordnung – die Möglichkeit eröffnet hatte, bis zum 28. April 2023 eine ärztliche Bescheinigung ihres behandelnden Facharztes für HNO-Heilkunde beizubringen, aus der hervorgehen sollte, ob im Zusammenhang mit ihrer Schwerhörigkeit gleichzeitig andere schwerwiegende Mängel/körperliche Beeinträchtigungen (z.B. Gleichgewichtsstörungen, Sehstörungen, Somatosensorik) vorliegen. Dies bedeutet, dass der Beklagte zu diesem Zeitpunkt an sich erkannt haben musste, dass die Schwerhörigkeit allein für eine Gutachtenanordnung nicht ausreicht. Gleichwohl blieb er dann bei der ursprünglichen Anordnung, deren Voraussetzungen – wie dargelegt – nicht vorgelegen haben.

Da dementsprechend die Anordnung zur Entziehung der Fahrerlaubnis aufzuheben ist, erweist sich auch die ursprünglich im Ausgangsbescheid getätigte und im Widerspruchsbescheid nochmals angeordnete Verpflichtung zur Herausgabe des Führerscheins als rechtswidrig, da die Voraussetzungen der einzig in Betracht kommenden Rechtsgrundlage des § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG („Nach der Entziehung“) nicht erfüllt sind.

Schließlich erweist sich auch die Gebühren- und Auslagenfestsetzung im Ausgangsbescheid als rechtswidrig. Zwar ermöglicht § 1 der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt) i.V.m. der Gebühren-Nr. 206 der Anlage 1 grundsätzlich die Festsetzung einer Gebühr für die Entziehung der Fahrerlaubnis, und auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 GebOSt lassen sich grundsätzlich die Zustellungskosten stützen, beides setzt aber voraus, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis entweder rechtmäßig oder bestandskräftig angeordnet wurde, was aufgrund der Aufhebung der Entziehungsanordnung nicht der Fall ist.

Eine (ursprünglich zulässigerweise nach § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO beantragte) Folgenbeseitigung war nicht mehr anzuordnen, nachdem die Klägerin ihren Führerschein bereits am 26. März 2024 zurückerhalten hatte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Da die Klägerin nur hinsichtlich untergeordneter Nebenentscheidungen unterliegt und hinsichtlich der für die Streitwertfestsetzung maßgeblichen Entziehung der Fahrerlaubnis vollständig obsiegt, ist ihr Unterliegensanteil als geringwertig zu betrachten, so dass die Kosten insgesamt dem Beklagten aufzuerlegen sind. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.