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Erteilung von Visa zum Nachzug der mittlerweile volljährigen Kinder zu Elternteil mit Nachzugsanspruch zu anerkanntem Flüchtling, Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage, Sicherung des Lebensunterhalts, Atypischer Fall, Ausreichender Wohnraum, sog. Doppelprüfung


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 6. Senat Entscheidungsdatum 22.08.2024
Aktenzeichen OVG 6 B 4/23 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2024:0822.OVG6B4.23.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 36 Abs 1, Abs 2 AufenthG , § 32 Abs 1 AufenthG , § 5 Abs 1 Nr 1 AufenthG, § 29 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AufenthG , § 22 Satz 1 AufenthG

Leitsatz

  1. Dass die Voraussetzungen des das Vorliegen eines atypischen Falles begründenden Sachverhalts erst während des gerichtlichen Verfahrens entfallen sein mögen, rechtfertigt es nicht, vom Erfordernis der Lebensunterhaltssicherung im Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung abzusehen (Anschluss an OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 3. Juli 2014 - OVG 11 B 5.14 -).
  2. Das Vorliegen einer Atypik im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ist beim Geschwisternachzug auch nicht im Hinblick auf die Familienzusammenführungsrichtlinie - RL 2003/86/EG - anzunehmen.
  3. Der Nachweis ausreichenden Wohnraums im Sinne der einschlägigen Vorschriften für den Familiennachzug erfordert hinreichende Belege, aus denen sich ergibt, dass dem Zusammenführenden eine Wohnung rechtlich und tatsächlich gesichert ist und für die Wohnzwecke der Familie genutzt werden kann (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31. Juli 2015 - OVG 7 B 39.14 -, InfAuslR 2015, 430 f., juris Rn. 23 f.). Überdies muss der Wohnraum grundsätzlich für die Dauer des Aufenthalts bestimmt sein. (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5. Dezember 2018 - OVG 3 B 8.18 -, juris Rn. 28 m.w.N.).
  4. Sofern die Anmietung entsprechenden Wohnraums auf Vorrat für die Dauer des Verfahrens aufgrund der Umstände des Einzelfalls ausnahmsweise nicht zumutbar ist, können als Nachweis bspw. glaubhafte und nachvollziehbare Zusicherungen von Dritten, wie z.B. Familienangehörigen, ausreichen. Um das Zurverfügungstehen ausreichenden Wohnraums in vergleichbarer Weise wie bei Wohneigentum oder einer Anmietung rechtlich sicherzustellen, muss eine solche Zusicherung allerdings verbindlich sein. Sie muss erkennbar eine von einem entsprechenden Rechtsbindungswillen getragene und ggf. durchsetzbare Verpflichtung enthalten.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 9. Februar 2023 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin geändert.

Die Klage der Kläger zu 1 und zu 3 bis 6 wird abgewiesen.

Die Kosten beider Rechtszüge tragen die Kläger zu 1 und zu 3 bis 6 zu 92 Prozent, die Beklagte zu 8 Prozent. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen tragen diese jeweils selbst.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Kläger, afghanische Staatsangehörige, begehren die Erteilung von Visa für den Familiennachzug zu dem am 1. Dezember 2000 geborenen und mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 3. Mai 2017 als Flüchtling anerkannten Beigeladenen zu 2. Die Kläger sind dessen zwischen dem 1. Dezember 2000 und dem 5. April 2006 geborene Geschwister. Die im erstinstanzlichen Verfahren noch beteiligte Klägerin zu 2 ist die 1969 geborene Mutter des Beigeladenen zu 2 und der übrigen Kläger.

Den Antrag der Kläger vom 13. August 2018 bei der Deutschen Botschaft in Islamabad auf Erteilung von Visa zum Familiennachzug lehnte die Botschaft ab (vgl. den Remonstrationsbescheid vom 27. September 2019).

Auf die hiergegen am 18. Oktober 2019 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Aufhebung des Remonstrationsbescheides verpflichtet, den Klägern Visa zum Zwecke des Familiennachzugs zu erteilen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Klägerin zu 2, also der Mutter der übrigen Kläger und des Beigeladenen zu 2, stehe ein Anspruch auf Erteilung des Visums zum Zwecke des Familiennachzugs gemäß § 36 Abs. 1 AufenthG zu. Den übrigen Klägern stehe ein Anspruch auf Erteilung der Visa nach § 32 Abs. 1 AufenthG zu. Hierfür reiche der elterliche Besitz eines nationalen Visums als Aufenthaltserlaubnis grundsätzlich aus, wenn die familiäre Gemeinschaft im Bundesgebiet gelebt werden solle und dem Elternteil angesichts des erteilten Visums im Bundesgebiet ein in § 29 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG genannter Aufenthaltstitel erteilt werde. Der Wille zum Zusammenleben werde durch die gemeinsame Antragstellung hinreichend dokumentiert. Dem Anspruch der Kläger zu 1 und zu 3 bis 5 stehe nicht entgegen, dass sie mittlerweile volljährig geworden seien. Für die Altersgrenze sei auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen, zu dem sie sämtlich noch minderjährig gewesen seien. Dass der Lebensunterhalt nicht gesichert sei, stehe der Erteilung der Visa nicht entgegen, da ein atypischer Fall vorliege. Für die Klägerin zu 6 gelte dies schon, da sie noch minderjährig sei und anderenfalls unversorgt in Afghanistan zurückgelassen würde. Nach glaubhafter Schilderung des Beigeladenen zu 2 sei sein Vater von den Taliban entführt und vermutlich getötet worden. Die Kläger könnten nicht darauf verwiesen werden, ihre familiären Beziehungen in einem Drittstaat zu leben. In Anbetracht der Flüchtlingseigenschaft des Beigeladenen zu 2 wäre ihm dies nicht zuzumuten. Den Klägern wäre ein Verweis auf ein Leben in Afghanistan in Anbetracht der Machtübernahme durch die Taliban und der glaubhaften Schilderung, dass der Familie nach der Entführung des Vaters weiterhin Verfolgung drohe, nicht zumutbar. Außerdem werde die Klägerin zu 2 voraussichtlich über eine längerfristige Bleibeperspektive in Deutschland verfügen. Für die Kläger zu 1 und zu 3 bis 6 gebiete die effektive Umsetzung des Unionsrechts eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Die Beklagte habe die begehrten Visa unter Verweis auf eine Rechtsansicht verweigert, die sich spätestens mit dem Urteil des EuGH vom 1. August 2022 - C-273/20, C-355/20 - als unzutreffend herausgestellt habe. Demnach habe jedenfalls zum Zeitpunkt der Antragstellung bei der Beklagten bereits festgestanden, dass relevanter Zeitpunkt für die Minderjährigkeit des Flüchtlings der Tag der Asylantragstellung sei. Die Kläger dürften deshalb nicht schlechter gestellt werden, als hätte die Beklagte bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung die zutreffende Rechtsaufassung zugrunde gelegt. Anderenfalls würde die Entscheidung des EuGH zumindest für bereits anhängige Verfahren ohne praktische Relevanz bleiben und die unionsrechtlichen Anforderungen aufgrund widerstreitenden nationalen Rechts unterlaufen. Jedenfalls begründe der konkrete Verfahrensgang im vorliegenden Fall die Annahme einer Atypik. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass die Klägerin zu 2 anderenfalls auf ihren Anspruch auf Einreise in die Bundesrepublik verzichten müsse, um die übrigen Kläger zu versorgen. Der damit verknüpfte faktische dauerhafte Verlust ihres Nachzugsanspruchs wäre ihr nicht zumutbar. Den Klägern zu 1 und zu 3 bis 6 stehe auch ausreichender Wohnraum zur Verfügung. Die Kläger hätten das Schreiben eines Ehepaars vorgelegt, wonach diese ihnen in ihrem Wohnhaus mit einer Wohnfläche von 230 m² die erforderliche Wohnfläche von 60 m² zur Verfügung stellen würden. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur sog. Doppelprüfung stehe dem nicht entgegen. Unabhängig von der Frage, ob diese Rechtsprechung auf das Wohnraumerfordernis anwendbar sei, greife sie aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalles nicht. Dem Beigeladenen zu 2 wäre es nicht zuzumuten gewesen, während des mehrere Jahre dauernden Nachzugsverfahrens entsprechenden Wohnraum vorzuhalten. Daneben gebiete der effektive Vollzug von Unionsrecht das Absehen von einer Doppelprüfung. Andernfalls liefe die Entscheidung des EuGH vom 1. August 2020 leer. Auch seien Artikel 7 Abs. 1 Buchst. a der Familienzusammenführungsrichtlinie keine entsprechenden Anforderungen für eine Doppelprüfung für den Nachweis von Wohnraum zu entnehmen. Für die Klägerin zu 1 stehe dem Anspruch auch nicht das Erfordernis einer positiven Integrationsprognose nach § 32 Abs. 2 Satz 1 AufenthG entgegen, weil davon auszugehen sei, dass die Klägerin zu 2, also die Mutter, (mittlerweile) allein sorgeberechtigt sei.

Gegen die stattgebende Entscheidung bezüglich der Kläger zu 1 und zu 3 bis 6 wendet sich die Beklagte mit der vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Berufung. Sie macht geltend, die Berufungsbeklagten hätten keinen Anspruch auf ein Visum zum Zwecke des Familiennachzugs nach § 32 Abs. 1 AufenthG. Ihr Lebensunterhalt sei nicht gesichert Eine Atypik im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG liege nicht vor. Alle Berufungsbeklagten seien mittlerweile volljährig. Auch das Gebot effektiver Umsetzung des Unionsrechts sei nicht geeignet, eine Atypik zu begründen. Die Urteile des EuGH vom 1. August 2022 befassten sich nur mit dem Nachzug minderjähriger Kinder zu ihren als Flüchtlingen anerkannten Eltern bzw. dem Nachzug von Eltern zu ihrem unbegleiteten minderjährigen Kind, dem der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden sei. Geschwisterkinder seien davon nicht umfasst. Eine Atypik lasse sich auch nicht mit dem Argument begründen, die Mutter der Kläger erleide einen dauerhaften Verlust ihres Nachzugsanspruchs. Es sei ihre Entscheidung, ob sie das Visum nutze. Im Übrigen müsse die Mutter nicht auf ihren Nachzugsanspruch verzichten. Außerdem stehe für die Berufungsbeklagten kein ausreichender Wohnraum zur Verfügung. Das hierfür erstinstanzlich vorgelegte Schreiben der Eheleute X_____ und W_____ I_____ genüge als Nachweis ausreichenden Wohnraums nicht. Die Voraussetzungen weiterer möglicher Anspruchsgrundlagen (§§ 22, 36 Abs. 2 AufenthG) seien auch nicht im Hinblick auf Artikel 6 Abs. 1 GG oder Artikel 8 Abs. 1 EMRK erfüllt.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 9. Februar 2023 in Bezug auf die Klägerin zu 1 sowie die Kläger zu 3 bis 6 aufzuheben und die Klage insoweit abzuweisen.

Die Kläger zu 1 und zu 3 bis 6 und Berufungsbeklagten beantragen,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil und machen ergänzend geltend, zum Zeitpunkt der Antragstellung seien sie sämtlich noch minderjährig gewesen und hätten einen Anspruch auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 32 Abs. 1 AufenthG gehabt. Dass die Volljährigkeit in einem derart langen Bearbeitungszeitraum eintrete, sei alleinige Verantwortung der zuständigen Behörden und dürfe den ursprünglich existierenden Anspruch nicht vereiteln. Es sei widersprüchlich, sie unionsrechtlich als minderjährig zu behandeln, ihnen aber zugleich ihre Volljährigkeit als Argument gegen den Nachzugsanspruch entgegenzuhalten. Im Zeitpunkt der Beantragung der Familienzusammenführung habe die mangelnde Lebensunterhaltssicherung nicht entgegengestanden, weil aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls ein atypischer Fall vorgelegen habe. Ihr Vater sei von den Taliban entführt und vermutlich bereits getötet worden. Die Familie lebe nach wie vor in Angst und Gefahr für Leib und Leben. Der Schutz des Artikels 6 GG umfasse auch im Ausland lebende Familienangehörige. Geschwister seien Teil der Familienstruktur und stellten wichtige sozialfamiliäre Bezugspersonen dar. Die Pflicht des Staates zum Schutz der Familie dränge vorliegend einwanderungspolitische Belange zurück, weil die Familiengemeinschaft nur in der Bundesrepublik stattfinden könne. Dafür sprächen auch Artikel 9 und 10 der Kinderrechtskonvention, wonach kein Kind gegen seinen Willen von seinen Eltern getrennt werden dürfe und gestellte Anträge auf Einreise in einen Vertragsstaat von diesen wohlwollend, human und beschleunigt bearbeitet werden müssten. Auch eine vorübergehende Trennung nach Einreise der Klägerin zu 2 sei ihnen aufgrund der Umstände des vorliegenden Einzelfalls nicht zumutbar. Sie wiesen außerdem eine positive Integrationsprognose auf. Weiter lägen dringende humanitäre Gründe im Sinne des § 22 Satz 1, 2. Fall AufenthG wegen der Verfolgungssituation durch die Taliban vor. Ausreichender Wohnraum liege vor, dies sei zur Überzeugung des Verwaltungsgerichts belegt.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Streitakten, der Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie der den Beigeladenen zu 2 betreffenden Ausländerakte der Beigeladenen zu 1 verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte gemäß § 102 Abs. 2 VwGO verhandeln und entscheiden, obwohl die Beigeladene zu 1 nicht in der mündlichen Verhandlung erschienen ist, da diese ordnungsgemäß geladen war.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage, soweit über sie im Berufungsverfahren noch zu entscheiden ist, zu Unrecht stattgegeben.

Die Klage ist hinsichtlich der Kläger zu 1 und zu 3 bis 6 und Berufungsbeklagten unbegründet. Diese können die Erteilung der begehrten Visa nicht verlangen. Die Ablehnung ihres hierauf gerichteten Begehrens durch die Beklagte ist rechtmäßig und verletzt sie daher nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

I. Die Berufungsbeklagten haben keinen Nachzugsanspruch nach § 6 Abs. 3, § 32 Abs. 1 AufenthG.

Nach dieser Vorschrift ist dem minderjährigen ledigen Kind eines Ausländers eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn beide Eltern oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil einen Aufenthaltstitel u.a. nach § 36 AufenthG besitzen. Dabei kann dahinstehen, ob es für das Erfordernis, im Besitz eines Aufenthaltstitels zu sein, ausreicht, dass die Klägerin zu 2 nach dem insoweit nicht mit der Berufung angegriffenen und daher rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 36 Abs. 1 AufenthG hat. Denn jedenfalls fehlt es an allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen.

Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (BVerwG, Urteil vom 21. August 2018 - 1 C 22/17 - juris Rn. 11; Urteil vom 17. Dezember 2015 - 1 C 31/14 - juris Rn. 9). Dies gilt, wie das Verwaltungsgericht zutreffend annimmt, grundsätzlich auch für den Nachzugsanspruch von Kindern. Nur sofern sie an eine Altersgrenze geknüpft sind, ist für deren Einhaltung ausnahmsweise auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen. Da sämtliche Berufungsbeklagten mittlerweile volljährig sind, ist für sie eine sog. Doppelprüfung durchzuführen. Danach müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Nachzugsanspruch, außer der Minderjährigkeit, sowohl im Zeitpunkt des Erreichens der Altersgrenze als auch im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung vorgelegen haben (BVerwG, Urteile vom 7. April 2009 - 1 C 17.08 - juris Rn. 10, vom 29. November 2012 - 10 C 11.12 juris Rn. 14 und Beschluss vom 2. Dezember 2013 - 1 B 21.14 - juris Rn. 6). Dies gilt - abgesehen von der Einhaltung der gesetzlichen Altersgrenze - für sämtliche Nachzugsvoraussetzungen (BVerwG, Urteil vom 26. August 2008 - 1 C 32.07 -, BVerwGE 131, 370 ff., juris Rn. 17 a.E.).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe fehlt es sowohl an der gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erforderlichen Sicherung des Lebensunterhalts als auch an ausreichendem Wohnraum im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 4 AufenthG.

1. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist.

a) Das ist nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Fall, wenn der Ausländer ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann; dabei bleiben die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel außer Betracht. Diese Voraussetzungen erfüllen die Berufungsbeklagten erkennbar nicht. Dass sie oder ihre Mutter über eigenes Einkommen verfügen ist weder ersichtlich noch geltend gemacht. Ihr Bruder, der Beigeladene zu 2, verfügt nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zwar über ein Erwerbseinkommen als Pflegehelfer. Dieses reicht allerdings nicht aus, um den Unterhaltsbedarf aller Familienmitglieder zu decken. Sein aktuelles Nettoerwerbseinkommen beträgt nach seinen Angaben monatlich ca. 2.100 Euro. Dies genügt bereits auf den ersten Blick nicht, um von einer ausreichenden Lebensunterhaltssicherung des Beigeladenen zu 2, seiner Mutter und der fünf Berufungsbeklagten auszugehen. Dies gilt selbst dann, wenn man Unterkunftskosten außer Betracht lässt. Pro Familienmitglied würden danach lediglich 300 Euro im Monat zur Verfügung stehen, die bereits den jeweils maßgeblichen Regelbedarf insgesamt nicht zu decken vermögen (vgl. Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnungen für das Jahr 2018 vom 8. November 2017 BGBl. I S. 3767 und für das Jahr 2024 vom 24. Oktober 2023, BGBl I Nr. 287). Da der Beigeladene zu 2 auch früher kein höheres Einkommen erzielt hat, ist der Lebensunterhalt der Berufungsbeklagten im Bundesgebiet weder im Zeitpunkt des Antrags auf Familienzusammenführung noch bei Erreichen der jeweiligen Altersgrenze seiner mittlerweile volljährigen Geschwister noch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung gesichert (gewesen).

b) Von dem Regelerfordernis der Unterhaltssicherung ist hier auch nicht ausnahmsweise abzusehen. Gründe, die eine Ausnahme vom Regelfall rechtfertigen, können sowohl verfassungs-, unions- oder völkerrechtliche Gewährleistungen sein als auch atypische Umstände des Einzelfalls, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen. Ob ein Ausnahmefall vorliegt, unterliegt keinem Einschätzungsspielraum der Behörde, sondern ist gerichtlich in vollem Umfang überprüfbar (BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2013 - 10 C 16.12 -, NVwZ 2013, 1493 ff., juris Rn. 16 m.w.N.).

aa) Ein Absehen von der Regelerteilungsvoraussetzung aufgrund höherrangigen Rechts im Sinne von Artikel 6 Abs. 1 GG, Artikel 8 Abs. 1 EMRK scheidet vorliegend jedenfalls bezogen auf den Zeitpunkt der Berufungsverhandlung aus.

Eine Atypik ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass die Berufungsbeklagten ohne Eltern in Afghanistan zurückbleiben würden. Denn sie sind sämtlich mittlerweile volljährig. Etwaige familiäre Bindungen haben deswegen grundsätzlich ein geringeres Gewicht. Artikel 6 GG schützt primär die Beziehung von Eltern zu ihren minderjährigen Kindern. Ein Nachzug von volljährigen Kindern ist auch unter Berücksichtigung fortbestehender familiärer Bindungen, die unter Artikel 6 GG fallen, in aller Regel nicht erforderlich. Volljährige Kinder sind grundsätzlich nicht auf familiäre Lebenshilfe angewiesen. Dabei sind auch Wege der Verbindung und Unterstützung aus der Distanz, etwa durch Geldüberweisungen, in Betracht zu ziehen. Demgegenüber muss die Zusammenführung gerade in Deutschland zwingend geboten sein. Nachteile im Herkunftsland, die allein wegen der dortigen allgemeinpolitischen und wirtschaftlichen Verhältnisse drohen, rechtfertigen die Annahme eines Ausnahmefalles nicht. Das ergibt sich auch aus der gesetzgeberischen Wertung des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, wonach „sonstigen Familienangehörigen“ eines Ausländers, zu denen auch Geschwister bzw. volljährige Kinder zählen, eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug (nur) erteilt werden kann, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Diese Wertung würde umgangen, wenn man trotz mittlerweile eingetretener Volljährigkeit von einer Atypik im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ausginge. Soweit das Verwaltungsgericht auf die seinerzeit noch gegebene Minderjährigkeit der Klägerin zu 6 abgestellt hat, haben sich diese Erwägungen aufgrund von deren Volljährigkeit mittlerweile erledigt.

Dies verdeutlicht zugleich, dass die Berufungsbeklagten auch mit ihrer Argumentation zur Bindung der Familienmitglieder nicht durchdringen können. Die geringere Schutzwirkung des Artikels 6 Abs. 1 GG für familiäre Bindungen zwischen volljährigen Familienmitgliedern wird dadurch nicht in Frage gestellt.

Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob bei Erreichen der Altersgrenze des jeweiligen Berufungsbeklagten von der Regelerteilungsvoraussetzung der Lebensunterhaltssicherung hätte abgesehen werden müssen.

bb) Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Voraussetzungen des das Vorliegen eines atypischen Falles begründenden Sachverhalts erst während des gerichtlichen Verfahrens entfallen sein mögen. Der 11. Senat des erkennenden Gerichts hat hierzu ausgeführt (Urteil vom 3. Juli 2014 - OVG 11 B 5.14 -, juris Rn. 40):

Dafür könnte zwar sprechen, dass gerade der vorliegende Fall, in dem die Voraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts zu keinem Zeitpunkt erfüllt war und die den atypischen Fall begründende Zugehörigkeit zum besonders geschützten, aus Eltern und ihren betreuungsbedürftigen minderjährigen Kindern bestehenden Bereich der Kernfamilie wegen der ebenfalls gerade durch die lange Verfahrensdauer eingetretenen Volljährigkeit der Klägerin entfallen ist, den der bereits dargelegten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Unschädlichkeit der Überschreitung der Nachzugsaltersgrenze zugrunde liegenden Fällen durchaus vergleichbar erscheint. Das Bundesverwaltungsgericht (z.B. BVerwG, Urteil v. 30. April 1998 - 1 C 12.96 -, zit. nach juris Rn 19) hat für seine Rechtsprechung allerdings maßgeblich darauf abgestellt, dass in den von ihm genannten Fällen ein Abstellen auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor Gericht dazu führen würde, dass der mit der Altersgrenze verfolgte Zweck „weitgehend“ verfehlt würde, weil der dem Minderjährigen zukommende Schutz trotz rechtzeitig gestellten Antrags „vielfach“ aufgrund des Zeitablaufs entfiele. Damit ist der hiesige Fall indes nicht vergleichbar. Ein derartiges, in einer Vielzahl von Fällen drohendes Leerlaufen eines mit der Altersgrenze bezweckten besonderen Schutzes eines Minderjährigen droht im Fall der Berücksichtigung einer durch das Erreichen der Volljährigkeit im Verlauf des Verfahrens veränderten Beurteilung der Voraussetzungen der Lebensunterhaltssicherung oder auch nur derjenigen für das Vorliegen eines atypischen Falles nicht, denn beide Regelungen bezwecken weder einen besonderen Schutz oder eine Privilegierung Minderjähriger noch droht in einer Vielzahl einschlägiger Fälle ein Verfehlen des Zwecks allein aufgrund der Verfahrensdauer. So besteht denn auch kein Zweifel daran, dass ein Wegfall der im Zeitpunkt der Antragstellung oder der Vollendung des 16. Lebensjahres noch vorhandenen hinreichenden Sicherung des Lebensunterhalts das Vorliegen dieser Voraussetzung im Zeitpunkt der Entscheidung über das Verpflichtungsbegehren nicht entbehrlich macht, sondern ihr Fehlen zu diesem Zeitpunkt einem Nachzugsanspruch entgegensteht. Für die Voraussetzungen eines hier in Rede stehenden atypischen, eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung begründenden Falls kann insoweit nichts anderes gelten.

Dieser Einschätzung schließt sich der erkennende Senat an, zumal sie auch vom Bundesverwaltungsgericht im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision unbeanstandet geblieben ist (Beschluss vom 2. Dezember 2014 - 1 B 21.14 -, juris Rn. 7 f.).

cc) Auch die weitere Erwägung des Verwaltungsgerichts, die effektive Umsetzung des Unionsrechts gebiete im Hinblick auf die zunächst zu Unrecht verweigerte Erteilung der begehrten Visa „in diesem konkreten Einzelfall“ eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung, rechtfertigt keine andere Einschätzung. Das Verwaltungsgericht meint, auch die Berufungsbeklagten dürften nicht schlechter gestellt werden, als wäre die Beklagte zum Zeitpunkt der Antragstellung von der zutreffenden Rechtsauffassung ausgegangen, es komme auf die Minderjährigkeit des Stammberechtigten im Zeitpunkt der Asylantragstellung an. Das überzeugt schon deshalb nicht, weil die Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. L 251/12 vom 3. Oktober 2003) - Familienzusammenführungsrichtlinie - FZ-RL - dies für den hier fraglichen Sachverhalt nicht vorsieht.

§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG entspricht Artikel 7 Abs. 1 Buchst. c FZ-RL, wonach der Mitgliedstaat den Nachweis verlangen kann, dass der Zusammenführende über feste und regelmäßige Einkünfte verfügt, die ohne Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen des betreffenden Mitgliedstaats für seinen eigenen Lebensunterhalt und den seiner Familienangehörigen ausreichen. Zwar ist hiervon nach Artikel 12 Abs. 1 UAbs. 1 FZ-RL bei der Familienzusammenführung mit Flüchtlingen abzusehen, dies gilt jedoch allein in Bezug auf Anträge betreffend die in Artikel 4 Abs. 1 jener Richtlinie genannten Familienangehörigen eines Flüchtlings, bei denen es sich einzig um den Ehegatten und die minderjährigen Kinder des Zusammenführenden handelt (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5. Dezember 2018 - OVG 3 B 8.18 -, juris Rn. 30). Vorliegend würden die Berufungsbeklagten jedoch zu der ehemaligen Klägerin zu 2, ihrer Mutter, nachziehen, die bislang nicht selbst als Flüchtling anerkannt ist, sondern ihr Aufenthaltsrecht gemäß § 36 Abs. 1 AufenthG aus dem Flüchtlingsstatus des Beigeladenen zu 2, des Bruders der Berufungsbeklagten, ableitet. Artikel 10 Abs. 2 FZ-RL sieht in der hier mittelbar gegebenen Konstellation des Nachzugs von Geschwistern vielmehr ausdrücklich vor, dass die Mitgliedstaaten diesen die Familienzusammenführung gestatten können, sofern der zusammenführende Flüchtling für ihren Unterhalt aufkommt. Ein Nachzugsanspruch auf Grundlage der Richtlinie käme für die Berufungsbeklagten daher erst in Frage, wenn ihre Mutter, die (ehemalige) Klägerin zu 2, als Flüchtling anerkannt würde. Weshalb vor diesem Hintergrund eine effektive Umsetzung der in der Richtlinie vorgesehenen Nachzugsansprüche eine hypothetische Betrachtung erfordern sollte, wie sie das Verwaltungsgericht hier anstellt, erschließt sich nicht.

Überdies berücksichtigt das Verwaltungsgericht die bereits dargelegte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht, wonach bei Nachzugsansprüchen nach § 32 AufenthG zwar hinsichtlich der Minderjährigkeit auf den Zeitpunkt der Antragstellung, hinsichtlich der übrigen Voraussetzungen aber auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung abzustellen sei (BVerwG, Urteile vom 7. April 2009 - 1 C 17.08 - juris Rn. 10, vom 29. November 2012 - 10 C 11.12 juris Rn. 14 und Beschluss vom 2. Dezember 2013 - 1 B 21.14 - juris Rn. 6). Die Annahme des Verwaltungsgerichts, für die Frage einer zumutbaren Trennung der (ehemaligen) Klägerin zu 2 von den Berufungsbeklagten sei auf den Zeitpunkt des Antrags auf Familienzusammenführung abzustellen, steht hierzu in Widerspruch. Für derartige fiktive Betrachtungen bietet weder die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts noch die Familienzusammenführungsrichtlinie unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH hinreichende Anhaltspunkte.

Dies erhellt zugleich, dass auch das weitere Argument des Verwaltungsgerichts, es sei der (ehemaligen) Klägerin zu 2 nicht zumutbar, auf ihren Anspruch auf Einreise in die Bundesreplik zu verzichten, um die Berufungsbeklagten zu versorgen, nicht greift. Der (ehemaligen) Klägerin zu 2 steht es im maßgeblichen gegenwärtigen Zeitpunkt frei, bei diesen zu bleiben oder zu dem Beigeladenen zu 2 nachzuziehen.

2. Darüber hinaus scheitert der Anspruch der Berufungsbeklagten am Wohnraumerfordernis. Gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG muss für den Familiennachzug zu einem Ausländer ausreichender Wohnraum zur Verfügung stehen. Das Verwaltungsgericht hat das Vorliegen dieser Anforderung zu Unrecht bejaht.

a) Dabei ist es vom rechtlichen Ausgangspunkt her zutreffend davon ausgegangen, dass der Nachweis ausreichenden Wohnraums im Sinne der einschlägigen Vorschriften für den Familiennachzug hinreichende Belege erfordert, aus denen sich ergibt, dass dem Zusammenführenden eine Wohnung rechtlich und tatsächlich gesichert ist und für die Wohnzwecke der Familie genutzt werden kann (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31. Juli 2015 - OVG 7 B 39.14 -, InfAuslR 2015, 430 f., juris Rn. 23 f.). Überdies muss der Wohnraum grundsätzlich für die Dauer des Aufenthalts bestimmt sein (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5. Dezember 2018 - OVG 3 B 8.18 -, juris Rn. 28 m.w.N.).

Unproblematisch sind diese Anforderungen erfüllt, wenn der zusammenführende Ausländer über ausreichendes Wohneigentum verfügt, um die nachziehenden Familienangehörigen unterzubringen oder wenn er eine entsprechend große Wohnung für einen ausreichenden Zeitraum angemietet hat. In Sachverhaltskonstellationen wie vorliegend, bei der fünf, bzw. bei Berücksichtigung der ehemaligen Klägerin zu 2 sogar sechs, Familienangehörige zu einem Stammberechtigten nachziehen wollen, wird man mit dem Verwaltungsgericht annehmen können, dass die Anmietung entsprechenden Wohnraums gewissermaßen „auf Vorrat“ für die Dauer des Verfahrens nicht zumutbar ist. Dies führt jedoch nicht dazu, dass das dem Schutz der öffentlichen Kassen dienende und nach dem Gesetzeswortlaut unabdingbare Erfordernis ausreichenden Wohnraums relativiert wird oder ganz entfällt. Als Nachweis können bspw. glaubhafte und nachvollziehbare Zusicherungen von Dritten, wie z.B. Familienangehörigen, ausreichen. Um das Zurverfügungstehen ausreichenden Wohnraums in vergleichbarer Weise wie bei Wohneigentum oder einer Anmietung rechtlich sicherzustellen, muss eine solche Zusicherung allerdings verbindlich sein. Sie muss erkennbar eine von einem entsprechenden Rechtsbindungswillen getragene und ggf. durchsetzbare Verpflichtung enthalten.

b) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe haben die Kläger - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - nicht dargelegt, dass sie über ausreichenden Wohnraum verfügen. Vielmehr war zu keinem Zeitpunkt zwischen der Stellung des Antrags auf Familienzusammenführung am 13. August 2018 und der Berufungsverhandlung rechtlich und tatsächlich gesichert, dass ihnen ausreichender Wohnraum zur Verfügung steht.

aa) Das hierzu erstinstanzlich in Kopie vorgelegte Schreiben vom 18. Januar 2023, in dem „W_____ und X_____ I_____“ bestätigen, dass fünf der Kläger „in der Zeit wo sie sich in Deutschland befinden bei uns im Haus als Gäste leben dürfen. Unsere Wohnfläche macht es möglich die Familie den Aufenthalt zu ermöglichen“, genügt hierfür ebenso wenig wie das im Nachgang einer Konkretisierungsanregung des Verwaltungsgerichts anlässlich der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung zu den Akten gereichte weitere undatierte Schreiben, das von denselben Personen unterschrieben ist und in dem es heißt: „Hiermit möchten wir bestätigen das wir die Familie X_____ aus Afghanistan übergangsweise kostenlos bei uns aufnehmen wollen. Unsere Immobilie hat 230 qm Wohnfläche die von vier Personen genutzt wird.“

Die Beklagte hat in ihrer Berufungsbegründung zu Recht eingewandt, dass sich diesen Schreiben schon nicht entnehmen lässt, ob die Unterzeichner Eigentümer oder Mieter der Immobilie sind und über eine entsprechende Berechtigung verfügen, den Wohnraum anderen Personen zur Verfügung zu stellen. Weiter ist die Wohnfläche nicht belegt. Es sind weder Grundrisse noch Mietverträge o.ä. vorgelegt worden, so dass man sich kein Bild über die bestehende Wohnsituation machen kann. Überdies ist nicht überprüfbar, ob das Schreiben tatsächlich von den Eigentümern bzw. Mietern der Immobilie erstellt wurde.

Selbst wenn man von diesen Umständen, die sich ggf. durch entsprechenden ergänzenden Vortrag klären ließen, absieht, scheitert der Nachweis ausreichenden Wohnraums, weil die Schreiben nicht die Qualität rechtsverbindlicher Zusicherungen haben. Der Sache nach wird lediglich die unverbindliche, nicht von einem erkennbaren Rechtsbindungswillen getragene Bereitschaft erklärt, der Klägerfamilie „als Gästen“ Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Überdies soll dies auch nur „übergangsweise“ geschehen. Dabei kann dahinstehen, welcher Zeitraum hiermit umschrieben ist. Jedenfalls handelt es sich lediglich um eine befristete Übergangslösung als Gefälligkeit und nicht um für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet rechtsverbindlich zum eigenen Besitz und Gebrauch überlassenen Wohnraum. Auch das Nachreichen einer (ggf. rückwirkend abgegebenen) Verpflichtungserklärung könnte allenfalls belegen, dass die Erklärenden zu einem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt bereit gewesen wären, eine rechtsverbindliche Verpflichtung einzugehen, würde indes nicht darüber hinweghelfen, dass in den maßgeblichen Zeitpunkten des jeweiligen Erreichens der Altersgrenze der Berufungsbeklagten bzw. der Berufungsverhandlung tatsächlich noch keine solche Verbindlichkeit gegeben war und deshalb ausreichender Wohnraum noch nicht zur Verfügung stand. Angesichts dessen bestand auch keine Veranlassung, dem in der Berufungsverhandlung geäußerten Schriftsatznachlassbegehren der Berufungsbeklagten zu entsprechen.

bb) Soweit die Berufungsbeklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht außerdem eine Bescheinigung des Herrn P_____ vom 6. Februar 2023 vorgelegt haben, stellt dies keinen ausreichenden Wohnraumnachweis dar, weil die darin geäußerte Bereitschaft, der Familie zwei Wohnräume zur Verfügung zu stellen, bis zum 30. Juni 2023 befristet war.

cc) Auch die Berücksichtigung unionsrechtlicher Vorgaben führt zu keinem anderen Ergebnis. Das ergibt sich parallel zu den oben unter I. 1. b) cc) dargelegten Gründen daraus, dass Artikel 7 Abs. 1 Buchst. a, Artikel 12 Abs. 1 Satz 1 FZ-RL es in der hier mittelbar gegebenen Konstellation des Nachzugs zu einem als Flüchtling anerkannten Geschwisterkind den Mitgliedsstaaten anheimstellt zu verlangen, dass der Zusammenführende über ausreichenden Wohnraum verfügt.

II. Ein Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 32 Abs. 4 Satz 1 AufenthG.

Danach kann dem minderjährigen ledigen Kind eines Ausländers eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn es aufgrund der Umstände des Einzelfalls zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist. Bei dieser Vorschrift ist, anders als bei § 32 Abs. 1 bis 3 AufenthG, nicht auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen; der Eintritt der Volljährigkeit schließt die Anwendung des § 32 Abs. 4 AufenthG vielmehr aus (OVG Saarlouis, Beschluss vom 30. Juni 2023 - 2 B 55/23 -, juris Rn. 32; VGH Mannheim, Beschluss vom 22. März 2023 - 12 S 474/22 -, juris Rn. 22; offen gelassen von BVerwG, Urteil vom 29. November 2012 - 10 C 11.12 -, BVerwGE 145, 172 ff., juris Rn. 24), denn die Vorschrift dient gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 AufenthG ausdrücklich der Sicherstellung des Kindeswohls, zu dessen Sicherstellung nach Eintritt der Volljährigkeit kein Anlass mehr besteht, so dass der Nachzug ggf. nach § 36 AufenthG zu ermöglichen ist (Dienelt, in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Auflage 2022, § 32 AufenthG Rn. 110).

Überdies ist das Vorliegen einer besonderen Härte im Sinne der Vorschrift hier auch deshalb fraglich, weil sie voraussetzt, dass das Interesse des minderjährigen Kindes und des im Bundesgebiet lebenden Elternteils an einem Zusammenleben deswegen vorrangig ist, weil sich die Lebensumstände wesentlich geändert haben, die das Verbleiben des Kindes im Heimatland bisher ermöglichten, und weil dem Elternteil eine Rückkehr in das Heimatland gegenwärtig nicht zumutbar ist. Grundvoraussetzung für die Annahme einer besonderen Härte ist demzufolge der Eintritt eines Umstands, den der Elternteil bei seiner früheren Entscheidung, das Kind nicht nach Deutschland nachzuholen, nicht in Rechnung stellen konnte (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. August 2020 - OVG 12 B 18.19 -, NVwZ-RR 2020, 997 ff., juris Rn. 29 m.w.N.). Ob eine besondere Härte auch im Fall der hier beabsichtigten gleichzeitigen Einreise von Eltern und Kindern geänderte Lebensumstände erfordert, ist in der Rechtsprechung bislang nicht geklärt. Diese Frage kann allerdings auf sich beruhen, denn jedenfalls stünde dem Anspruch auch insoweit entgegen, dass der Lebensunterhalt nicht gesichert und ausreichender Wohnraum nicht nachgewiesen ist.

III. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 AufenthG für die Berufungsbeklagten scheidet ebenfalls aus.

Nach § 36 Abs. 2 AufenthG kann - unbeschadet weiterer Voraussetzungen - sonstigen Familienangehörigen eines Ausländers zum Familiennachzug eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Der Nachzug nach dieser Vorschrift ist auf seltene Ausnahmefälle beschränkt, in denen die Verweigerung des Visums und damit der Familieneinheit im Lichte von Artikel 6 GG, Artikel 8 EMRK grundlegenden Gerechtigkeitsvorstellungen widerspräche, also schlechthin unvertretbar wäre. Die Besonderheiten des Einzelfalls müssen nach Art und Schwere so ungewöhnlich und groß sein, dass die Folgen der Visumsversagung unter Berücksichtigung des Zwecks der Nachzugsvorschriften, die Herstellung und Wahrung der Familieneinheit zu schützen, sowie des Schutzgebots des Artikels 6 GG unvertretbar sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 1997 - 1 B 236.96 - juris Rn. 8). Dies setzt grundsätzlich voraus, dass der im Bundesgebiet oder der im Ausland lebende Familienangehörige allein ein eigenständiges Leben nicht führen kann, sondern auf die Gewährung von familiärer Lebenshilfe angewiesen ist, und dass diese Hilfe zumutbarerweise nur im Bundesgebiet erbracht werden kann (BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 1997, a.a.O. sowie BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 15.12 -, juris Rn. 12 m.w.N.). Hieraus folgt weiterhin, dass Nachteile im Herkunftsland, die allein wegen der dortigen allgemeinen politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse drohen, nicht zur Begründung einer außergewöhnlichen Härte im Zusammenhang mit der Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft herangezogen werden können (BVerwG, Urteil vom 25. Juni 1997 - 1 B 236.96 -, juris Rn. 9). Die außergewöhnliche Härte muss vielmehr familienbezogen sein (BVerwG, Urteil vom 18. April 2013 - BVerwG 10 C 9/12 – juris Rn. 23; vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. April 2018 - OVG 3 S 23.18 -, juris Rn. 2; Senatsurteil vom 2. August 2023 - OVG 6 B 3/23 -, juris Rn. 20).

Für das Vorliegen dieser Voraussetzungen im Verhältnis zwischen den Berufungsbeklagten und ihrem Bruder, dem Beigeladenen zu 2, ist weder etwas ersichtlich noch vorgetragen. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass auch insoweit zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung der Tatsacheninstanz abzustellen und der Beigeladene zu 2 mittlerweile 24 Jahre alt und damit nicht mehr auf familiäre Unterstützung angewiesen ist. Soweit die Berufungsbeklagten ihrerseits eine außergewöhnliche Härte aus der behaupteten Verfolgungs- und Bedrohungssituation durch die Taliban herleiten wollen, ist ihnen entgegenzuhalten, dass, deren Vorliegen hier einmal unterstellt, dieser Gesichtspunkt nicht zwingend ihren Aufenthalt bei dem Beigeladenen zu 2 im Bundesgebiet erfordert.

Entsprechendes gilt im Verhältnis zwischen den volljährigen Berufungsbeklagten und ihrer Mutter, der ehemaligen Klägerin zu 2.

IV. Die Kläger können auch kein Visum gemäß § 22 Satz 1 AufenthG beanspruchen.

1. Danach kann einem Ausländer für die Aufnahme aus dem Ausland aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Dringende humanitäre Gründe in diesem Sinne liegen zum einen dann vor, wenn sich der Ausländer aufgrund besonderer Umstände in einer auf seine Person bezogenen Sondersituation befindet, sich diese Sondersituation deutlich von der Lage vergleichbarer Ausländer unterscheidet, der Ausländer spezifisch auf die Hilfe der Bundesrepublik Deutschland angewiesen ist oder eine besondere Beziehung des Ausländers zur Bundesrepublik Deutschland besteht und die Umstände so gestaltet sind, dass eine baldige Ausreise und Aufnahme unerlässlich sind (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Dezember 2023 - OVG 3 B 43/23 -, juris Rn. 37 m.w.N.). Für eine derartige Sondersituation bestehen keine Anhaltspunkte. Dies gilt auch mit Blick auf die Schilderungen zum mutmaßlichen Schicksal des Vaters und der behaupteten Verfolgungs- und Bedrohungslage durch die Taliban. Ein spezifisches Angewiesensein auf die Hilfe der Bundesrepublik ist damit nicht aufgezeigt.

2. Dringende humanitäre Gründe im Sinne des § 22 AufenthG sind auch dann gegeben, wenn besondere Umstände des Einzelfalles eine Fortdauer der räumlichen Trennung der Angehörigen der Kernfamilie des Stammberechtigten mit Artikel 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG nicht länger vereinbar erscheinen lassen (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2020 - 1 C 30.19 - juris Rn. 49 m.w.N.). Auch gemessen daran fehlt es vorliegend bereits an der erforderlichen Sondersituation im Sinne von § 22 AufenthG, die eine Einreise der volljährigen Berufungsbeklagten zu ihrem volljährigen Bruder oder ihrer Mutter im Hinblick auf den grundrechtlichen Schutz der Familie nach Artikel 6 Abs. 1 GG dringend geboten erscheinen lässt. Insoweit ist auf die Wertungsentscheidung des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu verweisen, der einen Familiennachzug zu sonstigen Familienangehörigen, zu denen auch Geschwister und volljährige Kinder gehören, nur zulässt, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist, an der es vorliegend aus den dargelegten Gründen gerade fehlt.

Der Vortrag der Berufungsbeklagten, ein Nachzug nach § 22 AufenthG sei dringend geboten, weil es noch keine ausdrückliche gesetzliche Regelung für den Geschwisternachzug gebe, rechtfertigt schon deswegen keine andere Einschätzung, weil er § 36 Abs. 2 AufenthG unberücksichtigt lässt.

V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin hinsichtlich der Klägerin zu 2 rechtskräftig geworden. Insoweit hat die Beklagte die Kosten zu tragen. Die übrigen Kosten beider Rechtszüge tragen die Kläger zu 1 und zu 3 bis 6 als Gesamtschuldner. Da die Beigeladenen jeweils keinen Antrag gestellt haben, können ihnen keine Kosten auferlegt werden (§ 154 Abs. 3 VwGO), es entspricht daher der Billigkeit, ihnen keine Kostenerstattung zu gewähren (§ 162 Abs. 3 VwGO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

Rechtsmittelbelehrung

Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.

Die Beschwerde ist bei dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Hardenbergstraße 31, 10623 Berlin, innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung einzulegen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen.

Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist bei dem oben genannten Gericht schriftlich oder in der bezeichneten elektronischen Form einzureichen.

Rechtsanwälte, Behörden, juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie Vertretungsberechtigte, die über ein elektronisches Postfach nach § 55a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 VwGO verfügen, sind zur Übermittlung elektronischer Dokumente nach Maßgabe des § 55d VwGO verpflichtet.

Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschulen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. In Angelegenheiten, die ein gegenwärtiges oder früheres Beamten-, Richter-, Wehrpflicht-, Wehrdienst- oder Zivildienstverhältnis betreffen, und in Angelegenheiten, die in einem Zusammenhang mit einem gegenwärtigen oder früheren Arbeitsverhältnis von Arbeitnehmern im Sinne des § 5 des Arbeitsgerichtsgesetzes stehen einschließlich Prüfungsangelegenheiten, sind auch die in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nr. 5 VwGO bezeichneten Organisationen einschließlich der von ihnen gebildeten juristischen Personen gemäß § 67 Absatz 2 Satz 2 Nr. 7 VwGO als Bevollmächtigte zugelassen; sie müssen durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln. Ein als Bevollmächtigter zugelassener Beteiligter kann sich selbst vertreten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt vertreten lassen; das Beschäftigungsverhältnis kann auch zu einer anderen Behörde, juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einem der genannten Zusammenschlüsse bestehen. Richter dürfen als Bevollmächtigte nicht vor dem Gericht auftreten, dem sie angehören.