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Verlängerung einer Fiktionsbescheinigung im Sinne des § 81 Abs. 5 AufenthG, Beschwerde


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 6. Senat Entscheidungsdatum 20.08.2024
Aktenzeichen OVG 6 S 32/24 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2024:0820.OVG6S32.24.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 146 VwGO , § 24 AufenthG , § 58 Abs 2 Satz 2 AufenthG , § 81 Abs 3, Abs 5 AufenthG, § 84 Abs 2 Satz 1 AufenthG , § 59 Abs 7 AufenthV , Artikel 19 Abs 4 Satz 1 GG

Leitsatz

Die durch einen ablehnenden Bescheid erloschene Fiktionswirkung des § 81 Abs. 3 AufenthG lebt durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Versagung der Aufenthaltserlaubnis nicht wieder auf. Etwas anderes gilt auch nicht deshalb, weil die aufschiebende Wirkung von Widerspruch bzw. Klage gegen die ablehnende Bescheidung dazu führt, dass deren Vollziehbarkeit gehemmt ist (Anschluss an OVG Hamburg, Beschluss vom 17. Januar 2017 - 3 Bs 242/16 -, InfAuslR 2017, 144 f., juris Rn. 11; OVG Weimar, Beschluss vom 30. Mai 2023 - 4 EO 208/23 -, ThürVGRspr 2024, 24 ff., juris Rn. 22 ff.; OVG Greifswald, Beschluss vom 28. September 2010 - 2 M 138/10 -, juris Rn. 7; entgegen VGH Mannheim, Beschluss vom 11. Mai 2021 - 11 S 2891/20 -, VBlBW 2022, 370 ff., juris Rn. 14; VGH München, Beschluss vom 16. März 2009 - 10 CS 08.2871 -, InfAuslR 2009, 246 ff., juris Rn. 12; OVG Bremen, Beschluss vom 17. September 2010 - 1 B 140/10 -, juris Rn. 23).

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 8. Juli 2024 geändert. Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten für das erstinstanzliche Verfahren ohne Ratenzahlung bewilligt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten ohne Ratenzahlung bewilligt.

Der Antragsteller trägt die Kosten der Beschwerde.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antragsteller ist ukrainischer Staatsangehöriger. Seinen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 AufenthG lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 21. Dezember 2023 ab und zog seinen ukrainischen Nationalpass ein. Über die hiergegen gerichtete Klage - VG 30 K 158/24 - ist noch nicht entschieden. Auf entsprechenden Antrag des Antragstellers ordnete das Verwaltungsgericht Berlin mit Beschluss vom 23. April 2024 - VG 30 L 157/24 - die aufschiebende Wirkung der genannten Klage gegen den Ablehnungsbescheid des Antragsgegners an. Der Antragsgegner erteilte dem Antragsteller daraufhin eine Bescheinigung auf der Grundlage des § 59 Abs. 7 AufenthV.

Im vorliegenden Verfahren begehrt der Antragsteller, den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache entweder eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG oder alternativ eine sonstige Bescheinigung auszuhändigen, aus der sich ergibt, dass sein Aufenthalt rechtmäßig und die Beschäftigung erlaubt ist. Das Verwaltungsgericht hat diesen Antrag zurückgewiesen und den weiteren Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.

1. Die gegen die Ablehnung der einstweiligen Anordnung gerichtete Beschwerde hat unter Zugrundelegung der allein maßgeblichen Beschwerdebegründung (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) keinen Erfolg. Sie rechtfertigt keine Aufhebung oder Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses.

a) Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis gerichteten Klage durch den Beschluss vom 23. April 2024 zwar dazu führt, dass die nach § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG bestehende Ausreisepflicht vorläufig nicht mehr vollziehbar ist, sie zieht aber nicht das Aufleben der Fiktionswirkung des § 81 Abs. 3 AufenthG nach sich.

Der Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat, da er sich wegen der UkraineAufenthÜV rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielt (vgl. hierzu den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 23. April 2024 - VG 30 L 157/24 -), die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ausgelöst. Danach gilt der Aufenthalt im Bundesgebiet als erlaubt, allerdings nur bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde. Mit der Ablehnung des Erteilungsantrags ist die Fiktion eines rechtmäßigen Aufenthalts daher erloschen. Auch der Anspruch auf Erteilung einer Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG besteht nur, solange die Erlaubnisfiktion aus § 81 Abs. 3 AufenthG andauert. Der Widerspruch gegen die Ablehnungsentscheidung führt ebenso wenig wie die Suspendierung des Ablehnungsbescheides dazu, dass die erloschene Fiktion wiederauflebt (BVerwG, Urteile vom 22. Januar 2002 - 1 C 6.01 -, BVerwGE 115, 352, juris Rn. 21 und vom 1. Februar 2000 - 1 C 14.99 -, NVwZ-RR 2000, 540, juris Rn. 10; OVG Hamburg, Beschluss vom 17. Januar 2017 - 3 Bs 242/16 -, InfAuslR 2017, 144 f., juris Rn. 9; VGH München, Beschluss vom 18. September 2009 - 19 CE 09.2038 -, juris Rn. 3; OVG Bremen, Beschluss vom 17. September 2010 - 1 B 140/10 -, NordÖR 2010, 441, juris Rn. 23; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2008 - OVG 2 S 36.08 -, AuAS 2008, 184, juris Rn. 4). Wird die ablehnende Entscheidung später aufgehoben, kann die Fiktionswirkung nach § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG zwar erneut (und rückwirkend) eintreten (BVerwG, a.a.O., m.w.N.). Jenseits dieser Möglichkeit kommt ein Wiederaufleben der Fiktionswirkung jedoch nicht in Betracht. Insbesondere zieht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Versagung der Aufenthaltserlaubnis diese Folge nicht nach sich. Die gesetzlichen Regelungen sehen dies nicht vor.

Etwas anderes gilt auch nicht deshalb, weil die aufschiebende Wirkung von Widerspruch bzw. Klage gegen die ablehnende Bescheidung dazu führt, dass deren Vollziehbarkeit gehemmt ist. Die Vollziehungshemmung besagt lediglich, dass die Behörde für die Dauer des durch die Anfechtung des Verwaltungsakts herbeigeführten Schwebezustands alle Maßnahmen zu unterlassen hat, die als Vollziehung zu qualifizieren sind (BVerwG, Urteil vom 20. Januar 2016 - 9 C 1.15 -, BVerwGE 115, 68 ff., juris Rn. 12 m.w.N.). Der Wegfall der Fiktion nach § 81 Abs. 3 AufenthG ist jedoch keine behördliche Vollziehungsmaßnahme, sondern gesetzlich angeordnete Folge der ablehnenden Entscheidung. Der das Erlöschen der Fiktionswirkung auslösende ablehnende Bescheid selbst ist ebenfalls keine Vollziehungsmaßnahme, sondern bildet die Grundlage für eine anschließende Vollziehung. Es beruht demnach auf einer gesetzgeberischen Entscheidung, die Rechtsstellung desjenigen Ausländers, dessen Rechtsbehelf gegen einen die Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis betreffenden Ablehnungsbescheid aufschiebende Wirkung hat, anders auszugestalten als die Rechtsstellung eines Ausländers, dessen noch nicht beschiedener Erteilungs- oder Verlängerungsantrag gemäß § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG zunächst die Fiktionswirkung auslöst (OVG Hamburg, a.a.O., juris Rn. 11; OVG Weimar, Beschluss vom 30. Mai 2023 - 4 EO 208/23 -, ThürVGRspr 2024, 24 ff., juris Rn. 22 ff.; OVG Greifswald, Beschluss vom 28. September 2010 - 2 M 138/10 -, juris Rn. 7). Vor diesem Hintergrund überzeugt die in Teilen der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretene Auffassung, auf die sich auch der Antragsteller mit der Beschwerde beruft, nicht, wenn sie ausführt, aufgrund des Vollziehungsverbots dürften aus dem angefochtenen Verwaltungsakt während der Dauer der aufschiebenden Wirkung keine Rechtsfolgen gezogen werden, die dessen Vollziehung dienten (so VGH Mannheim, Beschluss vom 11. Mai 2021 - 11 S 2891/20 -, VBlBW 2022, 370 ff., juris Rn. 14; VGH München, Beschluss vom 16. März 2009 - 10 CS 08.2871 -, InfAuslR 2009, 246 ff., juris Rn. 12; OVG Bremen, Beschluss vom 17. September 2010 - 1 B 140/10 -, juris Rn. 23). Daher kann sich der Antragsteller auch nicht mit Erfolg auf den Gleichbehandlungsgrundsatz des Artikels 3 Abs. 1 GG i.V.m. der Verwaltungspraxis des Antragsgegners berufen, wonach allen ukrainischen Staatsangehörigen vorübergehend Schutz nach § 24 Abs. 1 AufenthG gewährt werde. Die Verwaltungspraxis bezieht sich nur auf Fälle, in denen (noch) keine ablehnende Entscheidung durch die Ausländerbehörde ergangen ist. Der weitere Einwand, auch im Allgemeinen Verwaltungsrecht bleibe ein belastender Verwaltungsakt bei Anordnung der aufschiebenden Wirkung bis zu seiner Aufhebung wirksam, weshalb sich nicht erschließe, warum aufgrund der Regelung des § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG für Ausländer etwas anderes gelten solle, geht an der Regelung in § 81 Abs. 3 AufenthG vorbei, wonach die Erlaubnisfiktion nur bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde gilt. Eine entsprechende Regelung fehlt im allgemeinen Verwaltungsrecht.

Auch mit Blick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes nach Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG ist kein anderes Ergebnis geboten. Die Möglichkeit, sich gegen die Ablehnung eines Antrags auf Verlängerung bzw. Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Wege einstweiligen Rechtsschutzes gerichtlich zur Wehr zu setzen, wird nicht dadurch in verfassungswidriger Weise beschränkt, dass der Gesetzgeber die Rechtsstellung des im Eilverfahren obsiegenden Ausländers anders ausgestaltet hat als desjenigen Ausländers, der (zunächst) in den Genuss einer Fiktion nach § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG kommt. Dass die Rechtsstellung des im Eilverfahren obsiegenden Ausländers in verfassungswidriger Weise unzureichend ist, wenn ihm in der Folge keine Fiktionsbescheinigung, sondern lediglich eine Duldung oder - wie hier - eine Bescheinigung nach § 59 Abs. 7 AufenthV ausgestellt wird, ist nicht ersichtlich. Es ist nicht dargelegt, dass es zur Wahrung der Effektivität des Rechtsschutzes einer vollständigen Wiederherstellung des früheren Rechtsstatus bedürfte oder das infolge der obsiegenden Eilentscheidung bestehende Abschiebungsverbot insoweit unzureichend wäre (OVG Hamburg, a.a.O., juris Rn. 112; OVG Greifswald, a.a.O., juris Rn. 8; OVG Weimar, a.a.O., juris Rn. 41).

b) In Ermangelung einer entsprechenden Rechtsgrundlage hat der Antragsteller auch keinen Anspruch darauf, eine andere als die ihm erteilte Bescheinigung zu erhalten.

Ohne Erfolg wendet er gegen die ihm ausgestellte Bescheinigung ein, diese ermögliche keinerlei Identifizierung, weil sie weder Lichtbild, noch Geburtsdaten noch Angaben zu seiner Nationalität enthalte. Der Antragsteller lässt außer Acht, dass die Bescheinigung nach § 59 Abs. 7 AufenthV die ihm vom Antragsgegner unter dem 7. August 2023 erteilte Bescheinigung (S. 148 der Ausländerakte) ergänzt. Diese enthält ein Lichtbild und weist auch die sonstigen der Identifikation des Antragstellers dienenden Angaben auf.

Soweit der Antragsteller gegen den Inhalt der ihm erteilten Bescheinigung einwendet, es handele sich nicht um ein Dokument nach § 59 Abs. 7 AufenthV, da gerade nicht bescheinigt worden sei, dass ein Aufenthaltstitel zum Zwecke der Beschäftigung als fortbestehend gelte, ist ihm entgegenzuhalten, dass die von ihm mit der Beschwerdebegründung vorgelegte Ablichtung der erteilten Bescheinigung dem in § 59 Abs. 7 AufenthV ausdrücklich aufgeführten Muster nach Anlage D11a der AufenthV entspricht. Wegen der darin enthaltenen Angaben hat das Verwaltungsgericht dargelegt, dass aus der Bescheinigung richtigerweise hervorgehe, dass der Antragsteller zur Ausreise verpflichtet, die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht derzeit aber entfallen sei.

Soweit der Antragsteller ausführt, das Verwaltungsgericht nehme zu Unrecht an, im Rahmen der Erlaubnisfiktion nach § 81 Abs. 3 AufenthG habe keine Beschäftigungserlaubnis bestanden und selbst bei Titelerteilung wäre aufgrund von § 24 Abs. 6 AufenthG eine Beschäftigung nicht erlaubt, rechtfertigt dies kein anderes Ergebnis. Dabei kann auf sich beruhen, ob der Einwand sachlich zutrifft. Er greift jedenfalls nur einen Teil der selbstständig tragenden Begründung des Verwaltungsgerichts auf, weshalb dem Antragsteller eine Beschäftigung nicht erlaubt sei. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, eine Beschäftigung sei dem Antragsteller gemäß § 4a Abs. 1 Satz 1 AufenthG in Ermangelung eines Aufenthaltstitels und nach § 4a Abs. 4 AufenthG i.V.m. § 32 BeschV in Ermangelung einer Duldung nicht erlaubt. Es sei nicht ersichtlich oder vorgetragen, dass der Antragsteller die Erteilung einer Duldung beantragt habe. § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG erfasse nur Fälle, in denen vor Erlass der ablehnenden Entscheidung ein Aufenthaltstitel bestanden habe, nach dem die Ausübung einer Erwerbstätigkeit zulässig gewesen sei. Das treffe auf den Antragsteller, der die erstmalige Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis beantragt habe, nicht zu.

c) Auf das Vorliegen eines Anordnungsgrundes kommt es vor dem dargelegten Hintergrund nicht (mehr) an.

2. Die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe durch das Verwaltungsgericht ist begründet. Das Verwaltungsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, die beabsichtigte Rechtsverfolgung habe erstinstanzlich keine hinreichende Aussicht auf Erfolg geboten (§ 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO). Vor dem Hintergrund der unter 1. a) dargelegten divergierenden obergerichtlichen Rechtsprechung zu den Folgen, die an die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis zu knüpfen sind, und dem Umstand, dass das erkennende Gericht, soweit ersichtlich, diese Frage noch nicht entschieden hat, hätten hinreichende Erfolgsaussichten nicht verneint werden dürfen. Der Antragsteller ist nach seinen von ihm dargelegten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen.

3. Aus den unter 2. genannten Gründen war auch dem Antrag auf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren stattzugeben.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 127 Abs. 4 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).