Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 7. Senat | Entscheidungsdatum | 16.07.2024 | |
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Aktenzeichen | OVG 7 A 7/24 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2024:0716.OVG7A7.24.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 6 Abs 1 BImSchG, § 9 Abs 2b FStrG , § 9 Abs 3 FStrG , § 2 EEG |
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 17. Juni 2021 verpflichtet, über den Antrag der Klägerin vom 14. April 2020 auf Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer Windenergieanlage des Typs Enercon E-138 EP3 E2 am Standort O_____, Gemarkung U_____, Flur , Flurstück , unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Klägerin wendet sich gegen die Versagung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für eine Windenergieanlage.
Die Klägerin plant auf dem Grundstück Gemarkung U_____, Flur , Flurstück in O_____ die Errichtung und den Betrieb einer Windenergieanlage im Verbund mit einem vorhandenen Windpark, bestehend aus neun Windenergieanlagen. Der Vorhabenstandort befindet sich südlich der Bundesautobahn A 12, die Berlin mit Frankfurt/Oder verbindet. In Fahrtrichtung Frankfurt/Oder folgt in einigen hundert Metern Entfernung die Raststätte G_____. Der vorhandene Windpark grenzt auf der Höhe der Raststätte südlich an diese an und erstreckt sich in westlicher Richtung mit zwei Windenergieanlagen etwa bis auf die Höhe des Ausfädelungsstreifens von der Autobahn zur Raststätte; die neue Windenergieanlage soll zwischen diesen beiden Bestandsanlagen errichtet werden.
Im Bundesverkehrswegeplan 2030 (Anlage 1 - Projektlisten Straßen, S. 100) ist für die A 12 in der Kategorie „Neue Vorhaben - Weiterer Bedarf mit Planungsrecht (WB*)“ ein Ausbau auf sechs Fahrstreifen avisiert. Im Projektinformationssystem (PRINS) zum Bundesverkehrswegeplan 2030 wird im Projektdossier zum Planungsstand festgehalten: „ohne Planungsbeginn seit 01.01.2014“. Die der Anmeldung zugrunde liegende Notwendigkeit des Projekts aus Sicht des Landes wird in dem Dossier unter anderem mit folgenden Stichworten umrissen: „Stärkung der verkehrlichen Verbindungen zwischen den europäischen und nationalen Metropolregionen und Städten“; „Erhöhung des unzureichenden Verkehrssicherheitsniveaus: Beseitigung Unfallhäufungen bedingt durch den überdurchschnittlich hohen SV-Anteil“; „Verringerung der häufigen Stauerscheinungen“. Das Fernstraßenausbaugesetz führt den Ausbau der A 12 mit dem Ziel einer Erweiterung auf sechs Fahrstreifen (E 6) und der Dringlichkeit „Weiterer Bedarf mit Planungsrecht“ in der Anlage 1 (Bedarfsplan für die Fernstraßen) auf (lfd. Nr. 434).
In Fahrtrichtung Frankfurt/Oder ist auf der A 12 ab der Anschlussstelle G_____ eine elektronische Verkehrsbeeinflussungsanlage installiert.
Im Juni 2016 reichte die Rechtsvorgängerin der Klägerin zu dem Vorhaben einen ersten Genehmigungsantrag ein, der sich auf eine Windenergieanlage des Typs Vestas V117 bezog (Nabenhöhe ca. 141,5 m zuzüglich 2 m Fundamenterhöhung, Rotordurchmesser 117 m, Gesamthöhe ca. 202 m, elektrische Nennleistung 3.450 kW). Der Standort der Anlage sollte sich in einem Abstand von ca. 110 m vom Fahrbahnrand der A 12 befinden (Turm); die Rotorblattspitzen hätten ca. 51 m an den Fahrbahnrand herangereicht.
Mit Bescheid vom 4. Januar 2018 lehnte der Beklagte den Antrag nach Beteiligung des Landesbetriebs Straßenwesen Brandenburg (im Folgenden: Landesbetrieb) ab. Das Vorhaben gefährde die Verkehrssicherheit auf der A 12. Auf eine hiergegen von der Klägerin erhobene Klage verpflichtete das Verwaltungsgericht Frankfurt/Oder den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides mit Urteil vom 19. Juni 2019 - VG 5 K 1030/18 -, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den Genehmigungsantrag zu entscheiden. Ein Antrag des Landesbetriebs auf Zulassung der Berufung blieb ohne Erfolg (ablehnender Beschluss des 3a. Senats des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. März 2023 - OVG 3a N 2/23 -). Im Laufe des Berufungszulassungsverfahrens hatte der Landesbetrieb zu den möglichen Auswirkungen des Vorhabens auf die A 12 ein verkehrspsychologisches Gutachten erstellen lassen („Fachgutachtliche Stellungnahme ‚Human Factors-Untersuchung zur Auswirkung des Bauvorhabens WEA 1 U_____ auf risikorelevante Merkmale der Straßengestalt‘“ vom 24. November 2019; Gutachterin: Dipl.-Psych. Dr. rer. nat. X_____).
Am 14. April 2020 reichte die Klägerin einen neuen Genehmigungsantrag für den Vorhabenstandort ein. Gegenstand des Antrags ist die Errichtung und der Betrieb einer Windenergieanlage des Typs Enercon E-138 EP3 E2 (Nabenhöhe 160 m, Rotordurchmesser 138 m, Gesamthöhe 229 m, elektrische Nennleistung 4.200 kW im Tagbetrieb und 380 kW im Nachtbetrieb). Aufgrund ihrer größeren Dimensionen würde die Anlage mit ihren Rotorblattspitzen nunmehr bis auf 41 m an die A 12 heranreichen. Zu den Antragsunterlagen gehört unter anderem ein Eisfallgutachten (vom 30. März 2020 mit ergänzender Stellungnahme vom 12. November 2020).
Der im Verwaltungsverfahren beteiligte Landesbetrieb versagte mit Schreiben vom 5. August 2020 auf der Grundlage von § 9 FStrG in der seinerzeit geltenden Fassung die Zustimmung zu dem Vorhaben. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, das Vorhaben gefährde die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auf der A 12. Durch den Standort, die Höhe und den Abstand zur Autobahn hebe sich das Vorhaben von den vorhandenen Windenergieanlagen deutlich ab. Die Bewegung der Rotorblätter entfalte eine ablenkende Wirkung. Weitere massive Wirkungen ergäben sich aus dem Schattenwurf und dem plötzlichen Schattenschlag der Rotorblätter. Zudem bestehe die Gefahr, dass Eisstücke von den Rotorblättern auf die Fahrbahn geraten könnten. Das herstellereigene Eiserkennungssystem, das nach den Antragsunterlagen verwendet werden solle, entspreche nicht dem Stand der Technik. Im Fall einer Havarie oder von Betriebsstörungen seien wegen des geringen Abstands zur Autobahn Auswirkungen auf den Verkehr zu erwarten. Außerdem sei die Anlage mit ihrer Größe dazu geeignet, von der Verkehrssituation in dem schwierigen Bereich mit Fahrstreifenwechseln abzulenken. Für die Orientierung der Fahrer, die über den Ausfädelungsstreifen die Raststätte ansteuern wollten, seien die wenige hundert Meter zuvor stehenden Verkehrszeichen von großer Bedeutung. Nebenbestimmungen könnten die negativen Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit nicht ausreichend abmildern.
Unter dem 10. Juni 2021 versagte auch das Fernstraßen-Bundesamt (im Folgenden: Bundesamt) die Zustimmung zur Genehmigungserteilung, wobei es sich den Ausführungen des Landesbetriebs im Schreiben vom 5. August 2020 anschloss.
Mit Bescheid vom 17. Juni 2021 lehnte der Beklagte den Genehmigungsantrag ab. Zur Begründung führte er unter weitgehend wortgleicher Wiederholung der Ausführungen des Landesbetriebs im Schreiben vom 5. August 2020 aus, nach Prüfung der Straßenverwaltung würde das Vorhaben die Sicherheit und Leichtigkeit des überregionalen Verkehrs auf der A 12 beeinträchtigen.
Am 13. Juli 2021 erhob die Klägerin gegen den Bescheid vom 17. Juni 2021 Widerspruch, über den bislang nicht entschieden wurde.
Am 23. August 2021 hat die Klägerin (Untätigkeits-)Klage erhoben.
Sie verweist auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt/Oder vom 19. Juni 2019 - VG 5 K 1030/18 -. Danach liege auch hier ein straßenrechtlicher Versagungsgrund im Sinne des § 9 Abs. 3 FStrG nicht vor. Insbesondere sei die Verkehrssicherheit auf der A 12 nicht gefährdet. Zum weiteren Nachweis überreicht die Klägerin ein von ihr in Auftrag gegebenes Gutachten der Fa. Q_____ Ingenieure in M_____ vom 31. August 2021 („Windpark U_____: Bewertung der Gefährdung der Bundesautobahn A12 durch den Betrieb einer Windenergieanlage vom Typ Enercon E-138 EP3 E2“) mit Ergänzung vom 11. Juli 2024. Etwaigen Gefährdungen könne jedenfalls durch Nebenbestimmungen entgegengewirkt werden. Im Übrigen stünden dem Vorhaben auch keine Ausbauabsichten entgegen. Die Aufnahme des Ausbaus der A 12 in den Bundesverkehrswegeplan sei zweifelhaft. Zudem sei nicht ersichtlich, dass ein sechsstreifiger Autobahnausbau dem Windenergievorhaben überhaupt entgegenstehen könne. Die Randbereiche von Autobahnen seien als Standorte für Windenergieanlagen besonders geeignet; die jüngsten Änderungen von § 9 FStrG bekräftigten dies. Demgemäß würden in anderen Bundesländern Windenergieanlagen im Nahbereich von Autobahnen zugelassen. Der Ausbau der Windenergie liege im überragenden öffentlichen Interesse. Die hier geplante Anlage könne den Strombedarf von mehreren Tausend Haushalten abdecken.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 17. Juni 2021 zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den Genehmigungsantrag der Klägerin vom 14. April 2020 zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist auf ihm gegenüber im Verfahren erfolgte Einlassungen des Bundesamtes, das sich seinerseits auf die Begründung des vom Landesbetrieb gestellten Berufungszulassungsantrags im Verfahren VG 5 K 1030/18 / OVG 3a N 2/23 bezieht. Darin hatte der Landesbetrieb im Einzelnen ausgeführt, dass aus seiner Sicht entgegen der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt/Oder eine Genehmigungserteilung im Hinblick auf alle drei in § 9 Abs. 3 FStrG genannten straßenrechtlichen Belange ausscheide (Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, Ausbauabsichten, Straßenbaugestaltung). Es sei bei dem Bundesamt amtsbekannt, dass durch Windenergieanlagen erhöhte Gefahrenpotenziale bestünden. Die Risikobewertung erfolge zurzeit nach Eintrittswahrscheinlichkeiten von Zwischenfällen pro Betriebsstunde bei bereits bestehenden Anlagen. Aufgrund der mangelnden Datenlage erfolge eine konservative Betrachtung, die auch einen Sicherheitszuschlag beinhalte. Das Q_____-Gutachten vom 31. August 2021 sei nach summarischer Prüfung keine valide Grundlage für eine sachgerechte Gefahrenbeurteilung. Die Berechnungen seien aus sich heraus nicht in jeder Hinsicht nachvollziehbar. Letztlich lasse das Gutachten auch eine spezifische Untersuchung des konkreten Verkehrsabschnitts vermissen. Demgegenüber sei aufgrund des identischen Standortes auf das verkehrspsychologische Gutachten vom 24. November 2019 zu verweisen.
Mit Beschluss vom 21. Mai 2024 hat der Senat eine zunächst erfolgte Beiladung des Bundesamtes vor dem Hintergrund der jüngsten Änderungen von § 9 FStrG wieder aufgehoben.
Der Beklagte hat in Reaktion auf die Änderungen von § 9 FStrG im Verfahren mitgeteilt, das Genehmigungsverfahren im Rahmen des Widerspruchsverfahrens wieder aufnehmen zu wollen. Eine Prüfung von weiteren durch die Klägerin in diesem Zusammenhang eingereichten Unterlagen hat der Beklagte dann jedoch abgelehnt, nachdem die Klägerin einem Ruhen des Klageverfahrens nicht zugestimmt hat.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Streitakte und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen, ferner auf die Streitakte des Verfahrens VG 5 K 1030/18 / OVG 3a N 2/23 nebst der dazu gehörigen Verwaltungsvorgänge; die genannten Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Die Klage hat Erfolg. Sie ist zulässig (1.) und begründet (2.).
1. Die als Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1, 2. Var. VwGO in der Sonderform der Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO) erhobene Klage ist zulässig.
Insbesondere kann sich die Klägerin mit ihrem Klagebegehren in statthafter Weise auf eine Verpflichtung des Beklagten zur bloßen Bescheidung ihres Genehmigungsantrags beschränken (Bescheidungsklage). Zwar ist das Gericht, sofern der Erlass des beantragten Verwaltungsaktes - wie bei einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung - nicht im Ermessen der Behörde steht, grundsätzlich verpflichtet, die Sache spruchreif zu machen (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Diese Verpflichtung entfällt jedoch in Fällen sog. „steckengebliebener Genehmigungsverfahren“, in denen ansonsten im Verwaltungsverfahren noch nicht abschließend behandelte komplexe Fragen erstmals im gerichtlichen Verfahren geprüft werden müssten (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 14. April 1989 - BVerwG 4 C 52.87 - juris Rn. 18; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. Juli 2023 - OVG 3a A 52/23 - juris Rn. 21 m.w.N.). So verhält es sich hier.
Die Beteiligten haben bislang hauptsächlich darüber gestritten, ob dem Vorhaben der Klägerin straßenrechtliche Belange gemäß § 9 Abs. 3 FStrG entgegenstehen. Eine weitergehende, abschließende Prüfung der sonstigen Genehmigungsvoraussetzungen im Verwaltungsverfahren ist ausweislich des Bescheides vom 17. Juni 2021 nicht mehr erfolgt. Vielmehr heißt es in der Begründung des Bescheides ausdrücklich, dass eine weitere immissionsschutzrechtliche Prüfung von im November 2020 eingereichten Ergänzungsunterlagen nicht mehr vorgenommen worden sei; außerdem stehe auch noch die Aktualisierung einer Stellungnahme der Gemeinsamen Oberen Luftfahrbehörde Berlin-Brandenburg aus. Im Laufe des Klageverfahrens hat sich an dem Verfahrensstand nicht grundlegend etwas geändert. Im Gegenteil, hat der Beklagte für die erneute Befassung mit dem Genehmigungsantrag im Rahmen der von ihm zwischenzeitlich wieder beabsichtigten Bearbeitung des Widerspruchs zuletzt umfängliche Ergänzungen bzw. Aktualisierungen der Antragsunterlagen als erforderlich angesehen; letztlich hat er es dann aber abgelehnt, erneut in die Prüfung einzutreten. Unabhängig davon wird eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung in der Regel nicht ohne zahlreiche Nebenbestimmungen erteilt. Für die Entscheidung, ob der Genehmigung diese oder jene häufig gleichermaßen geeignete Nebenbestimmung hinzuzufügen ist, sind dabei im Allgemeinen auch individuelle Einschätzungen und Zweckmäßigkeitserwägungen erheblich. Angesichts dessen ist das Gericht nicht gehalten, mithilfe von Sachverständigen ein Nebenbestimmungsprogramm zu entwickeln und die Sache auf diese Weise spruchreif zu machen (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 25. November 1997 - BVerwG 4 B 179.97 - juris Rn. 3; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. Juli 2023 - OVG 3a A 52/23 - juris Rn. 22 m.w.N.).
In die Zulässigkeit als Untätigkeitsklage ist die Klage jedenfalls gemäß § 14a BImSchG durch Zeitablauf „hineingewachsen“. Seit der im Juli 2021 erfolgten Einlegung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 17. Juni 2021 sind rund drei Jahre vergangen. Nach § 14a BImSchG ist die Anlagenbetreiberklage nach Ablauf von drei Monaten ohne Weiteres zulässig, ohne dass es darauf ankommt, ob ein zureichender Grund im Sinne des § 75 Satz 3 VwGO dafür vorliegt, dass über den Widerspruch noch nicht entschieden ist; insoweit modifiziert § 14a BImSchG die Vorschrift des § 75 VwGO (vgl. OVG Koblenz, Urteil vom 23. August 2023 - 8 C 10877/22.OVG - juris Rn. 60; Porsch, in: Schoch/Schneider [Hrsg.], Verwaltungsrecht, Stand: 45. EL Jan. 2024, § 75 VwGO Rn. 4a m.w.N.). Soweit der Beklagte zwischenzeitlich mitgeteilt hatte, das Genehmigungsverfahren im Rahmen des Widerspruchsverfahrens vor dem Hintergrund der jüngsten Änderungen von § 9 FStrG wieder aufnehmen zu wollen, kann das an der einmal eingetretenen Zulässigkeit der Untätigkeitsklage nichts ändern.
2. Die Bescheidungsklage ist auch begründet. Die Ablehnungsentscheidung im Bescheid vom 17. Juni 2021 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf erneute Entscheidung über ihren Genehmigungsantrag vom 14. April 2020 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO.
a. Maßgeblicher Zeitpunkt für die rechtliche Beurteilung des Windenergievorhabens durch den Senat ist der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. nur OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. Juni 2023 - OVG 3a A 30/23 - juris Rn. 26, 33; OVG Koblenz, Urteil vom 30. März 2023 - 1 C 10345/21.OVG - juris Rn. 46). Soweit streitentscheidend hier vor allem Bestimmungen des Bundesfernstraßengesetzes sind, ist dieses mithin in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. Juni 2007 (BGBl. I S. 1206) und den letzten, mit Wirkung zum 29. Dezember 2023 erfolgten Änderungen durch Gesetz vom 22. Dezember 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 409) anwendbar. Das gilt mangels einer abweichenden Übergangsregelung auch, soweit die Änderungen des Fernstraßengesetzes das Verfahrensrecht betreffen. Da mit dem Gesetz vom 22. Dezember 2023 zudem Änderungen im Fernstraßenausbaugesetz erfolgt sind, sind auch diese Änderungen zu berücksichtigen.
b. Rechtsgrundlage für die Erteilung der Genehmigung bzw. begehrte Neubescheidung des Genehmigungsantrags der Klägerin ist § 6 Abs. 1 BImSchG. Danach ist die immissionsschutzrechtliche Genehmigung zu erteilen, wenn 1. sichergestellt ist, dass die sich aus § 5 BImSchG und einer aufgrund des § 7 BImSchG erlassenen Rechtsverordnung ergebenden Pflichten erfüllt werden, und 2. andere öffentlich-rechtliche Vorschriften und Belange des Arbeitsschutzes der Errichtung und dem Betrieb der Anlage nicht entgegenstehen. Vorliegend ist die Genehmigungsfähigkeit in dem steckengebliebenen Genehmigungsverfahren allein am Maßstab der straßenrechtlichen Regelung in § 9 FStrG als Teil der „andere[n] öffentlich-rechtliche[n] Vorschriften“ im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG zu prüfen.
c. Nach der früheren, bis zum 28. Dezember 2023 geltenden Rechtslage bedurfte die Genehmigungserteilung gemäß § 9 Abs. 2 FStrG der Zustimmung des Bundesamtes, weil das Vorhaben der Klägerin längs einer Bundesautobahn in einer Entfernung von mehr als 40 m (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FStrG), aber nicht mehr als 100 m, gemessen vom äußeren Rand der befestigten Fahrbahn, errichtet werden soll (sog. Anbaubeschränkungs- oder erweiterte Schutzzone). Die Zustimmungsbedürftigkeit wurde schon dann ausgelöst, wenn einzelne Bauteile - wie hier die Rotorblätter der geplanten Windenergieanlage - in den Luftraum über dem Schutzstreifen ragen (vgl. OVG Münster, Urteil vom 28. August 2008 - 8 A 2138/06 - juris Rn. 177 ff. [zu § 25 Abs. 1 Nr. 1 StrWG NRW]; Agatz, Windenergie-Handbuch, 19. Ausgabe, März 2023, S. 309; Bender, in: Müller/Schulz [Hrsg.], FStrG, 3. Aufl. 2022, § 9 FStrG Rn. 50; Fechler/Operhalsky, BauR 2018, 758, 761). Nach der mit Wirkung vom 29. Dezember 2023 eingeführten Regelung in § 9 Abs. 2b Sätze 1 bis 3 FStrG ist das Zustimmungserfordernis zwischenzeitlich entfallen, weil § 9 Abs. 2 FStrG danach nicht mehr gilt für Windenergieanlagen, wenn nur deren Rotor in die Anbaubeschränkungszone hineinragt; die Genehmigungsbehörde hat in einem solchen Fall nunmehr lediglich noch eine Stellungnahme der obersten Landesstraßenbaubehörde und - bei Bundesfernstraßen in der Verwaltung des Bundes - des Bundesamtes einzuholen. Materiell-rechtlich sieht § 9 Abs. 2b Satz 5 FStrG vor, dass bei der Errichtung und dem Betrieb einer unter § 9 Abs. 2b Satz 1 FStrG fallenden Windenergieanlage die in § 9 Abs. 3 FStrG genannten Belange „zu beachten“ sind. Das Gleiche gilt nach der genannten Bestimmung jetzt ausdrücklich auch für die in § 2 EEG genannten Belange. Nach § 2 Satz 1 EEG liegen die Errichtung und der Betrieb unter anderem von Windenergieanlagen (als Einrichtungen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien; vgl. § 3 Nr. 1 EEG) im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Sicherheit. Nach § 2 Satz 2 EEG sollen, bis die Stromerzeugung im Bundesgebiet nahezu treibhausgasneutral ist, die erneuerbaren Energien als vorrangiger Belang in die jeweils durchzuführenden Schutzgüterabwägungen eingebracht werden (vgl. näher zu § 2 EEG nur OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. Juni 2023 - OVG 3a A 30/23 - juris Rn. 33 ff.; Benrath, DVBl. 2024, 403).
d. Die (fern-)straßenrechtlichen Voraussetzungen für die Erteilung der begehrten Genehmigung - gegebenenfalls unter Beifügung von Nebenbestimmungen zur Sicherung ihrer Erfüllung (vgl. § 9 Abs. 3 FStrG, § 12 Abs. 1 Satz 1 BImSchG und § 20 Abs. 2 Satz 1 9. BImSchV) - liegen vor. Straßenrechtliche Belange im Sinne des § 9 Abs. 3 FStrG stehen der geplanten Windenergieanlage nicht entgegen.
Gemäß § 9 Abs. 3 FStrG darf die Zustimmung nach § 9 Abs. 2 FStrG nur versagt oder mit Bedingungen und Auflagen erteilt werden, soweit dies wegen der Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs, der Ausbauabsichten oder der Straßenbaugestaltung nötig ist. Ob sich die Genehmigungsversagung hiernach als nötig erweist, ist eine Tat- und Rechtsfrage, die in vollem Umfang der gerichtlichen Prüfung und Entscheidung unterliegt; ein Beurteilungsspielraum oder Ermessen der Behörde besteht nicht (vgl. u.a. BVerwG, Urteil vom 28. Mai 1963 - BVerwG I C 247.58 - juris Rn. 30 f.; Bender, in: Müller/Schulz [Hrsg.], FStrG, 3. Aufl. 2022, § 9 FStrG Rn. 71; Maas, in: Kodal, Handbuch Straßenrecht, 8. Aufl. 2021, 28. Kap. Rn. 83). Für die Anwendung der neuen Regelung in § 9 Abs. 2b Satz 5 FStrG ist nichts anderes anzunehmen; auch insoweit verfügen die zuständigen Behörden also über keine Spielräume, die einer gerichtlichen Kontrolle entzogen wären. Im Übrigen dient das Beachtenserfordernis nach der Gesetzesbegründung zu § 9 Abs. 2b Satz 1 FStrG nur der Klarstellung (vgl. BT-Drs. 20/6879, S. 55).
Unbeschadet dessen geht der Senat davon aus, dass der Gesetzgeber mit dem neuen § 9 Abs. 2b FStrG eine gewisse Gewichtsverschiebung im Sinne einer weiteren Stärkung des für Windenergieanlagen geltenden Vorrangprinzips auch im fernstraßenrechtlichen Kontext vorgenommen hat (vgl. zum besonderen öffentlichen Interesse am beschleunigten Ausbau der Windenergie aus verfassungsrechtlicher Sicht z.B. auch BVerfG, Beschluss vom 23. März 2022 - 1 BvR 1187/17 - juris Rn. 103 ff.). Eine dahingehende Verlagerung der Akzente lässt sich tendenziell bereits dem in § 9 Abs. 2b Satz 1 FStrG vorgesehenen Wegfall des Zustimmungsbedürfnisses aus § 9 Abs. 2 FStrG für Windenergieanlagen entnehmen, bei denen nur der Rotor in die Anbaubeschränkungszone hineinragt. Abgesehen davon zeigt sich ein entsprechender Wille des Gesetzgebers klar in dem Verweis in § 9 Abs. 2b Satz 5 FStrG auf § 2 EEG nebst der dazu gehörigen Gesetzesbegründung. Darin heißt es (BT-Drs. 20/6879, S. 55) „Die Errichtung und der Betrieb von Anlagen (…) im Bereich der erneuerbaren Energien liegen im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Sicherheit (§ 2 Erneuerbare-Energien-Gesetz). Dies ist bei der Entscheidung zu berücksichtigen.“
aa. Die Genehmigungserteilung scheitert nicht an Ausbauabsichten (§ 9 Abs. 2b Satz 5 i.V.m. Abs. 3, 2. Var. FStrG).
Allerdings kann das - wie aber die Klägerin meint - nicht mehr ohne Weiteres darauf gestützt werden, es sei schon nicht ersichtlich, dass der im Bundesverkehrswegeplan 2030 avisierte sechsstreifige Ausbau der A 12 der geplanten Windenergieanlage überhaupt entgegenstehen könnte. Die Klägerin beruft sich insoweit auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt/Oder vom 19. Juni 2019 - VG 5 K 1030/18 -, das in Bezug auf die ursprünglich am Vorhabenstandort geplante Windenenergieanlage angenommen hatte, diese könne mit ihrem minimalen Abstand von ca. 51 m zum Fahrbahnrand durch den Ausbau der A 12 nicht in die Anbauverbotszone gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FStrG von 40 m „hineinrutschen“ (juris Rn. 33). Nachdem die streitbefangene Windenergieanlage aufgrund ihrer größeren Dimensionen einen minimalen Abstand zum Fahrbahnrand von 41 m aufweisen würde, erscheint ein solches „Hineinrutschen“ in die Anbauverbotszone nunmehr denkbar (abhängig von der konkreten Lage der Ausbauflächen). Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Verwaltungsgericht - wie der Landesbetrieb im Berufungszulassungsverfahren vorgebracht hatte - seinerzeit von einem unzutreffenden, nämlich zu großen Regelquerschnitt der A 12 ausgegangen war.
Die Ausbauabsichten haben jedoch keinen Planungsstand erreicht, der im Rahmen des § 9 Abs. 3 FStrG als beachtlich angesehen werden kann (vgl. tendenziell auch schon VG Frankfurt/Oder vom 19. Juni 2019 - VG 5 K 1030/18 - juris Rn. 32). Hierfür wäre erforderlich, dass die Ausbauabsichten so weitgehend konkretisiert sind, dass die reale Möglichkeit ihrer Durchführung besteht (Bender, in: Müller/Schulz [Hrsg.], FStrG, 3. Aufl. 2022, § 9 FStrG Rn. 69). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 10. Dezember 1979 - BVerwG 4 B 254.79 - juris Rn. 6) ist dies jedenfalls dann anzunehmen, wenn eine bereits „verfestigte Straßenplanung“ vorliegt (vgl. für diese Wendung aus jüngerer Zeit z.B. auch OVG Münster, Urteil vom 3. September 2018 - 11 A 2511/16 - juris Rn. 68). Davon ist immer dann auszugehen, wenn die Planunterlagen förmlich ausgelegt worden sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Dezember 1979 - BVerwG 4 B 254.79 - juris Rn. 6; ferner auch Bender, in: Müller/Schulz [Hrsg.], FStrG, 3. Aufl. 2022, § 9 FStrG Rn. 69, wonach Ausbauabsichten stets bestehen, wenn ein Planungsstand nach § 9 Abs. 4 FStrG erreicht ist; zur Problematik des Weiteren etwa VG Gelsenkirchen, Urteil vom 23. Mai 2019 - 8 K 774/17 - juris Rn. 129). Einer solchen Auslegung bedarf es aber nicht, wenn sich die Verfestigung der Planung schon aus anderen Anhaltspunkten ergibt. Das ist dann der Fall, wenn mehr als eine nur unverbindliche „Wunschplanung“ vorliegt, nämlich die hinreichend ernste Möglichkeit, dass die Planung wie vorgesehen ausgeführt wird. Dafür kann im Einzelfall etwa sprechen, dass sich die Planung bereits auf eine bestimmte Trassierung konkretisiert und die Billigung der zuständigen Behörden gefunden hat (BVerwG, Beschluss vom 10. Dezember 1979 - BVerwG 4 B 254.79 - juris Rn. 6; vgl. für die maßgeblichen Anforderungen an die Ausbauabsichten zusammenfassend etwa auch Grupp, in: Marschall, FStrG, 6. Aufl. 2012, § 9 Rn. 33; Maas, in: Kodal, Handbuch Straßenrecht, 8. Aufl. 2021, 28. Kap. Rn. 82 m.w.N.).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe haben die Ausbauabsichten bezüglich der A 12 noch keinen Konkretisierungsgrad erreicht, der die mit einer Genehmigungsversagung einhergehende Eigentumsbeschränkung rechtfertigen könnte. Als Projekt der Kategorie „Neue Vorhaben - Weiterer Bedarf mit Planungsrecht WB*“ fällt der Ausbau der A 12 nicht unter die Vorhaben, deren Umsetzung oder zumindest Beginn nach dem Bundesverkehrswegeplan 2030 noch in dessen Geltungszeitraum bis zum Jahr 2030 vorgesehen ist. Investitionsmittel für Projekte der genannten Kategorie werden „voraussichtlich“ erst nach 2030 zur Verfügung stehen (vgl. Bundesverkehrswegeplan 2030, S. 12). In der mündlichen Verhandlung haben die anwesenden Vertreter des Bundesamtes nochmals bestätigt, dass zwischenzeitlich keine erhöhte Dringlichkeitsstufe bestehe. Gleichermaßen bestehe der im Projektinformationssystem zum Bundesverkehrswegeplan 2030 festgestellte Planungsstand („ohne Planungsbeginn seit 01.01.2014“) aktuell unverändert fort. Ein verbindliches bzw. verfestigtes Planungsrecht gebe es zurzeit noch ebenso wenig wie eine konkrete Trassenplanung.
Dass die Erweiterung der A 12 auf sechs Fahrstreifen auch im Fernstraßenausbaugesetz bzw. in dessen Anlage 1 (Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen) genannt wird, rechtfertigt für sich genommen ebenfalls noch nicht die Annahme hinreichend konkreter Ausbauabsichten. Dem Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 4. Juli 2023 - BVerwG 9 A 5.22 - juris Rn. 16) zufolge handelt es sich bei der gesetzlichen Bedarfsplanung ungeachtet ihrer Verbindlichkeit hinsichtlich des festgestellten Verkehrsbedarfs um „eine verkehrspolitische Leitentscheidung auf einer der konkreten Planung weit vorgelagerten Ebene“. Jedenfalls dann, wenn ein Projekt - wie hier - lediglich mit niedriger Dringlichkeit in den Bedarfsplan eingestellt ist, kann aus der bloßen Erwähnung im Bedarfsplan nach der Auffassung des Senats noch nicht ohne Weiteres auf das Bestehen von Ausbauabsichten im Sinne des § 9 Abs. 3 FStrG geschlossen werden (pauschaler für die landesrechtliche Parallelregelung zu § 9 FStrG in § 24 BbgStrG aber Böttner, BbgStrG, 2. Aufl. 2019, Erl. zu § 24, S. 121; Jupe, Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht in Brandenburg, Bd. I, Loseblatt, Stand: 174. Lfg. Juni 2024, Kennzahl 13.00 Anm. 1.2.2).
Im Übrigen kann hier zur Überzeugung des Senats auch nicht außer Betracht bleiben, dass für das Windenergievorhaben der Klägerin die gesetzgeberische Wertung aus § 2 EEG (i.V.m. § 9 Abs. 2b Satz 5 FStrG) gilt, wonach der Ausbau der Windenergie im überragenden öffentlichen Interesse liegt. Für den Ausbau der A 12 schätzt der Gesetzgeber dies demgegenüber ausdrücklich nicht ebenso ein (vgl. § 1 Abs. 3 FStrAbG i.V.m. mit Anlage 2 zum Fernstraßenausbaugesetz). Jedenfalls die Prüfung unmittelbar nach § 9 Abs. 3 FStrG erschöpft sich indes nicht darin, das Bestehen von Ausbauabsichten festzustellen. Vielmehr ist nach der Regelung weiter zu prüfen, ob eine Zustimmungs- bzw. Genehmigungsversagung wegen der Ausbauabsichten „nötig“ ist. Das erfordert eine Abwägungsentscheidung. Für die Prüfung nach § 9 Abs. 2b Satz 5 i.V.m. Abs. 3 FStrG gilt nichts grundlegend anderes. Im Gegenteil, gibt § 9 Abs. 2b Satz 5 FStrG mit seiner Erwähnung nicht nur der Belange des § 9 Abs. 3 FStrG, sondern auch derjenigen des § 2 EEG sowie dem Erfordernis, dass diese Belange „zu beachten“ sind, umso mehr Anlass für eine Abwägung. Dies zugrunde gelegt wäre vorliegend selbst bei einer Bejahung von Ausbauabsichten nicht erkennbar, dass den Ausbauabsichten zwingend der Vorrang einzuräumen wäre. Etwas anderes könnte möglicherweise zwar dann anzunehmen sein, wenn schon jetzt absehbar wäre, dass im Rahmen der Planfeststellung nur eine Trassenfestlegung erfolgen könnte, die ein „Hineinwachsen“ der geplanten Windenergieanlage in die Anbauverbotszone unausweichlich machen würde, oder wenn die Trassenplanung erheblich erschwert würde. Nach dem Ergebnis des Klageverfahrens hat der Senat zu dieser Feststellung jedoch keinen Anlass. Auch die Vertreter des Beklagten und des Bundesamtes haben im Termin nichts Gegenteiliges behauptet, geschweige denn substantiiert dargetan.
bb. Dem Windenergievorhaben kann ferner nicht entgegengehalten werden, es gefährde oder beeinträchtige die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auf der A 12 (§ 9 Abs. 2b Satz 5 i.V.m. Abs. 3, 1. Var. FStrG).
Die straßenrechtliche Regelung über den Schutz der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs in § 9 Abs. 3, 1. Var. FStrG dient nicht allein der Abwehr von Gefahren im (engeren) polizei- und ordnungsrechtlichen Sinne. Zwar will die Vorschrift auch verhindern, dass im Einzelfall bereits bestehende Gefahren erhöht werden oder neue Gefahren entstehen und so die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts mindern. Sie geht jedoch über das Ziel der reinen Gefahrenabwehr hinaus, indem sie den „normalen“ Verkehrsablauf in den Blick nimmt und schützt, ohne dass etwa zwingend bereits die Wahrscheinlichkeit von Verkehrsunfällen bestehen muss; eine konkrete Verkehrsgefährdung ist nicht erforderlich. Der reibungslose und ungehinderte Verkehr soll ebenfalls sichergestellt werden. Es sind die Auswirkungen des Vorhabens auf die durchschnittlichen Verkehrsverhältnisse, die bestehende Gefahrensituation und den durchschnittlichen (im Unterschied zum ungeeigneten) Fahrer zu prüfen. Abzustellen ist darauf, ob nach den konkreten Gegebenheiten unter Beachtung der örtlichen Situation die nicht nur theoretische, sondern erkennbare Möglichkeit, nicht dagegen die unbedingte Gewissheit besteht, dass das Vorhaben nach seiner Lage, Größe und Art den Verkehrsablauf auf der Bundesfernstraße beeinträchtigt oder gefährdet (vgl. für die genannten Maßstäbe im Einzelnen u.a. BVerwG, Urteil vom 28. Mai 1963 - BVerwG I C 247.58 - juris Rn. 32 ff.; VGH München, Beschluss vom 25. Oktober 2011 - 15 ZB 10.2590 - juris Rn. 3 f.; OVG Münster, Urteil vom 8. Mai 2008 - 7 A 460/07 - juris Rn. 50; Bender, in: Müller/Schulz [Hrsg.], FStrG, 3. Aufl. 2022, § 9 FStrG Rn. 65 ff.; Maas, in: Kodal, Handbuch Straßenrecht, 8. Aufl. 2021, 28. Kap. Rn. 81).
Bei Windenergieanlagen kommen Beeinträchtigungen oder Gefährdungen der Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs vor allem aufgrund folgender Risiken in Betracht (vgl. z.B. OVG Münster, Urteil vom 28. August 2008 - 8 A 2138/06 - juris Rn. 193 ff.; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 23. Mai 2019 - 8 K 774/17 - juris Rn. 81; Fechler/Operhalsky, BauR 2018, 758, 762 ff.):
(1) Das Vorhaben der Klägerin lässt keine beachtlichen Beeinträchtigungen bzw. Gefährdungen des Verkehrsgeschehens auf der A 12 durch Eiswurf oder Eisfall erwarten, denen nicht zumindest durch geeignete Nebenbestimmungen in ausreichender Weise begegnet werden könnte.
Es entspricht der wohl überwiegenden Einschätzung in der Rechtsprechung und Literatur, dass die von Windenergieanlagen ausgehenden Risiken bei Eisbildung regelmäßig jedenfalls durch Nebenbestimmungen insbesondere zu geeigneten technischen Vorkehrungen auf ein verträgliches Maß reduziert werden können (vgl. z.B. VGH München, Beschluss vom 7. Oktober 2019 - 22 CS 19.1418 - juris Rn. 47 ff. [mit eingehender Darstellung und Würdigung der Funktionsweise eines Enercon-Eiserkennungssystems]; OVG Münster, Urteil vom 28. August 2008 - 8 A 2138/06 - juris Rn. 194 f.; VG Frankfurt/Oder, Urteil vom 19. Juni 2019 - 5 K 1030/18 - juris Rn. 47; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 23. Mai 2019 - 8 K 774/17 - juris Rn. 85 ff.; VG Würzburg, Urteil vom 20. Dezember 2016 - W 4 K 14.354 - juris Rn. 78 f.; Agatz, Windenergie-Handbuch, 19. Ausgabe, März 2023, S. 228 ff., 309 f.; Fechler/Operhalsky, BauR 2018, 758, 762 f.). Vor allem Regelungen zur Aus- oder Nachrüstung mit Eiserkennungssystemen bzw. einer Abschaltautomatik sowie einer Rotorblattheizung kommen insoweit in Betracht. Die Erlasslage in den Bundesländern spiegelt diese Beurteilung zum Teil wider (vgl. z.B. Nr. 3.5.4.3 des Niedersächsischen Windenergieerlasses vom 20. Juli 2021, Nds. MBl. Nr. 35/2021, 1398; Nr. 5.2.3.5 des Windenergie-Erlasses NRW vom 8. Mai 2018, MBl. NRW Nr. 12/2018, 257; s. für Brandenburg früher auch Nr. 4 b] cc] des Erlasses „Beteiligung der Straßenbauverwaltung im Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen durch die Baugenehmigungsbehörden“ vom 29. Mai 2009, ABl. Bbg Nr. 24/2009, 1191 [außer Kraft getreten am 24. Juni 2014]). Aus anderen Klageverfahren ist dem Senat bekannt, dass entsprechende Nebenbestimmungen auch in der Genehmigungspraxis des Beklagten verbreitet sind.
Nach der Gesetzesbegründung zu dem neuen § 9 Abs. 2b FStrG sieht der Gesetzgeber bei den unter die Regelung fallenden Windenergieanlagen in der Anbaubeschränkungszone die Möglichkeit, durch derartige Nebenbestimmungen auch den straßenrechtlichen Belangen des § 9 Abs. 3 FStrG Rechnung zu tragen. Als Beispiele für sicherzustellende Anforderungen nennt die Gesetzesbegründung neben Vorkehrungen gegen Kipp- oder Bruchgefahr sowie einzuhaltenden Wartungsintervallen ausdrücklich auch „Vorkehrungen gegen von der Windenergieanlage ausgehenden Eiswurf und -abfall“ (BT-Drs. 20/6879, S. 55). Wegen der hohen Bedeutung der im Schadensfall potenziell bedrohten Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit sowie der möglichen weitreichenden Auswirkungen von Schadensereignissen ist bei Anlagenstandorten in unmittelbarer Nähe zu mehr oder weniger stark frequentierten Straßen wie Bundesautobahnen gleichwohl ein besonderes Augenmerk auf die Prüfung zu legen, ob die Verkehrsteilnehmer beachtlichen Gefahren ausgesetzt werden. § 9 Abs. 2b FStrG führt weder zu einem „Automatismus“ der Genehmigungserteilung noch zu einer Erhöhung der Risikoakzeptanz. Maßgeblich sind die Umstände und die Risikoanalyse im Einzelfall.
Nach dem vorhandenen Tatsachenmaterial geht der Senat davon aus, dass sich beachtliche Gefahren durch Eiswurf oder Eisfall hier nicht feststellen lassen.
Das ergibt sich allerdings nicht schon ohne Weiteres aus dem von der Klägerin im Verwaltungsverfahren vorgelegten Eisfallgutachten vom 30. März 2020 (mit Ergänzung vom 12. November 2020). Darin kommen die Gutachter zwar zu dem Ergebnis, dass potenzielle Gefahren für den Menschen durch Eisfall als irrelevantes Restrisiko einzustufen seien; der Richtwert von 10-5 Todesfällen pro Jahr, definiert durch das dort angenommene Prinzip der minimalen endogenen Sterblichkeit, werde unterschritten (vgl. zum Risikoschwellenwert z.B. VGH München, Beschluss vom 7. Oktober 2019 - 22 CS 19.1418 - juris Rn. 63; VGH Kassel, Beschluss vom 26. September 2013 - 9 B 1674/13 - juris Rn. 24; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 23. Mai 2019 - 8 K 774/17 - juris Rn. 103 ff.; zusammenfassend Agatz, Windenergie-Handbuch, 19. Ausgabe, März 2023, S. 227). Der Senat vermag in dem Gutachten jedoch noch keinen in jeder Hinsicht plausiblen und nachvollziehbaren Nachweis dafür zu sehen, dass von dem Windenergievorhaben keine relevanten Risiken bei Eisbildung ausgehen.
Entscheidend hierfür ist vor allem, dass die Gutachter das Risiko eines Eiswurfs ausblenden, weil es aufgrund der von der Planung der Klägerin umfassten automatischen Eisabschaltung zu keinem Eiswurf im Leistungsbetrieb kommen könne. Das deckt sich nicht mit Erkenntnissen des Senats. Danach kann es auch bei einem Einsatz von Eiserkennungssystemen in einem bestimmten, wenn auch geringen Prozentsatz von Fällen durchaus zu unentdeckten Eisansätzen und damit zu Eiswurf kommen. So gibt etwa das Ingenieurbüro Q_____ in einer Studie aus dem Jahr 2020, die auch eine der Grundlagen für das im Auftrag der Klägerin erstellte Gutachten vom 31. August 2021 bildet, als Eintrittshäufigkeit von Eiswurf trotz eingesetzten Eiserkennungssystemen 1,2×10-3 Ereignisse pro Jahr an, wobei es einen „konservative[n] Wert von 98 % an erkannten Eisansätzen“ zugrunde legt (vgl. Gutachten 77919: Windenergieanlagen in Nähe von Schutzobjekten - Bestimmung von Mindestabständen, Ausgabe 12/2020, S. 40, 42; s. auch Agatz, Windenergie-Handbuch, 19. Ausgabe, März 2023, S. 229). Soweit bei den Eiserkennungssystemen in den letzten Jahren eine technische Entwicklung hin zu immer leistungsfähigeren und verlässlicheren Systemen stattgefunden hat, liegt die wesentliche Verbesserung bei den neueren Systemen vor allem darin, dass diese eine Eiserkennung auch bei stillstehenden Rotorblättern erlauben (vgl. Agatz, Windenergie-Handbuch, 19. Ausgabe, März 2023, S. 229). Ob mit den neueren Systemen vollkommen ausgeschlossen ist, dass ein Eisansatz im laufenden Betrieb unentdeckt bleibt, erscheint dem Senat zweifelhaft. Auch eine Rotorblattheizung kann dem Risiko des Eiswurfs nur begrenzt entgegenwirken. Denn bislang sind offenbar keine Rotorblattheizungen bekannt, die das Entstehen von Eisansatz vollständig verhindern können; mit ihnen soll nur das Entstehen von Eisansatz hinausgezögert und das Abtauen nach Eisabschaltung beschleunigt werden können (vgl. Agatz, Windenergie-Handbuch, 19. Ausgabe, März 2023, S. 230). Demgemäß heißt es auch in der mit den Antragsunterlagen eingereichten technischen Beschreibung zu der hier vorgesehenen Blattheizung: „Der frühzeitige Betrieb der Blattheizung bei laufender WEA kann die Bildung von Eis deutlich reduzieren, diese aber nicht ausschließen. Durch die Blattheizung angetautes Eis kann von der WEA herunterfallen oder abgeworfen werden.“ Dass jedenfalls das von der Klägerin vorgesehene Eiserkennungssystem das Risiko sowohl eines Eiswurfs als auch eines Eisfalls nicht vollständig ausschließen kann, räumt im Übrigen ausdrücklich auch die ebenfalls mit den Antragsunterlagen eingereichte technische Beschreibung zu dem Eiserkennungssystem ein.
Angesichts dessen kommt es nicht darauf an, ob das Eisfallgutachten einschließlich seiner Ergänzung vom 12. November 2020 überdies von unzutreffenden Zahlen bezüglich des Verkehrsaufkommens auf der A 12 ausgeht. Dieses hatte das Gutachten in seiner ursprünglichen Fassung ausgehend von der Verkehrsstärkenkarte 2010 des Landesbetriebs mit Stand vom Dezember 2012 mit im Schnitt 26.178 Kfz / Tag veranschlagt. Auf Intervention des Beklagten ist noch im Laufe des Verwaltungsverfahrens mit der ergänzenden Stellungnahme vom 12. November 2020 sodann eine neuerliche Risikoberechnung auf der Basis eines „worst case-Szenarios“ von 35.000 Kfz / Tag erfolgt. Im Ergebnis liege weiterhin keine Überschreitung des Richtwerts von 10-5 Todesfällen pro Jahr vor. Nach der Verkehrsstärkenkarte 2021 ergab die Verkehrszählung 2021 im maßgeblichen Streckenabschnitt der A 12 auf der Höhe von O_____ / U_____ (Abschnittsnr. ) einen Wert von 32.720 Kfz / Tag (davon 11.322 Schwerverkehr - 34,6 %). Als weitere Werte sind dort für den Bereich zwischen Fürstenwalde und Frankfurt/Oder Zahlen zwischen 24.391 Kfz / Tag (Abschnittsnr. 80) und 41.593 Kfz / Tag (Abschnittsnr. 30) genannt (bei Schwerverkehranteilen zwischen 30,8 und 46,8 %). Im Verwaltungsverfahren hatte der Landesbetrieb die maßgebliche Verkehrsstärke im Schreiben vom 5. August 2020 mit 40.000 Kfz / Tag angegeben. Mit dieser Zahl hat im laufenden Klageverfahren zuletzt auch nochmals das Bundesamt operiert.
Eine belastbare Risikoanalyse, nach der beachtliche Gefahren sowohl durch Eiswurf als auch durch Eisfall verlässlich ausgeschlossen werden können, ergibt sich zur Überzeugung des Senats jedoch aus dem Q_____-Gutachten vom 31. August 2021. Unter Heranziehung unter anderem der Daten aus der Verkehrszählung 2021 geht das Gutachten von einem Verkehrsaufkommen auf der A 12 von 40.950 Kfz / Tag aus (davon 12.326 Lkw). Hinsichtlich des maßgeblichen Sachverhalts legen die Gutachter ihren Berechnungen des Weiteren sieben Eistage pro Jahr zugrunde, wobei in technischer Hinsicht eine Ausstattung der geplanten Windenergieanlage mit zwei unabhängigen Eiserkennungssystemen (Enercon Kennlinienverfahren und fos4x) sowie einer Rotorblattheizung unterstellt wird. Außerdem werden verschiedene Windgeschwindigkeiten und Windrichtungen in die Berechnungen eingestellt. Als Grenzwert der zulässigen Eintrittswahrscheinlichkeit setzt das Gutachten in Übereinstimmung mit der oben bereits erwähnten früheren Studie des Ingenieurbüros aus dem Jahr 2020 1×10-6 Ereignisse pro Jahr an. Im Ergebnis liegen den Gutachtern zufolge die ermittelten Gefährdungen für das Schutzobjekt A 12 sowohl durch Eiswurf als auch durch Eisfall für die geplante Windenergieanlage unter diesem Grenzwert und werden somit als zulässig angesehen. Konkret beziffern die Gutachter die Gefährdungspotenziale für den Eiswurf mit 4,01×10-7 und für den Eisfall mit 1,78×10-8 Ereignissen pro Jahr.
Zusammen mit der früheren Studie von 2020, auf der das Gutachten vom 31. August 2021 aufbaut, erachtet der Senat das Gutachten insgesamt als plausible Einschätzung der Risiken, die von dem Windenergievorhaben bei Eisbildung ausgehen. Die Verkehrsstärke, mit der die Gutachter rechnen, stellt sich nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht als verfehlt dar. Mit den zugrunde gelegten sieben Eistagen bewegt sich das Gutachten noch oberhalb der Zahl von 6,2 Eistagen, mit der auf der Grundlage statistischer Daten aus den Jahren 1993 bis 2018 im Eisfallgutachten vom 30. März 2020 gerechnet worden war. Soweit die Vertreter des Bundesamtes die Richtigkeit dieser Annahme im Termin angezweifelt haben, ist ihr Einwand unsubstantiiert geblieben. Im Übrigen haben auch sie eingeräumt, dass den Risiken des Eiswurfs und Eisfalls nach ihrem jetzigen Erkenntnisstand voraussichtlich durch Nebenbestimmungen begegnet werden könne. Durchgreifende Bedenken gegen die Heranziehung, Aufbereitung und Auswertung des Datenmaterials sowie die Methodik der Risikoberechnung im Gutachten vom 31. August 2021 bestehen aus der Sicht des Senats nicht. Ähnliches gilt - soweit hier relevant - für die Studie von 2020, an die das Gutachten anknüpft.
(2) Dem Windenergievorhaben kann bei entsprechender Regulierung durch geeignete Nebenbestimmungen des Weiteren nicht entgegengehalten werden, dass es den Autobahnverkehr im Rahmen von Anlagenhavarien durch einen Turmbruch, herabstürzende Anlagenteile etc. gefährden könnte.
Ähnlich wie der Abwurf und Abfall von Eisfragmenten, sind auch Havarien bei Windenergieanlagen kein lediglich theoretisches Szenario, sondern kommen immer wieder vor. Das Oberverwaltungsgericht Münster hat in seinem Grundsatzurteil vom 28. August 2008 (- 8 A 2138/06 - juris Rn. 197 ff.) die Häufigkeit von Vorfällen mit herabfallenden Teilen etwa durch Rotorbruch oder Umsturz der Windenergieanlage in den Jahren 2000 bis 2003 in Deutschland im Durchschnitt mit etwa 0,04 % beziffert, wobei es in keinem der Fälle zu Personenschäden gekommen sei. Die Vorfälle hätten in der Mehrzahl auf mangelhaften Bauteilen oder fehlerhaften Reparaturarbeiten beruht. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung könne dieser Gefährdung im Einzelfall durch die Beifügung von Nebenbestimmungen angemessen begegnet werden. Dabei komme neben der Einrichtung einer Abschaltautomatik bei Unwuchtbetrieb auch die Verpflichtung des Betreibers zu regelmäßiger, fachkundiger Prüfung, Wartung und Kontrolle der Sicherheitseinrichtungen und der übertragungstechnischen Teile auf ihre Funktionstüchtigkeit bei Betrieb und Stillstand, der Rotorblätter auf Steifigkeit, auf die Beschaffenheit ihrer Oberfläche und auf Rissbildung in zeitlich überschaubaren Abständen in Betracht (vgl. hieran anknüpfend z.B. auch Fechler/Operhalsky, BauR 2018, 758, 763 f.). Eine aktuelle, quantitative Datenbasis, die Schadensfälle an Windenergieanlagen durch Rotorblattversagen, Gondelabwurf oder Einsturz der gesamten Anlage systematisch und wissenschaftlich fundiert erfasst, ist nicht bekannt. Aus älteren Datensammlungen sind aber - unter anderem auch von dem Ingenieurbüro Q_____ in der oben erwähnten Studie aus dem Jahr 2020 - verschiedentlich Schadenshäufigkeiten ermittelt worden, die angesichts der zwischenzeitlichen Verbesserungen der Konstruktion und Fertigungsqualität sowie der Steuerung und Sicherheitseinrichtungen von Windenergieanlagen zumeist als konservativ eingeschätzt werden (vgl. eingehend Agatz, Windenergie-Handbuch, 19. Ausgabe, März 2023, S. 226 ff.).
Im konkreten Fall der Klägerin hat das Ingenieurbüro Q_____ anknüpfend an die Studie von 2020 und die darin ermittelten Schadenshäufigkeiten im Gutachten vom 31. August 2021 über die bereits behandelten Risiken bei Eisbildung hinaus folgende weitere Gefährdungspotenziale für die A 12 untersucht und bewertet: (i) Abwurf eines Rotorblattes oder von Teilen davon; (ii) Abwurf eines Maschinenhauses; (iii) Turmbruch. Ihre Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Der Senat hat im Ergebnis des Klageverfahrens keine Veranlassung, die Einschätzungen der Gutachter als fehlerbehaftet bzw. nicht sachgerecht zu verwerfen. Das gilt zunächst für das Risiko eines vollständigen Bauwerkversagens (Turmbruch), das bei einem nach den einschlägigen Regeln der Bautechnik errichteten Bauwerk mit 1×10-6 Ereignissen pro Jahr vielfach auch sonst in den Bereich des technischen Restrisikos eingeordnet wird (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 15. März 2021 - BVerwG 4 B 16.20 - juris Rn. 26 [im Nachgang zu OVG Bautzen, Urteil vom 27. November 2019 - 4 C 18/18 - juris und mit Hinweis auf ein anderes Q_____-Gutachten von 2014]; s. auch Agatz, Windenergie-Handbuch, 19. Ausgabe, März 2023, S. 226, 311). Der Beklagte und das Bundesamt haben sich gegen die diesbezüglichen Ausführungen der Gutachter nicht gewandt. Gründe, aus denen den Feststellungen im Gutachten vom 31. August 2021 für das Schadensereignis des Turmbruchs nicht zu folgen sein sollte, sind für den Senat nicht ersichtlich. Aber auch bezüglich des Abwurfs eines Rotorblattes oder von Teilen davon sowie des Abwurfs des Maschinenhauses stellt sich dem Senat die Risikobewertung in dem Gutachten nicht als ungeeignet dar. Der Beklagte und das Bundesamt haben gegen die Risikobewertung keine hinreichend substantiierten Einwände erhoben, die die Ergebnisse der Gutachter ernsthaft erschüttern würden. Zwar haben die Vertreter des Bundesamtes im Termin zuletzt noch konkretere Zweifel daran geäußert, dass die von den Gutachtern zur Risikoverringerung vorgeschlagenen Sicherungsmaßnahmen (Verdichtung des Überwachungsintervalls, Reduzierung der Abregelungswindgeschwindigkeit) tatsächlich den ihnen im Gutachten beigemessenen Effekt hätten (für die theoretischen Grundlagen der Sicherungsmaßnahmen vgl. Gutachten 77919: Windenergieanlagen in Nähe von Schutzobjekten - Bestimmung von Mindestabständen, Ausgabe 12/2020, S. 91 ff.). Letztlich sind auch diese Zweifel aber weitgehend im Ungefähren und auf der Ebene bloßer Behauptungen geblieben (Auswirkungen einer quartalsweisen Wartung, Bewertung von „Spontanbrüchen“, Risikoreduktion der vorgeschlagenen Abregelung). Zudem könnte etwaig verbleibenden (Rest-)Zweifeln ebenfalls durch Nebenbestimmungen begegnet werden. Soweit das Bundesamt ein Havariekonzept vermisst, ist schon nicht erkennbar, inwiefern dies die Risikoanalyse der Gutachter berühren sollte.
Vorsorglich haben die Gutachter in der ergänzenden Stellungnahme vom 11. Juli 2024 im Übrigen nochmals eine Risikobewertung bei „prophylaktischer“ Erhöhung der durchschnittlichen täglichen Verkehrsdichte um 10.000 auf 50.950 Kfz vorgenommen. Demnach erhöhe sich die Schadenswahrscheinlichkeit zwar, bleibe aber unter dem Grenzwert von 1×10-6 Ereignissen pro Jahr, sofern die vorgeschlagenen Sicherungsmaßnahmen beibehalten würden.
(3) Belange der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs hindern die Vorhabengenehmigung auch nicht unter dem Gesichtspunkt optischer Beeinträchtigungen bzw. einer Ablenkungs- oder anderweitig psychologisch nachteiligen Wirkung der geplanten Windenergieanlage für die Verkehrsteilnehmer auf der A 12.
Etwas anderes lässt sich insbesondere nicht aus dem im Berufungszulassungsverfahren VG 5 K 1030/18 / OVG 3a N 2/23 vom Landesbetrieb eingeholten verkehrspsychologischen Gutachten vom 24. November 2019 ableiten. Das Gutachten betrifft eine andere Anlage. Der wesentliche Effekt, der der hinzutretenden Anlage zuzuschreiben sein sollte, bestand der Gutachterin zufolge in einer „optischen Täuschung“ (Distanztäuschung durch Entstehung einer konvergent auf die Fahrbahn zulaufenden Orientierungslinie aus drei Windenergieanlagen mit zwei abseits stehenden Anlagen); unabhängig von der Plausibilität dieser Einschätzung ist der angenommene Effekt durch die größere Dimensionierung der hier streitbefangenen Windenergieanlage im Vergleich zu der ursprünglichen geplanten Anlage durchgreifend infrage gestellt (u.a. größere Gesamthöhe von 229 m zu vormals 202 m und größerer Rotordurchmesser von 138 m zu vormals 117 m). Zu Recht hat der Klägervertreter im Termin auf die uneinheitliche Höhenstaffelung der verschiedenen Anlagen hingewiesen. Auch die Vertreter des Bundesamtes haben eingeräumt, dass dem verkehrspsychologischen Gutachten ein anderer Sachverhalt zugrunde liegt und sich seine Ergebnisse nicht ohne Weiteres auf den vorliegenden Fall übertragen lassen. Der Beklagte hat darauf verzichtet, ein erneutes verkehrspsychologisches Gutachten einzuholen. Der vorsorglich erfolgten Anregung des Senats aus der Ladungsverfügung, sich im Termin gegebenenfalls von der Gutachterin begleiten zu lassen, ist er ebenfalls nicht gefolgt.
Weitere Aufklärungsmaßnahmen von Amts wegen zu den psychologischen Wirkungen des Vorhabens der Klägerin auf die Verkehrsteilnehmer haben sich dem Senat nicht aufgedrängt. Das gilt auch für einen etwaigen (zusätzlichen) Ablenkungseffekt („Blickbindung“) der geplanten Windenergieanlage durch die sich bewegenden Rotorflügel und den Effekt (weiterer) über die Fahrbahn verlaufender Streifschatten. Schon das verkehrspsychologische Gutachten hat solche Effekte nicht verlässlich feststellen können, sondern insoweit auf die Nachweis- bzw. Ausschlussmöglichkeiten durch „experimentelle Versuchsanordnungen“ verwiesen. In der Rechtsprechung und Literatur wird eine von Windenergieanlagen ausgehende gefahrbegründende Ablenkungswirkung für Verkehrsteilnehmer vielfach bestritten (vgl. z.B. VG Frankfurt/Oder, Urteil vom 19. Juni 2019 - VG 5 K 1030/18 - juris Rn. 43; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 23. Mai 2019 - 8 K 774/17 - juris Rn. 114 ff.; Agatz, Windenergie-Handbuch, 19. Ausgabe, März 2023, S. 310; Fechler/Operhalsky, BauR 2018, 758, 764 f.). Angesichts der im Nahfeld bereits vorhandenen Windenergieanlagen müsste vorliegend jedenfalls ein beachtlicher Zusatz- bzw. Verstärkungseffekt durch die hinzutretende Anlage zu besorgen sein (Kumulation der blickbindenden Wirkungen). Für einen solchen Effekt fehlt es an greifbaren Anhaltspunkten. Für den (Zusatz-)Effekt durch das Auftreten weiterer Streifschatten gilt Entsprechendes (weitergehend, nämlich Verkehrsgefährdungen durch Schattenwurfereignisse u.a. wegen des Gewöhnungseffekts grundsätzlich verneinend, z.B. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 23. Mai 2019 - 8 K 774/17 - juris Rn. 127; Agatz, Windenergie-Handbuch, 19. Ausgabe, März 2023, S. 310; Fechler/Operhalsky, BauR 2018, 758, 764). Jedenfalls könnte einem entsprechenden Beeinträchtigungsrisiko ebenfalls mit einer Nebenbestimmung begegnet werden (vgl. VG Frankfurt/Oder, Urteil vom 19. Juni 2019 - VG 5 K 1030/18 - juris Rn. 48).
Lichtreflexionen können weithin durch die Verwendung nicht reflektierender Farben vermieden werden, die meist - und so auch hier - schon antragsgemäß erfolgt; ansonsten kommt gegebenenfalls auch insoweit eine Regulierung durch eine Nebenbestimmung in Betracht (vgl. u.a. OVG Schleswig, Urteil vom 28. Juni 2023 - 5 KS 20/21 - juris Rn. 33; VGH München, Urteil vom 10. Juli 2019 - 22 B 17.124 - juris Rn. 30; OVG Münster, Beschluss vom 6. Mai 2016 - 8 B 866/15 - juris Rn. 42; VG Frankfurt/Oder, Urteil vom 19. Juni 2019 - VG 5 K 1030/18 - juris Rn. 49; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 23. Mai 2019 - 8 K 774/17 - juris Rn. 113; Agatz, Windenergie-Handbuch, 19. Ausgabe, März 2023, S. 187; Fechler/Operhalsky, BauR 2018, 758, 764).
cc. Schließlich berührt das Windenergievorhaben auch die Straßenbaugestaltung auf der A 12 nicht in einer Weise, die die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens ausschließt (§ 9 Abs. 2b Satz 5 i.V.m. Abs. 3, 3. Var. FStrG). Insbesondere lässt sich nicht feststellen, dass das Vorhaben Funktionsbeeinträchtigungen der elektronischen Verkehrsbeeinflussungsanlage auf der A 12 erwarten lässt. Dass die Wirkung der Verkehrsbeeinflussungsanlage gerade durch die neu hinzutretende Windenergieanlage in dem Windpark ernsthaft gefährdet sein könnte, erscheint dem Senat wenig plausibel und ist durch nichts belegt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht nach § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
Rechtsmittelbelehrung
Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.
Die Beschwerde ist bei dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Hardenbergstraße 31, 10623 Berlin, innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung einzulegen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen.
Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist bei dem oben genannten Gericht schriftlich oder in der bezeichneten elektronischen Form einzureichen.
Rechtsanwälte, Behörden, juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie Vertretungsberechtigte, die über ein elektronisches Postfach nach § 55a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 VwGO verfügen, sind zur Übermittlung elektronischer Dokumente nach Maßgabe des § 55d VwGO verpflichtet.
Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschulen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. In Angelegenheiten, die ein gegenwärtiges oder früheres Beamten-, Richter-, Wehrpflicht-, Wehrdienst- oder Zivildienstverhältnis betreffen, und in Angelegenheiten, die in einem Zusammenhang mit einem gegenwärtigen oder früheren Arbeitsverhältnis von Arbeitnehmern im Sinne des § 5 des Arbeitsgerichtsgesetzes stehen einschließlich Prüfungsangelegenheiten, sind auch die in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nr. 5 VwGO bezeichneten Organisationen einschließlich der von ihnen gebildeten juristischen Personen gemäß § 67 Absatz 2 Satz 2 Nr. 7 VwGO als Bevollmächtigte zugelassen; sie müssen durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln. Ein als Bevollmächtigter zugelassener Beteiligter kann sich selbst vertreten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt vertreten lassen; das Beschäftigungsverhältnis kann auch zu einer anderen Behörde, juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einem der genannten Zusammenschlüsse bestehen. Richter dürfen als Bevollmächtigte nicht vor dem Gericht auftreten, dem sie angehören.