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Entscheidung 13 UF 115/24


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 4. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 23.08.2024
Aktenzeichen 13 UF 115/24 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2024:0823.13UF115.24.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

  1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Schwedt/Oder vom 19.07.2024 - 4 F 129/24 (2) - wird zurückgewiesen.

  2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.

  3. Der Wert des Beschwerdegegenstands wird auf 2.000 € festgesetzt.

Gründe

1. Der Antragsteller hat unter dem 09.05.2024 (Bl. 1) beantragt, im Wege der einstweiligen Anordnung die elterliche Sorge in Ansehung des Rechts zur Regelung der schulischen Angelegenheiten und der Anmeldung eines Hauptwohnsitzes, hilfsweise die diesbezüglichen Entscheidungsbefugnisse für das betroffene Kind, für das er und die Antragsgegnerin gemeinsam sorgeberechtigt sind, auf ihn allein zu übertragen.

Die Eltern streiten in einem Hauptsacheverfahren vor dem Amtsgericht Schwedt/Oder (4 F 144/23) über die Zuordnung der elterlichen Sorge. In jenem Verfahren ist nach Eingang eines schriftlichen Gutachtens der Sachverständigen Frau Dipl.-Psych. („Name 02“) vom 07.06.2024 eine mündliche Verhandlung für den 12.09.2024 anberaumt worden. Ein wesentlicher, die unterschiedlichen Auffassungen über („Name 01“)s zukünftigen Lebensmittelpunkt bestimmender Streitpunkt der Eltern betrifft den von der Mutter auch nach der im Juli 2021 erfolgten staatsanwaltschaftlichen Einstellung eines auf ihre Anzeige hin geführten Ermittlungsverfahrens (379 Js 20891/21) weiterhin geäußerten, vom Vater in Abrede gestellten Vorwurf, der Vater habe aufgrund bei ihm bestehender pädophiler Neigungen („Name 01“) als Kleinkind sexuell missbraucht. Die Sachverständige kommt in dem vom Senat aus dem Hauptsacheverfahren beigezogenen Gutachten vom 07.06.2024 zu der Einschätzung, dass die von der Mutter geäußerten Verdachtsmomente den von ihr gezogenen Rückschluss nicht zulassen (GA S. 68).

(„Name 01“) lebt seit rund 2,5 Jahren mit identischen Betreuungsanteilen in einem Übernachtungsrhythmus von 2-2-5-5- bei beiden Eltern und besuchte bislang die am Wohnort der Mutter gelegene Kita. Über die Grundschule, in die das Kind Anfang September 2024 eingeschult werden wird, sind sich die Eltern uneins; der Vater befürwortet die Einschulung in der an seinem Wohnort gelegenen Grundschule, die Mutter wünscht, dass („Name 01“) in der an ihrem Wohnort gelegenen Grundschule, an der sie selbst als Lehrerin tätig ist, eingeschult wird. An beiden Grundschulen ist („Name 01“) mittlerweile erfolgreich angemeldet worden.

Der Vater hat sich erstinstanzlich im wesentlichen darauf gestützt, dass („Name 01“) in der Grundschule, in der die Mutter tätig ist, mit den von ihr - auch gegenwärtig und gegenüber Dritten - geäußerten Vorwürfen eines erfolgten sexuellen Missbrauchs in kindeswohlschädlicher Weise konfrontiert werden könnte. Die Mutter hat sich darauf berufen, dass („Name 01“) die Grundschule, an der sie tätig ist, an einem Schnuppertag bereits kennengelernt und sich auf die dort bevorstehende Einschulung in eine nicht von ihr unterrichtete erste Klasse eingestellt habe. Sie habe die Vorwürfe, die sie gegen den Vater tatsächlich nach wie vor hege, nicht an der Grundschule verbreitet; die Kollegen wüssten nichts.

Das Amtsgericht hat („Name 01“) eine Verfahrensbeiständin bestellt (Bl. 7) und mit dem angefochtenen Beschluss vom 19.07.2024 (Bl. 45) nach persönlicher Anhörung aller erwachsenen Beteiligten und des Jugendamts sowie des Kindes im Beisein seiner Verfahrensbeiständin am 17.07.2024 (Bl. 41) im Wege der einstweiligen Anordnung die Entscheidungsbefugnisse zur Einschulung und zur polizeilichen Anmeldung des Kindes auf den Vater allein übertragen.

Dagegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde vom 26.07.2024 (Bl. 55) und einem Antrag vom 12.08.2024 (Bl. 78 der OLG Akte, im Folgenden: OLG) auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung. Sie macht im wesentlichen geltend, sich nur mit einigen wenigen Kollegen der Grundschule über die gerichtliche Auseinandersetzung mit dem Vater ausgetauscht zu haben. Sie habe ihren Kollegen weder negative Dinge über („Name 01“) noch über seinen Vater mitgeteilt. Im Übrigen hält sie das im Hauptsacheverfahren vorgelegte schriftliche Sachverständigengutachten vom 07.06.2024 für mängelbehaftet.

Der Antragsteller beantragt unter Hinweis auf die angefochtene Entscheidung die Zurückweisung der Beschwerde (Bl. 39 OLG).

Die Verfahrensbeiständin und das zuständige Jugendamt sprechen sich für die Aufrechterhaltung der angefochtenen Entscheidung aus (Bl. 76, 109).

2. Die nach §§ 57 Satz 2 Nr. 1, 58 ff. FamFG statthafte und zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist in der Sache nicht begründet. Das Amtsgericht hat zu Recht die Entscheidungsbefugnis für die Wahl der Grundschule und die für die Anmeldung in der ausgewählten Grundschule unerlässliche einwohnermelderechtliche Meldung auf den Antragsteller übertragen, da dies dem Kindeswohl am besten entspricht, §§ 1628, 1697a BGB.

Das Recht zur alleinigen Ausübung der Schulwahl fällt grundsätzlich ohne weiteres in den Anwendungsbereich des § 1628 BGB (Senat, B. v. 09.02.2022, 13 UF 156/21, juris; BeckOKG/Amend-Traut/Bongartz 1.6.2024, BGB § 1628 Rn. 34; MüKoBGB/Huber, 9. Aufl. 2024, BGB § 1628 Rn. 14; BeckOK BGB/Veit, 70. Ed. 1.1.2023, BGB § 1628 Rn. 9). Die Übertragung einer Entscheidungsbefugnis nach § 1628 BGB setzt grundsätzlich voraus, dass dem Elternstreit eine Angelegenheit der elterlichen Sorge zugrunde liegt, über die die Eltern einen punktuell-sachbezogenen Konflikt führen (BeckOGK/Amend-Traut/Bongartz BGB § 1628 Rn. 34), der einen konkreten situativen Bezug zu einem bestimmten Einzelfall hat (MüKoBGB/Huber BGB § 1628 Rn. 10). Streiten die Eltern - wie vorliegend - in der Sache zugleich über den zukünftigen Aufenthalt des Kindes und das Betreuungsmodell, ist regelmäßig eine Entscheidung am Maßstab des § 1671 BGB zu treffen, da über den Weg der Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis für die Schulwahl nach § 1628 BGB nicht ein Aufenthaltswechsel erstritten werden kann (Senat, B. v. 09.02.2022, 13 UF 156/21, juris; OLG Stuttgart, BeckRS 2018, 43543; OLG Koblenz, BeckRS 2018, 42038). Da jedoch vorliegend die Entscheidung über die Einschulung des Jungen zum Beginn des Schuljahrs 2024/2025 unmittelbar bevorsteht, die Auswahl der konkreten Schule nach § 1687 Abs. 1 Satz 1 BGB ein Einvernehmen beider sorgeberechtigter Eltern erfordert (KG BeckRS 2017, 144822; OLG Schleswig, NJW-RR 2011, 581; BeckOGK/Tillmanns, 1.3.2024, § 1687 BGB Rn. 24), mithin nicht von demjenigen Elternteil bewerkstelligt werden kann, dessen Haushalt das Kind einwohnermelderechtlich zugeordnet ist, besteht ein dringendes Regelungsbedürfnis für eine vorläufige Übertragung des Rechts zur Ausübung der Schulwahl auf einen Elternteil, so dass eine Entscheidung im Wege des § 1628 BGB erfolgen muss (vgl. Senat, B. v. 09.02.2022, 13 UF 156/21, juris; KG BeckRS 2017, 144822).

Maßstab für die aufgrund § 1628 BGB zu treffende Entscheidung ist das Kindeswohl, § 1697a BGB. Bei der Übertragung der Entscheidungsbefugnis für eine einzelne sorgerechtliche Angelegenheit trifft das Gericht keine eigene Sachentscheidung, sondern prüft nur, welche Auffassung welches Elternteils dem Kindeswohl am besten entspricht. Die Entscheidungsbefugnis ist auf den Elternteil zu übertragen, dessen Lösungsvorschlag dem Kindeswohl besser gerecht wird. Ob und inwiefern das Kindeswohl berührt ist, ist nach der Eigenart der zu regelnden Angelegenheit zu beurteilen, aus der sich auch die konkreten Anforderungen an die für die Entscheidung nach § 1628 BGB zu treffende Prüfung ergeben (BGH FamRZ 2017, 1057; Senat, B. v. 09.02.2022, 13 UF 156/21, juris; OLG Hamburg, NZFam 2021, 876; BeckOGK/Amend-Traut/Bongartz § 1628 BGB Rn. 58; BeckOK BGB/Veit § 1628 BGB Rn. 12). Dabei sind sämtliche relevanten Kriterien zu prüfen und gegeneinander abzuwägen. Bei der Entscheidung über die Wahl der Schule ist die Auswirkung der jeweiligen Schulwahl auf das soziale Umfeld des Kindes in die Erwägung mit einzubeziehen (BVerfG FamRZ 2003, 511; Senat, B. v. 09.02.2022, 13 UF 156/21, juris; OLG Hamburg, NZFam 2021, 876; Erman/Döll, 17. Aufl. 2023, § 1628 BGB Rn. 13a), insbesondere dann, wenn - wie vorliegend - das Schulkonzept kein entscheidendes Kriterium für die zwischen den Eltern streitige Frage ist, an welcher Schule die Einschulung für das Kind am besten ist (Senat, B. v. 09.02.2022, 13 UF 156/21, juris; KG BeckRS 2017, 144822).

Das Kindeswohl ist bei der Übertragung der Entscheidungsbefugnis für die Schulwahl auf den Antragsteller am besten gewahrt. In dem im Hauptsacheverfahren dem Amtsgericht vorgelegten Sachverständigengutachten vom 07.06.2024 kommt die Sachverständige mit - auch unter Berücksichtigung der von der Antragsgegnerin im hiesigen Beschwerdeverfahren dagegen vorgebrachten Beanstandungen - überzeugender Argumentation zum Ergebnis, dass („Name 01“)s Entwicklung nachhaltig Schaden nehmen könnte, wenn der Junge in seinem schulischen Umfeld mit der Frage konfrontiert würde, ob sein Vater sich ihm gegenüber eines Verbrechens schuldig gemacht hat oder seine Mutter dem Vater zu Unrecht eine solche Tat unterstellt (GA S. 29). Diese Einschätzung wird im Übrigen weder im Hauptsacheverfahren noch im hiesigen Verfahren von einem Beteiligten in Zweifel gezogen. Dass („Name 01“)s Einschulung von dem Elternstreit bestmöglich unbelastet bleiben sollte, und insbesondere im Rahmen der mit der Einschulung einhergehenden Eingewöhnung in ein neues soziales Umfeld nicht mit den von der Mutter gegen den Vater erhobenen Vorwürfen konfrontiert werden sollte, stellt auch die Antragsgegnerin nicht in Abrede.

Die Antragsgegnerin hat die vom Antragsteller nachvollziehbar ins Feld geführten Argumente dafür, dass die Wahrscheinlichkeit, dass („Name 01“) mit den von der Mutter gegen den Vater erhobenen Vorwürfen im Rahmen seiner Einschulung konfrontiert wird, an der Schule höher ist, an der die Antragsgegnerin tätig ist, als an einer anderen Grundschule, auch im Beschwerderechtszug nicht überzeugend entkräftet. Dabei kann dahinstehen, ob sie, wie sie vorträgt, in ihrem Kollegium nichts von ihren Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs verlautbart hat. Die Beharrlichkeit, mit der die Antragsgegnerin ungeachtet des Ergebnisses der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und des im Hauptsacheverfahren vorliegenden Sachverständigengutachtens vom 07.06.2024 an den Rückschlüssen festhält, aufgrund derer sie aus den von ihr wahrgenommenen Verdachtsmomenten einen stattgefundenen sexuellen Missbrauch ihres Sohns durch den Vater für erwiesen hält, lässt die vom Antragsteller befürchtete Weiterverbreitung derartiger Annahmen durch die Antragsgegnerin in ihrem Kollegenkreis nicht unwahrscheinlich erscheinen. Angesichts der von der Antragsgegnerin mit der Beschwerdeschrift vorgelegten Liste der Lehrkräfte der Grundschule, an der sie tätig ist, die mit ihrer Unterschrift bestätigen, sich mit der Antragsgegnerin nicht über ihre Beziehung mit dem Antragsteller ausgetauscht zu haben, kann nicht davon ausgegangen werden, dass diese Lehrkräfte - gerade durch den Umstand, dass sie die vorgelegte Erklärung unterschrieben haben - nicht zumindest Kenntnis von einer Auseinandersetzung zwischen („Name 01“)s Eltern haben. Dass das Lehrerkollegium der Schule, an der die Mutter tätig ist, aufgrund der Bitte um Erteilung der in Rede stehenden Unterschrift vom Bestehen eines ernstlichen, auf („Name 01“) ausstrahlenden Zerwürfnisses zwischen („Name 01“)s Eltern ausgeht, liegt jedenfalls nicht fern. Infolgedessen dient es ungeachtet der Frage, ob die Lehrkräfte der Grundschule, an der die Mutter tätig ist, von den gegen den Vater konkret erhobenen Vorwürfen eines sexuellen Missbrauchs Kenntnis haben, („Name 01“)s Wohl besser, an einer Grundschule eingeschult zu werden, an der jedenfalls die Wahrscheinlichkeit einer Belastung des Kindes durch bekannt gewordene oder nur gemutmaßte Einzelheiten des Elternstreits geringer ist, weil dort die Lehrkräfte jedenfalls nicht mit Umständen konfrontiert worden sind, die Mutmaßungen über einen heftigen Elternstreit nahelegen könnten.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Wertfestsetzung folgt aus §§ 41, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.

Diese Entscheidung ist mit Rechtsmitteln nicht angreifbar, § 70 Abs. 4 FamFG.