Gericht | OLG Brandenburg 2. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 22.07.2024 | |
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Aktenzeichen | 2 U 21/24 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2024:0722.2U21.24.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Die statthafte Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt sowie gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO begründet worden. Nach einstimmiger Überzeugung des Senats hat das Rechtsmittel aber offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.
Gegen die Abweisung der Klage ist nichts zu erinnern. Dem Kläger steht aufgrund des behaupteten Unfallereignisses vom 30. Mai 2021 ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte gem. § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG und § 10 Abs. 1 BbgStrG als der hier allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage nicht zu.
a) Der Beklagte ist unstreitig Straßenbaulastträger für die in Rede stehende Landesstraße, § 9a Abs. 1 Satz 1 BbgStrG, und als solcher verpflichtet, die Straßen in einem den regelmäßigen Verkehrsbedürfnissen genügenden Zustand zu unterhalten, § 9 Abs. 1 Satz 2 BbgStrG, bzw. jedenfalls auf einen nicht verkehrssicheren Zustand vorbehaltlich anderweitiger Maßnahmen der Straßenverkehrsbehörden durch Verkehrszeichen oder Verkehrseinrichtungen hinzuweisen, § 9 Abs. 2 BbgStrG.
Der Inhalt der Straßenverkehrssicherungspflicht geht dahin, die öffentlichen Verkehrsflächen – wie alle sonstigen einem Verkehr eröffneten Räume oder Sachen – möglichst gefahrlos zu gestalten und zu erhalten sowie im Rahmen des Zumutbaren alles zu tun, um den Gefahren zu begegnen, die den Verkehrsteilnehmern aus einem nicht ordnungsgemäßen Zustand der Verkehrsflächen drohen (BGH, Urteil vom 18. Dezember 1972 – III ZR 121/70, BGHZ 60, 54 = NJW 1973, 460). Das erfordert nicht, dass die Straße praktisch völlig gefahrlos sein muss. Das ist mit zumutbaren Mitteln nicht zu erreichen und kann deshalb von dem Verkehrssicherungspflichtigen nicht verlangt werden. Vielmehr muss sich auch der Straßenbenutzer den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen und die Straße so hinnehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbietet. Der Verkehrssicherungspflichtige muss dagegen in geeigneter und in objektiv zumutbarer Weise alle, aber auch nur diejenigen Gefahren ausräumen und erforderlichenfalls vor ihnen warnen, die für den Benutzer, der die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht erkennbar sind und auf die er sich nicht einzurichten vermag. Ob danach eine Straße in einem dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis entsprechenden Zustand ist, entscheidet sich im Einzelnen nach der allgemeinen Verkehrsauffassung. Art und Häufigkeit der Benutzung des Verkehrsweges und seine Bedeutung sind dabei zu berücksichtigen (Senat, Beschluss, vom 4. Oktober 2022 – 2 U 23/22 –, Rdnr. 6, Urteil vom 17. Juli 2012 – 2 U 56/11, DAR 2012, 578 = BeckRS 2012, 15693; vgl. weiter bei Reinert, in: Beck‘scher Online-Kommentar zum BGB, 70. Edition mit Stand 1. August 2023, § 839 BGB Rdnr. 70).
Hindernisse auf oder in der Fahrbahn sind grundsätzlich zu beseitigen, soweit sich aus ihnen Gefahren ergeben, die unvermutet sind und die Verkehrsteilnehmer nicht oder nicht ohne weiteres erkennen und auf die sie sich nicht rechtzeitig einrichten können (BGH, Urteil vom 5. Juli 2012 – III ZR 240/11 –, NVwZ-RR 2012, 831 = MDR 2012, 1088, Rdnr. 11). Das umfasst auch erhebliche Fahrbahnunebenheiten wie Schlaglöcher und Bodenwellen. Zwar muss jeder Verkehrsteilnehmer grundsätzlich mit Hindernissen auf der Fahrbahn rechnen und sich auf sie einstellen. Hierzu gehört für Fahrzeugführer, das Sichtfahrgebot nach § 3 StVO zu wahren, um Gefahrenstellen rechtzeitig zu erkennen und ihnen auszuweichen. Ein besonders schlechter Straßenzustand warnt dabei gewissermaßen vor sich selbst und muss daher nicht extra ausgewiesen werden (Senat, Urteil vom 13. Februar 2007 – 2 U 12/06 –, Rdnr. 16 f). Wo der Gesamtzustand einer Straße so schlecht ist, dass sie einem einzigen Schlagloch gleicht, wird kein Verkehrsteilnehmer mehr berechtigte Sicherheitserwartungen haben können. Der Verkehrssicherungspflichtige ist allerdings dann nicht vollständig entlastet, wenn die Gefahrenstelle zwar erkennbar ist, der konkrete Umfang aber für den Verkehrsteilnehmer nicht oder in der konkreten Situation nicht vollständig eingeschätzt werden kann (Rebler, Verkehrssicherungspflicht: Straßenzustand, Bauarbeiten, Bäume, ZfSch 2019, 185/187 f; Tassarek-Schröder/Rönsberg in: Rotermund/Krafft, Kommunales Haftungsrecht, 5. Auflage 2013, Kapitel I Rdnr. 598 f). Der Benutzer muss sich rechtzeitig auf die Gefahren einstellen können (BGH, Urteil vom 5. Juli 2012 – III ZR 240/11 –, NVwZ-RR 2012, 831 = MDR 2012, 1088, Rdnr. 11).
Das gilt grundsätzlich ebenso für Fahrradfahrer. Auch sie haben prinzipiell die öffentlichen Straßen und Wege so hinzunehmen, wie sie sich ihnen erkennbar darbieten, und müssen etwaigen erkennbaren Gefahren durch eine entsprechend vorsichtige Fahrweise Rechnung tragen (OLG Köln, Beschluss vom 14. September 2017 – 7 U 84/17 –, Rdnr. 5 m w. N.). Andererseits sind Fahrräder und andere Zweiräder konstruktionsbedingt instabiler als vierrädrige Kraftfahrzeuge. Sie geraten nicht nur mit den Rädern eher in Rillen von beispielsweise Ablaufrosten. Sie können auch durch Fahrbahnunebenheiten rascher das Gleichgewicht verlieren (vgl. Tassarek-Schröder/Rönsberg ebd. Rdnr. 623 = Rotermund/Krafft, Verkehrssicherungs- pflichten, 6. Auflage 2016, Rdnr. 145, unter Hinweis auf OLG Saarbrücken, Urteil vom 3. November 2009 – 4 U 185/09 –, BeckRS 2009, 29761 = DAR 2010, 23; BGH, Beschluss vom 14. Oktober 1982 – III ZR 174/81 –,NVwZ 1984, 133; siehe auch OLG Hamm, Urteil vom 19. April 1996 – 9 U 206/95 –, NZV 1996, 494; Urteil vom 23. April 2021 – I-11 U 119/20 –, RuS 2022, 47). Es ist freilich nicht der Zweck üblicher Straßen und damit Inhalt der allgemeinen Straßenbau- und -unterhaltungslast, dass diese jederzeit gefahrlos mit einem Rennrad und entsprechender Geschwindigkeit befahren werden können (OLG Köln, Beschluss vom 14. September 2017 – 7 U 84/17 –, Rdnr. 5 m. w. N.)
Die Rechtsprechung hat vor diesem Hintergrund die Verletzung der Straßenverkehrssicherungspflicht angenommen bei einer nicht erkennbaren und nicht gekennzeichneten Bodenwelle in einer Kurve, deretwegen Motorräder bei höheren Geschwindigkeiten als 80 km/h die Fahrbahnhaftung verlieren (OLG Hamm, Urteil vom 19. April 1996 – 9 U 206/95 –, NZV 1996, 494). Eine Pflichtverletzung verneint wurde bei geringfügigen Erhebungen von 2 bis 3 cm Höhe, die gefährlich nur sind für Motorräder, die im Grenzbereich des auch für Rennfahrer beherrschbaren Risikos fahren (OLG Celle, Urteil vom 7. März 2001 – 9 U 204/00 –, BeckRS 2001, 30166132). Leicht erkennbare Bodenwellen durch Wurzelaufbrüche von gut 3,5 cm auf einem Radweg außerhalb der geschlossenen Ortschaft wurden nicht als so gefahrenträchtig erachtet, dass eine Schädigung von Radfahrern naheliegend wäre (OLG Celle, Beschluss vom 20. Dezember 2011 – 8 U 226/11 –, Rdnr. 7), desgleichen ein erkennbares Schlagloch von 2 cm (OLG Braunschweig, Urteil vom 20. November 2002 – 3 U 47/02 – OLGR Braunschweig 2003, 166 = NVwZ-RR 2003, 755, Rdnr. 30 f) oder 4 cm Tiefe (OLG Stuttgart, Urteil vom 10. Juli 2013 – 4 U 26/13 –, Rdnr. 96). Auch ein Höhenunterschied in einer Fahrbahn von 4 cm zählte die Rechtsprechung zu den Unebenheiten, mit denen jeder Straßenbenutzer ohnehin rechnen müsse. Dies jedenfalls, wenn keine scharfe Kante vorliegt (OLG Hamm, Urteil vom 23. April 2021 – I-11 U 119/20 –, Rdnr. 15). Denn der absolute Höhenunterschied ist nicht allein entscheidend, auch die Form der Unebenheit ist maßgeblich. Daher können selbst höhere Bodenwellen, wenn sie hinreichend breit sind und daher nur allmählich ansteigen, auch bei einer letztlichen Höhe von fast 6 cm im Ergebnis ungefährlich sein (OLG Naumburg, Urteil vom 28. Juni 2013 – 10 U 5/12 –, Rdnr. 17; ähnlich OLG Stuttgart, Urteil vom 10. Juli 2013 – 4 U 26/13 –, Rdnr. 96; LG Bonn, Urteil vom 24. Juni 2020 – 1 O 410/19 –, Rdnr. 25), während ein Schlagloch dieser Tiefe je nach Gestaltung eine Gefahr darstellen kann (LG Aachen, Urteil vom 18. Dezember 2014 – 12 O 293/14 –, Rdnr. 19; abgeändert durch OLG Köln, Urteil vom 2. Juli 2015 – I 7 U 8/15 –, JurBüro 2016, 163). Prinzipiell ist stets mit naturbedingten Bodenunebenheiten und den sich daraus ergebenden Gefahrenquellen zu rechnen, soweit diese im zumutbaren Rahmen liegen. Besonders im Wurzelbereich von Bäumen gehören Erhebungen im Fahrbahnbelag hierzu (OLG Koblenz, Urteil vom 10. Januar 2001 – 1 U 881/99 –, NJW-RR 2001, 1392; OLG Hamm, Beschluss vom 9. Januar 2023 – I-11 U 58/22 –, VRS 145, 79; LG Aachen, Urteil vom 16. September 2014 – 12 O 12/14 –, Rdnr. 16; LG Bonn, Urteil vom 24. Juni 2020 – 1 O 410/19 –, Rdnr. 26).
b) Nach diesen Maßstäben hat der Beklagte seine Pflicht zur Verkehrssicherung nicht verletzt. Der Kläger befuhr keine speziell für Fahrräder – besonders Rennräder – hergerichtete und gewidmete Straße, sondern die allgemeine Landesstraße. Sie musste erkennbar nur dem generellen Sicherheitsbedürfnis der üblichen Verkehrsteilnehmer genügen. Hierzu gehören zwar auch Fahrradfahrer, wie nicht zuletzt der Wegweiser zu touristischen Radwegen zeigt. Das erfordert ein Abstellen von Gefahren, die besonders Radfahrern drohen, oder jedenfalls eine spezifische Warnung.
Die durch offene Landschaft und durch Wälder verlaufende Straße entsprach dem. Sie stellte sich allerdings nicht von vornherein und durchgängig als glatt und plan dar, sondern wies schon auf den ersten Blick teils Unebenheiten auf. Dass solche zu erwarten waren, wurde durch die unstreitig vorhandenen Verkehrszeichen 101 („Achtung Gefahrenstelle“) mit dem Zusatzzeichen 1007-34 („Straßenschäden“) noch einmal hinreichend deutlich gemacht. Die Verkehrsteilnehmer mussten und konnten sich hierauf durch eine dem Straßenzustand angepasste Geschwindigkeit einstellen. Das beinhaltet auch Radfahrer. Die eigentliche Bodenunebenheit war lediglich 4 cm hoch und nicht scharfkantig, wenn auch nur wenig breit und daher nicht sogleich erkennbar. Gleichwohl bedurfte es keines besonderen Hinweises. Die Bodenunebenheit lag noch in dem Bereich des bei dem allgemeinen Straßenzustand zu Erwartenden und stellte keine nicht vorherzusehende „Falle“ dar. Die besondere Gefährlichkeit der zweiten, augenscheinlich kleineren Bodenunebenheit erschließt sich auch dem Senat weiterhin nicht.
Und schließlich weist auch die auf dem Boden angebrachte farbige Kennzeichnung „4 cm“ nicht auf eine durch den Beklagten erkannten aber nicht beseitigten verkehrsunsicheren Zustand der Straße hin. Sie diente vielmehr – unstreitig – der Festlegung eines Ortes für die Entnahme eines 4 cm tiefen Bohrkerns für die Beprobung der Straßenoberfläche. Mit der zufälligerweise ebenfalls etwa 4 cm hohen Bodenunebenheit hat die Markierung nicht erkennbar etwas zu tun.
2. Der Senat ist des Weiteren einstimmig davon überzeugt, dass auch die übrigen Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO gegeben sind. Die vom Streitfall aufgeworfenen Rechtsfragen sind in der Rechtsprechung geklärt, sodass die vorliegende Sache keine grundsätzliche Bedeutung besitzt und eine Entscheidung des Senats weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. Ebenso wenig liegen besondere Gründe vor, aufgrund derer in der Berufungsinstanz eine mündliche Verhandlung angezeigt ist.