Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 08.09.2011 | |
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Aktenzeichen | L 3 U 259/06 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 9 Abs 1 SGB 7, § 56 SGB 7 |
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. August 2006 wird zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid vom 07. August 2007 wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitig ist die Gewährung von Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen der Folgen einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 3102 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) – Von Tieren auf den Menschen übertragbare Krankheiten -.
Der 1944 in U geborene Kläger war von Dezember 2000 bis zum Beginn der Arbeitsunfähigkeit am 05. November 2001 im Rahmen einer ABM-Maßnahme als Forstarbeiter beim Forstamt F beschäftigt. Nachdem er nach seinen Angaben bereits mehrfach Zeckenbisse im Rahmen dieser Tätigkeit erlitten hatte, wurde er am 25. Juli 2001 erneut gebissen – wo er gebissen wurde, ergibt sich aus den Akten nicht - und meldete diesen Biss erstmals beim Arbeitgeber (Unfallmeldung durch den Arbeitgeber vom 24. August 2001). Im Sommer 2001 hatten bei den B Forsten insgesamt 163 Mitarbeiter Zeckenbisse erlitten (Auskunft des Forstamts F vom 14. Mai 2002).
Wegen gesundheitlicher Beschwerden nach dem Biss wie Unwohlsein, Blähungen, Schmerzen im Ober- und Unterbauch, Schmerzen in den großen Gelenken, Kopfschmerzen, grippeähnlichen Beschwerden im Halsbereich und depressiver Verstimmung begab er sich am 08. August 2001 in Behandlung zu seinem Hausarzt P S. Eine Hautrötung im Bissbereich (Erythema migrans) lag nicht vor. In einer durch diesen eingeleiteten Borrelien-Serologie fanden sich im Suchtest (ELISA) keine IgG-Antikörper, jedoch erhöhte IgM-Antikörper, bestätigt im Immunblot (Westernblot) (Laborbefund des Instituts für M D – IMD - vom 14./16. August 2001). Der Kläger unterzog sich daraufhin einer 21-tägigen oralen Antibiotika-Therapie mit Doxycyclin, woraufhin die Beschwerden sich zunächst besserten. Bei Laborkontrollen im November 2001 und im Januar 2002 fand sich ein signifikanter Titer-Rückgang im IgM-ELISA und eine Reduktion des IgM-Bandenspektrums bzw. der Bandenstärke im Westernblot (Laborbefunde des IMD vom 22./26. November 2001 und 15./17. Januar 2002).
Vom 08. Januar bis zum 18. Januar 2002 befand sich der Kläger wegen fortbestehender abdomineller Beschwerden, Zustand nach erfolgreich therapierter Borrelieninfektion, Gelenkbeschwerden, Psoriasis, Bluthochdruck, Spondylolisthesis, Leberverfettung und Gallensteinen in teilstationärer Behandlung in der rheumatologischen Tagesklinik der C (Arztbrief vom 08. Januar 2002). In der Immundiagnostik fanden sich im ELISA keine IgG-Antikörper, jedoch sowohl im ELISA als auch im Blot waren IgM-Antikörper nachweisbar. Als Diagnose wurde unter anderem ein Zustand nach erfolgreich therapierter Borrelieninfektion genannt.
Vom 23. Januar bis zum 13. Mai 2002 wurde der Kläger im Universitätsklinikum B F u. a. wegen unspezifischer abdomineller Schmerzen, Gelenkschmerzen mit Exazerbation der bekannten Psoriasis poliklinisch mehrfach untersucht und behandelt (vgl. etwa Kurzepikrise vom 25. März 2002). Die Borrelienserologie war negativ (Befund vom 19./20. März 2002). Daneben wurden jedoch eine abgelaufene Hepatitis-A-Infektion (Virologiebefund vom 24. / 25. Januar 2002) sowie eine durchgemachte Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus (Virologiebefund vom 03. / 06. Mai 2002) nachgewiesen.
Am 08./11. April 2002 führte das IMD eine weitere Borrelienserologie durch, bei der wiederum keine Antikörper vom Typ IgG gefunden wurden. IgM wurde sowohl im ELISA als auch im Westernblot positiv getestet. Eine wesentliche Änderung gegenüber den Vorbefunden des IMD vom 22./26. November 2001 und 15./17. Januar 2002 fand sich aber nicht.
Vom 26. Juni 2002 bis zum 17. Juli 2002 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung im St. M-Krankenhaus, wo eine seropositive Neuroborreliose diagnostiziert wurde. Es wurde von einer längeren Beschwerdesymptomatik mit Gelenkschmerzen, Sensibilitätsstörungen sowie Konzentrationsschwächen berichtet. Es wurde eine dreiwöchige intravenöse Antibiotikatherapie mit Claforan® mit der Folge einer deutlichen Besserung der Beschwerdesymptomatik durchgeführt (Kurzepikrise vom 17. Juli 2002 und Entlassungsbericht vom 22. August 2002).
Am 26./27. August 2002 waren Antikörper gegen Borrelia burgdorferi vom Typ IgM sowohl im Such- als auch im Bestätigungstest (ELISA und Blot) nachweisbar, vom Typ IgG jedoch nicht (Befund des Labor ).
Am 08./09. Januar 2003 wies das IMD erneut Antikörper vom Typ IgM sowohl im Such- als auch im Bestätigungstest (ELISA und Westernblot) bei gleich bleibendem Bandenspektrum nach. IgG wurde negativ getestet.
Im Rahmen ihres Ermittlungsverfahrens zog die Beklagte zunächst einen ausführlichen Krankheitsbericht des Hausarztes S vom 20. Februar 2002 sowie ein Vorerkrankungsverzeichnis der AOK Berlin bei. Aus letzterem ergaben sich aus der Zeit vor dem Biss lediglich Krankheitszeiten wegen nichtinfektiöser Gastroenteritis und Kolitis sowie wegen grippalen Infekten und Hypertonie. Anschließend veranlasste die Beklagte die Untersuchung des Klägers und Erstellung eines Zusammenhangsgutachtens durch den Internisten Prof. Dr. H. Bei der Untersuchung durch Prof. Dr. H am 24. Februar 2003 klagte der Kläger über Schmerzen in den großen Gelenken, insbesondere in den Hüftgelenken, über Blähungen, Verstopfung und Verstimmungszustände. Borrelien-Antikörper sowohl vom IgG-Typ als auch vom IgM-Typ wurden im ELISA negativ getestet, ein Bestätigungstest daher nicht angeschlossen. Prof. Dr. H gelangte zu dem Schluss, bei dem Kläger bestehe ein Zustand nach früher abgelaufener Borrelieninfektion. Er fand eine Psoriasis vulgaris, jedoch keine Zeichen einer Acrodermatitis chronica atrophicans (ACA). Sensibilitätsstörungen bestanden ebenfalls nicht. Hinweise auf eine entzündliche Reaktivität waren nicht aufzufinden. Die Befunde sprächen für eine ausgeheilte Borrelieninfektion, es bestünden keine Körperschäden, die ursächlich auf den Zeckenbiss vom 25. Juli 2001 zurückzuführen seien.
Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 03. Juni 2003 die Gewährung von Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 25. Juli 2001 ab. Folge des Arbeitsunfalls sei eine „ausgeheilte Borrelieninfektion nach Zeckenbiss“. Eine messbare Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei nach Einschätzung des Gutachters nicht verblieben. Definitive, objektivierbare Körperschäden, die ursächlich auf das Unfallereignis zurückzuführen seien, bestünden nicht. Der hiergegen gerichtete Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 2003 zurückgewiesen.
Seine auf Gewährung von Verletztenrente gerichtete Klage vor dem Sozialgericht (SG) Berlin hat der Kläger unter Verweis auf einen Lymphozytentransformationstest – LTT-Borrelien – des IMD vom 14./22. Mai 2003, wonach eine gering aktive Borrelieninfektion für möglich gehalten wurde, begründet. Außerdem hat er ein Attest des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie K vom 01. Dezember 2003 und einen Entlassungsbericht des M-Krankenhauses in C/U vom 03. September 2004 vorgelegt, wo er sich vom 30. August bis zum 03. September 2004 in stationärer Behandlung (Diagnose: Lyme-Krankheit) befunden hatte. Wegen einer im Mai 2004 festgestellten Chlamydien-Infektion sei eine Behandlung mit Klacid [Anm.: Antibiotikum mit dem Wirkstoff Clarithromycin] angeordnet worden. Nach neurologischer Untersuchung vom 30. August 2004 sei eine sensomotorische Polyneuropathie mit axonaler Schädigung mit Betonung auf den Nerven der unteren Gliedmaßen und mit radikulärer Leitverzögerung festzustellen. Im EEG habe sich eine leichte intermittierende Funktionsstörung beidseitig frontal, links temporal gezeigt. Die polyradikuläre Leitstörung sei vorrangig kennzeichnend für eine Neuroborreliose. Darüber hinaus sei eine Major Depression nachgewiesen.
Das SG hat zunächst Befundberichte des behandelnden Allgemeinmediziners Dr. K vom 07./08. Januar 2004 (Diagnosen unter anderem: Neuroborreliose und reaktive Depression) einschließlich weiterer LTT-Ergebnisse des IMD vom 08./17. Januar 2003 und 05./12. Dezember 2003 sowie des behandelnden Hausarztes S vom 09. Juni 2004 eingeholt. Außerdem hat das SG eine ergänzende Stellungnahme des Dr. K vom 04. Februar 2005 veranlasst, welcher ein weiteres LTT-Ergebnis vom 14./21. Januar 2005 und eine Borrelienserologie (ELISA und Blot) des IMD vom selben Tag beigefügt worden ist. Die Ergebnisse in ELISA und Blot waren weitgehend unverändert zu den Voruntersuchungen.
Vom 21. Oktober bis zum 03. November 2004 hat sich der Kläger erneut in stationärer Behandlung im M-Krankenhaus in U befunden. Im Entlassungsbericht vom 03. November 2004 ist von einer bereits im Juli 2004 durchgeführten negativen Borrelienserologie (IgG) im Liquor berichtet worden. Wegen der Möglichkeit einer Neuroborreliose ist ab dem 21. Oktober 2004 eine 14tägige parenterale Ceftriaxon-Therapie (Rocephin®) durchgeführt worden. Nach Angaben des Klägers ist er anschließend in U mit Klacid® therapiert worden.
Im Januar 2005 ist im Gefolge des LTT vom 14./22. Januar 2005 eine erneute antibiotische Therapie intravenös mit Roxithromycin (Rulid®) und Cotrim forte® erfolgt (vgl. Stellungnahme des Dr. K vom 04. Februar 2005 und S. 27 des Gutachtens von Dr. B vom 12. März 2006), die im Mai 2005 in U wiederholt worden ist (vgl. Gutachten Dr. B).
Sodann hat das SG den Internisten PD Dr. B mit der Untersuchung und Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Die von ihm durchgeführte Borrelienserologie vom 10. November 2005 hat negative Ergebnisse (IgG negativ, IgM im ELISA fraglich positiv, im Westernblot negativ) erbracht. Daneben ist jedoch abermals eine zurückliegende Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus nachgewiesen worden. Eine ACA ist ebenso wenig befundet worden wie Sensibilitätsstörungen. Er ist dann in seinem Gutachten vom 12. März 2006 zu dem Schluss gelangt, die Infektion mit Borrelia burgdorferi sei aufgrund der Borrelienserologie des IMD vom 14./16. August 2001 (Borrelien-IgM-Antikörper sowohl im ELISA als auch im Westernblot) und der gemäß der Angaben des Klägers nach dem Biss aufgetretenen Beschwerden wie starke Blähungen, Auftreibung des Bauches, Verstopfung, zeitweise Anschwellen des linken Knöchels und des linken Kniegelenks, Schmerzen in der rechten Schulter und im rechten Arm mit Ausstrahlung bis in die Hand sowie mit Zuckungen, als ob Schwachstrom durchlaufe, Kribbeln und Stechen im Nackenbereich der Halswirbelsäule sowie periodisches Zucken in Wange und Kinnbereich für etwa 2 Minuten nachgewiesen. Aufgrund des weiteren Verlaufs und der generellen Variabilität des natürlichen Krankheitsverlaufs sei anzunehmen, dass sich bis zum Beginn der Behandlung mit Doxycyclin bereits das disseminierte Stadium II bis III der Erkrankung beim Kläger gebildet hatte. Die Einleitung der Antibiotika-Therapie habe dann die Bildung von Antikörpern des Typs IgG unterdrückt. Bei der Annahme eines Stadiums II oder III bei Einsetzen der Doxycyclin-Therapie sei diese mit 21 Tagen zu kurz gewesen und hätte außerdem anstatt mit Doxycyclin besser mit Ceftriaxon durchgeführt werden sollen. Die nach Klägerangaben nach dem Zeckenbiss erstmals aufgetretenen Beschwerden in Form von Arthralgien, Myalgien, depressivem Syndrom, ständiger Müdigkeit, Vergesslichkeit, Konzentrationsstörungen, sensomotorischer Polyneuropathie mit axonaler Schädigung, abdominellen Beschwerden seien i. S. einer Lyme-Borreliose bzw. eines Post-Lyme-Syndroms zu interpretieren. Die Diagnose basiere auf den charakteristischen klinischen Befunden, auf der Anamnese sowie der nachgewiesenen Antikörperbildung. Andere Ursachen für die Beschwerden des Klägers seien nicht erkennbar. Der negative Liquorbefund aus Ungarn spreche nicht gegen eine Neuroborreliose. Auch könnten angesichts der wechselnden Serologieergebnisse keine diagnostischen Schlüsse auf die Ausheilung der Erkrankung gezogen werden. Die verschiedenen Tests seien nur bedingt vergleichbar, da die qualitativen und quantitativen Ergebnisse herstellerabhängig seien. Der LTT stelle allerdings kein zugelassenes verlässliches Testverfahren dar und sei daher hier nicht zu berücksichtigen. Die MdE sei mit 20 v. H. anzusetzen.
Die Beklagte ist dem entgegen getreten und hat eingewandt, die Frage des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Gesundheitsstörungen (Befunde) und spezifischen Unfallfolgen (Vorliegen einer zeckenbissbedingten Lyme-Krankheit) werde vom Gutachter zirkelschlüssig beantwortet. Ob die von ihm aufgezeigte Möglichkeit, dass es trotz hochwirksamer Therapie in den Stadien II und III zu einem Fortschreiten der Lyme-Erkrankung kommen könne, hier schon zu einer Wahrscheinlichkeit gereift sei, sei fraglich. Wenig plausibel seien insbesondere die Ausführungen auf psychiatrischem Gebiet. Generell seien die Kausalitätsfragen depressiver Erkrankungen schwierig zu beantworten. Was Ursache und was Folge einer Depression sei, könne nach den verschiedensten Depressionsmodellen kaum voneinander abgegrenzt werden. Umso erstaunlicher sei es, dass der Sachverständige ein „depressives Syndrom“ klar als Unfallfolge im Sinne einer erstmaligen Entstehung benenne.
Das SG hat ein weiteres Vorerkrankungsverzeichnis von der AOK Berlin eingeholt und sodann mit Urteil vom 17. August 2006 die auf Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen der BK Nr. 3102 der Anlage zur BKV, hilfsweise wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 25. Juli 2001 gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die zum Hauptantrag erhobene Klage sei unzulässig, denn im angefochtenen Bescheid sei nicht über die Frage des Vorliegens einer BK entschieden worden. Die zum Hilfsantrag erhobene Klage sei zwar zulässig, aber unbegründet, denn es sei nicht nachgewiesen, dass der Zeckenbiss vom 25. Juli 2001 zur Infektion geführt habe.
Hiergegen richtet sich die am 22. September 2006 beim SG Berlin eingegangene Berufung des Klägers.
Der Senat hat zunächst eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen PD Dr. B eingeholt. In der Stellungnahme vom 12. Mai 2007 hat er ausgeführt, eine Infektion mit Borrelia burgdorferi während der beruflichen Tätigkeit des Klägers sei gesichert. Bei Behandlungsbeginn habe sich die Infektion mit großer bzw. überwiegender Wahrscheinlichkeit im disseminierten Stadium II oder III befunden, zumal das Stadium II fließend in das Stadium III übergehen könne. In den Stadien II und III werde eine Therapie mit Doxycyclin 200 mg/Tag über 30 Tage als ausreichend angesehen. Bei Auftreten neurologischer Störungen werde als Therapie Ceftriaxon (Rocephin®) über drei bis vier Wochen empfohlen. Angesichts dessen sei der Kläger wahrscheinlich zu kurz und mit dem Mittel zweiter Wahl behandelt worden. Dafür, dass die geklagten Beschwerden tatsächlich auf eine Lyme-Erkrankung zurückzuführen seien, sprächen der enge zeitliche Zusammenhang des Auftretens nach dem Zeckenbiss und der Umstand, dass es sich um neuartige Beschwerden gehandelt habe, wie sich aus dem Vorerkrankungsverzeichnis der AOK ergebe. Auch die depressive Verstimmung sei aktenkundig erstmals nach dem Biss und zwar am 08. August 2001 erwähnt worden. Die vom Kläger neu vorgetragenen und mit einer Borreliose im Einklang stehenden Beschwerden, die spezifische berufliche Anamnese und die nachgewiesene Antikörperbildung gegen B. burgdorferi ließen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Diagnose einer Lyme-Borreliose zu. Nach den Befunden aus dem M-Krankenhaus in U könne am Vorliegen einer sensomotorischen Polyneuropathie bei dem Kläger nicht gezweifelt werden. Auch hätten zahlreiche fachkompetente behandelnde (Krankenhaus-) Ärzte eine Depression diagnostiziert und diese als Folge der Borreliose angesehen. Andere Erkrankungen schieden als Ursache für die Neuropathie aus. Gehe man von der sensomotorischen Neuropathie als Ausdruck einer borreliosebedingten organischen Schädigung aus, liege es nahe, auch die Depression als Folge einer borreliosebedingten organischen Schädigung des zentralen Nervensystems (Enzephalopathie) einzuordnen. Es sei nicht ersichtlich, dass die weiteren – nicht borreliosebedingten – Erkrankungen wie Hypertonus oder Psoriasis ursächlich für die Depression sein könnten, zumal die depressiven Verstimmungen eben erst nach dem Zeckenbiss aufgetreten seien. Die MdE von 20 v. H. ergebe sich aus einem Vergleich mit den für eine leichte bis mittelschwere Polyneuropathie bzw. eine mittelschwere Enzephalopathie anzusetzenden Werten.
Die Beklagte sieht demgegenüber das erstmalige Auftreten von Blähungen, das Anschwellen des linken Knöchels und Knies und die Schmerzen im rechten Arm nach dem Zeckenbiss nicht als typische Erscheinungsformen der Lyme-Borreliose an. Sie verweist auf die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) zur Neuroborreliose sowie ein Epidemiologisches Bulletin des Robert Koch Instituts (RKI) vom 12. August 2005. Nach den Leitlinien der DGN seien Voraussetzungen für das wahrscheinliche Vorliegen einer Neuroborreliose das Auftreten eines typischen klinischen Bildes, borrelienspezifische IgG und/oder IgM-Antikörper im Serum und ein positiver Liquorbefund. Letzterer sei in U ausdrücklich negativ getestet worden, weshalb nach ihrer Auffassung die Infektion lediglich möglich sei. Auch der IgG-Titer sei durchgehend negativ. Der isoliert positive IgM-Titer spreche gegen eine Spätmanifestation der Lyme-Borreliose. Soweit Dr. B vermute, die frühe Einleitung der Therapie mit Doxycyclin habe die Ausbildung der IgG-Antikörper verhindert, stehe dies in klarem Gegensatz zu seiner Aussage, die Therapie habe zu spät, nämlich erst im Stadium II oder III eingesetzt.
Mit Bescheid vom 07. August 2007 hat die Beklagte den Bescheid vom 03. Juni 2003 hinsichtlich der Bezeichnung des Versicherungsfalls aufgehoben und die Bezeichnung als Arbeitsunfall durch die Bezeichnung als BK nach Nr. 3102 der Anlage zur BKV ersetzt.
Der Senat hat anschließend eine Stellungnahme des Nationalen Referenzzentrums für Borrelien zur Frage der Bewertung der serologischen Befunde eingeholt. In ihrer Stellungnahme vom 06. März 2008 haben Dr. F/Dr. S ausgeführt, insgesamt sei aus serologischer Sicht mit größter Wahrscheinlichkeit von einem auf niedriger Stufe persistierenden IgM auszugehen, welcher in manchen Tests oberhalb, in anderen Tests unterhalb der Nachweisgrenze liege. Unter der Vorstellung, der Kläger leide an einer chronischen Lyme-Borreliose, wären dagegen diagnostisch borrelienspezifische IgG-Antikörper relevant, während IgM-Antikörper – insbesondere wenn sie isoliert, d. h. ohne IgG, aufträten – die Diagnose einer chronischen Lyme-Borreliose nicht unterstützten. Wichtige Befunde für eine chronische Neuroborreliose wie der erhöhte borrelienspezifische Liquor/Serum-Index, d. h. der Nachweis der Produktion von IgG-Antikörpern im Liquor und der Nachweis unspezifischer Zeichen (Schrankenstörung, lymphozytäre Pleozytose, erhöhter Gesamtprotein, oligoklonale Banden) seien beim Kläger nicht erhoben worden. Eine chronische Lyme-Borreliose als Ursache der Beschwerden sei daher aus serologischer Sicht unwahrscheinlich.
Dr. B hält in einer weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 01. Mai 2008 die rein serologische Sichtweise der Dr. F/Dr. S für nicht ausreichend. Bei der chronischen axonalen Neuropathie im Stadium III der Lyme-Erkrankung werde gewöhnlich keine intrathekale (=im Liquorraum) Antikörperbildung gegen Borrelien nachgewiesen. Bei der Enzephalopathie des Stadiums III sei eine Antikörperbildung möglich. Daher sei der fehlende Nachweis solcher Antikörper im Liquor des Klägers keineswegs ein Gegenbeweis gegen eine Neuroborreliose im Sinne der Enzephalopathie und schon gar nicht im Sinne der axonalen Neuropathie. Außerdem sei zu bedenken, dass die negativ verlaufende Untersuchung erst im Oktober 2004 erfolgt sei, so dass hier möglicherweise vorher nachweisbare Antikörper zu diesem Zeitpunkt nicht mehr feststellbar gewesen seien. Im Übrigen gehe er angesichts der persistierenden Symptome beim Kläger nicht von einer bestehenden chronischen Lyme-Erkrankung im Sinne einer weiter wirkenden Erregerpersistenz, sondern von einer Ausheilung dieser Erkrankung mit Defektzustand aus. Dies erkläre auch die anhaltenden Beschwerden und objektiv nachweisbaren Krankheitssymptome ohne Beeinflussung durch die wiederholten therapeutischen Bemühungen und ohne Nachweis von spezifischen IgG-Antikörpern oder von entzündlichen Liquorveränderungen.
Die Beklagte hält auch diese Ausführungen nicht für überzeugend und weist darauf hin, dass ausgehend von dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand, niedergelegt in den Leitlinien der DGN, eine Neuroborreliose als Stadium II bzw. III der Lyme-Borreliose zu keinem Zeitpunkt zweifelsfrei diagnostiziert worden sei. Erst das Vorliegen eines typischen klinischen Bildes, borrelienspzifischer IgG- und/oder IgM-Anrtikörper im Serum und ein positiver Liquorbefund machten eine Neuroborreliose wahrscheinlich. Gerade vor dem Hintergrund, dass zwar 10% der Gesamtbevölkerung Antikörper gegen Borrelien gebildet hätten, aber nur 1-4% der Infizierten an einer Lyme-Borreliose erkrankten, bedürfe es der kritischen Würdigung der vorliegenden klinischen und serologischen Befunde. Nach den Ausführungen des Nationalen Referenzzentrums für Borrelien biete der isolierte IgM-Titer lediglich einen Hinweis auf eine frühe Infektion mit B. burgdorferi, stelle aber keinen Beweis für oder gegen eine klinische manifeste Infektion dar. Ein positiver Liquorbefund sei zu keiner Zeit nachgewiesen, obwohl die Nachweisrate von spezifischen Antikörpern bei neurologischen Manifestationen laut dem Nationalen Referenzzentrum für Borrelien bei nahezu 100% liege. Auch die körperlichen Untersuchungsbefunde seien zu unspezifisch, als dass sie die Diagnose einer Neuroborreliose zulassen würden.
Der Senat hat den aktenkundigen ungarischen Krankenhausabschlussbericht des Städtischen Krankenhauses und Ambulatorium N vom 20. April 2006 betreffend den stationären Aufenthalt des Klägers dortselbst vom 19. April bis zum 10. Mai 2006, den mikrobiologischen Befund des U Zentrums für Epidemiologie „B J“ vom12./20. April 2006 und das Ambulanzuntersuchungsblatt des E-Krankenhauses der Stadt S vom 16. Juni 2006 übersetzen lassen und in den Rechtsstreit eingeführt. Im Städtischen Krankenhaus und Ambulatorium N hat der Kläger erneut eine antibiotische Therapie mit Rocephin® durchgemacht. Das EEG war unauffällig. IgM-Antikörper waren am 12./20. April 2006 im Westernblot schwach positiv, am 01. März 2006 war das Auftreten von IgM-Antikörpern im Westernblot zweifelhaft getestet worden.
Darüber hinaus hat der Senat die Schwerbehindertenakte des Klägers (Grad der Behinderung (GdB) von 60 gemäß Bescheid vom 12. März 2003), die archivierten Unterlagen der C (ehemals Klinikum B F – Medizinische Klinik I – und Dermatologie sowie Campus M – Rheumatologie –) betreffend die (teil-) stationären bzw. poliklinischen Behandlungen vom 08. bis zum 18. Januar 2002 sowie im Zeitraum von Februar bis Mai 2002, die Krankenakte des St M-Krankenhauses und Kopien der Patientenkartei des Dr. K beigezogen. Ferner hat der Senat Befundberichte des Internisten Dr. S vom 25. November 2008 (Behandlung ab dem 20. Januar 2000 wegen seit vielen Jahren bestehender rechtsseitiger Oberbauchbeschwerden) und des Neurologen und Psychiaters K vom 10. Februar 2009 eingeholt.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat Beweis erhoben und den Facharzt für Allgemeinmedizin – Umweltmedizin – Dr. D mit der Untersuchung des Klägers und Erstellung eines Gutachtens betraut. In seinem unter dem 10. Dezember 2009 – „Rekonstruiert: 15. Februar 2010“ – datierten Gutachten hat dieser folgende Gesundheitsstörungen bei dem Kläger festgestellt:
1. Arterielle Hypertonie
2. Wirbelsäulensyndrom mit Spondylolisthesis der LWS
3. Psoriasis vulgaris
4. Fettleber bei Lipidstoffwechselstörung mit unkomplizierter Cholezystolithiasis
5. Chronische Darmstörungen im Sinne eines Leaky-Gut-Syndroms
6. Chronische Erschöpfung
7. Infektanfälligkeit, v. a. im Bereich der Nasennebenhöhlen
8. Schlafstörungen
9. Hyperhidrosis, v. a. Nachtschweiß
10. Rezidivierende stechende Schmerzen in Blase und Prostata; abakterielle Prostatitis
11. Erektile Dysfunktion mit Libidoverlust
12. Merkfähigkeits- und Konzentrationsstörungen
13. Reaktive Depression
14. Sehstörungen in Form von Mückensehen („Mouche volante“)
15. Wechselnde Gelenkbeschwerden wie bei seronegativem Rheuma
16. Sicca-Syndrom von Nase und Ohr
17. Chronisch persistierende Borreliose bzw. Post-Lyme-Syndrom (PLS).
Alle Krankheiten der Ziffern 5 bis 17 seien mit sehr großer Wahrscheinlichkeit ursächlich auf die Infektion mit Borrelien zurückzuführen. Das Leaky-Gut-Syndrom liege seit der anerkannten akuten Borreliose vor und müsse bei Fortdauer als Zeichen der chronischen Borreliose gewertet werden. Die arterielle Hypertonie werde im Sinne der wesentlichen Verschlimmerung durch die Borreliose beeinflusst. Er hat eine Hypästhesie sowie eine Störung des Kalt-Warm-Empfindens beidseits strumpfförmig bis knapp unterhalb des Knies festgestellt. Zeichen einer ACA hat er nicht dokumentiert. Borrelien-Antikörper vom IgM-Typ sind am 14. September / 15. Oktober 2009 im ELISA negativ und von IgG-Typ grenzwertig getestet worden. Im Westernblot sind sowohl IgG als auch IgM negativ gewesen. Es sei nicht zu klären, ob beim Kläger eine chronisch-persistierende Lyme-Borreliose (CLB) oder ein PLS vorliege, dies sei jedoch letztlich nur für die Frage der Therapie interessant. In jedem Falle sei eine aktive Erkrankung, insbesondere eine Neuroborreliose zu bejahen. Es sei darauf hinzuweisen, dass kein beweiskräftiger Labortest für die Lyme-Borreliose existiere, die Diagnose sei daher anhand der Klinik zu stellen. Der Verdacht auf eine CLB (Persistenz vieler der Borreliose zugeordneter Symptome auch nach Therapie bei negativen oder grenzwertigen Laborergebnissen) sei zu erheben, wenn über das auch – schubweise – Auftreten mehrerer der folgenden Symptome geklagt werde:
- Ausgeprägte, lang anhaltende Erschöpfung/Ermüdung ohne adäquate Belastung
- Starke Arthralgien unterschiedlicher Lokalisation
- Cephalgien, Schmerzen an Schulter, Nacken, Rachen und Zungengrund
- rezidivierende Nasennebenhöhlenentzündungen, Nasentrockenheit
- Muskelschmerzen und Muskelkrämpfe
- Brennschmerzen, Taubheitsgefühle, Juckreiz und Parästhesien auf allen Hautarealen
- Zuckungen, nervöse Tics im Gesicht oder an anderen Muskeln
- Plötzlich auftretende stechende Schmerzen
- Anfallsweise Herzrasen, Herzstolpern
- Plötzlich neu auftretender arterieller Hypertonus
- Augenprobleme: u. a. Verschwommensehen (Mückensehen)
- Tinnitus
- Vegetative Störungen: Schweißausbrüche nachts
- Sexuelle Störungen: Libidoverlust, erektile Dysfunktion
- Urologische Störungen: brennende Schmerzen in Blase, Hoden und Prostata ohne Nachweis von Bakterien
- Magenschmerzen, Blähungen, Völlegefühl
- Serotoninmangel, Ein- oder Durchschlafstörungen, Depressionen
- Gedächtnisstörungen, Konzentrationsstörungen, Merkfähigkeitsstörungen, Lernstörungen.
Diese Anforderungen erfülle der Kläger.
Für die Differentialdiagnose eines PLS (Fortdauern von Symptomen trotz zeitgerechter und adäquater Therapie ohne Vorliegen einer aktiven Infektion) müssten sämtliche folgenden Punkte erfüllt sein:
- Evidenz für frühere Lyme-Borreliose (klinisch und serologisch)
- Adäquate Therapie
- Keine Evidenz für aktive Infektion
- Anhaltende, den Patienten in seinen täglichen Aktivitäten beeinträchtigende Symptome während mehr als 6 Monaten nach Abschluss einer adäquaten Antibiotikatherapie mit einem oder mehreren der folgenden Symptome: Müdigkeit, Arthralgien, Myalgien, objektivierbare kognitive Dysfunktion, radikuläre Beschwerden
- Beginn der Beschwerden ist aufgrund des Verlaufs der Lyme-Borreliose plausibel
- Objektive Defizite im allgemeinen, internistischen oder neurologischen Status sind keine Voraussetzung für die Diagnose
- Systematischer und umfassender Ausschluss anderer neurologischer, rheumatologischer oder internistischer Krankheiten
- Ausschluss psychiatrischer Erkrankungen oder einer Sucht.
Aufgrund der anerkannten ausgeheilten Lyme-Erkrankung träfen alle diese Punkte beim Kläger zu. Außerdem bestehe beim Kläger eine Ko-Infektion mit Bartonellen. Daneben erschwere auch die zurückliegende Hepatitis A die Therapie. Letztlich sei darauf hinzuweisen, dass die Leitlinie der Amerikanischen Gesellschaft für Infektionskrankheiten (ISDA), an deren Wertungen sich die Leitlinie der DGN „Neuroborreliose“ ebenso wie das Nationale Referenzzentrum für Borreliose sich angeschlossen habe, nach Anordnung des Generalstaatsanwalts des US-Bundesstaates Conneticut zu überarbeiten sei. Demzufolge seien alle medizinischen Gutachten und Stellungnahmen, die auf der ISDA-Leitlinie von 2006 basierten, zu überarbeiten insbesondere bzgl. der Frage, ob es eine chronische Form der Lyme-Borreliose gibt. Die MdE betrage 50 v. H.
Die Beklagte kritisiert das Gutachten. Zum einen habe die Leitlinie der ISDA und deren Gültigkeit keine Auswirkungen auf den geltenden medizinischen Erkenntnisstand in Deutschland, zum anderen habe das eingesetzte Überprüfungsgremium in den USA am 22. April 2010 beschlossen, dass keine Änderungen der ISDA-Leitlinie erfolgen müssten. Dem Gutachten des Dr. D fehle es bereits an der erforderlichen sicheren Diagnosestellung, er habe weder ein PLS noch eine CLB sicher diagnostiziert, so dass der Vollbeweis für eine der Krankheiten nicht erbracht sei. Soweit der Sachverständige im Übrigen ausführe, eine Lyme-Borreliose sei selbst bei negativem Ergebnis aller Tests nicht ausgeschlossen, führe dies zu einer unzulässigen Beweislastumkehr, denn die Krankheit könne danach vorliegen oder nicht. Ferner seien die vorgetragenen Beschwerden für ein PLS oder eine CLB nicht beweisend, da sie auch auf andere Gesundheitsstörungen zurückgeführt werden könnten. Insbesondere das vom Sachverständigen diagnostizierte Leaky-Gut-Syndrom könne auch zu Müdigkeit, Schleimhautbeschwerden, Gelenkbeschwerden, Kopfschmerzen oder depressiven Verstimmungen führen. Die Ursachen für das Leaky-Gut-Syndrom seien ungeklärt. Es seien unter anderem Darmpilze oder Reize wie die mehrfache Einnahme von Antibiotika in der Diskussion, so dass ein ursächlicher Zusammenhang mit der Borrelioseinfektion unklar sei. Eine Infektion mit Bartonella Henselae werde über Katzenkratzer / -bisse übertragen, nicht durch Zecken. Zu dem einschlägigen Erkrankungsbild gehörten u. a. Nachtschweiß, Müdigkeit, Myalgien, Arthralgien etc. Für wiederkehrende Nasennebenhöhlenentzündungen kämen in erster Linie virale Infekte als Ursachen in Betracht. Der beim Kläger bereits vor der Infektion diagnostizierte Bluthochdruck könne ein Mückensehen, eine vermehrte Schweißneigung, Tinnitus, eine erektile Dysfunktion u. ä. hinreichend erklären. Darüber hinaus sei der Kläger in einem Alter, in dem eine große Anzahl von Männern Probleme mit einer erektilen Dysfunktion hätte. Die Erkrankungen Fettleber und Schuppenflechte hätten bereits vor der Infektion bestanden. Ein Wirbelsäulensyndrom mit Wirbelgleiten könne von vornherein nicht von einer Borrelieninfektion verursacht werden. Auch die in Ungarn diagnostizierte Polyneuropathie oder das Guilain-Barré-Syndrom bzw. die multifokale Motorneuropathie könne viele Ursachen haben. Das äußerst seltene PLS könne als Auslöser nur dann in Betracht gezogen werden, wenn es denn als Erkrankung positiv nachgewiesen sei.
Der Versuch des Senats, eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Dr. D einzuholen, ist fehlgeschlagen.
Der Kläger vertritt die Auffassung, durch die überzeugenden Gutachten des Dr. B sowie des Dr. D und die zahlreichen vorliegenden medizinischen Unterlagen, insbesondere auch der mehrfachen LTT-Tests, sei geklärt, dass bei ihm eine Borreliose-Erkrankung fortbestehe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. August 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung ihres Bescheides vom 03. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 2003 und des Bescheides vom 07. August 2007 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen der BK nach Nr. 3102 der Anlage 1 zur BKV ab dem 08. September 2001 Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 07. August 2007 abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten (Unfall- und BK-Akten) der Beklagten sowie der Schwerbehindertenakte verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die Klage gegen den Bescheid vom 07. August 2007 (Entscheidungsgewalt des Senats betreffend den erst im Berufungsverfahren ergangenen Bescheid nach §§ 153 Abs. 1, 96 Abs. 1 SGG kraft Klage) ist darüber hinaus abzuweisen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Verletztenrente wegen der Folgen der BK nach Nr. 3102 der Anlage 1 zur BKV, denn bei ihm liegen keine mit Wahrscheinlichkeit auf eine Infektion mit Borrelien zurückzuführende Gesundheitsstörungen vor.
Nach § 56 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, Anspruch auf Verletztenrente. Als Verletztenteilrente wird der Teil der Vollrente gewährt, der dem Grad der MdE entspricht. Versicherungsfall ist hier die von der Beklagten mit Bescheid vom 07. August 2007 anerkannte BK nach Nr. 3102 der Anlage 1 zur BKV – Von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten - (§§ 7 Abs. 1, 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). BKen sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer versicherten Tätigkeit nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII erleidet (§ 9 Abs. 1 SGB VII). Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann BKen auf bestimmte Gefährdungsbereiche beschränken oder mit dem Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten versehen. Gemäß diesen Vorgaben lassen sich bei einer Listen-BK im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten, die gegebenenfalls bei einzelnen Listen-BKen einer Modifikation bedürfen: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale „versicherte Tätigkeit“, „Verrichtung“, „Einwirkungen“ und „Krankheit“ müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 – B 2 U 20/04 R -, zitiert nach juris Rn. 15). Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrscheinlich, wenn nach herrschender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel an einer anderen Ursache ausscheiden (BSG, Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris Rn. 17 f.). Auch hinsichtlich der Frage, ob eine „Krankheit“ i. S. der maßgeblichen BK vorliegt ist auf die herrschende ärztlich-wissenschaftliche Lehrmeinung zu rekurrieren, die sich am aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand orientieren muss. Ausgangsbasis für die Feststellung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnistandes müssen die Fachbücher und Standardwerke insbesondere zur Begutachtung im jeweiligen Bereich sein (vgl. u. a. Fritze, Ärztliche Begutachtung, 6. Aufl. 2001, Mehrhoff/Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung, 12. Aufl. 2010; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010; Ludolph/Lehmann/Schürmann, Kursbuch der ärztlichen Begutachtung, 2004; Rompe/Erlenkämper, Begutachtung der Haltungs- und Bewegungsorgane, 5. Aufl. 2009). Außerdem sind, soweit sie vorliegen und einschlägig sind, die jeweiligen Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zu berücksichtigen sowie andere aktuelle Veröffentlichungen (vgl. Urteil des BSG vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R - a. a. O.). Die verschiedenen Veröffentlichungen sind jeweils kritisch zu würdigen.
Gibt es keinen aktuellen allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu einer bestimmten Fragestellung, kann in Abwägung der verschiedenen Auffassungen einer nicht nur vereinzelt vertretenen Auffassung gefolgt werden (vgl. Urteil des BSG vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R - a. a. O.; BSG in SozR Nr. 33 zu § 128 SGG). Dieser wissenschaftliche Erkenntnisstand stellt die wissenschaftliche Grundlage dar, auf der die geltend gemachten Gesundheitsstörungen des konkreten Versicherten zu bewerten sind (vgl. BSG in SozR Nr. 61 zu § 542 RVO). Bei dieser einzelfallbezogenen Bewertung kann nur auf das objektivierte individuelle Ausmaß der Beeinträchtigung des Versicherten abgestellt werden. Die Ursachenbeurteilung im Einzelfall hat „anhand" des konkreten individuellen Versicherten unter Berücksichtigung seiner Krankheiten und Vorschäden zu erfolgen, aber auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes (vgl. Urteil des BSG vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R – a. a. O.).
Liegen nach den tatbestandlichen Voraussetzungen sowohl ein Arbeitsunfall als auch eine BK vor, so ist von einer BK auszugehen. § 9 SGB VII ist dann lex specialis zu § 8 SGB VII zu werten (vgl. hierzu Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., Anm. 2.5; Ricke in Kasseler Kommentar Randnr. 3 zu § 9 SGB VII), zumal der Kläger hierdurch bezüglich Übergangsleistungen, Berechnung des JAV und der Gewährung vorbeugender Leistungen günstiger gestellt wird.
Die Beklagte hat hier mit Bescheid vom 07. August 2007 eine BK Nr. 3102 mit der Folge „ausgeheilte Borrelieninfektion nach Zeckenbiss“ anerkannt (vgl. den Bescheid vom 03. Juni 2003). Tatsächlich ist eine solche Infektion nach den Bekundungen des Sachverständigen der Beklagten – Prof. Dr. H – und des gerichtlichen Sachverständigen Dr. B gesichert: Beim Kläger hat im August 2001 eine Infektion mit B. burgdorferi vorgelegen, zu erkennen an den mit hohem Titer (105.0 NE am 14./16. August 2001) nachgewiesenen Antikörpern vom Immunglobulintyp IgM, der grundsätzlich kennzeichnend ist für ein frühes Stadium der Infektion, bevor die Antikörperbildung umgeschaltet hat auf den Immunglobulintyp IgG. Ob die Infektion zusammenhängt mit dem – behaupteten – Zeckenbiss vom 25. Juli 2001 mag, da eine BK anerkannt ist, dahingestellt sein.
Es fehlt hier jedoch unter Zugrundelegung des aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes an der Sicherung einer manifesten Erkrankung des Klägers in Form einer Lyme-Borreliose, insbesondere einer Neuroborreliose, im Vollbeweis.
Die Lyme-Borreliose ist eine infektiöse Systemerkrankung mit vorwiegendem Befall von Haut, Nervensystem, Herz und Bewegungsapparat. Erreger ist die durch Zeckenstiche übertragene Spirochäte Borrelia burgdorferi sensu lato. Die Diagnose einer Lyme-Borreliose muss in erster Linie durch die klinische Symptomatik begründet sein. Laborbefunde dienen dann zur Untermauerung oder zum Ausschluss der klinischen Verdachtsdiagnose (vgl. die Leitlinie der DGN „Neuroborreliose“ - AWMF-Leitlinien-Register Nr. 030/071, Stand Oktober 2008 - unter 4. sowie A. Krause und V. Fingerle „Lyme-Borreliose“ in ZRheumatol 2009 68:239-254, 250 f). Die frühe Borrelieninfektion manifestiert sich bei 80-90% der Patienten als lokales Erythema migrans (Stadium I). Gelegentlich kommt es wenige Tage bis Wochen nach der Infektion zu Allgemeinsymptomen wie Krankheitsgefühl, Arthralgien, Myalgien, subfebrilen Temperaturen oder Nachtschweiß. Wochen bis Monate nach dem Zeckenstich kann eine disseminierte Infektion auftreten, die überwiegend das Nervensystem, die Gelenke und das Herz betrifft (Stadium II). In seltenen Fällen kann es nach Monaten bis Jahren zu einer späten bzw. chronischen Manifestation kommen mit Beteiligung der Haut, des Nervensystems und der Gelenke (Stadium III). Da diese Stadien nur in wenigen Fällen durchlaufen werden und darüber hinaus der Infektionszeitpunkt häufig unbekannt ist, kommt der Einteilung aus klinischer Sicht nur bedingt Bedeutung zu. Angaben über einen Zeckenstich helfen ebenfalls wenig, den Infektionszeitpunkt zu bestimmen, da häufig unbemerkte Zeckenstiche zur Infektion führen (vgl. die Leitlinie der DGN „Neuroborreliose“ unter „3. Klinische Manifestationen“).
Die Laborwerte des Klägers sind nach Durchführung der ersten 20 oder 21 Tage dauernden Doxycyclin-Therapie beginnend im September 2001 bei Verwendung von Tests verschiedener Hersteller – woraus sich nach Angaben aller hier gehörter Fachleute schon Probleme bei der Vergleichbarkeit der Ergebnisse ergeben - insoweit konstant, als nie Antikörper vom Immunglobulintyp IgG nachgewiesen wurden, d. h. die Produktion von Antikörpern ist nicht umgestellt worden, was an sich gegen ein Fortschreiten der Infektion spricht. Darüber hinaus sind die Ergebnisse hinsichtlich des Nachweises von Antikörpern des Typs IgM ebenfalls konstant, d. h. solche sind – was nach den Ausführungen der Dres. F und S in der Stellungnahme des Nationalen Referenzzentrums für Borrelien vom 06. März 2008 nicht unüblich ist – nachweisbar auf niedrigem Niveau bzw. nicht mehr nachweisbar. Offensichtlich besteht ein Schwanken der Werte um die Nachweisgrenze. Dies besagt nicht, dass eine aktive Infektion fortbestand, sondern kann auch als so genannte Seronarbe gewertet werden (so auch der Sachverständige Dr. B). Soweit der Kläger hier auf die verschiedenen LTT-Testungen abstellt und aus diesen auf eine fortbestehende Infektion bzw. aktive Lyme-Borreliose-Errkankung schließen will, überzeugt dies nicht. Denn der LTT ist nicht geeignet zur Labordiagnostik der Lyme-Borreliose (vgl. hierzu die Leitlinie der DGN „Neuroborreliose“, die Aussagen des Sachverständigen Dr. B sowie A. Krause und V. Fingerle, a. a. O., S. 247 f).
Auf der Ebene der klinischen Befunde fehlt es an den klassischen und klar zu bewertenden Manifestationen einer Borreliose-Erkrankung wie Erythema migrans, Borrelien-Lymphotzytom (vgl. die „Kriterien für die Diagnose der Lyme-Borreliose“ im Anhang zur Stellungnahme des Nationalen Referenzzentrums für Borrelien: schmerzlose bläulich-rote Knoten oder Plaques an Ohrläppchen, Ohrmuschel, Brustwarze oder Skrotum) oder ACA (vgl. die eben genannten Kriterien: lange bestehende rote oder bläulich-rote Hautveränderung, gewöhnlich an den Streckseiten von Extremitäten; eine solche ACA ist durchgängig von allen Sachverständigen verneint worden).
Vielmehr traten laut den Angaben des Klägers bei Dr. B nach dem Stich unspezifische Beschwerden wie Blähungen, Unwohlsein, Müdigkeit, depressive Verstimmungen, Verstopfung, zeitweises Anschwellen des linken Knöchels und des linken Kniegelenks, Schmerzen in der rechten Schulter und im rechten Arm mit Ausstrahlung bis in die Hand sowie mit Zuckungen, als ob Schwachstrom durchlaufe, Kribbeln und Stechen im Nackenbereich der Halswirbelsäule sowie periodisches Zucken in Wange und Kinnbereich für etwa 2 Minuten auf. In den Akten taucht außerdem die Bezeichnung als grippeähnliche Beschwerden auf (vgl. den Befundbericht des behandelnden Arztes S vom 20. Februar 2002).
Im weiteren Verlauf wird fortbestehend über Bauchbeschwerden, ständige Müdigkeit, Vergesslichkeit, Konzentrationsstörungen, Freudlosigkeit, Kribbeln und Kitzeln im rechten Oberbauchbereich bzw. in den Fußsohlen, Stechen in Hoden. Leisten und Blase, wechselnd links mehr als rechts zeitweise Taubheitsgefühl im Ohren- und Gesichtsbereich, Erektionsprobleme, Austrocknung der Nasenschleimhaut und der Haut geklagt (vgl. Anamnese im Gutachten des Dr. B).
Im Juli 2004 ist im M-Krankenhaus eine negative Lyme-Serologie des Liquors sowie eine Untersuchung des Liquoreiweiß durchgeführt worden, welche unauffällig war. Am 31. August 2004 ist im M-Krankenhaus eine sensomotorische Polyneuropathie mit axonaler Schädigung mit Betonung auf den Nerven der unteren Gliedmaßen und mit radikulärer Leitverzögerung festgestellt worden. Außerdem zeigte sich im EEG eine leichte intermittierende Funktionsstörung beidseitig frontal, links temporal. Aufgrund der Ergebnisse im quantitativen EEG-Neurometrie-Test wurde dort außerdem eine Major Depression der unipolaren Subart diagnostiziert.
Am 19. April 2006 berichtete der Kläger im Städtischen Krankenhaus und Ambulatorium N noch von Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Schlafstörungen, Kribbelgefühl am ganzen Körper, Schwäche- und Müdigkeitsgefühl. Darüber hinaus signalisierte er eine distal zunehmende Hypästhesie und Hyperästhesie. Röntgenologisch wurden eine Abflachung der Lordose der Lendenwirbelsäule, eine starke Verengung des Spaltes zwischen den Segmenten L5/S1 sowie eine ventrale Verschiebung des Wirbelkörpers L5 um ca. 4-5 mm (Lysthesis) festgestellt. Dieser Befund ist allerdings bereits seit Januar 2002 bekannt (vgl. den Artbrief der C vom 08. Januar 2002). Das EEG war unauffällig.
In dem Gutachten des Dr. D finden sich noch mehr Beschwerden, die nunmehr z. B. auch ein sog. „Mückensehen“ oder Depressionen umfassen.
Allgemein bekannt sind darüber hinaus zumindest seit 1992 ein Hypertonus mit Fundus hypertonicus (vgl. den Arztbrief der C vom 08. Januar 2002) und eine seit Jahrzehnten bestehende Psoriasis sowie eine Fettstoffwechselstörung (Fettleber) nach Hepatitis-Infektion in den 60er Jahren und – wie dem Vorerkrankungsverzeichnis der AOK und dem Befundbericht des Dr. S zu entnehmen ist - gastrointestinale Beschwerden (Oberbauchbeschwerden), die im Jahre 2000 nach damaligen Angaben des Klägers schon seit Jahren bestanden. Darüber hinaus ist wiederholt der Nachweis von Heliobacter pylori geführt worden (vgl. u. a. die Ösophago-Gastro-Duodenoskopie mit Histologie vom 23. Januar 2001 oder das histologische Gutachten vom 01. / 04. Februar 2002). Auch sind beim Kläger eine Cholezystolithiasis (Gallensteinleiden) sowie eine Prostatodynie festgestellt worden (vgl. die Befunde der C vom 09. Januar 2002 und 15. Januar 2002 – Klinik für Urologie – sowie den CT-Befund des Oberbauches vom 13. Oktober 2000). Schließlich ist der Kläger seit vielen Jahren Raucher. In der Anamnese der C vom 08. Januar 2002 findet sich die Angabe von 40 bis 50 Zigaretten täglich, in der Anamnese des Universitätsklinikums B F vom 23. Januar 2002 die Angabe von 20 bis 40 Zigaretten täglich. Bei Prof. Dr. H und Dr. B schilderte der Kläger einen Konsum von täglich 20 bis 30 Zigaretten.
Soweit Dr. B angesichts dieser Faktenlagen in seinem Gutachten vom 12. März 2006 zu dem Schluss, bei dem Kläger liege eine Lyme-Erkrankung vor, bzw. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 01. Mai 2008 zu dem Schluss, bei dem Kläger liege eine ausgeheilte Lyme-Erkrankung mit Defektzustand vor, gelangt, überzeugt dies nicht. In seinem Gutachten führt er hierzu aus, ob aus der nachgewiesenen Infektion eine Erkrankung (Lyme-Borreliose) entstanden sei, entscheide sich maßgeblich nach den klinischen Befunden, nicht nach den serologischen Werten. Da aber die Symptomatik hier – wie häufig – unspezifisch sei, erhielten die serologischen Laboruntersuchungen doch einen erheblichen Wert, der jedoch wiederum dadurch begrenzt sei, dass mit diesen nicht klar zwischen einer aktiven und inaktiven Infektion (Seronarbe) unterschieden werden könne. Außerdem seien verschiedene Tests nur begrenzt vergleichbar. Damit befindet sich der Sachverständige Dr. B von vornherein in einem argumentativen Dilemma. Er muss die unspezifischen Befunde durch die nur eingeschränkt bewertbaren Serologie-Ergebnisse stützen und umgekehrt. Daher wählt er als festen Anhaltspunkt einerseits die Tatsache, dass eine Infektion stattgefunden hat und andererseits später eine axonale Polyneuropathie diagnostiziert worden ist, die er als eindeutigen Ausdruck einer Lyme-Erkrankung (vgl. „Begutachtung in der Neurologie“, hrgg. von B. Widder, P.W. Gaidzik, Thieme-Verlag 2007, Tabelle 33.11: selten im Stadium III der Erkrankung) wertet. Eine erneute Verifizierung einer axonalen Polyneuropathie mittels EMG/ENG oder SEP ist allerdings nicht aktenkundig.
In der Folge nimmt der Sachverständige Dr. B an, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zum Zeitpunkt des Beginns der ersten (von zahlreichen) Antibiotika-Behandlung im September 2001 bereits das Stadium II oder III der Erkrankung eingesetzt habe, weshalb die dann durchgeführte Antibiotika-Therapie unzureichend gewesen sei. Sie habe zwar dazu ausgereicht, die IgG-Serokonversion zu verhindern, aber nicht ein Fortschreiten der Erkrankung verhindert. Davon abweichend geht Dr. B in seiner letzten Stellungnahme davon aus, dass die Erkrankung Lyme-Borreliose, die 2001 manifest bestanden habe, inzwischen nach Antiobiotika-Therapie ausgeheilt sei, jedoch mit Defektzustand, wobei unklar bleibt, auf welchen Zeitpunkt bezogen er die Ausheilung annimmt. Die Leitlinien der DGN führen hierzu aus, dass bei immunkompetenten Patienten mit Symptomen über einen Zeitraum von mehr als 2 bis 3 Monaten ein negativer Serum-Borrelien-Antikörper-Test eine Neuroborreliose (und um eine solche geht es hier letztlich, da der Kläger neurologische Symptome wie die Polyneuropathie anführt) ausschließe. Erstmals negativ war die Borrelien-Serologie im März 2002 im Universitätsklinikum B F. D. h. aber, dass zum Zeitpunkt der ersten Antibiotika-Behandlung im September 2001 schon eine Neuroborreliose (Stadium II bis III der Lyme-Borreliose) manifest gewesen sein muss, damit von einem Fortbestehen der Borreliose-Erkrankung überhaupt ausgegangen werden kann. Dr. B interpretiert daher konsequenterweise die vom Kläger angegebenen Beschwerden wie Kopfschmerzen und Nackenbeschwerden als möglichen Ausdruck einer meningitischen Reizung, das periodische Kribbeln und Zucken in Wange und Kinnbereich und die Schmerzen in der rechten Schulter und im rechten Arm mit Ausstrahlung in die Hand und Zucken als Ausdruck einer kranialen Neuropathie bzw. zervikalen Polyradikuloneuropathie. Als systemische Symptome seien Muskelschmerzen und Gelenkschmerzen sowie Abgeschlagenheit und Müdigkeit anzusehen. Außerdem sei unzweifelhaft eine chronische axonale Polyneuropathie festgestellt worden, die kennzeichnend sei für eine (chronische) Neuroborreliose. Es sei darüber hinaus nahe liegend, das depressive Syndrom als Ausdruck einer borreliosebedingten organischen Schädigung der Nervensubstanz (Enzephalopathie) zu werten. Andere Ursachen für die Beschwerden seien auszuschließen, letztlich sei der zeitliche Zusammenhang zwischen dem Zeckenbiss und dem – vom Kläger behaupteten – erstmaligen Auftreten der Beschwerden überzeugend. Keine der beim Kläger ansonsten bestehenden Erkrankungen (Hypertonus, Schuppenflechte, Fettleber) komme zwingend als alternative Ursache der Beschwerden in Betracht.
Diese auf Annahmen und Interpretationen beruhende „Argumentationskette“ wird nicht den in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Beweisanforderungen gerecht und die Schlussfolgerung, bei dem Kläger bestehe eine Lyme-Borreliose bzw. ein Defektzustand nach ausgeheilter Lyme-Borreliose, entspricht nicht dem herrschenden aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand, wie er sich insbesondere in den Leitlinien der DGN „Neuroborreliose“ niederschlägt.
Darüber hinaus sind zu keinem Zeitpunkt die diagnostischen Kriterien für eine gesicherte Neuroborreliose nach den Leitlinien der DGN erfüllt. Danach müssen kumulativ vorliegen
- Ein typisches klinisches Bild (Hirnnervenausfälle, Meningitis/Meningoradikulitis, fokale neurologische Ausfälle)
- Borrelienspezifische IgG- und/oder IgM-Antikörper im Serum
- Positiver Liquorbefund mit lymphozytärer Pleozytose, Blut-/Liquorschrankenstörung mit oder ohne intrathekale Immunglobulinsynthese
- Intrathekale Synthese borrelienspezifischer Antikörper (IgG und/oder IgM) im Liquor oder positiver kultureller oder Nukleinsäurenachweis im Liquor
- Ausschluss anderer Ursachen für die vorliegende Symptomatik.
Damit übereinstimmend kommen auch Dr. FDr. S vom Nationalen Referenzzentrum für Borrelien zu dem Schluss, dass eine (chronische) Neuroborreliose hier nicht nachgewiesen sei, weil kein erhöhter borrelienspezifischer Liquor/Serum Index festgestellt sei und keine spezifischen Zeichen (Schrankenstörung, lymphozytäre Pleozytose, erhöhtes Gesamtprotein, oligoklonale Banden) vorlägen.
Auch die unfallmedizinische Literatur (vgl. „Begutachtung in der Neurologie“, hrgg. von B. Widder, P.W. Gaidzik, Thieme-Verlag 2007, Anm. 33.2.5) und die weitere medizinische Fachliteratur (vgl. A. Krause und V. Fingerle „Lyme-Borreliose“ in ZRheumatol 2009 68:239-254, 247 oder Stanek et. Al. „Lyme borreliosis: Clinical case definitions for diagnosis and management in Europe“ in Clin Microbiol infect 2011; 17: 69-79, 72) sehen als Grundvoraussetzung für die Annahme einer haftungsbegründenden Kausalität bei Neuroborreliosen den Nachweis einer spezifischen intrathekalen IgG-Synthese gegen Borrelien im Liquor. Bei der hohen Durchseuchung der Allgemeinbevölkerung und insbesondere bei beruflich exponierten Personen in Deutschland ist die Frage sorgfältig zu klären, ob wirklich eine Borrelieninfektion Ursache der geklagten neurologischen Störungen ist, denn im Serum können IgG-Titer (zum Teil auf hohem Niveau) und auch IgM-Titer (ca. 10%) über Jahre ohne Korrelation zum klinischen Bild oder zum Therapieerfolg fortbestehen.
Gegen die Annahme des Dr. B, dass sich bis zum Zeitpunkt einer Ausheilung (nach der Antiobiotika-Therapie 2001? Nach einer der folgenden Antibiotika-Therapien?) eine Lyme-Borreliose in Form einer Neuroborreliose manifestiert hat spricht darüber hinaus zum einen, dass die vom Kläger und im Gefolge von Dr. B angeführten Beschwerden, die nach dem Zeckenbiss vom 25. Juli 2001 erstmals eingetreten sein sollen, unspezifisch sind und sich einer Lyme-Borreliose in ihren verschiedenen Manifestationen nicht eindeutig zuordnen lassen.
- Das laut der Leitlinie der DGN für die frühe Neuroborreliose kennzeichnende Garin-Bujadoux-Bannwarth-Syndrom (schmerzhafte Meningo-Radikuloneuritis mit oder ohne Fazialis-Lähmung oder Lähmung anderer Hirnnerven) ist nach dem Erythema migrans die häufigste Manifestation einer akuten Lyme-Borreliose bei Erwachsenen in Europa. Die Symptome entwickeln sich im Mittel 4-6 Wochen (maximal 1-12) nach dem Biss. Dabei treten zuerst segmentale Schmerzen auf, die nachts verstärkt sind und deren Lokalisation wechseln kann. Initial sind die Schmerzen oft in der Extremität lokalisiert, in der vorher der Zeckenbiss beobachtet wurde. Die Schmerzen haben einen brennenden, bohrenden, beißenden oder reißenden Charakter und sprechen nur gering auf herkömmliche Analgetika an. Oft erreichen sie ein Maximum innerhalb weniger Stunden oder Tage. Bei ¾ der Patienten entwickeln sich nach 1-4 Wochen neurologische Ausfälle, Paresen häufiger als Sensibilitätsstörungen. Eine Radikulitis der Hirnnerven II-XII findet sich am häufigsten in Form einer oft doppelseitigen Fazialisparese. Eine Meningitis (bei Kindern häufiger als bei Erwachsenen) äußert sich in Kopfschmerzen, Fazialisparese, Meningismus (Nackensteife), Lichtscheu, Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit, emotionaler Labilität. Beschwerden dieser Art sind im Falle des Klägers jedoch nicht nachgewiesen. Zwar finden sich Angaben des Klägers über Schmerzen in der rechten Schulter und im rechten Arm mit Ausstrahlung bis in die Hand sowie mit Zuckungen, als ob Schwachstrom durchlaufe, Kribbeln und Stechen im Nackenbereich der Halswirbelsäule sowie periodisches Zucken in Wange und Kinnbereich für etwa 2 Minuten. Eine neurologische Diagnostik hat jedoch nicht stattgefunden. Eine regelrechte Fazialisparese wird nirgends erwähnt.
- Eine Polyneuropathie/Polyneuritis als Ausdruck einer Borrelieninfektion wird laut der Leitlinie der DGN bei europäischen Patienten meist in Assoziation mit einer Acrodermatitis chronica atrophicans (ACA) gesehen. Isolierte Polyneuropathien/Polyneuritiden wurden bei amerikanischen Patienten beschrieben, sind in Europa aber extrem selten. Eine isolierte Polyneuropathie zählt nicht zum klinischen Spektrum der Neuroborreliose (vgl. A. Krause und V. Fingerle, a. a. O., S. 244). Polyneuritiden, die in Assoziation mit einer ACA auftreten, bessern sich – wenn auch langsam – auf antibiotische Behandlung. Bei Patienten mit Polyneuropathie/Polyneuritis und positiver Borrelienserologie im Blut kann nicht ohne weiteres von einem kausalen Zusammenhang ausgegangen werden, da borrelienspezifische Antikörper je nach Endemiegebiet und Altersgruppe bei 5-25% gesunder Personen gefunden werden. In diesen Fällen hängt die Wahrscheinlichkeit des kausalen Zusammenhangs davon ab, ob weitere klinische Symptome einer Lyme-Borreliose vorliegen oder ob andere häufige Ursachen von Polyneuritiden abgegrenzt wurden und typische Liquorveränderungen vorliegen. Eine ACA liegt im Falle des Klägers gerade nicht vor. Die Polyneuropathie hat sich auch durch mehrfache Antibiotika-Therapien nicht gebessert. Eine positive Liquorserologie ist nicht erhoben worden.
- Eine Beteiligung des zentralen Nervensystems findet sich sehr selten im Rahmen einer Neuroborreliose und verläuft meist chronisch. Die häufigste Manifestation ist eine Myelitis mit spastisch-ataktischem Gang und Blasenstörung (liegt hier nicht vor). Bei 60% der Patienten mit Myelitis finden sich zusätzlich Zeichen einer Enzephalitis. Die Enzephalitis weist keinerlei klinische Charakteristika auf, die für den Erreger spezifisch wären. Im Rahmen dieser Erkrankung kommt es zu Paresen, Sprach- und Sprechstörungen, Koordinationsstörungen, gelegentlich epileptischen Anfällen, selten organisches Psychosyndrom mit Konzentrationsschwäche, Bewusstseinsminderung und Halluzinationen. Eine Myelitis mit spastisch-ataktischem Gang liegt hier nicht vor.
- Selten kommt es zu einer Lyme-Karditis, die gekennzeichnet ist durch artrioventrikuläre Überleitungsstörungen bis zum kompletten AV-Block, Veränderungen des ST-T-Segments, Vorhofflimmern, ventrikuläre Extrasystolen, Tachykardien, Synkopen, eine eingeschränkte linksventrikuläre Funktion oder eine manifeste Herzinsuffizienz (vgl. A. Krause und V. Fingerle, a. a. O., S. 244; RKI-Ratgeber für Ärzte „Lyme-Borreliose unter „Klinische Symptomatik“, Stand 30. April 2007, unter www.rki.de). Auch für dieses Krankheitsbild gibt es keinerlei Anhaltspunkte.
- Bei einer Lyme-Arthritis handelt es sich um eine Mono- oder Oligoarthritis großer Gelenke (vor allem Knie, Sprunggelenk, Ellenbogen, Schulter). Sie manifestiert sich typischerweise mehrere Wochen bis Monate nach Erregerübertragung (vgl. A. Krause und V. Fingerle, a. a. O., S. 244 f). Im Falle des Klägers werden entzündliche Erscheinungen oder Veränderungen an den Gelenken nicht beschrieben. Weder sind etwa in den Gutachten oder den medizinischen Befunden aus U Erwärmungen, Schwellungen oder Rötungen über den Gelenken dokumentiert noch Destruktionen der Gelenke oder typische Veränderungen der Synovia (vgl. hierzu z. B. den Arztbrief der C vom 08. Januar 2002).
Zum anderen ist bereits die Annahme, die vom Kläger aufgezählten Beschwerden seien sämtlich neuartig, unzutreffend. So litt er nach den Angaben des ehemals behandelnden Arztes Dr. S in seinem Befundbericht vom 25. November 2008 bereits Jahre vor dem Zeckenstich vom 25. Juli 2001 unter Oberbauchbeschwerden. Darüber hinaus gehören gastrointestinale Beschwerden nicht zum Krankheitsbild der Lyme-Borreliose (vgl. A. Krause und V. Fingerle, a. a. O., S. 243).
Soweit Dr. B letztlich auch eine Depression im Rahmen einer Lyme-Borreliose, etwa als Manifestation einer Enzephalitis, werten will, kann dies angesichts der vielfältigen Ursachen einer Depression, die u. a. genetische Ursachen haben oder reaktiv bedingt oder altersbedingt sein kann, vom Senat nicht nachvollzogen werden. Allein der Umstand, dass die Diagnose einer Depression erstmals nach dem Zeckenbiss im Juli 2001 gestellt worden ist, bedeutet weder, dass eine depressive Erkrankung nicht schon vorher bestand noch begründet dies einen ursächlichen Zusammenhang mit der Borreliose-Infektion.
Auch das auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG eingeholte Gutachten des Dr. D überzeugt den Senat nicht. Soweit dieser in seinem Gutachten ausführt, bei dem Kläger bestehe auf der Grundlage der Klinik mit Wahrscheinlichkeit eine CLB oder ein PLS, die auf die anerkannte Borrelieninfektion zurückzuführen sei, so kann dem nicht gefolgt werden. Insbesondere das von Dr. D als Diagnosemöglichkeit angenommene PLS stellt kein wissenschaftlich belegtes Krankheitsbild dar (vgl. die Leitlinie der DGN „Neuroborreliose“ unter 3.1; H. M. Feder, B. J. B. Johnson, S. O´Connell, E. Shapiro, A. C. Steere, G. P. Wormser und andere, „A Ciritcal Appraisal of „Chronic Lyme-Disease““ in N Engl J Med. 2007; 357:1422-1430; Stanek et. al., a. a. O., S. 74). Hier ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass das vom Kläger geklagte Beschwerdebild seit 2001 weitgehend durchgängig bzw. sogar sich ausweitend besteht, obwohl insgesamt mindestens sechs Antibiotika-Behandlungen durchgeführt worden sind (2001, 2002, 2x 2004, 2005 und 2006). Gerade dieser Umstand deutet darauf hin, dass lediglich eine Koinzidenz zwischen den zahlreichen unspezifischen Beschwerden und der Borreliose-Infektion und keine Kausalität besteht (vgl. die Leitlinie der DGN unter 3.1 sowie A. Krause und V. Fingerle, a. a. O., S. 250 f). Zwar führt Dr. Dweiteres Schrifttum an, nach dem ein PLS existiert. Die Beurteilung des wesentlichen Ursachenzusammenhangs zwischen dem Primärschaden (d. h. der Infektion) und einer möglichen dauerhaften Folge hat jedoch auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes und nicht auf der Basis einer Einzel- oder Minderheitsmeinung, die wissenschaftlich nicht belegt ist, zu erfolgen.
Die von Dr. D präsentierte Ansicht beruht nicht auf dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand, wie er u. a. in der Leitlinie der DGN „Neuroborreliose“ oder auch in dem bereits zitierten Aufsatz von A. Krause und V. Fingerle niedergelegt ist. Seine Ausführungen zur Gültigkeit der Leitlinie der amerikanischen Gesellschaft für Infektionskrankheiten IDSA „The Clinical Assessment, Treatment and Prevention of Lyme Disease, Human Granulocytic Anaplasmosis and Babesiosis“ von 2006 (veröffentlicht in CID 2006:43 (1 November), 1089 ff) sind nicht weiterführend, zumal diese „Guidelines“ entgegen seiner Forderung laut der Pressemitteilung vom 22. April 2010 (zu finden unter www.idsociety.org) nicht revidiert worden sind.
Aber auch soweit Dr. D von einer CLB - chronischen Lyme-Borreliose - bei dem Kläger ausgeht, überzeugt dies nicht. Die von ihm aufgeführte Beschwerdeliste des Klägers ist gegenüber der Aufzählung im Gutachten des Dr. B ein noch erweitertes Konglomerat unspezifischer Beschwerden. Die Krankheiten, die Dr. D anhand der Beschwerden und der Klinik festgestellt und im Rahmen der CLB interpretiert hat:
1. Chronische Darmstörungen im Sinne eines Leaky-Gut-Syndroms
2. Chronische Erschöpfung
3. Infektanfälligkeit, v. a. im Bereich der Nasennebenhöhlen
4. Schlafstörungen
5. Hyperhidrosis, v. a. Nachtschweiß
6. Rezidivierende stechende Schmerzen in Blase und Prostata; abakterielle Prostatitis
7. Erektile Dysfunktion mit Libidoverlust
8. Merkfähigkeits- und Konzentrationsstörungen
9. Reaktive Depression
10. Sehstörungen in Form von Mückensehen („Mouche volante“)
11. Wechselnde Gelenkbeschwerden wie bei seronegativem Rheuma
12. Sicca-Syndrom von Nase und Ohr
können – wie die Beklagte zu Recht aufzeigt – nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die Borreliose-Infektion ursächlich zurückgeführt werden. Hinsichtlich des sog. Leaky-Gut-Syndrom stellen sich mehrere Bedenken. Zum einen bestehen die von ihm darin zusammengefassten Beschwerden des Klägers „rezidivierende Bauchbeschwerden wechselnder Intensität mit Blähungen, Völlegefühl und Obstipation“ bereits seit längerem, nämlich laut dem Befundbericht des Dr. S vom 25. November 2008 zum Zeitpunkt der erstmaligen Vorstellung bei ihm am 20. Januar 2000 „seit vielen Jahren“. Zum anderen gehören gastrointestinale Symptome – wie schon dargelegt – nicht zu dem Krankheitsbild einer Borrelioseerkrankung. Darüber hinaus handelt es sich bei dem Leaky-Gut-Syndrom nicht um eine anerkannte Diagnose (vgl. www.en.wikipedia.org/wiki/Leaky_gut_syndrome). Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass das Leaky-gut-Syndrom nach den im Internet zu findenden deutschen Webseiten, u. a. www.leaky-gut-syndrom.de, auch durch wiederholte Antibiotikagaben wie beim Kläger und das dadurch verursachte Ungleichgewicht der Darmflora hervorgerufen werden kann. Die anderen Beschwerden können entweder mit dem Bluthochdruck in Zusammenhang stehen (z. B. die Hyperhidrosis oder das Mückensehen) oder mit einer endogenen/reaktiven Depression (etwa chronische Müdigkeit, Erschöpfbarkeit, Schlafbeschwerden) oder mit dem zunehmenden Alter des Klägers (Erektionsbeschwerden und Prostatitis) oder mit dem erheblichen Nikotinkonsum des Klägers (z. B. die erhöhte Infektanfälligkeit speziell im Bereich der Nasennebenhöhlen). Relevante altersuntypische Merkfähigkeits- und Konzentrationsstörungen sind nie nachgewiesen worden. Allein die Tatsache, dass eine Depression erst nach der Borrelieninfektion aufgetreten oder jedenfalls diagnostiziert worden ist, stellt keinen belastbaren Ursachenzusammenhang zwischen der Infektion und dieser Erkrankung her. Regelrechte Arthritiden etwa i. S. e. Lyme-Arthritis mit einer entzündlichen Veränderung / Verdickung der Gelenkhäute mit Rötungen bzw. Überwärmungen der Gelenke sind ebenfalls nirgends dokumentiert. Eine isolierte Polyneuropathie – die Dr. D bei seinen Diagnosen gar nicht aufgezählt hat – zählt wiederum nicht zum klinischen Spektrum der Neuroborreliose.
Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger neben der Borrelien-Infektion eine Hepatitis A und Infektionen mit dem Epstein-Barr-Virus, Bartonella henselae sowie Chlamydien durchgemacht hat. Keine dieser Infektionen steht im Zusammenhang mit der Borrelieninfektion. So wird eine Infektion mit Bartonella henselae durch Katzen, sehr selten durch Hunde oder Eichhörnchen, übertragen (vgl. Mehrtens/Brandenburg, Kommentar zur BKV, Anhang zu M 3102 S. 10)
Letztlich stellen sich die Beschwerden des Klägers auch nach der Begutachtung durch Dr. D als ein Konglomerat vielfältiger und weitgehend unspezifischer Beschwerden dar, die einer Lyme-Borreliose, insbesondere in Form einer Neuroborreliose, nicht zugeordnet werden können, so dass sich zu keinem Zeitpunkt im notwendigen Vollbeweis das Krankheitsbild einer Lyme-Borreliose sichern lässt.
Nach alldem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.