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Entscheidung 11 KLs 7/16


Metadaten

Gericht LG Neuruppin Entscheidungsdatum 05.07.2016
Aktenzeichen 11 KLs 7/16 ECLI ECLI:DE:LGNEURU:2016:0705.11KLS7.16.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Angeklagte XXX wird wegen Rechtsbeugung in 5 Fällen jeweils in Tateinheit mit Verwahrungsbruch sowie wegen Verwahrungsbruchs in 4 weiteren Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von

1 Jahr und 9 Monaten

verurteilt.

Die Vollstreckung der verhängten Strafe wird zur Bewährung ausgesetzt.

Die Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens einschließlich des Revisionsverfahrens zu tragen.

 

Angewandte Vorschriften:    

§§ 133 Abs. 1 und 3, 339, 52, 53 StGB.

 

Gründe

In der Zentralen Bußgeldstelle Gransee erfolgt die Bearbeitung der Vorgänge anhand einer elektronischen Akte. Dazu wird der Vorgang, der als sogenannte Rotakte in Papierform eingeht, zunächst ins System eingepflegt und sodann von diesem den einzelnen Bearbeitern nach bestimmten Vorgaben hinsichtlich der jeweiligen, intern geregelten fachlichen Zuständigkeiten im Übrigen jedoch nach dem Zufall zugeteilt. Die Bearbeiter finden den einzelnen, ihnen zugewiesenen Vorgang in ihrem elektronischen Briefkorb und arbeiten die Vorgänge sodann ab. Darüber hinaus ist es möglich, dass ein Teamleiter einzelne Vorgänge bestimmten Bearbeitern zuweist, aber auch der einzelne Bearbeiter kann auf die Vorgänge zugreifen und sie zur (weiteren) Bearbeitung an sich ziehen. Der Zugriff kann sowohl über das Gruppenlaufwerk erfolgen, indem das Kennzeichen eines Fahrzeugs eingegeben wird und das System die dazu vorhandenen Vorgänge anzeigt, oder über eine Suchmaske, in der verschiedene Kriterien wie Namen, Geburtsdaten, Kennzeichen, fachliche Bezüge, Tattag o. ä. eingegeben werden können, zu denen das System sodann die entsprechenden Vorgänge in einer Verfahrensübersicht auflistet. Aus dieser Verfahrensübersicht ergibt sich auch bereits der Verfahrensstand der Vorgänge. Eine verbindliche Dienstanweisung, die den Zugriff der Sachbearbeiter auf die einzelnen Vorgänge regelt, besteht nicht.

In der inhaltlichen Bearbeitung der Vorgänge sind die Sachbearbeiter weitgehend frei. Ihnen ist bei der rechtlichen Beurteilung des Sachverhalts ein breiter Ermessensspielraum eingeräumt. Die Dienstanweisung für das automatisierte Verwarn- und Bußgeldverfahren im Teilbereich ZBSt 1 (Stand September 2014) enthält lediglich eine Anweisung dazu, was im Fall der Erhöhung einer Geldbuße bei Voreintragungen zu beachten ist, welche Voraussetzungen vorliegen müssen, um eine Geldbuße abzusenken und wann ein Verfahren eingestellt werden kann. Wird gegen einen Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt kann der Sachbearbeiter diesem ganz oder teilweise abhelfen und aufgrund der Einlassung des Betroffenen den angefochtenen Bußgeldbescheid aufheben oder einen neuen, abgeänderten Bußgeldbescheid erlassen. Die Dienstanweisung enthält auch insoweit keine Anweisungen zur inhaltlichen Bearbeitung, sondern allein zum verfahrensmäßigen Umgang mit dem Einspruch. Die Entscheidung über den Einspruch ist nicht allein dem Sachbearbeiter vorbehalten, der den Bußgeldbescheid erlassen hat. Auch insoweit kann theoretisch jeder Sachbearbeiter im Rahmen der Einspruchsbearbeitung tätig werden. Hilft der Sachbearbeiter dem Einspruch nicht ab, wird die Akte aus dem System ausgedruckt, da es nicht möglich ist, die elektronische Akte in anderer, insbesondere elektronischer Form an andere Behörden abzugeben. Ferner wird der Druck einer CD mit den gespeicherten Daten veranlasst und diese zusammen mit der erstellten Papierakte in der Folge zur Weiterleitung an die Staatsanwaltschaft in das Postsammelzimmer verbracht.

Im Bereich „Fahrpersonal“ gibt es neben den Anzeigen gegen den Fahrer wegen Verstoßes gegen die Lenk- und Ruhezeiten auch die sogenannten Halteranzeigen wegen der vorgenannten Verstöße der Fahrer. Während die Bearbeitung der Anzeigen gegen die Fahrer der Zentralen Bußgeldstelle Gransee obliegt, ist für die Halteranzeigen das Landesamt für Arbeitsschutz zuständig. Gehen solche Halteranzeigen bei der Zentralen Bußgeldstelle ein, werden diese im System eingepflegt, von den zuständigen Sachbearbeitern auf Vollständigkeit geprüft und der Ausdruck der eingepflegten Dokumente sowie der Druck einer CD mit den gespeicherten Daten veranlasst. Die erstellte Papierakte nebst CD wird dann zur Weiterleitung an das Landesamt für Arbeitsschutz, die einmal pro Woche erfolgt, gesammelt.

Eine Eingangsbestätigung durch die Staatsanwaltschaft oder das Landesamt für Arbeitsschutz gegenüber der Zentralen Bußgeldstelle erfolgt nicht. Zu Aktenverlusten kommt es in diesem Zusammenhang äußerst selten. Im Jahr 2014 sind in sieben Teams zehn Akten im Rahmen des Postverkehrs mit Staatsanwaltschaften, dem Landesamt für Arbeitsschutz sowie Rechtsanwälten in Verlust geraten.

XXX

Im Einzelnen kam es im hier maßgeblichen Zeitraum zu den nachfolgend dargestellten Zugriffen der Angeklagten auf Vorgänge aus dem Bereich „Fahrpersonal“, die das Unternehmen XXX GmbH oder dessen Fahrer betrafen. Die Angeklagte griff hierbei ganz offensichtlich jeweils auf die Vorgänge zu, um eine für die XXX GmbH oder deren Fahrer günstige Bearbeitung zu erreichen. Die Motivation für ihr vorbezeichnetes Handeln hat die Kammer ebenso wenig ermitteln können, wie den Grund für den Umstand, dass gerade die XXX GmbH und deren Mitarbeiter von ihrem Tun begünstigt wurden.

XXX

XXX

XXX

XXX

B.

XXX

1. Feststellungen zur Person

XXX

2. Feststellungen zum Tatgeschehen

XXX

XXX

XXX

III.   Rechtliche Würdigung

1.

Nach diesen Feststellungen hat die Angeklagte sich zunächst – über ihre rechtskräftig feststehende , unter A. bereits erörterte Strafbarkeit wegen Verwahrungsbruchs in vier Fällen hinaus – auch in den Fällen 1, 5, 10, 11 und 12 der Anklageschrift wegen Verwahrungsbruchs gemäß § 133 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. Sie hat auch in diesen fünf Fällen die eigens zur Versendung aus dem System ausgedruckten Dokumente, die den Inhalt der elektronischen Akten wiedergeben, dem behördlichen Geschäftsgang und damit der dienstlichen Verfügung entzogen. Als eine der dienstlichen Verfügung entziehende Handlung ist jede Handlung anzusehen, mit der die unmittelbare Verwendung der Sache unmöglich gemacht wird, wobei es ausreicht, wenn die jederzeitige Bereitschaft für den bestimmungs-gemäßen Gebrauch auch nur vorübergehend aufgehoben oder erheblich erschwert ist. Die ausgedruckten Dokumente sind nicht bei der Staatsanwaltschaft bzw. dem Landesamt für Arbeitsschutz eingegangen. Ob die Angeklagte sie nach dem Ausdruck vernichtet oder sie für Dritte unauffindbar abgelegt hat, konnte zwar nicht aufgeklärt werden, darauf kommt es jedoch im Ergebnis auch nicht an. Maßgeblich ist insoweit allein, dass die Dokumente, die sich zunächst in der Verfügung der Zentralen Bußgeldstelle Gransee befanden und die mit der auf den Einspruch erforderlichen Abgabe an die Staatsanwaltschaft in deren Verfügung übergehen sollten, dort nicht angekommen sind und auch im Bereich der Zentralen Bußgeldstelle nicht wieder aufgefunden wurden, mithin dem dienstlichen Zugriff entzogen sind. Dass die entscheidungserheblichen Unterlagen noch im System der Zentralen Bußgeldstelle zur Verfügung standen, ist für die rechtliche Bewertung unerheblich. Denn dadurch, dass die Angeklagte mittels ihrer Eintragungen im System vorspiegelte, dass die Bearbeitung ihren ordnungsgemäßen Gang genommen habe, sorgte sie dafür, dass es zu keinen Nachfragen in diesen Vorgängen kam, aufgrund derer das Verschwinden der Papierakte aufgefallen und eine „neuerliche“ Übersendung an die Staatsanwaltschaft oder das Landesamt für Arbeitsschutz veranlasst worden wäre.

Die Entziehung der Dokumente aus der amtlichen Verwahrung lag auch in der Intention der Angeklagten, da sie auf diese Weise sicherstellen wollte, dass die betroffenen Fahrer sowie das betroffene Unternehmen in den verfahrensgegenständlichen Fällen nicht weiter verfolgt werden, insbesondere gegen sie kein Bußgeld verhängt wird.

Da die Angeklagte als Sachbearbeiterin in der Zentralen Bußgeldstelle Gransee Amtsträgerin im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 c) StGB war, und da die aus dem System ausgedruckten Dokumente, die den Inhalt der elektronischen Akten wiedergeben, ihr in dieser Funktion anvertraut waren, hat sie auch die Qualifikation des § 133 Abs. 3 StGB erfüllt.

Tateinheitlich hat die Angeklagte mit jeder dieser fünf Taten auch eine Rechtsbeugung gemäß § 339 StGB begangen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann ein Verwaltungsbediensteter als anderer Amtsträger Täter einer Rechtsbeugung sein, wenn er gleich einem Richter eine Rechtssache leitet und entscheidet. Dies trifft in hier noch in Rede stehenden fünf Fällen auf die Angeklagte zu. Denn sie entschied als Mitarbeiterin der Zentralen Bußgeldstelle im Rahmen von deren Zuständigkeit nach § 35 OWiG über die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten. Dabei spielt es keine Rolle, dass sie Angeklagte für die hier in Rede stehenden Verfahren eigentlich innerhalb der Zentralen Bußgeldstelle gar nicht zuständig war. Denn sie war durch die Organisation des Dienstbetriebes der Zentralen Bußgeldstelle in die Lage versetzt, jedes beliebige dort anhängige Bußgeldverfahren zur Bearbeitung an sich zu ziehen und damit zugleich die Befassung eines anderen Sachbearbeiters mit der Angelegenheit zu beenden. Damit wurde sie in allen Fällen, in denen sie so verfuhr, zu der die Rechtssache leitenden und entscheidenden Person im Sinne von § 339 StGB, und zwar unabhängig von der Frage, ob und inwieweit sie nach den ihr erteilten dienstlichen Anweisungen berechtigt, gehalten oder gar verpflichtet war, die Sachbearbeitung zu übernehmen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt der Straftatbestand der Rechtsbeugung den Rechtsbruch als elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege unter Strafe. Dabei stellt nicht jede unrichtige Rechtsanwendung eine Beugung des Rechts im Sinne von § 339 StGB dar, sondern es werden nur solche Rechtsverstöße erfasst, bei denen sich der Täter bewusst und in schwerer Weise von Recht und Gesetz entfernt. Dabei kommt es  für die Bewertung einer Handlung als Rechtsverstoß nicht entscheidend darauf an, ob diese Handlung für sich betrachtet rechtlicher Natur ist, sondern ob sie einen Teil des Inbegriffs aller Maßnahmen darstellt, die auf die Erledigung der Sache hinzielen.

Vorliegend hat die Angeklagte jeweils die Verfahrensakte zum Verschwinden gebracht und damit das Verfahren zu einem endgültigen – verfahrensrechtlich so nicht vorgesehenen – Abschluss gebracht. Dadurch hat sie das von ihr verfolgte Ziel realisiert, einen Fortgang des Verfahrens mit der voraussichtlichen Folge einer rechtskräftigen Ahndung der Ordnungswidrigkeit, jedenfalls aber mit der Folge einer ihrem Einfluss entzogenen Sachentscheidung durch die dafür verfahrensrechtlich zuständige Stelle, zu verhindern. Diese endgültige Verhinderung einer Sachentscheidung bei gegebener Zuständigkeit für deren Herbeiführung und ohne jeden verfahrensrechtlich relevanten Grund stellt eine bewusste und schwerwiegende Abkehr der Angeklagten von Recht und Gesetz und damit Rechtsbeugung im Sinne von § 339 StGB dar.