Gericht | OLG Brandenburg 7. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 25.09.2024 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | 7 U 198/22 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2024:0925.7U198.22.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 22.11.2022, Az. 12 O 37/22, abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:Die Beklagte zu 1. wird verurteilt, an den Kläger 10.500,00 € Zug um Zug gegen Übertragung der Beteiligung Nr. … an der A… Genossenschaft eG i.L. zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.09.2024.
2. Im Übrigen wird die Klage unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung abgewiesen.
3. Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen der Kläger und die Beklagte zu 1. jeweils die Hälfte. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1. trägt diese selbst; die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2. trägt der Kläger.
4. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil, soweit es Bestand hat, sind vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor der Gläubiger Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
5. Die Revision der Beklagten zu 1 gegen dieses Urteil wird zugelassen.
I.
Die Parteien streiten um Zahlungsansprüche nach einem vom Kläger erklärten Widerruf seines Beitritts zur Beklagten zu 1. sowie um Ansprüche aus fehlerhafter Anlageberatung gegenüber dem Beklagten zu 2.
Die Beklagte zu 1. ist eine Genossenschaft mit Sitz in P…, die sich in Liquidation befindet.
Nach einer telefonischen Beratung durch den Beklagten zu 2. und auf dessen Vermittlung unterzeichnete der Kläger am 28. Oktober 2015 ein ihm per Post übersandtes Beitrittsformular (Anlage K3, Bl. 56 d.A.), das die Erklärung enthielt, der Beklagten zu 1. beizutreten und sich (zunächst) mit 10 Geschäftsanteilen in Höhe von 1.000 Euro, also mit 10.000 Euro zu beteiligen. Zudem enthielt das Formular die Regelung, dass das Eintrittsgeld 500 Euro beträgt und mit dem Erwerb der Mitgliedschaft insgesamt und zusätzlich fällig ist.
In der Vereinbarung war folgende Widerrufsbelehrung enthalten:
„Meine Beteiligungserklärung kann ich innerhalb einer Frist von 2 Wochen ohne Angabe von Gründen in Textform (Brief, Fax, Email) widerrufen. Die Widerrufsfrist beginnt mit der Aushändigung der Durchschrift meiner Beitrittserklärung und der hierauf enthaltenen Widerrufsbelehrung. Zur Wahrnehmung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs an die A…genossenschaft eG, M.. , P…, Telefon: …, Telefax: …, Email: …“
Der Zweck der Genossenschaft ist in § 2 Abs. 1 der Satzung (K10, Bl. 83 LG) mit der wirtschaftlichen Förderung und Betreuung der Mitglieder durch Altersvorsorgeleistungen bestimmt. Die Beklagte präsentiert ihre Tätigkeit mit der Variante einer langfristigen Altersvorsorge mit Rentenplan und einer „Express-Rente“, die durch den fortgesetzten Erwerb von Geschäftsanteilen und die sodann jährlich vom Mitglied zu erklärende Kündigung in Bezug auf einen Teil der Geschäftsanteile realisiert werden könne. Ziel der Anlage ist die Erzielung von Gewinnen aus der Beteiligung, die zunächst in das Unternehmen investiert werden und bei Kündigung der Mitgliedschaft zur Auszahlung gelangen sollen. Wegen der Einzelheiten der Beteiligung wird auf den Prospekt der Beklagten (Anlage K2, Bl. 43 ff LG) Bezug genommen.
Der Kläger zahlte 10.000,00 € sowie die Beitrittsgebühr von 500,00 € an die Beklagte. Die Beklagte zu 1. bestätigte dem Kläger mit Schreiben vom 04.11.2015 (Anlage K4, Bl. 57 d.A.) den Beitritt. Der Kläger hatte am 30.01.2018 ein Geschäftsguthaben in Höhe von 10.404,28 €. Bei den 404,28 € handelt es sich um Dividenden, die dem Geschäftskonto des Klägers gutgeschrieben wurden.
Im August 2018 beschloss die Generalversammlung der Beklagten deren Liquidation (Anlage K 9, Bl. 82 d.A.), worüber die Mitglieder informiert wurden (Anlage B 1, Bl. 127 ff. d.A.).
Mit Anwaltsschreiben vom 29.11.2021 (Anlage K 8, Bl. 69 ff. d.A.) erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten zu 1. den Widerruf der Beitrittserklärung und verlangte von dieser, einen Rückzahlungsanspruch in Höhe von 10.904,28 Euro, hilfsweise in Höhe von 9.904,28 Euro, dem Grunde nach anzuerkennen und den Betrag nach Aufstellung einer Auseinandersetzungsbilanz an ihn auszuzahlen.
Mit Schreiben vom 23.01.2022 (Anlage K 7, Bl. 59 ff. d.A.) machte er gegenüber dem Beklagen zu 2. Schadensersatzansprüche geltend.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, er habe durch seinen Beitritt einen Fernabsatzvertrag über eine Finanzdienstleistung, nämlich eine Altersvorsorgeleistung, abgeschlossen. Die Widerrufsbelehrung im Beitrittsformular sei nicht ausreichend, weil nicht über die Widerrufsfolgen belehrt werde. Außerdem habe die gesetzliche Widerrufsfrist mangels unzureichender Erfüllung der bestehenden Informationspflichten nie zu laufen begonnen. Er sei deshalb auch 6 Jahre nach seiner Beitrittserklärung noch zum Widerruf derselben berechtigt. In der Folge sei sein Widerruf nach den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft abzuwickeln. Es sei wie bei einer außerordentlichen Kündigung eine Auseinandersetzungsbilanz zu erstellen und das sich hieraus ergebende Guthaben auszuzahlen. Der Beklagte zu 2. hafte wegen fehlerhafter Anlageberatung, da dieser ihn nicht über die hochriskante, spekulative Anlageform und das Risiko des Totalverlusts hingewiesen habe
Die Beklagten sind der Klage entgegengetreten.
Die Beklagte zu 1. hat die Ansicht vertreten, dass es sich bei dem Beitritt des Klägers nicht um einen Vertrag über eine Finanzdienstleistung handele, weshalb die Widerrufsbelehrung nicht den Anforderungen des Art. 246b § 2 Abs. 1 EGBGB entsprechen müsse. Die Widerrufsbelehrung sei richtig gewesen. Aus § 356 Abs. 3 S. 2 BGB ergebe sich, dass unabhängig von etwaigen Fehlern bei der Widerrufsbelehrung das Widerrufsrecht jedenfalls spätestens 12 Monate und 14 Tage nach dem Vertragsschluss erloschen sei. Außerdem sei ein Widerrufsrecht jedenfalls nach § 356 Abs. 4 S. 3 BGB erloschen, weil der Kläger das Geschäftsguthaben ohne Aufforderung hierzu eigenständig vor Ablauf der Widerrufsfrist an die Beklagte überwiesen habe. Ein etwa doch noch bestehendes Widerrufsrecht sei jedenfalls verwirkt. Außerdem seien dessen Rechtsfolgen – wenn es denn noch ausübbar bestünde – aufgrund der seit 2018 andauernden Liquidation gemäß § 75 GenG gehemmt.
Der Beklagte zu 2. hat sich darauf berufen, dass etwaige Ansprüche gegen ihn verjährt seien, da der Kläger seit August 2018 Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen habe. Außerdem sei lediglich ein Anlagevermittlungsvertrag und kein Beratungsvertrag zustande gekommen, da von ihm nur eine einzige Kapitalanlage angeboten worden sei. Abgesehen davon habe er den Kläger zutreffend beraten und ihn über sämtliche Risiken der Geldanlageform aufgeklärt. Auch sei dem Kläger ein Prospekt mit allen wesentlichen Informationen überreicht worden. Der Kläger habe auch kürzlich die Gelegenheit gehabt, seinen Anteil für 80 % des Nominalwertes zu veräußern. Jedenfalls treffe ihn ein 80 % iges Mitverschulden an der Schadensentstehung, da er dieses Angebot zur Schadensminimierung nicht angenommen habe.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und dies im Wesentlichen damit begründet, dass dem Kläger am 29.11.2021 kein Widerrufsrecht mehr zugestanden habe, da die Frist gem. § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB mit Ablauf von 14 Tagen abgelaufen sei. Da es sich bei dem Beitritt des Klägers nicht um eine Finanzdienstleistung gehandelt habe, habe die Widerrufsbelehrung nicht den Anforderungen des § 246b § 2 Abs. 1 EGBGB entsprechen müssen. Es sei nicht ausreichend dargetan, dass es sich bei dem Vertrag um eine Altersvorsorgeleistung gehandelt habe. Gegenüber dem Beklagten zu 2. bestünden keine Ansprüche, da nicht dargetan worden sei, dass mit diesem ein Beratungsvertrag geschlossen worden sei. Auch habe der Kläger nicht ausreichend zum Inhalt des Beratungsgesprächs vorgetragen.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Mit Schriftsatz vom 20.02.2023 hat der Kläger seine Berufung begründet. Dieser Schriftsatz enthält keine ausdrücklichen Berufungsanträge. Solche sind erst im Schriftsatz vom 03.05.2023 enthalten.
Der Kläger ist der Ansicht, dass das Landgericht seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt habe, da es Passagen des erstinstanzlichen Urteils einer anderen Kammer (4 O 36/22) abgeschrieben und dabei falsche Daten, wie etwa eine falsche Beteiligungssumme und falsche Gesprächstermine übernommen habe. Das Landgericht habe auch die rechtliche Bedeutung der streitgegenständlichen Beteiligung als Altersvorsorge und damit als Finanzdienstleistung im Sinne des § 312 Abs. 5 S. 1 BGB verkannt. § 312 Abs. 5 BGB sei richtlinienkonform auszulegen, so dass die Norm richtigerweise zur Erreichung eines hohen Verbraucherschutzniveaus jede Dienstleistung im Zusammenhang mit einer Altersvorsorge erfasse und weit auszulegen sei. Der Widerruf des Klägers sei am 29.11.2021 noch möglich gewesen, zumal die Beklagte zu 1. die Anlagesumme vor Ablauf der Widerrufsfrist erhalten habe. § 75 GenG stehe dem Widerruf nicht entgegen. Die Norm sei nach ihrem Wortlaut nicht anwendbar, da kein Fall des Ausscheidens vorliege, sondern ein Widerrufsrecht ausgeübt werde. Die Norm gelte nach allgemeiner Ansicht nicht für die Übertragung des Geschäftsguthabens, so dass keine abschließende Regelung vorliege. Das Verbraucherrecht müsse dem Gesellschaftsrecht vorgehen. Jedenfalls mache der Kläger aber vorsorglich und hilfsweise den Teil-Widerruf unter Aufrechterhaltung eines einzigen Geschäftsanteils geltend.
Auch habe das Landgericht die Klage gegenüber dem Beklagten zu 2. abgewiesen, ohne zuvor Hinweise zu erteilen, in welcher Hinsicht weiterer Vortrag nötig gewesen wäre. Der Beklagte zu 2. habe den Kläger am 17.10.2015 online beraten und dieser habe empfohlen, eine Beteiligung bei der Beklagten zu 1. zum Zwecke der ergänzenden Altersvorsorge zu erwerben. Der Kläger habe wegen seines Alters bei dem Online Termin nochmal zum Ausdruck gebracht, dass es vor allem eine sichere Geldanlage sein solle. Daneben habe der Beklagte zu 2. dem Kläger eine Beteiligung an der G… Immobilien eG in M… angeraten. Ihm sei kein Prospekt ausgehändigt worden und er sei nicht über die Risiken der Anlage aufgeklärt worden. Es sei ein Beratungsvertrag zustande gekommen, als sich der Beklagte zu 2. von sich aus an den Kläger gewandt habe. Eine Verjährung der Ansprüche sei nicht eingetreten, da es eine anwaltliche Beratung über die Aufklärungspflicht des Beklagten zu 2. im Jahr 2018 nicht gegeben habe und daher eine kenntnisabhängige Verjährung nicht zu laufen begonnen habe.
Mit Schriftsatz vom 03.05.2023 hat der Kläger zunächst in den Klageanträgen zu 1 bis 4 beantragt, das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 11.10.2022 (Az.: 12 O 37/22) abzuändern und 1. die Beklagte zu 1. im Wege der Stufenklage zu verurteilen, a) ihm das sich aus der Beteiligung Nr. … ergebende Auseinandersetzungsguthaben zum Stichtag des 31.12.2021 ohne Berücksichtigung von Kosten und Gebühren für die vorzeitige widerrufsbedingte Beendigung der Beteiligung zu ermitteln und bis zum 30.06.2022 durch Generalversammlung feststellen zu lassen, b) die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben an Eides statt zu versichern und c) den sich daraus ergebenden Betrag des Auseinandersetzungsguthabens an ihn bis zum 30.06.2022 auszuzahlen. 2. den Beklagten zu 2. zu verurteilen, an ihn Schadensersatz in Höhe von höchstens 10.904,28 € - Zug um Zug gegen Übertragung der Beteiligung Nr. … der A…-Genossenschaft e.G. in Liquidation - zu zahlen, abzüglich des nach Ziffer 1 auszuzahlenden Betrags und zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, 3. festzustellen, dass sich die Beklagtenpartei zu 2. mit der Annahme der Übertragung der im Klageantrag zu 2 genannten Beteiligung in Verzug befindet und 4. die Beklagtenpartei zu 2. zu verurteilen, ihn von sämtlichen weiteren Schäden aus und im Zusammenhang mit der Beteiligung der Klagepartei Nr. … an der A…-Genossenschaft eG in Liquidation freizustellen.
Der Kläger beantragt zuletzt mit am 15.02.2024 den Beklagten zugestelltem Schriftsatz, wobei der ursprüngliche Klageantrag zu 5 nunmehr der Klageantrag zu 4 ist,
1. die Beklagtenparteien zu 1. und 2. als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klagepartei 10.904,28 € - Zug um Zug gegen Übertragung der Beteiligung Nr. … an der A…-Genossenschaft e.G. in Liquidation - zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit,
2. festzustellen, dass sich die Beklagtenparteien zu 1. und 2. mit der Annahme der Übertragung der im Klageantrag zu 2 genannten Beteiligung in Verzug befindet,
3. die Beklagtenparteien zu 1. und 2. zu verurteilen, ihn von sämtlichen weiteren Schäden aus und im Zusammenhang mit der Beteiligung der Klagepartei Nr. … an der A…-Genossenschaft eG in Liquidation freizustellen,
4. die Beklagten zu 1. und 2. als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 1.054,10 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit als Kostenerstattung für die außergerichtliche Rechtsverfolgung zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angefochtene Urteil mit dessen Gründen und tragen ergänzend vor, dass die Berufung schon als unzulässig zu verwerfen sei, da innerhalb der Berufungsbegründungsfrist keine Anträge gestellt worden seien und daher der Umfang der Berufung für sie nicht erkennbar gewesen sei.
Jedenfalls sei die Berufung unbegründet, da die Klage zu Recht abgewiesen worden sei. Bei dem Beitritt zu einer Genossenschaft handele es sich nicht um einen Vertrag über eine Finanzdienstleistung. Von § 312 Abs. 5 Satz 1 BGB seien ausschließlich Pensionssysteme erfasst. Ein solches sei aber nicht Gegenstand des Beitrittsvertrages gewesen. Es komme auch nur auf die objektive Einordnung des Vertrages und nicht seine Bezeichnung oder subjektive wirtschaftliche Motive an. Auch stelle der Beitritt keine Geldanlage im Sinne dieser Norm dar, da eine solche nur echte Finanzinstrumente wie etwa Wertpapiere, Devisen und Derivate umfasse, nicht aber die Beteiligung an einem nicht börsennotierten Unternehmen. Abgesehen davon habe keine Fernabsatzsituation vorgelegen, sondern der Vertrag sei bei dem Beklagten zu 2) abgeschlossen worden und nicht fernmündlich. Ein etwaiges Widerrufsrecht wäre auch verwirkt. Jedenfalls scheitere der Anspruch an § 75 GenG, der auch bei einem Widerruf des Beitritts anzuwenden sei. Ein hilfsweise erklärter Teilwiderruf komme schon deswegen nicht in Betracht, da der Kläger zuvor bereits voll widerrufen habe. Außerdem stehe auch hier § 75 GenG dem Teilwiderruf entgegen.
Dem Anspruch gegenüber dem Beklagten zu 2 stehe entgegen, dass erstinstanzlich nicht zu einem etwaigen Beratungsvertrag vorgetragen worden sei und das zweitinstanzliche Vorbringen zu einer Beratung am 17.10.2015, zu der zuvor nichts dargetan worden sei, nicht berücksichtigt werden könne. Selbst wenn man das Vorbringen berücksichtigen würde, wäre nicht von einem Beratungsvertrag auszugehen. Der Kläger habe sich an den Beklagten zu 2 mit der Bitte um Vermittlung der konkreten Vermögensanlage gewandt. Der Beklagte zu 2 habe den Kläger umfassend aufgeklärt und diesem alle nötigen Informationen zur Verfügung gestellt. Außerdem sei der Anspruch verjährt, da der Kläger im August 2018 Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen gehabt habe.
Die Klage vom 01.02.2022 ist der Beklagten zu 1. am 17.03.2022 und dem Beklagten zu 2. am 16.03.2022 zugestellt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die angefochtene Entscheidung sowie die gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen verwiesen.
II.
I. Die Berufung ist zulässig. Zwar hat der Kläger in der Berufungsbegründung vom 20.02.2023 keine Anträge gestellt und die Berufungsbegründung muss gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO die Erklärung enthalten, inwieweit das Urteil angefochten wird. Die Erklärung, inwieweit das erstinstanzliche Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden, muss aber nicht notwendig mittels als solcher bezeichneter Anträge abgegeben werden. Es reicht aus, wenn die Berufungsbegründung den Schluss zulässt, dass das erstinstanzliche Begehren weiterverfolgt wird. Bei der Beurteilung ist im Grundsatz davon auszugehen, dass eine Berufung im Zweifel gegen die gesamte angefochtene Entscheidung gerichtet ist, diese also insoweit angreift, als der Berufungskläger durch sie beschwert ist (vgl. BGH, Beschluss vom 12.08.2020 – VII ZB 5/20 m.w.N.). So liegt es hier. Aus der Berufungsbegründung ist ersichtlich, dass aus Sicht des Klägers die Abweisung der Klage fehlerhaft war und er sein erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt.
II. Die Berufung hat im tenorierten Umfang Erfolg.
Das Landgericht hat die Klage gegenüber dem Beklagten zu 2) im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
Der Anspruch gegenüber der Beklagten zu 1) ist jedoch entgegen der Ansicht des Landgerichts überwiegend begründet.
1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung von 10.500,00 € - Zug um Zug gegen Übertragung der Beteiligung Nr. … an der A…-Genossenschaft e.G. in Liquidation aufgrund des Widerrufs seiner Beitrittserklärung gegen die Beklagte zu 1.
a. Es bestand ein Widerrufsrecht hinsichtlich seines Beitritts zur Beklagten zu 1. nach § 312g Abs. 1 BGB a.F., da es sich vorliegend um einen Fernabsatzvertrag im Sinne des § 312c Abs. 1 BGB a.F. handelt, denn der Vertrag ist nicht während beiderseitiger Anwesenheit, sondern per Brief zustande gekommen.
b. Der Widerruf erfolgte auch rechtzeitig. Die Widerrufsfrist beträgt gemäß § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. grundsätzlich 14 Tage bei Fernabsatzverträgen, wenn der Unternehmer den Verbraucher gemäß Art. 246 § 1 Abs. 1 Nr. 10 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch unterrichtet hat.
Die verwendete Widerrufserklärung enthält eine Widerrufsbelehrung, deren Wortlaut von der Muster-Widerrufsbelehrung des Gesetzgebers abweicht und damit keine Fiktion der Richtigkeit aufweist. Die Widerrufsbelehrung enthält nämlich keine Belehrung zu den Widerrufsfolgen, was aber gemäß der Gestaltungshinweise zu Nr. 3 der gesetzlichen Muster-Widerrufserklärung erforderlich war, da die beiderseitigen Leistungen vor Ablauf der Widerrufsfrist erbracht wurden. Der Zahlungseingang des Eintrittsgeldes von zusammen 10.500 € erfolgte am 4.11.2015 und damit vor Ablauf der Widerrufsfrist.
Gemäß § 356 BGB Abs. 3 Satz 2 a.F. erlischt das Widerrufsrecht spätestens 12 Monate und 14 Tage nach Vertragsschluss; auf Verträge über Finanzdienstleistungen ist diese Regelung gem. § 356 Abs. 2 Satz 3 BGB a.F. allerdings nicht anzuwenden.
Bei dem abgeschlossenen Vertrag handelt es sich auch um eine Finanzdienstleistung im Sinne der Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-Richtlinie, so dass ein entstandenes Widerrufsrecht bei dem hier vorliegenden Verstoß gegen die Informationspflichten der Beklagten zum Zeitpunkt des Widerrufs noch nicht erloschen war.
Auf die vom Kläger vereinbarte Beteiligung an der Beklagten findet die Regelung des § 312 Abs. 5 BGB Anwendung, da es sich um eine Finanzdienstleistung handelt, die eine „Geldanlage“ zum Gegenstand hat und auch der „Altersversorgung von Privatpersonen“ dient.
Der Begriff der Finanzdienstleistungen in § 312 Abs. 5 BGB übernimmt die Begriffsbestimmungen des Art. 2 lit b) der Richtlinie 2002/65/EG vom 23.09.2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher, deren Umsetzung § 355 Abs. 5 BGB dient. Der Begriff der „Geldanlage“ ist weit gefasst. Die Formulierung ist weitergehend als die „Finanzdienstleistung“ in § 1 Abs. 1a KWG (NK-BGB/Gerhard Ring, BGB § 312 Rn. 77; Flohr/Wauschkuhn/v. Wrede, BGB § 312 Rn. 47; HK-BGB/Hans Schulte-Nölke BGB § 312 Rn 27). Da die Bestimmung in Art. 2 lit b) der RL 2002/65 EG nicht auf die nationalen Rechtsordnungen verweist, ist davon auszugehen, dass es sich bei ihm um einen autonomen Begriff des Unionsrechts handelt, der im gesamten Unionsgebiet einheitlich auszulegen ist, wobei nicht nur der Wortlaut dieser Bestimmung, sondern auch der Zusammenhang, in den sie sich einfügt, und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden, zu berücksichtigen sind (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Juni 2021, C-872/19 P Rn. 42; Urteil vom 22.12.2022, C-530/20 Rn 31).
Die Auslegung muss aufgrund des Unionsrechts zu dem betreffenden Regelungsgegenstand beantwortet werden. Dazu gehören auch Entwurfsfassungen, sofern aus dem späteren Rechtsetzungsverfahren nicht hervorgeht, dass die geänderte Formulierung eine Beschränkung des Regelungsgegenstandes zur Folge haben sollte. Der erste Kommissionsvorschlag vom 19.11.1998 (ABl EG 1998, C 385, 10) enthielt unter der nicht erschöpfenden Liste im Anhang für die Erläuterung des Begriffs noch die Formulierungen „7. Annahme, Übermittlung und Ausführung von Aufträgen bzw. Dienstleistungen im Zusammenhang mit Emissionen folgender Finanzprodukte: a) Geldmarktinstrumente b) Wertpapiere c) OGAW und andere Investmentpapiere, d) Termin- und Optionsgeschäfte, e) Wechselkurs-und Zinsinstrumente (…).“ Die Formulierung wurde zur Vermeidung von Auslegungsschwierigkeiten gestrichen. Die Kommission hat mit ihrem geänderten Vorschlag für die Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher (KOM (1999) 385 endg (98/0245 (COD)) zu den Begriffsbestimmungen ausgeführt: „Gegenüber dem ursprünglichen Vorschlag wurde die Definition der „Finanzdienstleistungen“ vereinfacht. Ausgenommen wurden sämtliche Verweisungen auf bestehende Richtlinien, um zum einen sicherzustellen, dass jede Art von Finanzdienstleistung, die einem Verbraucher angeboten werden kann, von der Richtlinie erfasst wird und zum anderen etwaige Lücken auszuschließen, die sich aus der vorausgegangenen Definition ergeben hätten.(…) Gestrichen wurde im übrigen der Anhang mit der nicht erschöpfenden Liste der Finanzdienstleistungen, und zwar ebenfalls, um Auslegungsschwierigkeiten vorzubeugen“.
Zudem ist die Rechtsprechung des EuGH heranzuziehen, die zur Richtlinie 85/577/EWG vom 20.12.1985 betreffend den Verbraucherschutz im Fall von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen ergangen ist (EuGH, Urteil vom 15.04.2010 – C 215/08). Danach sind Ausnahmen von der Richtlinie eng auszulegen; die Beteiligung an einem Immobilienfonds in Form einer Personengesellschaft, deren Zweck vorrangig nicht darin besteht, Mitglied dieser Gesellschaft zu werden, sondern Kapital anzulegen, ist von der Richtlinie erfasst (EuGH aaO Rn. 25-34).
Die Beteiligung an der beklagten Genossenschaft dient diesem Zweck: Der Prospekt der Beklagten (K2, Bl. 43 ff LG) spricht dafür, da „die ertragreiche Investition der Geschäftsguthaben zur Erhöhung der Rente ihrer Mitglieder“ (Bl. 45 LG), Schwerpunkt der Tätigkeit ist und eine „A..-Kapitalanlageentwicklung“ (Bl. 47 LG) vorgestellt wird. Ziel der Anlage ist die Erzielung von Gewinnen aus der Beteiligung, die zunächst in das Unternehmen investiert werden und bei Kündigung der Mitgliedschaft zur Auszahlung gelangen sollen.
Nach Auffassung des Senats ist auch der Begriff der „Altersversorgung von Privatpersonen“ entsprechend dem Ziel eines hohen und wirksamen Verbraucherschutzes im Bereich der Finanzdienstleistungen (RL 2002/65/EG vom 23.09.2002, Erw. (3), (11)) weit auszulegen (so auch BGH Urteil vom 15.05.2024 – VIII ZR 226/22). Der Altersversorgung von Privatpersonen dienen auch Geldanlagen, die auf die Auszahlung einer Rente zu einem späteren Zeitpunkt – wenn der Anleger nicht mehr berufstätig ist – gerichtet sind. Der Zweck der Genossenschaft ist in § 2 Abs. 1 der Satzung (K10, Bl. 83 LG) mit der wirtschaftlichen Förderung und Betreuung der Mitglieder durch Altersvorsorgeleistungen bestimmt. Die Beklagte präsentiert ihre Tätigkeit mit der Variante einer langfristigen Altersvorsorge mit Rentenplan (K2, Bl. 50 LG) und einer „Express-Rente“ (K2, Bl. 51 LG), die durch den fortgesetzten Erwerb von Geschäftsanteilen und die sodann jährlich vom Mitglied zu erklärende Kündigung in Bezug auf einen Teil der Geschäftsanteile realisiert werden könne. Die von der Beklagten den Interessenten vorgeschlagene Verfahrensweise für die Dauer der Anlage, die auf der verpflichtenden Erklärung der Mitglieder basiert, dass jährliche Gewinne in neue Genossenschaftsanteile investiert werden sollen (K3, Bl. 54 – 56) begründet aus Sicht des Senats zugleich den Charakter der Geldanlage als Finanzgeschäft zur Altersversorgung von Privatpersonen.
c. Ausgehend von dieser Auslegung des § 312 Abs. 5 BGB ist der Ausschluss des Widerrufs auch nicht nach § 75 GenG begründet.
Die Auslegung des nationalen Rechts gebietet die Ausrichtung an Wortlaut und Zweck der in § 312 Abs. 5 BGB umgesetzten Richtlinie, um das mit dieser verfolgte Ziel wirksam zu erreichen (vgl. EuGH, Urteil vom 16.12.1993 – C – 334/92, NJW 1994, 921). § 75 GenG schließt die Kündigung einer Beteiligung in der Liquidation aus. Das Interesse an einer reibungslosen Liquidation (vgl. BGH, Urteil vom 06.02.2018 – II ZR 1/16, ZIP 2018, 778 Rn 29) rechtfertigt indes nicht den Ausschluss des aus dem Unionsrecht folgenden Widerrufsrechts, das fortbesteht, weil das Unternehmen den Verbraucher nicht ausreichend über den Widerruf belehrt hat. Die Geltung des § 75 GenG auch für den Widerruf des Beitritts nach § 312 Abs. 5, § 355 BGB würde eine Schwächung der in der RL 2002/65 EG geregelten Verbraucherrechte begründen.
Anders als noch im Geltungsbereich der Haustürgeschäfte-Richtlinie, zu der die vom Beklagtenvertreter mit Schriftsatz vom 23.01.2024 und 02.09.2024 zitierte Rechtsprechung (EuGH, Urteil vom 15.04.2010, C - 215/08; BGH Urteil vom 12.07.2010 - II ZR 269/07; BGH Urteil vom 30.01.2018 - II ZR 95/16) ergangen ist, die nach dem alten Recht davon ausging, dass bei einem wirksam erklärten Widerruf einer Genossenschaftsbeteiligung die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft anwendbar sind, unterwarf der Gesetzgeber die Widerrufsrechte mit der Transformation der Fernabsatz-Richtlinie einer einheitlichen Regelung im BGB.
Nach altem Recht bestimmte Art. 7 der Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20.12.1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, dass sich die Rechtsfolgen des Widerrufs nach einzelstaatlichem Recht, insbesondere bezüglich der Rückerstattung von Zahlungen für Waren und Dienstleistungen und der Rückgabe empfangener Waren richten. Der EuGH stellt in seinem Urteil vom 15.04.2010 bei der Annahme, dass die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft auch im Falle des Widerrufs anwendbar seien darauf ab, dass die Richtlinie 85/577/EWG dem Verbraucherschutz diene, dieser Schutz aber nicht absolut sei, da die Richtlinie keine abschließenden Vorgaben für die Rechtsfolgen des Widerrufs vorsehe. Damit schließe die Richtlinie nicht aus, dass der Verbraucher in bestimmten Fällen Verpflichtungen gegenüber dem Gewerbetreibenden haben kann und gegebenenfalls gewisse Folgen tragen muss, die sich aus der Ausübung seines Widerrufsrechts ergeben.
Diese Annahme lässt sich aber auf das neue Recht der Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-Richtlinie entgegen der Auffassung der Beklagten nicht übertragen.
In § 355 Abs. 3 BGB werden die Widerrufsfolgen eigenständig bestimmt. Die neu geordneten Rückabwicklungsrechte nach verbraucherrechtlichem Widerruf, die auf den vorliegenden Fall anzuwenden sind, sind als eigenständiges Regime der Widerrufsfolgen abschließend angelegt (vgl. Staudinger-Gsell, Eckpfeiler des Zivilrechts, Verbraucherschutz, 8. Auflage 2022, Rn. K 16 ff. m.w.N.). Nach § 355 Abs. 3 Satz 1 BGB sind die empfangenen Leistungen unverzüglich zurückzugewähren. Beide Vertragsparteien haben einander das zurückzugeben, was sie einander zur Erfüllung des Vertrages geleistet haben. Sie sind verpflichtet, einander so zu stellen, wie sie vor dem Austausch der Leistungen standen (vgl. Staudinger-Kaiser/Sittman-Haury, BGB, Neub. 2022, § 346 Rdnr. 71). Das ist mit der Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft nicht zu vereinbaren, die dazu führen könnte, dass ein zu berechnendes Auseinandersetzungsguthaben eine im Vergleich zur gezahlten Einlage geringere oder höhere Geldzahlung an den Verbraucher begründet.
Eine andere Verpflichtung als die Rückgewähr des Geleisteten und insbesondere eine Beschränkung dieses Anspruches durch die Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft würde Art. 7 Abs. 4 S. 1, Abs. 5 S. 1 Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-RL unzureichend und damit unionsrechtswidrig umsetzen. Das Gebot, dem Verbraucher „jeden Betrag, den er von diesem gemäß dem Fernabsatzvertrag erhalten hat“ zu erstatten, erlaubt keine Einschränkung auf einen geringeren Betrag, der sich aus einer Auseinandersetzungsberechnung ergeben könnte.
Dagegen überzeugt der Einwand nicht, die Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-Richtlinie habe das Rechtsfolgeregime der Haustürgeschäfte-Richtlinie nicht ändern wollen. Weil der Europäische Gerichtshof die Umsetzung der Haustürgeschäfte-Richtlinie durch Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft gebilligt habe, hätte die Finanzdienstleistung-Fernabsatz-Richtlinie „eine anderslautende Aussage“ treffen müssen, um diese Grundsätze auszuschließen (MüKo-BGB-Fritsche, 9. Aufl. 2022, § 355 Rdnr. 63). Es sei vor dem Hintergrund der bestehenden Rechtsprechung zur Haustürgeschäfte-Richtlinie zu erwarten gewesen, dass der Unionsgesetzgeber eine beabsichtigte Änderung der Rechtslage in den Erwägungsgründen entsprechend kenntlich mache und begründe. Indem dies nicht geschehen sei, bleibe der Rückgewähranspruch des Gesellschafters auf das Auseinandersetzungsguthaben beschränkt (BeckOGK-BGB-Mörsdorf, Stand: April 2024, § 355 Rdnr. 104).
Dem ist entgegenzuhalten, dass die Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-Richtlinie die „anderslautende Aussage“ im Normtext ausdrücklich enthält: Während Art. 7 Haustürgeschäfte-RL Umsetzungsspielraum gewährte, indem er anordnete, die Rechtsfolgen des Widerrufs regelten sich nach einzelstaatlichem Recht, gebietet Art. 7 Abs. 4 S. 1 Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-RL kategorisch und ohne erkennbaren Umsetzungsspielraum, der Anbieter erstatte dem Verbraucher „jeden Betrag, den er von diesem gemäß dem Fernabsatzvertrag erhalten hat“. Abweichende Regelungen nach nationalem Recht wie etwa eine Ausnahme von der vollständigen Erstattung auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts lässt die Richtlinie nicht zu.
Mit diesem Ergebnis hat der Europäische Gerichtshof Art. 7 Abs. 4 S. 1 Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-RL ausgelegt: Der Wortlaut sei unmissverständlich und sehe eine Pflicht des Anbieters vor, dem Verbraucher jeden Betrag zu erstatten, den er von diesem gemäß dem Fernabsatzvertrag erhalten habe. Die Richtline bewirke grundsätzlich eine Vollharmonisierung der von ihr geregelten Aspekte. Nach dem Erwägungsgrund 13 sollten die Mitgliedstaaten keine anderen als die in der Richtlinie festgelegten Bestimmungen vorsehen dürfen, es sei denn, die Richtlinie sehe dies ausdrücklich vor (EuGH, Urt. v. 11. Sept. 2019 - C-143/18 -, NJW 2019, 3290, Rdnr. 34; Urt. v. 4. Juni 2020 - C-301/18 -, BeckRS 2020, 10941, Rdnr. 33 f.). Eine besondere, für die Rückabwicklung gesellschaftsrechtlicher Beteiligungen geltende Rechtsfolge der Rückabwicklung hätte danach einer ausdrücklichen Zulassung dieser Ausnahme in der Richtlinie bedurft. Eine solche Regelung fehlt.
Der Senat hält diese Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts zur vollständigen Umsetzung der Finanzdienstleistung-Fernabsatz-Richtlinie trotz der entgegenstehenden Ansichten für eindeutig und zudem für geklärt anhand der angeführten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes. Es ist daher nicht erforderlich, die Sache dort vorzulegen (Art. 267 Abs. 2 AEUV). Die Revision wird zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen (§ 543 II 1 Nr. 2 ZPO), damit das Revisionsgericht selbst beurteilen kann, ob es die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zu den hier entscheidungserheblichen Fragen ebenfalls für vollständig hält (vgl. BVerfGE 147, 364, 380 f.; 149, 222, 287). Ob auch das Revisionsgericht allein wegen verbleibender Zweifel vorlegen muss (Art. 267 Abs. 3 AEUV), kann es nur selbst entscheiden. Diese Möglichkeit ist der Beklagten zu 1 durch die Revisionszulassung zu eröffnen.
d. Der Ausübung des Widerrufsrechts steht auch nicht § 242 BGB entgegen.
Insbesondere ist keine Verwirkung eingetreten, da es zumindest am Umstandsmoment fehlt. Umstände, die das Vertrauen der Beklagten rechtfertigen könnten, der Kläger werde seine Beteiligung nicht widerrufen, liegen nicht vor. Allein aufgrund eines laufend vertragstreuen Verhaltens des Verbrauchers hat ein Unternehmer kein schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass kein Widerruf erfolgt (vgl. hierzu auch BGH Urteil vom 15.05.2024 – VIII ZR 226/22 m.w.N.).
Auch ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers ist in der Ausübung des Widerrufsrechts entgegen der Ansicht der Beklagten zu 1. nicht zu erkennen.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass der Verbraucher die ihm zustehenden Rechte zulässigerweise ausüben darf. Bei der Annahme eines Rechtsmissbrauchs ist Zurückhaltung geboten. Ein Ausschluss des Widerrufsrechts wegen unzulässiger Rechtsausübung kann nur unter dem Gesichtspunkt besonderer Schutzbedürftigkeit des Unternehmers in Betracht kommen, etwa bei arglistigem Handeln des Verbrauchers gegenüber dem Unternehmer (vgl. BGH, Urteil vom 12.07.2016 - XI ZR 564/16; OLG Karlsruhe, Urteil vom 06.04.2023 - 14 U 63/21).
Aus der Entscheidung des Gesetzgebers, den Widerruf von jedem Begründungserfordernis freizuhalten, folgt zugleich, dass ein Verstoß gegen § 242 BGB nicht daraus hergeleitet werden kann, der vom Gesetzgeber mit der Einräumung des Widerrufsrechts intendierte Schutzzweck sei für die Ausübung des Widerrufsrechts nicht leitend gewesen. Überlässt es das Gesetz - wie es das Fehlen der Begründungspflicht zeigt - dem freien Willen des Verbrauchers, ob und aus welchen Gründen er seine Vertragserklärung widerruft, kann aus dem Schutzzweck der das Widerrufsrecht gewährenden gesetzlichen Regelung grundsätzlich nicht auf eine Einschränkung des Widerrufsrechts nach § 242 BGB geschlossen werden (vgl. BGH, Urteil vom 12.07.2016 - XI ZR 564/16).
Vorliegend hat die Beklagte die Rechtsmissbräuchlichkeit damit begründet, dass der Kläger dem Liquidationsbeschluss nicht widersprochen habe und dadurch den Liquidationsstatus selbst verursacht habe, dem er sich nunmehr mit dem erklärten Widerruf zulasten der Mitgenossen und etwaiger Drittgläubiger zu entziehen versuche.
Dieses Vorbringen lässt aus Sicht des Senats einen sicheren Rückschluss auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers nicht zu.
Es kann nicht festgestellt werden, dass es dem Kläger nicht auch darum ging, seine Verbraucherrechte zulässigerweise in Anspruch zu nehmen. Selbst wenn er erkannt haben sollte, dass daraus Nachteile für andere entstehen, so kann doch nicht festgestellt werden, dass es ihm in erster Linie darauf ankam, den anderen zu schaden. Eine besondere Schutzbedürftigkeit der Beklagten zu 1. Ist vorliegend nicht zu erkennen.
e. Die Pflichten zur Rückgewähr der Leistungen sind - da keine Verweisung auf §§ 346, 348 BGB mehr erfolgt - grundsätzlich unabhängig voneinander zu erfüllen. Da die Beklagte zu 1. sich wegen der gegenseitigen Rückgewährpflichten aber auf ein Zurückbehaltungsrecht gem. § 273 BGB berufen hat, besteht vorliegend gemäß § 274 BGB ein Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Entgelte nur Zug um Zug gegen Rückübertragung der Beteiligung; letztlich hat auch der Kläger nur eine Zug um Zug Verurteilung begehrt. Der Zahlungsanspruch besteht aber nur abzüglich bereits erhaltener Erlöse. Hinsichtlich der an den Kläger ausgezahlten Dividenden in Höhe von 404,28 € war die Klage daher abzuweisen.
f. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB, 261 Abs. 1 ZPO.
2. Ansprüche gegenüber dem Beklagten zu 2. sind verjährt. Der Anspruch auf Schadensersatz wegen Beratungspflichtverletzung unterliegt der dreijährigen regelmäßigen Verjährungsfrist gem. § 195 BGB, die gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen hat. Der Anspruch auf Schadensersatz wegen Beratungspflichtverletzung entsteht gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB mit dem Zustandekommen des Beteiligungsvertrages (vgl. BGH, Beschluss vom 26.03.2019 – XI ZR 372/18), vorliegend entstand er also am 04.11.2015. Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände ist vorliegend spätestens im August 2018 anzunehmen, als die Beklagte zu 1 liquidiert wurde und der Kläger hierüber informiert wurde. Mit Schreiben vom 08.08.2018 (Anlage B 1, Blatt 127 ff.) wurde den Mitgliedern der Beklagten zu 1) das Protokoll der Generalversammlung vom 27.07.2018 übersandt, in dem ein Beschluss zur Auflösung der A… gefasst wurde. In dem Protokoll wurde auch über die Bilanz 2017 informiert und auf Seite 4 oben des Protokolls beantwortete Herr Klein Fragen von Anlegern und äußerte auf die Frage, wie hoch das Auseinandersetzungsguthaben sein werde, dass dieses vermutlich höher als das heutige Geschäftsguthaben sein werde, es aber keine Garantie gebe, da die Zukunft unbekannt sei. Spätestens mit Übersendung des Protokolls mussten dem Kläger die anspruchsbegründenden Umstände bekannt gewesen sein. Auf eine anwaltliche Beratung zur Haftung des Beklagten zu 2) kommt es entgegen der Ansicht des Klägers nicht an, da eine Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände erforderlich ist, nicht aber, dass der Kläger den Vorgang rechtlich zutreffend beurteilt (vgl. BGH NJW 2008, 1729). Mit Ablauf des 31.12.2021 war der Anspruch daher verjährt. Die Klage ist aber erst im März 2022 dem Beklagten zu 2 zugestellt worden.
3. Ein Anspruch auf Feststellung des Annahmeverzugs gegenüber den Beklagten besteht nicht.
Ein rechtliches Interesse an der Feststellung des Annahmeverzugs besteht, wenn der Kläger dadurch in die Lage versetzt wird, das Urteil hinsichtlich der von der Beklagten zu 1. zu leistenden Zahlung zu vollstrecken, ohne seine eigene Leistung tatsächlich anbieten zu müssen. Hierzu ist ein Angebot notwendig, das Annahmeverzug nach §§ 293, 294 BGB zu begründen vermag. Voraussetzung dafür ist, dass die Leistung, wie sie zu bewirken ist, tatsächlich angeboten wird, der Gläubiger also einfach nur noch zugreifen braucht. Nach § 295 BGB genügt ein wörtliches Angebot des Schuldners, wenn der Gläubiger ihm erklärt hat, er werde die Leistung nicht annehmen. Voraussetzung hierfür ist, dass der Schuldner seine Leistung ordnungsgemäß anbietet und die ihm gebührende Gegenleistung verlangt.
Vorliegend hat der Kläger der Beklagten zu 1. zunächst die Übertragung der Beteiligung Zug um Zug gegen Auszahlung eines Auseinandersetzungsguthabens angeboten und zuletzt Zug um Zug gegen Zahlung von 10.904,28 €, wobei - wie oben dargestellt - nur ein Anspruch auf Zahlung von 10.500 € bestand. Die angebotene Leistung hatte damit nicht den geschuldeten Inhalt. Ein Annahmeverzug ist nicht eingetreten.
Gegenüber dem Beklagten zu 2. besteht schon kein Anspruch in der Hauptsache, so dass auch ihm gegenüber kein Annahmeverzug festgestellt werden kann.
4. Ein Anspruch auf Feststellung, dass die Beklagten verpflichtet sind, den Kläger von sämtlichen weiteren Schäden aus und im Zusammenhang mit der Beteiligung des Klägers Nr. … an der A…-Genossenschaft eG i.L. freizustellen, besteht ebenfalls nicht. Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs gegenüber den Beklagten sind nicht dargetan, auch ist nichts dazu vorgetragen und auch ansonsten nicht ersichtlich, welche weiteren Schäden dem Kläger im Zusammenhang mit der Beteiligung noch entstehen könnten.
5. Der Kläger hat gegenüber den Beklagten auch keinen Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten.
Gegenüber dem Beklagten zu 2. besteht schon kein Anspruch in der Hauptsache, so dass auch Nebenforderungen nicht begründet sind.
Gegenüber der Beklagten zu 1. besteht kein Anspruch aus den allein in Betracht kommenden §§ 280, 286 Abs. 1 BGB, da die Rechtsanwaltsgebühren vor Eintritt des Verzuges entstanden sind. Der Kläger hat seine Rechte gegenüber der Beklagten zu 1. erstmals mit dem Anwaltsschreiben vom 29.11.2021 (Anlage K 8) geltend gemacht.
6. Auch der Vortrag der Beklagten im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 23.09.2024 ändert an der Rechtsauffassung des Senats nicht. Eine Ausnahme von der gesetzlichen Regelung zum Zwecke des Schutzes anderer Vertragspartner ist gesetzlich gerade nicht vorgesehen.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 ZPO.
8. Die Revision der Beklagten zu 1 wird aus den oben dargelegten Gründen zugelassen. Im übrigen besteht kein Anlass, die Revision zuzulassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gem. §§ 43 Abs. 1, 47, 48 GKG i.V.m. § 3 ZPO auf 10.904,28 € festgesetzt.