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Entscheidung VG 14 K 2749/19.A


Metadaten

Gericht VG Potsdam 14. Kammer Entscheidungsdatum 31.01.2024
Aktenzeichen VG 14 K 2749/19.A ECLI ECLI:DE:VGPOTSD:2024:0131.14K2749.19.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt die Klägerin.

Tatbestand

Die Klägerin, eigenen Angaben zufolge iranische Staatsangehörige vom Volke der Perser, islamischer Religionszugehörigkeit schiitischer Ausrichtung, reiste gleichfalls eigenen Angaben zufolge am auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am einen umfassenden Asylantrag.

Die persönliche Anhörung beim Bundesamt erfolgte am .

Zur Begründung trug die Klägerin dort vor, ihr Heimatland aus Furcht vor einer Verfolgung durch den Schwiegervater ihres verstorbenen Bruders, der der Sepah angehöre, sowie durch die Sepah selbst verlassen zu haben. Sie gehe davon aus, dass ihr Bruder von der Sepah ermordet worden sei. Nach seiner Heirat habe ihr Bruder gemeinsam mit seinem Schwiegervater, H_____ J_____, zahlreiche Geschäfte mit der Sepah abgewickelt. Ungefähr ein Jahr vor seinem Tod habe sich der Bruder nicht mehr sicher gefühlt; er sei regelmäßig telefonisch bedroht worden. Außerdem habe der Bruder gegenüber den Eltern geäußert, mit seiner Ehe unzufrieden zu sein; sein Schwiegervater mische sich zudem überall in sein Leben ein. Sie - die Klägerin - habe einen Freitod ihres Bruders sofort infrage gestellt. Die polizeilichen Ermittlungen seien schleppend verlaufen; aufgrund ihrer Beschwerden sei der Vorgang aber noch nicht eingestellt. Gemeinsam mit einem ihrer Brüder (Kläger im Verfahren XXX) habe sie begonnen, den Todesfall selbst aufzuklären. Ende XXX hätten beide den Schwiegervater des verstorbenen Bruders aufgesucht, um ihn um Unterstützung zu bitten. Dieser sei nach anfänglicher Freundlichkeit zunehmend ungehalten geworden. Später sei es zu Bedrohungen durch Unbekannte gekommen, die „am Anfang nicht so ernsthaft“ gewesen seien. Beispielsweise sei immer ein Fahrzeug dicht hinter ihr oder neben ihr gefahren. Genau wisse sie es nicht mehr, aber sie glaube, in dem Fahrzeug hätte „mehr als eine Person“ gesessen. Wer das gewesen sei, wisse sie nicht. Auch habe sie Drohungen per Telefon und SMS erhalten. Im XXX habe sie die Exhumierung des Leichnams ihres Bruders erwogen, weil die zuvor durchgeführte Obduktion ohne toxikologische Untersuchung erfolgt sei. Auch sei der Todeszeitpunkt nicht bekundet worden. Nachdem ein Professor zunächst die Zusage für eine Exhumierung gemacht habe, sei er später - nämlich um den XXX – davon abgerückt und versetzt worden. Am XXX habe die Klägerin mit ihrem Auto einen Auffahrunfall erlitten. Sie gehe davon aus, dass ihre Bremsanlage manipuliert worden sei. Während der Arbeit habe ihr eine neue Mitarbeiterin im Labor spezielle Laboreisstücke auf die Innenhandfläche gelegt und hierdurch schwere Verbrennungen verursacht. Die Klägerin habe erfahren, dass diese Mitarbeiterin den gleichen Nachnamen wie der Schwiegervater ihres verstorbenen Bruders trage. Für sie sei klar, dass H_____ J_____ hinter all diesen Bedrohungen stecke. Weder wegen des Unfalls noch wegen dieses Vorfalles habe sie sich an die Polizei gewandt. Weil die Situation „sehr kritisch“ gewesen sei, habe sie am beschlossen, das Land zu verlassen. Ihre Ausreise habe sie dann am auf dem Luftweg über den Flughafen T_____ angetreten. Sie habe einen gefälschten Reisepass benutzt, den sie von einem Schleuser erhalten habe. Im Gegenzug habe sie dem Schleuser ihren originalen Reisepass übergeben. Die Klägerin befürchtet, bei einer Rückkehr in den Iran getötet zu werden.

Ausweislich einer VIS-Antragsauskunft hat die Klägerin bereits am XXX ein deutsches Visum beantragt und auch erhalten. Hierzu befragt, gab die Klägerin an, ihre in H____ lebende Schwester M. für die Dauer von 25 oder 26 Tagen besucht zu haben.

Eigenen Angaben zufolge hat die Klägerin nach dem Erwerb des Abiturs einen Bachelor in Computer-Engineering sowie Laborwissenschaften erworben. Sie habe in einem Labor für Pathologie gearbeitet; ihre wirtschaftliche Situation im Iran sei „gut“ gewesen. Im Iran leben nach dem damaligen Vorbringen der Klägerin noch deren Eltern, drei Schwestern, ein Bruder, zwei Onkel und drei Tanten. Insbesondere mit ihren Eltern und den Geschwistern halte sie Kontakt. Die Klägerin gab an, dass sie in Deutschland eine Schwester namens M_____ habe; diese lebe bereits seit 20 Jahren in H_____. Darüber hinaus sei ihr Bruder, M_____ S_____, mit ihr gemeinsam aus dem Iran gekommen (Az. XXX; nunmehr Kläger im Verfahren XXX).

Inzwischen ist die Klägerin mit einem aus Iran stammenden Deutschen verheiratet und lebt in Hamburg. Die Eheschließung ist in Teheran am in Abwesenheit der Eheschließenden durch bevollmächtigte Vertreter erfolgt.

Mit Bescheid vom stellte das Bundesamt fest, dass die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werde (1.), lehnte den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab (2.), stellte weiter fest, dass der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt werde (3.) sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (4.) und drohte die Abschiebung in die Islamische Republik Iran an (5.). Zudem befristete es das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (6.). Zur Begründung der Ablehnung der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft und einer Asylberechtigung führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, die Klägerin schildere ein Geschehen, das selbst bei Wahrunterstellung jedenfalls an keines der in § 3b Abs. 1 AsylG abschließend aufgezählten Verfolgungsgründe anknüpfe. Die behauptete Verfolgung stelle vielmehr kriminelles Unrecht dar. Auch die Voraussetzungen des subsidiären Schutzstatus lägen - selbst bei Wahrunterstellung des Vorgetragenen - nicht vor. Vor dem Hintergrund der vorliegenden Erkenntnisse sei schon zweifelhaft, dass die Klägerin tatsächlich mit gefälschten Papieren gereist sei. Es sei bekannt, dass bei der Passkontrolle im Flughafen T_____ eine IT-Erfassung des Reisepasses durchgeführt werde, bei der Fälschungen oder Ausreiseverbote dem Grenzbeamten im Kontrollbildschirm angezeigt werden. Daher sei nicht nachvollziehbar, dass weder ein gefälschtes Visum noch der angeblich gefälschte Reisepass aufgefallen sein sollen. Auch die Tatsache, dass die Klägerin noch rund zwei bis drei Monate vor der erneuten Ausreise – und trotz einer vermeintlich vom Staat ausgehenden Verfolgung – die Grenzen ihres Heimatlandes auf dem Luftweg problemlos habe passieren können, spreche ebenfalls deutlich gegen das Vorliegen einer beachtlichen Bedrohungssituation. Auch habe die Klägerin augenscheinlich keine Maßnahmen ergriffen, um sich der behaupteten Bedrohungssituation zu entziehen: statt unterzutauchen oder sich zu verstecken, habe sie sich eigenen Angaben zufolge bis zur Ausreise am XXX unter ihrer Meldeanschrift aufgehalten. Auch bestünden bereits erhebliche Zweifel, ob die von der Klägerin behaupteten Maßnahmen das Mindestmaß an Schwere im Sinne der Rechtsprechung des EGMR erreichen. Das gelte jedenfalls insoweit, als dass sie eine Beschattung durch Verfolger geltend mache. Eine mit der beschriebenen Handlung einhergehende Bedrohung habe die Klägerin nicht dargelegt, auch keine Steigerung der Handlungsintensität. Offenbar habe die Klägerin den nun beklagten Zustand hingenommen, ohne ihre Gewohnheiten zu ändern oder sich auf sonstige Art und Weise der behaupteten Beschattung zu entziehen. Eigenen Angaben zufolge will sie nicht einmal genau registriert haben, wie viele Personen sich in den Fahrzeugen befunden haben. Auch das spreche jeweils nicht dafür, dass der von der Antragstellerin behaupteten Beschattung ein hinreichendes Gewicht im Sinne des Art. 3 EMRK beizumessen wäre. Ungeachtet dessen habe die Klägerin nicht schlüssig und nachvollziehbar darlegen können, dass die vorgenannten Handlungen der Sepah zuzurechnen seien. Das gelte auch für ihr weiteres Vorbringen, wonach angeblich die Bremsen ihres Autos manipuliert worden seien und sich ein Säureübergriff durch eine Arbeitskollegin zugetragen habe. Eine Zuschreibung der Sepah werde von den angeführten Indizien nicht getragen. Im Gegenteil erschließe sich schon nicht, dass die behaupteten Vorfälle in einem inneren Zusammenhang stünden. Zwar möge der verstorbene Bruder rund ein Jahr vor seinem Ableben den Eltern mitgeteilt haben, Probleme mit seinem Schwiegervater zu haben – dass diese Probleme aber einen Bezug zur Sepah aufweisen würden, ergebe sich daraus ebenfalls nicht. Der Bruder der Klägerin soll zudem erwogen haben, sich scheiden zu lassen; es könne hiernach nicht ausgeschlossen werden, dass es wegen dieser ehelichen Spannungen auch zu Konflikten mit dem Schwiegervater gekommen ist. Dass der Todeszeitpunkt nicht genannt worden sei, stütze die Theorie von einem fremd verursachten Tod nicht. Gleiches gelte für die nach der Darstellung der Klägerin nur unzureichend durchgeführte Obduktion, bei der auch eine toxikologische Untersuchung hätte stattfinden müssen. Insoweit sei freilich schon festzuhalten, dass die von der Klägerin behauptete Obduktion im Widerspruch zu den Angaben ihres Bruders stehen, der in seinem Asylverfahren () explizit angegeben hatte, dass überhaupt keine Obduktion durchgeführt worden sei. Ungeachtet dessen könnten die Gründe, wegen derer eine toxikologische Untersuchung unterblieben sei, nicht näher aufgeklärt werden. Dies sei auch nicht Aufgabe des Bundesamtes. Allein die fehlende Durchführung einer solchen Untersuchung spreche eher für die Eindeutigkeit der Todesursache. Auch für ein Zusammenwirken der Mediziner mit der Sepah dränge sich nichts auf. Dass der Gutachter auf Druck der Sepah versetzt worden wäre, ergebe sich aus dem Vorbringen der Klägerin nicht. Auch liege die Annahme nahe, dass es den Interventionen und Beschwerden der Klägerin und ihres Bruders geschuldet ist, dass das Ermittlungsverfahren noch nicht förmlich abgeschlossen ist. Eine verlässliche Grundlage für die Annahme einer - geschweige denn der Sepah zuzuschreibenden - Fremdtötung ihres Bruders ergebe sich aus den Darlegungen der Klägerin nicht. Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht daraus, dass auch ihr Bruder angegeben habe, Opfer von der Sepah zuzuschreibenden Maßnahmen gewesen zu sein. Denn während die Klägerin den Beginn der ihr angetragenen Drohanrufe und Nachrichten auf XXX datierte, gab ihr Bruder an, erstmals im XXX oder XXX Adressat von Drohanrufen und entsprechender Benachrichtigungen gewesen zu sein. Daher gehe das Bundesamt davon aus, dass die behaupteten Drohanrufe - sollten sie überhaupt stattgefunden haben - auf verschiedene Anlässe zurückzuführen seien. Es fehle objektiv an einem Indiz dafür, dass die Sepah Verantwortung für den Tod des Bruders trage. Da ihr Vorbringen nicht auf eine Fremdtötung ihres Bruders durch die Sepah schließen lasse, erweise sich ihre Furcht vor einem ihr drohenden, der Sepah zuzuschreibenden, ernsthaften Schaden als unbegründet. Im Übrigen habe die Klägerin auch nicht vorgetragen, sich wegen der Vorfälle an die Polizei gewandt zu haben. Im Gegenteil habe sie, nachdem sie von einer Arbeitskollegin mit Laboreisstücken verletzt worden sei, davon abgesehen, nachdem die Kollegin sich entschuldigt und behauptet habe, dass es keine Absicht gewesen sei. Dass die Klägerin von dieser Möglichkeit nicht einmal Gebrauch gemacht hat, muss sie gegen sich gelten lassen und werde als Indiz dafür erachtet, dass die Klägerin ihr Heimatland letztlich nicht aus Sorge wegen eines ihr drohenden ernsthaften Schadens, sondern aus asylfremden Motiven verlassen habe. Auch Abschiebungsverbote lägen nicht vor.

Am XXX hat die Klägerin umfassend Klage erhoben. Zur Begründung beruft sie sich darauf, sämtliche Umstände sprächen dafür, dass ein Suizid nicht stattgefunden habe, sondern eine Hinrichtung. Der Bruder habe in einer unglücklichen Ehe gelebt. Der Schwiegervater sei offensichtlich ein höheres Mitglied beim Etelaat gewesen und habe der Klägerin und ihrem Bruder deutlich gemacht, sie sollten sich mit dem Tod des Bruders abfinden, da ansonsten Probleme für sie entstehen würden. Auch die Absage desjenigen, der die Autopsie habe vornehmen wollen, zeige, dass es eine größere Macht gebe, die verhindern wolle, dass der Mord an dem Bruder als solcher zu Tage trete. In einer weiteren Klagebegründung heißt es, der Schwiegervater sei offensichtlich hohes Mitglied bei der Sepah (Pasderan/Revolutionsgarde) gewesen. Ein Ausstieg dort sei unmöglich. Für diese Organisation habe der Bruder der Klägerin - vermittelt durch seinen Schwiegervater - gearbeitet und sei an sehr viel Geld durch Mitwirkung an vermutlich unlauteren Geschäften gelangt. Es sei ihm offensichtlich untersagt gewesen, zu seiner Familie Kontakt zu halten. Auch die Familie selbst habe sich von dem Verstorbenen distanziert. Ein Jahr vor seinem Ableben habe er seiner Familie gesagt, er wolle sich von seiner Ehefrau trennen und über die Einflussnahme des Schwiegervaters geklagt. Bereits zu Lebzeiten habe er Ängste geäußert, dass ihm etwas passieren könne. Für suizidale Tendenzen habe es keinerlei Anzeichen gegeben. Die der Klägerin und ihrem Bruder widerfahrenen Geschehnisse hätten gezeigt, dass keine Hilfestellung von staatlicher Seite erfolgte zur Aufklärung des Todes des Bruders. Sie hätten sich bei ihren Ermittlungen aus Sicht der Sepah zu weit aus dem Fenster gelehnt und so habe es kein Zurück mehr für beide gegeben.

Nach Ladung hat die Klägerin noch zahlreiche Unterlagen zur Akte gereicht und die Klage erstmals auch auf exilpolitische Betätigungen stützen und auf die aktuelle Situation von Frauen in Iran hinweisen lassen. Dazu lässt sie zusammengefasst ergänzen, dass sie eine den Lebensbedingungen in Deutschland angepasste Frau sei, die wisse und zu schätzen wisse, welche Rechte sie in Deutschland und in Europa habe als Frau. Sie wäre nicht in der Lage, sich aus ihrer Sicht im Iran verkleiden zu müssen quasi wie zum Karneval, um den gesetzlichen Bestimmungen zu entsprechen. Dies sei ihr auch nicht zumutbar.

Soweit im vorliegenden Verfahren relevant, handelt es sich um folgende Unterlagen:

· fünf Aufnahmen, die nach Angaben der Klägerin die Leiche ihres Bruders am XXX zeigen,

· zwei Aufnahmen des Grabsteins ihres Bruders in XXX,

· zwei Aufnahmen ihres Bruders zu Lebzeiten,

· drei Aufnahmen der Klägerin bzw. ihrer verletzten Hand,

· acht Aufnahmen der Klägerin auf Demonstrationen,

· sechs Ausdrucke von einem Instagram-Account,

· Kopie der Eheurkunde vom zu einer am XXX in XXX /Iran geschlossenen Ehe.

In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin die Klage hinsichtlich einer Anerkennung als Asylberechtigte zurückgenommen.

Sie beantragt nun noch,

die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom zu verpflichten, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

hilfsweise,

den subsidiären Schutzstatus festzustellen,

hilfsweise,

festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Aufenthaltsgesetz vorliegen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen

und bezieht sich zur Begründung auf den angefochtenen Bescheid des Bundes-amtes.

Mit Schriftsatz vom hat die Beklagte eine anonyme E-Mail vom XXX betreffend die Klägerin und ihren Bruder zur Akte übersandt. Auf den Inhalt wird Bezug genommen. Die Klägerseite hat dazu (offensichtlich von einem Dritten) ausführlich Stellung nehmen lassen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes sowie der Ausländerbehörde, der Gerichtsakte im Verfahren des Bruders der Klägerin Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Einzelrichterin ist zur Entscheidung berufen, weil die Kammer ihr das Verfahren mit Beschluss vom zur Entscheidung übertragen hat (§ 76 Abs. 1 des Asylgesetzes - AsylG -). Sie konnte trotz des Ausbleibens der Beklagten verhandeln und entscheiden, weil auf diese Möglichkeit mit der Ladung hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Sie hat nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (1.) noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (2.). Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des AufenthG liegen ebenfalls nicht vor (3.); auch die Abschiebungs-androhung und die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots sind nicht zu beanstanden (4.). Zur Begründung wird gemäß § 77 Abs. 3 AsylG auf die Feststellungen die Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes vom 21. Oktober 2019 verwiesen, denen das Gericht weitestgehend folgt.

Eine Berücksichtigung des Inhalts der o.g., anonymen Mail durch das Gericht ist nicht erfolgt.

Darüber hinaus ist Folgendes zu ergänzen:

1.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylG.

Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer in Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Wenn sich ein Ausländer aus begründeter Furcht vor einer Verfolgung wegen eines der genannten Merkmale außerhalb seines Herkunftslandes befindet und er dessen Schutz nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, ist er gemäß § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling.

Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (vgl. Nr. 1 der Vorschrift), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (vgl. Nr. 2 der Vorschrift). Die nach Nr. 2 zu berücksichtigenden Maßnahmen können Menschenrechtsverletzungen sein, aber auch sonstige Diskriminierungen. Die einzelnen Eingriffshandlungen müssen für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Nr. 1 entspricht (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67 ff.). Nach § 3a Abs. 2 AsylG können als Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt (vgl. Nr. 1 der Vorschrift) sowie gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justi-zielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, (vgl. Nr. 2 der Vorschrift), gelten.

Eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG).

Dabei ist für die Feststellung, ob eine Verfolgung im Verständnis von §§ 3 ff. AsylG vorliegt, die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie), insbesondere deren Art. 4 Abs. 4 ergänzend heranzuziehen (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2 und § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG). Nach Art. 4 Abs. 4 der vorgenannten Richtlinie ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Nach § 28 Abs. 1a AsylG kommt die Annahme einer Verfolgung auch zu einem Zeitpunkt in Betracht, nachdem der Betroffene das Herkunftsland verlassen hat (Nachfluchttatbestände). Dies insbesondere aber nicht ausschließlich, wenn er ein Verhalten an den Tag legt, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung und Ausrichtung ist. In beiden Fallgruppen erfolgt die anzustellende Prognose über die im Heimatstaat drohende Verfolgung am Maßstab der "beachtlichen Wahrscheinlichkeit" (BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2013 ‒ BVerwG 10 C 23.12 ‒, juris Rn. 32, und vom 1. März 2012 ‒ BVerwG 10 C 7/11 ‒ juris Rn. 12). Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Klägers nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (BVerwG, Beschluss vom 7. Februar 2008 - BVerwG 10 C 33/07 -, a.a.O.). Dabei kommt es nicht auf eine rein quantitative oder mathe-matische Betrachtungsweise an, sondern darauf, ob bei der zusammenfassenden Bewertung des ermittelten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und sie deshalb die dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Eine in diesem Sinne begründete Furcht vor einer solchen Behandlung kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer quantitativen oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50 v.H. Wahrscheinlichkeit für deren Eintritt besteht. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb dann anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes die für eine solche Behandlung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgeblich ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr beachtlich ist. Hierbei wird ein vernünftig denkender Mensch die schlichte theoretische Möglichkeit einer Verfolgung außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die reale Möglichkeit („real risk“) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Beobachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die Schwere der befürchteten Rechtsverletzung in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen wird dieser bei geringerer mathematischer Wahrscheinlichkeit bereit sein, weniger schwerwiegende Rechtsver-letzungen eher in Kauf zu nehmen als schwerwiegende Rechtsverletzungen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Februar 2008 - 10 C 33/07 -, juris Rn. 37). Innerhalb des Maßstabs der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gilt für die Gruppe der Vorverfolgten eine Beweiserleichterung. Wie bereits oben eingeführt ist gemäß Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie die Tatsache der Vorverfolgung ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen gegen die erneute Bedrohung von solcher Verfolgung. Für denjenigen, der bereits Verfolgung erlitten hat, streitet also die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei. Dadurch wird die vorverfolgte Person von der Notwendigkeit entlastet, darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei Rückkehr in ihr Herkunftsland erneut realisieren werden. Die aus der Vorverfolgung resultierende Vermutung kann allerdings widerlegt werden. Erforderlich ist hierfür, dass stichhaltige Gründe die Wieder-holungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5/09 –, juris Rn. 23 zur gleichlautenden früheren Regelung in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG).

Das Gericht muss von dem der Prognose zugrundeliegenden Lebenssachverhalt gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO die volle richterliche Überzeugung gewonnen haben (BVerwG, Urteil vom 16. April 1985 ‒ BVerwG 9 C 109/84 ‒, juris Rn. 16; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. Dezember 2016 ‒ 1 A 10922/16 ‒, juris Rn. 32). Hierbei ist das Gericht nach § 86 Abs. 1 VwGO gehalten, alle für die Entscheidung maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs auf Erlass des begehrten Verwaltungsaktes in eigener Verantwortung durch ausreichende Erforschung des Sachverhaltes (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 25. Aufl., 2019, Anm. 4 zu § 108 VwGO) festzustellen und die Streitsache spruchreif zu machen (vgl. Kopp/Schenke, a. a. O., Anm. 193 zu § 113 VwGO, m. w. N.). Dem Gericht sind Grenzen dadurch gesetzt, dass vielfach solche Lebenssachverhalte aufzuklären und zu bewerten sind, die sich nach Angaben der betroffenen Person im Ausland zugetragen haben. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass sich eine schutzsuchende Person hinsichtlich der Vorgänge in ihrem Herkunftsstaat und der Verfügbarkeit von Beweismitteln typischerweise in einem Beweisnotstand befindet. Dies ist bei der richterlichen Entscheidungsfindung im Hinblick auf die Würdigung ihres Vortrages zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. April 1985 - BVerwG 9 C 109.84 -, juris Rn. 16). Daher ist es ausreichend, wenn der Vortrag einer schutzsuchenden Person substantiiert ist, eine nachvollziehbare Erklärung für etwaige Lücken gegeben werden kann, ihr Vorbringen schlüssig und plausibel ist und nicht im Widerspruch zu den für ihren Fall relevanten besonderen und allgemeinen Informationen steht (vgl. Art. 4 Abs. 5 a bis c Qualifikationsrichtlinie). Für die Glaubhaftigkeit des Verfolgungsvorbringens gilt nach den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen, dass es der Schutz suchenden Person obliegt, von sich aus umfassend die Gründe für das verfolgungsbedingte Verlassen des Heimatstaates unter Angabe genauer Einzelheiten in sich stimmig darzulegen. Der Vortrag, insbesondere zu den in die eigene Sphäre fallenden Ereignissen, muss geeignet sein, den Schutzanspruch zu tragen. Wesentliche Widersprüche und Steigerungen im Vorbringen führen regelmäßig dazu, dass dieses nicht als glaubhaft angesehen werden kann.

a.

Dies vorausgesetzt greift für die Klägerin auch bei Wahrunterstellung ihres Vorbringens zum einen nicht die tatsächliche Vermutung, dass sich eine vor der Ausreise aus dem Iran erfolgte Verfolgungshandlung bei einer möglichen Rückkehr wiederholen würde. Insoweit ist mit der Beklagten (vgl. Seite 5 des Bescheides) festzustellen, dass die Klägerin eine solche Vorverfolgung im oben genannten Sinne und damit in Anknüpfung an ihre Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung mit den Darlegungen zu angeblichen Nachstellungen durch den Schwiegervater ihres verstorbenen Bruders oder (andere) Angehörige der Sepah im Zusammenhang mit ihren Nachforschungen zum Tod dieses Bruders nicht geltend macht. Denn auch bei Wahrunterstellung der Darlegungen und Vermutungen der Klägerin knüpften die vermeintlichen Verfolger nicht an eines der genannten Merkmale der Klägerin an, sondern versuchten gegebenenfalls, kriminelles Unrecht zu vertuschen und die Klägerin von weiteren Nachforschungen abzuhalten.

b.

Auch liegen weder im Hinblick auf die exilpolitischen Aktivitäten der Klägerin (aa.) noch auf die vorgetragene Verwestlichung (bb.) sog. Nachfluchtgründe vor. Zwar kommt - wie oben ausgeführt - gemäß § 28 Abs. 1a AsylG die Annahme einer Verfolgung auch zu einem Zeitpunkt in Betracht, nachdem der Betroffene das Herkunftsland verlassen hat (Nachfluchttatbestände). Dies insbesondere aber nicht ausschließlich, wenn er ein Verhalten an den Tag legt, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung und Ausrichtung ist.

Auch insofern erfolgt die anzustellende Prognose über die drohende Verfolgung am Maßstab der "beachtlichen Wahrscheinlichkeit".

aa.

Soweit die Klägerin nach Klageerhebung exilpolitische Aktivitäten vorgetragen hat, ergibt sich daraus keine Flüchtlingseigenschaft der Klägerin. Dazu ist Folgendes auszuführen:

Ein Verfolgungsgrund im Sinne des insoweit einzig in Betracht kommenden § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG liegt nicht vor.

Danach gilt es als politische Überzeugung, wenn der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG (Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann) genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er oder sie auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tatsächlich tätig geworden ist. Ein darauf beruhender Verfolgungsgrund ist dann anzunehmen, wenn der Verfolgerstaat der einzelnen Person in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die diesen ihrer Intensität nach aus der über-greifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Februar 2000 - 2 BvR 752/97 -, juris Rn. 27 m.w.N.)

Dies kam für den Iran grundsätzlich auch schon in der Vergangenheit in Betracht, denn etwa die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen (vgl. Auswär-tiges Amt, Lagebericht für den Iran vom 5. Februar 2021, Seite 10) sowie die Aktivi-täten von Iranern, die im Ausland leben und sich öffentlich regimekritisch äußern (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht für den Iran vom 5. Februar 2021, Seite 19) kann im Iran ernsthafte, insbesondere strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Dies ist grundsätzlich für die Annahme eines Verfolgungsgrundes ausreichend, denn bei Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit stellt generell jede derartige nicht ganz unerhebliche Maßnahme staatlicher Stellen, die an die politische Überzeugung oder Betätigung eines Betroffenen anknüpft, politische Verfolgung dar, ohne dass es insoweit noch auf eine besondere Intensität oder Schwere des Eingriffs ankommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Februar 2000 - 2 BvR 752/97 -, juris Rn. 27 m.w.N.). Maßgeblich ist dabei bisher grundsätzlich darauf abzustellen, ob die im Asylverfahren geltend gemachten exilpolitischen Aktivitäten den Betreffenden als ernsthaften und gefährlichen Regimegegner in Erscheinung treten lassen. Nicht jede exil-oppositionelle Betätigung eines iranischen Staatsangehörigen führt zur Annahme einer Verfolgungsgefahr. Relevant sind exilpolitische Aktivitäten vielmehr, wenn konkrete Anhaltspunkt bestehen, dass sie den iranischen Sicherheitsbehörden bekannt werden und die verantwortliche Person als ein in exponierter Weise auftretender Regimegegner erscheint, von dem aus Sicht der Behörden eine ernsthafte Gefahr für den iranischen Staat ausgeht (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 15. Januar 2013 - 14 ZB 12.30220 - juris Rn. 11; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22. August 2019, 6 A 300/19.A, juris Rn. 14 f., jeweils m.w.N.; OVG Bremen, Beschluss vom 8. November 2010 - 2 A 209/08.A - juris Rn. 6).

Allerdings hat sich die Lage in der Folge des Todes der Iranerin Jina Mahsa Amini am 16. September 2022 noch einmal verschärft. Die Situation im Iran stellt sich nach den vorliegenden Erkenntnissen wie folgt dar (siehe zum Folgenden VG Würzburg, Urteil vom 30. Oktober 2023 – W 8 K 23.30337 –, juris, Rn. 38 ff., teilweise aktualisiert durch die vorliegend entscheidende Einzelrichterin):

Im aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 30. November 2022 (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Iran, Stand: 18. November 2022) ist ausgeführt, dass die aktuelle iranische Regierung innen-, außen- und wirtschaftspolitisch massiv unter Druck geraten ist und daher auf Systemerhalt mit allen Mitteln ausgerichtet ist. Jegliche Formen von Dissens werden mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unterdrückt. Teile der iranischen Bevöl-kerung sind aufgrund ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit, politischer, künstlerischer oder intellektueller Betätigung oder aufgrund ihrer sexuellen Orientierung starken Repressionen ausgesetzt. Jede Person, die öffentlich Kritik an Missständen übt oder sich für die Menschenrechte organisiert, setzt sich der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung aus (Seite 4). Gegen Regimekritiker und Aktivisten wird unerbittlich vorgegangen. Es kommt regelmäßig zu „ungeklärten“ Todesfällen in Gefängnissen. Die Zahl der Todesurteile und Hinrichtungen steigt (Seite 5). Je gefährlicher Proteste in ihrer Größe, Sichtbarkeit, Dauer oder Grad ihrer Politisierung für die Regierung werden, desto härter gehen die Sicherheitskräfte dagegen vor. Tote und verletzte Demonstrierende werden zur Abschreckung sogar gezielt verursacht, zumindest in Kauf genommen. Demonstrierende werden als von außen (neuerdings auch Deutschland) gezielt instrumentalisierte Aufrührer und bedrohliche Straftäter dargestellt, um die Gewalt zu rechtfertigen. Seit dem Tod der o.g. 22-jährigen kurdischen Iranerin am 16. September 2022 kommt es zu anhaltenden landesweiten Protesten. Bisher sind nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen über 50 Minderjährige im Zusammenhang mit den Protesten getötet worden. Personen, die in den sozialen Medien aktiv waren und über Kontakte zum Ausland verfügen, unter-liegen daher vermutlich einer besonderen Gefahr der Strafverfolgung (Seite 6). Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivitäten, die als Angriff auf das politische System empfunden werden oder islamische Grundsätze in Frage stellen. Dabei sind Gruppierungen, die die Interessen religiöser oder ethnischer Minderheiten vertreten, besonders stark im Fokus und sind stärkerer Repression ausgesetzt. Als Rechtsgrundlage dienen weitgefasste Straftatbestände. Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslands-kontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden. Strafverfolgung erfolgt selbst bei niederschwelliger Kritik oftmals willkürlich und selektiv. Inhaftierten droht insbesondere bei politischer Strafverfolgung eine Verletzung der körperlichen und mentalen Unversehrtheit (psychische und physische Folter, Isolationshaft als Form der Bestrafung, Misshandlung, sexuelle Übergriffe) (Seite 9 f.). Von Seiten des iranischen Regimes werden vor allem „ausländische Medien“ beschuldigt, die Proteste initiiert zu haben und zu lenken. Das Internet wird stark eingeschränkt. Darüber hinaus wird der Internetverlauf „gefiltert“ bzw. mitgelesen. Jede Person, die sich regimekritisch im Internet äußert, läuft Gefahr, mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, einen „Cyber-Krieg“ gegen das Land führen zu wollen und Proteste anzustacheln (Seite 11 f.). Das Regime verfolgt (vermeintlich und tatsächlich) [nach wie vor] militante separatistische Gruppierungen (vor allem die kurdisch-marxistischen Komalah-Partei sowie die DPIK usw.) (Seite 14). Fälle von Sippenhaft existieren, meist in politischen Fällen; üblicher ist jedoch, dass Familienmitglieder unter Druck gesetzt werden, um im Sinne einer Unterlassung politischer Aktivitäten auf die Angeklagten einzuwirken (Seite 17). Die exilpolitische Gruppe Mujahedin-e Khalq (MEK/MKO) wird als Terrororganisation eingestuft und gilt als Staatsfeind. Mitglieder werden mit allen Mitteln bekämpft. Auch Aktivitäten kurdischer exilpolitischer Gruppen werden genau beobachtet und sanktioniert. Iraner, die im Ausland leben, sich dort öffentlich regime-kritisch äußerten, sind von Repressionen bedroht, nicht nur, wenn sie in den Iran zurückkehren. Ihre im Iran lebenden Familien werden regelmäßig unter Druck gesetzt (Seite 19). Auf eine Vielzahl von Verbrechen steht die Todesstrafe, wie auch die im November 2022 im Zusammenhang mit der angeblich gewaltsamen Teilnahme an Protesten verhängten Todesurteile erneut zeigen (Seite 21). Hinweise auf extralegale Tötungen existieren, besonders im Rahmen von Folter in Gefängnissen. Glaubhafte Hinweise liegen vor, dass Sicherheitskräfte ab September 2022 gezielt auf Köpfe und lebenswichtigen Organe von Demonstrierenden schossen bzw. dass Personen durch sonstige rohe Gewaltanwendung bei den Protesten ums Leben kamen. Willkürliche Festnahmen, Haft und unverhältnismäßige Strafen sind in politischen Fällen üblich (Seite 22). Allein der Umstand, dass eine Person in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, löst bei Rückkehr keine staat-lichen Repressionen aus. Ausgenommen davon sind Personen, die seitens iranischer Sicherheitsbehörden als ernsthafte Regimegegner identifiziert werden und an denen ein Verfolgungsinteresse besteht. Die Auswirkungen der aktuellen Proteste und deren blutigen Niederschlagung auf Rückkehrende lässt sich im Augenblick nicht abschließend einschätzen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Rückkehrende verstärkt von den Sicherheitsbehörden überprüft werden. Bereits vor den aktuellen Protesten ist es in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheits-behörden über den Auslandsaufenthalt gekommen, deren Ausgang sich der Kenntnis des Auswärtigen Amtes entzieht. Insbesondere in Fällen, in denen der Iran illegal verlassen worden ist, muss mit einer Befragung gerechnet werden. Bisher wurde kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert worden sind. Der Chef der Judikativen hat explizit Exil-Iraner und Iranerinnen ermutigt, nach Iran zurückzukehren, und ihnen eine Rückkehr ohne Inhaftierung in Aussicht gestellt, sofern dies mit der iranischen Justiz koordiniert wird (Seite 25). In einer neueren Auskunft des Auswärtigen Amtes an das OVG Schleswig-Holstein (Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG SH vom 14. Juni 2023) ist weiter ausgeführt, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass Rückkehrende verstärkt von den Sicherheitsbehörden überprüft werden. Die Behörden können erkennen, wann der Iran bei legaler Ausreise verlassen worden ist und wie lange der Auslandsaufenthalt gedauert hat, und ob der Iran auf dem legalen Weg verlassen worden ist. Das Auswärtige Amt kann nicht ausschließen, dass sich die Befragungen angesichts der aktuellen Lage verstärkt auf Aktivitäten im Ausland beziehen, etwa auch zur Teilnahme an Demonstrationen. Flächendeckende Befragungen zur politischen Überzeugung werden jedoch nicht durchgeführt. Ein längerer Auslandsaufenthalt führt allein zu keinen Repressionen. Repressionen dürften abhängig vom Einzelfall sein, insbesondere von der Einschätzung der iranischen Behörden über die jeweiligen Aktivitäten im Ausland. Eine Asylantragstellung im Ausland genügt nicht. Wenn der Iran illegal verlassen worden ist, muss mit einer Befragung gerechnet werden. In Betracht kommt auch eine Bestrafung wegen illegaler Ausreise. Erschwerend wirkt, wenn weitere Umstände hinzutreten, etwa wenn eine Person flüchtig und zuvor untergetaucht gewesen ist. Regimekritische Aktivitäten und Äußerungen im Ausland, unter anderem in den sozialen Medien, können nach Rückkehr in den Iran zur strafrechtlicher Verfolgung und Repressionen führen. Bei Kontrolle der Nichteinhaltung von Bekleidungsvorschriften kommt im Iran eine Gesichtserkennungstechnologie zum Einsatz. Auch Warn-SMS wurden schon verschickt, z. B. im Straßenverkehr, an Ladeninhaber oder bei Aufenthalt an bestimmten Orten. Das iranische Rechtssystem ist von Willkür geprägt. Es ist Teil der Repressionsstrategie des Regimes, Unsicherheit dadurch zu schaffen, dass es keine klaren Regeln oder rote Linien gibt. Die Bevölkerung lebt so immer in Ungewissheit, welche Verhaltensweisen gegebenenfalls als Vorwand für ein Gerichtsverfahren oder andere Formen der Bestrafung, wie beispielsweise Erziehungsseminare, Geldbußen, vorübergehende Autobeschlagnahmen, Ausreisesperren, Passentzug, Hausarrest, Sperrung von Konten, Drohung mit und gegebenenfalls auch Anwendung von sexualisierter Gewalt und Ähnlichem, genutzt werden. Das Auswärtige Amt geht davon aus, dass der iranische Staat seine Staatsangehörigen auch im Ausland überwacht und damit auch Informationen über eine Mitgliedschaft in christlichen Kirchen und Aktivitäten sammelt. Dem Auswärtigen Amt liegen widersprüchliche Aussagen dazu vor, ob allein das Bekanntwerden des formalen Glaubensübertritts genügt, um im Iran staatliche Repressionen zu erfahren. Die Verfolgung von Angehörigen anderer Religionsformen hat auch unter der Regierung des jetzigen Präsidenten noch einmal deutlich zugenommen. Regimekritische Äußerungen und Aktivitäten – auch außerhalb Irans – können, je nach Einzelfall, bei Rückkehr strafrechtliche Verfolgung und Repressionen nach sich ziehen. Die konkreten Repressionen hängen davon ab, wie das häufig willkürlich handelnde Regime die Aktivitäten und Äußerungen im Einzelfall bewertet. Dem Auswärtigen Amt sind Fälle bekannt, in denen Aktivitäten im Ausland zur Verhaftung und Anklage wegen unterschiedlicher Delikte geführt haben. Personen, die aus der Sicht des Regimes besonders gefährlich für das System erscheinen, beispielsweise durch große Sichtbarkeit ihrer kritischen Äußerungen oder aufgrund realer oder perzipierter Umsturzabsichten, können sogar im Ausland entführt und ermordet werden. Repressionsmaßnahmen hängen davon ab, wie das Regime die Äußerungen/Aktivitäten im Einzelfall einschätzt. Das Vorgehen der Behörden ist häufig willkürlich. Nach den aktuellen Reise- und Sicherheitshinweisen des Auswär-tigen Amtes für Iran, einschließlich Reisewarnung, droht selbst deutschen Staatsangehörigen bzw. Doppelstaatlern die konkrete Gefahr, willkürlich festgenommen, verhört und zu langen Haftstrafen verurteilt zu werden. In jüngster Zeit kam es zu einer Vielzahl willkürlicher Verhaftungen auch unbeteiligter ausländischer Staatsangehöriger, etwa im räumlichen Umfeld von Demonstrationen. Selbst Personen, die in der Vergangenheit ohne Probleme ein- und ausreisen konnten, können bei einem erneuten Aufenthalt willkürlich aufgrund zeitlich weit zurückliegender oder neuer Tatvorwürfe festgenommen werden. Strafrechtliche Vorschriften sind häufig so vage formuliert, dass eine Vielzahl möglicher Verhaltensweisen erfasst werden kann, ohne dass dies dem Betroffenen vorher deutlich sein muss. Die Rechtsprechung ist mitunter eindeutig politisch motiviert. Aufgrund im Iran weit ausgelegter Begriffe, wie zum Beispiel „nationale Sicherheit“, „Spionage“, „Terrorismus“ oder so genannter „Korruption auf Erden“ können zum Beispiel bloße Äußerungen, das Teilen, Kommentieren oder Liken von Beiträgen in sozialen Medien, aber auch persönliche Aufzeichnungen wie Tagebücher oder Notizen für eine Strafverfolgung ausreichen. Es kommt oft ohne nachvollziehbare Gründe zu Verhören und/oder Verhaftungen. Auch Familienangehörige von Inhaftierten werden regelmäßig unter Druck gesetzt. Auch in Deutschland getätigte Meinungsäußerungen und Handlungen können im Iran als regierungskritisch wahrgenommen werden und deshalb zu strafrechtlichen Konsequenzen führen. Gleiches gilt für regierungskritische Äußerungen im Internet bzw. das bloße Teilen oder Liken eines fremden Beitrags. Vor Reisen nach Iran wird gewarnt. Personen, die sich beabsichtigt oder zufällig am Umfeld von Demonstra-tionen aufhalten, droht die Festnahme und Verurteilung (Auswärtiges Amt, Iran: Reise- und Sicherheitshinweise, Reisewarnung, Stand: 30. Oktober 2023, unverändert gültig seit 14. September 2023). Medienberichten ist zu entnehmen, dass seit Beginn der landesweiten Proteste ab September 2022 bis in den November hinein, schon allein nach offiziellen Angaben, mehr als tausend Personen angeklagt worden sind. Fast 15.000 Menschen sind festgenommen worden, denen schwere Strafen drohen, um einen abschreckenden Effekt zu erzielen. Bei den seit Mitte September anhaltenden Protesten sind mindestens 318 Menschen getötet worden, darunter 49 Minderjährige und 38 Einsatzkräfte. Mit scharfer Munition wird direkt in Menschenmengen geschossen, teilweise auch mit kleinen Metallgeschossen, die wie Schrot zersplittern. Ärzte, die Verletzte behandeln wollen, werden daran gehindert und sind selbst von Repressalien bedroht. Selbst wer nicht direkt an den Demonstrationen teilnimmt, sondern sich selbst nur solidarisch erklärt oder die Gewalt des Staates verurteilt, gerät ins Visier des Regimes. Mehr als 14.000 Personen sind festgenommen worden; nicht alle davon sind selbst auf der Straße gewesen. Verhaftete werden im Staatsfernsehen öffentlich vorgeführt und vorverurteilt. Verschiedene Vorwürfe, wie etwa Krieg gegen Gott oder Korruption auf Erden, werden erhoben, auf denen in der islamischen Republik Iran die Todesstrafe steht. Die iranische Justiz wirft den Demonstranten subversive Aktivitäten vor, wie Angriffe auf die Sicherheitskräfte oder öffentliche Gebäude (vgl. Zeit-Online, Bereits mindestens tausend iranische Demonstranten angeklagt, vom 8. November 2022; tagesschau.de, Droht Protestteilnehmern die Todesstrafe?, vom 7. November 2022; NZZ, Irans Regime droht seinen Gegnern mit der Todesstrafe, vom 3. November 2022; FAZ, 1.000 Demonstranten im Teheran angeklagt, vom 1. November 2022). Weit bis in den Dezember 2022 hinein zogen sich Proteste durch das ganze Land und die gesamte iranische Bevölkerung. Es gab Kundgebungen in 160 Städten. Das iranische Regime machte – nicht zum ersten Mal – das Ausland verantwortlich. Die Regierung ging und geht mit großer Brutalität gegen die Muslime vor. Es gibt viele Videos von Polizeigewalt und Repressionen. Immer wieder gehen auch Einsatzkräfte in zivil gegen Demonstrierende vor. Inzwischen soll es nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen rund 500 Tote geben, außerdem sollen mehr als 18.000 Menschen festgenommen worden sein. Auf Seiten der Einsatzkräfte gab es demnach mehr als 60 Tote. Es gibt eine Reihe von Todesurteilen. Die ersten Verurteilten wurden hingerichtet, teilweise nach einem erzwungenen Geständnis, wobei dieses Vorgehen seit vielen Jahren im Iran System hat. Auch auf Seiten der Demonstrierenden kommt es zu Gewalt bis hin zur Tötung von Einsatzkräften. Die iranische Regierung kennt ausdrücklich keine Gnade. Sie sieht Feinde des Iran und deren Verbündete im Inland hinter den Protesten. Als Feinde begreift die iranische Führung die USA und Israel aber auch Saudi-Arabien, Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Der Revolutionsführer Al Chamenei hat entschieden, auf nackte Gewalt zu setzen. Die Staatskräfte sind angewiesen, mit Härte vorzugehen und auch den Tod von Protestierenden in Kauf zu nehmen. Die Gewalt wird wahllos eingesetzt. Selbst zufällige Passanten, Jugendliche und Kinder bleiben nicht verschont. Des Weiteren gibt es schwere Vorwürfe gegen Sicherheitskräfte im Iran, bewusst sexualisierte Gewalt gegen Demonstrantinnen einzusetzen bis hin zur Vergewaltigung. Inhaftierte berichten über lange Verhöre, Schläge, Schlafentzug und Drohungen, auch Familienangehörige festzunehmen. Geständnisse oder Reuebekenntnisse werden unter Folter erpresst und auf Video aufgenommen. Auch Augenzeugen und Familienangehörige werden drangsaliert. (vgl. etwa Deutschlandradio – Drei Monate Proteste im Iran, vom 17. Dezember 2022; Die Zeit, Gehängt im Namen Gottes, vom 15. Dezember 2022; FAZ, Iran warnt vor einem Bürgerkrieg, vom 18. November 2022 sowie Amnesty International, Journal, „Frau, Leben, Freiheit“, vom 7. Dezember 2022; „Mullah muss weg“, vom 5. Dezember 2022; „Mindestens 21 Menschen von Todesstrafe bedroht“ vom 18. November 2022; FR, Keine Gnade im Iran vom 28. Dezember 2022; NZZ, Schwere Vorwürfe gegen Polizisten im Iran: Vergewaltigen sie Demonstrantinnen? vom 25. Dezember 2022 sowie Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, Zusammenfassung Iran – Juli bis Dezember 2022, vom 1. Januar 2023; Amnesty International, Report 2022, Länderbericht „Iran“, vom 28. März 2023). Die Protestaktionen und Repressionen gingen auch nach dem Jahreswechsel im Jahr 2023 weiter, auch wenn die Proteste zwischenzeitlich etwas abgenommen haben. Auf der Straße finden sich teilweise subtilere Formen, z.B. Anti-Regimeslogans, beschriftete Geldscheine, Slogans auf Wänden, übermalte Plakate, Rufe von Dächern und aus Fenstern. Immer mehr Frauen, gerade auch in Teheran, legen öffentlich das Kopftuch ab. So drücken insbesondere viele Frauen inzwischen durch zivilen Ungehorsam ihren Unmut aus. Der iranische Staat geht mit brutaler Gewalt gegen die Proteste vor. Weiterhin werden echte und vermeintliche Gegner verhaftet und misshandelt. Oppositionelle werden in unfairen Gerichtsverfahren zu hohen Haftstrafen verurteilt. Die Haftbedingungen wirken wie eine zusätzliche Bestrafung. Verhaftete kommen in Isolationshaft bzw. verschwinden direkt nach ihrer Festnahme. Oft beginnen unmittelbar nach der Inhaftierung meist Folter oder andere Misshandlungen um die Inhaftierten zu bestrafen, zu erniedrigen und zu Geständnissen zu zwingen. Schläge, auch mit einer Peitsche, und Aufhängen an den Gliedmaßen sind dabei die häufigsten Formen. Es werden auch Elektroschocks und Erstickungstechniken wie „waterboarding“ eingesetzt, ebenso sexualisierte Gewalt bis hin zu Vergewaltigungen oder Scheinhinrichtungen angewendet. Hinzu kommen verschiedene Formen psychischer Folter. Man droht etwa, nahe Verwandte zu inhaftieren, zu foltern und zu töten. Gleichzeitig wird vor Ort medizinische Behandlung verweigert. Sicherheitsbehörden gehen gezielt gegen ethnische und religiöse Minderheiten vor und setzen mit Gewalt die diskriminierende Kleiderordnung auch für Frauen durch. Das iranische Regime kennt keine Gnade. Es sieht ausländische Mächte hinter den Protesten und begreift neben der USA und Israel auch weitere Staate wie Deutschland als Feinde (vgl. etwa FR, Das Regime sitzt auf einem Pulverfass, vom 23. Februar 2023; NZZ, Die nächste Etappe der Proteste beginnt, vom 21. Februar 2023; NZZ, Proteste im Iran: In mehreren Iranischen Städten wird erneut demonstriert, vom 17. Februar 2023; taz, Drei Journalistinnen im Iran festgenommen vom 24. Januar 2023; SZ, Der Staat im Staate, vom 23.Januar 2023; Der Spiegel, Tödliches Patt, vom 21. Januar 2023; Amnesty Journal Iran, Doppelt bestraft, vom 20. Januar 2023; HRW World Report 2023, Iran, vom 12. Januar 2023; NZZ, Schwere Vorwürfe gegen Polizisten im Iran: Vergewaltigen sie die Demonstrantinnen?, vom 25. Dezember 2022; FR, Keine Gnade im Iran, vom 28. Dezember 2022 sowie Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes vom 27. Februar 2023, 13. Februar 2023, 30. Januar 2023, 16. Januar 2023, 9. Januar 2023). Im Zeitraum von September 2022 bis Februar 2023 wurden über 500 Demonstranten und Demonstrantinnen getötet und fast 20 000 inhaftiert. Festgenommene berichten von Folter. Bis Januar wurden 18 Personen zum Tode verurteilt. Vier Todesurteile wurden vollstreckt (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation Iran, Proteste, exilpolitische Tätigkeiten und Vorgehen der iranischen Behörden, vom 23. Februar 2023). Die Protestkundgebungen haben sich auch anlässlich des internationalen Frauentages (8. März 2023) sowie in der Folgezeit fortgesetzt, die sich insbesondere auch gegen die Kopftuchpflicht und für die Freiheit und Gleichheit gerichtet haben. Auch im Zusammenhang mit den aufgetre-tenen Giftanschlägen gegen Schülerinnen und der deshalb erfolgten Proteste haben die iranischen Behörden den Vorwurf geäußert, dass die jüngsten Ausschreitungen durch Personen erfolgten, die mit ausländischen Medien kooperierten. Zahlreiche Schülerinnen hatten sich an den Demonstrationen nach dem Tod von Jina Mahsa Amini, beteiligt und verstoßen weiterhin gegen das Kopftuchgebot. Der islamische Staat mit seinem riesigen Sicherheitsapparat verfügt über ein dichtes Netzwerk von Überwachungskameras im ganzen Land und ist so fähig zu einer engmaschigen Bespitzelung. Es geht dabei im Iran nicht nur um das Kopftuch, sondern um die systematische Unterdrückung von Frauen. Weiße Foltermethoden werden eingesetzt; „weiße Folter“, also „saubere“ Methoden, weil die Methoden vorrangig die Psyche einer Person zermürben und keine physischen Spuren hinterlassen. Zudem sind unter den Protestierenden sehr viele Kurden, sodass die iranische Regierung umso mehr mit exzessiver Gewalt gegen diese vorgeht, zumal auch des Slogan „Jin Jiyan Azadi“ – Frau Leben Freiheit – aus dem Kurdischen kommt. Die Brutalität des iranischen Staates in seiner ganzen Bandbreite trifft selbst Kinder und Jugendliche (FR, Eine Tochter kämpft für ihre Mutter, vom 28. März 2023; Amnesty Journal, Iran, Widerstand aus Tradition, vom 22. März 2023; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes vom 13. und 20. März 2023; Der Spiegel, Folter von Minder-jährigen, vom 18. März 2023; FR, Mit Giftgas gegen die Jugend vom 13. März 2023; FZ, Mädchen vergiftet und der Staat schaut zu, vom 11. März 2023; taz, Es geht um so viel mehr als das Kopftuch, vom 7. März 2023). In der Folgezeit kam es zu weiteren regimefeindlichen Protesten und auch entsprechenden Repressionen des islamischen Staates, etwa zum Neujahrsfest Mitte März 2023. Auch Minderjährige waren physischer, psychischer und selbst auch sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Unter den Aufständischen im Iran sind sehr viele Kurden und Kurdinnen. Deshalb gehen die Sicherheitskräfte – besonders in kurdischen Gebieten – hart gegen Protestierende vor und wenden exzessive Gewalt an. Auch weitere Foltermethoden werden angesetzt, bei denen es vorrangig darum geht, die Psyche einer Person zu zermürben, ohne dass diese Methoden physische Spuren hinterlassen. Ankündigungen zur Abschaffung der Sittenpolizei haben sich als falsch erwiesen. Verstöße gegen Bekleidungsvorschriften für Frauen werden auf verschiedene Weise geahndet, etwa Ermahnung und Schläge, Teilnahme an Moralunterricht und Geldstrafen bis zur Inhaftierung und Strafverfahren, auch sexualisierte Gewalt gegenüber Gefangenen. Wenn auch im geringen Umfang sind immer noch Demonstranten auf den Straßen Irans zu sehen; ebenso Verstöße gegen die Bekleidungsvorschriften. In sozialen Netzwerken sind die Protestaktivitäten allgegenwärtig. Verstöße gegen Bekleidungsvorschriften werden wieder strenger kontrolliert. Die iranischen Behörden verstärken die Unterdrückung von Frauen und Mädchen, die sich dem Kopftuchzwang widersetzen. Behörden verbannen Frauen ohne Kopftücher aus Hochschulen, öffentlichen Verkehrsmitteln, verwehren ihnen den Zugang zu Finanzdienstleistungen und schließen Unternehmen, die die Kopftuchpflicht nicht umsetzen. Durch Massenüberwachungstechnologien werden unverschleierte Frauen in ihren Autos und in Fußgängerzonen identifiziert. Im April 2023 wurden etwa mehr als eine Million Frauen, die ohne Kopftuch am Steuer gefilmt worden sind, per Textnach-richten davor gewarnt, dass ihre Fahrzeuge beschlagnahmt würden. Frauen wurden von Universitäten suspendiert oder von Abschlussprüfungen ausgeschlossen. Ein neues geplantes Gesetz sieht härtere Haftstrafen vor. Hinzu können Ausreise-verbote, Beschlagnahme von Pässen, Entzug von Bürgerrechten kommen. Gerade im Zusammenhang mit dem Jahrestag des Todes von Jina Mahsa Amini im September 2023 kam es verstärkt zu Verhaftungen und repressiven Maßnahmen. Familien Getöteter werden schikaniert, etwa willkürlich festgenommen, inhaftiert, Grabsteine zerstört. Die Straßenproteste im Iran haben zwar mittlerweile nachgelassen, jedoch ist die Opposition gleichwohl noch aktiv, etwa in den sozialen Medien. Zudem gehört ziviler Ungehorsam, Missachtung der Gesetze zum Alltag, ebenso die Repressionen der Behörden. Am 20. September 2023 soll schließlich ein Gesetzentwurf zu Hijab- und Keuschheitsregeln mehrheitlich vom Parlament angenommen worden sein. Der Gesetzentwurf, der noch vom Wächterrat ratifiziert werden muss, sieht erweiterte Strafen bei Verstößen gegen islamische Vorschriften vor, die von zwischenzeitlichen Festnahmen über Geldstrafen und den Entzug von Bürgerrechten bis hin zu Haft-strafen reichen können. Als Verstoß gelten demnach die Verbreitung und die Förderung von Nacktheit, Unsittlichkeit, Hijab-Verletzungen oder unangemessene Kleidung in der Öffentlichkeit, in sozialen oder in ausländischen Medien. Zudem soll eine umfassende Geschlechtertrennung durchgesetzt werden. Eine Erweiterung der Zuständigkeit von Sicherheitsbehörden für die Überwachung und Durchsetzung der Kleiderordnung ist ebenfalls vorgesehen. Ein entsprechender Gesetzentwurf ist zurzeit noch beim Parlament, das vom Wächterrat zur Nachbesserung aufgefordert worden ist (vgl. https://www.deutschlandfunk.de/waechterrat-blockiert-neues-kopftuchgesetz-vorerst-102.html). Im Übrigen hat Iran auch zuletzt wieder seine Repressionen verschärft und nutzt gerade auch den Krieg im Gaza-Streifen, um im eigenen Land hart durchzugreifen (vgl. im Einzelnen die im Regelfall wöchentlich erscheinenden Briefing Notes des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. März 2023 bis zuletzt 29. Januar 2024 sowie etwa Der Spiegel, Folter von Minderjährigen, vom 18. März 2023; Amnesty International, Journal Iran, Widerstand aus Tradition, vom 22. März 2023; FR, eine Tochter kämpft für ihre Mutter, vom 28. März 2023; Amnesty International, Auskunft an das OVG SH vom 20. April 2023; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Zum Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie in der islamischen Republik, Entscheiderbrief 5/2023 Seite 4 ff.; Amnesty International, Was als Protest gegen den Tod einer jungen Iranerin begann, ist zur dauerhaften Herausforderung für das Regime geworden, vom 11. Juni 2023; Amnesty International, Iran: Zunehmende Unterdrückung von Frauen und Mädchen durch Sittenpolizei und Massenüberwachung vom 26. Juli 2023; Amnesty Inter-national, Aktuell, Iran: Familien der Getöteten müssen am Jahrestag der Proteste in Frieden trauern dürfen, vom 21. August 2023; Amnesty International, Journal, Iran, Viel Glut unter der Asche, vom 4. September 2023; NZZ, Iran verschärft die Repression, vom 25. Oktober 2023; taz, Der Nutznießer des Krieges sitzt im Iran, vom 25. Oktober 2023; vgl. zum Ganzen auch BFA, Bundesamt für Fremdenwesen der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation, Iran vom 13. April 2023).

Hinzu kommt des Weiteren, dass die iranische Regierung seit Jahren die sozialen Medien überwacht, um Regimegegner zu identifizieren. Die sozialen Medien sind ein wichtiger Bestandteil in der Protestbewegung. Die iranische Regierung geht auch anlässlich der Proteste in den sozialen Medien gegen aktive Aktivisten und Aktivistinnen vor. Abseits der Überwachung von Inhalten in den sozialen Medien reagieren die iranischen Behörden auf die Proteste unter anderem mit einer Drosselung der Internetgeschwindigkeit. Es wird vermutet, dass die Behörden ein Computersystem verwenden, das hinter den Kulissen der iranischen Mobilfunknetze arbeitet und den Betreibern eine breite Palette von Fernbefehlen zur Verfügung stellt, mit denen sie die Nutzung der Telefone ihrer Kunden verhindern, stören und überwachen können, wie z.B. die Datenverbindungen verlangsamen, die Verschlüsselung von Telefon-gesprächen hacken, die Bewegungen von Einzelpersonen oder Gruppen verfolgen und detaillierte Zusammenfassungen von Metadaten darüber erstellen, wer mit wem, wann und wo gesprochen hat. Die iranischen Behörden sind dabei in der Lage, sich auch ohne physischen Zugriff auf Geräte in Smartphones zu hacken und private Kommunikationen wie auch Kommunikationspartner in den sozialen Medien zu überwachen. Aber auch Iraner und Iranerinnen, die im Ausland leben und sich dort öffentliche regimekritisch äußern, sind von Repressionen bedroht. Es ist bekannt, dass Vertreter des iranischen Geheimdienstministeriums in Europa präsent sind und die iranische Diaspora unter genauer Beobachtung halten. Iranische Agenten agieren teilweise aus den jeweiligen Botschaften heraus. Auch die gerade in Europa lebenden Iraner werden unter genauer Beobachtung gehalten (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staaten-dokumentation, Iran vom 13. April 2023, Seite 12, 33, 49 f.; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Iran, Ahwazi-Aktivisten und -organisationen, Behandlung durch iranische Behörden, vom 10. März 2023, S. 24 f.; Kurzinformation der Staatendokumentation, Iran, Proteste, exilpolitische Tätigkeiten und Vorgehen der iranischen Behörden vom 23. Februar 2023, S. 2 f.; vgl. auch schon Länderinfor-mation der Staatendokumentation Iran vom 23. Mai 2022; Accord, Anfragebeantwortung zum Iran, Überwachung von Aktivität im Ausland, exilpolitische Aktivitäten Konversion vom 5. Juli 2019). Denn da ein erheblicher Anteil regimekritischer Debatten im virtuellen Raum und über die sozialen Medien stattfindet, überwacht das iranische Regime entsprechend das Internet und den mobilen Datenweg. Netzaktivitäten besonders engagierter Personen, die Einfluss auf die öffentliche Meinung ausüben können, können in den Blickfang staatlicher Kontrollen geraten. Staatliche Maßnahmen werden seit Jahren vorangetrieben, um regimefeindliche Aktivitäten zu identifizieren und gegen diese vorzugehen. Da das Hauptaugenmerk des Sicherheitsapparates auf dem Schutz des islamischen Regimes liegt, sollen jegliche Aktivitäten identifiziert werden, die dessen Kontrolle und Autorität gefährden und unter-graben können. Im Fokus der Überwachung können Online- und Social-Media-Aktivitäten von Personen, Gruppen und Medien stehen, die das politische und religiöse Gefüge anfeinden und in Frage stellen. Besonders gefährdet sind insbesondere diejenigen mit einer hohen Reichweite und Vernetzung (etwa auch aufgrund ihrer Profession, Kontakte, Bekanntheit) sowie mit entsprechend anzunehmendem Einfluss auf die Öffentlichkeit, darunter auch Iranerinnen und Iraner im Ausland (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – Informationszentrum Asyl und Migration, Länderanalysen Kurzinformation Iran, Netzaktivitäten – Netzüberwachung, Juli 2023).

Nach dieser Erkenntnislage wirken die landesweiten Unruhen, Proteste und sons-tigen Aktivitäten im Iran seit September 2022 sowie die repressiven Gegenmaß-nahmen durch den iranischen Staat bei einer Rückkehr aus dem (westlichen) Ausland in den Iran gefahrerhöhend jedenfalls, wenn die asylsuchende Person schon zuvor wegen ihres Vorfluchtverhaltens und/oder wegen ihres Verhaltens im Ausland im Fokus der iranischen Sicherheitsbehörden stand und steht.

Gleichwohl ist nach der Erkenntnislage gesamtbetrachtend (weiterhin) nicht davon auszugehen, dass jeder Iraner bzw. jede Iranerin, der bzw. die sich im Ausland aufgehalten hat, bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit politischer Verfolgung zu rechnen hat. Vielmehr ist auf den jeweiligen Einzelfall abzustellen. Konkret bleibt weiter im Einzelfall zu prüfen, ob jemand aufgrund seiner Aktivitäten im Iran bzw. seiner exilpolitischen Aktivitäten von iranischen Behörden als Regimegegner erkannt und identifiziert wird und im Falle einer Rückkehr deswegen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Gefahr gerät. Angesichts der Massenproteste in und außerhalb Iran und auch in Deutschland (auch im Internet) innerhalb des letzten Jahres ist es lebensfremd und unwahrscheinlich, dass jeglicher Teilnehmer unterschiedslos bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit flüchtlings-relevanten Repressalien rechnen muss.

Gemessen an diesen Grundsätzen droht der Klägerin keine Verfolgung wegen ihrer exilpolitischen Aktivitäten. Es kann offenbleiben, ob ihr das Gericht und auch das iranische Regime überhaupt eine bestimmte politische Überzeugung zuordnen könnten und ob es darauf maßgeblich ankommt. Dies könnte grundsätzlich mit Blick darauf der Fall sein, dass Iran insbesondere die im Ausland tätigen einzelnen Oppositionsgruppen genau beobachtet. Denn dessen ungeachtet handelt es sich mit der Klägerin nicht um eine engagierte Person im oben genannten Sinne, die Einfluss auf die öffentliche Meinung ausüben kann und dadurch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in den Blickfang staatlicher Kontrollen zu geraten droht. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin bei einer Gesamtbetrachtung ihrer exilpolitischen Aktivitäten für die iranischen Sicherheitsbehörden eine besondere Sichtbarkeit oder eine besondere Relevanz erlangt hat. Das Gericht erachtet es nicht für beachtlich wahrscheinlich, dass sie den iranischen Behörden aufgrund ihrer Beteiligung an Demonstrationen in Deutschland bereits aufgefallen ist oder im Rahmen einer möglichen Auswertung vorhandener Informationen oder ihrer bisherigen Social-Media-Aktivität auffallen wird. Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass der Instagram-Account der Klägerin weder ihren Namen ausweise noch [aktuell] dort politische Inhalte zu sehen seien (vgl. Seite 2 der Sitzungsniederschrift). Soweit die Klägerin daraufhin entgegnete, dass sie dort einen Namen verwende, den ihre Freunde kennen und ein Bild von ihr zu sehen sei, ergibt sich daraus ersichtlich keine andere Bewertung. Soweit die Klägerin frühere, politische Posts aus ihrem Account hat zur Akte reichen lassen, handelt es sich dabei um nicht im Zusammenhang mit der Klägerin stehende Solidaritätsbekundungen mit den Demonstrierenden in Iran sowie Ablichtungen von Demonstrationen dort und in Deutschland, die – wie bereits ausgeführt – darüber hinaus schon mangels Verwendung ihres Klarnamens kaum mit der Klägerin in Zusammenhang gebracht werden können und denen das iranische Regime mangels bedeutender Reichweite, Vernetzung oder Bekanntheit der Klägerin auch im Falle einer Identifizierung keine besondere Bedeutung beimessen wird. Die Darlegung der Klägerin und ihres Ehemannes in der mündlichen Verhandlung (vgl. Seite 3 der Sitzungsniederschrift), bei einer Demonstration in Berlin gegen das iranische Regime „zwei oder drei Wochen“ vor der mündlichen Verhandlung seien sie und andere Demonstrantinnen und Demonstranten von zwei arabischen oder türkischen jungen Männern gefilmt worden, solche Filme würden der iranischen Botschaft zur Verfügung gestellt und Rückkehrer nach Iran würden später damit konfrontiert, kann für sich allein die Prognose einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Verfolgung nicht tragen. Es ist schon nichts dafür ersichtlich oder vorgetragen, dass ihr bei den Demonstrationen in irgendeiner Hinsicht eine aus der Vielzahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer hervorstechende und die Wahrnehmung ihrer Person erhöhende Rolle zugekommen ist. Auch Anhaltspunkte dafür, dass hinsichtlich der Klägerin eine besondere Sichtbarkeit für das Regime wegen ihrer Nachforschungen zum Tod ihres Bruders und damit zusätzlich gefahrerhöhende Umstände in ihrem Einzelfall vorliegen könnten, liegen nicht vor. So wusste die Klägerin auf die entsprechende Nachfrage der Einzelrichterin der mündlichen Verhandlung auch nichts zu etwaigen Nachfragen bei ihren (inzwischen verstorbenen) Eltern nach ihr und ihrem ebenfalls nach Deutschland ausgereisten Bruder zu berichten. Es spricht aus Sicht des Gerichts dementsprechend nichts dafür, dass sie aus den vorgetragenen Umständen besonders in den Fokus der Behörden geraten sein könnte.

bb.

Soweit sie nach Klageerhebung eine sogenannte identitätsprägende Verwestlichung vorgetragen hat, ergibt sich auch daraus keine Flüchtlingseigenschaft der Klägerin. Ein Verfolgungsgrund im Sinne des vorliegend einzig in Betracht kommenden § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG liegt nicht vor.

Unter Berücksichtigung des Maßstabes des § 3a Abs. 1 AsylG muss eine hier in Rede stehende diskriminierende Maßnahme eine gewisse Intensität erreichen, um als flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung zu gelten. Aus diesem Grund ist nicht jede Beeinträchtigung bestimmter Gruppen zugleich auch eine Diskriminierung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 2 AsylG. Maßnahmen, die nicht mit einer unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben oder Beschränkungen der persönlichen Freiheit verbunden sind, bilden nämlich nur dann einen Verfolgungstatbestand, wenn sie nach Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Verfolgerstaates aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 1987 - 9 C 42/87 -, juris). Insoweit muss grundsätzlich auch in Fällen der Verfolgung als Angehörige der sozialen Gruppe der „Frauen mit westlichem Lebensstil“ gelten, dass auch wenn die Unterdrückung alternativer Lebensentwürfe mit dem grund- und menschenrechtlichen Selbstverständnis eines liberalen Rechtsstaats (Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 1 Abs. 1 GG; Art. 8 EMRK) unvereinbar erscheint, Schutz im Sinne des flüchtlingsrechtlichen Schutzansatzes nur dann gewährt werden kann, wenn das verfolgungsbegründende Merkmal so bedeutsam für die Identität des Betroffenen ist, dass er nicht gezwungen werden sollte, dieses aufzugeben (vgl. nur BeckOK MigR/Wittmann, 17. Ed. 15. Oktober 2023, AsylG § 3b Rn. 29, m.w.N.). In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung wird in jüngerer Zeit vermehrt eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr (auch) für Frauen aus Iran unter dem genannten Gesichtspunkt einer identitätsprägenden Verwestlichung angenommen (teilweise auch als gefahrerhöhender Umstand neben zum Beispiel für sich genommen nicht als „ausreichend“ empfundenen exilpolitischen Aktivitäten; vgl. etwa VG Würzburg, Urteil vom 25. September 2023 – W 8 K 23.30109 –, Rn. 49 ff., m.w.N. auch hinsichtlich der oben genannten Rechtsprechung im Übrigen; VG Hamburg, Urteil vom 20. Juli 2021 – 10 A 5156/18; jeweils juris). Gestützt wird dies darauf, dass die Betroffene im Einzelfall wegen eines langjährigen Aufenthalts in Europa bzw. Deutschland und der damit verbundenen Prägung durch den sog. westlichen Lebensstil bei einem dauerhaften Aufenthalt in Iran zwangsläufig aufgrund der aktuellen Gegebenheiten dort staatlichen Repressionen ausgesetzt wäre. Letztlich geht es um die Frage der mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Verfolgung durch den iranischen Staat aufgrund der Stellung der jeweils Betroffenen als Frau in der iranischen Gesellschaft (in diesem Sinne auch: VG Trier, Urteil vom 21. Januar 2022 - 11 K 3538/20.TR -, juris) und dementsprechend um die o.g. Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG. Die Kammer lässt vorliegend offen, ob der Aspekt der „identitätsprägenden Verwestlichung“, der ganz offensichtlich in Anlehnung an eine identitätsprägende Konversion (etwa zum Christentum) entwickelt worden ist, eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit in Iran derzeit grundsätzlich tragen kann. Soweit ersichtlich musste das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg sich mit der Frage bisher nicht befassen (vgl. allerdings den Beschluss vom 15. Dezember 2023 - OVG 5 N 65/21 -, n.v.; der 5. Senat hatte dort über die Geltendmachung einer Gehörsverletzung und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache durch eine Klägerin zu entscheiden, die monierte, das erstinstanzliche Gericht habe nicht zur Kenntnis genommen, dass sie allein durch ihre Identität - ohne Schleier mit offen getragenem Haar, lackierten Fingernägeln, ohne langen Mantel, sondern modern gekleidet - einer Verfolgung in Iran ausgesetzt sei; eine Befassung mit dieser Frage schied indes aus verfahrensrechtlichen Gründen aus). Soweit in der Rechtsprechung betreffend Iran häufig die Rechtsprechung zu einer „identitätsprägenden Verwestlichung“ afghanischer Frauen (vgl. etwa die ausführliche Darstellung im Urteil des OVG Lüneburg vom 21. September 2015 - 9 LB 20/14 - BeckRS 2015, 5313, beck-online) angeführt wird, verbietet sich jedenfalls eine automatische Gleichsetzung der Lage von Frauen in den beiden Ländern.

Die genannten Zweifel vorangestellt hat die Einzelrichterin ihrer Prüfung zum einen die jüngsten Ausführungen des OVG für das Land Schleswig-Holstein (Urteil vom 12. Dezember 2023 – 2 LB 9/22 –, Rn. 108 - 134, juris) zugrunde gelegt:

„ … Nach Überzeugung des Senats unterliegen nicht alle Frauen in Iran einer Verfolgungsgefahr (hierzu <1>). Eine Verfolgungsgefahr droht aber, wenn Frauen sich nicht den speziell für Frauen geltenden Vorschriften des Iran unterwerfen können und wollen, insbesondere nicht hinsichtlich der Verhüllung ihres Kopfhaares und des Verbots einer Äußerung zur Rolle der Frau und/oder anderer regimekritischer Meinungen. Neben Fällen einer bestehenden oder im Zeitpunkt der Ausreise unmittelbar bevorstehenden Verfolgung ist nach Überzeugung des Senats eine flüchtlingsrelevante Verfolgungsgefahr auch in Fällen zu bejahen, in denen eine identitätsprägende, politische Überzeugung besteht, sich entsprechenden Vorschriften nicht zu unterwerfen (hierzu <2>). der Senat vermochte sich in der mündlichen Verhandlung keine Überzeugung von einer solchen identitätsprägenden Überzeugung der Klägerin zu 2 zu verschaffen (hierzu <3>).

(1) Die iranische Verfassung schreibt eine „Gleichberechtigung aller vor dem Gesetz“ vor, allerdings steht diese unter dem Vorbehalt der Ziele der islamischen Republik, die nur unter „Beachtung der islamischen Normen“ erreicht werden können. Alle einfachgesetzlichen Normen müssen mit der Scharia vereinbar sein, hinsichtlich derer in Iran eine traditionelle Rechtsauslegung erfolgt (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge <BAMF>, Länderreport. Iran. Rechtliche Situation der Frauen vom 1. Februar 2023, Seiten 4-5; Bundesamt für Fremden-wesen und Asyl <BFA>, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation. Iran, Stand 13. April 2023, Seite 103).

Die Situation der Frauen in Iran ist dementsprechend geprägt durch die islamische Rechts- und Werteordnung. Die staatliche iranische Auslegung des islamischen Rechts, die hierdurch geprägte Verfassung und die traditionelle iranische Gesellschaft interpretieren die Frage der Gleichberechtigung von Mann und Frau in einer Weise, die in vielen Bereichen des täglichen Lebens zu gesetzlichen und gesellschaftlichen Diskriminierungen führen kann. Offene Diskriminierungen gegen Frauen gibt es unter anderem im Bereich des Familien- und Erbrechts. Zudem gibt es Diskriminierungen im Selbstbestimmungsrecht, im Vertragsrecht, beim Zugang zum Arbeitsmarkt, beim Zugang zu politischen Ämtern und im Strafrecht. Frauen sehen sich zudem verdeckten Diskriminierungen in der Familie, am Arbeitsplatz, in öffentlichen Institutionen und im gesellschaftlichen Leben ausgesetzt (BAMF, Länder-report. Iran. Rechtliche Situation der Frauen vom 1. Februar 2023, Seiten 20-21).

Die iranische Regierung unter Führung von Staatspräsident Raisi, der seit 2021 im Amt ist, verfolgt eine ultra-konservative Agenda, die auf noch stärkere Einschränkung der Rechte von Frauen und Mädchen abzielt und deren Sichtbarkeit in der Gesellschaft verringern will (AA, Lagebericht vom 30. November 2022, Seite 4). Frauen sind erheblichen rechtlichen und gesellschaftlichen sanktionsbewährten Einschrän-kungen ausgesetzt (AA, Lagebericht vom 30. November 2022, Seiten 4-5).

Laut offiziellen Angaben liegt die Arbeitslosenrate bei Frauen bei 17,7%, unter Frauen mit höherer Bildung liegt sie noch deutlich darüber. Im „Global Gender Gap Report“ 2022 des World Economic Forum belegt Iran mit Platz 143 (von 146) einen der untersten Plätze. Die ultrakonservative Regierung will die Integration von gut ausgebildeten Frauen in den Arbeitsmarkt nicht vorantreiben, weil sie die traditionelle Rolle der Frau in der islamischen Familie stärken und die Geburtenrate erhöhen will. Seit Amtsantritt der Regierung von Staatspräsident Raisi gab es verschiedene Vorstöße zur Einschränkung von Frauenrechten. Im November 2021 trat ein Gesetz „zur Verjüngung der Bevölkerung“ in Kraft, welches das Recht auf Gesundheit und insbesondere die sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen und Mädchen massiv einschränkt (AA, Lagebericht vom 30. November 2022, Seite 12).

Das iranische Recht ist vom Bild einer dem (Ehe-)Mann untergeordneten (Ehe-)Frau geprägt, was sowohl in Fragen der Selbstbestimmung, des Sorgerechtes, der Ehescheidung als auch des Erbrechts zu erkennen ist.

Im Straf- bzw. Strafprozessrecht sind Frauen bereits mit neun Jahren vollumfänglich strafmündig (Männer mit 15 Jahren), ihre Zeugenaussagen werden hingegen nur zur Hälfte gewichtet.

Verschiedene gesetzliche Verbote machen es Frauen unmöglich, im gleichen Maße wie Männer am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen: Strenge Kleiderordnung, Verbot des Zugangs zu Sportveranstaltungen, Genehmigungsvorbehalt des Ehemannes oder Vaters bezüglich Arbeitsaufnahme oder Reisen. Obwohl Frauen im August 2022 erstmalig auf Druck der FIFA ein Fußball-Ligaspiel im Stadion verfolgen konnten, hat sich am grundsätzlichen Stadionverbot für Frauen nichts geändert. Von einigen staatlichen Funktionen (u. a. Richteramt, Staatspräsident) sind Frauen gesetzlich oder aufgrund entsprechender Ernennungspraxis ganz oder weitgehend ausgeschlossen. Nur eine Frau gehört dem Kabinett von Staatspräsident Raisi an, die Vizepräsidentin für Frauen- und Familienangelegenheiten Ensieh Khazali (zum Ganzen AA, Lagebericht vom 30. November 2022, Seite 13).

Fälle von sexueller Ausbeutung oder Zwangsprostitution sind nicht zweifelsfrei dokumentiert. Der Staat ist verpflichtet, Frauen vor sexueller Gewalt zu schützen. Frauen, die ehelicher oder häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, können nach Einschätzung des Auswärtigen Amts nicht uneingeschränkt darauf vertrauen, dass effektiver staatlicher Schutz gewährt wird. Gesetze zur Verhinderung und Bestrafung geschlechtsspezifischer Gewalt existieren nicht. Ein geplantes Gesetz „gegen Gewalt gegen Frauen“ ist noch immer nicht verabschiedet worden. Es gibt vereinzelt Berichte von Fällen weiblicher Genitalverstümmelung innerhalb der sunnitischen Minderheit. Die iranische Mehrheitsgesellschaft lehnt weibliche Genitalverstümmelung jedoch ab (zum Ganzen AA, Lagebericht vom 30. November 2022, Seite 13).

Dem Gesetz nach müssen alle Frauen in Iran ab dem Alter von neun Jahren die islamischen Bekleidungsvorschriften in der Öffentlichkeit einhalten (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation. Iran, Stand 13. April 2023, Seite 101). Im August 2022 wurden die Keuschheits- und Hijab-Regelungen nochmals verschärft und weitere Beschränkungen auferlegt (BAMF, Länderreport 56. Iran. Rechtliche Situation der Frauen, Stand Januar 2023, Seiten 22-26).

Gemäß Artikel 638 des islamischen Strafgesetzbuchs von 1996 können Frauen, die ohne Hijab in der Öffentlichkeit auftreten, zu zehn Tagen bis zwei Monaten Haft oder einer Geldstrafe verurteilt werden. Für Autofahren ohne Hijab kann ein Bußgeld verhängt oder das Auto kann – nach zwei Verwarnungen per SMS - für einen gewissen Zeitraum beschlagnahmt werden. Grundsätzlich ist auch die Verhängung von bis zu 74 Peitschenhieben wegen Verstoßes gegen die öffentliche Moral möglich; dazu kommt es nicht, wenn die Familien von der Möglichkeit des Freikaufs Gebrauch machen. Auch wenn es in der Regel nur zu Verwarnungen kommt, ist die sogenannte Sittenpolizei „Gashte Ershad“ in Iran gefürchtet. Bei Kontrollen soll sie regelmäßig Gewalt anwenden. In der Praxis kam es bis Herbst 2022 zu teilweise gewaltsamen Übergriffen durch die sogenannte Sittenpolizei, die mit Kleinbussen und in zivil den öffentlichen Raum kontrollierte. Frauen wurden – in der Regel für mehrere Stunden – in Gewahrsam genommen, mussten „Bildungsmaßnahmen“ durchlaufen und eine „Reueerklärung“ unterschreiben. Ein neuer Gesetzesentwurf, der derzeit im iranischen Parlament diskutiert wird, sieht laut iranischen Medienberichten eine Modifizierung der Bestrafung bei Nichtbeachtung der Kleidervorschriften vor. Der Entwurf wird kontrovers diskutiert, Details sind mangels Veröffentlichung nicht bekannt. Nach Kenntnis des Auswärtigen Amts wurde die Praxis der Kontrolle und Reaktion auf Nichteinhaltung der Bekleidungsvorschriften in den vergangenen Monaten bereits angepasst. Bei der Kontrolle soll Gesichtserkennungstechnologie zum Einsatz kommen. Es wurden vermehrt Warn-SMS verschickt, z. B. im Straßenverkehr, an Ladeninhaber oder bei Aufenthalt an bestimmten Orten, z. B. Flughäfen. Zahlreiche Geschäfte, Restaurants, Hotels wurden (vorübergehend) geschlossen, weil deren Besucherinnen die Kleidungsvorschriften nicht beachtet hatten (AA, Stellungnahme vom 14. Juni 2023, Frage 21; vgl. dazu auch SFH Iran: Situation der Frauen, 18. November 2023, Seiten 9 ff.). Seit dem 15. April 2023 werden die diskriminierenden Bekleidungsvorschriften durch die Installation von Videokameras kontrolliert. Frauen erhalten auch insoweit bei Verstößen eine SMS mit Warnungen auf ihr Handy. Ihnen wird der Ausschluss von Bildungseinrichtungen angedroht, öffentliche Verkehrsmittel dürfen nur benutzt werden, wenn dem Kopftuchzwang Folge geleistet wird. Die Bevölkerung wird aufgefordert, Frauen bei Verstößen zu ermahnen; dies hat auch schon zu tätlichen Auseinandersetzungen geführt. Geschäftsinhaberinnen und Geschäftsinhabern kann die Lizenz entzogen werden, wenn sie die Beachtung des Hijabzwanges nicht kontrollieren. Staatlichen Quellen zufolge wurden Stand April 2023 137 Geschäfte und mehr als 18 Restaurants geschlossen, weil in ihnen Frauen bedient wurden, die keinen Hijab trugen (AI, Stellungnahme zum Verfahren 2 LB 8/22 vom 20. April 2023).

Am 16. September 2022 starb Jina Mahsa Amini, eine 22-jährige Iranerin, die der kurdischen Minderheit angehörte, in Teheran in Polizeigewahrsam. Sie wurde inhaftiert, weil sie die Bekleidungsvorschriften Irans nicht eingehalten haben soll. Nach Erkenntnissen des UN Special Rapporteur on the Situation of Human Rights in the Islamic Republic of Iran wurde Jina Mahsa Amini von der Sittenpolizei schwer geschlagen und ist aufgrund der Folter und Misshandlungen durch die Polizei gestorben. Ihr Tod löste landesweit Empörung und eine Welle von Protesten aus, an deren Spitze Frauen und junge Menschen unter dem Motto „Frau, Leben, Freiheit“ standen (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation. Iran, Stand 13. April 2023, Seite 100; SFH, Iran: Situation der Frauen, 18. November 2023, Seiten 4-5).

Neben Verstößen gegen die Kleidervorschriften online wie offline (die sehr willkürlich und unterschiedlich ausgelegt werden) kann beispielsweise Fahrrad fahren für Frauen geahndet werden, obwohl dies strafrechtlich nicht verboten ist. Männer und Frauen, die in der Öffentlichkeit gemeinsam unterwegs sind, können nach ihrer Beziehung zueinander befragt und gegebenenfalls mit einer Strafe belegt werden, wenn sie nicht verwandt oder verheiratet sind. Auch Zuneigungsbekundungen zwischen Männern und Frauen in der Öffentlichkeit können geahndet werden, insbesondere, wenn sie nicht verheiratet sind. Ebenso ist eine Verfolgung von Frauen wegen Handlungen wie Singen oder Tanzen in öffentlichen Räumen und den sozialen Medien möglich. In solchen Fällen können die Betroffenen zu öffentlichen Reueerklärungen gezwungen werden (AA, Stellungnahme vom 14. Juni 2023, Frage 22).

Vor dem Hintergrund des Vorstehenden geht der Senat davon aus, dass Frauen, die sich nicht an die einschränkenden Vorschriften insbesondere zur Bekleidung halten, in Iran eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1, § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG droht. Diese einschränkenden Vorschriften insbesondere zur Bekleidung sind für sich betrachtet nach Auffassung des Senats noch nicht auf Grund ihrer Art oder Wieder-holung so gravierend, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellten, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist, § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG. Auch die Kumulierung der unterschiedlichen Maßnahmen stellt noch keine Verletzung der Menschenrechte dar, die so gravierend wäre, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG beschriebenen Weise betroffen ist, § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG (vgl. aber für die Situation in Afghanistan Generalanwalt des EuGH, Schlussanträge vom 9. Januar 2023 - C-608/22 -, juris Rn. 52-59). Dies gilt insbesondere für diejenigen Frauen, die mit diesen Einschränkungen konform gehen (wie etwa die Vizepräsidentin für Frauen- und Familienangelegenheiten Ensieh Khazali, die ihrerseits für eine Verschärfung steht).

(2) Eine Verfolgungsgefahr ist aber neben Fällen einer bestehenden oder im Zeitpunkt der Ausreise unmittelbar bevorstehenden Verfolgung nach Überzeugung des Senats auch in Fällen zu bejahen, in denen es Frauen aufgrund einer identitätsprägenden Überzeugung nicht zumutbar ist, sich für den Fall einer Rückkehr nach Iran entsprechenden Vorschriften wieder zu unterwerfen. Eine solche Überzeugung stellt aus Sicht des iranischen Staates eine politische Überzeugung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG dar.

Soweit eine Verfolgungsgefahr aufgrund bestimmter politisch motivierter Handlungen oder Äußerungen drohen kann, kann dies eine asylrelevante Verfolgung darstellen. Denn soweit die Verfolgungsgefahr aufgrund des „Innehabens“ einer politischen Überzeugung drohen muss, darf dies nicht im Sinne der Beschränkung auf den Bereich des forum internum verstanden werden. Vielmehr ist zumindest ein Mindestmaß an Äußerungs- und Betätigungsmöglichkeiten umfasst. Daher stellt zwar nicht jede nach der Rechtsordnung anderer Staaten zulässige Beeinträchtigung von Rechten, die der bzw. dem Einzelnen in Deutschland durch das Grundgesetz gewährleistet sind, schon eine asylerheb-liche politische Verfolgung dar. Die politische Überzeugung wird aber dann in asylerheblicher Weise unterdrückt, wenn ein Staat mit den Mitteln des Strafrechts auf Leib, Leben oder die persönliche Freiheit der bzw. des Einzelnen schon deshalb zugreift, weil dieser ihre bzw. seine – mit der Staatsraison nicht übereinstimmende – politische Meinung nicht „für sich behält“, sondern sie nach außen bekundet und sich mit ihr Dritten gegenüber „hören lässt“ und damit notwendigerweise eine geistige Wirkung auf die Umwelt ausübt und meinungsbildend auf andere einwirkt (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 1987 - 9 C 184.86 -, juris Rn. 19). So liegt es in Iran: Die Nichtunterwerfung unter die für Frauen in Iran geltenden Beschränkungen, insbesondere, aber nicht nur das Nicht-Tragen eines Hijab, wird mit erheblichen Mitteln auch des Strafrechts verfolgt. Wenn eine Frau in Iran in Ausübung einer unter anderem von der Gleichheit der Geschlechter sowie der Freiheit von Meinungen und Religionszugehörigkeit geprägten „westlichen“ Überzeugung sich nicht den von ihr als geschlechtsdiskriminierend empfundenen und religiös motivierten Kleidungsvorschriften unterwerfen will, stellt die diesbezügliche strafbewehrte Verpflichtung eine flüchtlings-relevante Verfolgungshandlung dar. …“

Zu ergänzen ist noch, dass Iranerinnen insbesondere, wenn sie sich als Nicht-Muslimas zu erkennen geben Gefahr laufen, strafrechtlich belangt zu werden. Musliminnen ist es nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 30. November 2022 (dort Seite 15) verboten zu konvertieren („Abfall vom Glauben“). Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 19. August 2022 kann der Abfall vom Islam (Irtidad Juiji) in der Islamischen Republik Iran mit Todesurteil bestraft werden. Nach unverbindlicher Einschätzung des Auswärtigen Amtes ist hierbei dem Wortlaut entsprechend auf den bloßen Abfall vom Islam unabhängig vom Wechsel zu einer anderen Religion abzustellen. Folglich ist auch dann wegen Apostasie mit Repressionen oder strafrechtlicher Verfolgung zu rechnen, wenn keine Konversion erfolgt, sondern der Betreffende Atheist ist. Frauen, die von vornherein einer anderen Religion angehören, stehen in der islamischen Republik ohnehin unter kritischer Beobachtung.

Die Einzelrichterin hat sich in der mündlichen Verhandlung letztlich die notwendige Gewissheit hinsichtlich einer identitätsprägenden, politischen Überzeugung der Klägerin von westlichen Werten, insbesondere Geschlechtergleichheit sowie Meinungs- und Religionsfreiheit und damit des Vorliegens der Voraussetzungen eines sich daraus ergebenen Nachfluchtgrundes nicht verschaffen können.

Die Haltung der Klägerin kam wie folgt zum Ausdruck:

Auf die Frage des Gerichts, wann sie ihr Kopftuch abgelegt habe, sagte sie, im Flughafen in T_____ sei es noch Zwang gewesen und schon im Flugzeug hätten die Frauen und damit auch sie selbst das Kopftuch abgelegt und es als Schal um die Schulter gelegt. Auf die Frage, ob sie mit ihrem Mann über das Kopftuch gesprochen habe, sagte sie, sie sei für ihn ja immer eine nichtkopftuchtragende Frau gewesen. Die Mutter ihres Mannes, also ihre jetzige Schwiegermutter, sei mit ihrer Schwester in Hamburg befreundet gewesen und als sie das letzte Mal vor ihrer endgültigen Ausreise nach Deutschland gekommen sei, hätten sie sich kennengelernt. Ihr Mann sei mit 13 Jahren nach Deutschland gekommen. Auch ihre Schwiegermutter trage kein Kopftuch. Auf die Frage des Gerichts, ob sie das Kopftuch in T____ als schlimm empfunden habe, führt die Klägerin aus, sie sei eben gezwungen gewesen, ob es kalt gewesen sei oder warm – es habe ihr nicht gefallen. Sie habe eben nicht die Freiheit gehabt, selbst zu entscheiden und es habe ihr ein schlechtes Gefühl gegeben. Auf die Frage ihres Prozessbevollmächtigten, ob sie denn verstanden habe, was das Kopftuch bedeute, sagte die Klägerin, sie glaube nicht, dass jede Muslima Kopftuch tragen müsse, sondern mit dem diktatorischen Regime zusammen und damit, dass „die“ das entschieden hätten. Die Rechte von Frauen sollten eben einfach eingeschränkt werden (vgl. Seite 5/6 der Sitzungsniederschrift). Auf die Frage ihres Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung, ob die Klägerin von sich den Eindruck habe, dass sie sich hier in Deutschland entwickelt habe, sagte Klägerin, ja, sie habe sich verändert. Sie habe hier viele Freiheiten erlebt und hier begriffen, was Leben bedeute. Sie sehe Deutschland schon als ihr Land, aber sie habe nächtelang geweint und sei solidarisch mit der Mahsa-Amini-Bewegung gewesen. Sie habe sehr geweint damals. Das Internet sei unterbrochen gewesen und es habe keine Möglichkeit gegeben, Verbindung zum Iran aufzunehmen, auch nicht mit ihren Eltern. Sie sei beeindruckt gewesen, dass Frauen in Deutschland Respekt entgegengebracht werde trotz der Unterschiede zwischen Männern und Frauen und dass Frauen gleiche Rechte haben. Das Gefühl sei sehr schön gewesen. Das, was die Familien der Festgenommenen in Iran durchgemacht hätten, habe sie nachempfinden können. Sie habe wegen ihres Bruders ja Ähnliches erlebt. Deshalb sei sie auch auf der Straße in Deutschland gewesen und habe mitdemonstriert. Auf die Frage ihres Prozessbevollmächtigten, ob die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau für die Klägerin jetzt schon selbstverständlich geworden sei, sagt die Klägerin, ja, das habe sie auch an der Seite ihres Mannes so erlebt. Auf die Frage ihres Prozessbevollmächtigten, ob die Klägerin glaube, dass sie bei einer Rückkehr nach Iran dort ihr Leben ohne Gefahr mit ihrer Einstellung leben könne, sagt die Klägerin: „Sicher nicht. Ich würde an Demos teilnehmen in Anbetracht der Hinrichtungen so vieler Menschen, ich wäre auf jeden Fall auf der Straße.“ Auf die weitere Frage ihres Prozessbevollmächtigten, ob sie sich zurechtfinden würde in Iran, sagt die Klägerin: „Das ist ganz klar – nein. Ich habe einige Jahre in Deutschland gelebt und viel gesehen und kennengelernt. Damals hatte ich keine dezidierte Meinung; jetzt ist das anders. Nach iranischem Recht hätte ich als verheiratete Frau noch nicht einmal die Möglichkeit, ohne Genehmigung meines Mannes ein anderes Land zu bereisen.“ (vgl. Seite 8/9 der Sitzungsniederschrift). Die Einzelrichterin stellte abschließend noch die Frage, wie die Klägerin zur Sexualität vor der Ehe stehe. Allerdings ohne dass dies in die Sitzungsniederschrift aufgenommen worden ist, entstand von Seiten der Klägerin daraufhin zunächst ein erschrockenes Schweigen. In der Sitzungsniederschrift (dort Seite 9) heißt es weiter: „ … Nach Klärung, dass damit nicht ihr eigenes Leben gemeint sei, sagt die Klägerin: „Ich habe in Deutschland mitbekommen und die Erfahrung gemacht, dass es etwas Schönes sein kann, Sexualität vor der Ehe zu haben. Das ist die Entscheidung eines jeden Einzelnen, ob man das will. In Iran ist es jedenfalls ein Straftatbestand.“ …“. Die Klägerin selbst gibt an, Muslima zu sein, aber nicht die Glaubenssätze der Mullahs in Iran zu haben. Sie bemühe sich, eine etwas bessere Religionsgrundlage oder etwas Tieferes, Besseres über den Islam zu finden (vgl. Seite 5 der Sitzungsniederschrift).

Aus den Ausführungen der Klägerin ergibt sich zwar eine Hinwendung zu einem westlichen Lebensstil. Die Klägerin scheint in der deutschen Gesellschaft - dies insbesondere auch an der Seite ihres ebenfalls aus Iran stammenden und seit früher Jugend in Deutschland lebenden Ehemannes - angekommen und fühlt sich wohl. Allerdings kann sie für sich zum einen nicht in Anspruch nehmen und hat jedenfalls nichts dazu vorgetragen, dass sie in Deutschland ein Verhalten an den Tag legt, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung und Ausrichtung ist (§ 28 Abs. 1a AsylG). Vielmehr hat sie in Iran offensichtlich ein an die dortigen Bedingungen angepasstes Leben geführt. Dass der Prozess einer identitätsprägenden Verwestlichung zum anderen bei ihr bereits abgeschlossen ist, vermochte sie nicht überzeugend darzulegen. Dafür reicht es zunächst nicht aus, dass die Klägerin in Deutschland nun kein Kopftuch trägt, es in Iran als Mittel zur Beschränkung der Freiheit von Frauen sieht und in eine iranisch-stämmige Familie eingeheiratet hat, in der das Tragen des Kopftuchs nicht üblich ist und auf entsprechende Frage des Gerichts sagt, in Iran sei sie eben gezwungen gewesen, ob es kalt gewesen sei oder warm und es habe ihr nicht gefallen und ihr ein schlechtes Gefühl gegeben. Der Schwerpunkt ihrer Darlegungen lag vielmehr auf ihrer - verständlichen und nachvollziehbaren - Solidarität mit den Menschen in Iran mit Blick auf die dortigen Demonstrationen und deren Folgen, die sie auch in Zusammenhang mit dem Schicksal ihres verstorbenen Bruders sieht. Sie könne das Schicksal der Familien der Festgenommenen nachempfinden. Sie habe wegen ihres Bruders ja Ähnliches erlebt. Deshalb sei sie auch auf der Straße in Deutschland gewesen und habe mitdemonstriert. Weiter beantwortete sie auch die Frage ihres Prozessbevollmächtigten, ob sie glaube, dass sie bei einer Rückkehr nach Iran dort ihr Leben ohne Gefahr mit ihrer Einstellung leben könne, nicht mit Blick auf etwaige Probleme wegen ihres in Deutschland erworbenen westlichen Wertekanons als Frau, sondern wies darauf hin, sie würde wegen der Hinrichtungen so vieler Menschen an Demonstra-tionen teilnehmen. Dass dies ein mutiges Vorhaben ist, stellt die Einzelrichterin nicht in Frage, mag es angesichts ihrer Ehe mit einem Deutschen auch eine äußerst hypothetische Überlegung sein. Es hat indes mit der Frage einer Verwestlichung letztlich nichts zu tun. Erst auf die nochmalige und insoweit lenkende Nachfrage ihres Anwalts, ob sie sich zurechtfinden würde in Iran, verneinte die Klägerin dies und wies darauf hin, sie habe einige Jahre in Deutschland gelebt und viel gesehen und kennengelernt, damals habe sie keine dezidierte Meinung gehabt. Das sei jetzt anders. Nach iranischem Recht habe sie als verheiratete Frau noch nicht einmal die Möglichkeit, ohne Genehmigung ihres Mannes ein anderes Land zu bereisen. Was diese dezidierte Meinung genau ist, legte die Klägerin nicht im Einzelnen dar. Dabei steht der Einzelrichterin eine Bewertung darüber nicht zu, dass die Klägerin sich alsbald nach ihrer Einreise in Deutschland in eine Ehe begab. Sie nimmt auch zur Kenntnis, dass die Klägerin die Gleichberechtigung der Frau in Deutschland an der Seite ihres Mannes erlebt hat. Ihre Schilderung, das Gefühl sei sehr schön und sie sei beeindruckt gewesen, dass Frauen in Deutschland Respekt entgegengebracht werde trotz der Unterschiede zwischen Männern und Frauen und dass Frauen gleiche Rechte haben, lässt allerdings Zweifel daran aufkommen, dass die Klägerin von einer Gleichwertigkeit von Frauen und Männern bereits restlos überzeugt ist. Ferner machte sie keine weiteren Angaben dazu, wie ihre Zuwendung zum west-lichen Lebensstil sich über eine bloße Annahme dieses Lebensstils im täglichen Leben in Deutschland zu einer inneren Überzeugung gewandelt hat. Ohne dass dies für sich genommen entscheidend ist, hat die Klägerin eher den Eindruck vermittelt, dass sie sich an die islamische Sexualmoral (die es ähnlich selbstredend auch in anderen Religionen gibt) persönlich noch gebunden fühlt. Die Frage der Einzelrichterin zu vorehelicher Sexualität schockierte die Klägerin - vielleicht auch wegen der Anwesenheit ihres Ehemanns im Sitzungssaal - ersichtlich. Ihr schien eine Antwort auf diese Frage erst nach der gerichtlichen Versicherung, dass sich die Frage nicht auf ihr eigenes Leben beziehe, möglich. Die oben dargestellte Antwort wirkte dann indes wenig authentisch. Auch vor dem Hintergrund, dass sie bekennende Muslima ist, der Vorwurf eines Abfalls vom Glauben daher nicht im Raum steht, der Islam in zahlreichen Ländern so gelebt wird, dass Frauen zumindest das Haupthaar bedecken und sie angibt, sich zu bemühen, eine etwas bessere Religionsgrundlage oder etwas Tieferes, Besseres über den Islam zu finden als die Glaubenssätze der Mullahs, vermittelte die Klägerin insgesamt nicht den Eindruck, dass es für sie schlechthin unerträglich wäre, als Frau in Iran zu leben und sich (wieder) den dortigen Vorschriften anzupassen.

2.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes.

Sie hat weder eine Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe im Sinne des § 4 Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG geltend gemacht noch ist diese im Übrigen ersichtlich.

Ihr drohen bei einer Rückkehr nach Iran auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung, § 4 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Insofern gelten grundsätzlich dieselben tatsächlichen Erwägungen wie hinsichtlich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Dies gilt auch mit Blick auf die behaupteten Nachstellungen wegen ihrer Nachforschungen zum Tod ihres Bruders. Die Einzelrichterin lässt offen, ob die Klägerin überzeugend einen Zusammenhang zwischen diesen mit ihrem Bruder (Kläger im Verfahren VG 14 K 2748/19.A) angestellten Nachforschungen und Verfolgungen durch Fremde im Auto, einem Defekt ihres Wagens und der Verletzung ihrer Hand dargelegt hat. Vor dem Hintergrund ihrer Angabe in der mündlichen Verhandlung, dass sie - Anm. der Einzelrichterin: aus ihrer sichereren Position in Deutschland heraus - noch nicht einmal versucht hat, über ihren Anwalt in Iran Erkundigungen darüber zu erhalten, welchen Stand das wohl immer noch laufende Ermittlungsverfahren betreffend den Tod ihres Bruders hat, geschweige denn über Menschenrechtsorganisationen in Deutschland etwas in Erfahrung zu bringen, ist es ihr zumindest zumutbar, weitere Nachforschungen auch in Iran zu unterlassen und sich keinem weiteren Risiko auszusetzen. Anhaltspunkte dafür, dass ihr ohne entsprechende Aktivitäten etwaige Gefahren drohen, liegen nicht vor. Denn über Nachfragen zu ihrem Verbleib bei ihrer in Iran verbliebenen Familie und insbesondere bei ihren (allerdings inzwischen verstorbenen) Eltern - wusste sie nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung nichts zu berichten.

Die Klägerin ist auch nicht subsidiär Schutzberechtigte auf der Grundlage von § 4 Absatz 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG, wonach von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen ist, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevöl-kerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. In Iran herrscht trotz der immer wieder aufflammenden Demonstrationen seit September 2022 kein entsprechender Konflikt.

3.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, 7 Satz 1 AufenthG.

Nach § 60 Abs. 5  AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. In Fällen, in denen wie hier, gleichzeitig über die Gewährung unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet bei Verneinung der Voraussetzungen des § 4 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 AufenthG in Bezug auf Artikel 3 EMRK aus, so dass in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 -, juris Rn. 36). Vorliegend sind keine Anknüpfungspunkte für eine divergierende Bewertung ersichtlich. Insbesondere hat die Klägerin auch keine von einem Akteur unabhängige Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK aufgrund von Krankheiten oder Verelendung geltend gemacht noch ist dies im Übrigen ersichtlich.

Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diesbezüglich gelten die vorstehenden Erwägungen.

4.

Die Abschiebungsandrohung mit einer Ausreisefrist von dreißig Tagen (§ 34 Abs. 1, § 38 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG) ist nicht zu beanstanden. Auch gegen die befristete Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots, § 11 Abs. 1 bis 3 AufenthG, ist ebenfalls nichts zu erinnern.

Die Kostenentscheidung in dem nach § 83b AsylG gerichtskostenfreien Verfahren beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.