Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Zusammentreffen mehrerer Rentenansprüche, Aufhebung der niedrigeren oder...

Zusammentreffen mehrerer Rentenansprüche, Aufhebung der niedrigeren oder rangniedrigeren Rente, Befristung


Metadaten

Gericht SG Potsdam 48. Kammer Entscheidungsdatum 02.10.2024
Aktenzeichen S 48 R 372/23 ECLI ECLI:DE:SGPOTSD:2024:1002.S48R372.23.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 89 Abs. 1 S. 3 SGB VI

Leitsatz

Durch das Tatbestandsmerkmal "für denselben Zeitraum" in § 89 Abs. 1 S. 3 SGB VI ist klargestellt, dass eine Aufhabung des Bescheides über die niedrigere oder rangniedrigere Rente nur für den Zeitraum zu erfolgen hat, in welchem beide Rentenansprüche zusammenfallen.

Tenor

Der Bescheid vom 6.9.2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.11.2023 wird insoweit aufgehoben, als mit ihm der Bescheid über die bisherige Rente über den 31.5.2026 hinaus aufgehoben wird.

Die außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt die Beklagte.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte berechtigt war, den Verwaltungsakt über den Zahlungsanspruch aus einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung über den 31.5.2026 hinaus unbefristet aufzuheben, obgleich sie die Rente wegen voller Erwerbsminderung lediglich bis 31.5.2026 befristet gewährte.

Dem am … geborenen Kläger wurde mit Bescheid vom 14.7.2023 durch die Beklagte eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für die Zeit vom 1.12.2022 bis längstens zum 31.7.2030, dem Erreichen der Regelaltersgrenze gewährt. Unter der Überschrift „Ende Ihrer Rente“ ist ausgeführt: „Die Regelaltersgrenze wird am 12.07.2030 erreicht. Dieser Rentenanspruch besteht längstens bis zum 31.07.2030. Das ist das Ende des Monats, in dem die Regelaltersgrenze erreicht wird. Im Anschluss besteht ein Anspruch auf Altersrente. Für die Zeit ab dem 01.06.2023 erhalten Sie einen gesonderten Bescheid.“ Wegen der weiteren Einzelheiten dieses Bescheides wird auf Bl. 247 bis 282 der Verwaltungsakte ergänzend Bezug genommen.

Mit Rentenbescheid vom 6.9.2023 wurde dem Kläger durch die Beklagte eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1.6.2023 bis 31.5.2026 gewährt. Auf Seite 2 dieses Rentenbescheides ist unter der Überschrift „Aufhebung von Bescheiden“ ausgeführt: „Der Bescheid über die bisherige Rente wird hinsichtlich des Zahlungsanspruchs ab dem 1.10.2023 aufgehoben. Die Aufhebung des Bescheids erfolgt nach § 89 Abs. 1 S. 3 SGB VI.“ Auf der gleichen Seite unter der Überschrift „Ende Ihrer Rente“ heißt es: „Die Rente endet mit dem 31.05.2026, ohne dass wir einen weiteren Bescheid erteilen. Rechtzeitig vor dem Wegfallzeitpunkt prüfen wir erneut, ob darüber hinaus ein Rentenanspruch besteht. Nach Abschluss der Prüfung erhalten Sie eine weitere Mitteilung.“ Auf Seite 3 des Bescheides unter der Überschrift „Mehrere Rentenansprüche“ ist ausgeführt: „Neben dieser Rente besteht Anspruch auf die bisherige Rente. Bestehen für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung, leisten wir nur die höchste Rente. Bei gleich hohen Renten gilt eine gesetzliche Rangfolge.“ Wegen der weiteren Einzelheiten dieses Bescheides wird auf Bl. 361 bis 396 der Verwaltungsakte ergänzend Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 4.10.2023 legte der Kläger Widerspruch „gegen die im Rentenbescheid vom 6.9.2023 enthaltene Aufhebungsentscheidung nach § 89 Abs. 1 S. 3 SGB VI“ ein. Zwar sehe § 89 Abs. 1 S. 3 SGB VI für die Umwandlung von einer bereits zuvor gezahlten niedrigeren oder rangniedrigeren Rente die Aufhebung des Zahlungsanspruchs aus der niedrigeren oder rangniedrigeren Rente ab dem Beginn der laufenden Zahlung der höheren oder ranghöheren Rente vor. Allerdings könne der Norm entnommen werden, dass Voraussetzung für die Aufhebung des Auszahlungsanspruchs die Bewilligung der höheren oder ranghöheren Rente für denselben Zeitraum sei. Daraus sei abzuleiten, dass eine Aufhebung des Zahlungsanspruchs nur insoweit gerechtfertigt sei, wie die beiden Renten ab Beginn der laufenden Zahlung der höheren oder ranghöheren Rente denselben Zeitraum betreffen würden also, sich hinsichtlich ihres Bewilligungszeitraumes überschneiden würden. Vorliegend bestehe eine maßgebliche Überschneidung nur für die Zeit ab der Aufnahme der laufenden Zahlung aus der Rente wegen voller Erwerbsminderung am 1.10.2023 bis zu dem im Rahmen der Befristung für diese Rente gesetzten Ende am 31.5.2026. Daran ändere auch nichts, dass die Rente wegen voller Erwerbsminderung auf einen entsprechenden Antrag hin weitergewährt werden könne. Denn dann wäre eine erneute Entscheidung nach § 89 Abs. 1 S. 3 SGB VI ab dem Beginn der Aufnahme laufender Zahlungen der dann weiterbewilligten Rente wegen voller Erwerbsminderung vorzunehmen. Die im Rentenbescheid vom 6.9.2023 getroffene Aufhebungsentscheidung hinsichtlich des Auszahlungsanspruchs aus der bisherigen Rente, also der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, sei im Wege der Abhilfe daher zu begrenzen auf die Zeit vom 1.10. 2023 bis zum 31.5.2026.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8.11.2023 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass der Wortlaut des Gesetzes nicht darauf ausgerichtet sei, dass bei jeder Weitergewährung der höheren oder ranghöheren Rente über den jeweiligen Befristungszeitpunkt hinaus der Bescheid über die niedrigere oder rangniedrigere Rente hinsichtlich des Zahlungsanspruchs erneut aufzuheben sei. Die Aufhebung des Bescheides über die niedrigere oder rangniedrigere Rente hinsichtlich des Zahlungsanspruchs sei nicht auf den Zeitpunkt der Befristung der befristet bewilligten höheren oder ranghöheren Rente zu begrenzen.

Dagegen hat der Kläger am 1.12.2023 Klage vor dem Sozialgericht Potsdam erhoben. Er trägt vor, der Gesetzgeber habe sich dafür entschieden zu regeln, dass die Aufhebungsentscheidung nur insoweit gerechtfertigt sei, wie die gewährten Renten „denselben“ Zeitraum betreffen. Sähe man dies anders, könne man nicht erklären, welche Funktion das Wort „denselben“ aus der maßgeblichen Vorschrift besitze. Im Übrigen habe die Beklagte außergerichtlich nicht erklärt, weshalb § 89 Abs. 1 S. 3 SGB VI eine Ermächtigungsgrundlage dafür enthalten solle, zulasten der Bürger und Bürgerinnen den Auszahlungsanspruch aus der niedrigeren oder rangniedrigeren Rente über den Zeitraum der höheren oder ranghöheren Rente hinaus aufzuheben. Der Kläger fragt, welchen Sinn oder Zweck dies haben solle. Das Gesetz enthalte auch keinerlei Regelungen dazu, wie das Verfahren aussähe, wenn trotz nur befristet gewährter höherer oder ranghöheren Rente der Auszahlungsanspruch der länger laufenden niedrigeren oder rangniedrigeren über die Befristung der nur höheren oder ranghöheren Rente hinaus aufgehoben wird und die Weiterbewilligung nach Fristablauf nicht erfolge oder sich verzögere. Auf welche Weise, so fragt der Kläger, sollten Betroffene dann ihren Auszahlungsanspruch aus der niedrigeren oder rangniedrigeren Rente durchsetzen. § 48 SGB X könne in diesem Fall nicht eingreifen, da es keine Veränderung gebe, denn die Befristung der höheren oder ranghöheren Rente habe in einer solchen Konstellation von vornherein festgestanden, insbesondere im Zeitpunkt der Aufhebungsentscheidung hinsichtlich des Auszahlungsanspruchs.

Der Kläger beantragt,

die in dem Rentenbescheid der Beklagten vom 6.9.2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.11.2023 enthaltene Aufhebungsentscheidung nach § 89 Abs. 1 S. 3 SGB VI insoweit aufzuheben, wie diese die Zeit nach dem 31.5.2026 betrifft.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf ihre Ausführungen in den angegriffenen Bescheiden. Zudem halte sie das Vorliegen einer Beschwer bzw. eines Rechtsschutzbedürfnisses des Klägers für fraglich.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 1.3.2024 wurde darauf hingewiesen, dass nach vorläufiger Prüfung der Sach- und Rechtslage die vom Kläger vertretene Ansicht zutreffen dürfte. Angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 89 Abs. 1 S. 3 SGB VI dürfe eine Aufhebung des Bescheides über die bisherige Rente lediglich für denselben Zeitraum, für den die höhere oder ranghöhere Rente bewilligt wurde, zulässig sein. Einen Bescheid über eine niedrigere oder rangniedriger Rente auch für einen Zeitraum aufzuheben, für den keine höhere oder ranghöhere Rente bewilligt worden ist, dürfe auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift widersprechen. Denn mit der Norm solle lediglich die Rentenleistung für den Fall geregelt werden, dass mehrere Rentenansprüche zusammentreffen. In diesem Fall gelte der Grundsatz, dass nur eine Rente, und zwar die höchste, zu erbringen sei. Ab 1.6.2026 treffe die niedrigere Rente des Klägers jedoch nicht mehr mit der lediglich befristet bis zum 31.5.2026 bewilligten Rente wegen voller Erwerbsminderung zusammen. Das Gericht hat angeregt, dass die Beklagte den Bescheid vom 6.9.2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.11.2023 insoweit aufhebe, als mit ihm der Bescheid über die bisherige Rente über den 31.5.2026 hinaus aufgehoben worden sei.

Die Beklagte hat den Vorgang daraufhin zur Prüfung an ihre Grundsatzabteilung gegeben, die unter dem 30.4.2024 mitteilte, dass an der dortigen Rechtsauffassung festgehalten werde. Gemäß der Gemeinsamen Rechtlichen Arbeitsanweisung zu § 89 SGB VI sei die Aufhebung des Bescheides über die niedrigere oder rangniedrigere Rente hinsichtlich des Zahlungsanspruchs nicht auf den Zeitpunkt der Befristung zu begrenzen. Die Aufhebungsentscheidung nach § 89 Abs. 1 S. 3 SGB VI umfasse lediglich den Zahlungsanspruch der niedrigeren Rente. Das Stammrecht auf die niedrigere Rente bleibe während des zeitgleichen Anspruchs auf die höhere Rente bestehen. Die Aufhebung des Bescheids über die niedrigere Rente sei hinsichtlich des Zahlungsanspruchs hierbei vom Beginn der laufenden Zahlung der höheren Rente vorzunehmen. Die Aufhebung des Bescheids über die niedrigere Rente sei ohne Begrenzung auf das Befristungsende der höheren Rente durchzuführen. Der Wortlaut des Gesetzes sei nicht darauf ausgerichtet, dass bei jeder Weitergewährung der höheren Rente über den jeweiligen Befristungszeitpunkt hinaus der Bescheid über die niedrigere Rente hinsichtlich des Zahlungsanspruchs erneut aufzuheben sei. Er sei vielmehr darauf gerichtet, die Tatbestandsvoraussetzungen für das Greifen der spezialgesetzlichen Korrekturnormen des § 89 Abs. 1 S. 3-7 SGB VI zu präzisieren. Diese spezialgesetzlichen Korrekturnormen seien im Zuge des RV-Leistungsverbesserungs- und –stabilisierungsgesetzes vom 28.11.2018 für das rückwirkende (und zeitlich parallele) Zusammentreffen von Renten geschaffen worden. Die Intention des Gesetzgebers sei es gewesen – im Gegensatz bei einer Anwendung der formellen Korrekturvorschriften nach dem SGB X – laufende Doppelzahlungen von Versichertenrenten zu vermeiden, auf die kein Vertrauen bestehen könne. Denn dies würde im Ergebnis der Intention des materiellen Rechts des § 89 SGB VI widersprechen, wonach nur die höchste oder ranghöchste Rente aus eigener Versicherung zu leisten sei. Die Regelung einer zwingend vorzunehmenden Befristung der Aufhebungsentscheidung sei durch die Formulierung nicht intendiert und werde auch nicht durch den gesetzlichen Wortlaut ausdrücklich erfasst. Wenn die bisherige Rente, die nach § 89 SGB VI als höchste Rente gezahlt werde, mit Ablauf der Befristung wegfallen würde, wäre die bisher nicht geleistete Rente vom Wegfallzeitpunkt an zu leisten. Grund hierfür sei, dass die Regelung des § 89 SGB VI nicht mehr anzuwenden wäre, da keine verschiedenen Stammrechte für denselben Zeitraum nebeneinander mehr vorlägen. Der zuvor ruhende Rentenanspruch auf die geringere Rente würde somit durch das Wegfallen der Voraussetzungen des § 89 SGB VI wiederaufleben und der Rentenversicherungsträger wäre gemäß § 118 SGB VI aufgrund des Vorliegens der entsprechenden Anspruchsvoraussetzungen (unter entsprechender Berücksichtigung der Hinzuverdienstgrenzen) zur Zahlung der laufenden Geldleistung (monatliche Rentenzahlung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung) verpflichtet. Der Rentenversicherungsträger wäre im Ergebnis zum Erlass eines entsprechenden formellen Bescheids und zur Aufnahme der laufenden monatlichen Zahlung (von Amts wegen) gesetzlich verpflichtet. Für den Versicherten ergebe sich somit kein Nachteil. Einer Befristung der Aufhebungsentscheidung bedürfe es folglich nicht. Da zum Zeitpunkt der Bewilligung der höheren Rente schließlich ungewiss sei, ob mit ihrem Befristungsende der Zahlungsanspruch auf die niedrigere Rente tatsächlich wiederaufleben werde, erscheine eine Befristung der Aufhebung des Zahlungsanspruchs auch nicht praktikabel und nicht zweckgerecht.

Der Kläger hat erwidert, die Perspektive der Ausführungen der Grundsatzabteilung zu einer vermeintlich fehlenden gesetzlichen Regelung zur Befristung der Aufhebung sei nicht zutreffend. Denn die Aufhebungsregelung sei eine Ermächtigungsgrundlage und von dieser dürfe nur insoweit Gebrauch gemacht werden, wie die Voraussetzungen erfüllt seien, mithin nur insoweit, wie beide Renten zeitgleich gewährt würden. Anderenfalls betreffe die Aufhebung Zeiten, für die das Merkmal desselben Zeitraums nicht erfüllt sei und für die daher die Ermächtigungsgrundlage die Aufhebung nicht rechtfertige. Der von der Grundsatzabteilung dargestellte Mechanismus eines Wiederauflebens des aufgehobenen Zahlungsanspruchs der geringeren Rente nach Wegfall der Voraussetzungen des § 89 SGB VI sei im Gesetz nicht enthalten. Es dürfe nicht übersehen werden, dass die Voraussetzungen des § 89 SGB VI nicht mit Ablauf der Befristung entfallen würden, sondern die Voraussetzungen des § 89 SGB VI für die Zeit nach der Befristung der höheren Rente von Beginn an nicht vorliegen.

Mit Schreiben vom 26.6.2024 (Kläger) und 4.7.2024 (Beklagte) haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren gemäß § 124 Abs. 2 SGG erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben, § 124 Abs. 2 SGG.

Die Klage ist zulässig.

Streitgegenständlich ist der Verwaltungsakt vom 6.9.2023 insoweit, als mit diesem der Bescheid vom 14.7.2023 hinsichtlich des Zahlungsanspruchs über den 31.5.2026 hinaus aufgehoben wurde. Auf diesen Streitgegenstand hat der Kläger bereits seinen Widerspruch und auch seine Klage wirksam beschränkt.

Mit der Regelung im angefochtenen Bescheid, dass die bisherige Rente hinsichtlich des Zahlungsanspruchs ab dem 1.10.2023 ohne Befristung aufgehoben wird, entzieht die Beklagte dem Kläger den ihm mit dem Rentenbescheid vom 14.7.2023 zuerkannten Rentenzahlanspruch der teilweisen Erwerbsminderungsrente. Da der Kläger damit Adressat eines ihn belastenden, anspruchsentziehenden Verwaltungsaktes ist, verfügt er über das für die Zulässigkeit der Klage erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.

Die Klage ist auch begründet.

Die Beklagte war nicht befugt, den Verwaltungsakt vom 14.7.2023 über die Zuerkennung eines Zahlungsanspruchs auf teilweise Erwerbsminderungsrente über den 31.5.2026 hinaus aufzuheben.

Die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist gegenüber der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung die höhere. Gem. § 89 Abs. 1 S. 1 SGB VI wird, wenn für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung bestehen, nur die höchste Rente geleistet. Ist eine Rente gezahlt worden und wird für denselben Zeitraum eine höhere oder ranghöhere Rente bewilligt, ist der Bescheid über die niedrigere oder rangniedrigere Rente vom Beginn der laufenden Zahlung der höheren oder ranghöheren Rente an aufzuheben, § 89 Abs. 1 S. 3 SGB VI.

Durch das Tatbestandsmerkmal „für denselben Zeitraum“ in § 89 Abs. 1 S. 3 SGB VI ist nach Überzeugung des Gerichts klargestellt, dass eine Aufhebung des Bescheides über die niedrigere oder rangniedrigere Rente nur für den Zeitraum zu erfolgen hat, in welchem beide Rentenansprüche zusammenfallen. Dass in Satz 3 weiter formuliert ist, dass der Bescheid „vom Beginn der laufenden Zahlung der höheren oder ranghöheren Rente an aufzuheben ist“, bezieht sich nach Überzeugung des Gerichts lediglich auf den Beginn des Aufhebungszeitraum und meint nicht, dass die niedrigere oder rangniedrigere Rente (bzw. der Zahlanspruch aus dieser) auch über den Zeitraum des Zusammentreffens mit einer höheren oder ranghöheren Rente hinaus aufzuheben ist. Zwar besteht die Möglichkeit, dass die Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31.5.2026 hinaus weiterbewilligt werden wird. Dass dies derzeit aber nicht feststeht zeigt gerade auf, warum der Rentenzahlungsanspruch aus der bewilligten teilweisen Erwerbsminderungsrente derzeit nicht über den 31.5.2026 hinaus aufzuheben ist. Dies wäre auch systemwidrig, weil die Voraussetzungen für die Gewährung der niedrigere bzw. rangniedrigere Rente für Zeiträume, für die kein Anspruch auf eine höhere bzw. ranghöhere Rente besteht, ja gerade vollständig vorliegen und auch nicht nach § 89 Abs. 1 SGB VI ruhen.

Die Grundsatzabteilung der Beklagten führt ebenso wie die Gemeinsamen Rechtlichen Anweisungen der Deutschen Rentenversicherung aus, der Wortlaut des Gesetzes sei nicht darauf ausgerichtet, dass bei jeder Weitergewährung der höheren Rente über den jeweiligen Befristungszeitpunkt hinaus der Bescheid über die niedrigere Rente hinsichtlich des Zahlungsanspruchs erneut aufzuheben sei; eine Befristung der Aufhebung des Zahlungsanspruchs sei auch nicht praktikabel und nicht zweckgerecht, da zum Zeitpunkt der Bewilligung der höheren Rente schließlich ungewiss sei, ob mit ihrem Befristungsende der Zahlungsanspruch auf die niedrigere Rente tatsächlich wiederaufleben werde. Dem ist entgegenzuhalten, dass diese Ungewissheit gerade der Grund dafür ist, dass der Gesetzgeber die Beklagte nicht zur Aufhebung der bisherigen Rente über das Befristungsende der höheren bzw. ranghöheren Rente hinaus berechtigt hat. Die Beklagte hat im Fall der weiteren Bewilligung der höheren bzw. ranghöheren Rente sicherzustellen, dass der Bescheid über die niedrigere Rente hinsichtlich des Zahlungsanspruchs erneut für den dann zutreffenden Zeitraum aufgehoben wird und dies erscheint auch nicht unpraktikabel oder unzweckmäßig. Denn anderenfalls wäre durch das Verwaltungsverfahren sicherzustellen, dass, sobald feststeht, dass die höhere bzw. ranghöhere Rente nicht über ihr Befristungsende hinaus bewilligt werden wird, ein erneuter Bescheid über die Zahlung der bisherigen Rente ergeht. Der Wortlaut des Gesetzes ist entgegen der Ansicht der Beklagten gerade nicht darauf ausgerichtet, einen bestandskräftig bewilligten Rentenzahlanspruch für einen Zeitraum aufzuheben, für den keine höhere bzw. ranghöhere Rente bewilligt worden ist, und den Rentenzahlanspruch nur dann erneut zu bewilligen, wenn feststeht, dass die höhere bzw. ranghöhere Rente nicht über ihr Befristungsende hinaus bewilligt werden wird. So sieht auch Wehrhahn (in beck-online.GROSSKOMMENTAR [Kasseler Kommentar], Hrsg: Rolfs (geschf.)/Körner/Krasney/Mutschler, Stand: 01.03.2019, § 89 Rn. 11) ein Ruhen des Anspruchs nach Satz 1 und 2 des § 89 SGB VI als Voraussetzung für die Aufhebung nach Satz 3 an. Der Anspruch ruht aber nach § 89 Abs. 1 S. 1 SGB VI nur insoweit, als Rentenansprüche für denselben Zeitraum bestehen.

Mit der Ergänzung des § 89 Abs. 1 SGB VI um die Sätze 3 bis 7 wollte der Gesetzgeber für Anwendungsfälle des rückwirkenden Zusammentreffens von Renten eine spezialgesetzliche Korrekturnorm schaffen, durch die sich für die Versicherten kein Nachteil ergeben sollte, vgl. BT-Drs. 425/18 Seite 28. Er reagierte damit insbesondere auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in den Urteilen vom 7. April 2016, zum Aktenzeichen B 5 R 26/15 R und vom 25. Mai 2018 zum Aktenzeichen B 13 R 33/15 R, vgl. BT-Drs. aaO. Dem Urteil B 5 R 26/15 R lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die gesetzliche Rentenversicherung hatte der dortigen Klägerin zunächst ein Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1.8.2010 bis längstens 31.5.2029 gewährt (Bescheid vom 8.4.2011). Mit zeitlich nachfolgendem Bescheid vom 4.11.2011 bewilligte sie der dortigen Klägerin anstelle der bisherigen Rente eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1.11.2010 bis zum 31.10.2013. Mit weiter nachfolgendem Bescheid vom 23.5.2012 hob sie den Bescheid vom 08.04.2011 über die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung hinsichtlich des Zahlungsanspruchs für die Zeit vom 01.11.2010 bis 31.10.2013, mithin zeitlich befristet für den Zeitraum des zeitlichen Zusammentreffens beider Renten nach § 48 SGB X auf. Der Bescheid vom 23.5.2012 hielt der rechtlichen Nachprüfung durch die Gerichte nicht stand, da die Voraussetzungen des § 48 SGB X nicht vorlagen und auch nicht die Voraussetzungen für eine Umdeutung in eine Rücknahme nach § 45 SGB X. Ebenso entschied das Bundessozialgericht im Urteil B 13 R 33/15 R, dem ein ähnlicher Sachverhalt zugrunde lag mit dem Unterschied, dass dort auch die teilweise Erwerbsminderungsrente lediglich befristet bewilligt worden war und sich der Bewilligungszeitraum beider Renten komplett deckte.

Nach Überzeugung des Gerichts spricht nichts dafür, dass der Gesetzgeber mit seiner Reaktion auf diese Rechtsprechung, die – wie beschrieben – auf Sachverhalten beruhte, in denen die gesetzliche Rentenversicherung lediglich für Überschneidungszeiträume zweier Renten die niedrigere aufgehoben hatte, durch Schaffung der Sätze 3 bis 7 des § 89 SGB VI eine gesetzliche Grundlage dafür schaffen wollte, dem Versicherten einen bereits bestandskräftig bewilligten Rentenzahlungsanspruch auch für einen Zeitraum zu entziehen, für welchen keine höhere oder ranghöhere Rente bewilligt worden ist. Dass der Gesetzgeber dies nicht beabsichtigte, ergibt sich bereits aus der Gesetzesbegründung, in welcher ausgeführt wird, dass sich aus der Ergänzung der Norm des § 89 Abs. 1 SGB VI für die Versicherten kein Nachteil ergibt. Eine Auslegung des Satz 3 dahingehend, dass eine Aufhebung des bestandskräftig bewilligten niedrigeren oder rangniedrigeren Rentenzahlungsanspruch auch für einen Zeitraum ermöglich werde, für welchen keine höhere oder ranghöhere Rente bewilligt worden ist, wäre jedoch nachteilig für die Versicherten. Denn es bedürfte, wie die Grundsatzabteilung der Beklagten in ihrer Stellungnahme auch ausführt, in diesem Fall nach Auslaufen der befristeten höheren oder ranghöheren Rente des Erlass eines erneuten Bescheides zur (Wieder-)Aufnahme der monatlichen Zahlungen der niedrigeren oder rangniedrigeren Rente für diesen Zeitraum, wohingegen ohne eine zuvor erfolgte Aufhebung des entsprechenden Bescheides dieser bisherige Bescheid allein ausreichende Rechtsgrundlage für die (Wieder-)Aufnahme der monatlichen Zahlungen wäre. Weiter führt der Gesetzgeber in seiner Gesetzesbegründung aus, dass durch die Einführung der Sätze 3 und 4 nunmehr laufende Doppelzahlungen von Versichertenrenten vermieden werden. Dies zeigt auf, dass es bei der Schaffung der Ergänzung lediglich um die Vermeidung von laufenden Doppelzahlungen ging, die mithin nur während zeitlich zusammentreffender Rentenzahlungen drohen. Schließlich wird in der Gesetzesbegründung darauf verwiesen, dass ohne die Änderung die Gefahr bestehe, dass in Anwendungsfällen von § 45 SGB X eine Bescheidrücknahme der niedrigeren oder rangniedrigeren Rente regelmäßig nicht in Betracht komme, ein solches Ergebnis jedoch der Intention des materiellen Rechts in § 89 SGB VI widerspräche, wonach nur die höchste oder ranghöchste Rente aus eigener Versicherung zu leisten sei. Dies belegt zusätzlich, dass die neu eingeführten Sätze 3 bis 7 des § 89 Abs. 1 SGB VI der Durchsetzung der Intention des materiellen Rechts, wie es in § 89 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB VI seinen Ausdruck gefunden hat, dienen sollen. Ausgangslage ist die Regelung in Satz 1, nach welcher dann nur die höchste Rente geleistet wird, wenn für denselben Zeitraum Anspruch auf mehrere Renten aus eigener Versicherung besteht. Daher ergibt eine Auslegung der Norm nach Sinn und Zweck ebenfalls, dass eine Rechtsgrundlage für die Aufhebung eines Renten(zahl)anspruches lediglich für das zeitliche Zusammentreffen mehrerer Renten geschaffen werden sollte. Aus dem Wortlaut der Norm ergibt sich dies – wie bereits ausgeführt – ausreichend deutlich durch die Aufnahme des Tatbestandsmerkmals „für denselben Zeitraum“ auch in Satz 3.

Nach alledem lässt sich Satz 3 nach Überzeugung des Gerichts nur dahingehend verstehen, dass die niedrigere bzw. rangniedrigere Rente lediglich für den Zeitraum des zeitlichen Zusammentreffens mit der höheren bzw. ranghöheren Rente aufzuheben ist, nicht jedoch darüber hinaus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.