Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 12.11.2024 | |
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Aktenzeichen | OVG 3 S 42/24 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2024:1112.OVG3S42.24.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 60a Abs 5b Satz 1 AufenthG , Art 6 Abs 1 GG |
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 1. Juli 2024 wird zurückgewiesen.
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsteller.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird unter Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, das nach § 146 Abs. 4 VwGO den Umfang der Überprüfung durch das Oberverwaltungsgericht bestimmt, rechtfertigt – mit Ausnahme der von Amts wegen korrigierten Streitwertfestsetzung – keine Aufhebung oder Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses.
I. Soweit das Verwaltungsgericht selbstständig tragend einen Anordnungsgrund in Bezug auf die bei der gemeinnützigen D. GmbH begehrte Beschäftigungserlaubnis verneint hat, weil der Antragsteller mit dieser geringfügigen Beschäftigung weder seinen eigenen Lebensunterhalt noch den seines Sohnes sichern könne, tritt die Beschwerde dieser Würdigung jedenfalls nicht durchgreifend entgegen. Sie macht lediglich geltend, die Einnahmen aus beiden Tätigkeiten (geringfügige Beschäftigung und Ausbildungsverhältnis) reichten für eine mögliche Unterhaltszahlung an den Sohn aus und geht nicht darauf ein, dass das Verwaltungsgericht auch die Lebensunterhaltssicherung des Antragstellers in den Blick genommen hat.
II. Unabhängig davon hat der nach § 60a Abs. 2 AufenthG geduldete, 1997 in Syrien geborene Antragsteller mit der Beschwerde nicht glaubhaft gemacht, dass er im Wege vorläufigen Rechtsschutzes unter Vorwegnahme der Hauptsache von dem Antragsgegner eine Erlaubnis zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit gemäß § 60a Abs. 5b Satz 1 AufenthG beanspruchen kann. Nach dieser mit dem Gesetz zur Verbesserung der Rückführung vom 21. Februar 2024 (BGBl 2024 I Nr. 54) eingefügten Vorschrift soll einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, die Ausübung einer Erwerbstätigkeit erlaubt werden, d.h. das der Ausländerbehörde bis zum Inkrafttreten der Neuregelung eingeräumte (pflichtgemäße) Ermessen ist nunmehr gebunden und nur noch dann eröffnet, wenn ein atypischer Fall oder ein wichtiger Grund vorliegt (vgl. allgemein dazu Geis, in: Schoch/Schneider, VwVfG, § 40 Rn. 26; BT-Drs. 20/10090, S. 17; zur Atypik bei Sollvorschriften s. auch BVerwG, Urteil vom 22. November 2005 – 1 C 18/04 – juris Rn. 14 f.). Ob derartige atypische Umstände vorliegen, dürfen die Verwaltungsgerichte uneingeschränkt überprüfen (BVerwG, Urteil vom 10. September 1992 – 5 C 39/88 – juris Rn. 19). Hier zeigt die Beschwerde nicht mit Erfolg auf, dass der angegriffene Beschluss im Ergebnis unzutreffend ist.
Es kann offenbleiben, ob die bestandskräftige Ausweisung des Antragstellers, den das Kammergericht mit Urteil vom 19. Mai 2017 zu einer Jugendstrafe von 5 Jahren wegen der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland in 150 Fällen verurteilt hat, sowie die im Hinblick darauf von dem Verwaltungsgericht gezogene Schlussfolgerung, einer gebundenen Entscheidung im Sinne von § 60a Abs. 5b Satz 1 AufenthG stehe die mit der Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis einhergehende weitere Aufenthaltsverfestigung entgegen, für sich genommen ausreichen, um eine Abweichung vom Regelfall des § 60a Abs. 5b Satz 1 AufenthG zu rechtfertigen. Das Argument der Beschwerde, anderenfalls hätte der Gesetzgeber die Ausweisung als gesetzliche Ausnahme in § 60a Abs. 5b Satz 2 AufenthG oder als Ausschlussgrund in § 60a Abs. 6 AufenthG aufgenommen, überzeugt jedenfalls in Bezug auf § 60a Abs. 6 AufenthG nicht, weil es sich dort um reine Versagungstatbestände handelt, während es hier um die Frage geht, ob das Ermessen des Antragsgegners ausnahmsweise nicht gebunden ist und er nach pflichtgemäßem Ermessen über die Beschäftigungserlaubnis entscheiden darf. Ob § 60a Abs. 5b Satz 2 AufenthG lediglich einen atypischen Fall normiert und deshalb keinen zwingenden Versagungsgrund darstellt (so Kluth/Breidenbach, in: BeckOK Ausländerrecht, § 60a AufenthG Rn. 49.2) ist in der Rechtsprechung bislang nicht geklärt und kann auch hier offen bleiben.
Der Beschwerde ist nicht zu folgen, soweit sie meint, neben der Ausweisung müssten zusätzliche Umstände wie die andauernde Gefährlichkeit des betroffenen Ausländers hinzukommen, die hier jedoch nicht vorlägen, weil der Antragsteller seit über drei Jahren aus der Strafhaft entlassen sei und eine Familie gegründet habe. Gleiches gilt hinsichtlich der weiteren Argumentation, dass es auf eine Aufenthaltsverfestigung des Antragstellers durch Erwerbstätigkeit selbst dann nicht ankomme, wenn man eine abstrakte Gefahr bejahe. Ihm stehe sowohl wegen des festgestellten Abschiebungsverbotes als auch wegen seines deutschen Kindes eine Duldung zu und er werde auf absehbare Zeit im Bundesgebiet bleiben. Durch die Beschäftigung erwerbe er wegen der Ausweisung keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels. Die aus der Sicht des Verwaltungsgerichts zu vermeidende Aufenthaltsverfestigung erfolge nicht vorrangig durch eine Beschäftigung, sondern u.a. aus familiären Gründen und durch den erworbenen Realschulabschluss.
Entgegen der Beschwerde ergibt sich hier eine Atypik, die ein Abweichen vom Regelfall des § 60a Abs. 5b Satz 1 AufenthG rechtfertigt, aus den besonderen Umstände des Einzelfalles, aufgrund derer der Antragsteller nicht (mehr) dem gesetzgeberischen Leitbild eines geduldeten Ausländers im Sinne von § 60a Abs. 5b Satz 1 AufenthG entspricht. Der Antragsteller, dessen zuerkannte Flüchtlingseigenschaft das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 28. August 2017 widerrufen und lediglich festgestellt hat, dass das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG vorliege, ist nicht nur bestandskräftig ausgewiesen, weil er sich als Mitglied an der ausländischen terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ beteiligt und dadurch in 150 Fällen nach §§ 129a Abs. 1 Nr. 1, 129b Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 StGB strafbar gemacht hat, sondern er stellt anders als die Beschwerde meint - in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht weiterhin eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. Dies folgt trotz der von der Beschwerde aufgezeigten positiven Entwicklungen vor allem daraus, dass er noch immer unter Führungsaufsicht gemäß § 68 Abs. 1 StGB in Verbindung mit § 129a Abs. 9 StGB steht, deren Dauer das Amtsgericht Bad Freienwalde (Oder) mit Beschluss vom 26. Februar 2021 auf fünf Jahre festgesetzt und mit zahlreichen Weisungen verbunden hatte. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass es inzwischen zur Aufhebung einzelner Weisungen gekommen ist, obwohl der Antragsteller noch am 24. April 2023 wegen eines Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht zu einer Geldstrafe verurteilt worden war. Die Führungsaufsicht dient dazu, der Gefahr zu begegnen, dass der Verurteilte weitere Straftaten begeht, und soll die Allgemeinheit hiervor schützen. Hinzu kommt, dass der Antragsteller, den dem Strafurteil des Kammergerichts zufolge eine radikal-jihadistische Einstellung auszeichnete und der maßgeblich durch seine langjährige Mitgliedschaft beim IS geprägt worden war, bislang nicht glaubhaft gemacht hat, sich verlässlich und auf lange Sicht deradikalisiert zu haben. Die im Klageverfahren vorgelegte Bescheinigung der Beratungsstelle Leben des Vereins L_____ vom 25. Juli 2024 zeigt, dass sich der Antragsteller dort erst am 26. Juni 2024 vorgestellt hat und ein Deradikalisierungsprozess noch nicht erfolgreich abgeschlossen ist.
Da das dem Antragsgegner aufgrund der hier vorliegenden Atypik eingeräumte Ermessen ferner nicht auf Null reduziert ist, muss er dem Antragsteller – anders als dieser mit der Beschwerde weiterhin geltend macht – keine Erlaubnis zur Aufnahme einer Ausbildung als Kaufmann für Groß- und Außenhandelsmanagement bei der I. GmbH und keine Erlaubnis zur Beschäftigung bei der gemeinnützigen D. GmbH erteilen und es kommt im Hinblick auf die allein begehrte Erteilung der Beschäftigungserlaubnis auch nicht darauf an, ob der versagende Bescheid ermessensfehlerhaft ist. Nichts anderes ergibt sich hier aus Art. 6 Abs. 1 GG und der von dem Antragsteller nach den Angaben der Beschwerde geführten familiären Gemeinschaft mit seinem deutschen Kind, zu der im Übrigen im gerichtlichen vorläufigen Rechtsschutzverfahren nichts hinreichend Substantiiertes glaubhaft gemacht ist. Unabhängig davon spricht derzeit (noch) einiges dafür, dass der Antragsteller trotz einer – unterstellten – familiären Gemeinschaft mit seinem Kind im Hinblick auf die von ihm begangenen sehr schwer wiegenden Straftaten und die weiterhin akute Wiederholungsgefahr ohne das von dem Bundesamt festgestellte Abschiebungsverbot abgeschoben werden könnte.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist wegen der fehlenden Erfolgsaussichten der Beschwerde ebenfalls abzulehnen, § 166 Abs. 1 VwGO, §§ 114 ff. ZPO.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG. Da der Senat im auf vorläufige Verpflichtung zur Erteilung einer Duldung oder eine Ausbildungsduldung gerichteten vorläufigen Rechtschutzverfahren trotz der Vorwegnahme der Hauptsache regelmäßig nur den halben Auffangwert festsetzt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. Mai 2021 – OVG 3 S 32/21 – juris Rn. 11), gilt dies erst recht, wenn ein geduldeter Antragsteller (lediglich) eine Beschäftigungserlaubnis nach § 60 Abs. 5b AufenthG begehrt. Dementsprechend beläuft sich der Streitwert hier für den Haupt- und den Hilfsantrag auf jeweils 2.500 Euro, d.h. insgesamt auf 5.000 Euro. Der erstinstanzliche Beschluss ist insoweit gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG von Amts wegen zu ändern.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).