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Entscheidung 12 U 39/24


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 12. Zivilsenat Entscheidungsdatum 10.10.2024
Aktenzeichen 12 U 39/24 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2024:1010.12U39.24.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten wird das am 20.03.2024 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Frankfurt (Oder), Az. 14 O 66/23, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent- punkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.04.2023 zu zahlen.

Im Übrigen werden die Klage abgewiesen und die weitergehende Berufung und Anschlussberufung zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz tragen der Kläger zu 72 % und die Beklagte zu 28 %. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger 77 % und die Beklagte 23 % zu tragen.

3. Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 11.000 € festgesetzt (10.000 € Berufung und 1.000 € Anschlussberufung).

Gründe

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung von Schmerzensgeld und Ersatz vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten mit der Behauptung einer fehlerhaften ärztlichen Behandlung am 05.05.2021 im Hause der Beklagten in Anspruch. Von der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO abgesehen.

II.

Die Berufung und die Anschlussberufung sind form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie sind jedoch lediglich in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

1. Die Klage ist teilweise begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 5.000 € aus dem Behandlungsvertrag der Parteien sowie aus deliktischen Ansprüchen, §§ 280 Abs. 1, 278, 630a ff, 823 BGB. Nachdem sich die Rechtsmittel allein gegen die Bemessung des Schmerzensgeldes durch das Landgericht sowie die Nebenforderungen richten, bedarf es zur Haftung dem Grunde nach keiner weiteren Ausführungen (vgl. dazu BGH Urteil vom 5. Dezember 2006 – VI ZR 228/05 –, Rn. 11 - 12, juris).

1.1. Ist wegen einer Verletzung des Körpers und der Gesundheit Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden (§ 253 Abs. 2 BGB). Das Schmerzensgeld verfolgt dabei vordringlich das Ziel, dem Geschädigten einen Ausgleich für die erlittenen immateriellen Schäden zu gewähren und ihm zugleich Genugtuung für das ihm zugefügte Leid zu geben (BGH, NJW 1993, 1531; NZV 2017, 179, beck-online). Für die Bemessung der Schmerzensgeldhöhe sind Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen die wesentlichen Kriterien (vgl. BGHZ 18, 149, 154). Als objektivierbare Umstände sind u.A. maßgebend die Art und Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten, die Dauer der Arbeitsunfähigkeit und der Grad des Verschuldens des Schädigers (BGH, NJW 1998, 2741, beck-online). Darüber hinaus sind die speziellen Auswirkungen des Schadensereignisses auf die konkrete Lebenssituation des Betroffenen zu berücksichtigen. Verlangt der Kläger für erlittene Körperverletzungen - wie im Streitfall - uneingeschränkt ein Schmerzensgeld, so werden auch alle diejenigen Schadensfolgen erfasst, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar waren oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden konnte (BGH, Urteil vom 10. Juli 2018 – VI ZR 259/15 –, Rn. 6, juris). Bei der Schmerzensgeldbemessung verbietet sich eine schematische, zergliedernde Herangehensweise. Einzelne Verletzungen bzw. Verletzungsfolgen dürfen nicht gesondert bewertet und die so ermittelten Beträge addiert werden. Vielmehr ist die Schmerzensgeldhöhe in einer wertenden Gesamtschau aller Bemessungskriterien des konkreten sich an den von der Rechtsprechung sonst bei der Bemessung des Schmerzensgeldes angewandten Maßstäben zu orientieren (BGH, Urteil vom 18. November 1969 – VI ZR 81/68 –, Rn. 33, juris).

1.2. Zutreffend und auf sachverständig begründeter Basis geht das Landgericht davon aus, dass in dem Belassen der Hülse beim Ziehen des Katheters im Nachgang der Operation ein schuldhafter Behandlungsfehler liegt. Dieser ist nicht grob. Zwar hat der Sachverständige in seinem Gutachten auf Seite 8 ausgeführt, es handele sich um einen groben Behandlungsfehler. Ein grober Behandlungsfehler liegt aber nur vor, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Gesicherte medizinische Erkenntnisse, deren Missachtung einen Behandlungsfehler als grob erscheinen lassen, sind nicht nur die Erkenntnisse, die Eingang in Leitlinien, Richtlinien oder anderweitige Handlungsanweisungen gefunden haben. Hierzu zählen vielmehr auch die elementaren medizinischen Grundregeln, die im jeweiligen Fachgebiet vorausgesetzt werden. Auch ein Verstoß des Krankenhausträgers gegen die ihm obliegenden Organisationspflichten kann sich im Einzelfall als grober Fehler darstellen. Bei der Bewertung und Einstufung eines Fehlers sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, so dass auch eine Häufung mehrerer an sich nicht grober Fehler die Behandlung insgesamt als grob fehlerhaft erscheinen lassen kann (BGH, Beschluss vom 7. November 2017 – VI ZR 173/17 –, Rn. 13, juris). Auch wenn sich das Gericht bei der Beurteilung sachverständiger Hilfe bedienen muss, handelt es sich bei der Bewertung letztlich um eine Rechtsfrage.

Danach ist das Belassen der Hülse hier nicht grob fehlerhaft. Wie der Sachverständige in seiner Anhörung ausführt, war die Hülse zutreffend operationsbedingt zurückgelassen worden. Sie wird erst mit dem Ziehen des Katheters entfernt, muss jedoch zu diesem Zeitpunkt nicht zwingend gesehen werden können, da sie quasi unter der Haut liege. Das Vergessen der Entfernung beruht mithin auf einem schlichten Übersehen bzw. Organisationsfehler während der Nachbehandlung, der mit dem Belassen von Instrumenten während der Operation nicht vergleichbar ist und damit lediglich auf einem einfachen Behandlungsfehler. Auch hiergegen wendet sich die Berufungsbegründung letztlich - zu Recht - nicht.

Der weitere Vorwurf eines Behandlungsfehlers in der fehlerhaften Befunderhebung am 17.05.2021 greift nicht. Denn bei dem Kläger wurde eine Röntgenuntersuchung durchgeführt und der Verbleib der Hülse festgestellt. Hierauf habe die Beklagte, so der Sachverständige, angemessen reagiert.

Für die Schmerzensgeldbemessung relevant sind mithin die bei regelrechtem Verlauf nicht notwendige, unter Vollnarkose durchgeführte, wenn auch lediglich 10 bis 12 Minuten andauernde Operation am 18.05.2021, eine Röntgenuntersuchung, ein zusätzlicher Krankenhausaufenthalt vom 17. bis 22.05.2021, das bis dahin aufgetretene Fieber, Schüttelfrost und Schmerzen seit dem 16.05.2021, einhergehend mit einem erhöhten CRP-Wert und einer zehntägigen Antibiose gegen einen drei MRGN-Keim; der Sachverständige führt die festgestellte Harnwegsinfektion ebenfalls mit großer Wahrscheinlichkeit auf das belassene Objekt zurück. Dies folgert er aus dem zeitlichen Ablauf und der Tatsache, dass es sich bei der Art von Operation um eine durchaus typische Folge handeln kann. Dies genügt für eine Zurechnung nach § 287 ZPO.

Nicht unterlegt ist die Dauer der postoperativen Arbeitsunfähigkeit sowie die nur pauschal dargelegten physischen und psychischen Beeinträchtigungen. Dabei ist davon auszugehen, dass die Nahtentfernung ohnehin erst für den 17.05.2021 vorgesehen war. Die Arbeitsunfähigkeit von 12 Tagen ist daher nicht auf das Belassen der Hülse zurückzuführen. Bis zur Entlassung am 22.05.2021 sind daher lediglich 5 Tage zusätzlicher Arbeitsunfähigkeit belegt. Krankenscheine werden trotz ausdrücklichem Senatshinweis nicht vorgelegt.

1.3. Die Höhe des Schmerzensgeldes ist nach den dargestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen insgesamt mit 5.000 € zu bemessen. Zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass das Schmerzensgeld für eine im Körper des Patienten verbliebene Nadel mit psychischen Folgeproblemen bei einem besonders risikobehaftetem Folgeeingriff (OLG Stuttgart, Urteil vom 20. Dezember 2018 – 1 U 145/17 –, Rn. 44, juris) nicht mit den vorliegenden gesundheitlichen Folgen vergleichbar ist. Aber auch die vom Landgericht zitierte Entscheidung des OLG München (Urteil vom 10. Januar 2002 – 1 U 2373/01 –, Rn. 27, juris) wird dem Sachverhalt nicht gerecht. Denn dort wurde lediglich eine leicht fahrlässige Aufklärungspflichtverletzung über den schuldlos im Körper verbliebenen Teil eines Bohrers und nicht ein Behandlungsfehler zugrunde gelegt. Maßgebend für die Bemessung des Schmerzensgeldes von 2.000 € war dort mithin nicht die Folge-OP, sondern der lediglich verlängerte Zeitraum von nicht näher definierten Schmerzen.

Ein durchaus vergleichbarer Fall ist vielmehr mit der Entscheidung des OLG Düsseldorf (Urteil vom 9. Juli 2009 – I-8 U 36/08 –, juris) getroffen worden. Dort wurde eine Einstichkanüle nach einer Nierensteinentfernung vergessen und es machte sich eine Folge-OP mit anschließender Wundinfektion und einem verlängerten Heilungsprozess erforderlich. Allerdings hatte lediglich die Klägerin Rechtsmittel eingelegt, so dass der dort zu entscheidende Senat gehindert war, eine etwaig niedrigere Schmerzensgeldbemessung als die vom Landgericht zugesprochenen „ausreichend bemessenen“ 6.000 € vorzunehmen.

In der Gesamtschau ist hier nach allem ein Betrag von insgesamt 5.000 € angemessen aber auch ausreichend, um dem erlittenen Leid aber auch der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes gerecht zu werden.

2. Unbegründet sind die geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Die Beklagte hat bereits mit der Klageerwiderung die Aktivlegitimation des Klägers wegen des Übergangs von Ansprüchen auf die Rechtsschutzversicherung bestritten. Hierzu verhält sich der Kläger nicht. Es handelt sich auch nicht um einen Vortrag ins Blaue hinein, denn, dies ergibt sich aus den Kostenrechnungen, der Kläger verfügt über eine Rechtsschutzversicherung, die auch die entsprechenden Kostenvorschüsse im Gerichtsverfahren gezahlt hat. Es obliegt daher dem Kläger, die Berechtigung seiner Forderung mit Blick auf § 86 VVG darzulegen. Das erfolgt hier trotz Senatshinweis nicht.

3. Zinsen sind als Rechtshängigkeitszinsen - wie beantragt - zuzusprechen.

4. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO, die Streitwertfestsetzung aus §§ 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 GKG. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.