Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Entscheidung

Entscheidung 13 KLs 25/22


Metadaten

Gericht LG Neuruppin 3. Große Strafkammer Entscheidungsdatum 15.07.2024
Aktenzeichen 13 KLs 25/22 ECLI ECLI:DE:LGNEURU:2024:0715.13KLS25.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Der Antrag des Verurteilten vom 8. April 2024 auf Neufestsetzung der mit Urteil der Kammer vom 20. Januar 2023 verhängten Einzelstrafen und Neubildung der Gesamtstrafe wird als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

Die Kammer verhängte gegen den Verurteilten am 20. Januar 2023 wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten. Dazu ordnete sie die Einziehung des Wertes des Erlangten an und traf eine Anrechnungsentscheidung hinsichtlich im Ausland erlittener Auslieferungshaft.

Bei der Bemessung der Einzelstrafen hat die Kammer auf den Strafrahmen des § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG zurückgegriffen und für die Einfuhr von Marihuana mit einer Wirkstoffmenge von 13,5 Kilogramm THC am 26. November 2018 auf eine Einzelfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten und für die Einfuhr von Marihuana mit einer Wirkstoffmenge von 27,94 Kilogramm THC am 14. Juni 2019 auf eine Einzelfreiheitsstrafe von vier Jahren erkannt.

Die Gesamtfreiheitsstrafe aus dem seit dem 2. November 2023 rechtskräftigen Urteil wird derzeit vollstreckt.

Der Verurteilte hat unter Verweis auf Art. 316p, 313 Abs. 3 EGStGB mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 8. April 2024 beantragt, die Einzelstrafen sowie die Gesamtstrafe neu festzusetzen. Er ist der Ansicht, das unveränderte Fortbestehen der verhängten Strafe stünde in einem Wertungswiderspruch zu der im zwischenzeitlich geschaffenen KCanG als für Cannabis völlig neuem Regelungssystem zum Ausdruck gebrachten geringeren Risikobewertung und dem darin abgebildeten gesellschaftlichen Wandel. Die seit dem 1. April 2024 geltende Rechtslage wäre nach § 2 Abs. 3 StGB selbst noch im Revisionsverfahren zu berücksichtigen gewesen. Dass die Revisionsentscheidung nun vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung ergangen sei, stelle aus Sicht des Verurteilten eine Zufälligkeit dar, sodass es aus allgemeinen Gerechtigkeitserwägungen und mit Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG geboten sei, die Strafe entsprechend Art. 313 Abs. 3 EGStGB anzupassen, auch wenn die vorliegende Konstellation, in denen die Gesetzesänderung nach Eintritt der Rechtskraft, aber noch vor Beendigung der Strafvollstreckung in Kraft getreten sei, von Art. 316p EGStGB nicht ausdrücklich mitumfasst sei.

Die angehörte Staatsanwaltschaft Cottbus hat beantragt, den Antrag zu verwerfen.

II.

Der im Ergebnis auf die nachträgliche (Neu-)Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe abzielende Antrag ist statthaft und zulässig gemäß Art. 316p, 313 EGStGB und gemäß Art. 313 Abs. 5 EGStGB in Verbindung mit §§ 460, 462a Abs. 3 S. 1 StGB von der Kammer als Gericht des ersten Rechtszuges zu bescheiden.

In der Sache bleibt dem Antrag der Erfolg versagt.

Entgegen der von der Verteidigung vertretenen Auffassung ist eine Aufhebung und Neufestsetzung rechtskräftig verhängter Strafen für Tatbegehungen, die nach dem Cannabisgesetz ebenfalls strafbar sind (§ 34 Abs. 1 Nr. 5 KCanG), auch dann nicht veranlasst, wenn sie noch nicht (vollständig) vollstreckt wurden. Die Regelungen in Art. 313 Abs. 3 EGStGB betreffen insgesamt lediglich Verurteilungen wegen einer Handlung, die eine nach neuem Recht nicht mehr anwendbare Strafvorschrift und zugleich eine andere Strafvorschrift verletzt hat, mithin hier nicht vorliegende Fallgestaltungen, in denen bei vorliegender Tateinheit (§ 52 StGB) ein nicht mehr strafbares Verhalten Gegenstand der Bildung einer Einzelstrafe war. Eine noch weitergehende Amnestieregelung lässt sich weder dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes, noch dem Willen des Gesetzgebers entnehmen (vgl. hierzu die Begründung zum Gesetzesentwurf zu Artikel 13 BT-Drucksache 20/8704, S. 155), und sie wäre auch von Verfassung wegen nicht geboten (Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 21. Mai 2024 – 2 Ws 54/24 (S) m.w.N.).

Eine planwidrige Regelungslücke, die im Wege der vom Verurteilten begehrten analogen Anwendung des Art. 313 Abs. 3 EGStGB geschlossen werden könnte, liegt danach nicht vor. Während der Besitz von Cannabis unter Geltung des BtMG schlechthin verboten und unter Strafe gestellt war, unter Geltung des KCanG jedoch nur noch außerhalb der durch §§ 2 Abs. 3 Nr. 2, 3 KCanG gezogenen Grenzen untersagt und nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 KCanG nur noch ab bestimmten Mengen unter Strafe gestellt ist, ist die Einfuhr von Cannabis – der gesetzgeberischen Intention der Eindämmung des illegalen Marktes konsequent folgend (s. BT-Drs. 20/8704, S. 69f.) – nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 KCanG weiterhin ausnahmslos untersagt und in § 34 Abs. 1 Nr. 5 KCanG weiterhin ausnahmslos unter Strafe gestellt. Vor diesem Hintergrund ist nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber auch solche Täter nachträglich privilegieren wollte, die wegen Verhaltensweisen nach dem BtMG verurteilt wurden, die er auch unter Geltung des KCanG weiterhin ausnahmslos für strafwürdig erachtet (vgl. LG Karlsruhe, Beschluss vom 15. Mai 2024 – 20 StVK 228/24).

Der Verweis auf das über Art. 103 Abs. 2 GG gewährleistete, in § 1 StGB wortgleich normierte und über § 2 StGB weiter konkretisierte Rückwirkungsverbot geht ebenfalls fehl, denn dieses besagt allein, dass ein Täter nur aufgrund eines Gesetzes bestraft werden kann, welches ihm schon in seiner Existenz wie auch in seinen Folgen bekannt sein konnte. Insoweit lässt sich Art. 103 Abs. 2 GG allein das Verbot entnehmen, neues materielles Recht zu Ungunsten des Täters anzuwenden, nicht hingegen eine Aussage über die Dauer des Zeitraums, während dessen eine in verfassungsgemäßer Weise für strafbar erklärte Tat verfolgt werden darf. Das Grundgesetz äußert sich hier also nur über das „von wann an”, nicht jedoch über das „wie lange” der Strafverfolgung (vgl. BVerfG NJW 1990, 1103). Das Absehen von einer Neubewertung bereits rechtskräftig verhängter Strafen wegen nach neuem Recht ebenfalls strafbarer, allerdings milder zu ahnenden Tathandlungen bewirkt weder eine rückwirkende Strafbegründung noch eine rückwirkende Strafverschärfung. Das sog. „Meistbegünstigungsprinzips“ aus § 2 Abs. 3 StGB, welches der Verurteilte im Ergebnis mit Verweis auf vermeintliche Zufälligkeiten zeitlich ausgedehnt sehen möchte, ist vom Gewährleistungsgehalt des Art. 103 Abs. 2 GG schon nicht umfasst und genießt keinen verfassungsrechtlichen Schutz (BVerfG NJW 2008, 37769, 3770), sodass auch insoweit keinerlei Anlass besteht, sich über den eindeutigen Wortlaut der Norm hinwegzusetzen.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.