Gericht | OLG Brandenburg 4. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 08.11.2023 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | 4 U 52/23 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2023:1108.4U52.23.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 28.02.2023, Az. 13 O 298/18, teilweise abgeändert und insgesamt klarstellend wie folgt neu gefasst:
a) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag von 100.000 € nebst Zinsen in Höhe von jährlich 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.11.2018 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
b) Die Anschlussberufung wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages leistet.
I.
Die Beklagte war Gläubigerin einer Bürgschaft auf erstes Anfordern, auf deren Grundlage sie von der Bürgin Zahlungen erlangt hat. Die Klägerin nimmt die Beklagte – aus abgetretenem Recht der Bürgin – auf Rückzahlung der an sie aufgrund der Bürgschaft geleisteten Zahlung in Anspruch.
Die Beklagte als Generalübernehmerin beauftrage die („Firma 01“) (im Folgenden („Firma 01“)) am 09.10.2014 unter Einbeziehung der („Firma 02“) mit der Fertigung und Montage von insgesamt 85 Balkonbrüstungen und -geländern an mehreren Mehrfamilienhäusern in („Ort 01“) zum vorläufigen Netto-Auftragswert von 221.000 €. Entsprechend der vertraglichen Zahlungsvereinbarung der Werkvertragsparteien vom 08.10.2014 legte die („Firma 01“) eine Bürgschaft auf erstes Anfordern über 100.000 € „für eine Vorauszahlung bis zur Tilgung der Vorauszahlung durch Anrechnung auf fällige Zahlungen“ vor; wegen der Einzelheiten der Vereinbarung vom 08.10.2014 wird auf die Anlage K 2 (Bl. 45ff der Gerichtsakte) Bezug genommen. Die Beklagte zahlte ihr daraufhin einen Vorschuss in dieser Höhe aus. Gegenüber der Bürgin hatten sich zuvor die Klägerin und die („Firma 01“) gesamtschuldnerisch verpflichtet, für die ihr aus der Bürgschaftsübernahme entstehenden Verbindlichkeiten einzustehen.
Die („Firma 01“) begann in der Folgezeit mit der Herstellung der Bauteile. Im Dezember 2014 stimmte sie mit der Beklagten sowie dem von der Bauherrin eingesetzten Planungsbüro die Einbauhöhen der Brüstungen ab. Im Ergebnis sollte die Oberkante des Estrichaufbaus die für sie maßgebliche Fertigfußbodenhöhe darstellen - dies auch in Ansehung eines in Einzelfällen später darüber hinausgehenden Fußbodenniveaus und daraus möglicherweise resultierender Probleme mit der Einhaltung der bauordnungsrechtlich erforderlichen Brüstungshöhe.
Am 10.03.2015 einigten sich die Parteien des Bauvertrags über die Modifizierung des Auftrags sowie die Beauftragung von Nachträgen, in deren Ergebnis das Auftragsvolumen insgesamt 244.888,40 € betrug. Davon entfielen 193.615,52 € auf den ursprünglichen Auftrag und 53.273,08 € auf Nachträge. Ferner verabredeten sie die Fertigstellung der ausstehenden Restarbeiten bis ca. Mitte der 13. Kalenderwoche des Jahres 2015. Der dem Protokoll beigefügte handschriftliche Zahlungsplan legt folgende Zahlungsziele fest:
„Zahlungsstand heute 150.000 € 10.03.2015
weitere Abschläge: 39.000 € 11.03.2015
28.000 € 18.03.2015
SR*28.000€ 25.03.2015 245.000 €
Im Anschluss Teilenthaftung Bürgschaft
* in kompl. Höhe“
Im Rahmen der Besprechung wurden zudem Absprachen zum maximal möglichen Einkürzen der Befestigungsanker für die Brüstungsgeländer getroffen.
Auf Grundlage der Zahlungsvereinbarung vom 10.03.2015 zahlte die Beklagte sodann einen Betrag von 37.830 € (d.h. 39.000 € abzgl. 3 % Skonto) auf die 3. Abschlagsrechnung sowie – nach vorangegangener Statusfeststellung – 28.000 € auf die 4. Abschlagsrechnung der („Firma 01“).
Im Ergebnis der genannten Statusfeststellung übermittelte die Beklagte der („Firma 01“) am 26.03.2015 eine Auflistung der aufgenommenen Mängel/Restarbeiten und hielt mit Schreiben vom 27.03.2015 an der – bereits unter dem 25.03.2015 erfolgten – Nachfristsetzung für die Fertigstellung der Arbeiten bis zum 28.03.2015 fest. Auf die 5. Abschlagsrechnung vom 02.04.2015 über 27.000 €, welche einen Leistungsstand von 244.529,01 € auswies, leistete die Beklagte keine Zahlungen.
Mit E-Mail vom 09.04.2015 forderte die („Firma 01“) die Abnahme ihrer Arbeiten und schlug einen Abnahmetermin für den 14.04.2015 vor. Die Beklagte erschien zu diesem Termin nicht und teilte mit E-Mail vom gleichen Tag mit, eine ordnungsgemäße Fertigmeldung – insbesondere auch bezüglich der am 26.03.2015 feststellten Mängel – liege bislang nicht vor; nach deren Eingang werde sie der („Firma 01“) innerhalb einer angemessenen Frist einen Abnahmetermin vorschlagen.
Unter dem 24.04.2015 teilte die Beklagte der („Firma 01“) unter Bezugnahme auf deren „Schlussrechnung vom 02.04.2015“ und Darlegung der nach ihrer Auffassung bestehenden Gegenrechte mit, weitere Zahlungen endgültig abzulehnen und einen Betrag von 250.296,87 € (zurück)zufordern; hinsichtlich eines Teilbetrages von 100.000 € werde sie die Bürgschaft in Anspruch nehmen. Zu diesem Zweck forderte sie die Bürgin mit Schreiben vom gleichen Tag zur Zahlung auf.
Nachdem die Beklagte festgestellt hatte, dass einzelne Loggiengeländer bzw. Geländerteile von der („Firma 01“) demontiert worden waren, erteilte sie deren Mitarbeitern mit E-Mail vom 28.04.2015 ein Hausverbot und wiederholte dies mit anwaltlichem Schreiben vom 30.04.2015. Unstreitig sind insgesamt die Handläufe an den Brüstungsgeländern von 16 Loggien abgebaut worden; über die Hintergründe besteht zwischen den Parteien Streit.
Am 19.05.2015 protokollierte auch die Bauherrin den Stand der Bauarbeiten und hielt zu den von der („Firma 01“) geschuldeten Arbeiten u.a. fest, dass eine provisorische Sicherung des Handlaufs mittels einer Holzbohle vorgenommen worden sei.
Mit Schreiben vom 29.05.2015 erklärte die Beklagte schließlich die Kündigung des Bauvertrages und führte zur Begründung aus, die der („Firma 01“) gesetzte Nachfrist zur Vertragserfüllung sei fruchtlos verstrichen.
Die Bauherrin stellte den Leistungsstand auf der Baustelle nochmals unter dem 08.01.2016 fest und vermerkte zu den der („Firma 01“) übertragenen Arbeiten einen Leistungsstand von 100 % sowie die Feststellung, dass die Geländerkonstruktion an insgesamt 16 Balkonen entfernt worden sei, so dass die betroffenen Loggien bislang nicht zur Nutzung freigegeben werden könnten. Zudem wurde festgestellt, dass einige Loggien die bauordnungsrechtlich erforderlichen Geländerhöhen teilweise deutlich unterschreiten.
Nach zwischenzeitlich erfolgter Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der („Firma 01“) legte deren Insolvenzverwalter sodann am 01.02.2016 Schlussrechnung über einen Gesamtbetrag von 248.792,80 €, die – nach Verrechnung der Vorauszahlung wie auch der auf die Abschlagsrechnungen erbrachten Zahlungen – mit einem offenen Saldo von 32.962,80 € abschloss.
Parallel dazu nahm die Beklagte die Bürgin mit Schreiben vom 24.04.2015 und nachfolgend in einem mit der Bürgin geführten Rechtsstreit auf Auszahlung der Vorauszahlungsbürgschaft in Anspruch. Das Landgericht Hannover wies die entsprechende Klage der hiesigen Beklagten mit Urteil vom 12.07.2016 ab. Zur Begründung führte es aus, dass das Vorgehen aus der Bürgschaft angesichts der zwischenzeitlich erfolgten Gesamtfertigstellung und Schlussrechnungslegung offensichtlich rechtsmissbräuchlich sei. Das Oberlandesgericht Celle hat die Bürgin demgegenüber mit Urteil vom 22.02.2017 zur Zahlung verurteilt; eine Rechtsmissbräuchlichkeit sei nicht offensichtlich, da der Restwerklohn nicht unstreitig und seine Höhe ohne nähere Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht feststellbar sei. Wegen des Charakters der Bürgschaft auf erstes Anfordern müsse die Bürgin leisten und sei auf das Rückforderungsverfahren zu verweisen. Die Bürgin zahlte daraufhin am 08.03.2017 insgesamt 107.723,03 € (davon 7.723,03 € Zinsen) an die Beklagte. Ihre ggf. bestehende Forderung auf Rückzahlung gegenüber der Beklagten trat sie am 03.08.2018 – nach einem zwischen ihr und der Klägerin geführten Rechtsstreit - an die Klägerin ab, welche die Abtretung am 16.08.2018 annahm und die Beklagte mit Schreiben vom 03.09.2018 u.a. zur Zahlung von 107.723,03 € aufforderte.
Auf dieser Grundlage geht die Klägerin mit ihrer am 27.11.2018 zugestellten Klage gegen die Beklagte vor.
Sie hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, die Beklagte habe den Bürgschaftsbetrag nebst Zinsen ohne Rechtsgrund erlangt. Da die („Firma 01“) sämtliche Leistungen nach dem Bauvertrag im Gesamtwert von 248.792,80 € am 07.04.2015 vollständig und mangelfrei erbracht habe, habe sie den Vertrag erfüllt und die Beklagte keinen Anspruch auf Rückzahlung der Vorschusszahlung gehabt. Die fehlende Abnahme der Werkleistungen stehe dem nicht entgegen, da die Beklagte diese vereitelt habe. Die von der Beklagten eingewandten Mängel an den Leistungen der („Firma 01“) bestünden nicht. So gelte hinsichtlich der von der Beklagten monierten Höhe einzelner Brüstungen, dass diese den vertraglich vereinbarten bzw. der („Firma 01“) vorgegebenen Angaben entsprächen und damit mangelfrei seien. Soweit die Beklagte nunmehr Mängel in Bezug auf die Bolzenanker einwende, seien die geschilderten Symptome dem Gewerk Estrich/Fußboden zuzuordnen. Die Klägerin hat schließlich gemeint, ihr Rückzahlungsanspruch folge auch aus § 826 BGB, da sich die Beklagte die Besonderheiten der Bürgschaft auf erstes Anfordern in widerrechtlicher Weise zu Nutze gemacht und mit wissentlich falschen Behauptungen den Bürgschaftsfall konstruiert habe.
Die Beklagte hat demgegenüber im Wesentlichen geltend gemacht, die Vorauszahlung habe erst im Zeitpunkt der Abnahme mit dem dann fälligen und verdienten Restwerklohnanspruch der („Firma 01“) verrechnet werden sollen. Die insoweit allein maßgeblichen Arbeiten auf den Hauptauftrag hätten das Stadium der Fertigstellung und damit der vertraglich vereinbarten Parameter für die Verrechnung der Vorauszahlungen auf den verdienten Werklohn indes zu keinem Zeitpunkt erreicht; es fehle zudem an einer Abnahme und einer prüfbaren Schlussrechnung. Leistungen seien – insbesondere im Hinblick auf die unstreitig fehlenden 16 Brüstungsgeländer – nicht in dem mit der Schlussrechnung vom 01.02.2016 ausgewiesenen Umfang von 193.615,32 €, sondern allenfalls im Wert von 133.929,81 € erbracht worden. Dem Wert der tatsächlich erbrachten Leistungen stünden Gesamtzahlungen von 215.830,00 € gegenüber, woraus sich bereits eine deutliche Überzahlung ergebe. Die Nachtragspositionen im Gesamtwert von 55.177,58 € seien vollständig zu streichen. Teilweise sei schon nicht ersichtlich, welche Leistungen sich dahinter verbergen würden; teilweise bestreite sie die Erfüllung der abgerechneten Arbeiten mit Nichtwissen. Hilfsweise hat die Beklagte einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 100.044,10 € eingewandt, der sich u.a. aus einer ihr gegenüber seitens der Bauherrin erfolgten Vergütungskürzung in Höhe von 78.500 € (davon 44.800,53 € Ersatzvornahmekosten für die ordnungsgemäße Herstellung der 16 Loggien) zusammensetze.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) Bezug genommen.
Das Landgericht hat der Klage – nach Durchführung einer Beweisaufnahme durch Einvernahme von Zeugen zum Leistungsstand am 07.04.2015 – stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin könne die Rückzahlung der Bürgschaftssumme nebst Zinsen auf Grundlage von § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB verlangen. Den in der vorliegenden Konstellation einer Vorauszahlungsbürgschaft auf erstes Anfordern ihr obliegenden Beweis habe die Klägerin im Ergebnis der Beweisaufnahme sowie unter Berücksichtigung der vorgelegten Dokumente geführt, denn danach stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die („Firma 01“) am 07.04.2015 alle Leistungen aus dem Hauptauftrag vollständig erbracht habe. Seiner Überzeugungsbildung legte das Landgericht dabei neben den Leistungsstandfeststellungen der Bauherrin auch den Umstand zugrunde, dass die Beklage sich nicht dazu geäußert habe, wer wann die nach ihrem Vortrag fehlenden Leistungen der („Firma 01“) zwischenzeitlich fertiggestellt habe. Mit der Zahlung auf die 4. Abschlagsrechnung und den handschriftlichen Korrekturen auf der 5. Abschlagsrechnung habe die Beklagte zudem konkludent den darin jeweils abgerechneten Leistungsstand anerkannt. Insbesondere aber stehe die vollständige Fertigstellung der Hauptleistung zum 07.04.2015 im Ergebnis der Aussagen der Zeugen fest. Danach seien die fehlenden 16 Brüstungsgeländer zunächst montiert und erst Ende April 2015 von der („Firma 01“) zu Reparaturzwecken abmontiert und durch Holzhandläufe ersetzt worden, nachdem es nach dem 07.04.2015 zu Beschädigungen gekommen sei; die („Firma 01“) habe diese Reparatur im Bemühen um ein Einlenken der Beklagten vorgenommen. Die erneute Montage der 16 Geländer sei nicht (mehr) der Fertigstellung der Bauleistung zuzuordnen. Ihre Demontage nach bereits erfolgter Fertigstellung könne allenfalls Schadensersatzansprüche gegen die („Firma 01“) begründen, welche indes nicht vom Sicherungszweck der Vorauszahlungsbürgschaft erfasst seien. Ferner sei im Ergebnis der Beweisaufnahme nicht ersichtlich, dass die der Schlussrechnungslegung der („Firma 01“) zugrunde gelegten Mengen und Massen fehlerhaft seien. Dahinstehen könne schließlich, ob die Balkonbrüstungen abnahmereif hergestellt gewesen seien, da die Parteien sich nach der von der Beklagten erklärten Kündigung im Zeitpunkt der Auszahlung der Bürgschaft im Abrechnungsverhältnis befunden hätten. Der hilfsweise eingewandte Schadensersatzanspruch der Beklagten sei unsubstantiiert; er stelle überdies eine unselbständige Position im Rahmen des Abrechnungsverhältnisses zwischen („Firma 01“) und Beklagter dar und sei nicht als Hilfsaufrechnung zu werten. Ein Anspruch der Klägerin aus § 826 BGB bestehe demgegenüber nicht, da die seitens der Beklagten vorgenommene Bewertung der Leistungen der („Firma 01“) jedenfalls möglich gewesen sei und deshalb keine Schädigungsabsicht nahelege.
Gegen das am 28.02.2023 verkündete Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt.
Die Beklagte rügt mit ihrer Berufung die Verletzung materiellen Rechts wie auch ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör. So sei zunächst die Annahme des Landgerichts unzutreffend, dass die Verrechnung der geleisteten Zahlungen und damit die Enthaftung der Bürgschaft bereits mit der Gesamtfertigstellung habe erfolgen sollen, denn zusätzliche Voraussetzung sei auch die Schlussrechnungslegung gewesen. Fehlerhaft habe das Landgericht ferner auf eine Fertigstellung am 07.04.2015 abgestellt, da es frühestens auf den Zeitpunkt der Geltendmachung der Bürgschaft am 24.04.2015 ankommen könne; maßgeblich sei vor dem Hintergrund des Sicherungszwecks aber tatsächlich der Zeitpunkt der Kündigung des Vertrages am 29.05.2015, der das Scheitern der Vertragsdurchführung dokumentiere und zu welchem noch ein Anspruch auf Erfüllung im Hinblick auf die 16 Handläufe bestanden habe. Darüber hinaus sei der Beweis für eine mangelfreie Fertigstellung am 07.04.2015 von der Klägerin nicht geführt worden. Die Auffassung des Landgerichts, mit der Zahlung der Abschlagsrechnungen gehe ein Anerkenntnis hinsichtlich des erbrachten Leistungsstandes einher, lasse den vorläufigen Charakter entsprechender Zahlungen außer Acht. Rechtsfehlerhaft sei ferner die Feststellung, wonach der Beklagten keine Rückzahlungsansprüche in Höhe von 81.900,18 € wegen der nur teilweise erbrachten Leistungen zugestanden hätten. Die Angaben des Zeugen („Name 01“) zu den erbrachten Massen seien unglaubwürdig, der Vortrag der Beklagten zu den Abzügen nicht ausreichend gewürdigt worden. Soweit es das Bestehen von Mängeln in Bezug auf Brüstungshöhe und Halterungsbolzen dahinstehen lasse, verkenne das Landgericht, dass am 07.04.2015 insoweit noch Erfüllungs- und nicht Mängelbeseitigungsansprüche bestanden hätten. Soweit das Landgericht schließlich Schadensersatzansprüche der Beklagten in Höhe von 100.044,10 € verneine, habe es die Darlegungslast überspannt und es im Übrigen an einem Hinweis zur Notwendigkeit weiteren Vortrags fehlen lassen.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung insoweit und erklärt nochmals, die („Firma 01“) sei zur Verrechnung der Vorauszahlung bereits mit Erbringung aller Bauleistungen am 07.04.2015 berechtigt gewesen.
Die Klägerin trägt zur Begründung ihrer Berufung vor, sie sei durch die Feststellung des Landgerichts beschwert, dass ein Anspruch aus § 826 BGB nicht bestehe, denn diese könnte einer Verurteilung der Beklagten im Parallelrechtsstreit über den Ersatz der durch die Bürgschaftsinanspruchnahme entstandenen Schäden (4 U 96/22) entgegen stehen. In Ansehung der Feststellungen zum tatsächlich erbrachten Leistungsstand der („Firma 01“) sei es zudem ausgeschlossen, das Vorgehen der Beklagten nicht als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung einzuordnen. Die Beklagte habe einen Prozessbetrug zu Lasten der Klägerin begangen, indem sie wider besseren Wissens absichtlich vorgetragen habe, die („Firma 01“) habe ihre Bauleistungen nicht vollständig erbracht, um sich auf diese Weise die Bürgenleistung zu verschaffen.
Die Klägerin beantragt,
1. das Urteil des Landgerichts Potsdam, 13 O 298/18, abzuändern, soweit darin festgestellt wird, dass sich der Anspruch der Klägerin nicht aus § 826 BGB ergebe und
2. festzustellen, dass sich der mit dem Tenor des Urteils unter Ziffer 1. festgestellte Anspruch der Klägerin auch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB und § 823 BGB i.V.m. § 263 StGB ergibt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung, soweit ein deliktischer Anspruch der Klägerin darin abgelehnt wird.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg, während dem Rechtsmittel der Klägerin der Erfolg versagt bleibt.
A. Die Berufung der Beklagten ist erfolgreich, allerdings nur soweit sie sich gegen die Verurteilung zur Rückzahlung eines über 100.000 € hinausgehenden Betrages wendet.
Der Klägerin steht ein Anspruch aus abgetretenem Recht auf Rückzahlung des aufgrund der Vorauszahlungsbürgschaft auf erstes Anfordern am 08.03.2017 von der Bürgin an die Beklagte gezahlten Betrages auf Grundlage von §§ 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt, 398 BGB allein in dieser Höhe zu.
I. Die Beklagte hat durch die Zahlung der Bürgin auf die Vorauszahlungsbürgschaft auf erstes Anfordern einen Betrag in Höhe von insgesamt 107.723,03 € erlangt, der sich aus der Bürgschaftssumme von 100.000 € und aus dem der Beklagten mit Urteil des Oberlandesgerichts Celle vom 22.02.2017 zugesprochenen Verzugszinsen seit dem 28.04.2015 zusammensetzt.
II. Diese Leistung der Bürgin ist in Höhe von 100.000 € ohne rechtlichen Grund im Sinne von § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt BGB erfolgt, denn insoweit liegt kein (Rechts-)Grund vor, aufgrund dessen die Beklagte den an sie ausgezahlten Betrag behalten darf (zum Behaltendürfen als maßgeblicher Bedeutung des Tatbestandsmerkmals „ohne rechtlichen Grund“: MüKoBGB/Schwab, 8. Aufl. 2020, BGB § 812 Rn. 417; Martinek/Heine in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., § 812 BGB (Stand: 01.02.2023), Rn. 32. juris). Ein allein als rechtliche Grundlage für ein Behaltendürfen der Zahlung in Betracht kommender Anspruch der Beklagten auf Inanspruchnahme der Vorauszahlungsbürgschaft bestand im Zeitpunkt der Auszahlung der Bürgschaftssumme am 08.03.2017 nicht.
Im Einzelnen:
1. Ausgangspunkt für die Beurteilung, ob die Beklagte einen Anspruch auf Inanspruchnahme der Bürgschaft hatte, bilden die insoweit getroffenen Vereinbarungen der Parteien des Bauvertrages.
a) Sinn und Zweck der Vorauszahlungsbürgschaft auf erstes Anfordern ist es grundsätzlich und so auch hier, dass die Gläubigerin bei einem Scheitern der Vertragsdurchführung ihre bis dahin noch nicht durch berechtigte Forderungen der Auftragnehmerin verbrauchte Vorauszahlung sofort zurückerhält, ohne sich auf einen Streit über die Berechtigung der bisher geltend gemachten Forderungen einlassen zu müssen (BGH, Urteil vom 21.04.1988 – IX ZR 113/87 –, Rn. 17). Eine Vorauszahlungsbürgschaft sichert dementsprechend den Rückzahlungsanspruch, der sich für den Auftraggeber ergibt, wenn die Leistungen des Auftragnehmers die erbrachten Vorleistungen nicht abdecken (BGH, Urteil vom 06.05.1999 – IX ZR 430/97 –, Rn. 7; Urteil des Senats vom 16.12.2009 – 4 U 44/09 –, Rn. 21, juris).
Verbürgte Hauptschuld ist danach ein etwaiger Anspruch der Beklagten gegen die („Firma 01“) auf Rückgewähr der im Oktober 2014 geleisteten Vorauszahlung in Höhe von 100.000 €.
b) Eine Vereinbarung, wonach nur bestimmte der von der („Firma 01“) im Rahmen der Fertigung und Montage von insgesamt 85 Balkonbrüstungen und -geländern an mehreren Mehrfamilienhäusern in („Ort 01“) zu erbringenden Bauleistungen mit der Vorauszahlung vergütet werden sollten, haben die Parteien nicht getroffen.
aa) Sie haben vielmehr bestimmt, dass die Vorauszahlung erst bei der abschließenden Abrechnung der Bauarbeiten zu verrechnen war. Dies gilt sowohl für die ursprüngliche Zahlungsvereinbarung vom 08.10.2014, wonach die 1. und 2. Abschlagsrate die Vorauszahlung jeweils unberührt lassen sollte, als auch für die – nach der Zahlung der 1. Abschlagsrate getroffene – Zahlungsvereinbarung vom 10.03.2015, wonach eine „Teilenthaftung der Bürgschaft‘“ erst im Anschluss an die dort vereinbarten Abschlagszahlungen und die auf die Schlussrechnungslegung zu zahlende Schlussrate erfolgen sollte. Die Bürgschaft erstreckt sich damit nicht unmittelbar auf die geleistete Vorauszahlung, sondern erfasst bei Vorliegen eines negativen Schlussrechnungssaldos nur den hieraus noch besicherten Anteil aus geleisteten Vorauszahlungen.
Soweit die Klägerin mit nachgelassenem Schriftsatz vom 13.10.2023 behauptet, weder im Zuge der Verhandlungen des Bauvertrages noch mittels der Vereinbarung vom 10.03.2015 sei vereinbart worden, dass die („Firma 01“) zu einer Verrechnung der Bürgschaftssumme erst mit der Schlussrechnungslegung berechtigt gewesen sei, steht diese Behauptung bereits im deutlichen Widerspruch zum dargelegten Wortlaut der schriftlichen Zahlungsvereinbarungen vom 08.10.2014 und 10.03.2015, ohne diesen aufzuklären, und ist deshalb unerheblich. Die klägerischen Ausführungen verkennen überdies, dass die unstreitig erfolgte Berücksichtigung der Vorauszahlung als numerische Größe im Rahmen der Rechnungslegung zu den Abschlagsforderungen - namentlich um das Verhältnis der bei der („Firma 01“) bereits eingegangenen Zahlungen zu den von ihr erbrachten Leistungen zu ermitteln und den daraus resultierenden Rechnungssaldo abzubilden - keine Auswirkung auf die davon getrennt zu betrachtende rechtliche Frage hat, zu welchem Zeitpunkt die Verrechnung auch ein Erlöschen des Anspruchs der Beklagten auf Rückzahlung der Vorauszahlung zur Folge habe sollte. Dass der Rückzahlungsanspruch bereits im Zeitpunkt der Fertigstellung des Werks untergehen sollte und sein Schicksal damit weder von einer Abnahme der Werkleistung noch von der Fertigung einer Schlussrechnung abhängig sein sollte, ist den genannten Vereinbarungen – wie dargelegt – gerade nicht zu entnehmen.
Einer weiteren Sachverhaltsaufklärung zu den von der Klägerin behaupteten Verrechnungsabreden bedarf es im Übrigen auch deshalb nicht, weil der Erfolg ihrer Rückforderungsklage aus den nachfolgend dargelegten Gründen nicht davon abhängt, ob der Rückzahlungsanspruch der Beklagten bereits am 07.04.2015 oder erst zu einem späteren Zeitpunkt vor Auszahlung der Bürgschaftssumme durch die Bürgin erloschen ist.
bb) Maßstab für die Frage, ob die tatsächlich erbrachten Werkleistungen den Umfang der Vorauszahlung abdecken, ist nach den Vereinbarungen der Parteien des Bauvertrages zudem das Volumen des gesamten der („Firma 01“) erteilten Auftrages mit einem Leistungsumfang von zuletzt rund 245.000 €.
Soweit das Landgericht demgegenüber davon ausgeht, der „Verbrauch“ der Vorauszahlung sei allein anhand der auf den ursprünglichen Auftrag entfallenden Leistungen zu ermitteln, welche infolge der Vereinbarung der Bauvertragsparteien vom 10.03.2015 lediglich noch zu einem Wert von 193.615,32 € geschuldet waren, hat es außer Acht gelassen, dass die nach dem ursprünglichen Auftrag und den Nachträgen geschuldeten Leistungen jeweils gleichermaßen der einheitlichen Fertigstellung des Bauvorhabens „Fertigung und Montage von 85 Balkonbrüstungen und -geländern“ dienten und die Nachträge deshalb für den von der („Firma 01“) insgesamt geschuldeten Erfolg nicht hinweg gedacht werden können. Es handelte sich gerade nicht um Nachträge, welche einer getrennten Leistungsfeststellung und -abrechnung zugänglich gewesen wären.
Dafür spricht nicht zuletzt der von den Bauvertragsparteien am 10.03.2015 zusammen mit der verbindlichen Vereinbarung der Nachträge verabredete Zahlungsplan für die insgesamt anfallende Vergütung, wonach eine Enthaftung der Vorauszahlungsbürgschaft nicht vor Erbringen der gesamten zur Herstellung der Balkonbrüstungen und -geländer erforderlichen Leistungen in Höhe von rund 245.000 € erfolgen sollte.
2. Daran gemessen bestand ein Anspruch der Beklagten auf Rückzahlung der von ihr geleisteten Vorauszahlung bei Auszahlung der Bürgschaftssumme durch die Bürgin am 08.03.2017 nicht, denn der („Firma 01“) stand aufgrund der von ihr erbrachten Leistungen ein zu diesem Zeitpunkt fälliger Werklohnanspruch zu, der die Summe der von der Beklagten geleisteten Abschlags- und Vorauszahlungen überstieg.
a) Dabei ist zunächst festzustellen, dass für die Frage des Behaltendürfens auf Grundlage von § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt BGB in zeitlicher Hinsicht allein maßgeblich ist, ob die Beklagte am 08.03.2017 einen Anspruch auf Rückzahlung der Vorauszahlungen hatte, d.h. in dem Zeitpunkt, in dem ihr die Zahlung der Bürgin tatsächlich zugeflossen ist.
Dahinstehen kann mithin, ob die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Vorauszahlungsbürgschaft zu einem davor liegenden Zeitpunkt vorlagen. Es bedarf deshalb insbesondere keiner Entscheidung, ob die Beklagte in Ansehung der von den Parteien des Bauvertrags am 09.10.2014 und 10.03.2015 getroffenen Verrechnungsabreden bei erstmaliger Aufforderung zur Auszahlung der Bürgschaft gegenüber der Bürgin am 24.04.2015 schon deshalb einen auf die Vorauszahlung gerichteten Rückzahlungsanspruch gehabt haben könnte, weil zu diesem Zeitpunkt die erst am 01.02.2016 erstellte Schlussrechnung der („Firma 01“) als formale Voraussetzung für eine Verrechnung der Vorauszahlung mit dem Werklohnanspruch noch nicht vorlag.
b) Der („Firma 01“) stand am 08.03.2017 ein Werklohnanspruch in einer Höhe zu, welche die Summe der von der Beklagten bis dahin geleisteten Zahlungen von 215.830 € (115.830 € als Abschlagszahlungen und 100.000 € als Vorauszahlung) auch dann überstieg, wenn man den Umstand anspruchsmindernd berücksichtigt, dass an 16 der insgesamt 85 Loggien die Brüstungsgeländer sowie an einer dieser Loggien zusätzlich der – die Glasplatten in der Metallkonstruktion haltende – untere Metallgurt nicht (mehr) montiert waren.
aa) Die in der Schlussrechnung vom 01.02.2016 benannte Gesamtvergütung für ihre Arbeiten in Höhe von 248.792,80 € und damit den unter Berücksichtigung der geleisteten Abschlags- und Vorauszahlungen noch offenen Saldo von 32.962,80 € konnte die („Firma 01“) in Ansehung der nicht vollständig erbrachten Leistung dann zwar nicht in voller Höhe beanspruchen. Der für die 16 fehlenden Brüstungsgeländer sowie den fehlenden unteren Metallgurt vorzunehmende Abzug hat indes offensichtlich nicht zur Folge, dass der Vergütungsanspruch unter den Betrag der beklagtenseits (einschließlich der Vorauszahlung) bereits zuvor geleisteten Zahlungen von 215.830 € sinkt.
(1) So sind – anders als die Beklagte meint – bei der Ermittlung der der („Firma 01“) zustehenden Vergütung für erbrachte Leistungen die 16 betroffenen Loggien nicht insgesamt unberücksichtigt zu lassen und damit lediglich eine Vergütung für 69 Loggien anzusetzen, denn von dem Gesamtvorhaben mit einem Volumen von 245.000 € für insgesamt 85 Balkonbrüstungskonstruktionen nebst Verglasung sind allein 16 Handläufe als oberer Abschluss der betroffenen Konstruktionen und ein unterer Metallgurt nicht montiert wurden. Diese erreichen erkennbar weder in ihrem Materialwert noch hinsichtlich des Wertes der damit verbundenen Montageleistungen einen Umfang, der dem Anteil der Herstellung von 16 kompletten Balkonkonstruktionen an der geschuldeten Gesamtleistung entspricht.
Nichts anderes folgt aus dem Umstand, dass die Bauherrin die betroffenen 16 Loggien in ihrer Leistungsstandfeststellung vom 08.01.2016 als nicht nutzbar eingestuft hatte. Diese Einschätzung stellt lediglich eine weder durch rechtliche Regelungen noch durch bautechnische Expertise unterlegte Bewertung der Bauherrin selbst dar, die zudem unberücksichtigt lässt, dass als provisorische Handläufe Holzbohlen montiert wurden, die ein Abstürzen der Glasfüllelemente ebenso verhindern wie eine Verletzung der Nutzer der Loggien.
(2) Als Anhaltspunkt für den auf die nicht erbrachten Leistungen der („Firma 01“) entfallenden Anteil an der Gesamtvergütung kann ferner nicht der Betrag von 44.500,83 € dienen, der ausweislich eines von der Beklagten vorgelegten Angebots die Kosten der Ersatzvornahme betrifft.
Unabhängig von der Frage, ob die Kosten einer Ersatzvornahme überhaupt geeignet sein können, den Wertanteil einer nicht erbrachten Leistung an der Vergütung des ursprünglich beauftragten Werkunternehmers zu bemessen, scheidet eine solche Bemessung jedenfalls hier aus. Das vorgelegte Angebot (vgl. Anlage B 15, Bl. 411 der Akte) umfasst nämlich nicht lediglich die im Rahmen der eigentlichen Erfüllung des Auftrags anfallenden Kosten, sondern beinhaltet auch kostenintensive darüber hinausgehende Arbeiten (bspw. das Auftrennen der Holmrahmen, das Einschweißen von Neuteilen etc.). Diese Ersatzvornahmeleistungen summieren sich infolgedessen in ihrem Wert auf einen Anteil von 18 % der von der („Firma 01“) geforderten Gesamtvergütung und gehen damit erkennbar über den Anteil der nicht erbrachten Leistungen an der vereinbarten Vergütung hinaus.
(3) Ob der auf die nicht erbrachten Leistungen entfallende Vergütungsanteil demgegenüber lediglich mit den vom Zeugen („Name 01“) im Rahmen seiner Vernehmung vor dem Landgericht unter Bezugnahme auf die Urkalkulation errechneten 5.081,00 € anzusetzen ist, kann letztlich offen bleiben. Denn es unterliegt keinem Zweifel, dass der Wert der noch nicht erbrachten Leistungen den Betrag von 32.962,80 € – d.h. den noch offenen Schlussrechnungssaldo der („Firma 01“), welcher rund 13 % des Gesamtwerts der Leistungen umfasst – nicht erreicht und damit im Umkehrschluss am 08.03.2017 ein über die seitens der Beklagten bereits erbrachten Abschlags- und Vorauszahlungen von insgesamt 215.830 € hinausgehender Werklohnanspruch der („Firma 01“) für die tatsächlich erbrachten Leistungen bestand, der einem Rückzahlungsanspruch der Beklagten hinsichtlich der Vorauszahlung entgegen stand.
Die von der Beklagten mit ihren Berechnungen vorgenommene weitergehende Kürzung von Vergütungspositionen, insbesondere hinsichtlich der Mengen und Massen, vermögen an dieser Einschätzung nichts zu ändern. Zum einen sind die von der Beklagten angesetzten Mengen und Massen weder rechnerisch noch in Anbetracht des Umstandes nachvollziehbar, dass sowohl ihre eigene Leistungsstandfeststellung vom 28.04.2015 als auch die Leistungsstandfeststellungen der Bauherrin vom 19.05.2015, vom 19.11.2015 und vom 08.01.2016 lediglich das Fehlen der 16 Brüstungsgeländer und eines Metallgurtes zum Ergebnis hatten. Die Kürzung einzelner Schlussrechnungsposition um rund 30 % kann mithin bereits dann nicht überzeugen, wenn das Fehlen der gesamten Geländerkonstruktion in Rede stünde, und deshalb erst recht nicht nachvollzogen werden, wenn wie hier nur jeweils ein Teil von 16 Geländerkonstruktionen fehlt. Zum anderen lassen die Berechnungen der Beklagten jegliche Auseinandersetzung mit der der Schlussrechnung vom 01.02.2016 anliegenden Tabelle und den dortigen Maßangaben vermissen, welche wiederum mit den von der („Firma 01“) gefertigten und der Beklagten ausgehändigten Revisionsplänen in Übereinstimmung stehen.
(4) Nichts anderes folgt aus dem Umstand, dass die Beklagte auch die Erbringung weiterer Leistungen – insbesondere der am 10.03.2015 beauftragten Nachträge sowie einzelner Leistungspositionen aus dem ursprünglichen Auftrag – in Abrede gestellt hat, denn ihr entsprechendes Vorbringen ist angesichts der von den Parteien des Bauvertrags getroffenen Abreden und der mit der Schlussrechnung vorgelegten Unterlagen der („Firma 01“) unerheblich.
So haben die Parteien des Bauvertrages ausweislich der am 10.03.2015 getroffenen Vereinbarung umfangreiche Absprachen sowohl zum Inhalt der zu diesem Zeitpunkt größtenteils bereits erbrachten und damit zweifelsohne auch erforderlichen Nachtragsleistungen als auch zu den auf die Einzelleistungen jeweils entfallenden Vergütungsanteile getroffen; diese finden sich in der Schlussrechnung der („Firma 01“) in der vereinbarten Höhe wieder.
Dass die Nachträge oder auch einzelne Leistungen des ursprünglichen Auftrages tatsächlich nicht erbracht worden seien, hat die Beklagte schon nicht substantiiert dargelegt, nachdem sämtliche der vorgenannten Leistungsfeststellungen der Bauherrin wie auch der Beklagten selbst lediglich das Fehlen der 16 Brüstungsgeländer und eines Metallgurtes zum Ergebnis hatten.
bb) Der Annahme eines über 215.830 € hinausgehenden Vergütungsanspruchs der („Firma 01“) stehen schließlich keine Mängel an den von ihr erbrachten Leistungen entgegen, welche Rückerstattungsansprüche wegen einer Minderung des Wertes des Werks der („Firma 01“) begründen könnten (vgl. hierzu OLG Stuttgart, Urteil vom 19.09.2017 – 10 U 48/15 –, Rn. 246, juris).
(1) Soweit die Beklagte unter Inbezugnahme der Leistungsstandfeststellung vom 08.01.2016 beanstandet, dass die Höhe einzelner Balkonbrüstungen den bauordnungsrechtlichen Vorschriften nicht genügt, vermag dieser Umstand keine Mangelhaftigkeit der Leistungen der („Firma 01“) zu begründen, nachdem diese die Montage der Balkonbrüstungen den Vereinbarungen mit der Beklagten entsprechend ausgeführt hatte. So hatte die Beklagte der („Firma 01“) im Ergebnis eines Austauschs zu der bereits Ende des Jahres 2014 diskutierten Frage, wie der möglichen Unterschreitung der bauordnungsrechtlich zulässigen Brüstungshöhen zu begegnen sei, mit E-Mail vom 22.12.2014 mitgeteilt, dass die Ausführung der Balkonbrüstungen gemäß der (ursprünglichen) Planung alternativlos sei, da Änderungen in der höhenmäßigen Ausrichtung einzelner Brüstungen die Ansicht auf die Fassade zerstören würde. Die Beklagte hatte weiter mitgeteilt, dass Anpassungen zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen Brüstungshöhe vielmehr im Bereich des Fußbodenaufbaus vorzunehmen seien und/oder die Möglichkeiten der Baurechtsauslegung ausgeschöpft werden müssten.
(2) Ferner stellt die von der Beklagten monierte Durchdringung der Regenwasserablaufrinnen durch die Befestigungsanker für die Balkonbrüstungen keinen Mangel der Leistungen der („Firma 01“) dar. Vielmehr ist diese Problematik ausweislich des Ergebnisprotokolls der Besprechung vom 10.03.2015 dahingehend geklärt worden, dass die („Firma 01“) mitteilt, bis zu welcher Höhe die Gewindeanker ohne Probleme für die damit befestigten Balkonbrüstungen eingekürzt werden können. Anhaltspunkte dafür, dass die Gewindeanker weiter hätten eingekürzt werden können oder müssen, als von der („Firma 01“) vorgegeben und in der Folgezeit - von ihr selbst oder einem Dritten - ausgeführt, sind weder dargetan noch sonst ersichtlich. Die sich im Bereich der Ablaufrinnen zeigenden Probleme beruhen damit jedenfalls nicht auf einer mangelhaften Leistung der („Firma 01“).
cc) Angesichts des danach jedenfalls über den Betrag von 215.830 € hinausgehenden Vergütungsanspruchs der („Firma 01“) kann mithin dahinstehen, ob die („Firma 01“) am 08.03.2017 auch für die 16 Brüstungsgeländer eine Vergütung beanspruchen konnte.
Die insoweit maßgeblichen Fragen, ob die Leistungen der („Firma 01“) bereits am 07.04.2015 fertiggestellt waren und im Zeitpunkt der Demontage der 16 Brüstungsgeländer am 24.04.2015 die Vergütungsgefahr gemäß § 644 Abs. 1 Satz 1 BGB bereits auf die Beklagte zu 1 übergegangen war, weil entweder eine Abnahmefiktion – etwa gemäß § 640 Abs. 1 Satz 3 BGB a.F. – greift, die Beklagte zu 1 sich angesichts des mit E-Mail der („Firma 01“) vom 09.04.2015 geäußerten Abnahmeverlangens am 24.04.2015 mit der Abnahme der Leistungen im Verzug befand (§ 644 Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m. § 12 Abs. 1 VOB/B) oder sich jedenfalls nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht auf den fehlenden Gefahrübergang berufen darf, bedürfen deshalb keiner Entscheidung.
c) Der Vergütungsanspruch der („Firma 01“) war am 08.03.2017 schließlich auch fällig.
aa) Einer Abnahme als Fälligkeitsvoraussetzung bedurfte es nicht, da spätestens mit der - noch nach der Kündigung des Bauvertrags durch die Beklagte - erfolgten Schlussrechnungslegung durch den Insolvenzverwalter der („Firma 01“) endgültig feststand, dass in dem in Rede stehende Werkvertragsverhältnis keine Leistungen der („Firma 01“) mehr erbracht werden sollten, sondern dieses lediglich noch abgerechnet werden sollte und damit ein sog. Abrechnungsverhältnis entstanden war.
bb) Die Schlussrechnung vom 01.02.2016 war – anders als die Beklagte meint – in Ansehung der ihr zum Beleg der abgerechneten Mengen und Massen beigefügten tabellarischen Übersicht über die ausgeführten Balkone einerseits und der der Beklagten bereits vor Baubeginn übersandten Revisionsplanung mit detaillierten Maßangaben zu den verschiedenen Balkontypen andererseits auch prüffähig.
d) Schließlich bedarf auch die Frage keiner Entscheidung, ob der Beklagten Gegenrechte in Gestalt von Schadensersatzansprüchen zustanden, da solche – wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat – nicht vom Sicherungszweck der Vorauszahlungsbürgschaft erfasst sind und deshalb deren Inanspruchnahme nicht zu rechtfertigen vermögen.
III. Soweit die Bürgin der Beklagten am 08.03.2017 neben dem Bürgschaftsbetrag auch Zinsen in Höhe weiterer 7.723,03 € ausgezahlt hat, ist die Leistung dagegen mit rechtlichem Grund im Sinne von § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt BGB erfolgt.
Der Beklagten stand einen Anspruch auf Zahlung der Prozesszinsen in dieser Höhe aus § 291 BGB gegenüber der Bürgin zu, nachdem diese die von ihr nach dem rechtskräftigen Urteil des Oberlandesgerichts Celle geschuldete Zahlung aus der Bürgschaft auf erstes Anfordern in Höhe von 100.000 € nicht unmittelbar nach der entsprechenden Aufforderung der Beklagten, sondern erst nach Durchführung des gerichtlichen Verfahrens geleistet hat.
Aus § 819 Abs. 1 BGB folgt entgegen der mit nachgelassenem Schriftsatz vom 13.10.2023 dargelegten Auffassung der Klägerin nicht anderes, da die von dieser Regelung vorgesehene verschärfte Haftung nur im Fall des rechtsgrundlosen Empfangs einer Leistung zur Anwendung kommt.
IV. Der Zinsanspruch der Klägerin hinsichtlich der 100.000 € beruht auf § 291 BGB, da es an einer vorgerichtlichen Inverzugsetzung der Beklagten nach erstmaliger Geltendmachung des Rückforderungsbetrages mit Schreiben vom 03.09.2018 fehlte.
Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte den Mangel des rechtlichen Grundes bereits bei Empfang des Geldes am 08.03.2017 positiv kannte und deshalb die Voraussetzungen des § 819 Abs. 1 BGB vorliegen, hat die Klägerin nicht dargetan (siehe dazu auch nachfolgend unter B.).
B. Das Rechtsmittel der Klägerin bleibt ohne Erfolg.
I. Das als Berufung bezeichnete Rechtsmittel der Klägerin ist nur insoweit statthaft, als mit ihm erkennbar zugleich die Erklärung verbunden ist, zumindest eine Anschlussberufung einlegen zu wollen.
1. Das eigenständige Rechtsmittel der Berufung ist nicht statthaft, da es der Klägerin an der notwendigen Beschwer fehlt, nachdem das Landgericht ihrem Klageantrag vollumfänglich stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von 107.723,03 € verurteilt hat.
Für die Bestimmung der Beschwer ist nämlich regelmäßig und so auch hier allein darauf abzustellen, ob die angegriffene Entscheidung zum Nachteil des Rechtsmittelführers von den von ihm gestellten Anträgen abweicht (BGH, Urteil vom 20.07.1999 – X ZR 175/98 –, Rn. 9, juris). Dies ist erkennbar nicht der Fall.
Der Umstand, dass das Landgericht hier nur einen Anspruch der Klägerin aus § 812 BGB und nicht auch einen solchen aus § 826 BGB bejaht hat, vermag demgegenüber keine Beschwer zu begründen. Eine solche kann nämlich nicht allein daraus abgeleitet werden, dass die Entscheidung unerwünschte oder fehlerhafte Ausführungen enthält, sich als greifbar gesetzwidrig darstellt oder mit einer anderen als der gewünschten Begründung ergeht (BeckOK ZPO/Wulf, 49. Ed. 1.7.2023, ZPO § 511 Rn. 12).
Eine Beschwer ist schließlich auch nicht wegen eines vermeintlichen Präjudizes für das von der Klägerin betriebene Parallelverfahren 4 U 96/22 ersichtlich, da in jenem - wegen der im vorliegenden Verfahren streitgegenständlichen Forderung von 107.723,03 € nur gegen die Geschäftsführerin der Beklagten und den bei ihr angestellten Bauleiter gerichteten - Verfahren das Bestehen der dort jeweils geltend gemachten Ansprüche allein aufgrund des dort vorgetragenen Lebenssachverhalts geprüft wird.
2. Das Rechtsmittel der Klägerin ist indes als Anschlussberufung nach § 524 Abs. 1 ZPO statthaft, da diese keine eigene Beschwer voraussetzt (Musielak/Voit/Ball, 20. Aufl. 2023, ZPO § 524 Rn. 10). Die Anschlussberufung ist zudem innerhalb der für den Beklagten laufenden Berufungsfrist und damit zugleich innerhalb der von § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO bestimmten Frist eingegangen. Es ist der Klägerin im Rahmen der Anschlussberufung ferner möglich, ihre erstmals mit der Berufung gestellten Feststellungsanträge geltend zu machen (vgl. BGH, Urteil vom 07.12.2007 – V ZR 210/06 –, Rn. 13 m.w.N, juris).
3. Die mit der Anschlussberufung verbundene Erweiterung der klägerischen Anträge um den Antrag, festzustellen, dass sich der vom Landgericht Potsdam festgestellte (Rückzahlungs-)Anspruch auch aus einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB sowie aus § 823 BGB i.V.m. § 263 StGB ergibt, und die damit einhergehende Klageänderung ist zulässig, da der behauptete Anspruch aus unerlaubter Handlung auf dieselben Tatsachen gestützt wird, wie der Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung, § 533 Nr. 2 ZPO.
4. Auch der Feststellungsantrag selbst begegnet keinen Bedenken.
Die Antragstellung der Klägerin ist - ungeachtet der Aufgliederung in zwei Ziffern - einheitlich dahin auszulegen, dass die Klägerin die Feststellung begehrt, dass ihre Forderung gegen die Beklagte aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung resultiert.
Bei der begehrten Feststellung handelt es sich um ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 ZPO (BGH, Urteil vom 21.12.2021 – VI ZR 457/20 –, Rn. 8 m.w.N, juris).
Das Feststellungsinteresse der Klägerin folgt aus dem in § 393 BGB normierten Verbot, gegen eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung aufzurechnen, und ihrem berechtigten Interesse, diesen Forderungsgrund ergänzend bereits im Erkenntnisverfahren feststellen zu lassen. § 393 BGB gilt zudem – anders als § 302 InsO – auch für eine juristische Person, die für die vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung eines verfassungsmäßig berufenen, in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen tätig werdenden Vertreters nach § 31 BGB haftet (BGH, Urteil vom 21.12.2021, aaO, Rn. 10 m.w.N, juris).
II. Die Anschlussberufung ist indes unbegründet. Die Klägerin hat weder einen Anspruch wegen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung nach § 826 BGB gegen die Beklagte, die sich entsprechende Handlungen ihrer Geschäftsführerin nach § 31 BGB zurechnen lassen muss (dazu unter 1.), noch einen Anspruch nach § 823 Abs. 1 BGB i.Vm. § 263 StGB (dazu unter 2.) und damit auch keinen Anspruch auf die Feststellung, ihr unter A. dargelegter Zahlungsanspruch beruhe (auch) auf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung.
1. Gemäß § 826 BGB ist derjenige, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, diesem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.
a) Das hier in Rede stehende Erschleichen wie auch der Missbrauch eines rechtskräftigen Titels stellen eine wichtige Fallgruppe der sittenwidrigen Schädigung dar und vermögen – in besonders schwerwiegenden, eng begrenzten Ausnahmefällen – einen Anspruch auf Schadensersatz zu begründen, namentlich dann, wenn (1.) der in Rede stehende Titel (objektiv) unrichtig ist, (2.) der Titelgläubiger dies weiß und (3.) besondere, verwerfliche Umstände hinzutreten (BeckOGK/Spindler, 1.5.2023, BGB § 826 Rn. 145). Letztere liegen etwa vor, wenn die klagende Partei das staatliche Verfahren zur Schädigung der Gegenpartei oder Dritter missbraucht, etwa indem sie – wie im Falle des Prozessbetrugs oder des Erschleichens gerichtlicher Handlungen – das Verfahren mit unlauteren Mitteln betreibt, welche die Art und Weise der Prozesseinleitung oder -durchführung als sittenwidrig prägen (vgl. BGH, Urteil vom 25.03.2003 – VI ZR 175/02 , BGHZ 154, 269-275, Rn. 17.ff, juris – unter ausführlicher Herleitung der insoweit maßgeblichen Überlegungen für den strengen Ausnahmecharakter).
b) Daran gemessen ist ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten bei Betreiben des Rechtsstreits zur Inanspruchnahme der Bürgin aus der Vorauszahlungsbürgschaft nicht festzustellen.
aa) Der von der Beklagten in dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Celle erwirkte Titel gegen die Bürgin ist zwar objektiv unrichtig, da ihr aus den oben unter A. dargelegten Gründen ein Anspruch auf Rückzahlung ihrer an die („Firma 01“) geleisteten Vorauszahlung von 100.000 € spätestens seit dem Zugang der Schlussrechnung vom 01.02.2016 nicht zustand.
Die Beklagte kannte auch alle Umstände, die dazu führten, dass die von der („Firma 01“) erbrachten und damit zu vergütenden Leistungen in ihrem Wert die beklagtenseits geleisteten Abschlags- und Vorauszahlungen in Höhe von 215.830 € überstiegen, und damit einer Berechtigung ihres Klagebegehrens entgegen standen.
Zweifelhaft erscheint indes schon, ob sie daraus auch den Schluss gezogen hat, nicht zur Forderung der 100.000 € berechtigt gewesen zu sein.
bb) Jedenfalls sind keine besonderen Umstände zu erkennen, die sich aus der Art und Weise der damaligen Prozesseinleitung und -führung durch die Beklagte ergeben und diese als sittenwidrig prägen könnten.
aaa) Nichts anderes folgt aus dem klägerischen Vorwurf, die Beklagte hätte im Bürgschaftsprozess wider besseren Wissens unwahr zum Leistungsstand vorgetragen – namentlich wahrheitswidrig eine nicht vollständige und nicht mangelfreie Leistungserbringung der („Firma 01“) behauptet – und auf diese Weise das Gericht getäuscht, um unter Ausnutzung der bei der Inanspruchnahme einer Bürgschaft auf erstes Anfordern bestehenden Prozesserleichterungen (vgl. zu diesen Erleichterungen die ständige Rechtsprechung des BGH, wonach eine materielle Berechtigung zur Inanspruchnahme der Bürgschaft auf erstes Anfordern grundsätzlich im etwaigen Rückforderungsprozess zu klären ist und im Prozess auf Auszahlung deshalb nicht dargelegt und bewiesen werden muss, wenn nicht Anhaltspunkte für eine unzulässige Rechtsausübung bestehen, bereits BGH, Urteil vom 21.04.1988 – IX ZR 113/87 –, Rn. 16, juris) die an die („Firma 01“) gezahlten 100.000 € zurückzuerhalten und auf diese Weise ihr eigenes Profitstreben zu verwirklichen.
bbb) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist aus dem Prozessverhalten der Beklagten weder der zwingende Schluss zu ziehen, diese habe den Bürgschaftsprozess mit dem Bewusstsein oder gar dem Ziel betrieben, die Bürgin (oder die („Firma 01“) und die Klägerin, welche dieser gegenüber hafteten) zu schädigen oder sich auf deren Kosten widerrechtlich zu bereichern, noch sind Anhaltspunkte ersichtlich, welche die Prozesseinleitung und -führung als verwerflich erscheinen lassen.
(1) Dabei verkennt der Senat nicht, dass das Verhalten der Beklagten aus Sicht der Klägerin Anhaltspunkte für deren Auffassung bieten kann, die Beklagte habe den Bürgschaftsfall mit wissentlich falschen Behauptungen zum Stand der von der („Firma 01“) erbrachten Leistungen wie auch dem daraus resultierenden Bestand von gegen den Werklohnanspruch gerichteten Rechten konstruiert und sei zu diesem Zweck den Abnahmeterminen am 02.04.2015 und 14.04.2015 ferngeblieben.
(2) Die klägerische Auffassung lässt jedoch den - für die Bewertung einer Sittenwidrigkeit ihres Verhaltens maßgeblichen - Blickwinkel der Beklagten auf das Gesehen im April 2015 und danach außer Acht.
So stand - unstreitig - einer Abnahme der Leistungen der („Firma 01“) am 02.04.2015 bereits entgegen, dass deren Leistungen zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig erbracht waren; auch die Klägerin behauptet eine Fertigstellung erst für den 07.04.2015. Hinsichtlich der Abnahme am 14.04.2015 handelte es sich um einen bloßen Terminvorschlag der („Firma 01“), nicht jedoch um einen gemeinsam vereinbarten oder von der Beklagten im weiteren Verlauf bestätigten Termin.
Für die Beklagte hatte sich die Situation im Weiteren so dargestellt, dass es sich bei der Demontage der Brüstungsgeländer um eine Reaktion der („Firma 01“) auf ihr Schreiben vom 24.04.2015 handelte, mit dem sie im Hinblick auf eine von ihr vorgelegte Gegenrechnung über u.a. Kosten für die unstreitig eingetretene Bauverzögerung eine Überzahlung der Klägerin behauptet und die Inanspruchnahme der Bürgschaft angekündigt hatte. Diese Demontage hatte die („Firma 01“) unstreitig weder angekündigt noch sich auf das ihren Mitarbeitern gegenüber erteilte Hausverbot zu den Hintergründen geäußert. Im Ergebnis konnte aus Sicht der Beklagten die von der („Firma 01“) erbrachte Werkleistung nicht (mehr) als vollständig erbracht gelten.
Eine Verwerflichkeit des Beklagtenvorgehens im Vorprozess folgt auch nicht aus dem Umstand, dass die Beklagte dem mit der Schlussrechnung vom 01.02.2016 dargestellten Vergütungsanspruch der („Firma 01“) nicht lediglich das Fehlen der 16 Brüstungsgeländer entgegen gehalten hat. Denn ihre darüber hinausgehenden Einwendungen waren keinesfalls fingiert, sondern hatten – wenn auch im Ergebnis der obigen Ausführungen zu Unrecht – die ihr selbst von der Bauherrin in Bezug auf die Loggien entgegen gehaltenen Mängel zum Gegenstand. Dies betrifft sowohl die bloße Sicherung der 16 von der Demontage der Brüstungsgeländer betroffenen Loggien mittels Holzbohlen, aus der die Bauherrin eine fehlende Nutzbarkeit der Loggien ableitete, als auch die Mängelbehauptungen hinsichtlich der Brüstungshöhe und der Durchdringung der Regenwasserablaufrinnen durch die von der („Firma 01“) montierten Befestigungsanker für die Balkonbrüstungen.
Eine Täuschungsabsicht insoweit kann auch nicht im Hinblick darauf angenommen werden, dass die hinsichtlich der Brüstungshöhen und der Regenwasserablaufrinnen behauptete Mangelhaftigkeit der von der („Firma 01“) erbrachten Leistung bereits angesichts der hierzu jeweils getroffenen und mittels E-Mails aus Ende Dezember 2014 sowie dem Besprechungsprotokoll vom 10.03.2015 belegten Absprachen ausscheiden musste. Denn jedenfalls ist nicht auszuschließen, dass die Beklagte schlicht den Überblick über die getroffenen Absprachen verloren hatte, weil sie sich – wie die Klägerin selbst wiederholt erklärt hat – mit der Betreuung des umfangreichen Bauvorhabens übernommen hatte.
(3) Hinsichtlich der Einwendungen im Übrigen – d.h. der behaupteten Schadensersatzansprüche wegen Bauzeitverzögerungen etc. – scheidet ein bewusst unwahrer Vortrag der Beklagten im Vorprozess zudem schon deshalb aus, weil ihre letztlich auf einer Verkennung der Reichweite des Sicherungszwecks der Vorauszahlungsbürgschaft beruhende (Fehl-)Vorstellung, ihr Recht dem durch die Schlussrechnung ausgewiesenen Vergütungsanspruch auch nicht mängelbezogene Einwendungen entgegen halten zu können, wirke sich auch auf ihren Anspruch aus der Vorauszahlungsbürgschaft aus, nicht von vornherein als gänzlich abwegig und damit gleichsam aus der Luft gegriffen erscheint. Eine vertiefte inhaltliche Prüfung war der hiesigen Beklagten insoweit nicht abzuverlangen, da ein Kläger grundsätzlich nicht verpflichtet ist, vor Klageerhebung sorgfältig in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht die sachliche Berechtigung seines Begehrens zu prüfen oder gar seine Interessen gegen die des jeweiligen Beklagten abzuwägen (BGH, Urteil vom 25.03.2003 – VI ZR 175/02 –, BGHZ 154, 269-275, Rn. 19).
Hinzu tritt, dass die Verteidigung gegen den im Vorprozess von der Bürgin erhobenen Missbrauchseinwand offenbar auch insoweit auf anwaltlichen Rat und damit dem Ergebnis einer rechtlichen Prüfung erfolgte.
Anhaltspunkte dafür, dass die der Gegenrechnung der Beklagten zugrunde gelegten (Schadensersatz-)Positionen schon dem Grunde nach unter keinem Gesichtspunkt bestehen konnten und demzufolge allein mit der als verwerflich einzustufenden Absicht einer Schädigung der Bürgin konstruiert worden sein können, hat die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klägerin auch im Ergebnis der hierzu erfolgten Erörterung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht vortragen.
(4) Der Annahme eines bewusst unwahren Vortrags mit dem Ziel der Schädigung der Bürgin zugunsten des eigenen Profitstrebens der Beklagten steht schließlich auch der Umstand entgegen, dass der Beklagten - wie bereits ihre rechtlichen Ausführungen in der Berufung vor dem Oberlandesgericht Celle verdeutlichen – die rechtliche Situation wohl bewusst war, nach der die im Vorprozess zu ihren Gunsten bestehenden prozessualen Erleichterungen im zu erwartenden Rückforderungsprozess gerade nicht greifen würden. Ihr war damit auch erkennbar klar, dass mit dem Urteil des Oberlandesgerichts Celle keine endgültige Entscheidung hinsichtlich des Verbleibs der in Rede stehenden 100.000 € verbunden sein würde und deshalb unwahrer Vortrag ihr keinen dauerhaften Vorteil oder „Profit“ verschaffen können würde.
2. Für einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB fehlt es danach jedenfalls an einer vorsätzlichen Täuschung des Gerichts über den Umfang der Gegenrechte, welche die Beklagten dem Vergütungsanspruch der („Firma 01“) entgegen halten kann.
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
D. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
E. Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorliegen.
III.
Der Streitwert wird auf Grundlage von § 3 ZPO i.V.m. § 47 GKG für das Berufungsverfahren auf die Wertstufe bis 110.000 € festgesetzt.