Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 11. Senat | Entscheidungsdatum | 15.11.2024 | |
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Aktenzeichen | OVG 11 N 19/22 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2024:1115.OVG11N19.22.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 113 Abs 1 Satz 4 VwGO , § 124a Abs 4 Satz 4 VwGO, § 11 AufenthG |
Das Rechtsschutzbedürfnis für das Berufungszulassungsverfahren entfällt, wenn der Antragsteller nach Erledigung des streitbefangenen Verwaltungsaktes die ursprüngliche Klage im Berufungsverfahren nicht in eine zulässige Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO überleiten kann, weil ihm das hierfür erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse fehlt. Das Fortsetzungsfeststellungsinteresse ist auch bei Erledigung des Verwaltungsaktes nach Ablauf der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO im Rahmen der Zulässigkeit des Antrags auf Zulassung der Berufung von Amts wegen zu prüfen.
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 7. März 2022 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 5.000,00 € festgesetzt.
I.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage des Klägers gegen die mit Bescheid des Landesamtes für Einwanderung vom 10. Dezember 2020 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 14. September 2021 verfügte Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf drei Jahre zurückgewiesen. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass der Beklagte seine Entscheidung, die Sperrfrist zu verlängern, rechtsfehlerfrei mit nach der Abschiebung des Klägers bekannt gewordenen Erkenntnissen des Landeskriminalamtes (LKA) über die fortbestehenden Verbindungen des Klägers zu der Gruppierung „M_____" (M_____) unter Bezugnahme auf zwei Lageberichte des LKAs von 2019 und 2022 begründet habe. Aus diesen Erkenntnissen entnehme der Beklagte zutreffend Anhaltspunkte für eine vom Kläger ausgehende, weiterhin bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Entgegen der Auffassung des Klägers sei es unerheblich, ob die Anlasstat, welche der bestandskräftigen Ausweisung zugrunde liege, im Zusammenhang mit seinen Verbindungen zum M_____ stehe. Die auch in der Türkei weiterbestehenden Kontakte zum M_____ begründeten auch ohne einen konkreten Zusammenhang zu einer rechtskräftig verurteilten Straftat eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Der Beklagte habe das von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK geschützte Interesse des Klägers an einer Rückkehr in das Bundesgebiet aufgrund der Vater-Kind-Beziehung zu seinem Sohn hinreichend berücksichtigt und dieses hinter dem öffentlichen Interesse daran, die Sperrfrist für eine Rückkehr des Klägers in das Bundesgebiet zu verlängern, angesichts der erheblichen von ihm ausgehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Abwägung zurücktreten lassen dürfen.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seinem am 7. April 2022 eingelegten Antrag auf Zulassung der Berufung. Die zeitliche Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist am 11. Dezember 2022 abgelaufen.
Am 4. Juli 2023 erhob der Kläger zudem eine Untätigkeits- und Verpflichtungsklage zum Verwaltungsgericht Berlin (Q_____), da sein beim Generalkonsulat N_____ gestellter Antrag auf Erteilung eines Visums nicht positiv beschieden wurde. Über die Klage, deren Abweisung der Beklagte beantragte, ist bisher nicht entschieden worden.
Der Senat hat den Kläger zu seinem Interesse an der Fortführung des Berufungszulassungsverfahrens nach der Erledigung des Einreise- und Aufenthaltsverbots durch Zeitablauf angehört. Der Kläger hat hierzu im Wesentlichen ausgeführt, dass eine Wiederholungsgefahr bestünde, weil der Beklagte das Einreise- und Aufenthaltsverbot in seiner Wirkung weiter stütze und fördere und mit Rückgriff in die tiefe Vergangenheit der Wiedereinreise des Klägers Bedenken entgegenstelle, die auf alten Umständen fußten, die schon Gegenstand der Überlegungen im Ausweisung- und Befristungsverfahren waren. Im Übrigen könne der Kläger ein Rehabilitationsinteresse geltend machen, weil dem Beklagten durch ein Fernhalten des Klägers aus dem Bundesgebiet ein fortdauernder schwerwiegender Eingriff in die geschützten familiären Belange des Klägers und seines Kindes vorzuhalten sei. Das obstruktive Verhalten des Beklagten verletze das Kindeswohl.
II.
Der am 7. April 2022 fristgemäß gestellte Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung nach §§ 124, 124a VwGO bleibt ohne Erfolg.
Dem Kläger fehlt es, nachdem sich das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit Ablauf seiner Befristung am 11. Dezember 2022 gemäß § 43 Abs. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) in Verbindung mit § 1 Abs. 1 des Gesetzes über das Verfahren der Berliner Verwaltung durch Zeitablauf erledigt hat, an dem für die Fortführung des Berufungszulassungsverfahrens erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis. Ein Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn die Klage für den Kläger offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann. Die Nutzlosigkeit muss eindeutig sein. Im Zweifel ist das Rechtsschutzinteresse zu bejahen (st. Rspr., vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2008 – 3 C 26.07 – juris Rn. 14). Diese Maßstäbe gelten auch im Berufungszulassungsverfahren (1.). Ausgehend hiervon fehlt dem Kläger das Rechtsschutzbedürfnis für die Fortführung des Zulassungsverfahrens, weil er offensichtlich nicht das gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erforderliche berechtigte Interesse (Fortsetzungsfeststellungsinteresse) für eine Feststellung der Rechtswidrigkeit des Einreise- und Aufenthaltsverbots im Berufungsverfahren hat (2.).
1. Grundsätzlich darf ein durch eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts beschwerter Beteiligter ein Berufungszulassungsverfahren auch allein zu dem Zweck fortführen, im Berufungsverfahren die prozessualen Folgerungen aus der inzwischen eingetretenen Erledigung der Hauptsache durch Umstellung auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage zu ziehen (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 18. Juli 2016 – 11 ZB 16.299 – juris Rn. 14; BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 2021 – 2 B 73/20 – juris Rn. 9 m.w.N. für die Erledigung im Revisionszulassungsverfahren; siehe auch Riese: in: Schoch/Schneider, VerwR, 45. EL 2024, VwGO § 113 Rn. 106). Das Rechtsschutzbedürfnis für das Zulassungsverfahren entfällt jedoch dann, wenn der Antragsteller die ursprüngliche Klage im Berufungsverfahren nicht in eine zulässige Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO überleiten kann, weil ihm das hierfür erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse fehlt (vgl. BVerwG, a.a.O., juris Rn. 8, 10 für die Revisionszulassung; Bayerischer VGH, Beschluss vom 24. Januar 2024 – 8 ZB 22.2082 – juris Rn. 6, 7; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 14. September 2016 – 2 L 53/15 – juris Rn. 4 m.w.N.; a.A. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25. September 2024 – 6 A 1575/22 – juris Rn. 25: die Möglichkeit der Klageumstellung sei eine Frage der Begründetheit des Zulassungsantrags).
Die obergerichtliche Rechtsprechung fordert bei Eintritt des erledigenden Ereignisses vor dem Ablauf der Frist für die Begründung des Zulassungsantrags überwiegend, dass auch das Fortsetzungsfeststellungsinteresse binnen der Frist des § 124 Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt werden müsse (Bayerischer VGH, Beschluss vom 18. Juli 2016 – 11 ZB 16.299 – juris Rn. 15; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 7. Januar 1998 – 7 S 3117/97 juris Rn. 5; so auch BVerwG, Beschluss vom 21. August 1995 – 8 B 43/95 – juris Rn. 1 für die Revisionszulassung und Riese, in: Schoch/Schneider, VerwR, 45. EL 2024, VwGO § 113 Rn. 106). Bei Eintritt der Erledigung nach Ablauf der Begründungsfrist – wie im vorliegenden Fall – könne und müsse das Fortsetzungsfeststellungsinteresse nach überwiegender Ansicht hingegen ohne Fristbindung dargelegt werden (Hessischer VGH, a.a.O., juris Rn. 16; Bayerischer VGH, Beschluss vom 24. Oktober 2011 – 8 ZB 10.957 – juris Rn. 12; OVG Mecklenburg-Vorpommern, a.a.O., juris Rn. 5; offengelassen in OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12. Mai 2009 – 11 N 83.05 – EA S. 8). Zum Teil wird aber auch vertreten, dass bei einer Erledigung nach Ablauf der Begründungsfrist nur der Sach- und Streitstand bei Ablauf der Begründungsfrist für das Zulassungsverfahren maßgeblich sei und über die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage im Berufungsverfahren entschieden werden müsse, wenn diese nach § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO zuzulassen war (Riese, in: Schoch/Schneider, VerwR, 45. EL 2024, VwGO § 113 Rn. 106).
Nach Auffassung des Senats ist ein (fehlendes) Fortsetzungsfeststellungsinteresse auch bei Erledigung des streitbefangenen Verwaltungsaktes nach Ablauf der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO im Rahmen der Zulässigkeit des Antrags auf Zulassung der Berufung zu prüfen. Da es sich beim Rechtsschutzbedürfnis um eine allgemeine Sachurteilsvoraussetzung handelt, ist sein Vorliegen in jedem Stadium des Zulassungsverfahrens von Amts wegen zu prüfen. Das Gericht darf grundsätzlich nur nach einer positiven Entscheidung über die Zulässigkeit einer Klage eine Sachentscheidung treffen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. Dezember 2018 – 6 B 133718 – juris Rn. 21 m.w.N.; Kopp/Schenke, VwGO, 29. Aufl., Vorb § 40 Rn. 10 f., 17). Auf die im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO fristgemäße Darlegung durch den Antragsteller kann es im vorliegenden Fall insoweit nicht ankommen, da er vor der Erledigung des Verwaltungsakts keine Veranlassung hatte, zum Fortbestand des Rechtsschutzbedürfnisses vorzutragen, und auch die erstinstanzliche Entscheidung insoweit nicht mit Gründen des § 124 Abs. 2 VwGO belastet sein konnte.
2. Im vorliegenden Fall ist das danach erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse des Klägers gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO an der gerichtlichen Feststellung der Rechtswidrigkeit des Einreise- und Aufenthaltsverbots weder dargelegt noch sonst ersichtlich, so dass auch das Rechtsschutzbedürfnis für das Zulassungsverfahren eindeutig nicht mehr gegeben ist. Im Einzelnen:
Das Fortsetzungsfeststellungsinteresse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Natur sein. Es ist typischerweise in den von der Rechtsprechung anerkannten Fallgruppen der Wiederholungsgefahr, des Rehabilitationsinteresses sowie der Absicht zum Führen eines Schadensersatzprozesses gegeben, kann aber auch aus anderen besonderen Umständen des Einzelfalls hergeleitet werden, sofern die gerichtliche Entscheidung geeignet ist, die klägerische Position in rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Hinsicht zu verbessern. Daneben kann das Fortsetzungsfeststellungsinteresse in bestimmten Fällen sich kurzfristig erledigender Maßnahme vorliegen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. November 2023 – 6 C 2/22 – juris Rn. 6 m.w.N. und Urteil vom 24. April 2024 – 6 C 2/22 – juris Rn. 16; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. Februar 2024 – 11 B 11/20 – juris Rn. 16). Das ist im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung nicht der Fall. Es besteht weder eine konkrete Wiederholungsgefahr (a.), noch ist ein Rehabilitationsinteresse des Klägers anzunehmen (b.). Bei der Verlängerung des Einreise- und Aufenthaltsverbots handelt es sich schließlich auch nicht um eine Maßnahme, die tief in die Grundrechte des Klägers eingreift und sich typischerweise so schnell erledigt, dass der Kläger ohne die Anerkennung eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses rechtsschutzlos gestellt wäre (c.).
a. Der Kläger hat kein qualifiziertes Rechtsschutzinteresse aufgrund einer Wiederholungsgefahr. Unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr ist ein Feststellungsinteresse im Hinblick auf die Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsakts nur dann zu bejahen, wenn die konkrete oder hinreichend bestimmte Gefahr besteht, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen ein gleichartiger Verwaltungsakt ergehen wird (stRspr, vgl. zuletzt BVerwG, Urteile vom 24. April 2024 – 6 C 2/22 – juris Rn. 17 und vom 26. April 2023 – 6 C 8/21 – juris Rn. 20 m.w.N.). Dem zukünftigen behördlichen Vorgehen müssen allerdings nicht in allen Einzelheiten die gleichen Umstände zugrunde liegen. Für das Feststellungsinteresse ist entscheidend, ob die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen künftigen Verwaltungshandelns unter Anwendung der dafür maßgeblichen Rechtsvorschriften geklärt werden können. Ist hingegen ungewiss, ob in Zukunft noch einmal die gleichen tatsächlichen Verhältnisse eintreten wie im Zeitpunkt des Erlasses des erledigten Verwaltungsaktes, kann das Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht aus einer Wiederholungsgefahr hergeleitet werden (BVerwG, Beschluss vom 23. November 2022 – 6 B 22/22 – juris Rn. 13 m.w.N.).
Gemessen daran besteht hier keine Wiederholungsgefahr.
(1) Eine (erneute) Verlängerung der Befristungsentscheidung ist ausgeschlossen, da die Verlängerung nach dem zeitlichen Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr zulässig ist (vgl. Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, AusländerR, 14. Aufl. 2022, AufenthG § 11 Rn. 82). Es ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass der Beklagte – entgegen dieser Rechtslage – eine Verlängerung angekündigt hat. Ob gegen den Kläger, der bisher noch nicht wieder in das Bundesgebiet eingereist ist, noch einmal eine Rückkehrentscheidung mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot ergehen wird, ist im Übrigen derzeit nicht ansatzweise absehbar.
(2) Aus den Ausführungen des Klägers, dass der Beklagte ihm – gestützt auf das LKA als Informationszuträger – auch weiterhin die Zustimmung zur Einreise verweigere, nachdem er bei dem örtlich zuständigen Generalkonsulat in N_____ ein Visum für einen Daueraufenthalt beantragt und hierzu eine Verpflichtungs- und Untätigkeitsklage erhoben habe, der Beklagte in diesem Klageverfahren an seinen Vorbehalten betreffend die Einreise und den Aufenthalt des Klägers festgehalten, die erforderliche Zustimmung zum Visum nicht erteilt und sogar ausdrücklich die Abweisung der Klage beantragt habe, folgt ebenfalls keine konkrete Wiederholungsgefahr. Zwar meint der Kläger, die von der Beklagtenseite geltend gemachte Trennung zwischen der Befristungsentscheidung und dem Visumsverfahren sei allenfalls „eine künstlich geformte Unterscheidung“. Mit diesem Vortrag legt er aber nicht die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geforderte hinreichend bestimmte Gefahr dar, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen ein „gleichartiger“ Verwaltungsakt ergehen wird (BVerwG, Urteil vom 26. April 2023 – 6 C 8/21 – juris Rn. 20). Eine Entscheidung des Senats zur Rechtswidrigkeit des Einreise- und Aufenthaltsverbots vom 10. Dezember 2020 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 14. September 2021 ist offensichtlich nicht vorgreiflich für die Entscheidung über die Verpflichtungsklage auf Erteilung eines Visums zur Wiedereinreise. Da das Einreise- und Aufenthaltsverbot durch Zeitablauf seine Gültigkeit verloren hat, ist die Titelerteilungssperre nach § 11 Abs. 1 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes (zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 25. Oktober 2024, BGBl I Nr. 390 – AufenthG) entfallen. Der Kläger behauptet auch nicht, der Beklagte halte an dem durch Zeitablauf erloschenen Einreise- und Aufenthaltsverbot fest.
(3) Bei der Festsetzung bzw. Verlängerung einer Frist eines Einreise- und Aufenthaltsverbots und der Erteilung eines Visums handelt es sich auch nicht um gleichartige Bescheide. Die rechtlichen und tatsächlichen Fragen, die in dem gerichtlichen Verfahren zur Befristungsentscheidung entschieden wurden und jene, die in der Verpflichtungsklage betreffend die Erteilung eines Visums beim Verwaltungsgericht Berlin zur Entscheidung anstehen, divergieren voneinander.
Die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Befristungsentscheidung beurteilt sich nach anderen Rechtsvorschriften als der Anspruch des Klägers auf die Visumserteilung. Für die Prüfung der Voraussetzungen für die vom Kläger nunmehr begehrten Aufenthaltserlaubnis spielen die Voraussetzungen des § 11 AufenthG, die Rechtsgrundlage für die verfahrensgegenständliche Verfügung waren, keine Rolle. Soweit sich aus den Ausführungen des Klägers ergibt, dass der Beklagte im Visumsverfahren Umstände geltend mache, die eigentlich in das Befristungsverfahren gehörten, verkennt der Kläger, dass der Beklagte berechtigt und verpflichtet ist, als beigeladene Ausländerbehörde im Visumsverfahren das Vorliegen von Ausweisungsinteressen gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 und § 5 Abs. 4 AufenthG zu prüfen. Diese Ausweisungsinteressen müssen nicht identisch sein mit jenen, die zuvor die Ausweisung des Klägers und das daran anknüpfende Einreise- und Aufenthaltsverbot gerechtfertigt haben. Selbst wenn also der Beklagte im Rahmen der Prüfung der Ausweisungsinteressen die Betätigung des Klägers beim M_____ – wie schon bei der Befristungsentscheidung – erneut würdigen würde, wäre die Frage nach der Rechtmäßigkeit dieser neuerlichen Würdigung nicht zwangsläufig dadurch geklärt, dass über die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots entschieden wird.
Dies folgt bereits daraus, dass im Berufungsverfahren für die Frage der Rechtmäßigkeit der Befristungsentscheidung der Zeitpunkt der Erledigung maßgeblich für die Sach- und Rechtslage und die Gefahrenprognose wäre (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Mai 2023 – 1 C 6/22 – juris Rn. 10 m.w.N.: maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Rechtmäßigkeit des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich die letzte mündliche Verhandlung bzw. Entscheidung des Tatsachengerichts). Der maßgebliche Beurteilungszeitpunkt für die Frage, ob ein Ausweisungsinteresse der Visumserteilung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegensteht, ist hingegen der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Verpflichtungsklage, so dass bei der Entscheidung über das Visum auch nach Erledigung der angefochtenen Fristverlängerung hinzugetretene Erkenntnisse berücksichtigt werden können. Zudem hat sich mittlerweile die Rechtslage geändert, so dass das Fortsetzungsfeststellungsinteresse des Klägers auch aus Rechtsgründen nicht als berechtigt anzusehen wäre (zum Entfallen des Rechtsschutzbedürfnisses bei geänderter Rechtslage vergleiche OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12. Mai 2009 – 11 N 83.05 – EA S. 3 ff.). Wegen der Aufnahme zusätzlicher Ausweisungsinteressen in die Aufzählung des § 54 AufenthG durch Gesetze vom 21. Februar 2024 (BGBl. I, Nr. 24) und 25. Oktober 2024 (BGBl. I, Nr. 332) kann nicht mehr von einer im Wesentlichen gleichen Rechtslage ausgegangen werden: Mit der Aufnahme von § 54 Abs. 1 Nr. 2a AufenthG stellt die Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung im Sinne des § 129 des Strafgesetzbuches nunmehr ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse dar, das im Rahmen der Erteilung eines Visums zu prüfen ist.
b. Der Kläger hat kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse in der Form eines rechtlich erheblichen Rehabilitations- bzw. Rehabilitierungsinteresses. Ein berechtigtes ideelles Interesse an einer Rehabilitierung besteht nur, wenn sich aus der angegriffenen Maßnahme eine Stigmatisierung des Betroffenen ergibt, die geeignet ist, sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen. Diese Stigmatisierung muss Außenwirkung erlangt haben und noch in der Gegenwart andauern (BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 – 8 C 14/12 – juris Rn. 25). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Zwar könnte in der Feststellung der objektiven Gefährlichkeit des Klägers für die öffentliche Sicherheit und Ordnung durchaus eine Stigmatisierung zu erkennen sein, obwohl die Aussage noch kein ethisches Unwerturteil enthält. Diese Schwelle wird erst mit dem konkreten, personenbezogenen Vorwurf eines schuldhaften-kriminellen Verhaltens überschritten (BVerwG, a.a.O.), welchen die Behörde in der Begründung zur Verlängerung gerade nicht gemacht hat. Es fehlt aber jedenfalls an der erforderlichen Außenwirkung einer etwaigen Stigmatisierung, d.h. an der Beeinträchtigung des öffentlichen Ansehens durch einen persönlichen Vorwurf. Die Verlängerung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, insbesondere seine Begründung, ist nur dem Kläger und seinem Prozessbevollmächtigten bekannt gegeben worden. Eine Bekanntmachung gegenüber Dritten ist weder substantiiert vorgetragen worden noch aus den Akten zu ersehen. Auch ungünstige Nachwirkungen im künftigen Leben, die sich aus der Verlängerung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auch für den Zeitraum nach Ablauf der Befristung ergeben, sind hier nicht erkennbar, und eine Rehabilitierung auch insoweit nicht erforderlich.
Soweit sich der Kläger im Zusammenhang mit dem behaupteten Rehabilitationsinteresse auf einen fortdauernden schwerwiegenden Eingriff in seine durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG geschützten familiären Belange und die seines Kindes bezieht und eine Verletzung des Kindeswohls geltend macht; ist nicht erkennbar, dass die behauptete Rechtsverletzung weiterhin andauernd das öffentliche Ansehen des Klägers oder seines Kindes beeinträchtigen könnte und inwieweit die geltend gemachten familiären Belange im Zusammenhang mit seinem sozialen Achtungsanspruch stehen.
c. Dem Kläger kommt auch kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt zu, dass sich das Einreise- und Aufenthaltsverbot erledigte, bevor er auch in zweiter Instanz Rechtsschutz in der Hauptsache erlangen konnte.
Die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Hinblick auf Art. 14 Abs. 4 Satz 1 GG grundsätzlich anerkannte Fallgruppe betrifft solche Verwaltungsakte, die sich typischerweise so kurzfristig erledigen, dass sie ohne die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses regelmäßig keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnten. Maßgebend ist dabei, dass sich die kurzfristige, eine Anfechtung- oder Verpflichtungsklage ausschließende Erledigung aus der Eigenart des Verwaltungsakts selbst ergibt (BVerwG, Urteil vom 24. April 2024 – 6 C 2/22 – juris Rn. 21 m.w.N.). Darüber hinaus setzt das berechtigte Feststellungsinteresse im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO voraus, dass die erledigte Maßnahme zu einem qualifizierten (tiefgreifenden, gewichtigen bzw. schwerwiegenden) Grundrechtseingriff geführt hat (siehe die ausführliche Begründung dieser weiteren Voraussetzung in BVerwG, a.a.O., juris Rn. 23 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. Februar 2024 – 11 B 11/20 – juris Rn. 28).
Die Voraussetzungen dieser Fallgruppe sind nicht gegeben, denn die Verlängerung des Einreise- und Aufenthaltsverbots um zwei Jahre ist keine Maßnahme, die sich typischerweise sehr kurzfristig erledigt. Vielmehr war es dem Kläger auch tatsächlich möglich, die Rechtmäßigkeit der Maßnahme vor dem Verwaltungsgericht Berlin überprüfen zu lassen und eine Entscheidung in der Hauptsache zu erwirken. Dass er vor Eintritt der Erledigung nicht mehr den gesamten Instanzenzug erschöpfen konnte, ist insoweit unerheblich. Schließlich gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG – selbst bei tiefgreifenden Eingriffen in Grundrechte – keinen vollständigen Instanzenzug (BVerwG, Urteil vom 15. Juni 2023 – 1 CN 1/22 – juris Rn. 20 m.w.N.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).