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Entscheidung 12 U 78/24


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 12. Zivilsenat Entscheidungsdatum 13.11.2024
Aktenzeichen 12 U 78/24 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2024:1113.12U78.24.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das am 12.06.2024 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Neuruppin, Aktenzeichen 3 O 142/22, wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 40.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 12.06.2024, Aktenzeichen 3 O 142/22, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

Wegen des Sach- und Streitstandes, die gestellten Anträge und zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats im Beschluss vom 08.10.2024 Bezug genommen. Die Beklagte hat sich in ihrer Berufungserwiderung die Ausführungen des Senates zu eigen gemacht.

Die Stellungnahme des Klägers mit Schriftsatz vom 05.11.2024 gibt auch nach erneuter Beratung keinen Anlass für eine andere Bewertung. Der Senat geht in seiner Haftungsabwägung auch ohne Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises davon aus, dass die Beklagte bei der vorliegenden Unfallkonstellation gegen § 9 Abs. 1 StVO verstoßen hat, weil sie ihrer doppelten Rückschaupflicht nicht nachgekommen ist. Soweit der Senat die Anwendbarkeit der Beweiserleichterung zu Gunsten des Klägers in Abrede gestellt hat, bezog sich dies allein auf etwaige weitere Verstöße der Beklagten im Rahmen des § 9 Abs. 1 StVO wie das Gebot sich mittig einzuordnen und insbesondere rechtzeitig den linken Fahrtrichtungsanzeiger zu setzen. Bzgl. dieser Aspekte fehlt es - unabhängig von dem bereits widersprüchlichen Vortrag des Klägers zum Unfallablauf - im vorliegenden Fall an der für die Annahme eines Anscheinsbeweises erforderlichen Typizität, wie bereits umfassend dargelegt wurde. Letztlich stützt sich die Stellungnahme des Klägers insoweit auch allein auf die für die Beweiserleichterung nicht mehr relevante Frage der doppelten Rückschaupflicht.

Im Übrigen liegt die Beweislast für etwaige (weitere) Verkehrsverstöße der Beklagten sehr wohl bei dem Anspruchsteller, mithin dem Kläger. Insoweit handelt es sich nicht nur um die Frage eines etwaigen Mitverschuldens. Es obliegt deshalb primär ihm, den Nachweis für weitere Pflichtverstöße im Rahmen des § 9 Abs. 1 StVO wie auch anderweit zu führen. Dieser Beweis ist ihm - wie bereits dargestellt - nicht gelungen.

Der Senat bleibt auch bei seiner Bewertung, der Kläger habe gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO verstoßen. Mit den Argumenten des Senats zur Annahme einer unklaren Verkehrslage setzt sich der Kläger praktisch nicht auseinander. Insbesondere ist die in der Stellungnahme angesprochene Vorbeifahrt an der Fußgängerquerungshilfe bzw. das Überfahren der durchgezogenen Linie nicht maßgebend für die Annahme einer unklaren Verkehrslage, sondern stellt faktisch einen Verstoß gegen ein Überholverbot dar, § 5 Abs. 3 Nr. 2 StVO. Schutzzweck der Überholverbote des § 5 Abs. 2 S. 1 StVO ist in erster Linie der Schutz des Gegenverkehrs und des zu Überholenden wie auch die Sicherung eines möglichst übersichtlichen rechtsgeordneten Straßenverkehrs (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Jahnke, 28. Aufl. 2024, StVO § 5 Rn. 44, beck-online). Insoweit sind die Verkehrsverstöße des Klägers sehr wohl auch zu seinen Lasten in die Haftungsabwägung einzubeziehen.

Im Rahmen der danach vorzunehmenden Haftungsabwägung sind die Unfallverursachungsbeiträge der Unfallbeteiligten abzuwägen, wobei es auf die Frage eines Idealfahrers schon deshalb nicht mehr ankommt, weil beide Unfallbeteiligte ihren Verursachungsbeitrag durch entsprechende Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung geleistet haben und es keinen Anhalt für ein unabwendbares Ereignis gibt, das schon aus diesem Grund die allgemeine Betriebsgefahr des Kraftfahrzeuges entfallen ließe. Auch die zu berücksichtigende Betriebsgefahr der Fahrzeuge ist nicht etwa losgelöst von den Verkehrsverstößen per se, wie z.B. wegen der Fahrzeuggröße erhöht. Maßgebend wird daher das Gewicht der Verstöße. Danach fällt der Verstoß der Beklagten gegen die doppelte Rückschaupflicht hier nicht erheblich ins Gewicht. Denn, wie der Senat bereits ausgeführt hat, ist die gesamte Verkehrssituation zwar nicht geeignet, die doppelte Rückschaupflicht grundsätzlich entfallen zu lassen. Das faktische Überholverbot über eine lange Strecke durch die durchgezogene Mittellinie, die Sperrflächen, die Fußgängerquerungshilfen mit der zuvor angeordneten nur rechtsseitigen Vorbeifahrt als auch der der Beklagten nachfolgende (Kfz-) Fahrzeugverkehr - ohne Fahrbahnverengung im Rechtssinne, jedoch mit einer Verkehrssituation, die ein Überholen von Fahrzeugen ohne Überfahren der Sperrlinien nicht erwarten lässt - wie auch das unmittelbar vor der Beklagten bereits durchgeführte Linksabbiegen eines weiteren Fahrzeugs gaben der Beklagten nur wenig Anlass, mit einem nachfolgenden Überholer zu rechnen. Insoweit liegt hier lediglich leichteste Fahrlässigkeit der Beklagten vor. Der Kläger hat sich hingegen der mehrfachen Anordnung (Mittelstreifen, Querungshilfen mit Zeichen 222, Sperrlinie) eines faktischen Überholverbots widersetzt und bei unklarer Verkehrslage überholt, wobei er jedenfalls nach seiner persönlichen Schilderung im Termin am 30.11.2023 sogar bemerkt haben will, dass zuvor ein Fahrzeug nach links abgebogen war und er weiter unaufmerksam fuhr, ohne – jedenfalls nach eigenem Bekunden – zu wissen, warum sich die Weiterfahrt der vor ihm stehenden Fahrzeuge verzögerte. Der Beurteilung des Fahrverhaltens des Klägers als grob verkehrsrechtswidrig steht auch die allgemeine Einordnung im Bußgeldkatalog nicht entgegen, da es nicht auf die strafrechtliche Ahndung, sondern auf die Auswirkungen des Verhaltens in der konkreten Situation ankommt. Dabei macht auch die Einordnung in Ziffer 19 des Bußgeldkatalogs deutlich, dass es sich vorliegend nicht um ein geringfügiges Delikt handelt, wenn es „mit Gefährdung“ sogar ein Fahrverbot nach sich ziehen kann. In der Gesamtschau bewertet der Senat das unfallursächliche Verhalten des Klägers als derart vorwerfbar, dass der Unfallbeitrag der Beklagten hier ausnahmsweise vollständig zurücktritt und auch die Betriebsgefahr für das Beklagtenfahrzeug zurücktreten lässt.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.