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Entscheidung 6 U 53/10


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 6. Zivilsenat Entscheidungsdatum 16.08.2011
Aktenzeichen 6 U 53/10 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 27. April 2010 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Cottbus - 2 O 258/07 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung der Beklagten wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte, die in Deutschland als pharmazeutischer Unternehmer das Schmerzmittel V… vertrieb, welches sie im September 2004 nach Bekanntwerden möglicher erheblicher Gesundheitsrisiken freiwillig vom Markt nahm, aus dem rechtlichen Gesichtspunkt der Arzneimittelhaftung in Anspruch.

Am 20.07.2004 erlitt der damals 57-jährige Kläger einen Schlaganfall, den er auf eine zuvor erfolgte Einnahme des Medikaments V… zurückführt.

Mit der am 19.09.2007 eingereichten und der Beklagten am 29.10.2007 zugestellten Klage hat der Kläger Zahlung eines im Rahmen von 50.000,- € in das Ermessen des Gerichts gestellten Schmerzensgeldes, Feststellung der Schadensersatzpflicht wegen weiterer materieller und immaterieller Schäden sowie Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verlangt. Mit Schriftsatz vom 19.10.2009, der Beklagten zugestellt am 02.11.2009, hat der Kläger die Klage um den Antrag auf Auskunft über die Wirkungen und Nebenwirkungen des Medikaments V… erweitert.

Der Kläger hat behauptet, wegen Schmerzen in den Sprunggelenken und im rechten Knie seien ihm am 19.05.2003 insgesamt 40 und am 22.09.2003 weitere 50 Tabletten V… 25mg ärztlich verordnet worden. Hiervon habe er je nach Bedarf täglich eine Tablette eingenommen. Das Medikament habe bei ihm schädigende Wirkungen über das nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbare Maß hinaus verursacht. Der Schlaganfall sei ursächlich durch die V…-Einnahme entstanden.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat beantragt, diese abzuweisen. Sie hat insbesondere die Indikation für eine Verordnung des Medikaments, die Verordnung und die Einnahme selbst sowie die Verursachung des Schlaganfalls durch das Medikament bestritten sowie ein deutlich erhöhtes individuelles Risiko des Klägers für den Eintritt eines Schlaganfalls eingewandt. Unter Verweis auf zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen des Medikaments hat die Beklagte vorgetragen, V… habe ein positives Nutzen-Risiko-Profil, schädliche Wirkungen, die über ein nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen vertretbares Maß hinausgingen, seien nicht gegeben. Dem Auskunftsverlangen des Klägers hat die Beklagte die Einrede der Verjährung entgegengehalten.

Das Landgericht hat nach Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens und mündlicher Anhörung des Sachverständigen die Klage abgewiesen. Der Kläger habe nicht bewiesen, dass der von ihm erlittene Schlaganfall durch die Einnahme des Medikaments V… verursacht oder auch nur mitverursacht sei. Nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens sei lediglich die Feststellung gerechtfertigt, dass eine Mitverursachung des Schlaganfalls durch das Medikament V… möglich sei. Das könne die Haftung der Beklagten aber nicht begründen, zumal der Kläger genaue Angaben zu Häufigkeit und Dauer der Einnahme des Medikaments V… nicht gemacht habe. Die Vermutung der Schadensursächlichkeit der Medikamenteneinnahme (§ 84 Abs. 2 AMG) greife nicht ein, weil die beim Kläger unabhängig von der Einnahme des Medikaments V… gegebenen Risikofaktoren für sich geeignet gewesen seien, einen Schlaganfall zu verursachen. Der erst im Verlauf des Prozesses im Jahr 2009 geltend gemachte Auskunftsanspruch (§ 84a AMG) habe die Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB) nicht gewahrt. Der Kläger habe im Oktober 2004 Kenntnis von den maßgeblichen Tatsachen gehabt, denn er habe seinen Prozessbevollmächtigten am 26.10.2004 Vollmacht für die Inanspruchnahme der Beklagten auf Schadensersatz erteilt. Mit den Klageanträgen auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung weitergehender Ersatzpflicht sei die Verjährungsfrist hinsichtlich des Auskunftsanspruchs nicht unterbrochen worden.

Gegen das Urteil wendet sich der Kläger mit der Berufung. Er rügt Rechtsfehler insbesondere bei der Beurteilung zum Verjährungsbeginn und im Punkt der für die Kausalität von Medikamenteneinnahme und Schädigung zugrunde gelegten Anforderungen. Ferner greift er die landgerichtliche Beweiswürdigung an und beruft sich ergänzend auf ein in einem Rechtsstreit vor dem Landgericht Koblenz eingeholtes Gutachten zur Frage der Ursächlichkeit einer V…-Einnahme für einen Schlaganfall.

Der Kläger, der seine erstinstanzlichen Sachanträge abgesehen von einer Korrektur der sprachlichen Fassung unverändert weiterverfolgt, beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen,

1. an ihn ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst Zinsen ihn Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen;

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihm aufgrund der Einnahme des Arzneimittels V… bisher entstanden sind und noch entstehen werden, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden,

3. an ihn 957,36 € und weitere 1.555,92 € jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

4. ihm Auskunft zu erteilen, über der Beklagten bekannte Wirkungen, Nebenwirkungen, Wechselwirkungen und diesbezügliche Verdachtsfälle hinsichtlich der von dem seitens der Beklagten in Deutschland bis zum 30.09.2004 vertriebenen Medikament V… ausgehenden schädliche Wirkungen, soweit diese Schlaganfall, Schwindel, Sehstörungen, Sprachstörungen und depressive Syndrome betreffen, sowie über sämtliche Erkenntnisse, die für die Bewertung der Vertretbarkeit schädlicher Wirkungen des Medikaments V… von Bedeutung sein können.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere der tatsächlichen Feststellungen erster Instanz wird ergänzend auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

II.

Die zulässige Berufung des Klägers (§§ 511, 517, 519, 520 ZPO) ist unbegründet. Das Landgericht hat auf fehlerfrei ermittelter Tatsachengrundlage die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen. Das Berufungsvorbringen rechtfertigt eine andere Entscheidung nicht.

A) Die Klage begegnet keinen Zulässigkeitsbedenken. Insbesondere hat der Kläger den Antrag auf Erteilung der Auskunft über die Wirkweise des Arzneimittels (§ 84a AMG) in zulässiger Weise im Wege objektiver Klagehäufung (§ 260 ZPO) mit den auf Schmerzensgeld und Schadensersatz gerichteten Anträgen verbunden (vgl. BGH NJW 2011, 1815). Dem Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht wegen weiterer materieller und immaterieller Schäden steht das erforderliche Feststellungsinteresse (§ 256 ZPO) zur Seite, weil sich der anspruchsbegründende Sachverhalt noch in der Fortentwicklung befindet, da die Folgen des vom Kläger erlittenen Schlaganfalls weiterer medizinischer Behandlung bedürfen.

B) Die Klage ist aber mit sämtlichen Sachanträgen unbegründet.

1. Zu Recht hat das Landgericht den Anspruch auf Erteilung der Auskunft gemäß § 84a AMG als verjährt angesehen.

a) Nach § 84a Abs. 1 AMG kann der Geschädigte von dem pharmazeutischen Unternehmer Auskunft verlangen, wenn Tatsachen vorliegen, die die Annahme begründen, dass ein Arzneimittel den Schaden verursacht hat. Der Auskunftsanspruch unterliegt mangels Sonderregelung der regelmäßigen dreijährigen Verjährungsfrist des § 195 BGB (vgl. OLG München, Urteil v. 25.11.2009, 20 U 3065/09, zitiert nach juris.de; Deutsch/Lippert, AMG, 3. Aufl., 2010, § 84a Rn. 18). Die dreijährige Verjährungsfrist beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen.

b) Im Streitfall hat die Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres 2004 zu laufen begonnen. Der Auskunftsanspruch des Klägers ist mit Eintritt der Schlaganfallerkrankung im Juli 2004 entstanden. Die für den Verjährungsbeginn weiter erforderliche Kenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 BGB hat der Kläger, wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat, im Oktober 2004 erlangt.

Der Kläger hat am 26.10.2004 seinen Prozessbevollmächtigten umfassende Vollmacht erteilt, ihn außergerichtlich und gerichtlich

„in Sachen

H… R… 

gegen 

M… GmbH

        

V… u.a.

wegen 

Anspruch auf Schadensersatz, Entschädigung u.a.“ (Bl. 1021 d.A.)

zu vertreten. Den Eintragungen im Vollmachtsformular ist zu entnehmen, dass dem Kläger die Beklagte als pharmazeutisches Unternehmen für das Medikament V… bekannt war und er die V…-Einnahme mit den bei ihm eingetretenen gesundheitlichen Schäden in Verbindung gebracht hat. Er stellt auch nicht in Abrede, dass ihm die am 30.09.2004 erfolgte Marktrücknahme bekannt gewesen ist. Unter diesen Gegebenheiten rechtfertigt der Umstand der Beauftragung der Rechtsanwälte mit der Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen die Beklagte den Schluss, dass aus Sicht des Klägers Tatsachen vorgelegen haben, die die Annahme begründen, dass V… bei ihm einen Schaden verursacht hat. Anwaltlich beraten musste der Kläger wissen (§ 166 BGB), dass zur Beschaffung weitergehender Erkenntnisse über die Wirkungen und Nebenwirkungen des Medikaments und damit zur Erlangung der für die Anspruchsvoraussetzungen hilfreichen Informationen der Auskunftsanspruch nach § 84a AMG geltend zu machen war (vgl. OLG München a.a.O.).

Entgegen der vom Kläger mit der Berufung vertretenen Ansicht, kommt es für den Beginn der Verjährung des Auskunftsanspruchs nach § 84a AMG auf Kenntnisse des „Nutzen-Risiko-Verhältnisses“ des Arzneimittels nicht an. Zwar setzt der Ersatzanspruch in der Alternative des § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG voraus, dass das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen. Der Auskunftsanspruch gemäß § 84a AMG besteht aber bereits, wenn Tatsachen vorliegen, die die Annahme begründen, dass ein Arzneimittel den Schaden verursacht hat. Mit der Auskunft soll der Geschädigte in die Lage versetzt werden, diejenigen Informationen zu erlangen, die für die Darlegung der Anspruchsvoraussetzungen notwendig sind. Feststehende Erkenntnisse zum „Nutzen-Risiko-Verhältnisses“ sind deshalb für den Verjährungsbeginn des Auskunftsanspruchs ohne Belang (vgl. OLG Stuttgart, Urteil v. 03.08.2010, 1 U 12/10, unveröffentlicht, von der Beklagten eingereicht).

c) Die mit dem Schluss des Jahres 2004 in Lauf gesetzte Verjährungsfrist hat mit Ablauf des 31.12.2007 geendet. Folglich war der Auskunftsanspruch im Zeitpunkt der gerichtlichen Geltendmachung im Wege der Klageerweiterung mit Schriftsatz vom 19.10.2009 bereits verjährt.

d) Zutreffend hat das Landgericht erkannt, dass die Verjährung des Auskunftsanspruchs nicht durch die im Jahr 2007 erhobene Klage auf Schmerzensgeld und Feststellung der Schadensersatzpflicht gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt worden ist.

Die verjährungshemmende Wirkung der Klage wird durch den gelten gemachten prozessualen Anspruch bestimmt (vgl. BGH NJW 2005, 2004; NJW-RR 2006, 736 m.w.N.). Zwar kann die Verjährungshemmung im Einzelfall auch über den Streitgegenstand hinaus einen später geltend gemachten Anspruch erfassen, wenn dieser dasselbe Ziel wie der zunächst erhobene Anspruch verfolgt. Entscheidend ist aber, dass der später geltend gemachte Anspruch sich nach Grund und Rechtsnatur als Ausprägung des ursprünglich verfolgten Anspruchs darstellt (vgl. BGH, NJW-RR 2006 a.a.O.). Zwischen dem Auskunftsanspruch des § 84a AMG und den Schadensersatzansprüchen nach § 84 AMG bzw. § 823 BGB besteht ein solches Verhältnis nicht.

Auskunftsansprüche sind in der Regel Hilfsansprüche, die der Vorbereitung der Durchsetzung eines Hauptanspruches dienen (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 70. Aufl. § 259 Rn. 7). In diesem Sinne ist auch der Auskunftsanspruch des § 84a AMG zu verstehen, der dem Arzneimittelanwender die Darlegung und den Nachweis der einen Schadensersatzanspruch begründenden Tatsachen erleichtern soll. Trotz ihres Hilfscharakters sind Auskunftsansprüche aber selbständig, so dass die Verjährung von Haupt- und Hilfsanspruch auseinanderfallen können (vgl. Staudinger/Bittner, BGB Neubearbeitung 2009, § 259 Rn. 17; MünchKommBGB/Krüger, 5. Aufl., 2007, § 259 Rn. 19; Palandt/Ellenberger, BGB, 70. Aufl. § 204 Rn. 13). Nach herrschender Meinung kann die Klage auf Auskunft allein wegen ihres anderen Streitgegenstandes nicht dazu führen, die Verjährung des Hauptanspruches zu hemmen (vgl. OLG München a.a.O.; BAG, NJW 1996, 1639; BayObLG, NJW-RR 1991, 394; OLG Celle, NJW-RR 1995, 1411). Umgekehrt kann - eben wegen des unterschiedlichen Streitgegenstandes - nichts anderes gelten (vgl. OLG München, Urteil v. 25.11.2009, a.a.O.; sowie sich anschließend, jeweils unveröffentlicht, von der Beklagten eingereicht, OLG Dresden, Urteil v. 06.08.2010, 4 U 1086/09; OLG Stuttgart, Urteil v. 03.08.2010, 1 U 12/10; OLG Karlsruhe, Beschluss v. 23.02.2011, 7 U 167/09; OLG Hamm, Beschluss v. 09.05.2011, I - 3 U 199/10; OLG Frankfurt, Beschluss v. 17.05.2011, 13 U 56/10; OLG Zweibrücken, Beschluss v. 24.05.2011, 5 U 2/11). Der Auskunftsanspruch unterscheidet sich von dem Ersatzanspruch des § 84 AMG sowohl hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen als auch im Rechtsschutzziel und stellt deshalb weder ein „Minus“ noch eine spezielle Ausprägung des Ersatzanspruchs dar.

e) Eine Hemmung der Verjährung des Auskunftsanspruchs infolge gerichtlicher Geltendmachung der Schmerzensgeld- und Schadensersatzklage lässt sich auch nicht aus § 213 BGB herleiten. Nach dieser Vorschrift erstreckt sich die Hemmung auf solche Ansprüche, die aus demselben Grund wahlweise neben dem geltend gemachten Anspruch oder an seiner Stelle bestehen. Der Auskunftsanspruch nach § 84a AMG und die geltend gemachten Schadensersatzansprüche stehen aber nicht wahlweise, sondern kumulativ nebeneinander (vgl. OLG München; OLG Dresden; OLG Stuttgart; OLG Karlsruhe; OLG Hamm; OLG Frankfurt; OLG Zweibrücken a.a.O.).

2. Die Ansprüche auf Schmerzensgeld und Schadensersatz einschließlich vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten (§§ 84 Abs. 1, 87 AMG, §§ 823 Abs. 1, 249, 253 BGB) stehen dem Kläger nicht zu, weil sich aus den Gründen des landgerichtlichen Urteils ein die Haftung der Beklagten begründender Ursachenzusammenhang zwischen der Einnahme von V… und dem vom Kläger erlittenen Schlaganfall nicht mit der erforderlichen Gewissheit (§ 286 ZPO) feststellen lässt.

Die Gefährdungshaftung wegen infolge der Anwendung eines Arzneimittels entstandener Schäden nach § 84 AMG tritt ein, wenn das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen (§ 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG) oder der Schaden infolge einer nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Kennzeichnung, Fach- oder Gebrauchsinformationen eingetreten ist (§ 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AMG). Der Ersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB setzt die schuldhafte und rechtswidrige Verletzung eines geschützten Rechtsguts, hier der Gesundheit, voraus. Einheitliche Haftungsvoraussetzung ist, dass die Einnahme des Medikaments V… den Schlaganfall des Klägers jedenfalls (mit-)verursacht hat. Ist das angewendete Arzneimittel nach den Gegebenheiten des Einzelfalles geeignet, den Schaden zu verursachen, so gilt im Rahmen der Arzneimittelhaftung nach § 84 Abs. 2 AMG die widerlegbare Vermutung, dass das Arzneimittel den Schaden verursacht hat. Das Landgericht hat den Ursachenzusammenhang als nicht erwiesen angesehen und das Eingreifen der Vermutung nach den feststehenden Tatsachen verneint. Das hält der Prüfung im Berufungsverfahren stand.

a) Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme hat das Landgericht zu Recht die für die haftungsbegründende Kausalität hinreichende Mitursächlichkeit der V…-Einnahme für den Eintritt des Schlaganfalls als nicht bewiesen angesehen. Der Beurteilung ist zu folgen, erneute tatsächliche Feststellungen sind nicht zu treffen.

Wenngleich das Landgericht die an den Kausalitätsnachweis zu stellenden Anforderungen nicht gesondert wiedergegeben hat, so ergeben die Gründe des angefochtenen Urteils, dass zutreffende Maßstäbe zugrunde gelegt worden sind. Für den vom Geschädigten zu erbringenden Kausalitätsnachweis genügt der Nachweis der Mitursächlichkeit, denn nach allgemeinem Schadensrecht steht eine Mitursächlichkeit, und sei es auch nur im Sinne eines Auslösers neben erheblichen anderen Umständen, der Alleinursächlichkeit haftungsrechtlich in vollem Umfang gleich (vgl. BGH NJW-RR 2010, 1331; VersR 2005, 942 jeweils m.w.N.). Eine solche Mitursächlichkeit hat das Landgericht auf fehlerfreier Tatsachengrundlage verneint.

aa) Anhand der Ausführungen des vom Landgericht hinzugezogenen Sachverständigen Prof. Dr. med. R… D… (Medizinische Hochschule H…) ist bei Einnahme von V… zwar von einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse, auch für Schlaganfälle auszugehen, wenngleich nach derzeitiger wissenschaftlicher Studienlage die Risikoerhöhung in erster Linie für Herzinfarkte beschrieben wird (Gutachten v. 13.05.2009, Seiten 16, 17; Bl. 739, 740 d.A.; mündliche Anhörung des Sachverständigen v. 30.03.2010, Bl. 1176 d.A.). Der Sachverständige hat es daher nachvollziehbar als möglich bezeichnet, dass die Einnahme von V… bei dem Kläger eine Teilursache bei der Entstehung des Schlaganfalls in dem Sinne gewesen ist, „dass das bereits deutlich erhöhte kardiovaskuläre Risikoprofil weiter verschlechtert und gleichsam als letzter Tropfen das Fass zum Überlaufen gebracht hat“ (Gutachten v. 13.05.2009, Seiten 17; Bl. 739 d.A.). Dass die V…-Einnahme jedoch nicht nur zu dem Schlagsanfall beigetragen haben kann, sondern tatsächlich mitursächlich beigetragen hat, ist vom Landgericht auf verfahrensfehlerfrei gewonnener Tatsachengrundlage verneint worden.

Nach den durch Sachverständigenbeweis gewonnenen Erkenntnissen hat bei dem Kläger zum Zeitpunkt des Schlaganfalls mit den Risikofaktoren arterieller Hypertonus (Bluthochdruck), Hypercholesterinämie (erhöhte Cholesterinwerte), Hyperhomozysteinämie (erhöhte Homozysteinwerte im Blut), Adipositas (Fettleibigkeit) und einer genetischen Prädisposition sowie der infolge des Bluthochdruck bereits eingetretenen geringfügigen vaskulären Veränderungen und dem Alter von 57 Jahren ein deutlich erhöhtes Schlaganfallrisiko vorgelegen (Gutachten v. 13.05.2009, Seiten 13, 14, Bl. 736, 737 d.A.). Der Sachverständige hat nach anerkannter Methode das Risiko für den Kläger, innerhalb der nächsten 10 Jahre einen Schlaganfall zu erleiden, mit rund 37 % angegeben, währenddessen ein gleichalter gesunder Proband einem Risiko von 3 % ausgesetzt ist (Gutachten v. 13.05.2009, Seite 14, Bl. 737 d.A.). Soweit der Sachverständige im schriftlichen Gutachten seinen Ausführungen zu den vorhandenen Risikofaktoren hinzugeführt hat, dass „außerdem“ der Kläger „über 15 Jahre eine Schachtel Zigaretten pro Tag geraucht“ habe, ist dieser Umstand in die Risikoberechnung nicht eingeflossen. Das hat der Sachverständige, nachdem der Kläger den Zeitraum des Zigarettenkonsums später mit lediglich 5 Jahren in der Zeit von 1965 bis 1970 angegeben hat, mit seiner schriftlichen Stellungnahme vom 03.09.2009 mitgeteilt und ergänzend ausgeführt, dass die signifikante Risikoerhöhung insbesondere darauf beruht, dass bei dem Kläger bereits im Jahr 1999 eine deutliche cerebrale Mikroangiopathie im CT-Befund nachweisbar gewesen ist (Bl. 885 d.A.). Damit war der Kläger nach dem anhand feststehender Tatsachen ermittelten Risikoprofil im Vergleich zu einem gesunden Gleichaltrigen einem etwas mehr als 10-fach erhöhten Risiko einer Schlaganfallerkrankung ausgesetzt (mündliche Anhörung des Sachverständigen v. 30.03.2010, Bl. 1176 - 1178 d.A.). Die Berufung zeigt nicht auf, dass diese Tatsachenfeststellung unrichtig und unvollständig sei.

bb) Soweit es um die Wirkweise des Medikaments V… geht, hat das Landgericht - ebenfalls auf der Grundlage sachverständiger Beratung - die Dauer und Intensität der Einnahme von V… als nach wissenschaftlichem Erkenntnisstand maßgeblich für die Risikoerhöhung angesehen. Es hat aber konkrete Feststellungen dazu, wie viele 25mg-Dosen V… der Kläger über welchen Zeitraum eingenommen hat, nicht treffen können. Das Berufungsvorbringen rechtfertigt eine Feststellung ebenfalls nicht. Nach Darstellung des Klägers sind ihm am 19.05.2003 insgesamt 40 Tabletten und am 22.09.2003 weitere 50 Tabletten V… 25mg verschrieben worden, also insgesamt 90 Tagesdosen im Zeitraum vom 19.05.2003 bis zum 20.07.2004. Geht man davon aus, dass der Kläger die zuerst verschriebenen Tabletten bis zur erneuten Verschreibung am 22.09.2003 aufgebraucht hatte, standen ihm nach der zweiten Verschreibung 50 Tabletten für den Zeitraum von 303 Tagen zur Verfügung. Im Prozess hat der Kläger erklärt, er habe das Medikament nicht täglich, sondern im Falle akuter Schmerzen nach Bedarf eingenommen, im Sommer 2004 habe er noch über ausreichend Tabletten verfügt (Bl. 494 - 495 d.A.). Vom Sachverständigen befragt, hat der Kläger mitgeteilt, dass er genaue Angaben zur Einnahme nicht machen könne, die letzte Tablette habe er jedoch am Vorabend des 20.07.2004 eingenommen (Gutachten v. 13.05.2009, Seite 8, Bl. 731 d.A.). Bei dieser Sachlage hat das Landgericht zu Recht als ungeklärt angesehen, ob und wann der Kläger die am 22.09.2003 verordnete Menge von 50 Tabletten vollständig oder in einer bestimmten Teilmenge eingenommen hat. Die Berufung bringt keinen Anhaltspunkt vor, der es rechtfertigt, eine weitergehende Tatsachenfeststellung zur Einnahmeintensität zu treffen.

cc) Unter Gesamtwürdigung der aufgezeigten Umstände ist die Mitursächlichkeit des Medikaments V… am Eintritt des Schlaganfalls als nicht bewiesen anzusehen. Der Sachverständige hat namentlich mit Blick auf die beim Kläger bestehenden Risikofaktoren den Einfluss der V…-Einnahme an der Entstehung des Schlaganfalls als „von allenfalls geringer Bedeutung“ beurteilt und dies plausibel erklärt (Gutachten v. 13.05.2009, Seite 18, Bl. 741 d.A., mündliche Anhörung des Sachverständigen v. 30.03.2010, Bl. 1176 - 1178 d.A.). Bei dieser Tatsachenlage kann eine (Mit-)Verursachung des Schlaganfalls durch das Medikament V… nicht mehr als hinreichend wahrscheinlich angesehen werden, so dass ein Nachweis der haftungsbegründende Kausalität zu verneinen ist.

dd) Soweit der Kläger auf das in einem anderen Rechtsstreit eingeholte Gutachten verweist (Landgericht Koblenz, 10 O 340/07, Pharmakologisch-medizinisches Gutachten Prof. Dr. med. U… F…, Universität M…, Bl. 1241 ff d.A.) ergeben sich konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen des Landgerichts nicht. Den Umstand, dass V… einen Risikofaktor für den Einritt eines Schlaganfalls darstellt, hat auch der im Streitfall vom Landgericht zugezogene Sachverständige berücksichtigt. Dass ein Sachverständiger in einem anderen Rechtsstreit die ursächliche Beteiligung des Medikaments V… an dem von einem anderen Patienten erlittenen Schlaganfall als hinreichend wahrscheinlich angesehen hat, entkräftet die Beurteilungen des hier zugezogenen Sachverständigen nicht. Beide Sachverständige haben ihre Befunde und Bewertungen auf die jeweils unterschiedlichen besonderen Gegebenheiten in der Person der betroffenen Patienten gestützt.

b) Die Kausalitätsvermutung des § 84 Abs. 2 AMG vermag dem Kläger aus den Gründen des landgerichtlichen Urteils nicht zum Erfolg zu verhelfen.

Nach Satz 1 der Vorschrift ist die Schadensverursachung durch das angewendete Arzneimittel zu vermuten, wenn dieses Arzneimittel nach den Gegebenheiten des Einzelfalls geeignet ist, den Schaden zu verursachen. Die Eignung im Einzelfall beurteilt sich gemäß Satz 2 nach der Zusammensetzung und der Dosierung des angewendeten Arzneimittels, nach der Art und Dauer seiner bestimmungsgemäßen Anwendung, nach dem zeitlichen Zusammenhang mit dem Schadenseintritt, nach dem Schadensbild und dem gesundheitlichen Zustand des Geschädigten im Zeitpunkt der Anwendung sowie allen sonstigen Gegebenheiten, die im Einzelfall für oder gegen die Schadensverursachung sprechen. Nach Satz 3 der Vorschrift gilt die Vermutung nicht, wenn ein anderer Umstand nach den Gegebenheiten des Einzelfalls geeignet ist, den Schaden zu verursachen. Wobei gemäß Satz 4 der Vorschrift ein anderer Umstand nicht in der Anwendung weiterer Arzneimittel liegt, die nach den Gegebenheiten des Einzelfalls geeignet sind, den Schaden zu verursachen, es sei denn, dass wegen der Anwendung dieser Arzneimittel Ansprüche nach dieser Vorschrift aus anderen Gründen als der fehlenden Ursächlichkeit für den Schaden nicht gegeben sind.

Dem Eingreifen der Kausalitätsvermutung im Fall des Klägers steht gemäß § 84 Abs. 2 Satz 3 AMG entgegen, dass die bei ihm gegebenen Risikofaktoren für sich allein geeignet waren, einen Schlaganfall auszulösen. Dass den beim Kläger festzustellenden Risikofaktoren eine solche Eignung zukommt, stellt die Berufung nicht in Abrede und ist nach den Ausführungen des Sachverständigen auch nicht in Zweifel zu ziehen. Liegen derartige Risikofaktoren vor, ist der Anwendungsbereich der Kausalitätsvermutung nicht eröffnet (vgl. BGH, Beschluss v. 26.01.2010, VI ZR 72/09, zitiert nach juris.de).

c) Über einen Anscheinsbeweis kann der Kläger den Kausalitätsnachweis ebenfalls nicht führen. Die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises kommt in Betracht, wenn ein Schadensereignis nach allgemeiner Lebenserfahrung eine typische Folge der Pflichtverletzung darstellt. Dafür reicht die für das Medikament V… in Rede stehende Erhöhung des Risikos eines Schlaganfalls nicht aus (vgl. BGH, Beschluss v. 26.01.2010 a.a.O.). Abgesehen davon wird ein Beweis des ersten Anscheins entkräftet, wenn Tatsachen feststehen, nach denen die Möglichkeit eines anderen als des typischen Geschehensablaufs ernsthaft in Betracht kommt (vgl. BGH, VersR 2010, 627 m.w.N.). Eine solche Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs ist wiederum aufgrund der beim Kläger vorhandenen Risikofaktoren gegeben.

d) Mangels Kausalitätsnachweises kommt es auf die weiteren Haftungsvoraussetzungen nach § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 AMG bzw. § 823 Abs. 1 BGB nicht mehr an.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die dafür in § 543 Abs. 2 ZPO aufgestellten Voraussetzungen nicht vorliegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.