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einstweilige Anordnung, übergangener Antrag, Vorgabe für die Neubescheidung


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg Der 4. Senat Entscheidungsdatum 27.12.2024
Aktenzeichen 4 S 34/24 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2024:1227.4S34.24.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen 120 Abs. 1; 122 Abs. 1; 123 VwGO VwGO, 938 Abs. 1 ZPO

Leitsatz

Der Antrag gemäß § 120 Abs. 1 VwGO (mit § 122 Abs. 1 VwGO) eignet sich nicht dazu, fehlende Vorgaben für die behördliche Neubescheidung ergänzen zu lassen. Das gilt insbesondere im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 28. Oktober 2024 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten der Beschwerde mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, der diese selbst trägt.

Gründe

I.

Das Verwaltungsgericht hat in einem Konkurrentenstreitverfahren des vorläufigen Rechtsschutzes im Beschluss vom 1. Oktober 2024 festgehalten, der Antragsteller habe sinngemäß beantragt, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, den Beigeladenen auf der Stelle der ausgeschriebenen Professur „“ zur Kennnummer der Berliner Hochschule zu ernennen oder in eine entsprechende Planstelle einzuweisen, solange nicht über die Bewerbung des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden sei. Das Verwaltungsgericht hat diesem Antrag stattgegeben mit der Maßgabe, dass die einstweilige Anordnung bis zum Ablauf von zwei Wochen nach der erneuten Entscheidung gilt.

Der Antragsteller hat mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2024 die „Berichtigung/Ergänzung der Beschlussgründe“ beantragt. Er vermisst Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu den Verfahrensfestlegungen, die nach Abbruch des früheren Auswahlverfahrens im jetzigen Auswahlverfahren fehlten. Darauf komme es wegen der Tragweite des Tenors an. Der Antragsteller hat nach einem gerichtlichen Hinweis, sich der Sache nicht anzunehmen, mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2024 nachgelegt, es handele sich um einen förmlichen Berichtigungsantrag, mit dem sich die Kammer zu befassen habe. Im weiteren Schriftsatz vom 22. Oktober 2024 beruft sich der Antragsteller, wenn kein Fall des § 118 Abs. 1 VwGO gegeben sei, auf § 120 Abs. 1 VwGO. Die Beschlussbegründung müsse alle im Zeitpunkt der Beschlussfassung ersichtlichen Verfahrensfehler behandeln, zumindest aber die angesprochenen.

Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 28. Oktober 2024 den Antrag auf Beschlussergänzung abgelehnt. Der Antrag gemäß § 120 Abs. 1 VwGO sei unstatthaft und damit unzulässig. Der Antragsteller habe einen unerledigten Teil des Verfahrens nicht so konkret aufgezeigt, dass die Möglichkeit der verlangten Ergänzung in Betracht gezogen werden könne (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Juni 2011 – 3 C 14.11 – juris Rn. 14). Es treffe zwar zu, dass die Kammer in dem Beschluss das Argument des Antragstellers, das Auswahlverfahren sei rechtswidrig, weil für das neue Ausschreibungsverfahren keine Verfahrensfestlegungen getroffen worden seien, unberücksichtigt gelassen habe. Die Ergänzung nach § 120 Abs. 1 i.V.m. § 122 Abs. 1 VwGO sei aber kein statthaftes Mittel, um eine Neufassung der Gründe und deren Ergänzung unter Auseinandersetzung mit weiteren zur Antragsbegründung vorgetragenen, aber unbehandelt gebliebenen Argumenten zu erreichen.

Der Antragsteller hat am 13. November 2024 Beschwerde gegen den am 30. Oktober 2024 zugestellten Beschluss eingelegt und die Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht zur Ergänzung der Beschlussgründe beantragt. Das Verwaltungsgericht hat die Beschwerde, ohne ihr abzuhelfen, dem Oberverwaltungsgericht vorgelegt.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

§ 120 Abs. 1 i.V.m. § 122 Abs. 1 VwGO sehen vor, dass ein Beschluss auf Antrag, der binnen zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses zu stellen ist, durch nachträgliche Entscheidung zu ergänzen ist, wenn ein nach dem Tatbestand von einem Beteiligten gestellter Antrag ganz oder zum Teil übergangen ist. Unter Antrag im Sinne dieser Bestimmung ist nicht der schriftsätzlich gestellte und in einer mündlichen Verhandlung zu Protokoll erklärte förmliche Antrag, wie er in § 82 Abs. 1 VwGO oder in § 88 (i.V.m. § 122 Abs. 1) VwGO vom Klagebegehren abgegrenzt wird, zu verstehen. Gegenstand einer möglichen Ergänzung ist vielmehr übergangener Streitstoff (so Stuhlfauth, in: Bader/​Funke-Kaiser/​Stuhlfauth/​von Albedyll, VwGO, 8. Aufl. 2021, § 120 Rn. 3) oder – wie es in anderen Kommentaren formuliert wird – der Sachantrag, also der Klaganspruch (Wöckel, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 120 Rn. 3) oder – wieder anders benannt, aber gleichbedeutend – der prozessuale Anspruch, über den das Gericht zu entscheiden hat (Kilian/Hissnauer, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 120 Rn. 5; Clausing/Kimmel, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand Januar 2024, VwGO § 120 Rn. 2). Der (mit dem Streitgegenstand identische) prozessuale Anspruch ist gekennzeichnet durch die erstrebte, im Klageantrag zum Ausdruck zu bringende Rechtsfolge sowie den Klagegrund, nämlich den Sachverhalt, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll (so BVerwG, Beschluss vom 24. Oktober 2006 – 6 B 47.06 – juris Rn. 13 m.w.N.).

Gemäß § 120 Abs. 1 VwGO muss der so zu verstehende „Antrag“ „nach dem Tatbestand von einem Beteiligten gestellt“ sein. Schweigt der „Tatbestand“ zu diesem Antrag, kommt die Ergänzung nach § 120 Abs. 1 i.V.m. § 122 Abs. 1 VwGO erst nach einer vorherigen Tatbestandsberichtigung nach § 119 i.V.m. § 122 Abs. 1 VwGO in Betracht (BVerwG, Beschluss vom 15. Februar 2018 – 2 VR 2.16 – juris Rn. 2). Der Antragsteller versteht als übergangenen Antrag seine Rüge, die Hochschule hätte Verfahrensfestlegungen für das Auswahlverfahren treffen und das Verwaltungsgericht hätte der Hochschule dieses Versäumnis vorhalten müssen. Dieser Vortrag des Antragstellers, wenn er als „Antrag“ zu verstehen wäre, findet sich in den Beschlussgründen, so dass eine Tatbestandsberichtigung nicht notwendig ist.

Die besagte Rüge ist allerdings kein prozessualer Anspruch. Der Antragsteller meint, das Verwaltungsgericht hätte der Antragsgegnerin alles aufgeben müssen, was es richtigerweise bei einer Neubescheidung zu beachten hätte. Angesichts des Tenors der einstweiligen Anordnung, die Stellenbesetzung zu untersagen, solange nicht über die Bewerbung des Antragstellers „unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts“ erneut entschieden worden sei, sieht der Antragsteller womöglich die Parallele zu einem Klageverfahren, das auf den Erlass eines Neubescheidungsurteils hinausläuft. Für ein solches Klageverfahren ist jedoch höchstrichterlich geklärt, dass die bei einer Neubescheidung von der Behörde zu beachtenden Umstände nicht zum prozessualen Anspruch zählen: Streitgegenstand der Bescheidungsklage ist der prozessuale Anspruch des Klägers auf Neubescheidung. Der Kläger hat es nicht in der Hand, das Gericht in der Entscheidungsfindung auf die Prüfung bestimmter rechtlicher Erwägungen festzulegen. Die gerichtliche Prüfung beschränkt sich nicht darauf, ob der Kläger einen Anspruch auf Neubescheidung hat, sondern erstreckt sich auch auf die im Fall der Verpflichtung zur Neubescheidung nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO zu treffende Entscheidung, welche Rechtsauffassung die Behörde bei der erneuten Bescheidung zu beachten hat. Soweit der Kläger dazu in dem gerichtlichen Verfahren Ausführungen gemacht hat, werden diese – genauso wie sonstige Klagegründe – nicht Bestandteil des Streitgegenstandes, der in dem Anspruch auf Neubescheidung besteht. Die der Neubescheidung zugrunde zu legende Rechtsauffassung des Gerichts (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO) ergibt sich aus der diesem obliegenden Amtsprüfung der Rechtslage (so BVerwG, Beschluss vom 24. Oktober 2006 – 6 B 47.06 – juris Rn. 13 m.w.N.).

Nichts anderes folgt aus der Rechtsauffassung, bei einem Neubescheidungsurteil könne der obsiegende Kläger beschwert sein und Rechtsmittel einlegen, wenn der Umfang der im Urteil enthaltenen Vorgaben für die Behörde hinter den Rechtsbehauptungen des Klägers zurückbleibt. Denn auch dann werden die rechtlichen Erwägungen des Gerichts nicht zu Teilen des Streitgegenstands (Wöckel, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 121 Rn. 22 m.w.N. der höchstrichterlichen Rechtsprechung). Das bedeutet, dass bei einer im Urteil genannten, aber übergangenen Neubescheidungsvorgabe ein Rechtsmittel statthaft sein könnte, hingegen nicht ein Antrag gemäß § 120 Abs. 1 VwGO.

Dem muss nicht vertiefend nachgegangen werden, weil für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gilt, dass das Gericht gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO nach freiem Ermessen bestimmt, welche Anordnungen zu treffen sind, um das Rechtsschutzziel zu erreichen. Es trifft die Auswahl der einzusetzenden Mittel. Dem Gericht kommt eine Gestaltungsbefugnis zu (Dombert, in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, 7. Aufl. 2017, Rn. 215). Anders als im Klageverfahren (§ 113 VwGO) sind die Gerichte im Anordnungsverfahren nicht an bestimmte Entscheidungsinhalte gebunden. Sie haben einen weiten Gestaltungsspielraum, der den Anordnungsinhalt von den gesetzlich festgelegten Entscheidungsinhalten des Klageverfahrens und den Entscheidungsinhalten des materiellen Rechts löst und ihnen die nötige Flexibilität gibt, um möglichst wirksamen vorläufigen Rechtsschutz gewähren zu können. Das Gericht kann daher mit der einstweiligen Anordnung nicht nur hinter dem Antrag zurückbleiben, sondern im Rahmen des ihm zugewiesenen Spielraums auch eine andere geeignete Regelung treffen, solange der in § 938 ZPO genannte – gemäß § 123 Abs. 3 VwGO zu beachtende – „Zweck“ gewahrt bleibt. Diese Vorschriften legen damit fest, dass sich der Anordnungsinhalt nicht an § 113 Abs. 5, § 114 VwGO zu orientieren hat (so Dombert, in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, 7. Aufl. 2017, Rn. 216). Entschließt sich also – wie hier – das Gericht, der Stoppentscheidung im Konkurrententstreit eine zeitliche Maßgabe beizufügen bis zu einer Neuentscheidung „unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts“, darf es demnach selbst festlegen, auf welche Vorgaben die Behörde verpflichtet ist. Macht sich das Gericht dabei nicht alle Rechtsbehauptungen des Antragstellers zu eigen, ist dieser noch nicht einmal beschwert.

Steht es im Ermessen des Verwaltungsgerichts, welche einstweilige Anordnung es erlässt, liegt außerdem die Annahme fern, dass ein „Antrag“ im Sinne des § 120 Abs. 1 VwGO übergangen, das heißt versehentlich nicht behandelt wurde. Darauf käme es jedoch bei einem Ergänzungsantrag an (Bamberger, in: Wysk, VwGO, 4. Aufl. 2025, § 120 Rn. 2; Clausing/Kimmel, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand Januar 2024, VwGO § 120 Rn. 5; Kilian/Hissnauer, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 120 Rn. 6; Wöckel, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 120 Rn. 4).

Es kommt hier hinzu, dass das Gericht in dem vom Antragsteller beanstandeten Beschluss zwar die Rüge, es seien für das neue Ausschreibungsverfahren keine Verfahrensfestlegungen getroffen worden, nur im Zusammenhang mit dem Abbruch des früheren Auswahlverfahrens – unter 2. a) aa) der Beschlussgründe – erwähnt und dort abtut. An anderer Stelle – unter 2. a) ee) der Beschlussgründe – hält das Gericht jedoch der Antragsgegnerin vor, sie habe gegen die eigene Berufungssatzung verstoßen und zu Beginn des Bewerbungsverfahrens näher benannte Festlegungen nicht getroffen. Im Ergebnis hat das Gericht demnach die Rüge des Antragstellers in seinem Beschluss sogar ausdrücklich bestätigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).