Gericht | OVG Berlin-Brandenburg Der 10. Senat | Entscheidungsdatum | 17.12.2024 | |
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Aktenzeichen | 10 N 20/24 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2024:1217.10N20.24.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | 103 Abs. 1 GG, 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG , 108 Abs. 2; 138 Nr. 3 VwGO |
Die Aussetzung eines asylrechtlichen Berufungszulassungsverfahrens zur Klärung der inhaltlichen Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung scheidet aus.
Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 31. Januar 2024 wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der Senat prüft nur die von den Klägern dargelegten Gründe (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG). Diese rechtfertigen keine Zulassung der Berufung.
Die Kläger tragen nach einer rechtlich unbeachtlichen „Vorbemerkung“ zunächst „allgemeine verfahrensrechtliche Gesichtspunkte“ vor. Sie meinen, das Verfahren sei bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. September 2022 – 1 C 26.21 – (juris) auszusetzen. Das Bundesverwaltungsgericht habe mit diesem Beschluss dem Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob das Unionsrecht dahin auszulegen sei, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in einem Mitgliedstaat (hier: Griechenland) einen anderen Mitgliedstaat (hier: Deutschland) daran hindere, den bei ihm gestellten weiteren Antrag auf internationalen Schutz in einem Fall ergebnisoffen zu prüfen, in dem einer Rückkehr des Antragstellers in den ersten Mitgliedstaat die Gefahr eines Verstoßes gegen Art. 4 der EU-Grundrechtecharta entgegenstehe und der Asylantrag in Deutschland deshalb nicht als unzulässig abgelehnt werden dürfe. Die Kläger führen hierzu aus, ihnen sei bereits in Griechenland internationaler Schutz gewährt worden. Die Entscheidung im hiesigen Verfahren hänge maßgeblich von der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über die Vorlagefrage ab. Das Verwaltungsgericht missachte mit seinem Urteil ohne Rücksicht auf den Ausgang des Vorlageverfahrens die Bedenken des Bundesverwaltungsgerichts.
Mit diesem Vortrag dringen die Kläger nicht durch. Sie versäumen es, dessen Relevanz für ihren Berufungszulassungsantrag zu erläutern. Sollten sie der Ansicht sein, das vorliegende Verfahren sei mit Blick auf den angeführten Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts analog § 94 VwGO auszusetzen, führte dies nicht weiter. Dies gilt schon deshalb, weil der Gerichtshof der Europäischen Union inzwischen mit Urteil vom 18. Juni 2024 – C-753/22 – (juris) über die Vorlagefrage entschieden hat. Unabhängig davon scheidet die Aussetzung eines asylrechtlichen Berufungszulassungsverfahrens zur Klärung der inhaltlichen Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ohnehin aus. In einem Berufungszulassungsverfahren ist nur über das Vorliegen hinreichend dargelegter Zulassungsgründe zu entscheiden. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils gehören indessen nicht zu den in § 78 Abs. 3 AsylG für Streitigkeiten nach dem Asylgesetz abschließend aufgeführten Zulassungsgründen.
Bei ihrer Erörterung der „allgemeinen verfahrensrechtlichen Gesichtspunkte“ benennen die Kläger keinen Zulassungsgrund im Sinne von § 78 Abs. 3 AsylG. Ein solcher lässt sich auch nicht sinngemäß entnehmen. Insbesondere zeigen die Kläger mit ihrer Rüge, das Verwaltungsgericht hätte das Verfahren wegen des Vorabentscheidungsersuchens des Bundesverwaltungsgerichts aussetzen müssen, keinen Verfahrensmangel (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO) auf. Fehler bei einer Entscheidung über die Aussetzung eines Verfahrens (§ 94 VwGO) werden von § 138 VwGO nicht erfasst (vgl. VGH München, Beschluss vom 11. April 2019 – 8 ZB 19.30631 – juris Rn. 10). Die Bezugnahme auf § 138 VwGO in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG ist abschließend. Andere Verfahrensfehler rechtfertigen keine Zulassung der Berufung (vgl. Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 78 AsylG Rn. 24). Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) wegen der für erforderlich gehaltenen Aussetzung des Verfahrens behaupten die Kläger nicht. Mit der Wiedergabe der im Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts an den Gerichtshof der Europäischen Union enthaltenen Frage und der Anmerkung, ihr Sachverhalt sei gleich gelagert, legen sie auch keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) dar. Ein solches Vorbringen genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG (vgl. hierzu OVG Lüneburg, Beschluss vom 13. September 2018 – 10 LA 349/18 – juris Rn. 11 f., VGH München, Beschluss vom 16. März 2020 – 15 ZB 20.30526 – juris Rn. 14, jeweils m.w.N.).
Die Berufung ist auch nicht wegen des von den Klägern geltend gemachten Verfahrensmangels einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verpflichtet das Gericht, die entscheidungserheblichen Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gericht muss sich allerdings nicht mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen ausdrücklich befassen. Vielmehr muss es auch in einem Urteil nur diejenigen Gründe angeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind (§ 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs gebietet dem Gericht zudem nicht, bei der Würdigung der Sach- und Rechtslage den Vorstellungen eines Beteiligten zu folgen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. Februar 2022 – 2 BvR 613/21 – juris Rn. 4; BVerwG, Beschlüsse vom 20. September 2023 – 8 B 8.23 – juris Rn. 3, vom 9. Januar 2024 – 2 B 34.23 – juris Rn. 25 und vom 5. September 2024 – 5 B 1.24 – juris Rn. 7, jeweils m.w.N.). Ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör ist daher nur dann anzunehmen, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 17. April 2020 – 1 BvR 2326/19 – juris Rn. 11 und vom 25. September 2020 – 2 BvR 854/20 – juris Rn. 26; BVerwG, Beschluss vom 25. Juli 2024 – 8 B 9.23 – juris Rn. 13, jeweils m.w.N.).
Nach diesen Maßstäben zeigen die Kläger keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör auf. Sie führen vorab im Stil einer Berufungsbegründung aus, ihnen sei zumindest subsidiärer Schutz zuzuerkennen oder ein Abschiebungsverbot festzustellen. Anschließend erklären sie, das Verwaltungsgericht habe die von der Klägerin zu 1 mitgeteilten Umstände, nach denen es für sie mit ihren zwei minderjährigen Kindern keinen Platz zum Überleben in Kamerun gebe, ignoriert und nicht bzw. allenfalls bruchstückartig in seine Entscheidungsfindung eingestellt. Sie zitieren einzelne Sätze aus dem „Anhörungsprotokoll“ und beanstanden, keiner dieser Gesichtspunkte, welche die mangelnde Lebensperspektive für die Klägerin zu 1 in Kamerun zeigten, finde sich in dem Urteil wieder. Vor allem werde nicht berücksichtigt, dass die Mutter und Geschwister der Klägerin zu 1 finanzielle Hilfe der Familie aus dem Ausland benötigten und die anderen Familienmitglieder versteckt leben müssten.
Diese Kritik trifft nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat in den Entscheidungsgründen die Hinweise der Klägerin zu 1 auf die desolaten Verhältnisse, das unzumutbare Leben im Busch, die schlechte Schulsituation für ihre Kinder sowie die fehlenden Zukunftsperspektiven in ihrem Heimatland angesprochen (UA S. 7 f.). Es ist jedoch zu der Einschätzung gelangt, die gesunde und erwerbsfähige Klägerin zu 1 werde bei einer Rückkehr nach Kamerun in der Lage sein, ihre Existenz und die ihrer Kinder zu sichern. Dabei könne sie auf sozialadäquate Hilfe ihrer in Kamerun lebenden Verwandten zurückgreifen, und zwar auch dann, wenn sie sich an einem anderen Ort niederlassen sollte als diese. Sie habe einen weiteren erwachsenen Sohn, der in Bamenda studiere. Nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung könne sie als Friseurin arbeiten, die Kläger zu 2 bis 4 benötigten keine besondere Hilfe im Alltag. Der Kläger zu 2 sei inzwischen volljährig und ebenfalls – abgesehen von seinen Problemen mit den Füßen – gesund und erwerbsfähig. Zu den zumutbaren Arbeiten gehörten auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gebe und die nicht überkommenen Berufsbildern entsprächen. Die Klägerin zu 1 und der volljährige Kläger zu 2 könnten daher auch auf eine Tätigkeit im informellen Sektor verwiesen werden, der insbesondere im städtischen Raum Beschäftigungsmöglichkeiten biete. Diese Argumentation des Verwaltungsgerichts macht deutlich, dass es bei seiner Entscheidung die Äußerungen der Klägerin zu 1 zu der Lebensperspektive in Kamerun berücksichtigt, aber die Sach- und Rechtslage anders gewürdigt hat, als es die Kläger für geboten halten. Dies begründet indes keinen Gehörsverstoß.
Zu keinem anderen Ergebnis führt der Vorwurf der Kläger, das Verwaltungsgericht habe „nicht ins Blickfeld bekommen“ und damit wesentlichen Vortrag der Klägerin zu 1 ignoriert, dass sie ihr Zuhause verloren habe und dort nicht mehr leben könne. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, der Klägerin zu 1 sei es möglich und zumutbar, sich bei einer Rückkehr nach Kamerun mit ihren Kindern anderswo – beispielsweise in den Millionenstädten Douala oder Yaoundé – niederzulassen. Damit war ihr Vorbringen zu der Situation in ihrem Heimatort nach der insoweit maßgeblichen Auffassung der Vorinstanz nicht entscheidungserheblich.
Ebenso wenig greift der Einwand der Kläger, die Ausführungen der Klägerin zu 1 zu dem in Kamerun geforderten Leben würden „nicht konkret abgehandelt“. Das Verwaltungsgericht hat zu der von der Klägerin zu 1 vorgetragenen Diskriminierung anglophoner Kameruner in Douala oder Yaoundé unter Bezugnahme auf den Bericht des UK Home Office, Cameroon: Anglophones, März 2020 (S. 29 ff.), ausgeführt, die beiden Städte gälten im Grundsatz als sichere Orte für Kameruner aus der anglophonen Region. Eine etwaige Diskriminierung erscheine nach den eingeführten Erkenntnismitteln nicht hinreichend wahrscheinlich. Ein „konkretes Abhandeln“ der in der Zulassungsbegründung aufgeführten einzelnen Erklärungen der Klägerin zu 1 bedurfte es – wie dargelegt – nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG, § 152 Abs. 1 VwGO).