Gericht | FG Cottbus 14. Senat | Entscheidungsdatum | 16.11.2023 | |
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Aktenzeichen | 14 K 14161/21 | ECLI | ECLI:DE:FGBEBB:2023:1116.14K14161.21.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Klage wird abgewiesen.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Die Beteiligten streiten über die Steuerfreiheit von Zinsen nach § 2 Sätze 9 bis 11 NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz -NS-VEntschG- in der Fassung von Artikel 2 Nr. 1 Entschädigungsrechtsänderungsgesetz - EntschRÄndG - gemäß § 3 Nr. 7 Einkommensteuergesetz - EStG -.
Die Klägerin ist eine Erbengemeinschaft, die aus den Geschwistern B… und C… besteht.
Die Klägerin hatte als Berechtigte wegen des verfolgungsbedingten Eigentumsverlustes des Bankgeschäftes D… am 26. März 1991 einen Antrag auf Rückübertragung gestellt. Der jüdische Firmeninhaber des Bankhauses D…, E…, war 1938 von den nationalsozialistischen Machthabern gezwungen worden, keine Geschäfte mehr zu tätigen und seine Firma zu löschen.
Der Antrag auf Rückübertragung wurde durch das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen - BADV - mit Bescheid vom 13. Juli 2017 aufgrund der Unmöglichkeit der Rückgabe des Unternehmens abgelehnt. Es wurde der Klägerin jedoch für den Verlust des Bankgeschäftes dem Grunde nach eine Entschädigung nach dem NS-VEntschG zuerkannt.
Mit Bescheid vom 2. Juli 2018 erkannte das BADV der Klägerin dann der Höhe nach einen Anspruch auf Entschädigung wegen des Eigentumsverlustes des Bankgeschäftes D… nach Maßgabe des NS-VEntschG in Höhe von EUR 514.119,35 zu. Zusätzlich setzte das BADV gemäß § 2 Sätze 9 bis 11 NS-VEntschG i. V. m. Artikel 2 Nr. 1 EntschRÄndG Zinsen in Höhe von 0,5 % pro Kalendermonat auf den festgestellten Entschädigungsbetrag für die Zeit von Januar 2004 bis einschließlich Juni 2018 in Höhe von insgesamt EUR 447.283,83 fest. Die Klägerin erhielt den Entschädigungsbetrag und den Zinsbetrag im Jahr 2018.
Mit ihrer am 20. September 2019 an den Beklagten übermittelten Feststellungserklärung für 2018 beantragte die Klägerin den Entschädigungsbetrag und den Zinsbetrag nach § 3 Nr. 7 EStG steuerfrei zu stellen. Mit Schreiben vom selben Tage führte sie zur Begründung aus, dass die Zinsen ein Teil der Entschädigungsleistung und daher nicht nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG steuerpflichtig seien. Dies ergebe sich daraus, dass die Verzinsung ausweislich der Gesetzesbegründung nicht eingeführt worden sei, um entgangene Vermögensvorteile auszugleichen, sondern, um die Behörde mittels einer „Strafverzinsung“ zu einer schnelleren Bearbeitung der bei ihr gestellten Anträge anzuhalten. Zudem sei dem BADV weder freiwillig noch unfreiwillig Kapitalvermögen zur Nutzung überlassen worden. Es sei bereits unklar, welchen wirtschaftlichen Wert die Klägerin zur Nutzung überlassen haben sollte. Eine wirtschaftliche Nutzungsmöglichkeit bestehe erst nach Erlass des Bescheides über die Entschädigung. Die Klägerin habe keine Kapitalforderung in der Zeit zwischen der Antragstellung auf Entschädigung und dem Erlass des Bescheides innegehabt, die sie hätte nutzen können. Vielmehr handele es sich bei der Zahlung um eine steuerfreie Ausgleichszahlung wegen der verzögerten Bearbeitung des Antrages der Klägerin auf Entschädigung. Im Übrigen könne es nicht die Absicht des Gesetzgebers sein, den erhaltenen Betrag letztlich durch eine Belastung mit Einkommensteuer zu mindern.
Der Beklagte teilte der Klägerin daraufhin mit, dass er diese Auffassung nicht teile und beabsichtige, den Zinsanspruch in Höhe von EUR 447.283,83 als Kapitalerträge gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu behandeln. Die Zinsen seien nicht Teil der Entschädigungsleistung und somit nicht nach § 3 Nr. 7 EStG steuerfrei. Es handele sich auch nicht um steuerfreien Schadenersatz für die verzögerte Bearbeitung des Antrags auf Entschädigung. Die Verzinsung stelle ihrer Art nach eine Verzinsung wegen der verzögerten Auszahlung der Entschädigung, vergleichbar mit Steuererstattungszinsen nach § 233a Abgabenordnung - AO - dar. Das NS-VEntschG spreche in seinem § 2 auch eindeutig von einer Zinszahlung.
Mit Bescheid für 2018 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen - Feststellungsbescheid - vom 12. Februar 2020 stellte der Beklagte ankündigungsgemäß Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von EUR 447.283,83 fest.
Hiergegen erhob die Klägerin fristgerecht Einspruch. In § 2 NS-VEntschG werde zwar ausdrücklich die Begrifflichkeit Zinsen verwendet. Es sei jedoch unerlässlich, sich daneben auch mit dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift auseinanderzusetzen. Dies führe zwangsläufig dazu, dass die Verzinsung zu einer Beschleunigung der Abarbeitung von offenen Fällen habe führen sollen. Wenn es darum gegangen wäre, den Geschädigten durch die Verzinsung den entgangenen Vermögensvorteil zu ersetzen, hätte diese bereits ab Einführung des NS-VEntschG vorgesehen werden müssen.
Mit Einspruchsentscheidung vom 2. Dezember 2021 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Eine Steuerfreistellung nach § 3 Nr. 7 EStG scheide aus, da die Zinsen, die aus der Entschädigungsleistung nach dem NS-VEntschG resultieren, Kapitalerträge nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG darstellen würden. Der grundsätzliche Entschädigungsanspruch sei auf eine Geldleistung gerichtet. Der Anspruch auf die Verzinsung der Entschädigungsleistung sei gesetzlicher Natur, er beruhe auf § 2 Sätze 9 bis 11 NS-VEntschG. Die Zinszahlung sei wirtschaftlich betrachtet ein Entgelt, welches für die Überlassung des Kapitalvermögens - die Entschädigungsleistung - zur Nutzung geleistet worden sei. Es sei insoweit nicht auf die Nutzung des enteigneten Vermögens abzustellen. Vielmehr sei die Entschädigung verzögert gezahlt worden, darin liege eine zwangsweise Nutzungsüberlassung von Kapital. Auf die Freiwilligkeit der Kapitalüberlassung komme es nicht an.
Die Verzinsung sei auch nicht nur eingeführt worden, um eine schnellere Bearbeitung der Anträge zu erzwingen. Der Umstand, dass eine Regelung über die Verzinsung der Entschädigungsleistung bis 2004 noch nicht in das NS-VEntschG eingefügt worden war, beruhe auf der irrigen Annahme des Gesetzgebers, dass die Anträge der NS-Verfolgten bis Ende des Jahres 2003 vollständig abgearbeitet sein würden. Daraus werde deutlich, dass der Gesetzgeber schon zuvor eine Verzinsung eingeführt oder von Beginn an aufgenommen hätte, wenn er bereits von Anfang an von einer längeren Bearbeitungsdauer ausgegangen wäre.
Hiergegen richtet sich die hiesige Klage.
Die Klägerin führt zu ihrem Vorbringen im außergerichtlichen Verfahren ergänzend aus, dass die Entschädigungsansprüche nach dem NS-VEntschG grundsätzlich auf Rückgabe gerichtet seien. Erst, wenn eine solche unmöglich sei, werde die Entschädigung in Geld geleistet. Dies bedeute, dass erst mit der Entscheidung über die Entschädigung feststehe, dass diese in Geld zu leisten sei. Somit könne auch erst ab diesem Zeitpunkt Kapital zur Nutzung überlassen worden sein. Dem folgend, könnten die auf die Zeit bis zum 13. Juli 2017 entfallenden Zinsen nur Teil der Entschädigungsleistung sein.
Damit seien die auf die Zeit vom 1. Januar 2004 bis zum 30. Juni 2017 entfallenden „Zinsen“ in Höhe von EUR (514.119,35 x 81 % =) 416.436,67 Teil der Entschädigungsleistung und nach § 3 Nr. 7 EStG steuerfrei zu stellen und nur die auf den Zeitraum ab 1. Juli 2017 bis zum 30. Juni 2018 entfallenden Zinsen in Höhe von EUR (514.119,35 x 6 % =) 30.847,16 als Kapitalerträge zu versteuern.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid für 2018 über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 12. Februar 2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. Dezember 2021 dahingehend zu ändern, dass von den nach § 2 Sätze 9 bis 11 NS-VEntschG ermittelten Zinsen in Höhe von EUR 447.283,83 ein Betrag von EUR 416.436,67 als Teil des Entschädigungsanspruches nach § 3 Nr. 7 EStG von der Besteuerung freigestellt und somit nicht als Einkünfte aus Kapitalvermögen festgestellt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
und verweist im Wesentlichen auf seine Einspruchsentscheidung.
Ergänzend führt der Beklagte aus, dass schon aus dem Gesetzeswortlaut des § 3 Nr. 7 EStG hervorgehe, dass die beiden zugunsten der Klägerin beschiedenen Ansprüche, hier die Entschädigung des Vermögensverlustes und die Zinsen, unabhängig nebeneinanderstehen würden. Die Zinsen würden keine den Anspruch auf Entschädigung erfüllenden Leistungen darstellen und seien somit kein Teil der nach § 3 Nr. 7 EStG steuerfreien Entschädigungsleistung. Hätte der Gesetzgeber nicht die Intention gehabt, nur die Erträge aus Zahlungen von Entschädigungen als solche steuerfrei zu belassen, hätte es des bewusst gewählten Wortlautes des § 3 Nr. 7 EStG „…..,soweit sie nicht Kapitalerträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 und Abs. 2 EStG sind“ nicht bedurft.
Dem Gericht hat zur Beratung und Entscheidung ein Band Einheitliche und Gesonderte Feststellung der Einkünfte des Beklagten vorgelegen.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der angegriffene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin deshalb nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -.
Zu Recht hat der Beklagte die Zinsen in Höhe von EUR 447.283,83 nicht gemäß § 3 Nr. 7 EStG steuerfrei gestellt. Die Steuerfreiheit der Ausgleichsleistung nach dem NS-VEntschG bezieht sich, wie sich aus dem „soweit“-Satz in Nr. 7 ergibt, nicht auf die Zinsen bzw. Zinszahlungen nach § 2 Sätze 9 bis 11 NS-VEntschG.
1. § 3 Nr. 7 normiert eine Befreiung für Bezüge nur, „soweit sie nicht Kapitalerträge im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 7 und Abs. 2 sind“. Dies bedeutet, die Bezüge dürfen keine Erträge aus Kapitalforderungen sein, es darf sich nicht um besondere Entgelte oder Vorteile handeln, die neben diesen Erträgen gewährt werden, und es darf sich nicht um Erträge aus der Veräußerung (bzw. Einlösung) der Kapital- oder Zinsforderungen handeln (v. Beckerath, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 3 Nr. 7 B 7/40).
a) Diese Ausschlussklausel wurde auf Vorschlag des Finanzausschusses durch das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz - EALG - vom 27. September 1994 in § 3 Nr. 7 aufgenommen (BT-Drucks. 12/7588, S. 45).
b) Teilweise wird vertreten, dass sich der Soweit-Satz in § 3 Nr. 7 EStG nur auf das Entschädigungsgesetz - EntschG - und das Ausgleichsleistungsgesetz - AusglLeistG - beziehe. Hierfür spreche, dass der Wortlaut des § 3 Nr. 7 EStG eine gewisse Trennung zwischen den Leistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz - LAG - etc. „sowie“ (als Konjunktion statt „und“) den Leistungen nach dem EntschG und dem AusglLeistG vorsehe. Zudem sei diese Ausschlussklausel mit dem Entschädigungs- und Ausgleichsgesetz vom 27. September 1994 - EALG - (BGBl I 1994, 2624) eingeführt worden. Seinerzeit seien nur im EntschG und im AusglLeistG Zinsen erwähnt worden (vgl. Fischer, in: Bordewin/Brandt, Einkommensteuergesetz, § 3 Nr. 7 Rz. 12; ebenso wohl v. Beckerath, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 3 Nr. 7 B 7/42).
c) Die Zinsen für Entschädigungsleistungen nach dem NS-VEntSchG sind erst später mit dem EntschRÄndG vom 10. Dezember 2003 (BGBl I 2003, S. 2472) analog zur der Veränderung der Verzinsung nach dem EntSchG eingeführt worden. Alle Fraktionen des Bundestages hielten es im Gesetzgebungsverfahren für unerlässlich, hinsichtlich der Verzinsung einen Gleichlauf in beiden Gesetzen festzulegen (BT-Drucks. 15/1808, S. 12). Gesetzgeberisches Ziel war neben der Beschleunigung der Abarbeitung der Entschädigungsanträge auch und gerade die zinsmäßige Gleichstellung aller Anspruchsberechtigten (BT-Plenarprotokoll 15/70, S. 6059 f.). Anhaltspunkte dafür, dass eine unterschiedliche Handhabung im Hinblick auf die steuerliche Behandlung der Zinsen vom Gesetzgeber beabsichtigt war oder für gerechtfertigt gehalten wurde, lassen sich - soweit ersichtlich - den Gesetzesmaterialien hingegen nicht entnehmen. Hierfür sind auch keine sachlichen Gründe erkennbar. Der vom Gesetzgeber gewünschte Gleichlauf zwischen der Verzinsung nach dem EntschG und dem NS-VEntschG spricht vielmehr für eine einheitliche Handhabung auch bei der Besteuerung.
d) Die Steuerpflicht der Zinszahlung als Kapitalertrag ergibt sich zudem auch aus dem Sinn und Zweck der Regelung des § 3 Nr. 7 EStG. Die Steuerbefreiung bezieht sich nur auf die Entschädigung als solche. Wird die Entschädigung verzinst, besteht kein Grund, die Zinszahlung im Gegensatz zu anderen Zinszahlungen als steuerfrei zu behandeln. Die Steuerfreiheit der zu Grunde liegenden Ausgleichsleistung als Kapitalforderung nach § 3 Nr. 7 EStG schlägt nicht auf die Zinszahlung durch, da zwischen beiden zu trennen ist (vgl. BFH, Urteil vom 20. Mai 1980, VIII R 64/78, BFHE 131, 297, BStBl II 1981, 6, zu § 3 Nr. 8 EStG; BFH, Urteil vom 28. März 1966, VI 145/64, BFHE 86, 346).
Damit bezieht sich nach Auffassung des Senats der Soweit-Satz in § 3 Nr. 7 EStG auch auf das NS-VEntschG.
2. Die streitige Zinszahlung ist auch ein Kapitalertrag im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG.
a) Danach gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder geleistet worden ist, auch wenn die Höhe der Rückzahlung oder des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängt. Dies gilt unabhängig von der Bezeichnung und der zivilrechtlichen Ausgestaltung der Kapitalanlage (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 2 EStG).
b) Unter den Begriff der Kapitalforderung im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG fallen alle auf eine Geldleistung gerichteten Forderungen, deren Steuerbarkeit sich nicht bereits aus einem anderen Tatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 oder 8 bis 11 EStG ergibt, und zwar ohne Rücksicht auf die Dauer der Kapitalüberlassung oder den Rechtsgrund des Anspruchs (BFH, Urteil vom 16. Juni 2020, VIII R 7/17, BFHE 269, 188, BStBl II 2021, 9). Nach ständiger Rechtsprechung des BFH bezieht derjenige Einnahmen aus Kapitalvermögen im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG, der Kapitalvermögen gegen Entgelt zur Nutzung überlässt (vgl. bspw. BFH, Urteil vom 15. Juni 2010, VIII R 33/07, BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503).
c) Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören alle Vermögensmehrungen, die bei wirtschaftlicher Betrachtung Entgelt für eine Kapitalnutzung sind. Der Rechtsgrund der Kapitalüberlassung ist dabei ebenso ohne Bedeutung wie der Umstand, ob die zu Grunde liegende Kapitalforderung selbst steuerbar ist. Auch eine erzwungene Kapitalüberlassung kann zu Einnahmen aus Kapitalvermögen führen (BFH, Urteil vom 20. Oktober 2015, VIII R 40/13, BFHE 252, 260, BStBl II 2016, 342). Auch Prozess- und Verzugszinsen führen zu steuerpflichtigen Kapitalerträgen im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG (BFH, Urteil vom 25. Oktober 1994, VIII R 79/91, BFHE 175, 439, BStBl II 1995, 121; BFH, Beschluss vom 17. Mai 2021, VIII B 85/20, BFH/NV 2021, 1352). Diese Zinsen sind Entgelt für die unfreiwillige Vorenthaltung des dem Steuerpflichtigen zustehenden Kapitals. Die fehlende Steuerbarkeit der Kapitalforderung erstreckt sich im Hinblick auf die unterschiedlichen Anspruchsgrundlagen nicht zugleich auf die Zinsen (BFH, Urteil vom 25. Oktober 1994, VIII R 79/91, BFHE 175, 439, BStBl II 1995, 121).
d) Erfasst wird das Kapitalnutzungsentgelt, das laufend oder auch einmalig entrichtet werden kann. Erforderlich sind das „Erzielen“ des Ertrags durch den Steuerpflichtigen und der Zufluss. Jedes wirtschaftliche Nutzungsentgelt ist gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 2 EStG unabhängig von Bezeichnung, Ausgestaltung, Zahlungsart und Berechnungsgrundlage (Vorwegzahlung, rechnerische Einbeziehung in Kapitalrückzahlung, Berechnung nach ungewissem Ereignis) und unabhängig von der zivilrechtlichen Wirksamkeit des Vertrages steuerpflichtig (vgl. Levedag, in: Schmidt, EStG, 40. Aufl. 2021, § 20 Rz. 118 m. w. N.). In Fällen der erzwungenen Kapitalüberlassung kann auch nicht entgegengehalten werden, dass hier ein auf die Erzielung von Einkünften gerichteter Wille des Steuerpflichtigen häufig nicht festgestellt werden kann. Auf die Feststellung der Einkünfteerzielungsabsicht kommt es nicht an, wenn eine Steigerung der finanziellen Leistungsfähigkeit durch den feststehenden Sachverhalt bewirkt worden ist (vgl. BFH, Urteil vom 15. Juni 2010, VIII R 33/07, BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503).
e) Nach diesen Grundsätzen erfüllen die der Klägerin zugeflossenen Zinsen in Höhe von EUR 447.283,83 nach Überzeugung des Senats den Besteuerungstatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG.
aa) Der streitige Zinsanspruch beruht auf § 2 Sätze 9 bis 11 NS-VEntschG. In den mit dem EntschRÄndG eingefügten Sätzen 9 bis 11 der genannten Vorschrift heißt es: Ab dem 1. Januar 2004 bis zum Kalendermonat vor der Bekanntgabe des Bescheides wird der Entschädigungsbetrag verzinst. Der Zinssatz beträgt monatlich 1/2 vom 100. Die Zinsen werden mit der Entschädigung festgesetzt.
Der Anspruch der Klägerin auf Ausgleichsleistung ist eine sonstige Kapitalforderung im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 EStG, da er auf eine Geldleistung gerichtet ist. Entgegen der Auffassung der Klägerin sind die Entschädigungsansprüche nach dem NS-VEntschG nicht grundsätzlich auf Rückgabe gerichtet. Vielmehr setzt das NS-VEntschG für das Bestehen eines Entschädigungsanspruchs bereits voraus, dass die Rückgabe, in diesem Fall eines Unternehmens, wegen dessen Liquidation nicht mehr möglich ist. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 NS-VEntschG besteht ein Anspruch auf Entschädigung, wenn in den Fällen des § 1 Abs. 6 Vermögensgesetz - VermG - die Rückgabe ausgeschlossen ist oder der Berechtigte Entschädigung gewählt hat. § 1 Abs. 1 NS-VEntschG bestimmt ausdrücklich, dass ein Anspruch auf Entschädigung „in Geld“ besteht.
bb) Die Zahlung in Höhe von EUR 447.283,83 als Zinsen für den Zeitraum Januar 2004 bis einschließlich Juni 2018 aufgrund der mit Bescheid vom 2. Juli 2018 festgesetzten Ausgleichsleistung ist wirtschaftlich betrachtet ein Entgelt, das für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung geleistet wurde.
Die Klägerin hat Kapital zur Nutzung überlassen. Die Verzinsung dient enteignungsrechtlich als Ausgleich dafür, dass die im Zeitpunkt des Enteignungsakts an die Stelle des entzogenen Vermögenswerts tretende (Geld-)Entschädigung regelmäßig erst nach Abschluss eines auf Prüfung der Entschädigungsvoraussetzungen gerichteten Verwaltungsverfahrens und damit ggfs. erheblich später ausgezahlt wird. Die Zinsen sind ein Ausgleich dafür, dass der Enteignete die ihm dem Grunde nach zustehende Entschädigung eine Zeit lang nicht nutzen konnte. Es handelt sich um das Entgelt dafür, dass das in der Entschädigung festliegende Kapital vorerst nicht anderweitig genutzt werden kann (BFH, Urteil vom 12. September 1985, VIII R 306/81, BFHE 145, 320, BStBl II 1986, 252 m. w. N.). Dies gilt auch dann, wenn die Höhe der Entschädigung erst mit Erlass eines Bescheides auf Ausgleichsleistung feststeht. Denn dem Grunde nach besteht ein Entschädigungsanspruch bereits mit der Enteignung selbst bzw. mit dem Erlass eines entsprechenden Entschädigungsgesetzes, sofern die Enteignung zeitlich vorgelagert war. Dieser Anspruch und dessen Ausgestaltung wird dann durch den die Ausgleichsleistung festsetzenden Bescheid nur noch konkretisiert und fällig gestellt (so zum EntschG: Finanzgericht -FG- München, Urteil vom 26. Februar 2013, 11 K 3148/11, EFG 2013, 1012; Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 26. September 2018, 5 K 35/18, EFG 2018, 1884; FG Köln, Urteil vom 16. Oktober 2013, 9 K 3311/10, EFG 2014, 273).
Es handelt sich bei der Zinszahlung auch nicht um eine steuerfreie Entschädigung für eine verzögerte Bearbeitung des Antrags der Klägerin auf Entschädigung. Eine solche Leistung sieht das NS-VEntschG nicht vor. Vielmehr geht es ausdrücklich in § 2 Sätze 9 bis 11 NS-VEntschG von einer Zinszahlung aus.
cc) Auf die Feststellung der Einkünfteerzielungsabsicht kommt es ebenfalls nicht an, da die Steigerung der finanziellen Leistungsfähigkeit durch den feststehenden Sachverhalt (Vereinnahmung der Zinsen) bewirkt worden ist (vgl. BFH, Urteil vom 15. Juni 2010, VIII R 33/07, BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503; BFH, Beschluss vom 30. Juni 2009, VIII B 8/09, BFH/NV 2009, 1977).
Die Zahlung i. H. v. EUR 447.283,83 ist demzufolge in voller Höhe im Jahr 2018 als Kapitalertrag zu erfassen.
Die Revision war zur Fortbildung des Rechts gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FGO zuzulassen. Die Frage, ob Zinsen nach § 2 Sätze 9 bis 11 NS-VEntschG wie die den Zinsen zugrundeliegende Entschädigungsleistung gem. § 3 Nr. 7 EStG steuerfrei sind oder § 3 Nr. 7 letzter Halbsatz EStG sich ausschließlich auf das EntschG und das AusglLeistG bezieht, ist höchstrichterlich nicht geklärt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Revision zu.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof schriftlich einzulegen. Die Revisionsschrift muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Eine Abschrift oder Ausfertigung des Urteils soll ihr beigefügt werden. Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Auch die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. Die Begründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit das Urteil angefochten und seine Aufhebung beantragt wird. Sie muss ferner die bestimmte Bezeichnung der Umstände enthalten, aus denen sich eine Rechtsverletzung durch das Urteil ergibt; soweit Verfahrensmängel gerügt werden, muss sie auch die Tatsachen angeben, aus denen sich der Mangel ergibt.
Bei der Einlegung und Begründung der Revision vor dem Bundesfinanzhof muss sich jeder Beteiligte durch einen Steuerberater, einen Steuerbevollmächtigten, einen Rechtsanwalt, einen niedergelassenen europäischen Rechtsanwalt, einen Wirtschaftsprüfer oder einen vereidigten Buchprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen. Zur Vertretung berechtigt sind auch Steuerberatungsgesellschaften, Rechtsanwaltsgesellschaften, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Buchprüfungsgesellschaften sowie Partnerschaftsgesellschaften, die durch einen der in dem vorherigen Satz aufgeführten Berufsangehörigen tätig werden. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst oder durch entsprechend befähigte Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Der Bundesfinanzhof hat die Postanschrift: Postfach 86 02 40, 81629 München, und die Hausanschrift: Ismaninger Str. 109, 81675 München, sowie den Telefax-Anschluss: 089/ 9231-201.
Rechtsmittel können auch über den elektronischen Gerichtsbriefkasten des Bundesfinanzhofs eingelegt und begründet werden, der über die vom Bundesfinanzhof zur Verfügung gestellte Zugangs- und Übertragungssoftware erreichbar ist. Die Software kann über die Internetseite „www.egvp.de“ lizenzkostenfrei heruntergeladen werden. Hier finden Sie auch weitere Informationen über die Einzelheiten des Verfahrens.
Nach Maßgabe von § 52d FGO sind Rechtsanwälte, Behörden und die übrigen in dieser Vorschrift genannten Personen verpflichtet, vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln.