Gericht | FG Cottbus 16. Senat | Entscheidungsdatum | 09.03.2023 | |
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Aktenzeichen | 16 K 16034/22 | ECLI | ECLI:DE:FGBEBB:2023:0309.16K16034.22.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 29c Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, § 30 Abs. 4 Nr. 1a AO, Art. 82 Abs. 1 DSGVO |
Leitsätze:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Die Klägerin rügt die Weitergabe der Telefonnummer ihres angestellten Ehemanns an die Senatsverwaltung für Finanzen. Bei der Klägerin hatte eine Außenprüfung stattgefunden, der Beklagte erlangte dort von der Klägerin Daten. Aus diesem Sachverhalt ist bereits eine Vielzahl von Klagen und Anträgen vor dem Gericht anhängig gewesen bzw. noch anhängig. Nach Darstellung der Klägerin ist die Telefonnummer ihres Ehemanns an die Senatsverwaltung für Finanzen weitergegeben worden, sie beruft sich insoweit auf das Zeugnis ihres Ehemanns.
Der Beklagte habe – so die Klägerin – scheinbar sämtliche Daten, die er durch staatsrechtswidrige Tatprovokation erhalten habe, an die Senatsverwaltung weitergegeben. Der § 147 VI S. 2 Alt. 2 AO gewähre dem Beklagten keine Rechte, die Daten zu kopieren und weiterzugeben (BVerfGE 65, 1; BFH/NV 15, 1455). Auf die bisher erteilte unvollständige Auskunft der Senatsverwaltung im Verfahren … werde verwiesen. Der Beklagte habe nach glaubhafter Versicherung ihres Angestellten B… dessen mobile Telefonnummer an die Senatsverwaltung für Finanzen weitergegeben. Zu welchem Beschwerdeverfahren die Telefonnummer von B… erforderlich gewesen sei, könne sie nicht nachvollziehen. Es werde beantragt, die handelnden Personen als Zeugen zur Verhandlung zu laden. Mutmaßlich dürfte dies die Referatsleiterin C… von der Senatsverwaltung für Finanzen, hilfsweise die Abteilungsleiterin D… von der Senatsverwaltung für Finanzen sein. Die Weitergabe der Telefonnummer stelle zum einen eine Verletzung der DSGVO und zum anderen eine Verletzung des Steuergeheimnisses dar. Die Klägerin beantrage, den Beklagten unter Eid zu vernehmen, ob dieser die Telefonnummer an die Senatsverwaltung übergeben habe und aus welchem Grund die Übergabe der Telefonnummer erforderlich gewesen sei.
Der Ehemann der Klägerin hat seine Beiladung beantragt, die mit Beschluss des Berichterstatters vom … abgelehnt wurde. Er hat gegen den Beschluss Beschwerde zum BFH eingelegt (Az. des BFH …).
Mit Schriftsatz vom 07.03.2023, der 284 Seiten umfasst und auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird, hat die Klägerin unter anderem die Unionsrechtswidrigkeit von Vorschriften der AO geltend gemacht. Dies gelte für § 29b AO, § 29c AO, § 30 Abs. 4 Nr.1-1b; 2b; 2c; 4; Abs. 6 AO, § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO, § 31b Abs. 1 AO, § 32c Abs. 1 Nr. 3 AO (unverhältnismäßigen Aufwand), § 32c Abs. 3 AO (auffinden) Unvereinbar mit Unionsrecht, § 32d Abs. 1 S. 1 AO, § 147 Abs. 6 AO, § 22 Abs. 2 Satz 2 BDSG (unvereinbar mit Unionsrecht), § 200 AO Unvereinbarkeit der Sanktionsregeln der AO mit dem Unionsrecht, fehlende gesetzliche Löschfristen in der AO. Die AO dürfte grundsätzlich gegen Unionsrecht, vorliegend Art. 84 Abs. 1 EU (VO) 2016/679, verstoßen. Ferner trägt die Klägerin vor zur Unmöglichkeit der Erfüllung der Anforderungen des Art. 35 DSGVO in Anbetracht der Erwägungsgründe (75), zu Risiken für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen (84), zu Risikoevaluierung und Folgenabschätzung (89), zum Entfall der generellen Meldepflicht (90), zur Datenschutz-Folgenabschätzung [DSFA] (91), zur Erforderlichkeit einer Datenschutz-Folgenabschätzung (92), zu einer Thematischen Datenschutz-Folgenabschätzung (93) und zu Datenschutz-Folgenabschätzung bei Behörden.
Die Senatsverwaltung für Finanzen müsse nachweisen, dass die Datenverarbeitung erforderlich und zulässig und auf das absolut notwendige Maß beschränkt gewesen sei. Dabei werde das Gericht den klaren Wortlaut des § 29c Abs. 1 Nr. 6 S.1 AO zu würdigen haben. Es fehle an der Entscheidungsreife für das Verfahren, weil im Rahmen der Datenweitergabe an die Senatsverwaltung für Finanzen auch Daten ihres Ehemanns weitergegeben worden seien. Ferner macht die Klägerin einen allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruch geltend, der aus der DSGVO folge, und meint darüber hinaus, dass die Regeln der FGO zu Feststellungsklagen durch die DSGVO verdrängt bzw. überlagert würden. Auch die Senatsverwaltung für Finanzen habe das Steuergeheimnis verletzt, weil diese die Daten für die Bearbeitung einer Petition genutzt habe. Das Finanzamt habe sich zu einer Verletzung des Steuergeheimnisses anstiften lassen. Denn das Finanzamt sei der Aufforderung der Senatsverwaltung für Finanzen zur Übergabe der Daten gefolgt. Das Finanzamt habe entgegen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und entgegen der Anordnung des § 29c Abs. 1 Nr. 6 S. 1 AO die Daten an die Senatsverwaltung für Finanzen in unbekannten Umfang weitergegeben. Die Klägerin beantragt insoweit Zeugenvernehmung von Frau E… vom Finanzamt. Die Prüferin möge darüber Auskunft geben, ob die Daten ausschließlich auf dem Prüferlaptop gespeichert gewesen seien, ob die Daten auf irgendeine Art und Weise den Prüferlaptop verlassen hätten (Netzlaufwerk, kompletter Ausdruck oder Ähnliches); wer Zugriff auf den Prüferlaptop gehabt habe (Administratoren; Datenschutz etc.) und wie der Umgang mit Prüfungsdaten insgesamt organisiert sei.
Die rechtstaatswidrige Tatprovokation durch die explizite Anforderung von Unterlagen von Berufsgeheimnisträgern auch in einem finanzgerichtlichen Verfahren stelle ein Verfahrenshindernis dar. Eine Würdigung des Gerichtes der dem Beklagten vorgeworfenen staatsrechtswidrigen Tatprovokation und Anstiftung zu einer Straftat habe dabei grundlegenden Charakter und sei für die Frage, ob eine Verletzung des Steuergeheimnisses durch die Senatsverwaltung für Finanzen vorliege, von existentieller Bedeutung. Das Gericht habe die Frage, ob ein Verfahrenshindernis aufgrund der staatsrechtswidrigen Tatprovokation durch Anforderungsverlangen des Finanzamtes vorliege, zu prüfen. Hierfür seien aus Art. 41 GRCh alle Akten der jeweiligen Beklagten erforderlich. Die Klägerin rügt den Entzug des rechtlichen Gehörs durch die fehlende Vorlage der Akten an das Gericht.
Es bestehe eine grundsätzliche Frage der Datenhoheit bei rechtswidrig erlangten Daten. Fraglich sei auch der Umfang des Steuergeheimnisses. Es müsse eine konkrete Abwägung zwischen dem Grundrechtseingriff und dem Gewicht des öffentlichen Interesses (vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Januar 1973 – 2 BvR 483/72, BVerfGE 34, 205) stattfinden. Ihr Vortrag zum unionsrechtlichen Erfordernis, insbesondere was den Begriff der Erforderlichkeit im Sinne der EuGH-Rechtsprechung angehe, müsse beachtet werden. Die Klägerin wendet sich weiter gegen den ihrer Meinung nach bestehenden unbegrenzten Zugriff auf alle elektronisch gespeicherten Unterlagen. Fraglich sei auch der Umfang des Schutzbereiches Art. 7 GRCh in Verbindung mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Fraglich sei ferner auch die Datenhoheit und der Rechtsdurchsetzung von verbundenen Datensätzen. Es könnte in der fehlenden vollständigen Auskunft nach Art. 15 DSGVO / Art. 41 GRCh ein Mangel an Rechtschutzmöglichkeiten zu sehen sein. Es bestehe ein allgemeiner Gesetzesvollzugsanspruch aus Unionsrecht. Dem Umfang und der Schutzpflicht zur Datenverarbeitung unbeteiligter Dritter werde nicht hinreichend Rechnung getragen. Ferner wendet sich die Klägerin umfangreich gegen das bereits ergangene Urteil … vom … Aktenzeichen des BFH: ... . Die Anwendbarkeit des § 68 FGO in datenschutzrechtlichen Verfahren sei fraglich.
Es sei ein Nachweis der Erforderlichkeit der Datenverarbeitung durch den Beklagten geboten. Es sei eine Rechtswidrigkeit der Datenverarbeitung durch Zeitablauf eingetreten. Die Klägerin beruft sich auf Akten im 2. Senat des FG. Die Wirksamkeit der Datenschutzerklärungen (DSE) sei fraglich. Der Zeitpunkt der Übergabe von Daten an die Senatsverwaltung für Finanzen dürfte relevant sein für die Überprüfung, ob die Daten von der Senatsverwaltung für Finanzen rechtmäßig verwertet hätten werden können. Sie verweise auf ihre Ausführung zur AdV im Schriftsatz vom … . Ferner trägt die Klägerin zur Anwendbarkeit des § 29c AO bei Beschwerdeverfahren und Dienstaufsicht durch die Senatsverwaltung für Finanzen vor. Ein Beschwerdeverfahren sei eine Petition, die grundsätzlich keine Dienstaufsicht darstelle. Die Anwendbarkeit des § 29c AO scheide aus. Die Datenverarbeitung des Beschwerdegegners basiere dabei auf § 29c Abs. 1 Nr. 6 AO. Die genaue Norm erlaube insoweit nur der Finanzbehörde selbst (Klein/Rüsken, 16. Aufl. 2022, AO § 29c Rn. 26; Koenig/Pätz, 4. Aufl. 2021, AO § 29c Rn. 59) und nicht der Gebietskörperschaft oder anderer Finanzbehörden Koenig/Pätz, 4. Aufl. 2021, AO § 29c Rn. 59) die Weiterverarbeitung der Daten. Das beklagte Finanzamt werde darlegen und beweisen müssen, auf welcher Rechtsgrundlage und mit welchem Erfordernis für welches Verwaltungsverfahren die Zweckänderung und Weitergabe der Daten erfolgt sei. Die Klägerin bestreitet, dass die Senatsverwaltung für Finanzen die gesamte Zeit hoheitlich gehandelt habe. Es sei möglicherweise zur einer Anstiftung der Senatsverwaltung für Finanzen zur Verletzung des Steuergeheimnisses durch das Finanzamt gekommen. Nach ihrem Sachvortrag unter der Überschrift „Probleme der §§ 29c Abs. 1 Nr. 6; 30 Abs. 4 Nr. 1a AO in Bezug auf die Senatsverwaltung für Finanzen“ sei zu prüfen, ob eventuell eine Anstiftung der Senatsverwaltung für Finanzen zur Verletzung des Steuergeheimnisses vorliege.
Die Datenweitergabe an eine andere Behörde sei nach der Rechtsprechung des BVerfG vom 26. April 2022 - 1 BvR 1619/17 m.w.N. immer ein erneuter Grundrechtseingriff. Die DSGVO gelte nach der Rechtsprechung des EuGH C-175/20 vom 24.02.2022 unmittelbar. Es liege weder eine Begründung für das Handeln der Behörden vor, noch sei rechtliches Gehör vor dem Grundrechtseingriff erfolgt. Das Gehör könne nun auch nicht mehr nachgeholt werden, denn Einsprüche seien bei erledigten Verwaltungsakten unzulässig (Urt. v. 09.02.1967, Az.: BVerwG I C 49.64; BFH, Urteil vom 07.08.1979 – BFH Aktenzeichen VII R 14/77). Damit fehle es an der Entscheidungsreife für alle Verfahren. Denn es seien auch Daten von Herrn B… an die Senatsverwaltung für Finanzen weitergegeben worden. Zum Beweis beruft die Klägerin sich auf das Schreiben der Senatsverwaltung für Finanzen vom … ab Blatt 8 der Akte … .
Es habe eine Verletzung des Steuergeheimnisses durch die Senatsverwaltung für Finanzen selbst stattgefunden. Die Senatsverwaltung für Finanzen habe Daten aus einem automatisierten System ohne Rechtgrundlage abgerufen und zugleich habe die Senatsverwaltung für Finanzen die Daten für die Bearbeitung einer Petition genutzt. Das Finanzamt habe sich zu einer Verletzung des Steuergeheimnisses anstiften lassen. Denn das Finanzamt sei der Aufforderung des Senatsverwaltung für Finanzen zur Übergabe der Daten gefolgt. Das beklagte Finanzamt habe entgegen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und entgegen der Anordnung des § 29c Abs. 1 Nr. S. 1 AO die Daten an die Senatsverwaltung für Finanzen in unbekannten Umfang weitergegeben.
Es sei ferner zur einer Datenweitergabe an den Beauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit - BfDI - durch Herrn F… vom Finanzamt gekommen.
Es bestehe ein Löschanspruch des Ehemannes der Klägerin (B…) gegen die Senatsverwaltung für Finanzen, insoweit werde auf das Verfahren … Bezug genommen. Um den Löschanspruch durchsetzbar zu machen, beantrage sie Amtsermittlung des Gerichts, welche Datensätze der Senatsverwaltung für Finanzen vorlägen, wo diese gespeichert seien, ob Kopien vorlägen, ob Datensicherungen vorhanden seien und wo diese lägen. Aus dem Konzept der Georedundanz [
https://www.bsi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/BSI/RZ-Sicherheit/Standort-Kriterien_Rechenzentren.pdf?__blob=publicationFile&v=1] sei davon auszugehen, dass der Auftragsverarbeiter IT-Dienstleistungszentrum Berlin - ITDZ - ein weiteres Rechenzentrum betreibe, in dem die Daten gespeichert seien. Auch diese Datenlokationen seien in die Amtsermittlung einzubeziehen.
Eine Aufgabenzuweisung für die Senatsverwaltung für Finanzen finde sich weder in der Berliner Landesverfassung noch in anderen Normen. Danach liege die Dienst- und Fachaufsicht nicht bei der Senatsverwaltung für Finanzen, sondern beim Senat. Zu dem Thema Dienstaufsicht werde darauf verwiesen, dass diese durch den Vorsteher des beklagten Finanzamtes wahrgenommen werde. Um die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung nachzuweisen, müsse die Senatsverwaltung für Finanzen die Zwecke und den Umfang offenlegen. Bisher habe sich der Beklagte nur zur Dienstaufsicht geäußert, welche die Senatsverwaltung für Finanzen nicht wahrnehme.
Wegen der weiteren Einzelheiten des umfangreichen Schriftsatzes wird auf diesen Bezug genommen.
Mit einem weiteren umfangreichen Schriftsatz vom 08.03.2023 trägt die Klägerin hinsichtlich der ITDZ Berlin vor. Das Gründungsgesetz weise das ITDZ nicht als Steuerbehörde aus. Das Informationstechnikzentrum Bund - ITZBund - hingegen sei nach § 10 des Gründungsgesetzes eine Steuerbehörde. Damit obliege es der Senatsverwaltung für Finanzen nach § 30 Abs. 9 AO nachzuweisen, dass alle Mitarbeiter des ITDZ Berlin auf das Steuergeheimnis verpflichtet seien, dazu gehörten auch alle Externen, die Zugang zum System der E-Akte hätten. Lägen die Voraussetzungen nicht vor, so liege ein unzulässiges Offenbaren an Dritte vor. Die Senatsfinanzverwaltung habe die Frage nach dem Empfänger der Daten nicht vollständig und wahrheitsgemäß beantwortet. Empfänger sei unter anderem das ITDZ Berlin, das ausschließlich die E-Akte für die Berliner Behörden betreibe. Sie stelle den Antrag auf Zeugenvernehmung: G… (Alternativ: H… oder I…). Der Zeuge solle sich zum Betrieb der E-Akte in der Senatsverwaltung für Finanzen und zu den bekannten Datenspeicherorten und den Auftragsverarbeitern äußern. Die Senatsverwaltung für Finanzen nutzte dabei die E-Akte.
Vorliegend weiche der Datenschutzbeauftragte des Finanzamtes von den Kontaktdaten des Finanzamtes ab. Es werde zum Beweis auf die Behördenakte des Verfahrens … (liege beim BFH unter dem AZ: …) verwiesen. Nach der Email von Frau J… vom … sei der behördliche Datenschutzbeauftragte bei der Senatsfinanzverwaltung angesiedelt. Damit sei der Datenschutzbeauftragte des Finanzamtes nicht mehr erreichbar. Danach sei die Anforderung aus der DSGVO nach Art. 13 Abs. 1 Lit b) DSGVO bereits nicht mehr erfüllt. Die Empfänger der Daten würden in der Datenschutzerklärung (Lit. e) auch nicht mehr benannt. Denn es fehlten unter Nr. 6 der Datenschutzerklärung die Auftragsverarbeiter der Beklagten. Auch Auftragsverarbeiter seien Empfänger der Daten. Vorliegen seien mind. das Technisches Finanzamt - TFA – Berlin, die Senatsverwaltung für Finanzen und das ITDZ Berlin Empfänger der Daten, da diese Auftragsverarbeiter seien. Es werde zu Beweiszwecken auf das Schreiben des beklagten FA vom … im Verfahren … an das Gericht verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des mit diesem Schriftsatz ergänzten Vortrages wird auf den Schriftsatz Bezug genommen.
Nach ihren Schriftsätzen bis zur mündlichen Verhandlung hat die Klägerin sinngemäß beantragt, die Verletzung des Steuergeheimnisses und der DSGVO durch die Weitergabe der Telefonnummer ihres Ehemanns an die Senatsverwaltung für Finanzen festzustellen.
In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin ihr Klagebegehren umgestellt.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 100,- € Schadenersatz zu zahlen, der Schaden ist entstanden aus einem Mitarbeiterexzess aus der Übergabe der Telefonnummer verbunden mit der unbefugten Offenbarung und Zweckänderung der Daten an die Senatsfinanzverwaltung i. V. m. der unbefugten Offenbarung der Daten des ITDZ durch die Nutzung der E-Mail-Systeme und E-Akte ohne Vertrag der Auftragsverarbeitung, der fehlenden TOMs unter Verstoß gegen § 30 Abs. 9 AO in Verbindung mit der fehlenden Verpflichtung der Mitarbeiter:innen des ITDZ zum Steuergeheimnis, der fehlenden Auskunft, der unvollständigen Auskunft über die Empfänger der Daten in Verbindung mit fehlender Transparenz der Durchbrechung des Steuergeheimnisses unter Verstoß gegen die folgenden Normen: § 30 Abs. 4 Nr. 1 a, 2; § 29 c Abs. 1 Nr. 6 S. 1 AO; Artikel 5 Abs. 1 Lit. a, b, c, e, f; Artikel 6 Abs. 1 Lit. a bis f; Artikel 7 Abs. 1 bis 4; Artikel 9; Artikel 11; Artikel 12 Abs. 1, 2, 3; Artikel 13 Abs. 1, 2, 3 i. V. m. Artikel 41 GRCh; Artikel 14 Abs. 1, 2, 3, 4, 5; Artikel 15 Abs. 1, 3 DSGVO.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte trägt vor, dass der Rechtsstreit aufgenommen worden sei, weil die Klägerin mit (in den Verfahren … und … eingereichtem) Schriftsatz vom … geltend gemacht habe, dass das Finanzamt „nach glaubhafter Versicherung meines Angestellten Herrn B… dessen mobile Telefonnummer an die Senatsverwaltung für Finanzen weitergegeben habe.“ Die Klägerin sehe darin eine Verletzung der DSGVO und des Steuergeheimnisses. Der Beklagte halte die Klage für unzulässig, da ein berechtigtes Feststellungsinteresse nicht vorgetragen wurde und auch sonst nicht ersichtlich sei. Es könne seines Erachtens dahinstehen, ob - und ggf. aus welchen Gründen - die von der Klägerin selbst dem Finanzamt im Rahmen einer bei ihr angeordneten Außenprüfung mitgeteilte Telefonnummer von B… gegenüber der Senatsverwaltung für Finanzen bekanntgeworden worden sei. Ein Rechtsverstoß sei hierin nicht zu ersehen, da die Senatsverwaltung die Aufsicht führende Behörde des Finanzamtes sei. Auf die Ausführungen im Urteil vom … (Az. …) unter 1.c. werde hingewiesen.
Dem Streitfall liege ein behaupteter Sachverhalt zugrunde. Ohne nähere Angaben hierzu sei eine Übersendung von Verwaltungsvorgängen nicht möglich; es handele sich um eine Klage ohne Vorverfahren.
Die Voraussetzungen für eine Beiladung von B… nach § 60 FGO halte der Beklagte für nicht gegeben (vgl. Ausführungen unter 1.a. im o.g. Urteil sowie ständige Rechtsprechung, BFH-Beschluss vom 25.09.2001, IX B 144/00, m.w.N.).
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Klageänderung sachdienlich, denn die geänderte Klage ist entscheidungsreif. Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Weitergabe der Telefonnummer an die Senatsverwaltung war jedenfalls zulässig. Es besteht darüber hinaus mangels Schadens kein Schadensersatzanspruch.
1. Zulässigkeit der Weitergabe aller Daten an die Senatsverwaltung für Finanzen und fehlende Zweckänderung
Es hat keine Verletzung des Steuergeheimnisses stattgefunden. Ein Offenbaren geschützter Daten im Sinne von § 30 AO liegt in jedem Verhalten, aufgrund dessen einem Dritten unter das Steuergeheimnis fallende Umstände bekannt werden oder bekannt werden könnten. Nach zum Teil vertretener Ansicht liegt beim Informationsaustausch innerhalb des Finanzressorts bereits kein Offenbaren vor; während nach wohl überwiegender Ansicht auch bei der Weitergabe geschützter Daten innerhalb des Dienstbereiches an andere, selbst dienstlich mit der Sache befasste Amtsträger, Dienstvorgesetzte, einschließlich der Aufsichtsbehörden ein Offenbaren anzunehmen ist (vgl. Alber in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 266. Lfg. (11/2021), § 30 AO Rn. 121 m.w.N.). Die Frage kann der Senat jedoch im Ergebnis dahinstehen lassen, denn jedenfalls erfolgt die Weitergabe der geschützten Daten befugt, sodass darin keine Verletzung des Steuergeheimnisses zu sehen ist. Die Befugnis zur Weitergabe an Aufsichtsbehörden ergibt sich aus § 30 Abs. 4 Nr. 1a i. V. m. § 29c Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AO (vgl. Rüsken in: Klein, AO, 16. Aufl. 2022, § 30 Rn. 61). Die Befugnis zur Weitergabe an den Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit ergibt sich aus § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO i. V. m. § 16 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BDSG (vgl. Rüsken in: Klein, AO, 16. Aufl. 2022, § 30 Rn. 118). Damit scheidet, selbst wenn der Beklagte - wie von der Klägerin behauptet – die Telefonnummer ihres Ehemanns an die aufsichtsführende Senatsverwaltung für Finanzen weitergegeben haben sollte, eine Verletzung des Steuergeheimnisses und der DGVO jedenfalls aus.
Die Senatsverwaltung für Finanzen entspricht dem Finanzministerium in anderen Bundesländern. Sie hat die Rechts- und Fachaufsicht über die Finanzämter und zu deren Ausübung kann sie sich berichten lassen und die Akten einsehen, anders kann die Aufsicht im Ergebnis nicht ausgeübt werden. Gerade, wenn Verstöße des Finanzamts gegen die DSGVO und das Steuergeheimnis gerügt werden, muss sich die Senatsverwaltung für Finanzen ein vollständiges Bild machen. Weil die Senatsverwaltung für Finanzen daher ein Recht auf vollständige Aktenvorlage hat, kann die Weiterleitung einzelner Daten kein Verstoß sein. Ein Zurückbehaltungsrecht der untergeordneten Behörde gleich welcher Art besteht insoweit nicht, dies würde die Aufsichtsfunktion schlechterdings unmöglich machen. Auch der BFH hat bereits entscheiden, das die Verpflichtung der Finanzämter, in bestimmten Fällen unter Vorlage von Akten der Oberfinanzdirektion (in Berlin mittlerweile die Senatsverwaltung für Finanzen) zu berichten, lediglich der Vorbereitung genereller oder spezieller fachlicher Weisungen diene und ebenfalls Ausfluss der Leitungsfunktion sei (vgl. BFH, Beschluss vom 11. Februar 1991 – V B 175/89 –, juris).
Dass die Fachaufsicht durch die Senatsverwaltung für Finanzen, nicht durch den Senat als Ganzes ausgeübt wird, ergibt sich aus Art. 58 Abs. 5 VvB (Verfassung von Berlin) (und ergänzend aus § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 2 FVG). Art. 67 regelt die Abgrenzung von Hauptverwaltung und Bezirksverwaltungen. Art. 58 regelt die Zuständigkeit innerhalb des Senats. Zuständig ist daher „der …“, so hieß lange Zeit auch die Behörde, bis diese, sprachlich neutralisierend, aber ohne inhaltliche Änderung, in Senatsverwaltung für Finanzen umbenannt wurde.
Eine Zweckänderung ist ebenfalls nicht nachvollziehbar. Selbst wenn die Senatsverwaltung für Finanzen die Daten für eine Petition im Zusammenhang mit einem Besteuerungsverfahren verwendet haben sollte, liegt hierin keine Zweckänderung, da es sich nach wie vor um eine Nutzung zu Besteuerungszwecken und auch zur Dienstaufsicht handelt.
2. Fehlender Schaden
Die Klägerin hat gegen den Beklagten mangels Vorliegens eines Schadens keinen Anspruch auf Schadenersatz aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO.
a. Schadensbegriff
Der Klägerin steht kein Anspruch aus Art. 82 DSGVO gegen den Beklagten auf Ersatz eines - materiellen oder immateriellen - Schadens wegen Verstoßes gegen die DSGVO zu.
Nach Art. 82 Abs. 1 und 2 DSGVO hat jede natürliche Person, der wegen eines Verstoßes gegen die DSGVO ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, einen Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter. Jeder an einer Verarbeitung beteiligte Verantwortliche haftet für den Schaden, der durch eine nicht dieser Verordnung entsprechende Verarbeitung verursacht wurde, Art. 82 Abs. 2 Satz 1 DSGVO. Der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter wird von der Haftung gemäß Absatz 2 befreit, wenn er nachweist, dass er in keinerlei Hinsicht für den Umstand, durch den der Schaden eingetreten ist, verantwortlich ist (Art. 82 Abs. 3 DSGVO).
Selbst wenn in dem Verhalten des Beklagten ein Verstoß gegen die DSGVO zu sehen sein sollte, liegen nach Überzeugung des Senats die Voraussetzungen für einen Geldentschädigungsanspruch in Bezug auf einen der Klägerin zugefügten - materiellen oder immateriellen - Schaden nicht vor, da es am Eintritt eines Schadens bei der Klägerin fehlt.
aa. Die Frage, ob bereits der Datenschutzverstoß als solcher für das Entstehen eines Schadenersatzanspruchs ausreicht oder es darüber hinaus der Darlegung und des Nachweises eines konkreten (auch: immateriellen) Schadens bedarf, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten (für ein Ausreichen des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht: z.B. Oberlandesgericht - OLG - München, Urteil vom 04.02.2019 - 15 U 3688/18 -, juris, Rn. 19 ff., Ehmann/Selmayr/Nemitz, Datenschutz-Grundverordnung, 2. Aufl. 2018, Art. 82 DS-GVO Rn. 11 ff.; für das Erfordernis eines nachgewiesenen Schadens z.B. Landesarbeitsgericht - LAG - Baden-Württemberg, Urteil vom 25.02.2021 - 17 Sa 37/20 -, juris, Rn. 96, Landgericht - LG - Karlsruhe, Urteil vom 02.08.2019 - 8 O 26/19 -, juris, Rn. 19, Ernst, jurisPR-ITR 1/2021 Anm. 6 m.w.N.).
Insbesondere die Vertreter eines Anspruchs ohne Nachweis eines konkreten Schadens gehen zudem davon aus, dass die Beeinträchtigung über eine bloße Bagatellverletzung hinausgehen muss (vgl. Quellenangaben bei Ernst, jurisPR-ITR 1/2021 Anm. 6).
Sowohl der österreichische Oberste Gerichtshof (Vorabentscheidungsersuchen vom 15.04.2021, – 6 Ob 35/21x, Zeitschrift für Datenschutz - ZD - 2021, 633, Az. des EuGH: C-300/21) als auch das Bundesarbeitsgericht (Vorabentscheidungsersuchen vom 26.08.2021 – 8 AZR 253/20 (A) –, ZD 2022, 56, Az. des EuGH: C-667/21) haben die hiermit zusammenhängenden Fragen dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt. Dabei vertritt der österreichische Gerichtshof die Auffassung, es sei der Nachweis eines Schadens erforderlich, während das BAG den Nachweis eines Schadens nicht für notwendig hält.
bb. Der Senat folgt der Auffassung, wonach über den festgestellten Verstoß gegen die Vorschriften des DSGVO hinaus auch der Nachweis eines konkreten (immateriellen) Schadens Voraussetzung für eine Entschädigung in Geld ist.
Hierfür spricht zunächst bereits der Wortlaut von Art. 82 Abs. 1 DSGVO, der über den Verstoß hinaus ausdrücklich die Entstehung eins Schadens („...Schaden entstanden ist") voraussetzt (Eichelberger, Wettbewerb in Recht und Praxis - WRP - 2021, 159; Wybitul/Brams, ZD 2020, 644). Hätte der Verordnungsgeber eine nur an den Rechtsverstoß anknüpfende, vom Nachweis eines konkreten Schadens unabhängige Zahlungspflicht anordnen wollen, hätte es demgegenüber nahegelegen, dies - wie z.B. im Luftverkehrsrecht gem. Art. 7 Abs. 1 FluggastrechteVO (EG) 261/2004 - durch Pauschalen zu regeln (Eichelberger, WRP 2021, 159 Rn. 24).
Für dieses Auslegungsergebnis sprechen ferner die Erwägungsgründe zur DSGVO. In dem Erwägungsgrund 146 Satz 3 heißt es zwar, dass der Begriff des Schadens im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofs weit auf eine Art und Weise ausgelegt werden soll, die den Zielen der Verordnung in vollem Umfang entspricht. Der Anspruch soll nach Erwägungsgrund 146 Satz 6 sicherstellen, dass die betroffenen Personen einen vollständigen und wirksamen Schadenersatz für den erlittenen Schaden erhalten. Das schließt ein, dass Schadenersatzforderungen abschrecken und weitere Verstöße unattraktiv machen sollen.
Der Begriff des Schadens in Art. 82 DSGVO ist autonom auszulegen, mithin kommt es nicht darauf an, ob ein bestimmter Schaden nach nationalem Recht als Schaden angesehen werden könnte (Kühling/Buchner/Bergt, DS-GVO/BDSG, 3. Aufl. 2020, Art. 82 Rn. 17; vgl. in diesem Zusammenhang auch: Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschluss vom 14.01.2021 - 1 BvR 2853/19 -, ZD 2021, 266). Auch hiernach ist der Schaden jedoch nicht mit der zugrundeliegenden Rechtsgutsverletzung gleichzusetzen. Denn ausdrücklich muss der Schaden „erlitten" werden, woraus folgt, dass dieser tatsächlich entstanden sein muss und nicht lediglich befürchtet wird (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.02.2021 - 17 Sa 37/20 -, juris, Rn. 96 unter Bezug auf Paal/Pauly/Frenzel, DS-GVO/BDSG, 3. Aufl. 2021, Art. 82 DS-GVO, Rn. 10 und Klein, Praxis im Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht - GRUR-Prax - 2020, 433). Der bloße Verstoß gegen Bestimmungen der DSGVO reicht daher nicht aus.
Hinzu kommt, dass weder Art. 82 DSGVO noch dessen Erwägungsgründe einen Hinweis darauf enthalten, dass geringfügige (Bagatellschäden) nicht auszugleichen wären; vielmehr sieht Erwägungsgrund 148 Satz 2 vor, dass lediglich ausnahmsweise bei geringfügigen Verstößen auf die Verhängung einer Geldbuße verzichtet werden kann (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.02.2021 - 17 Sa 37/20 -, juris m.w.N.). Das Erfordernis des Nachweises eines tatsächlich erlittenen Schadens ist daher auch der Sache nach erforderlich, um ein vom Verordnungsgeber nicht gewolltes Ausufern von Schadenersatzforderungen in allen Fällen eines - tatsächlich für den Betroffenen folgenlosen - Datenschutzverstoßes zu vermeiden (so insbesondere auch Ernst, jurisPR-ITR 1/2021 Anm. 6).
Schließlich sieht sich der Senat in seiner Rechtsansicht bestätigt durch die Schlussanträge des Generalanwalts - GA- Manuel Campos Sánchez-Bordona in der Rs. C-300/21 vom 06.10.2022 (BeckRS 2022, 26562; vgl. auch Anm. Leibold, Datenschutz-Berater - DSB - 2022, 285).
Der GA bringt in den Schlussanträgen seine Überzeugung zum Ausdruck, die bloße Verletzung einer Norm aus der DSGVO reiche nicht aus, um einen Schadenersatzanspruch zu begründen. Vielmehr müsse mit dieser Verletzung auch ein entsprechender materieller oder immaterieller Schaden einhergehen. Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 82 Abs. 1 DSGVO. Die Auslegung, die den Begriff „Verstoß“ automatisch, ohne Erfordernis eines Schadens, mit dem Begriff „Ausgleich“ in Verbindung bringe, stehe nicht mit Art. 82 Abs. 1 DSGVO im Einklang.
Nach Ansicht des GA sei Art. 82 Abs. 1 DSGVO im Lichte typischer Funktionen zivilrechtlicher Haftung konzipiert und gesetzgeberisch gefasst worden. Art. 82 DSGVO begründe gerade keinen Strafschadenersatz. Dies ergebe sich aus der grammatikalischen, historischen, systematischen und teleologischen Auslegung der Vorschrift. Der DSGVO sei kein Sanktionscharakter des Ersatzes materieller oder immaterieller Schäden zu entnehmen oder Hinweise auf die abschreckende Wirkung des Schadenersatzes. Letztere komme nur den strafrechtlichen Sanktionen und verwaltungsrechtlichen Geldbußen zu. Aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich keine Diskussion über eine etwaige Straffunktion der in der DSGVO vorgesehenen zivilrechtlichen Haftung.
Die vorgesehene zivilrechtliche Haftung habe eine „private Ausgleichsfunktion“, während Geldbußen und strafrechtliche Sanktionen die „öffentliche Funktion“ haben, abzuschrecken und gegebenenfalls zu sanktionieren. Bei der Verhängung einer Geldbuße und der Festsetzung ihrer Höhe habe die Aufsichtsbehörde die in Art. 83 DSGVO aufgezählten Faktoren zu berücksichtigen, die in der Regel nicht auf die Berechnung des Schadenersatzes nach Art. 82 DSGVO übertragbar seien.
Ferner stellt der GA fest, dass unter Zugrundelegung der vier Auslegungsmethoden die Vermutung eines Schadens zu keinem ersatzfähigen Schaden i. S. d. Art. 82 DSGVO führen könne. Der bloße Kontrollverlust an personenbezogenen Daten allein führe noch zu keinem ersatzfähigen Schaden. Die DSGVO ziele nicht darauf ab, dass die Kontrolle des Einzelnen über die ihn betreffenden Informationen zum Maß aller Dinge wird, indem sie sich schlicht seinen Präferenzen beugt, sondern sie soll das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten jedes Einzelnen mit den Interessen Dritter und der Gesellschaft in Einklang bringen. Die DSGVO bezwecke gerade nicht, die Verarbeitung personenbezogener Daten systematisch zu begrenzen, sondern soll sie unter strengen Voraussetzungen legitimieren.
cc. Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat die Klägerin das Vorliegen eines konkreten - immateriellen - Schadens nicht zur Überzeugung des Senats dargetan.
b. Bekanntwerden einer Telefonnummer kein Schaden
In der bloßen Möglichkeit des Bekanntwerdens einer Telefonnummer vermag der Senat keinen Schaden zu erkennen. Auch soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung durch ihren Vertreter hat vortragen lassen, dass ihr ein zivilrechtlicher Ersatzanspruch drohe, würde dieser jedenfalls ebenfalls einen Schaden voraussetzen. In dem bloßen Bekanntwerden einer Mobilfunktelefonnummer vermag das Gericht jedoch nicht einmal einen Bagatellschaden zu erkennen. Hinzu kommt, dass der Vortrag in der mündlichen Verhandlung, dass es sich um eine der Geheimhaltung unterliegenden Nummer handeln würde, ohne jede Glaubhaftmachung oder gar Beweis geblieben ist. Es ist darüber hinaus nicht einmal ansatzweise dargelegt worden, wie diese Nummer, die doch der Geheimhaltung unterliegen sollte, in die Aufzeichnungen der Klägerin geraten konnte. Die entsprechende Information müsste also schon vorher durch den Nutzer der entsprechenden Telefonnummer B… freiwillig und dann natürlich unzulässig bekannt gegeben worden sein. Alternativ denkbar wäre, dass B…, der auch vorliegend für die Klägerin auftritt, unter Nutzung dieser Nummer bei der Beklagten angerufen hat, was dann ebenfalls unzulässig gewesen wäre und bedeuten würde, dass er selbst freiwillig und unzulässig seine angebliche Geheimnummer offenbart hätte. Auch aus dem übrigen Akteninhalt vermag der Senat einen ersatzfähigen - materiellen oder immateriellen - Schaden nicht zu erkennen.
3. Keine Beiladung des Herrn B…
Eine Beiladung des Ehemanns der Klägerin hatte schon deshalb zu unterbleiben, weil dessen Rechte für den etwaigen Schadensersatzanspruch der Klägerin irrelevant sind. Das Sach- und Rechtsverhältnis ist nicht derart, dass darüber nur einheitlich entschieden werden könnte.
4. Keine Aussetzung des Verfahrens
Das Verfahren war auch nicht auszusetzen, um die Rechtsfrage dem EuGH vorzulegen. Eine Verpflichtung zur Vorlage an den EuGH besteht für den erkennenden Senat als Instanzgericht nicht. Die Finanzgerichte sind gem. Art. 267 Abs. 2 AEUV bei Auslegungsfragen zur Vorlage berechtigt, aber nicht verpflichtet. Der BFH hat daher entschieden, eine Vorlageverpflichtung der Finanzgerichte bestehe aus unionsrechtlichen Gründen nicht, obwohl keine zulassungsfreie Revisionseinlegung möglich sei (Gräber/Levedag, FGO, 9. Aufl. 2019, Anhang, Rn. 171). Wenn jedoch bereits bei nicht zugelassener Revision keine Vorlagepflicht besteht, gilt dies erst recht, wenn das Instanzgericht die Revision zulässt, wie hier.
Der Senat hält es auch nicht für geboten, den Ausgang des Vorabentscheidungsverfahrens in den Rechtssachen C-300/21, C-667/21 und C-182/22 abzuwarten, denn die Klägerin hat im Verfahren Verzögerungsrüge erhoben. Ihr liegt also erkennbar an einer zügigen Entscheidung, was es als untunlich erscheinen lässt abzuwarten. Im Übrigen liegen die maßgeblichen Rechtsfragen dem EuGH bereits in anhängigen Vorlageverfahren u.a. des österreichischen Obersten Gerichtshofs vom 15.04.2021 (C-300/21), des Bundesarbeitsgerichts vom 26.08.2021 (C-667/21) und des Amtsgerichts München vom 10.03.2022 (C-182/22) vor. Insoweit steht es der Klägerin aufgrund der wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassenden Revision – dazu sogleich III. – frei, die Entscheidung durch den Bundesfinanzhof überprüfen zu lassen.
Soweit die Klägerin meint, es bestünde keine Entscheidungsreife für den Streitfall, vermag das Gericht diesem Vorbringen ebenfalls nicht beizutreten. Das Verfahren ist schon mangels Vorliegens eines Schadens in jeder Hinsicht entscheidungsreif.
Den zahlreichen Beweisanträgen war schon deshalb nicht zu entsprechen, weil die Klage schon mangels eingetretenen Schadens keinen Erfolg haben kann.
5. Keine relevanten Beweisanträge
Soweit der Vertreter der Klägerin beantragt hat F…, Vorsteher des Beklagten, zum Nachweis der Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit der Weitergabe der Mobilfunknummer von B… zu vernehmen, war dem Beweisantrag nicht zu entsprechen, da die Weitergabe – wie bereits ausgeführt – jedenfalls zulässig war. Dies gilt auch für die Anträge, Frau C… und Frau D… von der Senatsverwaltung für Finanzen zum Beweis der Tatsache, woher sie die Mobilfunknummer von B… haben, zu vernehmen.
Soweit der Vertreter der Klägerin die Vernehmung des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht … zur Funktionsweise der Videokameras im Saal beantragt hat, war dem auch nicht zu entsprechen, weil die Funktionsweise der Kamera nicht Streitgegenstand des Verfahrens ist, sondern vielmehr die Umstände der mündlichen Verhandlung betrifft. Vor allem hat das Gericht vor der Verhandlung bei der Haustechnik Rücksprache gehalten und die entsprechenden Hinweise erhalten, die mit dem Vertreter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung erörtert wurden. Der Senat hat daher keinen Zweifel, dass keine Übertragung stattgefunden hat und mithin die Nichtöffentlichkeit gewahrt war.
6. Kein wirksamer Ablehnungsantrag
Es existiert auch kein Ablehnungsgesuch vom …, über das noch nicht entschieden wäre. Aus den Urteilsgründen … ergibt sich das Gegenteil. Insbesondere hat die Klägerin den dort tätigen Einzelrichter für dieses Verfahren abgelehnt. Selbst wenn sie damit eine Ablehnung des Richters für alle Verfahren hätte bewirken wollen, hätte sie dies zum einen eindeutig zum Ausdruck bringen müssen, wie sie dies auch sonst tat, und zum anderen ist dieses Ablehnungsgesuch jedenfalls aus den bereits im Urteil … dargelegten Gründen jedenfalls zurückzuweisen. Der Senat schließt sich den Ausführungen in diesem Urteil jedenfalls an und weist das Ablehnungsgesuch unter Verweis auf die dortigen Ausführungen vorsorglich zurück.
Es heißt in dem Urteil … vom … wörtlich: „Aus den gleichen Gründen war auch der zu Beginn der mündlichen Verhandlung gestellte Befangenheitsantrag zurückzuweisen. Auch dieser Antrag diente lediglich der weiteren Prozessverschleppung und konnte ohne Einhaltung des Handlungsverbots durch den Richter selbst entschieden werden.“
Dass diese zu Beginn der mündlichen Verhandlung erfolgte Ablehnung allein das dortige Verfahren betraf, ergibt sich außerdem aus dem Umstand, dass die Klägerin ansonsten keine Probleme damit hatte, ihre Ablehnungsanträge ausdrücklich auf alle anhängen Verfahren zu beziehen so z.B. der Ablehnungsantrag vom … . Dort hatte sie ausdrücklich formuliert: „in allen anhängigen Verfahren“. Eine solche Formulierung ist aber laut Protokoll für den damals neuen, zu Beginn der mündlichen Verhandlung gestellten Befangenheitsantrag gerade nicht erfolgt.
Im Schriftsatz vom 08.03.2023 ist kein Befangenheitsantrag enthalten. Der Vorsitzende im Verfahren … hat laut Protokoll vom … darauf hingewiesen, dass die in dem gemeinsamen Schriftsatz vom 08.03.2023 möglicherweise enthaltenen Befangenheitsanträge aus Sicht des Gerichts nur das Verfahren … betreffen, und hat den Vertreter der Klägerin gefragt, ob in der hiesigen Sache Befangenheitsanträge gestellt werden sollen oder in dem Schriftsatz enthalten sind. Diese Frage bezog sich auf den gemeinsam für mehrere Verfahren eingereichten Schriftsatz vom 08.03.2023. Der Vertreter der Klägerin hat dies verneint. Damit ist in dem Schriftsatz vom 08.03.2023 auf Seite 139 jedenfalls kein Befangenheitsantrag gestellt; zumal die in dem entsprechenden Satz genannten Verfahren … und … keine Verfahren der Klägerin sind. Das Gericht weist das Vorbringen, sollte es doch als Befangenheitsantrag gemeint sein, vorsorglich als unzulässig zurück, da es nur mit Vorbringen aus anderen Verfahren als denen der Klägerin begründet wird.
7. Videokonferenzanlage und Notfallkamera
Soweit sich der Vertreter der Klägerin nach auf deren Antrag beschlossenen Nichtöffentlichkeit des Verfahrens gegen die Videokonferenzanlage wendet, ist darauf hinzuweisen, dass nach Rücksprache mit der Haustechnik durch Abschalten des insoweit verwendeten Computers die Anlage ausgeschaltet war. Die fest an der Decke installierte Notfallkamera ist technisch bedingt nicht abbaubar und vor allem nach Rücksprache mit der Haustechnik nur nach Auslösen des Alarms durch die Richter selbst aktiv. Aufgrund der Anbringung an der Decke ist die Kamera auch nicht abdeckbar.
Der Senat ist der Überzeugung, dass die Kamera der Videokonferenzanlage nicht aktiv war, da diese mit dem dazugehörigen Computer verbunden ist und dieser nicht angeschaltet war. Damit war das Verfahren nichtöffentlich.
8. Revisionszulassung
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der aufgrund großer Breitenwirkung klärungswürdig und klärungsbedürftig erscheinenden Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang Art. 82 DSGVO einen Anspruch auf Ersatz immaterieller Schäden gewährt, zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), und weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO), da der Senat im Hinblick auf die Frage, ob allein Verstöße gegen die DSGVO für einen Schadenersatzanspruch aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO ausreichen oder ob es darüber hinaus der Darlegung und des Nachweises eines konkreten Schadens bedarf, vom OLG Köln – zur umstrittenen Frage der Divergenzfähigkeit, vgl. Gräber/Ratschow, FGO, 9. Aufl. 2019, § 115 Rn. 186 – abweicht, das jeden Verstoß gegen die DSGVO als für einen Schadenersatzanspruch ausreichend ansieht (OLG Köln, Urteil vom 14.07.2022, I-15 U 137/21, Monatsschrift für deutsches Recht - MDR - 2022, 1157). Ebenfalls klärungswürdig und klärungsbedürftig erscheint die Reichweite des Datenschutzes im Rahmen der Rechts- und Fachaufsicht eines Finanzministeriums.
9. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Revision zu.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof schriftlich einzulegen. Die Revisionsschrift muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Eine Abschrift oder Ausfertigung des Urteils soll ihr beigefügt werden. Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Auch die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. Die Begründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit das Urteil angefochten und seine Aufhebung beantragt wird. Sie muss ferner die bestimmte Bezeichnung der Umstände enthalten, aus denen sich eine Rechtsverletzung durch das Urteil ergibt; soweit Verfahrensmängel gerügt werden, muss sie auch die Tatsachen angeben, aus denen sich der Mangel ergibt.
Bei der Einlegung und Begründung der Revision vor dem Bundesfinanzhof muss sich jeder Beteiligte durch einen Steuerberater, einen Steuerbevollmächtigten, einen Rechtsanwalt, einen niedergelassenen europäischen Rechtsanwalt, einen Wirtschaftsprüfer oder einen vereidigten Buchprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen. Zur Vertretung berechtigt sind auch Steuerberatungsgesellschaften, Rechtsanwaltsgesellschaften, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Buchprüfungsgesellschaften sowie Partnerschaftsgesellschaften, die durch einen der in dem vorherigen Satz aufgeführten Berufsangehörigen tätig werden. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst oder durch entsprechend befähigte Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Der Bundesfinanzhof hat die Postanschrift: Postfach 86 02 40, 81629 München, und die Hausanschrift: Ismaninger Str. 109, 81675 München, sowie den Telefax-Anschluss: 089/ 9231-201.
Rechtsmittel können auch über den elektronischen Gerichtsbriefkasten des Bundesfinanzhofs eingelegt und begründet werden, der über die vom Bundesfinanzhof zur Verfügung gestellte Zugangs- und Übertragungssoftware erreichbar ist. Die Software kann über die Internetseite „www.egvp.de“ lizenzkostenfrei heruntergeladen werden. Hier finden Sie auch weitere Informationen über die Einzelheiten des Verfahrens.
Nach Maßgabe von § 52d FGO sind Rechtsanwälte, Behörden und die übrigen in dieser Vorschrift genannten Personen verpflichtet, vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln.