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Sachgebiet: Abgabenordnung Kindergeldrecht Überschrift: Familienkasse Zentraler Kindergeldservice Magdeburg unwirksam


Metadaten

Gericht FG Cottbus 16. Senat Entscheidungsdatum 30.11.-0001
Aktenzeichen 16 K 16111/23 ECLI ECLI:DE:FGBEBB:2024:0208.16K16111.23.00
Dokumententyp Gb Verfahrensgang -
Normen § 6 Abs. 2 Nr. 6, § 30, § 46 Abs. 2, § 127, § 367 Satz 1 AO, § 51 BMG, § 31 Satz 3, § 76 EStG, § 63 FGO, § 5 Abs. 1 Nr. 11 Satz 4 FVG, § 355 StGB

Leitsatz

  1. Der Vorstandsbeschluss der Bundesagentur für Arbeit Nr. 12/2022 vom 27.01.2022 ist, soweit er die Zuständigkeit der Familienkasse Sachsen-Anhalt Nord der Bundesagentur für Arbeit, Zentraler Kindergeldservice, Standort Magdeburg, betrifft, unbestimmt und daher nichtig und unwirksam.

  2. Soweit bei der örtlich zuständigen Familienkasse gegen deren Bescheid Einspruch eingelegt, dieser aber durch Einspruchsentscheidung der Familienkasse Zentraler Kinderservice Magdeburg zurückgewiesen wurde, ist für Klagen gegen den Bescheid der örtlich zuständigen Familienkasse die Familienkasse Zentraler Kindergeldservice nicht passivlegitimiert. Hingegen ist die Einspruchsentscheidung auf diesbezüglichen Antrag hin aufzuheben mangels sachlicher Zuständigkeit. Revision eingelegt, Aktenzeichen des BFH: III R 4/24 Angewendete Vorschriften: FVG § 5 Abs. 1 Nr. 11 Satz 4 AO § 6 Abs. 2 Nr. 6, § 30, § 46 Abs. 2, § 127, § 367 Satz 1 FGO § 63 EStG § 31 Satz 3, § 76 StGB § 355 BMG § 51

Tenor

Die Einspruchsentscheidung der Familienkasse Zentraler Kindergeldservice Magdeburg vom 21.11.2023 wird aufgehoben.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Änderung der Höhe des an den Träger von Sozialleistungen zu zahlenden Teils des Kindergelds. Vorab ist zu klären, ob die beklagte Familienkasse passivlegitimiert ist (§ 63 Finanzgerichtsordnung – FGO –), und in diesem Zusammenhang, ob der Familienkasse Zentraler Kindergeldservice Magdeburg bestimmte Aufgaben wirksam zugewiesen worden sind.

I.

Zum 01.05.2013 wurden durch Verbundbildung die 102 örtlichen Familienkassen der Bundesanstalt für Arbeit zu nur noch 14 Familienkasse zusammengefasst. Nachfolgend wurden bestimmten Familienkassen bestimmte Fälle mit näher definiertem Auslandsbezug zu bestimmten Staaten zugewiesen.

1.

Mit Beschluss des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit 12/2022 vom 27.01.20221 zur Gründung des Zentralen Kindergeldservice (ZKGS) als weitere Familienkasse für Fälle mit besonderen Schutzbedarfen wurde die „Familienkasse Zentraler Kindergeldservice in Sachsen-Anhalt Nord (Standort Magdeburg)“, die beklagte Familienkasse, ab 01.02.2022 gegründet.

Gemäß Anhang zum Vorstandsbeschluss 12/2022 vom 27.01.2022 sollte der tatsächliche Vollzug des Vorstandsbeschlusses in mehreren Stufen erfolgen und Einzelheiten zu den verschiedenen Stufen durch gesonderte Weisungen geregelt werden. Weiter ist in „2.1. Zuständigkeit für besondere Personengruppen“ für die neu gegründete Familienkasse aufgeführt:

„2.1.5

Personen, deren Daten - und damit der gesamte Fall - besonders schützenswert sind. Dies ist z.B. gegeben, wenn

  • eine Person in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis steht.
  • die Daten einer Person mit einem Schutzkennzeichen

zu schützen sind, dies sind aktuell:

  • Mitarbeiter-Sperre
  • Auskunftssperre
  • Adoptionspflege-Sperre
  • Melderecht-Sperre
  • Kind mit Behinderung

Darüber hinaus ist der Zentrale Kindergeldservice für weitere besonders schützenswerte Fälle zuständig. Um den Schutz dieser Fälle zu gewährleisten, erfolgt keine abschließende Aufzählung.“

2.

Zur Durchführung erfolgten die „E-Mail-Infos“ vom 27.09.2022 und vom 24.11.2022.2 Darin wird erwähnt, dass die Vorstandsvorlage einen Übergangszeitraum bis 30.06.2023 vorsehe.

Gemäß Email vom 27.09.2022 sollte die Zuständigkeit für neu eingehende Rechtsbehelfsverfahren (Einsprüche und Klagen) in Fällen mit Schutzkennzeichen T auf den ZGKS übergehen, um die anstehenden Zuständigkeitswechsel zu minimieren und bereits mit neuer Zuständigkeit nach außen aufzutreten. Gleichzeitig gehe hierbei auch der zu Grunde liegende Kindergeldfall in die Zuständigkeit des ZKGS über. Die Übernahme der weiteren Fälle mit dem Schutzkennzeichen T sollte weiter stufenweise und ebenfalls nach Endziffern erfolgen. Der ZGKS sei für alle Fälle zuständig, in denen ab 04.10.2022 ein neues Einspruchs- oder Klageverfahren anhängig werde.

Gemäß Email vom 24.11.2022 sollte die Zuständigkeit des ZKGS erneut erweitert werden. Dieser übernehme zum 01.12.2022 alle offenen Bearbeitungsvorgänge mit Schutzkennzeichen T, die bis 30.11.2022 in den regionalen Familienkassen eingegangen seien. Die Übernahme beinhalte ebenfalls laufende Einspruchs- und Klageverfahren, sofern diese nicht kurz vor Abschluss stünden.

II.

Der Sohn C… der Klägerin, geboren am xx.xx.197x, wohnt in einer stationären Einrichtung, die Eingliederung für behinderte Menschen gewährt, und wird im Rahmen dieser Wohnstätte sozialtherapeutisch begleitet. Die Kosten der stationären Eingliederungshilfe werden vom Sozialhilfeträger, der Stadt E…, zunächst Fachbereich Soziales und Gesundheit, Bereich Soziales, später Fachbereich Soziales und Inklusion, getragen. Für den Sohn ist vom Amtsgericht eine Betreuerin, u. a. für die Vermögenssorge, bestellt3. Er hat einen Grad der Behinderung von 70 und bezieht eine Erwerbsunfähigkeitsrente sowie Grundsicherung. Aus dem von der beklagten Familienkasse anscheinend nur auszugsweise, nämlich ab April 2014, übersandten Ausdruck der Kindergeldakte ergibt sich mittelbar, dass der Klägerin schon zuvor Kindergeld bewilligt worden war, das teilweise an den Sozialhilfeträger abgezweigt worden war.

Mit Bescheid der Familienkasse D… vom 28.02.20194 wurde der Bescheid vom 18.05.2018 dahingehend geändert, dass Kindergeld für das Kind C… für Februar 2018 bis November 2018 in Höhe von 100,62 €, für Dezember 2018 in Höhe von 47,22 € und ab Januar 2019 in Höhe von 63,60 € monatlich an das Sozialamt der Stadt E… abgezweigt wird. Aufgrund eines Änderungsantrages der Klägerin vom 26.03.2020 änderte die Familienkasse D… mit Bescheid vom 27.04.20205 den Abzweigungsbetrag an das Sozialamt für die Zeit von Februar 2018 bis November 2018 auf monatlich 100,62 €, für Dezember 2018 auf 107,22 € und ab Januar 2019 auf monatlich 123,60 €.

Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 26.05.2020, nunmehr anwaltlich vertreten, Einspruch6 ein. In der Folge kam es zu Schriftwechsel und Sachstandsanfragen. Mit Schreiben vom 22.03.20217 teilte die Klägerin mit, dass der Zeitraum ab Januar, gemeint war wohl 2019, erledigt sei. Mit Schreiben vom 07.06.20228 wies die Familienkasse D… darauf hin, dass im angefochtenen Bescheid für Februar 2018 bis November 2018 keine Änderung erfolgt sei und die Änderung für Dezember 2018 auf Angaben der Klägerin zu ihrer Unterhaltsleistung beruhe. Mit Schreiben vom 16.08.20229 führte die Klägerin aus, im Bescheid vom 28.02.2019 sei der Betrag von 100,62 € der Gesamtbetrag für diesen Zeitraum, erstmals im Bescheid vom 26.03.2020 sei der Betrag als „monatlich“ bezeichnet, außerdem sei im Bescheid vom 26.03.2020 auch der an die Klägerin auszuzahlende Betrag zusätzlich angegeben worden.

Mit Schreiben vom 23.01.202310 meldete sich die beklagte „Familienkasse Zentraler Kindergeldservice“ bei der Klägerin und teilte mit, es habe sich „aus organisatorischen Gründen“ ein Wechsel in der Zuständigkeit der Familienkasse ergeben, künftig sei sie zuständig. In der Folge kam es zu Schriftwechsel zwischen der Klägerin und der beklagten Familienkasse.

Am 17.10.2023 erhob die Klägerin Untätigkeitsklage gegen die beklagte „Familienkasse Zentraler Kindergeldservice“ in Magdeburg.

Mit Einspruchsentscheidung vom 21.11.2023 wies die beklagte Familienkasse den Einspruch vom 26.05.2020 gegen den Bescheid vom 27.04.2020 als unbegründet zurück und führte in der Begründung aus, die Einspruchsentscheidung betreffe den Zeitraum Februar 2018 bis Juni 2019. Ferner wurde dargelegt, welche Unterhaltsleistungen der Klägerin an ihren Sohn glaubhaft gemacht seien und welcher Abzweigungsbetrag daraus folgere.

III.

Der Berichterstatter wies mit Schreiben vom 24.10.2023 die Beteiligten darauf hin, dass der Vorstandsbeschluss der Bundesagentur für Arbeit Nr. 12/2022 vom 27.01.2022 möglicherweise wegen Unbestimmtheit nichtig sein könnte, was zur Unzulässigkeit der Klage führen könnte.

Die Klägerin führt dazu aus, dass sie ihre Klage gegen die bisher beklagte Familienkasse fortführen wolle und im Falle einer Klageabweisung mangels Passivlegitimation der beklagten Familienkasse ggf. nachfolgend eine Klage gegen die Familienkasse D… erheben werde.

Die Klägerin macht vorsorglich Ausführungen zur Sache und beantragt,

den Bescheid der Familienkasse D… vom 27.04.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung der Familienkasse Zentraler Kindergeldservice Magdeburg vom 21.11.2023 dahingehend zu ändern, dass der Abzweigungsbescheid vom 28.02.2019 dahingehend geändert wird, dass die Abzweigung an die Stadt E…

für Oktober 2018 statt 100,62 € nur 59,12 €,

für Dezember 2018 statt 107,22 € nur 103,27 €,

für April 2019 statt 123,60 € nur 53,61 € und

für Mai 2019 statt 123,60 € nur 103,61 € beträgt,

hilfsweise,

die Einspruchsentscheidung der Familienkasse Zentraler Kindergeldservice Magdeburg vom 21.11.2023 aufzuheben.

Die beklagte Familienkasse hat noch keinen Klageantrag formuliert und trägt vor, ihr seien die Akten der Familienkasse D… bereits am 30.11.2022 zur weiteren Bearbeitung abgegeben worden, diese Familienkasse habe keinen Zugriff mehr auf diesen Fall mit Schutzkennzeichen. Das besondere Schutzbedürfnis resultiere aus der Behinderung des Kindes C…. Eine Nichtigkeit wegen Unbestimmtheit sei nicht ersichtlich.

IV.1.

Der Berichterstatter hat mit Beschluss vom 08.12.2023 die Stadt E…, Fachbereich Soziales und Inklusion, notwendig beigeladen. Die Beigeladene hat bisher keinen Antrag gestellt.

2.

Ein Ausdruck der Kindergeldakte ab April 2014 lag vor.

1 FG-A Bl. 80-86

2 FG-A Bl. 87-90

3 Betreuerausweis vom 16.06.2015 in KG-Akte unter 20170512

4 KG-A unter dem betreffenden Datum in der Chronologie

5 KG-A unter dem betreffenden Datum in der Chronologie und FG-A Bl. 7

6 KG-A unter 20200529 und FG-A Bl. 11

7 KG-A unter 20210324

8 FG-A Bl. 20

9 FG-A Bl. 25

10 FG-A Bl. 33

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist hinsichtlich der Hauptantrages unzulässig, weil sie gegen die falsche Beklagte (§ 63 FGO) gerichtet ist.

1.

Gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 1 FGO ist die Klage gegen die Behörde zu richten, die den ursprünglichen Verwaltungsakt erlassen hat, das wäre hier die Familienkasse D….

Zwar ist gemäß § 63 Abs. 2 Nr. 1 FGO im Falle eines Zuständigkeitswechsels vor Erlass der Einspruchsentscheidung, unabhängig davon, ob der Zuständigkeitswechsel auf geänderten Vorschriften über die Zuständigkeit oder auf Änderungen in den Verhältnissen des Kindergeldberechtigten beruht, die Klage gegen die Behörde zu richten, die die Einspruchsentscheidung erlassen hat, das wäre hier die beklagte Familienkasse.

2.

Allerdings ist es zu einem Zuständigkeitswechsel nicht gekommen, weil der diesem zugrunde liegende Vorstandsbeschluss der Bundesagentur für Arbeit Nr. 12/2022 vom 27.01.2022, soweit er die Zuständigkeit der beklagten Familienkasse betrifft, unbestimmt und daher nichtig und unwirksam ist.

a)

Der Vorstandsbeschluss findet seine Rechtsgrundlage in § 5 Abs. 1 Nr. 11 Satz 4 Finanzverwaltungsgesetz – FVG –, wonach der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs abweichend von den Vorschriften der Abgabenordnung über die örtliche Zuständigkeit von Finanzbehörden die Entscheidung über den Anspruch auf Kindergeld für bestimmte Bezirke oder Gruppen von Berechtigten einer anderen Familienkasse übertragen kann. Auch bei Regelungen für bestimmte Gruppen von Berechtigten handelt es sich um Regelungen zur örtlichen Zuständigkeit (vgl. Bundesfinanzhof – BFH –, Urteil vom 25.02.2021 III R 36/19, DStRE 2021, 922, BFH/NV 2021, 956, Juris Rn. 21-23).

b)

Solche Zuständigkeitsregelungen müssen jedoch hinreichend bestimmt sein. Für den Steuerpflichtigen (und damit gemäß § 31 Satz 3 EStG auch den Kindergeldberechtigten) muss erkennbar sein, an welche Behörde er sich wenden kann und muss und insbesondere, welche Behörde er im Streitfall verklagen muss. Er muss ferner wegen § 46 Abs. 2 Abgabenordnung – AO – ersehen können, welcher Behörde er eine etwaige Abtretungserklärung (soweit der Kindergeldanspruch gemäß § 400 BGB i. V. m. § 76 EStG abtretbar ist) anzeigen müsste. Dies schließt es insbesondere aus, dass die Zuständigkeit im Ermessen einer Behörde steht.

c)

Diesen Anforderungen wird der Vorstandsbeschluss nicht gerecht.

aa)

Der (in den ANBA, den Amtlichen Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit, veröffentlichte) Vorstandsbeschluss regelt nicht den Zeitpunkt seines Inkrafttretens, überlässt dies vielmehr internen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit in Form von Emails innerhalb der Behörde.

Von wem diese Emails stammen, ist nicht ersichtlich. Um jeweils erneute Vorstandsbeschlüsse der Bundesagentur für Arbeit scheint es sich nicht zu handeln. Eine Delegationsbefugnis enthält § 5 Abs. 1 Nr. 11 Satz 4 FVG nicht.

bb)

Es wird nicht klar, ob mit den „Personen“, deren Daten besonders schützenswert sind, die Kindergeldberechtigten oder die Kinder oder beide gemeint sein sollen.

Sollten damit die Kinder gemeint sein, wird nicht klar, ob dann nur für das betreffende (z. B. das behinderte) Kind der ZKGS zuständig wird oder ggf. auch für andere (z. B. nicht behinderte) Kinder desselben Kindergeldberechtigten. Es ist unklar, was mit „gesamter Fall“ gemeint ist.

cc)

Vor allem wird jedoch nicht klar, was mit „besonders schützenswerten Daten“ gemeint ist.

Bei den Familienkassen handelt es sich um Finanzbehörden (§ 6 Abs. 2 Nr. 6 Abgabenordnung – AO –). Deren Amtsträger haben daher, da gemäß § 31 Satz 3 EStG das Kindergeld eine Steuervergütung und somit das Kindergeldverfahren ein Verwaltungsverfahren in Steuersachen ist, gemäß § 30 AO das Steuergeheimnis zu wahren. Verstöße sind gemäß § 355 StGB strafbar. Dies gilt grundsätzlich und allgemein.

Es ist vor diesem Hintergrund schon im Ansatz nicht verständlich, was mit „besonders schützenswerten Daten“ gemeint sein könnte. Eine solche Unterteilung würde letztlich eine Differenzierung in ein Steuergeheimnis erster und zweiter Klasse bedeuten, oder die Bundesanstalt für Arbeit geht davon aus, dass die regionalen Familienkassen zur Einhaltung des Steuergeheimnisses grundsätzlich nicht in der Lage sind.

Die im Vorstandsbeschluss zur Erläuterung der besonderen Schutzwürdigkeit nachfolgend genannten Beispiele sind schon deswegen zur näheren Bestimmung von „besonders schützenswerten Daten“ nicht geeignet, weil sie nur beispielhaft angeführt und ausdrücklich nicht abschließend sind.

Im Übrigen sind sie ihrerseits nicht nachvollziehbar. Es ist schon unklar, ob mit „öffentlich-rechtlichem Amtsverhältnis“ alle Beamtinnen und Beamten in Deutschland gemeint sein sollen oder nur Ministerinnen und Minister und etwa Abgeordnete o. ä. In beiden Fällen ist aber nicht ersichtlich, warum deren Daten (insbesondere zu ihren Kindern) schützenswerter sein sollten als die Daten anderer Kindergeldberechtigter.

Soweit die Daten von Personen „mit einem Schutzkennzeichen“ zu schützen sind, bezieht sich die Definition anscheinend auf andere Rechtsvorschriften oder Weisungen, die jedoch nicht näher angegeben sind. Da es heißt „dies sind aktuell“, würde überdies jede spätere Änderung der anderweitigen, nicht näher bezeichneten Rechtsvorschriften oder Weisungen zu einer Änderung auch in der Zuständigkeit des ZKGS führen.

Soweit dann, als Beispiele für das Beispiel, angegeben sind „Mitarbeiter-Sperre“, „Auskunftssperre“, „Adoptionspflege-Sperre“ und „Melderecht-Sperre“, lässt sich aus der Wortwahl erahnen, dass damit ähnliche Fälle gemeint sein könnten wie bei der Auskunftssperre gemäß § 51 Bundesmeldegesetz – BMG –, dass also die dort bezeichneten Fälle nicht automatisch ein Schutzkennzeichen bekommen, sondern nur, wenn die Sperre von jemandem beantragt wird, wenn also z. B. der Mitarbeiter sie verlangt. Dies würde dazu führen, dass die Zuständigkeit der Familienkasse von dem Ermessen einer Person, nämlich derjenigen, die die Sperre beantragen bzw. verlangen kann, abhängt, was einer hinreichenden Bestimmtheit zuwiderliefe. Was mit Auskunftssperre und Melderecht-Sperre gemeint ist, wird aus dem Wortlaut nicht ersichtlich. Es bleibt bei der Mitarbeiter-Sperre auch unklar, um welchen Mitarbeiterkreis es geht, der eine Sperre beantragen kann (nur die Mitarbeiter der Familienkassen oder alle Mitarbeiter von jedweden Dienststellen der Bundesagentur für Arbeit?) und wieso deren Daten schützenswerter sein sollten als die Daten anderen Kindergeldberechtigter.

Lediglich das Beispiel „Kind mit Behinderung“ erscheint, was den betroffenen Personenkreis angeht, klar abgegrenzt, aber nicht, warum hier die Daten besonders schützenswert sind. Medizinische Daten kommen auch in Fällen ohne Behinderung vor, etwa wenn bei einem Ausbildungsabbruch eines Kindes zu prüfen ist, ob die Ausbildungsunfähigkeit nur vorübergehend oder dauerhaft ist, oder wenn bei Fristfragen für den Zugang eines Bescheids beim Kindergeldberechtigten dessen Handlungsfähigkeit und damit Geschäftsfähigkeit zu beurteilen ist, ähnlich auch u. U. bei Wiedereinsetzungsgesuchen. Es ist daher keineswegs so, dass medizinische Daten gerade bei behinderten Kindern anfallen. Im Gegenteil wird dort ggf. nur der Behindertenausweis mit dem Grad der Behinderung vorgelegt.

Es erscheint auch nicht zwingend, dass eine Behinderung als solche besonders geheimhaltungsbedürftig wäre. Dies würde implizieren, dass eine Behinderung stigmatisierend wirkt. Dies erscheint vor dem Hintergrund zunehmender Inklusion problematisch. Es unterstellt letztlich Behinderten, dass deren Behinderung peinlich und damit besonders geheimhaltungsbedürftig ist, was seinerseits gerade diskriminierend erscheint. Ob beispielsweise die in Fällen nichtbehinderter junger Erwachsener zunehmend zu beobachtende Orientierungslosigkeit, die sich z. B. in zahlreichen abgebrochenen Ausbildungen oder Studiengängen, wahllos erscheinenden Praktika und längeren tätigkeitslosen Phasen zur Selbstfindung äußern kann, oder aber nicht erreichte Schulabschlüsse oder Ausbildungsziele und zahlreiche erfolglose Bewerbungen u. ä. ein Kind nicht in schlechterem Licht erscheinen lassen können als eine Behinderung, ist nicht offensichtlich und daher auch nicht das besondere Schutzbedürfnis von Daten Behinderter.

Insgesamt bleibt die Zuweisung von Personen, deren Daten besonders schützenswert sind, an den ZKGS diffus und unbestimmt.

d)

Es ist auch nicht möglich, eine geltungserhaltende Reduktion dahingehend vorzunehmen, dass der ZKGS jedenfalls für Menschen mit Behinderung zuständig geworden ist.

Zum einen würde eine Reduzierung der Regelung der Zuständigkeit des ZGKS nur für Fälle von Menschen mit Behinderung nicht dem Willen des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit entsprechen, der ersichtlich ein anderes Regelungsziel verfolgt hat.

Zum anderen ist unklar, in welchen Rechtsbereichen eine geltungserhaltende Reduktion überhaupt zulässig ist. Diese Unklarheit würde wieder zulasten des Kindergeldberechtigten gehen, für den die Zuständigkeit der Behörde vorhersehbar sein muss. Es ist Kindergeldberechtigten nicht zuzumuten, eine insgesamt unbestimmte Regelung daraufhin zu prüfen, ob vielleicht gerade für ihren Fall eine geltungserhaltende Reduktion vorzunehmen sein könnte.

II.

Die Klage ist bezüglich des Hilfsantrages zulässig und begründet.

Da eine Zuständigkeit des ZKGS, vgl. vorstehend I., nicht wirksam begründet wurde, ist die regionale Familienkasse D… weiterhin zuständig. Gemäß § 367 Satz 1 AO erlässt die Ausgangsbehörde auch die Einspruchsentscheidung. Diese Regelung, die den Devolutiveffekt ausschließt, ist Ausdruck der sachlichen Zuständigkeit (Rätke in Klein, AO, 16. Aufl. 2022, § 16 Rn. 1).

Der ZKGS war daher für den Erlass der Einspruchsentscheidung sachlich nicht zuständig und die Einspruchsentscheidung ist daher formell rechtswidrig. Anders als Verstöße gegen die örtliche Zuständigkeit (vgl. § 127 AO) führen solche gegen die sachliche Zuständigkeit auf Anfechtung hin zur Aufhebung (vgl. Ratschow in Klein, AO, 16. Aufl. 2022, § 127 Rn. 9 m. w. N.; Rätke in Klein, a. a. O. § 16 Rn. 8 m. w. N.).

Der Kläger hat auch ein berechtigtes Interesse an der isolierten Aufhebung der Einspruchsentscheidung, denn die Entscheidung durch eine sachlich unzuständige Behörde begründet eine selbständige Beschwer (zur selbständigen Beschwer durch die Rechtsbehelfsentscheidung vgl. Teller in Gräber, FGO, 9. Aufl. 2019, § 44 Rn. 45).

III.1.

Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Die Zuständigkeit der Familienkasse Zentraler Kindergeldservice ist für sehr viele Fälle relevant.

2.a)

Die Kostenentscheidung folgt, soweit der Klage stattgegeben wurde, aus § 135 Abs. 1 FGO, und soweit die Klage abgewiesen wurde, aus § 137 Satz 2 FGO. Der Verwaltungsseite ist ein vorprozessuales Verschulden zuzurechnen, weil die Einspruchsentscheidung durch eine unzuständige Behörde erlassen wurde, obwohl die Klägerin bei der zuständigen Behörde Einspruch eingelegt hat (vgl. BFH, Urteil vom 07.04.2022 III R 33/20, BFH/NV 2022, 824, Juris Rn. 19).

Bezüglich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen fußt die Entscheidung auf § 135 Abs. 3 und § 139 Abs. 4 FGO.

b)

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung - ZPO -.

3.

Der Senat entscheidet durch Gerichtsbescheid gemäß § 90a Abs. 1 FGO, weil von einer mündlichen Verhandlung keine weitere Erhellung der Sache zu erwarten ist.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Gerichtsbescheid können die Beteiligten mündliche Verhandlung beantragen oder Revision einlegen.

1. Der Antrag auf mündliche Verhandlung ist beim Finanzgericht Berlin-Brandenburg innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Gerichtsbescheides schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu stellen.

Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hat die Postanschrift: Postfach 10 04 65, 03004 Cottbus, und die Hausanschrift: Von-Schön-Str. 10, 03050 Cottbus, sowie den Telefax-Anschluss: 0355/ 48644 1000.

Der Antrag auf mündliche Verhandlung kann auch über den elektronischen Gerichtsbriefkasten des Finanzgerichts Berlin - Brandenburg gestellt werden. Die hierfür erforderliche Zugangs- und Übertragungssoftware kann über die Internetseite „www.egvp.de“ lizenzkostenfrei heruntergeladen werden. Hier finden Sie auch weitere Informationen über die Einzelheiten des Verfahrens.

2. Die Revision ist bei dem Bundesfinanzhof innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Gerichtsbescheides schriftlich einzulegen. Die Revisionsschrift muss den angefochtenen Gerichtsbescheid bezeichnen. Ihr soll eine Abschrift oder Ausfertigung des angefochtenen Gerichtsbescheides beigefügt werden. Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Gerichtsbescheides zu begründen. Auch die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. Die Begründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit der Gerichtsbescheid angefochten und seine Aufhebung beantragt wird. Sie muss ferner die bestimmte Bezeichnung der Umstände enthalten, aus denen sich eine Rechtsverletzung durch den Gerichtsbescheid ergibt; soweit Verfahrensmängel gerügt werden, muss sie auch die Tatsachen angeben, aus denen sich der Mangel ergibt.

Bei der Einlegung und Begründung der Revision vor dem Bundesfinanzhof muss sich jeder Beteiligte durch einen Steuerberater, einen Steuerbevollmächtigten, einen Rechtsanwalt, einen niedergelassenen europäischen Rechtsanwalt, einen Wirtschaftsprüfer oder einen vereidigten Buchprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen. Zur Vertretung berechtigt sind auch Steuerberatungsgesellschaften, Rechtsanwaltsgesellschaften, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Buchprüfungsgesellschaften sowie Partnerschaftsgesellschaften, die durch einen der in dem vorherigen Satz aufgeführten Berufsangehörigen tätig werden. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst oder durch entsprechend befähigte Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.

Der Bundesfinanzhof hat die Postanschrift: Postfach 86 02 40, 81629 München, und die Hausanschrift: Ismaninger Str. 109, 81675 München, sowie den Telefax-Anschluss: 089/ 9231-201.

Rechtsmittel können auch über den elektronischen Gerichtsbriefkasten des Bundesfinanzhofs eingelegt und begründet werden, der über die vom Bundesfinanzhof zur Verfügung gestellte Zugangs- und Übertragungssoftware erreichbar ist. Die Software kann über die Internetseite „www.egvp.de“ lizenzkostenfrei heruntergeladen werden. Hier finden Sie auch weitere Informationen über die Einzelheiten des Verfahrens.

3. Nach Maßgabe von § 52d FGO sind Rechtsanwälte, Behörden und die übrigen in dieser Vorschrift genannten Personen verpflichtet, vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln.