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Nacherhebung von Einfuhrabgaben beim zollrechtlichen Vertreter ohne Vertretungsmacht und bei fehlgeschlagener innergemeinschaftlicher Anschlusslieferung


Metadaten

Gericht FG Cottbus 1. Senat Entscheidungsdatum 30.11.2022
Aktenzeichen 1 K 1142/20 ECLI ECLI:DE:FGBEBB:2022:1130.1K1142.20.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Leitsatz

1. Der zollrechtliche Vertreter ohne Vertretungsmacht kann selbst zollrechtlicher Anmelder und als solcher Steuerschuldner für die Erhebung und Nacherhebung von Zöllen und Einfuhrabgaben sein.

2. Stellt sich nach Überlassung von Waren heraus, dass die Voraussetzungen von § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG nicht erfüllt sind, ist Rechtsgrundlage für die Nacherhebung von Einfuhrumsatzsteuer § 21 Abs. 2 UStG in sinngemäßer Anwendung des Art. 220 Abs. 1 ZK. Die MwStSystRL steht der Nacherhebung der Einfuhrumsatzsteuer nicht entgegen.

3. Die Verwendung des Verfahrenscodes 42 hat neben seiner zollrechtlichen Bedeutung auch einen mehrwertsteuerrechtlichen Erklärungsgehalt: Er ist ein Antrag auf Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG, weil sich eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung anschließt. AEUV Art. 29 UStG § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG § 6a Abs. 3 UStG § 13a Abs. 2 UStG § 21 Abs. 2 UStG § 22a Abs. 2 RL 2006/112/EG (MwStSystRL) Art. 2 Buchst. d RL 2006/112/EG (MwStSystRL) Art. 30 RL 2006/112/EG (MwStSystRL) Art. 60 RL 2006/112/EG (MwStSystRL) Art. 61 RL 2006/112/EG (MwStSystRL) Art. 71 Abs. 1 UAbs. 2 RL 2006/112/EG (MwStSystRL) Art. 138 RL 2006/112/EG (MwStSystRL) Art. 143 RL 2006/112/EG (MwStSystRL) Art. 201 RL 2006/112/EG (MwStSystRL) Art. 204 RL 2006/112/EG (MwStSystRL) Art. 205 RL 2006/112/EG (MwStSystRL) Art. 211 VO (EWG) 2913/92 (ZK) Art. 4 Nr. 5 VO (EWG) 2913/92 (ZK) Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 VO (EWG) 2913/92 (ZK) Art. 5a VO (EWG) 2913/92 (ZK) Art. 6 VO (EWG) 2913/92 (ZK) Art. 29 VO (EWG) 2913/92 (ZK) Art. 30 VO (EWG) 2913/92 (ZK) Art. 31 Abs. 1 VO (EWG) 2913/92 (ZK) Art. 79 VO (EWG) 2913/92 (ZK) Art. 121 Abs. 1 VO (EWG) 2913/92 (ZK) Art. 201 Abs. 1 VO (EWG) 2913/92 (ZK) Art. 201 Abs. 3 VO (EWG) 2913/92 (ZK) Art. 214 VO (EWG) 2913/92 (ZK) Art. 218 VO (EWG) 2913/92 (ZK) Art. 219 VO (EWG) 2913/92 (ZK) Art. 220 Abs. 1 VO (EWG) 2454/93 (ZK-DVO) Art. 150 VO (EWG) 2454/93 (ZK-DVO) Art. 151 VO (EWG) 2454/93 (ZK-DVO) Art. 152 VO (EWG) 2454/93 (ZK-DVO) Art. 153 VO (EWG) 2454/93 (ZK-DVO) Art. 181a

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über einen Einfuhrabgabennacherhebungsbescheid, den der Beklagte erlassen hat, weil er davon ausgeht, die Klägerin habe als Fiskalvertreterin im Rahmen der Verzollung aus Drittstaaten importierter Waren unwirksame Vollmachten vorgelegt und über die Identität des Abnehmers in einem anderen Mitgliedstaat falsche Angaben gemacht. Auf diesem Wege seien Einfuhrumsatzsteuerfestsetzungen durch Vortäuschen innergemeinschaftlicher Lieferungen in das EU-Ausland vermieden worden.

Am … meldete die Klägerin im Namen und für Rechnung der B… mit Sitz in Polen beim Zollamt C…, Abfertigungsstelle D… Autobahn, … Rollen Gewebe aus Garnen aus synthetischen Filamenten, gefärbt, 100 % Polyester der Warennummer 5407 7200 00, einer Rohmasse von … kg, einer Eigenmasse von … kg mit Ursprungsland Indonesien an. Die Abfertigung erfolgte zum zollrechtlich freien Verkehr mit steuerbefreiender Lieferung in einen anderen Mitgliedsstaat der EU (sog. Zollverfahren 4200, nachfolgend VC 42) unter Aussetzung der Einfuhrumsatzsteuer. Die Klägerin legte mit der Zollanmeldung den Direktbeförderungsnachweis CMR sowie die Handelsrechnung Nr. …, Container Nr. …, datiert auf den …, vor, welche als Versender/ Verkäufer die E… aus F… auswies. Weiterhin legte die Klägerin die Packliste und die „Bill of Lading“ vor (vgl. Bl. 12 - 15 des Ordners des Beklagten „1 K 1142/20“). Die Zollanmeldung wurde wie angemeldet angenommen, die Einfuhrabgaben in Höhe von … Euro Zoll und Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von 0,- Euro aufgrund des Verfahrens VC 42 abschließend festgesetzt (vgl. Bl. 10 des Ordners des Beklagten „1 K 1142/20“).

In der Folgezeit nahm das Zollfahndungsamt S… Ermittlungen auf, die sich gegen im Bereich der Einfuhrabgabenhinterziehung agierende internationale Tätergruppierungen richteten. Danach hätten ungefähr zwei Dutzend asiatische Hersteller beziehungsweise Händler ihre Waren an Zwischenhändler in H… verkauft. Diese Firmen wiederum seien wirtschaftlich mit in Polen ansässigen Händlern (überwiegend im Textilbereich) verbunden gewesen und hätten die Waren an die tatsächlichen Empfänger in Polen weitergeleitet. Während die Waren zumeist per Schiff, - teilweise aber auch per Luftfracht - nach G… transportiert worden seien, hätten die Zwischenhändler in H… die Handelsunterlagen an die in G… ansässige Spedition, die I… GmbH, übermittelt. Diese habe mit den Originalhandelsunterlagen die ankommenden Waren von den Schiffsreedereien übernommen und dafür gesorgt, dass die Waren per Lkw in Richtung Polen verbracht worden seien. Hierfür habe die I… GmbH entsprechende Fuhrunternehmen mit dem Transport sowie die Klägerin mit der Eröffnung des T1-(externen) Versandverfahrens und der Verzollung der Ware bei deutschen Zollämtern beauftragt. Die I… GmbH soll hierbei auch Originalhandelsrechnungen gegen, zum Teil selbst erstellte, massiv unterfakturierte Scheinrechnungen ausgetauscht haben. Diese seien teilweise bei Durchsuchungsmaßnahmen aufgefunden worden. Die unterfakturierten Scheinrechnungen soll die Klägerin von der I… GmbH erhalten haben, welche diese im Rahmen der Zollanmeldungen gegenüber den Zollämtern vorgelegt haben soll. Weiterhin hätten die Ermittlungen ergeben, dass die Klägerin zu keinem Zeitpunkt über Original-Zoll- beziehungsweise Fiskalvollmachten verfügt hätte, sondern nur über Faxkopien bzw. per E-Mail übersandte eingescannte Dokumente. Die Klägerin habe zu keinem Zeitpunkt einen persönlichen Kontakt mit ihren Auftraggebern gehabt. Auch ein Abgleich der geleisteten Unterschriften mit einem Ausweis oder ähnlichem Dokument habe seitens der Klägerin nicht stattgefunden. Ein Vergleich der Originalunterschriften der Geschäftsführer mit derjenigen auf den Zoll- und Fiskalvollmachten hätte die Zweifel an der Echtheit der gegenüber der Klägerin abgegebenen Unterschriften bestätigt, da diese offensichtlich voneinander abwichen. Wegen der Einzelheiten der Ermittlungen wird auf den Schlussbericht des Zollfahndungsamts S… vom … im Ermittlungsverfahren … sowie die drei Nachträge verwiesen (Bl. 35 - 228 des Ordners des Beklagten „1 K 1142/20, 1 K 1158/20, 1 K 1165/20, 1 K 1058/21“).

Bezüglich der hier strittigen Einfuhr lagen Zoll- und Fiskalvollmachten mit Ausstellungsdatum … sowie … in Kopie vor. Im Zusammenhang mit einer am … bei Herrn J… durchgeführten Hausdurchsuchung äußerte sich dieser dahingehend, dass er über keine Finanz- und Buchführungsdokumentation oder Gründungsunterlagen der Firma B… verfüge, da diese nach der Gründung an eine unbekannte männliche Person übergeben worden seien. Herr J… erklärte, dass keine Dokumente bezüglich der Transaktionen, welche durch die Firma B… getätigt worden seien, in seine Hände gelangt seien. Er habe auch keine Dokumente unterzeichnet. Der Beklagte trägt vor, dass eine Originalunterschrift von Herrn J… im Rahmen der durchgeführten Durchsuchung auf einem polnischen Polizeiprotokoll sich deutlich von den Unterschriften auf den ausgestellten Vollmachten unterscheide. Daneben weise die vorliegende Gelangensbescheinigung, zu der dem Verfahren zugrundeliegenden Einfuhr im Feld „Unterschrift des Abnehmers oder seines Vertretungsberechtigten" zwar den Firmenstempel des Unternehmens B… auf, jedoch sei die Unterschrift in keiner Weise der auf den Zoll- und Fiskalvollmachten ausgewiesenen ähnlich. Die streitgegenständliche Ware wurde nach Polen transportiert. An wen diese jedoch geliefert wurde, konnten die Ermittler nicht herausfinden.

Daneben geht der Beklagte davon aus, dass die Ermittlungen den Verdacht bestätigt hätten, dass einige an der Zweigstelle D… beschäftigte Mitarbeiter der Klägerin in die Hinterziehungshandlungen eingebunden gewesen seien. Zudem seien bei den polnischen Finanzbehörden für keine der ermittelten … Einfuhren, auch die hier streitige nicht, steuerliche Anmeldungen erfolgt. Die Ermittlungen des Zollfahndungsamtes S… hätten weiterhin ergeben, dass bereits in den Kalenderjahren 2011 bis 2013 straf- und steuerrechtliche Ermittlungen im Auftrag der Staatsanwaltschaft K… in einem gleichgelagerten Textilfall mit anderen polnischen Einzelunternehmen erfolgt seien. Auch bei diesen Einfuhren seien die dortigen polnischen Einzelunternehmen durch die Klägerin direkt vertreten worden. Im Rahmen dieser Ermittlungen wurden schon im Kalenderjahr 2012 Hausdurchsuchungen, auch von Geschäftsräumen der Klägerin, vorgenommen. Im Zusammenhang dieser Ermittlungen habe die Klägerin auch Kenntnis davon erlangt, dass bezüglich der Einfuhren von Textilien und textilen Vorprodukten aus China im Verfahren VC 42 zum einen erhebliche Zweifel am angemeldeten Zollwert der Ware bestünden und zum anderen, dass die Unternehmen überhaupt wirtschaftlich aktiv seien. Es seien Ermittlungen gegen Mitarbeiter der Klägerin gelaufen, die auch der Geschäftsleitung der Klägerin bekannt gewesen seien. Wegen der Einzelheiten der damaligen Ermittlungen und der Kenntnis der Klägerin wird auf den Schriftverkehr zwischen dem Zollfahndungsamt L… und der Klägerin verwiesen (Bl. 58 - 64 des Ordners des Beklagten „1 K 1142/20“). Das Hauptzollamt L… wies mit Schreiben vom … die Klägerin als Vertreter der B… darauf hin, dass bezüglich einer Einfuhr Zweifel an der Höhe des angemeldeten Zollwertes bestünden (Bl. 76 - 79 des Ordners des Beklagten „1 K 1142/20“).

Der Beklagte trägt weiter vor, dass im vorliegenden Ermittlungsverfahren nunmehr auch Anklagen gegen vier Mitarbeiter der Klägerin erhoben worden seien. Dies sei der Klägerin bekannt. Im Rahmen dieser Ermittlungen seien erhebliche Telefonüberwachungsmaßnahmen beziehungsweise Überwachungen des E-Mail-Verkehrs vorgenommen worden. Hierbei seien Hinweise und Feststellungen getroffen worden, die aus Sicht des Beklagten belegten, dass die Geschäftsführung in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu den Tathandlungen Hinweise verschiedenster Herkunft erhielt, um sich der Gefahr des Missbrauchs des Verfahrens VC 42 und der Unterfakturierung der Ware gewahr zu werden. Zudem seien vereinzelte Feststellungen durch Bedienstete der Klägerin bezüglich diverser Unregelmäßigkeiten und Unstimmigkeiten bei den „Containergeschäften", welche an die Geschäftsleitung in … herangetragen worden seien, durch diese ignoriert worden. So habe die Leiterin der Niederlassung K… bereits im Oktober 2012 darauf aufmerksam gemacht, dass die „Containerabfertigungen" zu hinterfragen seien und dass hinter den ständig wechselnden Zollanmeldern (Unternehmen werden gegründet, für eine Vielzahl von Abfertigungen der Container über eine geraume Zeit genutzt und anschließend abgemeldet) letztlich immer die gleichen verantwortlichen Personen stünden. Wegen der Einzelheiten wird auf E-Mail der Niederlassungsleiterin in K… sowie die Auszüge aus der Telefonüberwachung verwiesen (Bl. 64, 80 - 110 des Ordners des Beklagten „1 K 1142/20“).

Nach Aufnahme der Ermittlungen und Vernehmungen der einzelnen Mitarbeiter der Klägerin seien vereinzelt Telefonate zwischen dem damaligen Prokuristen der Klägerin, Herrn M…, Herrn N… sen. oder jun. (nicht bekannt) beziehungsweise Herrn O… oder Herrn P…, jeweils mit dem Angeklagten Q… erfolgt. Das Zollfahndungsamt S… habe hierbei festgestellt, dass es in allen Gesprächen um die Ermittlungen gegen das Unternehmen bezüglich der Unterfakturierungen gegangen sei. Grundsätzlich sei hierbei festgehalten worden, dass seitens einer Spedition jeweils nur die Zollwerte angemeldet werden könnten, welche ihr vom Zollanmelder übermittelt worden seien. Im Übrigen könne die Spedition nicht wissen, dass die Zollwerte die Durchschnittswerte unterschritten, da diese nicht bekannt seien. Stets werde sich in den Gesprächen darauf zurückgezogen, dass es nicht Aufgabe des Zoll- und Fiskalvertreters sei, die Anmeldungen der Zollwerte auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Aus Sicht der Gesprächsteilnehmer sei es Aufgabe des Zolls, die entsprechenden Zollwerte zu überwachen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Aufzeichnungen aus der Telefonüberwachung verwiesen (Bl. 80 - 110 des Ordners des Beklagten „1 K 1142/20“). Die Aufzeichnungen aus der Telefonüberwachung sowie aus dem E-Mail-Verkehr seien auch im hiesigen Besteuerungsverfahren verwertbar, da vorliegend der Verdacht bestünde, dass eine Katalogstraftat begangen worden sei, § 100a Strafprozessvollmacht ([StPO]; vgl. Bundesfinanzhof [BFH], Beschluss vom 12.01.2016, VII B 148/15, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH [BFH/NV] 2016, 762).

Aufgrund der dargelegten Ermittlungen wurde der Klägerin mit Schreiben vom … die Sach- und Rechtslage zu ihrer möglichen Inanspruchnahme dargelegt, auch unter Bezugnahme auf die hier streitige Einfuhr, und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Nach weiterem Schriftverkehr setzte der Beklagte u.a. mit Bescheid vom …, Gz: …, Einfuhrumsatzsteuer zum Einfuhrabgabenbescheid vom …, Gz; …, gegenüber der Klägerin in Höhe von … Euro fest. Die Festsetzung der Einfuhrumsatzsteuer erfolgte darin erstmals nach §§ 21 Abs. 2, 13a Abs. 2 Umsatzsteuergesetz (UStG) in sinngemäßer Anwendung der Art. 220, 201, 5 Abs. 4 UAbs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12.10.1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. EG Nr. L 302/1 - nachfolgend ZK). Im Rahmen der Ermittlungen habe man festgestellt, dass die Klägerin keine wirksamen Vollmachten gehabt habe. Daher sei dieser als vollmachtloser Vertreterin das Geschäft gemäß Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 ZK als Eigengeschäft zuzurechnen. Da über die Identität des Abnehmers ebenfalls falsche Angaben gemacht worden seien, sei auch die Einfuhrumsatzsteuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 6a UStG zu Unrecht gewährt worden und nach § 21 Abs. 2 UStG in sinngemäßer Anwendung des Art. 220 ZK nachträglich zu erheben. Auch hierfür sei die Klägerin Steuerschuldnerin gemäß §§ 21 Abs. 2, 13a Abs. 2 UStG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 ZK.

Im Ergebnis der Ermittlungen des Zollfahndungsamts setzte der Beklagte in … einzelnen Einfuhrabgabenbescheiden gegenüber der Klägerin insgesamt … Euro Zoll-EU, … Euro Antidumpingzoll und … Euro Einfuhrumsatzsteuer (gesamt … Euro) fest.

Unter anderem gegen den hier streitgegenständlichen Bescheid wandte sich die Klägerin mit ihrem fristgerechten Einspruch, den sie im Kern zusammengefasst mit dem - später im hiesigen Verfahren vertieften - Vorbringen begründete, dass bereits Verjährung eingetreten, der Steuerbescheid viel zu unbestimmt sei und sich daraus für sie, die Klägerin, eine Steuerhinterziehung nicht ergebe. Darüber hinaus gebe es auch noch andere mögliche Schuldner und die vorhandenen Vollmachten seien allesamt wirksam gewesen. Wegen der näheren Einzelheiten nimmt das Gericht Bezug auf die Einspruchsbegründung der Klägerin vom … (Bl. 119 - 121 des Ordners des Beklagten „1 K 1142/20“).

Nach weiterem Schriftverkehr zwischen den Beteiligten überzeugte dies den Beklagten nicht, der den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom … als unbegründet zurückwies. Die Ermittlungen hätten ergeben, dass das Unternehmen tatsächlich nicht existiert bzw. jedenfalls keine wirtschaftliche Aktivität ausgeübt habe. Der Inhaber der Firma B…, J…, habe ausgesagt, dass er nicht wisse, wo sich die Unterlagen der B… befänden und Unterlagen an einen unbekannten Dritten habe übergeben müssen. Die Unterschriften auf den diversen Vollmachten wichen stark voneinander ab. Die Vollmachten seien daher als Fälschungen anzusehen. Dies werde bestätigt durch die Ermittlungen, die ergeben hätten, dass das Unternehmen den polnischen Finanzämtern die Waren nie als innergemeinschaftliche Lieferungen gemeldet habe. Das Unternehmen B… sei daher als Scheinfirma anzusehen. Dies habe zur Folge, dass keine wirksame Bevollmächtigung der Klägerin für die angemeldete Einfuhr vorgelegen habe. Damit sei die Anmeldung als Eigengeschäft der Klägerin nach Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 ZK zu werten. Die Klägerin sei insofern auch Steuerschuldner der Einfuhrumsatzsteuer. Es sei Einfuhrumsatzsteuer entstanden, da keine innergemeinschaftliche Anschlusslieferung im Sinne der relevanten Vorschriften erfolgt sei, so dass die Steuerbefreiung nicht gewährt werden könne. Schließlich sei keine Festsetzungsverjährung eingetreten, da eine Steuerhinterziehung vorgelegen habe. Wegen der näheren Begründung wird auf die Ausführungen der Einspruchsentscheidung verwiesen (Bl. 69 - 107 der Verfahrensakte; Bl. 303-341 des Ordners des Beklagten „1 K 1142/20“).

Hiergegen richtet sich die fristgerechte Klage. Der Abfertigung vorangegangen sei der Wareneingang der in der Containerbox … gestauten … Rollen „100% Polyester", die mit der MS R…, einem im südchinesischen Meer eingesetzten Feederschiff am … im Hafen T…, U…, Indonesien, übernommen worden sei. Laut der vorliegenden Urkunden müsse die Containerbox im Containerterminal G… (CTA) der HHLA eingegangen und dort in die vorübergehende Verwahrung genommen worden sein. Laut dem NCTS Eröffnungsdokument NV, mit der Aktenzahl: … mit der NCTS Arbeitsnummer MRN: … sei die Containerbox (handschriftlicher Vermerk im Dokument mit der Sattelzugmaschine …, Auflieger … sowie Rufnummer …) am … in G… abgeholt und beim HZA G… Hafen, ZA V…, in das gemeinschaftliche Versandverfahren mit der Bestimmungszollstelle D… überführt worden. Tatsächlich sei die Containerbox am … mit dem Fahrzeug, Sattel-Zugmaschine …, Auflieger … abgeholt worden. Mit der Transportdurchführung zum ZA D… sei laut CMR Frachtbrief die W…, Transport …, aus Polen beauftragt worden. Das Gewebe sei dazu bestimmt gewesen, es unmittelbar nach Überlassung zum zollrechtlich freien Verkehr durch das ZA D… steuerbefreit innergemeinschaftlich an den polnischen Importeur B… zu verbringen (§§ 5 Abs. 1 Nr. 3, 6a Abs. 1, Abs. 2, 3 Abs. 1, Abs. 1a UStG).

Die Auffassung des Beklagten, dass der polnische Einführer nicht existent sei bzw. ihr, der Klägerin, gegenüber keine wirksame Fiskalverzollungsvollmacht vorliege, sei nicht vertretbar. Noch vor Bearbeitung der Zollanmeldung sei von ihr, der Klägerin, eine umfassende Due Diligence Prüfung durchgeführt worden. Ergebnis sei gewesen, dass die Anmelderin in Polen eine Gewerbeberechtigung des Wirtschaftsministeriums mit der Nummer Regon … vom … besessen habe. In dieser Gewerbeberechtigung sei als Gewerbezweig die Nummer 42.99 Baunebengewerbe im Tiefbau angegeben. Die vorgelegten Nachweismittel, hier auch die Finanzamtsbestätigung der polnischen Finanzverwaltung und Vollmachten, seien sachlich geprüft worden und es sei eine qualifizierte Prüfung der USt-ID-Nummer nach Stufe 2 durch elektronische Abfrage erfolgt. Ebenfalls sei die EORI-Nummer elektronisch geprüft worden. Auch diese Prüfung habe zu positiven Ergebnissen geführt. Die EORI-Nummer in Deutschland sei an die Bedingung geknüpft, dass der Wirtschaftsbeteiligte im Antrag alle Daten (Firmenname, Gründungsdatum, Rechtsform, Telefonnummer, Finanzamt, Steuernummer, USt-ID-Nummer, Ansprechpartner etc.) angeben müsse. Dem EORI-Antrag sei zwingend eine Kopie des Handelsregisterauszugs oder der Gewerbeanmeldung beizufügen. Die Nummer sei von den polnischen Behörden erteilt worden. Dies hätte nicht geschehen können, wenn die Firma nicht existent gewesen wäre. Die EORI-Nummer sei daher als Nachweis der Existenz des Unternehmens ausreichend. Die Konzernzentrale der Klägerin habe den Zweigniederlassungen die Freigabe erteilt, für den Kunden B… als direkter Zollvertreter nach Art. 5 Abs. 1,1. Anstrich ZK und Fiskalvertreter gemäß § 22a Abs. 2 UStG tätig zu sein. Die Prüfung sei nach den Kriterien vorgenommen worden, denen das HZA X… im Rahmen der AEO (F)-Zertifizierung zugestimmt habe.

Bei ihr, der Klägerin, seit dem … „AEO F" gemäß Art. 5a ZK, hätten regelmäßige Monitorings durch das HZA X… stattgefunden. Die Prüfungen hätten zu keinen Beanstandungen geführt. Auch habe sie, die Klägerin, alle umsatzsteuerrechtlichen Vorschriften penibel eingehalten, sei sie doch bis zum heutigen Tag ununterbrochen gemäß § 4 Ziffer 9 StBerG zur beschränkten Hilfeleistung in Steuersachen befugt. Hätte sie, die gemäß § 22a Abs. 2 UStG zur Fiskalvertretung berechtigt sei, wie der Beklagte unverständlicherweise behaupte, gegen die in § 22b UStG genannten Pflichten verstoßen, wäre ihr von der zuständigen Finanzbehörde gemäß § 22e Abs. 1 UStG die Fiskalvertretung untersagt worden. Das sei zu keinem Zeitpunkt der Fall gewesen. Von ihr, der Klägerin, seien sämtliche Pflichten erfüllt worden, die sie als Fiskalvertreter aufgrund gesetzlicher Vorschriften zu erfüllen habe. So habe sie vierteljährliche Voranmeldungen gemäß §§ 18 Abs. 1, 3 und 4 und 18a UStG beim zuständigen Finanzamt in X… abgegeben, auch habe sie die Buch- und Belegnachweise zur vollen Zufriedenheit der vorgenannten Behörde geführt.

Ihr, der Klägerin, hätten zur Durchführung des streitgegenständlichen Dienstleistungsauftrages, also der Erledigung der Grenzformalitäten im Zusammenhang mit der beabsichtigten innergemeinschaftlichen Anschlussverbringung von B… nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG und Art. 79 ZK folgende Unterlagen vorgelegen:

  • Verzollungsvollmacht, hier vom … (Art. 5 ZK) (A);
  • Vollmacht zur Fiskalvertretung, hier vom … (§ 22a Abs. 3 UStG) (A);
  • Bestätigung der Registrierung des Unternehmers als EU-Mehrwertsteuerpflichtiger vom … (A);
  • Gewerbeberechtigung Nr. … vom … (A);
  • Bill of Lading … vom … des Versenders … (B);
  • Handelsrechnung Nr. … vom … (B);
  • Packliste Nr. … vom … (B);
  • NCTS Eröffnungsdokument … vom … (B);
  • T1 mit uns nicht bekannter MRN … (B) und
  • CMR-Frachtbrief Nr. … vom … (B).

Teilweise hätten die Urkunden bereits vorgelegen (A), teilweise hätten die Dokumente die Warensendung begleitet (B).

Unmittelbar vor Abgabe der Zollanmeldung sei gemäß interner Dienstanweisung vom … eine einzelfallbezogene qualifizierte Prüfung der USt-lD-Nummer und ein EORI-Check erfolgt. Das Ergebnis sei erneut positiv gewesen. Gemäß Dienstanweisung sei, wie bei allen Fällen üblich, nochmals geprüft worden, ob eine gültige zoll- und steuerrechtliche Vollmacht vorgelegen habe. Unterschriften seien oft unleserlich und sähen nicht immer gleich aus, ohne dass dies im Geschäftsverkehr oder im Verkehr mit Behörden und Gerichten beanstandet werde. Spediteure bewegten Waren, sie seien keine Graphologen. Eine gültige Vollmacht habe vorgelegen.

Basierend auf den vorliegenden Unterlagen und des positiven Prüfungsfeststellungen habe sie, die Klägerin, bei der Abfertigungsstelle D… Autobahn des ZA C… den Antrag auf Überlassung zum zollrechtlich freien Verkehr mit anschließender steuerbefreiter, innergemeinschaftlicher Verbringung (Verfahren VC 42) und die Zollwertanmeldung D.V.1 eingebracht, im Datenfeld Versendungsland anstatt ID irrtümlicherweise CN eingetragen, als Beförderungsmittel das Kennzeichen … aufgenommen, als Verkäufer die E…, F…, eingetragen. Aufgrund der Angaben im Bill of Lading habe sie, die Klägerin, die Angaben übernommen, obwohl davon auszugehen sei, dass es sich bei dem Erzeugnis um eine Ware der Warennummer 5407 6130 00 (Polyester) oder 5407 6990 00 gehandelt haben müsse. Sie, die Klägerin, habe mit dem Frachtführer vereinbart, nach Entladen der Unionsware in Polen ein Exemplar des vom EU-Auslandsempfänger unterfertigten CMR Frachtbriefs an ihre Dienststelle zu übersenden. Dem Fahrzeuglenker sei dazu ein frankiertes Rückkuvert mit entsprechendem Ersuchen ausgehändigt worden. Zum Vorliegen des Gelangensnachweises, der ganz sicher vorhanden sei, könne sie, die Klägerin, wegen der Beschlagnahme der Geschäftsunterlagen keine Aussagen treffen.

Die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung lägen vor. Weiterhin könne der Beklagte aufgrund der gewählten Rechtsgrundlage die Einfuhrumsatzsteuer nicht nacherheben, da es sich bei der Festsetzung der Einfuhrumsatzsteuer nicht um einen Steuerbescheid handele, sondern lediglich um einen begünstigenden Verwaltungsakt, für dessen Rücknahme/ Widerruf andere Vorschriften gälten. Eine Nacherhebung auf der rechtlichen Grundlage von Art. 220 ZK sei daher nicht möglich. Dies sei allenfalls nach Art. 8 und/ oder 9 ZK i.V.m. § 21 UStG oder über § 130 Abgabenordnung (AO) möglich, und deren Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Weiterhin könne sie, die Klägerin, als vollmachtlose Vertreterin wegen ihrer Anmeldung niemals Steuerschuldner sein. Es handele sich bereits nicht um ein umsatzsteuerrechtliches Eigengeschäft. Sie habe lediglich als Grenzspediteur, d.h. Dienstleister für die Zollanmeldung, fungiert. Zudem habe sie, die Klägerin, sich alle notwendigen Informationen ihres Auftraggebers, wie z.B. USt-ID-Nummer, geben lassen und alle Nachweispflichten erfüllt. Weitere Pflichten zur Prüfung hätten ihrerseits nicht bestanden. Aufgrund der Anmeldung der Einfuhr im Rahmen des VC 42 habe bereits keine Einfuhr in Deutschland stattgefunden, so dass in Deutschland auch keine Einfuhrumsatzsteuer entstehen könne. Dies gelte auch deshalb (keine Entstehung von Einfuhrumsatzsteuer in Deutschland), weil sie, die Klägerin, nie Verfügungsgewalt über die streitgegenständliche Ware gehabt habe. Auch habe sie, die Klägerin, im Rahmen der Einfuhr im Verfahren VC 42 die Identität des Abnehmers nicht prüfen müssen. Schließlich stünde ihr, der Klägerin, Vertrauensschutz zu, da sie gutgläubig gewesen sei. Dies ergebe sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu Art. 143 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (ABl. L 347, 1; nachfolgend MwStSystRL). Es sei auch unstreitig, dass die Ware nach Polen geliefert worden sei. Insofern könnten in Deutschland bereits keine Einfuhrabgaben nacherhoben werden. Zumindest müsse diese Frage dem EuGH vorgelegt werden. Schließlich liege keine Steuerhinterziehung vor, so dass die Festsetzungsfrist für die streitgegenständliche Einfuhr bereits abgelaufen sei. Im Rahmen des Klageverfahrens sei zudem aufgefallen, dass die streitgegenständliche Ware im Versandverfahren T1 im Kern nicht richtig bezeichnet worden sei, so dass eine sog. aliud-Anmeldung vorliege. Insofern sei Zoll allenfalls nach Art. 203 Abs. 1 Alt. 2 ZK entstanden und nicht wie hier vorgetragen. Insofern sei aber in diesem Fall nicht die Klägerin Zollschuldnerin. Wegen der umfassenden rechtlichen Ausführungen wird auf die Schriftsätze der Klägerin vom … (Bl. 115 - 220 der Verfahrensakte), vom … (Bl. 380 - 389 der Verfahrensakte) und vom … (Bl. 412 - 482 der Verfahrensakte) verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

den Einfuhrabgabenbescheid … vom … in Gestalt der Einspruchsentscheidung des Beklagten vom … (Gz.: …) aufzuheben; sowie

die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er, der Beklagte, halte an seiner in dem angefochtenen Bescheid sowie der ablehnenden Einspruchsentscheidung geäußerten Auffassung fest: Der streitgegenständliche Bescheid sei rechtmäßig. Er verweise auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung vom …. Ergänzend nehme er wie folgt Stellung: Eine Einfuhr im umsatzsteuerrechtlichen Sinne habe vorgelegen. Dies ergebe sich aus Art. 30 der MwStSystRL. Entgegen der Ansicht der Klägerin sei die Einfuhrumsatzsteuer nicht vollständig von den Zollvorschriften entkoppelt. Es habe auch nach der Rechtsprechung des EuGH eine Einzelfallprüfung zu erfolgen, ob die Vorschriften sinngemäß über § 21 Abs. 2 UStG anwendbar seien. Dies sei hier der Fall. Dies widerspreche auch nicht den Richtlinienvorschriften der MwStSystRL im hiesigen Fall, insbesondere nicht Art. 143 MwStSystRL. Es gebe kein Erfordernis, wie die Klägerin meine, vor der Nacherhebung einen begünstigenden Verwaltungsakt aufzuheben. Die angewandten Rechtsgrundlagen für die streitgegenständliche Nacherhebung seien richtig. Diese könne auch erfolgen, weil die Voraussetzungen für die Gewährung der Steuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG nicht vorgelegen hätten. Die klägerische Auffassung, dass im Rahmen des VC 42 ein Identitätserfordernis nicht gegeben sei, gehe fehl. Dies ergebe sich auch nicht aus der Rechtsprechung des EuGH. Als vollmachtlose Vertreterin sei die Klägerin im Sinne des Art. 5 ZK Schuldnerin der Einfuhrumsatzsteuer geworden. Die Klägerin könne sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen. Wegen der umfassenden Ausführungen wird auf die Klageerwiderung vom … (Bl. 332 - 364 der Verfahrensakte) verwiesen.

Wegen der näheren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten nimmt der Senat auf den Akteninhalt sowie die im Verfahren ausgetauschten Schriftsätze Bezug. Dem Senat haben bei seiner Entscheidung neben der Verfahrensakte die Akten zu den Verfahren 1 K 1158/20, 1 K 1165/20 und 1 K 1058/21 sowie die diese Rechtsstreitigkeiten betreffenden Akten des Beklagten vorgelegen (ein Ordner „1 K 1142/20“, paginiert von Bl. 1 bis 383; ein Ordner „1 K 1158/20“, paginiert von Bl. 1 bis 390; ein Ordner „1 K 1165/20“, paginiert von Bl. 1 bis 394; ein Ordner „1 K 1058/21“, paginiert von Bl. 1 bis 346 sowie ein Ordner „1 K 1142/20, 1 K 1158/20, 1 K 1165/20, 1 K 1058/21“, paginiert von Bl. 1 bis 271).

Entscheidungsgründe

I.    Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Einfuhrabgabenbescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Insbesondere hat der Beklagte die Klägerin zu Recht in Anspruch genommen. Die Voraussetzungen für die Nacherhebung der Einfuhrumsatzsteuer liegen vor. Die Nacherhebung erfolgte zu Recht gemäß § 21 Abs. 2 UStG in sinngemäßer Anwendung des Art. 220 Abs. 1 ZK (nachfolgend unter I.2.). Die Klägerin ist als Anmelder Steuerschuldnerin gemäß Art. 201 Abs. 3 UAbs. 1 Satz 1 ZK geworden (nachfolgend unter I.3.). Verjährung steht der Nacherhebung ebenfalls nicht entgegen (nachfolgend unter I.4.).

1.    Ausweislich des Ermittlungsergebnisses des Zollfahndungsamts S… durfte der Beklagte die Klägerin in Anspruch nehmen.

a)    Zunächst bestätigt das Ermittlungsergebnis, dass die Klägerin ausreichend Anhaltspunkte für die Überprüfung ihrer Abwicklungspraxis betreffend ihrer Zollanmeldungen seit Ende 2012 hatte:

Die Klägerin hat formal ihre Pflichten als Fiskalvertreterin erfüllt, indem sie sich die Vollmachten hat ausstellen lassen und die USt-ID- bzw. EORI-Nummern geprüft hat. Jedoch spätestens seit der E-Mail der Niederlassungsleiterin der Klägerin am Standort K… im Oktober 2012, den Hausdurchsuchungen bei der Klägerin in 2012 sowie dem Kontakt mit dem Zollfahndungsamt L… ab März 2013 über Unregelmäßigkeiten bei Importeuren bzw. Abnehmern aus Polen, hatte die Klägerin Anhaltspunkte, ihre Geschäftspraxis zu überprüfen. Im April 2013 wurde auch der Mitarbeiter der Klägerin, Herr Y…, im Rahmen dieses Ermittlungsverfahrens vernommen. Er gab u.a. sinngemäß an, dass die Zentrale in … entschieden habe, das „Geschäft mit den Containern“ zu machen (Bl. 60 - 63 des Ordners des Beklagten „1 K 1142/20“). Anhand dieser Anhaltspunkte seit Ende 2012 hatte die Klägerin Anlass, ihre Geschäfte zu überprüfen und ihre Abwicklungspraxis anzupassen. Dies ist nicht erfolgt. Hierzu hat die Klägerin auch nicht näher vorgetragen und sich insofern mit dem Vortrag des Beklagten auch nicht näher auseinandergesetzt.

Die Klägerin räumt selbst ein, keinen direkten Kontakt mit Abnehmern gehabt zu haben. Es wurde insofern - über die formale Abfrage von Umsatzsteuer-ID-Nummer und EORI-Nummer hinaus - nicht überprüft, ob neben dem Firmenstempel auch die handelnde Person vertretungsberechtigt war bzw. ob das Unternehmen überhaupt existent war. Aufgrund dieser Anhaltspunkte durch die geschilderten Ermittlungen, war - nach Auffassung des Senats - eine bloß formale Prüfung durch die Abfrage von Umsatzsteuer-ID-Nummer und EORI-Nummer seitens der Klägerin auch nicht mehr ausreichend. Im vorliegenden Fall trägt die Klägerin zudem selbst vor, dass der Abnehmer B… im Gewerberegister als Gewerbetreibender für das Baunebengewerbe im Tiefbau eingetragen gewesen sei. Auch dies hätte im Hinblick auf die Durchführung von Textileinfuhren zu Überprüfungen seitens der Klägerin führen müssen. Zudem erfolgten nach den Schilderungen der Abwicklungen durch die Leiterin des Standortes K… der Klägerin, die Zahlungen der Zölle und Abgaben sowie die Zahlungen an die Klägerin ausschließlich durch Barzahlungen. Hierbei handelte es sich teilweise um Beträge im hohen fünfstelligen Bereich. Auch dies gab – nach Auffassung des Senats – Anlass zu Überprüfungen der Abwicklungspraxis seitens der Klägerin spätestens seit Ende 2012 und auch auf diesen Umstand ist die Klägerin nicht näher eingegangen.

b)    Bezogen auf die streitgegenständliche Einfuhr hat das Gericht nach Prüfung der Aktenlage keine Zweifel daran, dass es sich bei der seitens der Klägerin am … zur Verzollung angemeldeten Ware tatsächlich um Ware handelt, die von einem anderen Abnehmer als dem Unternehmen B… erworben worden ist. Der vom Beklagten rekonstruierte Geschehensablauf, dass die Klägerin die Anmeldung nur machte, um eine Einfuhrumsatzsteuerhinterziehung in Polen durch fehlende dortige Anmeldung der Ware zu ermöglichen, ist jedenfalls anhand des Akteninhalts plausibel und seitens der Klägerin nicht substantiiert widerlegt worden.

aa)    Das Gericht hat aufgrund der Aktenlage zudem keine Zweifel daran, dass nicht die B…, sondern ein unbekannter Dritter tatsächlicher Empfänger der streitgegenständlichen Ware war. Das belegen die Erkenntnisse im Rahmen der Ermittlungen gegenüber dem Unternehmen B… und Herrn J… ausreichend:

Es gibt nach Aktenlage keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass Herr J… tatsächlicher Inhaber der B… war. Im Gegenteil, er teilte mit, lediglich Strohmann gewesen zu sein und die Unterlagen an unbekannte Dritte übergeben zu haben. Auch die Anmeldung des Unternehmens B… im Gewerberegister als in der Baubranche tätig, belegen für den Senat, dass die Firma B… nicht - wie angemeldet - Textilien eingeführt hat. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass das Unternehmen B… wirtschaftlich tätig war. Das Unternehmen B… hat zu keinem Zeitpunkt gegenüber dem polnischen Finanzamt etwaige Einfuhren angemeldet. Die Aktenlage spricht – nach Auffassung des Senats – daher für das Vorliegen eines sog. Scheinunternehmens, welches zum Schein als Abnehmer zur Verfügung stand, um es für Einfuhrumsatzsteuerhinterziehungen zu nutzen.

bb)    Die Klägerin hat demgegenüber keine ausreichend substantiierten Einwendungen erhoben, die das Vorbringen des Beklagten hinreichend erschüttern könnten. Sie hat keine auch nur ansatzweise überzeugenden Unterlagen vorgelegt, aus denen sich Anhaltspunkte für ihre wirksame Bevollmächtigung ergeben. Darüber hinaus belegt die vorgelegte Vollmacht nicht die Existenz des Unternehmens B…. Zu dem konkreten Geschäft hat die Klägerin jedenfalls keine Unterlagen vorgelegt, die den oben dargestellten Geschehensablauf widerlegen würden bzw. Zweifel an den Feststellungen aufkommen ließen.

c)    Da sich die Klägerin mit dem vom Beklagten festgestellten Sachverhalt, wie er insbesondere aus der Einspruchsentscheidung vom … hervorgeht, nicht ausreichend auseinandergesetzt hat, war eine weitere Sachaufklärung nicht zu veranlassen. Pauschales Bestreiten und die Behauptung negativer Tatsachen sind nicht geeignet, um die Überzeugung des Senats von der Richtigkeit der Feststellungen des Beklagten zu erschüttern. Die vorgelegten Unterlagen der Klägerin können die getroffenen Feststellungen des Beklagten auch nicht widerlegen oder entsprechende Zweifel begründen.

2.    Rechtsgrundlage für die Nacherhebung der Einfuhrumsatzsteuer ist § 21 Abs. 2 UStG in sinngemäßer Anwendung des Art. 220 Abs. 1 ZK. Die nachträgliche buchmäßige Erfassung der streitgegenständlichen Einfuhr beruht zutreffend auf Art. 220 ZK in sinngemäßer Anwendung, weil der Zoll bzw. hier die Einfuhrumsatzsteuer ausweislich der oben dargestellten Ermittlungsergebnisse zuvor mit einem geringeren als dem gesetzlich geschuldeten Betrag buchmäßig erfasst worden ist, obwohl Einfuhrumsatzsteuer gemäß § 21 Abs. 2 UStG i.V.m. Art. 201 Abs. 1 Buchst. a) i.V.m. Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 ZK in sinngemäßer Anwendung durch Einfuhr in Deutschland in der nunmehr festgesetzten Höhe entstanden ist. Werden Einfuhrabgaben nicht nach den Art. 218 und 219 ZK buchmäßig erfasst oder mit einem geringeren als dem gesetzlich geschuldeten Betrag buchmäßig erfasst, so hat die buchmäßige Erfassung des zu erhebenden Betrags oder des nachzuerhebenden Restbetrags gemäß § 21 Abs. 2 UStG i.V.m. Art. 220 Abs. 1 Satz 1 ZK in sinngemäßer Anwendung innerhalb von zwei Tagen nach dem Tag zu erfolgen, an dem die Zollbehörden diesen Umstand feststellen und in der Lage sind, den gesetzlich geschuldeten Betrag zu berechnen sowie den Zollschuldner zu bestimmen (nachträgliche buchmäßige Erfassung).

a)    Nach § 21 Abs. 2 Hs. 1 UStG gelten für die Einfuhrumsatzsteuer die Vorschriften für Zölle sinngemäß. Im Lichte der neuesten Rechtsprechung des EuGH können die Zollvorschriften nicht mehr einfach aus Zweckmäßigkeitserwägungen auch auf die Einfuhrumsatzsteuer angewendet werden (vgl. EuGH, Urteil vom 10.07.2019, Rs. C-26/18, Federal Express, ECLI:EU:C:2019:579, Deutsches Steuerrecht [DStR] 2019, 1575, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern [ZfZ] 2019, 231). Nach der Rechtsprechung des EuGH kann eine zollrechtliche Vorschrift nur dann mit der Folge, dass Einfuhrumsatzsteuer entsteht, entsprechend angewendet werden, wenn eine Einfuhr im Sinne der MwStSystRL vorliegt. Nur in diesem Fall liegt ein steuerbarer Umsatz vor, der der Mehrwertsteuer unterliegt. Da sich das deutsche Recht in dem von der genannten Richtlinie vorgegebenen Rahmen bewegen muss, darf die entsprechende Anwendung der Vorschriften des ZK, die aufgrund des Verweises in § 21 Abs. 2 UStG als deutsches Recht gelten, nicht dazu führen, dass andere Handlungen als die hier einzig in Betracht kommende Einfuhr (Art. 2 Buchst. d MwStSystRL) die Entstehung der Mehrwertsteuer auslösen. Weiterhin können die Zollvorschriften nur insoweit sinngemäß angewendet werden, wie dies nicht gegen die MwStSystRL oder anderes Unionsrecht verstößt. Kommen mehrere Zollvorschriften in Betracht, die entsprechend auf die Einfuhrumsatzsteuer angewendet werden könnten, ist im Wege der richtlinienkonformen Auslegung diejenige auszuwählen, die der Systematik des Mehrwertsteuerrechts am besten entspricht. Die richtlinienkonforme Auslegung orientiert sich hierbei nicht allein am Wortlaut der Richtlinie, sondern auch an ihrem Sinn und Zweck, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen (EuGH, Urteil vom 26.02.2019, C-115/16, C-118/16, C-119/16 und C-299/16, N Luxembourg 1 u.a., ECLI:EU:C:2019:134, Internationales Steuerrecht [IStR] 2019,308, Rn. 115; EuGH, Urteil vom 05.05.1994, C-421/92, Habermann-Beltermann, ECLI:EU:C:1994:187, IStR 1994, 289, Rn. 10). Zweck der MwStSystRL ist es, eine Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuer vorzunehmen, damit Wettbewerbsverzerrungen vermieden werden (4. Erwägungsgrund der MwStSystRL). Soweit das Unionsrecht für eine richtlinienkonforme Auslegung keine Anhaltspunkte liefert, muss bei der Auswahl einer auf den konkreten Fall entsprechend anwendbaren Zollvorschrift auf den oben dargestellten Zweck der Richtlinie zurückgegriffen werden. Nach diesen Grundsätzen ist Art. 220 Abs. 1 ZK auf die Nacherhebung der Einfuhrumsatzsteuer entsprechend anwendbar. Der Senat schließt sich insofern der Auffassung des FG Hamburg in seinem Gerichtsbescheid vom 25.01.2021 (4 K 47/18, MwStR 2021, 338, ECLI:DE:FGHH:2021:0125.4K47.18.00) an.

b)    Die MwStSystRL verbietet nicht die nachträgliche Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer. Nach Art. 211 MwStSystRL ist es Sache der Mitgliedstaaten, die Einzelheiten der Entrichtung der Mehrwertsteuer für die Einfuhr von Gegenständen festzulegen. Die Nacherhebung, also die nach der Überlassung zum zollrechtlich freien Verkehr erfolgende Festsetzung des tatsächlich geschuldeten Abgabenbetrags, ist eine Frage der Entrichtung der Steuer im Sinne der MwStSystRL. Die Vorschrift steht im Abschnitt 2 über die "Einzelheiten der Entrichtung" gemeinsam mit anderen Vorschriften, die sich mit dem Erlass der erforderlichen Maßnahmen befassen, damit bestimmte Personen ihren Zahlungspflichten nachkommen (vgl. FG Hamburg, Urteil vom 25.01.2021, 4 K 47/18, MwStR 2021, 338, ECLI:DE:FGHH:2021:0125.4K47.18.00, Rn. 51; FG München, Urteil vom 20.10.2016, 14 K 1770/13, MwStR 2017, 586, Rn. 39). Aus Art. 143 Abs. 2 MwStSystRL in der Fassung zum Streitzeitpunkt ergibt sich nach Auffassung des Senats kein Verbot der entsprechenden Anwendung von Art. 220 Abs. 1 ZK. Zwar wird dort auf den "Zeitpunkt der Einfuhr" abgestellt. Dies bezieht sich jedoch nur auf die Vorlagepflicht bezüglich der in der Vorschrift genannten Unterlagen. Zur Frage einer etwaigen Nacherhebung äußert sich Art. 143 Abs. 1 Buchst. d, Abs. 2 MwStSystRL nicht. Auch insofern schließt sich der Senat der Auffassung des FG Hamburg an, dass es bereits aufgrund des Tatbestands von Art. 143 Abs. 1 Buchst. d, Abs. 2 MwStSystRL eine Möglichkeit der Nacherhebung von Einfuhrumsatzsteuer geben muss, da selbst der EuGH verlangt, dass nach der Einfuhr eine Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer nur möglich ist, wenn nach der Einfuhr tatsächlich eine innergemeinschaftliche Lieferung durchgeführt wurde (vgl. EuGH, Urteil vom 20.06.2018, C.108/17, Enteco Baltic, ECLI:EU:C:2018:473, MwStR 2018, 704, Rn. 83; FG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 25.01.2021, 4 K 47/18, MwStR 2021, 338, ECLI:DE:FGHH:2021:0125.4K47.18.00). Der Nachweis über die tatsächliche Durchführung der innergemeinschaftlichen Lieferung, die sich nach dieser Vorschrift unmittelbar an die Einfuhr anschließen muss, kann logischerweise erst nach der Einfuhrabfertigung erfolgen. Hierzu wird nachfolgend noch ausgeführt. Wenn jedoch ausgerechnet bei der Steuerbefreiung nach Art. 143 Abs. 1 Buchst. d, Abs. 2 MwStSystRL die Nacherhebung ausgeschlossen wäre, wäre diese Tatbestandsvoraussetzung bedeutungslos. Bei der Abfertigung der Einfuhr ist dieser Nachweis jedenfalls tatsächlich unmöglich.

c)    Entgegen der Ansicht der Klägerin, verdrängt Art. 220 Abs. 1 ZK als speziellere Korrekturvorschrift auch die Art. 8 f. ZK analog und §§ 131 f. AO (Alexander, in: Witte, ZK, 6. Aufl. 2013, Vor Art. 8, Rn. 3, Vor Art. 220, Rn. 11; FG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 25.01.2021, 4 K 47/18, MwStR 2021, 338, ECLI:DE:FGHH:2021:0125.4K47.18.00, Rn. 54; FG München, Urteil vom 20.10.216, 14 K 1770/13, ECLI:DE:FGMUENC:2016:1020.14K1770.13.0A, MwStR 2017, 586, Rn. 40). Betreffend diese Abgabenfestsetzungen hat die Klägerin auch nichts Gegenteiliges vorgetragen. Bei der Mitteilung der Zollschuld wird davon ausgegangen, dass es sich dabei um einen Steuerbescheid im Sinne des § 155 AO handelt (FG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 25.01.2021, 4 K 47/18, MwStR 2021, 338, ECLI:DE:FGHH:2021:0125.4K47.18.00 m.w.N.). Die Voraussetzungen für die Nacherhebung nach § 21 Abs. 2 UStG i.V.m. Art. 220 Abs. 1 ZK in sinngemäßer Anwendung liegen hier vor. Die nachträgliche buchmäßige Erfassung der streitgegenständlichen Einfuhr beruht zutreffend auf § 21 Abs. 2 UStG i.V.m. Art. 220 ZK in sinngemäßer Anwendung, weil Einfuhrumsatzsteuer ausweislich der oben dargestellten Ermittlungsergebnisse (I.1.) und der nachfolgend dargestellten Grundsätze zuvor mit einem geringeren als dem gesetzlich geschuldeten Betrag buchmäßig erfasst worden ist, obwohl sie gemäß § 21 Abs. 2 UStG i.V.m. Art. 201 Abs. 1 Buchst. a) i.V.m. Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 ZK in sinngemäßer Anwendung durch Einfuhr in Deutschland entstanden ist. Die Nacherhebung der Einfuhrumsatzsteuer folgt insofern denselben Regeln wie die Nacherhebung von Zöllen, weil die Geltendmachung und Einräumung der Steuerbefreiung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG auch unter Berücksichtigung der Vorgaben der MwStSystRL und des eigenständigen Charakters der Einfuhrumsatzsteuer als Umsatzsteuer durch entsprechend anwendbare Vorschriften des ZK dargestellt werden kann: Der Senat schließt sich auch insofern der Auffassung des FG Hamburg im Gerichtsbescheid vom 25.01.2021 (4 K 47/18, MwStR 2021, 338, ECLI:DE:FGHH:2021:0125.4K47.18.00, Rn. 55 ff.) an, dass das Verfahren VC 42 einen eigenen umsatzsteuerrechtlichen Erklärungsgehalt hat, der als Antrag gemäß Art. 6 ZK analog auf Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer verstanden werden muss, und der durch eine einfuhrumsatzsteuerrechtliche Entscheidung gemäß Art. 6 ZK und Art. 4 Nr. 5 ZK analog beschieden wird. § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG sieht insofern einen vergleichbaren Ablauf im Hinblick auf die Steuerbefreiung vor, wie die Geltendmachung der Zollfreiheit einer Ware im Rahmen der Überlassung dieser Ware zum zollrechtlich freien Verkehr. Im Einzelnen:

aa)     Die Verwendung des VC 42 hat einen eigenständigen umsatzsteuerrechtlichen Erklärungsgehalt (in diesem Sinne bereits FG Hamburg, Urteil vom 06.05.2020, 4 K 116/15, ECLI:DE:FGHH:2020:0506.4K116.15.0A, juris, Rn. 43; FG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 25.01.2021, 4 K 47/18, MwStR 2021, 338, ECLI:DE:FGHH:2021:0125.4K47.18.00, Rn. 56 ff.). Insofern verweist der Senat auf die dortigen Ausführungen des FG Hamburg im Gerichtsbescheid vom 25.01.2021 (4 K 47/18, MwStR 2021, 338, ECLI:DE:FGHH:2021:0125.4K47.18.00), denen er folgt. Das Verfahren VC 42 hat die zollrechtliche Bedeutung, dass die Waren in das Zollverfahren der Überlassung zum zollrechtlich freien Verkehr angemeldet werden. In mehrwertsteuerrechtlicher Hinsicht wird eine Befreiung von der Einfuhrmehrwertsteuer geltend gemacht, weil sich eine ihrerseits steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung anschließt. Auch durch den Verweis im Anhang 38 zu „Titel II Codes, Feld Nr. 37, A. Erstes Unterfeld, Absatz 11, Ziffer 42“ der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 02.07.1993 mit Durchführungsvorschriften zum ZK (ZK-DVO) auf Art. 143 der MwStSystRL wird deutlich, dass mit dem VC 42 in mehrwertsteuerrechtlicher Hinsicht ein eigenständiges, mithin einfuhrmehrwertsteuerrechtliches Verfahren codiert wird, das allein mehrwertsteuerrechtliche Voraussetzungen hat. Die Verknüpfung mit dem Zollrecht besteht insoweit, als diese Befreiung von der Mehrwertsteuer materiell-rechtlich davon abhängt, dass der Befreiungstatbestand - die innergemeinschaftliche Lieferung - unmittelbar auf die Überlassung zum zollrechtlich freien Verkehr erfolgt. Nur wegen dieser zeitlichen Verknüpfung von Mehrwertsteuerbefreiung und Zollverfahren muss die Steuerbefreiung gleichzeitig mit einer Zollanmeldung zur Überlassung von Waren in den zollrechtlich freien Verkehr geltend gemacht werden.

bb)     Diese Geltendmachung der Steuerbefreiung ist antragsgebunden (FG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 25.01.2021, 4 K 47/18, MwStR 2021, 338, ECLI:DE:FGHH:2021:0125.4K47.18.00, m.w.N.). Dieses Antragserfordernis lässt sich bereits aus dem Wortlaut von Art. 143 Abs. 2 MwStSystRL entnehmen. Danach ist Voraussetzung für die Steuerbefreiung, dass der Importeur den zuständigen Behörden bestimmte Angaben macht. Durch Vorlage der entsprechend geforderten Unterlagen für die Steuerbefreiung gegenüber den Zollbehörden wird die Steuerbefreiung geltend gemacht und damit beantragt. Die MwStSystRL sieht auch kein eigenes Einfuhrumsatzsteuerverfahren bzw. eine eigene -anmeldung vor, da Art. 30 Abs. 1 MwStSystRL für die Einfuhr allein an den physischen Vorgang der Verbringung anknüpft und kein gesondertes Verfahren - wie im Zoll - vorsieht.

cc)     Der Senat sieht – wie das FG Hamburg im Gerichtsbescheid vom 25.01.2021 (4 K 47/18, MwStR 2021, 338, ECLI:DE:FGHH:2021:0125.4K47.18.00) – in der Festsetzung von Einfuhrumsatzsteuer i.H.v. 0,- Euro im streitgegenständlichen Einfuhrabgabenbescheid vom … eine einfuhrumsatzsteuerrechtliche Entscheidung gemäß Art. 6 und Art. 4 Nr. 5 ZK analog, in welchem über den Antrag auf Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer und in welchem über die zu entrichtende Einfuhrumsatzsteuer entschieden wurde. Die Form der Mitteilung richtet sich hierbei nach den internen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten (Alexander, in: Witte, ZK, 6. Aufl. 2013, Art. 221 ZK, Rn. 1 unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 23.02.2006, C-201/04, ECLI:EU:C:2006:136, BFH/NV 2006, 323, Amtliche Sammlung der Entscheidungen des EuGH [EuGHE] 2006, 2070, Rn. 54; EuGH, Urteil vom 28.01.2010, C-264/08, ECLI:EU:C:2010:43, BFH/NV 2010, 589, EuGHE 2010, 731, Rn. 29 f.). Nach den Grundsätzen des deutschen Rechts erfolgt die Festsetzung durch Verwaltungsakt gemäß § 118 AO in Gestalt eines Steuerbescheids nach § 155 Abs. 1 AO. Steuern werden in der Regel durch Steuerbescheid festgesetzt, im hiesigen Fall auf 0,- Euro im Ausgangsbescheid (vgl. Rüsken, in: Klein, AO, 16. Aufl. 2022, § 155 Rn. 2 und 3a). Die Klägerin hat insofern auch lediglich behauptet, dass es sich bei den „Festsetzungen“ auf Null nicht um Steuerbescheide handelt, ohne dies näher zu begründen.

Im Übrigen unterscheidet sich die Festsetzung der Einfuhrumsatzsteuer strukturell nicht von der Festsetzung von Zoll, bei der eine Zollbefreiung berücksichtigt wird. Auch bei der Mitteilung der Zollschuld wird davon ausgegangen, dass es sich insofern um einen Steuerbescheid im Sinne des § 155 AO handelt (FG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 25.01.2021, 4 K 47/18, MwStR 2021, 338, ECLI:DE:FGHH:2021:0125.4K47.18.00 m.w.N.). Dass im Rahmen der Zollanmeldung darüber hinaus noch eine gesonderte Überführung in ein Zollverfahren erfolgt, welches das Einfuhrumsatzsteuerrecht nicht kennt, rechtfertigt dennoch keine unterschiedliche Behandlung im hiesigen Fall (FG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 25.01.2021, 4 K 47/18, MwStR 2021, 338, ECLI:DE:FGHH:2021:0125.4K47.18.00 m.w.N.).

d)    Die Voraussetzungen für die Nacherhebung in sinngemäßer Anwendung des Art. 220 Abs. 1 ZK liegen hier vor. Die nachträgliche buchmäßige Erfassung der streitgegenständlichen Einfuhr beruht zutreffend auf der sinngemäßen Anwendung des Art. 220 ZK, weil die Einfuhrumsatzsteuer ausweislich der oben dargestellten Ermittlungsergebnisse zuvor mit einem geringeren als dem gesetzlich geschuldeten Betrag buchmäßig erfasst worden ist, obwohl eine Einfuhrumsatzsteuerschuld gemäß §§ 13 Abs. 2, 21 Abs. 2 UStG in sinngemäßer Anwendung des Art. 201 Abs. 1 Buchst. a) ZK durch umsatzsteuerliche Einfuhr in Deutschland entstanden ist. Für die Einfuhrumsatzsteuer lagen die Voraussetzungen der Steuerbefreiung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG nicht vor.

aa)    Die Einfuhrumsatzsteuer wurde bei der Einfuhrabfertigung nicht buchmäßig erfasst. Stattdessen wurde mit Einfuhrabgabenbescheid vom … 0,- Euro Einfuhrumsatzsteuer festgesetzt, weil der Beklagte der Klägerin bzw. der B… die Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG gewährte. Richtig wäre die im streitgegenständlichen Bescheid festgesetzte Einfuhrumsatzsteuer gewesen.

(i)    Nach dem Wortlaut von Art. 201 Abs. 1 Buchst. a) ZK entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware in den zollrechtlich freien Verkehr überführt wird. Nach den dargestellten Grundsätzen ist diese Vorschrift in entsprechender Anwendung so zu verstehen, dass eine Einfuhrumsatzsteuerschuld entsteht durch die umsatzsteuerliche Einfuhr in Deutschland von Gegenständen, die sich nicht im freien Verkehr gemäß Art. 29 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) befinden, § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG i.V.m. Art. 30 Abs. 1 MwStSystRL und Art. 29 AEUV. Da das UStG den Begriff der Einfuhr nicht näher umschreibt, muss er im Wege der richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts ermittelt werden. § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG bietet insofern auch einen Auslegungsspielraum, der eine richtlinienkonforme Auslegung erlaubt (vgl. EuGH, Urteil vom 05.05.1994, Habermann-Beltermann, C-421/92, ECLI:EU:C:1994:187, IStR 1994, 289, Rn. 10).

Art. 30 Abs. 1 MwStSystRL definiert die Einfuhr eines Gegenstands als einen physischen Vorgang, nämlich die Verbringung eines Gegenstands, der sich nicht im freien Verkehr im Sinne des Art. 24 des Europäischen Gemeinschaftsvertrags (EGV, heute: Art. 29 AEUV) befindet, in die Gemeinschaft (heute: Europäische Union). Als im freien Verkehr eines Mitgliedstaats befindlich gelten gemäß Art. 29 AEUV diejenigen Waren aus dritten Ländern, für die in dem betreffenden Mitgliedstaat die Einfuhrförmlichkeiten erfüllt sowie die vorgeschriebenen Zölle erhoben worden sind. Art. 29 AEUV knüpft für die Überführung in den freien Verkehr an die Erfüllung der Einfuhrförmlichkeiten und die Zahlung der Einfuhrabgaben an. Dies ist bei der Überlassung zum zollrechtlich freien Verkehr gemäß Art. 79 ZK der Fall. Daraus schließt der Senat in Übereinstimmung mit dem Gerichtsbescheid des FG Hamburg vom 25.01.2021 (4 K 47/18, MwStR 2021, 338, ECLI:DE:FGHH:2021:0125.4K47.18.00) Folgendes: Eine Einfuhr im mehrwertsteuerrechtlichen Sinne liegt jedenfalls dann vor, wenn eine Ware zum zollrechtlich freien Verkehr überlassen worden ist und die Einfuhrabgaben gezahlt worden sind. Eine derartige inhaltliche Verknüpfung von Einfuhrumsatzsteuer und Zoll ist keine Missachtung der jeweiligen Selbstständigkeit von Einfuhrumsatzsteuerrecht und Zollrecht. Vielmehr ist sie das Ergebnis einer mehrwertsteuerrechtlichen Grundentscheidung: Art. 30 Abs. 1 MwStSystRL verweist auf das Primärrecht, das wiederum auf das Zollrecht verweist.

Weiterhin ergibt sich aus Art. 29 AEUV, auf den Art. 30 Abs. 1 MwStSystRL Bezug nimmt, der Ort der Einfuhr. Danach wird eine Nicht-Freiverkehrsware in dem Mitgliedstaat im mehrwertsteuerrechtlichen Sinne eingeführt, in dem sie zum zollrechtlich freien Verkehr überlassen wird und Einfuhrabgaben gezahlt werden. Dieser primärrechtliche Regelungsgehalt wird von Art. 60 MwStSystRL aufgegriffen, der den grundsätzlichen Ort der Einfuhr als den Mitgliedstaat der Verbringung bezeichnet (FG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 25.01.2021, 4 K 47/18, MwStR 2021, 338, ECLI:DE:FGHH:2021:0125.4K47.18.00 m.w. Ausführungen, auf die der Senat verweist). Daran ändert auch die Vorschrift über die Steuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG nichts, nach der die Ware bei ordnungsgemäßer Inanspruchnahme erstmals im Bestimmungsmitgliedstaat besteuert wird. Zweck dieser Steuerbefreiung, die auf Art. 143 Abs. 1 Buchst. d) MwStSystRL beruht, ist eine Verfahrensvereinfachung für den Importeur, indem ihm die Befreiung von der Einfuhrmehrwertsteuer unmittelbar gewährt wird, ohne dass er sie umständlich über den Vorsteuerabzug geltend machen müsste (EuGH, Urteil vom 14.02.2019, C-531/17, Vetsch, ECLI:EU:C:2019:114, MwStR 2019, 449, Rn. 40 sowie FG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 25.01.2021, 4 K 47/18, MwStR 2021, 338, ECLI:DE:FGHH:2021:0125.4K47.18.00 m.w. Ausführungen, auf die der Senat verweist). Die so vorgesehene Verfahrensvereinfachung setzt eine Einfuhr nach Verständnis des Senats voraus und regelt letztlich lediglich das Besteuerungsrecht des jeweiligen Mitgliedstaats. Die Regelung des Art. 143 Abs. 1 Buchst. d) MwStSystRL bzw. § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG geht daher von einer Einfuhr im vorherigen Mitgliedstaat aus.

Etwas Anderes folgt vorliegend auch nicht aus der neueren Rechtsprechung des EuGH, nach welcher der Gleichklang zwischen der Entstehung von Zoll und Einfuhrumsatzsteuer als aufgehoben gelten muss. Zwar ist im Anschluss an das Urteil des EuGH vom 10.07.2019 in der Rechtssache C-26/18 (Federal Express, ECLI:EU:C:2019:579, DStR 2019, 1575, ZfZ 2019, 231) davon auszugehen, dass im Fall einer Zollschuldentstehung nicht zwingend auch eine Einfuhr im Sinne des Art. 30 der MwStSystRL vorliegt, und damit nicht automatisch auch eine Mehrwertsteuerschuld entsteht. Es kommt für eine Einfuhr im Sinne der MwStSystRL nach der EuGH-Rechtsprechung vielmehr darauf an, ob die Ware in den Wirtschaftskreislauf der Union eingegangen ist und wo dies gegebenenfalls der Fall war (siehe hierzu auch die Anmerkung zum Urteil des EuGH in der Rechtssache C-26/18, von Schoenfeld, ZfZ 2019, 234; zur Problematik der Einfuhrumsatzsteuer nach Federal Express siehe auch Bender, Umsatzsteuer-Rundschau [UR] 2019, 641 ff.). Für den Streitfall, in dem es um die Frage geht, ob Fehler bei der innergemeinschaftlichen Lieferung auch zur Versagung der Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer führen, gibt die Entscheidung in der Rechtssache C-26/18 jedoch nichts her (so auch FG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 25.01.2021, MwStR 2021, 338, 4 K 47/18, ECLI:DE:FGHH:2021:0125.4K47.18.00 m.w.N.). Nach der bisherigen Rechtsprechung deutscher Finanzgerichte liegt bei Fehlern der innergemeinschaftlichen Anschlusslieferung (§ 5 Abs. 1 Nr. 3, § 6a UStG) von Waren, die mit dem Verfahren VC 42 angemeldet wurden, immer eine umsatzsteuerliche Einfuhr im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG vor (FG München, Urteil vom 20.10.2016, 14 K 1770/13, MwStR 2017, 586, ECLI:DE:FGMUENC:2016:1020.14 K 1770.13.0A, ZfZ-Beilage 2017, 35; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 14.11.2017, 11 K 1102/15, ECLI:DE:FGBW:2017:1114.11K1102.15.00, ZfZ-Beilage 2018, 33). Da es sich beim Verfahren VC 42 um die Überführung von Waren in den zollrechtlich freien Verkehr mit anschließender innergemeinschaftlicher Lieferung handelt, sind die Waren zum freien Verkehr abgefertigt worden und befinden sich nicht mehr in einer Nichterhebungs-Situation gemäß Art. 61 MwStSystRL. Es entsteht deutsche Einfuhrumsatzsteuer (vgl. hierzu auch Bender, UR 2019, 641).

(ii)     Die Einfuhrumsatzsteuerschuld ist in sinngemäßer Anwendung von Art. 201 Abs. 2 ZK im Zeitpunkt der Annahme der Zollanmeldung entstanden. Hieran ändert es nichts, dass erst zu einem späteren Zeitpunkt feststand, dass die Voraussetzungen der Steuerbefreiung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG nicht erfüllt waren. Zum einen ordnet Art. 71 Abs. 1 UAbs. 2 MwStSystRL im Hinblick auf den Zeitpunkt von Steuertatbestand und Steueranspruch einen Gleichlauf von Zoll und Mehrwertsteuer an. Zum anderen definiert der zeitlich gestreckte Tatbestand des § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG die Voraussetzungen einer Steuerbefreiung, nicht die Entstehung der Steuer. Wenn also zu einem beliebigen Zeitpunkt nach der Einfuhr feststeht, dass die Voraussetzungen einer Steuerbefreiung nicht vorliegen, muss die Steuer bei der Einfuhr entstanden sein. Eine auflösend bedingte Steuerbefreiung sieht die MwStSystRL nicht vor. Außerdem bieten weder die MwStSystRL noch das UStG Anhaltspunkte dafür, auf welchen anderen Zeitpunkt als den in Art. 201 Abs. 2 ZK genannten abgestellt werden sollte. Art. 70 MwStSystRL verweist auf den Zeitpunkt der Einfuhr, der - wie dargelegt - vorliegend mit dem Zeitpunkt der Überlassung zum zollrechtlich freien Verkehr übereinstimmt.

bb)    Im Streitfall liegen die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG i.V.m. Art. 143 Abs. 1 Buchst. d) MWStSystRL nicht vor. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 1 UStG ist die Einfuhr der Gegenstände, die von einem Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer im Anschluss an die Einfuhr unmittelbar zur Ausführung von innergemeinschaftlichen Lieferungen im Sinne von § 4 Nr. 1 Buchst. b und § 6a UStG verwendet werden, steuerfrei. Diese Vorschrift dient der Umsetzung von Art. 143 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL, die folgenden Wortlaut hat: Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer: […] die Einfuhr von Gegenständen, die von einem […] Drittland aus in einen anderen Mitgliedstaat als den Mitgliedstaat der Beendigung der Versendung oder Beförderung versandt oder befördert werden, sofern die Lieferung dieser Gegenstände durch den gemäß Artikel 201 als Steuerschuldner bestimmten oder anerkannten Importeur bewirkt wird und gemäß Artikel 138 befreit ist.

(i)    Die Voraussetzungen einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung im Sinne von § 4 Nr. 1 Buchst. b und § 6a UStG liegen nicht vor.

(α)     In der Rechtsprechung des EuGH ist mittlerweile geklärt, dass die Befreiung von der Einfuhrmehrwertsteuer gemäß Art. 143 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL nur gewährt werden kann, wenn nach der Einfuhr tatsächlich eine innergemeinschaftliche Lieferung gemäß Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL durchgeführt wird (EuGH, Urteil vom 20.06.2018, C-108/17, Enteco Baltic, ECLI:EU:C:2018:473, MwStR 2018, 704, Rn. 83; FG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 25.01.2021, 4 K 47/18, MwStR, 2021, 338, ECLI:DE:FGHH:2021:0125.4K47.18.00 m.w.N.). Insofern setzen §§ 4 Nr. 1 Buchst. b, 6a UStG dies in innerstaatliches Recht um. Die Beweislast für das Vorliegen dieser Voraussetzungen trägt - den allgemeinen Beweislastregeln folgend - derjenige, der sich auf die Steuerbefreiung beruft (EuGH, Urteil vom 20.06.2018, C-108/17, Enteco Baltic, ECLI:EU:C:2018:473, MwStR 2018, 704, Rn. 67). Diese Grundsätze sind daher zu berücksichtigen.

Anders als die Klägerin meint, ist es für die Steuerbefreiung daher nicht ausreichend, dass der Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer im Zeitpunkt der Einfuhr die in Umsetzung von Art. 143 Abs. 2 MwStSystRL in § 5 Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 2 UStG genannten Angaben macht und nachgewiesen wird, dass die Ware den Mitgliedstaat der Einfuhr verlassen hat. § 5 Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 2 UStG beschreibt lediglich die Voraussetzungen, die im Zeitpunkt der Einfuhr belegt werden können und müssen. Sind sie erfüllt, wird - wie es im Streitfall geschehen ist - die Steuerbefreiung im Rahmen der Abfertigung zum zollrechtlich freien Verkehr gewährt. Aus der Rechtsprechung des EuGH ergibt sich jedoch, dass die tatsächliche Durchführung einer innergemeinschaftliche Lieferung eine weitere materielle Voraussetzung der Steuerbefreiung ist. Da diese logischerweise zeitlich nur nach der Überlassung zum zollrechtlich freien Verkehr stattfinden kann, kann die Prüfung, ob die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung gemäß §§ 4 Nr. 1 Buchst. b, 6a UStG vorliegen, auch erst nachträglich erfolgen.

(β)     Zu den Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung gehört es gemäß § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG, dass der Abnehmer ein Unternehmer ist, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat, oder dass der Abnehmer eine juristische Person ist. Dies deckt sich mit den Voraussetzungen von Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL. Spätestens seit dem Urteil des EuGH im Verfahren Enteco Baltic ist geklärt, dass die Identität dieses Abnehmers feststehen muss. In jenem Verfahren hatten die litauischen Behörden Enteco Baltic die Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer verweigert, weil sie Waren nicht an die Steuerpflichtigen in anderen Mitgliedstaaten, die in den Einfuhranmeldungen genannt waren, geliefert hatte, sondern an sonstige Abnehmer. Der EuGH entschied, dass die Steuerbefreiung nicht allein wegen eines in diesem Verhalten liegenden Verstoßes gegen die Mitteilungspflichten nach Art. 143 Abs. 2 Buchst. b MwStSystRL versagt werden dürfe (EuGH, Urteil vom 20.06.2018, C-108/17, Enteco Baltic, ECLI:EU:C:2018:473, MwStR 2018, 704, Rn. 58): „Daher darf (…) die Befreiung bei der Einfuhr grundsätzlich nicht allein deshalb abgelehnt werden, weil die Waren an einen anderen Erwerber als den, dessen Nummer zum Zeitpunkt der Einfuhr angegeben wurde, geliefert wurden, sofern dargetan wird, dass auf die Einfuhr tatsächlich eine innergemeinschaftliche Lieferung folgt, die die in Art. 138 Abs. 1 dieser Richtlinie vorgesehenen materiellen Voraussetzungen für die Befreiung erfüllt, und dass der Importeur die zuständige Behörde immer ordnungsgemäß über Änderungen der Identität der Erwerber informiert hat.“

Daraus ergibt sich für den Senat, dass der Importeur unabhängig von den Angaben in der Zollanmeldung einen sonstigen Nachweis für das Vorliegen der Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung erbringen darf. Unverzichtbar ist jedoch, dass die Identität des Erwerbers feststeht (so auch FG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 25.01.2021, 4 K 47/18, MwStR 2021, 338, ECLI:DE:FGHH:2021:0125.4K47.18.00 m.w.N.). Dies ist auch konsequent: Wenn eine Voraussetzung für die Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer die Durchführung einer ihrerseits umsatzsteuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung ist, kann das Vorliegen der Voraussetzungen einer solchen innergemeinschaftlichen Lieferung, zu der die Unternehmereigenschaft des Erwerbers gehört, nur dann festgestellt werden, wenn die Identität des Erwerbers bekannt ist.

Es wäre auch mit dem Zweck von Art. 143 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL nicht zu vereinbaren, wenn die Inanspruchnahme dieser Verfahrensvereinfachung dazu führte, dass der Steuerschuldner unbekannt bliebe. Zwar mag es zutreffen, dass die Erhebungskompetenz eines Mitgliedstaats nicht davon abhängt, ob die Steuer in einem anderen Mitgliedstaat tatsächlich gezahlt worden ist. Darum geht es hier jedoch nicht. Wenn die von der Klägerin vertretene Auffassung, dass die Versendung in den Erwerbsmitgliedstaat für die Geltendmachung der Einfuhrumsatzsteuerbefreiung ausreiche, zuträfe, würde die Verfahrensvereinfachung dazu führen, dass die Mehrwertsteuer erstmals nicht mehr von einem Schuldner, der den mitgliedstaatlichen Steuerbehörden bekannt ist (weil er in der Zollanmeldung namentlich bezeichnet wird), geschuldet würde, sondern von einer unbekannten Person im Erwerbsmitgliedstaat. Bei einer solchen Betrachtungsweise würden die weiteren Ziele der MwStSystRL negiert werden, insbesondere die Bekämpfung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbräuchen (FG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 25.01.2021, 4 K 47/18, MwStR 2021, 338, ECLI:DE:FGHH:2021:0125.4K47.18.00 m.w.N.).

(γ)     Nach diesen Maßstäben hat die Klägerin nicht nachgewiesen, dass sich an die Einfuhr eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung gemäß § 6a UStG, Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL angeschlossen hat. Im Streitfall ist nämlich die Identität des Abnehmers der Ware im Mitgliedstaat Polen ungeklärt. Damit kann außerdem nicht geprüft werden, ob die Voraussetzungen von § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG erfüllt sind.

Die Einfuhr hat jedenfalls nicht so wie von der Klägerin behauptet stattgefunden. Das Gericht hegt aus den oben dargestellten Gründen keine Zweifel daran, dass im Rahmen der von der Klägerin angemeldeten streitgegenständlichen Einfuhr sogenannte Scheinrechnungen vorgelegt wurden, die insbesondere die wahre Identität des Unternehmers beziehungsweise Abnehmers verschleiern sollten. Für eine Steuerbefreiung würde mithin nach Aktenlage in jedem Falle der für die Steuerbefreiung erforderliche Beleg- und Buchnachweis fehlen. Der Unternehmer kann die Steuerfreiheit grundsätzlich nur in Anspruch nehmen, wenn er die nach § 6a Abs. 3 UStG in Verbindung mit §§ 17a ff. Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) bestehenden Pflichten erfüllt (BFH, Urteil vom 15.02.2012, XI R 42/10, BFH/NV 2012, 1188; BFH, Urteil vom 12.05.2009, V R 65/06, Bundessteuerblatt [BStBl.] II 2010, 511). Der Nachweis ist zudem durch Belege und Aufzeichnungen zu führen. Andere Nachweisformen sind nicht möglich. Darüber hinaus gilt hierbei insbesondere das Prinzip, dass die Steuerbefreiung dann nicht zu gewähren ist, wenn sich die Nachweisangaben bei einer Überprüfung als unzutreffend erweisen oder wenn an der inhaltlichen Richtigkeit der Angaben zumindest berechtigte beziehungsweise nicht ausgeräumte Zweifel bestehen. Widerlegt oder berechtigt in Zweifel gezogen und deshalb ungenügend wird der Beleg- und Buchnachweis dabei unter anderem durch Erkenntnisse oder Indizien für Scheingeschäfte (FG Hamburg, Urteil vom 05.02.2015, 3 K 45/14, Entscheidungen der Finanzgerichte [EFG] 2015, 1579; FG, Hamburg, Urteil vom 05.02.2015, 3 K 46/14, EFG 2015, 1872). Die Vorlage einer sogenannten Scheinrechnung im Rahmen der Verzollung der Einfuhr indiziert ein solches Scheingeschäft. Die Klägerin trägt hierbei zudem das Risiko einer nicht geglückten Aufklärung (BFH, Urteil vom 12.05.2009, VR 65/06, Sammlung der Entscheidungen des BFH [BFHE] 225, 264, BStBl. II 2010, 511, Heider in: Bunjes, UStG, 20. Aufl. 2021, § 4 Rn. 12 ff.).

Auch nach der Rechtsprechung des EuGH kann eine Steuerfreiheit dann nicht gewährt werden, wenn die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung zwar vorlägen, aber bewusst falsche Rechnungen ausgestellt werden, um die Identität der wahren Erwerber zu verschleiern (EuGH, Urteil vom 07.12.2010, C-285/09, BStBl. II 2011, 846; BFH, Urteil vom 17.02.2011, V R 30/10, BFHE 233, 341, BStBl. II 2011, 769; Heidner, in: Bunjes, UStG, 20. Aufl. 2021, § 4 Rn. 25). Dies ist hier aufgrund des oben dargestellten Ermittlungsergebnisses der Fall. Voraussetzung für die Annahme einer innergemeinschaftlichen Lieferung gemäß § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG ist eben auch, dass die Identität des Erwerbers feststeht. Dies ist unverzichtbar (vgl. FG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 25.01.2021, 4 K 47/18, MwStR 2021, 338, ECLI:DE:FGHH:2021:0125.4K47.18.00). Hieran fehlt es im Streitfall. Die Klägerin konnte nicht nachweisen, wer tatsächlicher Erwerber der Ware geworden ist. Der bloße Verweis auf das formelle Vorliegen von Vollmachten, trotz anderweitiger Anhaltspunkte, dass es sich bei den vermeintlichen Firmen um Scheinfirmen handelt, reicht nicht dafür aus, dass die Klägerin von den Voraussetzungen der innergemeinschaftlichen Lieferungen ausgehen durfte. Aufgrund des Ermittlungsergebnisses, handelt es sich bei der B… lediglich um eine sog. Scheinfirma ohne tatsächliche wirtschaftliche Betätigung. Insofern ist nicht aufklärbar, wer tatsächlicher Abnehmer der eingeführten streitgegenständlichen Gewebe geworden ist. Diese Unsicherheit geht zu Lasten der Klägerin.

(ii)    Die Lieferung der Ware kann auch nicht gemäß § 6a Abs. 4 UStG als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung angesehen werden, da sich die Klägerin nicht auf Gutglaubensschutz berufen kann. Hat der Unternehmer eine Lieferung als steuerfrei behandelt, obwohl die Voraussetzungen nach § 6a Abs. 1 UStG nicht vorliegen, so ist die Lieferung nach dieser Vorschrift gleichwohl als steuerfrei anzusehen, wenn die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung auf unrichtigen Angaben des Abnehmers beruht und der Unternehmer die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte.

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Der Spediteur, der als vollmachtloser Vertreter mit der Zollanmeldung den Antrag auf Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer gestellt hat, gehört nicht zum geschützten Personenkreis des § 6a Abs. 4 UStG. Die Bestimmung dient ihrem eindeutigen Wortlaut nach dem Schutz des liefernden Unternehmers, der bei innergemeinschaftlichen Lieferungen weitgehend auf die Angaben des Abnehmers angewiesen ist. Mit der Regelung soll das Risiko einer Täuschung durch den Abnehmer zwischen dem gutgläubigen Unternehmer und dem Staat angemessen verteilt werden (FG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 25.01.2021, 4 K 47/18, MwStR 2021, 338, ECLI:DE:FGHH:2021:0125.4K47.18.00 unter Verweis auf FG München, Urteil vom 20.10.2016, 14 K 1770/13, MwStR 2017, 586, Rn. 78). Selbst wenn man den vollmachtlosen Vertreter in den Schutzbereich des § 6a Abs. 4 UStG einbeziehen wollte, lägen die Voraussetzungen nicht vor. Nach dem dargestellten Ermittlungsergebnis handelte es sich um ein System, welches auf die Hinterziehung u.a. von Einfuhrumsatzsteuer gerichtet war. Nach der Überzeugung des Senats hatte die Klägerin aufgrund der vorherigen Ermittlungen hiervon auch Kenntnis, so dass sie sich auf Vertrauensschutz auch nicht berufen kann und insofern nicht gutgläubig war. Auf die diesbezüglichen Ausführungen oben unter I. 1. wird verwiesen.

(iii)    Außerdem scheitert die Anwendung von § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG daran, dass die Lieferung nicht von einem Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer bewirkt wurde. Nach dem Wortlaut von § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG muss die sich an die Einfuhr anschließende Lieferung von „einem Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer" durchgeführt werden. Damit wird die in Art. 143 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL genannte Voraussetzung umgesetzt, dass die Lieferung „durch den gemäß Artikel 201 als Steuerschuldner bestimmten oder anerkannten Importeur bewirkt wird". Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt. Schuldnerin der Einfuhrumsatzsteuer ist im Streitfall allein die Klägerin (siehe nachfolgend I.3.). Die in der Zollanmeldung angegebene B… hatte die Klägerin nicht wirksam bevollmächtigt. Als Grenzspediteurin hatte die Klägerin zu keinem Zeitpunkt Verfügungsmacht über die Ware i. S. v. § 3 Abs. 1 UStG und konnte die Lieferung daher nicht bewirken.

3.    Die Klägerin ist als Anmelder auch Steuerschuldnerin gemäß § 21 Abs. 2 UStG in sinngemäßer Anwendung des Art. 201 Abs. 3 UAbs. 1 Satz 1 ZK geworden. Danach ist Zollschuldner der zollrechtliche Anmelder. Anmelder ist die Person, die im eigenen Namen eine Zollanmeldung abgibt (Art. 4 Nr. 18 ZK). Dies ist vorliegend die Klägerin, weil sie zwar als Zollvertreterin gehandelt hat, jedoch keine Vertretungsmacht besaß, sodass sie gemäß Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 ZK als in eigenem Namen und eigener Verantwortung handelnde Person anzusehen ist.

a)    Die Klägerin war Vertreterin ohne Vertretungsmacht und auch nicht mehr gutgläubig.

Die Ermittlungen des Zollfahndungsamts haben ergeben, dass das Unternehmen B… lediglich als Scheinfirma gegründet wurde. Für die vermeintlichen Einfuhren hat B… auch zu keinem Zeitpunkt bei den polnischen Behörden entsprechende Einfuhren, wie die streitgegenständliche, angemeldet. Nach den weiteren Ermittlungen ergab sich zudem, dass Herr J… als vermeintlicher Inhaber des Unternehmens lediglich als „Strohmann“ für dieses diente und zu keinem Zeitpunkt im Rahmen des Unternehmens tätig war. Hier verwies Herr J… bei der Durchsuchung auf einen Dritten, den er nicht kennen würde und der sämtliche Gründungsunterlagen mitgenommen habe. Er habe keinerlei Unterlagen zu der Firma. Auf das entsprechende Durchsuchungsprotokoll der polnischen Behörden nebst Übersetzung sowie den Ermittlungsbericht samt Nachträgen wird verwiesen (Bl. 29 - 34 des Ordners des Beklagten „1 K 1142/20“ sowie Bl. 65 f., 221 - 223 des Ordners des Beklagten „1 K 1142/20, 1 K 1158/20, 1 K 1165/20, 1 K 1058/21“). Auch die vermeintliche Gelangensbestätigung für die streitgegenständliche Einfuhr weist eine deutlich abweichende Unterschrift des Herrn J… für das Unternehmen B… im Vergleich zur geleisteten Unterschrift des Herrn J… im Rahmen der Durchsuchung aus. Weiterhin ist das Empfängerunternehmen mit Z… benannt (mit einem anderen Ort) und entsprechend gestempelt, neben dem Firmenstempel, der sich auch aus den Vollmachten ergibt, wo der Inhaber mit J… bezeichnet ist.

Aufgrund der Kenntnis der Klägerin von den seit Ende 2012 laufenden Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft K…, den Hinweisen eigener Mitarbeiter der Klägerin und eines ähnlichen zugrundeliegenden Sachverhalts, hatte die Klägerin auch Anhaltspunkte, ihre Fiskalvollmachten von polnischen Unternehmen genauer zu überprüfen. Das Gericht geht daher davon aus, dass die Klägerin insofern nicht mehr als gutgläubig angesehen werden kann. Aufgrund dieser Sachlage geht der Senat in Übereinstimmung mit dem Urteil des EuGH vom 25.10.2018 (Rs. C-528/17, Milan Božičevič Ježovnik, ECLI:EU:C:2018:868, Zeitschrift für das gesamte Mehrwertsteuerrecht [MwStR] 2019, 103) davon aus, dass die Klägerin zumindest hätte wissen müssen, dass die auf die fraglichen Einfuhren folgenden Lieferungen mit einer Steuerhinterziehung des Erwerbers verknüpft waren, und dass die Klägerin nicht alle ihr zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um dies zu verhindern. Die Klägerin hätte aufgrund der ihr gegenüber offengelegten Ermittlungen ohne Weiteres die Vollmachten polnischer Importeure und deren Existenz genauer überprüfen können und müssen, z.B. anhand des Abgleichs von Ausweisdokumenten.

b)    Die MwStSystRL verbietet nicht die Inanspruchnahme des zollrechtlichen Vertreters ohne Vertretungsmacht für die Einfuhrumsatzsteuer.

Art. 201 MwStSystRL stellt es den Mitgliedstaaten ausdrücklich frei, den Schuldner der Einfuhrmehrwertsteuer zu bestimmen. Den weiten Handlungsspielraum, den diese Vorschrift den Mitgliedstaaten einräumen will, betont der 43. Erwägungsgrund der MwStSystRL. Danach sollen die Mitgliedstaaten „den Einfuhrsteuerschuldner nach freiem Ermessen bestimmen können“. Dafür, dass Art. 201 MwStSystRL die Regelungsbefugnis der Mitgliedstaaten nicht beschneiden soll, spricht auch die Entscheidung im Vorlageverfahren Pakora Plus (EuGH, Urteil vom 29.07.2010, C-248/09, ECLI:EU:C:2010:457, BFH/NV 2010, 1766, Slg. I 2010, 7704). Das vorlegende Gericht hatte gefragt, ob der Hauptverpflichtete eines gemeinschaftlichen Versandverfahrens oder der Endabnehmer der Ware die Mehrwertsteuer schulde und ob Umstände denkbar seien, unter denen diese Verpflichtung aufgeteilt werden könne. Als Antwort verwies der Gerichtshof (EuGH, Urteil vom 29.07.2010, C-248/09, Pakora Plus, ECLI:EU:C:2010:457, BFH/NV 2010, 1766, Slg. I 2010, 7704, Rn. 51 f.) lediglich auf den Wortlaut einer Vorschrift der Vorgängerrichtlinie, der mit Art. 201 MwStSystRL vergleichbar ist (FG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 25.01.2021, 4 K 47/18, UR 2021, 283). Diese Auffassung wird auch bestätigt durch Art. 205 der MwStSystRL, der den Art. 201 MwStSystRL nicht nennt (vgl. ausführliche Ausführungen in FG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 25.01.2021, 4 K 47/18, MwStR 2021, 338, ECLI:DE:FGHH:2021:0125.4K47.18.00, juris).

Aus den anderen Vorschriften der MwStSystRL ergibt sich nach Auffassung des Senats ebenfalls kein Verbot, den zollrechtlichen Vertreter ohne Vertretungsmacht zum Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer zu machen, zudem regelt die MwStSystRL im Titel XI gerade die Person des Steuerpflichtigen und trifft hierzu eine abschließende Entscheidung (FG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 25.01.2021, 4 K 47/18, MwStR 2021, 338, ECLI:DE:FGHH:2021:0125.4K47.18.00, juris mit ausführlicher Begründung und weiteren Nennungen). Darüber hinaus ergibt sich auch aus der MwStSystRL selbst der Grundsatz, dass in bestimmten Fällen Personen zu Steuerschuldnern gemacht werden, die - wie die Klägerin - selbst keine steuerbaren Umsätze ausführen, um den Steueranspruch grundsätzlich zu sichern. Art. 205 MwStSystRL ist gerade ein solches Beispiel (FG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 25.01.2021, 4 K 47/18, MwStR 2021, 338, ECLI:DE:FGHH:2021:0125.4K47.18.00, juris unter Verweis auf das Urteil des EuGH vom 26.03.2015, C-499/13, Macikowski, ECLI:EU:C:2015:201, BFH/NV 2015, 782, MwStR 2015, 534).

Darüber hinaus erlaubt Art. 204 Abs. 1 MwStSystRL ausdrücklich, Steuervertreter zu Steuerschuldnern zu machen, sofern der eigentliche Steuerschuldner nicht in der Union ansässig ist. Auf den damit genannten Fiskalvertreter nimmt Art. 143 Abs. 2 Buchst. a MwStSystRL Bezug. Damit ergibt sich unmittelbar aus der MwStSystRL, dass gerade bei der hier in Rede stehenden Beantragung einer Einfuhrumsatzsteuerbefreiung ein Steuervertreter involviert sein kann, der die Steuer schuldet (FG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 25.01.2021, 4 K 47/18, MwStR 2021, 338, ECLI:DE:FGHH:2021:0125.4K47.18.00, juris). Im Übrigen würde die von der Klägerin vertretene Auffassung dazu führen, dass im vorliegenden Fall überhaupt kein Steuerschuldner vorhanden wäre: B… ist nicht Steuerschuldnerin, weil sie bereits nur zum Schein gegründet wurde, und der Empfänger der Waren im Mitgliedstaat Polen ist unbekannt. Ein solches Ergebnis kann von der MwStSystRL nicht gewollt sein.

Nach Überzeugung des Senats schließt Art. 143 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL auch nicht generell die Inanspruchnahme eines Vertreters ohne Vertretungsmacht aus. Zwar kann ein Vertreter ohne Vertretungsmacht in der Regel die Voraussetzungen der innergemeinschaftlichen Lieferung nicht erfüllen. Die Unmöglichkeit, die Voraussetzungen einer Steuerbefreiung zu erfüllen, führt jedoch keinesfalls zu dem Schluss, dass diese Person dann nicht Steuerschuldner werden kann.

c)    Auch aus dem übrigen Unionsrecht lassen sich keine Beschränkungen im Hinblick auf die Inanspruchnahme der Klägerin ableiten. In der Rechtssache Vetsch hat die Generalanwältin Kokott die primärrechtlichen Grenzen des mitgliedstaatlichen Handlungsspielraums, den Art. 201 MwStSystRL gewährt, ausgelotet. Dabei ging es strukturell um die auch im vorliegenden Verfahren bestehende Frage, ob zollrechtliche Wertungen - hier die Zollschuldnerschaft des Vertreters ohne Vertretungsmacht - auf die MwStSystRL übertragen werden können (Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 06.09.2018, Vetsch, C-531/17, ECLI:EU:C:2018:677, Rn. 49). Nach Auffassung der Generalanwältin sei eine auf das Zollrecht gestützte verschuldensunabhängige Schuldnerschaft der Einfuhrmehrwertsteuer ein unverhältnismäßiger Eingriff in die unternehmerische Handlungsfreiheit, wenn jemandem das Recht auf Vorsteuerabzug versagt würde, weil er gutgläubig in einen betrugsbehafteten Umsatz einbezogen war (Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 06.09.2018, Vetsch, C-531/17, ECLI:EU:C:2018:677, Rn. 50 f.; Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 06.11.2014, C-499/13, Macikowski, ECLI:EU:C:2014:2351, Rn. 63). Eine derartige Konstellation ist im Streitfall nicht gegeben. Die Klägerin wird nicht verschuldensunabhängig in Anspruch genommen. Sie ist vielmehr als Vertreterin im Zollrechtsverkehr aufgetreten und hat es dabei fahrlässig versäumt, sich über die Existenz des vertretenen Unternehmens - trotz Anhaltspunkten, die gegen die Richtigkeit der Angaben sprechen, und Kenntnis ihrer eigenen Mitarbeiter über möglicherweise betrügerische Handlungen - zu vergewissern und sich zumindest durch Abfrage des Personalausweises des Unternehmensinhabers und Abgleich der Unterschrift von der Ordnungsmäßigkeit der Vollmacht zu überzeugen. In dieser Konstellation hat die Klägerin selbst die Ursache für ihre Inanspruchnahme gesetzt.

d)    Es gibt keinerlei Anhaltspunkte für weitere Steuerschuldner, da die tatsächlichen Abnehmer der streitgegenständlichen Ware nicht ermittelt werden konnten. Damit konnte die Klägerin auch als alleinige Steuerschuldnerin in Anspruch genommen werden.

4.    Über die Höhe der zugrunde gelegten Zollwerte besteht im hiesigen Fall kein Streit.

5.    Verjährung steht der Nacherhebung ebenfalls nicht entgegen. Gemäß Art. 221 Abs. 3 ZK können Einfuhrabgaben zwar grundsätzlich nur innerhalb von drei Jahren nach ihrer Entstehung gegenüber dem Abgabenschuldner festgesetzt werden. Die Festsetzung der Einfuhrabgaben kann indes auch noch nach Ablauf der Dreijahresfrist erfolgen, wenn die Einfuhrabgabenschuld aufgrund einer strafbaren Handlung entstanden ist (Art. 221 Abs. 4 ZK). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, weil hinsichtlich der streitgegenständlichen Einfuhrabgabenschuld aus Sicht des erkennenden Finanzgerichts augenscheinlich eine Steuerhinterziehung nach § 370 AO begangen worden ist und deshalb die zehnjährige Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO besteht. Die zehnjährige Verjährungsfrist gilt gemäß § 169 Abs. 2 Satz 3 AO nämlich auch gegenüber einem Steuerschuldner, der die Steuerhinterziehung nicht selbst begangen hat. Es kommt nicht darauf an, wer die Steuerhinterziehung begangen hat, sondern nur darauf, dass sie begangen wurde (BFH, Beschluss vom 18.12.1986, I B 1/86, BStBl. II 1988, 211; FG München, Urteil vom 14.04.2011, 14 K 1508/08, ECLI:DE:FGMUENC:2011:0414.14K1508.08.0A, juris; Rüsken, in: Klein, AO, 15. Aufl. 2020, § 169 Rn. 28). Eine Steuerhinterziehung an sich hat der Beklagte vorliegend zutreffend angenommen. Ausgehend von einer Veräußerung der eingeführten Stoffe durch den asiatischen Hersteller an einen Abnehmer in Polen, der jedoch nie eine entsprechende Einfuhrmeldung bei den polnischen Steuerbehörden abgegeben hat, ist der objektive Tatbestand einer Steuerhinterziehung im Sinne von § 370 Abs. 1 AO erfüllt, weil mit der Vorlage anderslautender Rechnungen gegenüber den Zollbehörden unrichtige Angaben gemacht worden sind, insbesondere hinsichtlich des Warenwertes und/ oder des Abnehmers, wodurch die Einfuhrabgaben zu niedrig festgesetzt worden sind. Am Vorliegen eines subjektiven Tatbestandes bestehen ebenfalls keine Zweifel. So ergibt sich bereits aus der zielgerichteten Vorlage von Unterlagen über eine Scheinfirma, dass eine unrichtige Einfuhrerklärung nicht nur in Kauf genommen worden ist, sondern augenscheinlich sogar beabsichtigt war, um eine weitmöglichste Umgehung der Einfuhrabgaben zu erreichen. Durch welche Person(en) die Steuerhinterziehung letztlich begangen worden ist und ob auch der Klägerin dabei eine Mittäterschaft angelastet werden kann oder nicht, ist für die hier zu beurteilende abgabenrechtliche Konsequenz demzufolge unbeachtlich.

6.    Soweit die Klägerin erstmals im Klageverfahren vorgetragen hat, dass der streitgegenständliche Bescheid bereits deshalb aufzuheben sei, weil es sich bei der streitgegenständlichen Einfuhr um eine sog. Aliud-Anmeldung gehandelt hätte, hat sie dies lediglich behauptet. Diese Behauptungen hat die Klägerin – jedenfalls für die hier streitgegenständliche Einfuhr – nicht durch etwaige Nachweise belegt. Eine Überprüfung der Behauptung ist dem Gericht daher nicht möglich. Insofern hat die Klägerin auch selbst vorgetragen, dass sie eine derartige Anmeldung lediglich vermute. Für den hier streitgegenständlichen Fall ergeben sich aus den seitens der Klägerin vorgelegten Unterlagen jedenfalls keine entsprechenden Anhaltspunkte, da sie Unterlagen nur für eine Einfuhr beispielhaft vorgelegt hat, die jedoch nicht die streitgegenständliche Einfuhr betreffen. Daher war das Gericht auch nicht gehalten, diesen pauschalen Behauptungen näher nachzugehen.

II.    Die Revision zum BFH ist gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO im Hinblick auf das anhängige Verfahren beim BFH (VII R 10/21) zuzulassen.

III.    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Ein Beschluss über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren gemäß § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO konnte mangels Rechtsschutzbedürfnisses unterbleiben, weil die Klägerin die Kosten des Verfahrens trägt.