Gericht | FG Cottbus 4. Senat | Entscheidungsdatum | 23.06.2023 | |
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Aktenzeichen | 4 V 4009/23 | ECLI | ECLI:DE:FGBEBB:2023:0623.4V4009.23.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Der Antrag wird abgewiesen.
Die Beschwerde zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsteller auferlegt.
I.
Die Beteiligten streiten im Hauptsacheverfahren (4 K 4005/23) zum einen um die Rechtzeitigkeit der Klageerhebung sowie in materiell-rechtlicher Hinsicht um die steuerrechtliche Behandlung (Steuerfreistellung mit Progressionsvorbehalt nach dem zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Irland bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen – DBA –) des vom Antragsteller in den Veranlagungsjahren 2018 bis 2020 (Streitzeitraum) in Irland bezogenen Arbeitslohns.
Der geschiedene Antragsteller wurde … im Vereinigten Königreich geboren und ist … Staatsbürger. Seit 2002 lebt er (ununterbrochen) im Inland (C…). In den Streitjahren wurde der Antragsteller vom Antragsgegner jeweils einzeln zur Einkommensteuer veranlagt.
Seit dem ... … 2018 steht er in einem Anstellungsverhältnis zu der in Irland ansässigen B... Ltd. (fortan Arbeitgeberin).
Im Inland ging der Antragsteller in allen drei Streitjahren ganzjährig einer nichtselbständigen Tätigkeit für die B… GmbH mit Sitz in C… nach. 100 %ige Tochtergesellschaft der B... GmbH ist die D… Limited, welche in E…/Irland ansässig ist und dort im Gesellschaftsregister registriert ist (…) und bei der irischen Finanzverwaltung unter … steuerlich geführt wird (Bl. 55 ff. <56> Gerichtsakte [GA] 4 V 4009/23). Die D... Limited erbringt vor Ort Serviceleistungen beim Testen von Software und Prozessabläufen. Zu ihren Kunden gehören Versicherungen, Automobil- und Textilienhersteller mit Sitz in Irland.
Ausweislich seines Arbeitsvertrages vom xx.xx.2018 (siehe “Contract of employment“, Bl. 129 ff. GA 4 K 4005/23) war er als Direktor/Gesellschaftssekretär bei der D… Limited, mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 10 Stunden angestellt, wobei eine tägliche zweistündige Arbeitszeit als Standard galt. Sein regelmäßiger Arbeitslohn betrug … € pro Monat zuzüglich einer etwaigen Überstundenvergütung. Im Arbeitsvertrag war ferner vereinbart, dass der Antragsteller verpflichtet ist, der Aufforderung seiner Arbeitgeberin, Überstunden im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen abzuleisten, nachzukommen. Als Arbeitsort war E… in Irland vereinbart. Insoweit behielt sich die Arbeitgeberin das Recht vor, den Antragsteller an anderen Arbeitsorten einzusetzen (2.1. des Vertrages). Weiter war u.a. bestimmt, dass der Antragsteller bei Arbeitsüberlastung bzw. krankheitsbedingtem Arbeitsausfall von Kollegen verpflichtet ist, im Rahmen des Zumutbaren für maximal acht Wochen während seiner vertraglichen Arbeitszeit die Arbeitspflichten seiner Kollegen zu erfüllen.
In seinen am 29.10.2019 für 2018, am 17.09.2021 für 2019 und 2020 abgegebenen Einkommensteuererklärungen begehrte der Antragsteller nachfolgende Teile seines Bruttoarbeitslohns nach dem mit Irland bestehenden DBA als steuerfrei zu behandeln:
2018 |
2019 |
2020 |
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B… GmbH (C…/Inland) |
… |
… |
… |
D… Limited (E…/Irland) als steuerbefreit nach DBA erklärt |
… |
… |
… |
Erklärter Anzahl der Arbeitstage/Aufenthalte in Irland |
… |
… |
… |
Erklärte irische Einkommensteuer umgerechnet in € |
… |
… |
… |
Summe |
… |
… |
… |
Bei seinen Werbungskosten (WK) aus nichtselbständiger Arbeit machte der Antragsteller geltend, in 2018 an … Arbeitstagen und in den Streitjahren 2019 und 2020 an jeweils … Arbeitstagen berufliche Pendelfahrten zwischen seiner C… Wohnung und seiner C… Tätigkeitsstätte unternommen zu haben. Auf die erklärten irischen Einkünfte führte der Antragsteller irische Einkommensteuer ab, und zwar für das Streitjahr 2019 (umgerechnet) 9.739,99 € und für 2020 21.753,14 € ab (siehe Klagebegründungsschriftsatz vom 18.01.2023, Bl. 167 ff. <178> GA 4 K 4005/23).
Der Antragsgegner folgte den Erklärungen mit Einkommensteuerbescheiden für 2018 vom 27.05.2020 sowie für 2019 und 2020 vom 27.12.2021 nicht und unterwarf die vom Antragsteller angegebenen Bruttoarbeitslöhne jeweils vollumfänglich der inländischen Ertragsbesteuerung. Gegen die Einkommensteuerfestsetzungen der veranlagungszeiträume 2018 bis 2020 legte der Antragsteller jeweils Einsprüche ein, mit denen er an seiner Auffassung festhielt, dass für die deklarierten irischen Arbeitslöhne eine Freistellung von der inländischen Einkommensbesteuerung zu erfolgen habe.
Gleichzeitig stellte er den Antrag, die Einkommensteuerbescheide gemäß § 361 Abgabenordnung (AO) von der Vollziehung auszusetzen (AdV), welchem der Antragsgegner hinsichtlich der Einkommensteuer 2018 mit Verwaltungsakt (VA) vom 08.06.2020 (Bl. 8 ESt-Heftung 2018) bzw. hinsichtlich der Einkommensteuer 2019 und 2020 mit VA vom 28.03.2022 (siehe Bl. 171 GA 4 K 4005/23) zunächst entsprach.
Mit weiterem für alle Ansprüche zusammengefassten VA vom 21.02.2023 (Bl 65 ff. ESt-Heftung 2019/2020) lehnte der Antragsgegner eine (weitere) AdV sodann hinsichtlich aller drei Streitjahre in Ermangelung ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Einkommensteuerfestsetzungen vollumfänglich ab.
Mit drei Einspruchsentscheidungen vom 16.12.2022, welche der hiesigen Verfahrensbevollmächtigten mit einfachem Brief unter ihrer Sitzanschrift übermittelt wurden, wies der Antragsgegner die Einsprüche als jeweils unbegründet zurück. An der Verfahrensbevollmächtigten F… GmbH Steuerberatungsgesellschaft (G…-straße, C…) sind ausschließlich Steuerberater als Berufsträger leitungsberechtigt (siehe Bl. 172 GA 4 K 4005/23).
In den beigefügten „Rechtsbehelfsbelehrungen“ findet sich der Hinweis, dass die Klage beim Finanzgericht „schriftlich“ oder „als elektronisches Dokument“ einzureichen oder „zu Protokoll des Urkundsbeamten zu erklären“ ist. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen zur elektronischen Einreichung in § 52a der Finanzgerichtsordnung (FGO) geregelt sei. Zur verpflichtenden Übermittlung elektronischer Dokumente weist die Rechtsbehelfsbelehrung auf die Norm, des § 52d FGO hin. „Nähere Informationen hierzu“ seien „im Internet unter www. … de erhältlich“.
Zur materiell-rechtlichen Begründung seiner Einspruchsentscheidungen führte der Antragsgegner im Wesentlichen aus, das Besteuerungsrecht für die vom Antragsteller erzielten Löhne stehe vollumfänglich der Bundesrepublik Deutschland als Ansässigkeitsstaat i. S. des Art. 4 Abs. 1 DBA Irland zu. Entgegen der Auffassung des Antragstellers greife die davon abweichende Regelung des Art. 15 für Aufsichtsrats- oder Verwaltungsratsvergütungen aufgrund des aktenkundigen Anstellungsvertrages zwischen dem Antragsteller und der D... Limited nicht ein. Auch die weiteren Regelungen nach Art. 17 (Ruhegehälter und Renten), Art. 18 (öffentlicher Dienst) und Art. 19 (Gastprofessoren) würden nicht eingreifen. Überdies sei dem Antragsteller anzulasten, dass er trotz Aufforderung seitens des Antragsgegners seine Aufenthalte in Irland zu beruflichen Zwecken an jeweils insgesamt 48 Tagen ohne Angabe von Hinderungsgründen nicht in gebotener Weise nachgewiesen habe. Angesichts dieses Verstoßes gegen die Verpflichtung des Antragstellers, bei der Aufklärung des geltend gemachten steuermindernden Sachverhalts mitzuwirken, scheide die begehrte Freistellung von Teilen des Arbeitslohns nach den Regelungen des DBA mit Irland aus.
Am 18.01.2023 ist die von der von dem Antragsteller mandatierte Bevollmächtigte, eine Steuerberatungsgesellschaft in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), verfasste und unterzeichnete Klageschrift von der Bevollmächtigten per Fax an das FG übermittelt worden. Einen Tag darauf, am 19.01.2023, ist dem Gericht außerdem der mit Briefpost übersandte Klageschriftsatz in Papierform zugegangen. Angaben dazu, aus welchen Gründen die Klage nicht gemäß § 52d Satz 2 FGO als elektronisches Dokument eingereicht wurde, enthält der Klageschriftsatz nicht.
In der vom Berichterstatter im Hauptsacheverfahren 4 K 4005/23 verfassten Eingangsbestätigung vom 24.01.2023 (Bl. 56 GA 4 K 4005/23) ist die Bevollmächtigte aufgefordert worden, die Klage – wie angekündigt – bis zum 17.02.2023 zu begründen. Auf die Verpflichtung, vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen als elektronische Dokumente zu übersenden (§ 52d Satz 2 FGO), ist die Bevollmächtigte vom Gericht mit der Eingangsbestätigung nicht hingewiesen worden. Ein solcher Hinweis ist im Hauptsacheverfahren 4 K 4005/23 erst mit Schreiben des Berichterstatters vom 08.03.2023 erfolgt (Bl. 62 GA 4 K 4005/23).
Mit weiterem Schreiben des Berichterstatters vom 20.02.2023 (Bl. 58 GA 4 K 4005/23) ist an die ausstehende Klagebegründung erinnert worden, worauf die Bevollmächtigte mit Telefax vom „18.01.2023“, beim FG am 01.03.2023 eingegangen, bzw. mit Briefpost am 02.03.2023 eingegangen (Bl. 61 GA 4 K 4005/23), um Fristverlängerung bis zum 17.03.2023 bat.
Mit Fax vom 21.02.2023, beim FG am selben Tag um 16:19:38 Uhr eingegangen, hat der Antragsteller einen Antrag im einstweiligen Rechtsschutz nach § 69 Abs. 3 FGO gestellt (Bl. 1 ff. GA 4 V 4009/23). Einen Tag darauf ging dem Gericht dieser Antrag als Briefpost zu (Bl. 3 ff. GAS 4 V 4009/23).
Mit der Eingangsbestätigung hat der Berichterstatter die Antragstellerseite aufgefordert, die Zugangsvoraussetzungen nach § 69 Abs. 4 FGO darzulegen und nachzuweisen.
Mit Schreiben vom 21.02.2023 teilte die Bundessteuerberaterkammer (BStBK) dem Geschäftsführer der hiesigen Antragsbevollmächtigten, Herrn Steuerberater H…, mit, dass dessen elektronisches Steuerberaterfach (beSt) auf der hierfür geschaffenen Steuerberaterplattform eingerichtet sei und von diesem unter dem ebenfalls mitgeteilten Registrierungscode sowie unter Verwendung eines Kartenlesegerätes und dessen Personalausweises mit PIN (nunmehr) aktiviert werden könne (Bl. 181 ff. GA 4 K 4005/23).
Mit einem – von dem unterbevollmächtigten Rechtsanwalt und Steuerberater I… (Untervollmacht Bl. 184 GA 4 K 4005/23) elektronisch – eingereichten Schriftsatz vom 16.03.2023 – ging dem FG diesmal neben diversen anderen Unterlagen in elektronischer Form (per besonderem elektronischen Anwaltsfach [beA]) der Klageschriftsatz vom 18.01.2023 zu (Bl. 63, 64 ff 167 ff. GA 4 K 4005/23). Gleichzeitig beantragte die Antragstellerseite nach § 56 FGO wegen Versäumung der einmonatigen Klagefrist des § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO).
Am 02.05.2023 hat der Antragsteller dem FG den hiesigen Eilantrag erneut per beA des Unterbevollmächtigten als elektronisches Dokument übermittelt (Bl. 51 ff. GA 4 V 4009/23).
Die Prozess- bzw. Verfahrensbevollmächtigte trägt vor, eine elektronische Einreichung des Klageschriftsatzes sei nicht möglich (gewesen), weil das besondere elektronische Steuerberaterfach (beSt) noch nicht eingerichtet gewesen sei.
Von der Zugangsmöglichkeit zum beSt sei der Geschäftsführer der Prozessbevollmächtigten vielmehr erst mit dem unter der Sitzanschrift der Bevollmächtigten am 10.03.2023 eingegangenen Schreiben der BStBK vom 21.02.2023 (Bl. 181 ff. GA 4 K 4005/23) informiert worden. Zur Glaubhaftmachung des Vortrags legte die Bevollmächtigte im Hauptsacheverfahren die eidesstattliche Versicherung vom 16.03.2023 ihres Geschäftsführers vor (Bl. 166 GA 4 K 4005/23). Abweichend von § 52d Satz 1 FGO sei deshalb eine Ersatzeinreichung gemäß § 52d Satz 3 FGO zulässig gewesen, so dass die als Fax am 18.01.2023 erhobene Klage mangels verpflichtender Nutzungspflicht des beSt wirksam und mithin fristgerecht erfolgt sei. Davon abgesehen lägen auch die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor, weil den sachbearbeitenden Steuerberater H… kein dem Antragsteller nach § 85 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) i. V. m. § 155 FGO zurechenbares Verschulden treffe. In den Verlautbarungen der BStBK (FAQ der BStBK – TZ III.2.1.; Stand 23.01.2023) und des Steuerberaterverbandes („Die Steuerberatung“, Ausgabe 1/2023, Seite 37) werde darauf hingewiesen, dass die aktive Nutzungspflicht des beSt nicht per se mit Inkrafttreten der betreffenden Normen mit Wirkung ab 01.01.2023, sondern erst mit der individuellen Zurverfügungstellung, mithin ab Zustellung des Registrierungsbriefes, beginne. Auf der Steuerberaterplattform der BStBK sei ausgeführt:
„Erst ab Bereitstellung eines betriebsbereiten beSt steht dem jeweiligen Postfachinhaber ein sog. sicherer Übermittlungsweg gemäß § 52d Satz 2 i. V. m. § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung und er unterliegt damit der aktiven Nutzungspflicht. Der genaue Zeitpunkt der Bereitstellung ist insbesondere von der postalischen Zustellung des Briefs mit der Aufforderung zur Registrierung inklusive notwendiger Registrierungsangaben abhängig.“
Auch von verantwortlichen Personen bei der BStBK, J… (Mitglied des Präsidiums der BStBK und dort zuständig für die IT) sowie der Geschäftsführerin der BStBK K…, werde in einem Fachartikel der Zeitschrift Deutsches Steuerrecht (DStR 2022, 2573, 2574) die Auffassung vertreten, dass die aktive und passive Nutzungspflicht des beSt erst mit Zustellung des Registrierungsbriefes ausgelöst werde. Hierauf habe auch die Bevollmächtigte seinerzeit bei Erhebung der vorliegenden Klage abgestellt, so dass ein Verschulden ausscheide. Aus der durch Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) folgenden Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes sei überdies abzuleiten, dass ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand insbesondere nicht abgelehnt werden dürfe, weil die Rechtslage unübersichtlich ist (Hinweis auf Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts – BVerfGE – 15, 275 <<281 f.>>; Beschluss des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 31.07.2002 1 BvR 1061/00, Neue Juristische Wochenschrift – NJW - 2002, 429). Gerade in Bezug auf die neu eingeführte Regelung sei ein solcher Fall anzunehmen, weil auch von fachkundiger Dritter Seite die Nutzungspflicht des beSt vom Zugang des Registrierungsbriefes abhängig gemacht werde. Da der Registrierungsbrief dem Geschäftsführer der Bevollmächtigten jedoch erst am 10.03.2023 zugegangen sei, müsse die über das beA des Unterbevollmächtigten am 17.03.2023 beim FG erhobene Klage die Wiedereinsetzungsfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO wahren und sei die Klage als rechtzeitig erhoben anzusehen. In der Sache bleibe die Antragstellerseite dabei, dass die Voraussetzungen für eine Steuerfreistellung von Teilen der in den Streitjahren gezahlten Bruttolöhne nach den Regelungen des DBA erfüllt seien. Wegen des näheren Inhalts wird auf den Klageschriftsatz vom 18.01.2023 und den Schriftsatz vom 13.03.2023 (Bl. 167f., 169 ff. GA 4 K 4005/23) und den Schriftsatz im Eilverfahren vom 01.05.2023 (Bl. 55 ff. GA 4 V 4009/23) Bezug genommen.
Auf den Hinweis des Berichterstatters mit Schreiben vom 05.05.2023 (Bl. 191 GA 4 K 4005/23) auf die aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes – BFH – (Beschluss vom 28.04.2023 XI B 101/22, führt die Antragstellerseite mit Schriftsatz vom 17.05.2023 ergänzend aus, dass die Nutzung einer „Fast Lane“ hier nicht in Betracht komme. Da im Streitfall erst nach Rücksprache mit dem Mandanten (Antragsteller) am 18.01.2023 – also einen Tag vor Ablauf der Klagefrist – der Entschluss zur Klageerhebung gefasst worden sei, hätte auch bei Gebrauch einer „Fast Lane“ die reguläre einmonatige Klagefrist nicht eingehalten werden können. Insoweit unterscheide sich der vorliegende Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt von demjenigen, welcher der Entscheidung des Bundesfinanzhofes (BFH-Beschluss vom 28.04.2023 XI B 101/22, Betriebsberater – BB – 2023, 1046 – nur Leitsatz; juris) zugrunde gelegen habe. In materiell-rechtlicher Sicht hält der Antragsteller an seiner Auffassung fest, dass die irischen Arbeitslöhne nach Art. 15 DBA Irland von der inländischen Besteuerung freizustellen seien. Der Antragsgegner verkenne, dass der Antragsteller als deren Gründer in den Streitjahren wesentliche Leitungsfunktionen in der irischen Ltd. ausgeübt habe. Als solcher sei er im irischen Register als Gesellschaftssekretär und Direktor eingetragen. Bei den hierfür bezogenen Vergütungen handele es sich um Zahlungen, die wertungsmäßig den in Art. 15 des DBA Irland aufgezählten Aufsichtsrats- oder Verwaltungsratsvergütungen und „ähnlichen Zahlungen“ entsprächen. Art. 15 DBA Irland sei anzuwenden auf Vergütungen von Aufsichtsräten, Verwaltungsräten und ähnlichen Organen. Das Abkommen stelle Gehaltszahlungen an sog. ähnliche Organe denen von Aufsichtsräten hinsichtlich dieses gleich. Hierbei handele es sich insbesondere um Gremien, deren Funktionen nicht auf die Überwachung beschränkt seien, sondern die ganz oder teilweise auch Aufgaben der Geschäftsführung übernehmen würden. Zu diesem Personenkreis gehöre auch der Antragsteller. Art. 14 DBA Irland werde durch Art 15 DBA Irland verdrängt, weil die herausgehobene Stellung des Antragstellers als Gesellschaftssekretär und quasi Unternehmer in der irischen Ltd. prägend und nicht der Angestelltenstatus von Bedeutung sei.
Der Antragsteller beantragt,
die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide für 2018 vom 27.05.2020, für 2019 und 2020 vom 27.12.2021 in Gestalt der drei Einspruchsentscheidungen, alle vom 16.12.2022, bis zum Ablauf eines Monats nach einer das Klageverfahren zum Aktenzeichen 4 K 4005/23 abschließenden Entscheidung auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er hält an seiner bisher vertretenen Auffassung fest und sieht keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Einkommensteuerfestsetzungen. Zur Zulässigkeit des Antrags bzw. der Klage im Hauptsacheverfahren nimmt er keine Stellung. Ergänzend führt er aus, dass die vorgelegten arbeitsrechtlichen Regelungen (“contract of employment“) nahelegen, dass der Antragsteller in der Ltd. weisungsgebunden tätig war mit der Konsequenz, dass seine Tätigkeit als nichtselbständige Beschäftigung zu qualifizieren sei und deshalb Art. 14 DBA Irland einschlägig sei. Davon abgesehen habe der Antragsteller es verabsäumt, seine Reisen nach E… trotz Aufforderung durch aussagekräftige Unterlagen nachzuweisen. Angesichts fehlender Nachweise stehe für eine Aufteilung des Gehalts auf Deutschland und Irland kein tragfähiger Aufteilungsmaßstab zur Verfügung und scheide eine teilweise Freistellung bzw. auch eine Anrechnung der irischen Einkommensteuer auf die inländische Ertragsteuer aus. Dem Antragsteller stehe es frei, zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung ein Verständigungsverfahren zu beantragen.
Dem Gericht lagen bei seiner Entscheidung neben je ein Band (Bd.) Gerichtsakten zu dem vorliegenden Eilverfahren 4 V 4009/23 und dem Klageverfahren 4 K 4005/23 zwei Heftungen des Antragsgegners für die Einkommensteuer der Jahre 2018 bis 2020 vor, auf deren Inhalt das Gericht ergänzend Bezug nimmt.
II.
Der Antrag ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, denn die mit der Klage in der Hauptsache 4 K 4009/23 angefochtenen Einkommensteuerbescheide in Gestalt der drei Einspruchsentscheidungen sind bereits in formelle Bestandskraft erwachsen und somit nicht mehr änderbar. Damit besteht für den hiesigen Eilantrag nach § 69 Abs. 3 FGO kein Rechtsschutzbedürfnis (zum fehlenden Rechtsschutzbedürfnis siehe Stapperfend in Gräber, 9. Aufl. 2019, § 69 Rz. 139 m.w.N.).
Die Klageerhebung im Hauptsacheverfahren genügt nicht den Formvorgaben von § 52d Satz 2 FGO und vermochte die einmonatige Klagefrist nach § 47 FGO nicht zu wahren. Auch die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen nicht vor.
1. Im Streitfall greift keine Jahresfrist nach § 55 Abs. 1 FGO, denn die Rechtsbehelfsfristen in den streitgegenständlichen Einspruchsentscheidungen sind weder unvollständig noch unrichtig. Abgesehen davon, dass Hinweise zur Form der Klageerhebung in der Rechtsbehelfsbelehrung nach dem Wortlaut des § 55 FGO nicht erforderlich sind, steht es der Finanzbehörde aber frei, in die Belehrung auch nützliche Hinweise aufzunehmen. Entscheidet sich die Behörde hierfür, so müssen die nützlichen Hinweise gleichwohl fehlerfrei sein, denn auch fehlerhafte oder gar irreführende nützliche Hinweise unterfallen dem Anwendungsbereich des § 55 FGO (siehe FG München, Urteil vom 25.01.2023 4 K 347/22, Entscheidungen der Finanzgerichte [EFG] 2023, 639).
Im Streitfall enthalten die drei Rechtsbehelfsbelehrungen der Einspruchsentscheidungen im Hinblick auf die hier in Rede stehende elektronische Übermittlungspflicht solche nützlichen Hinweise. Allerdings sind die fraglichen Hinweise keinen Rechtmäßigkeitsbedenken ausgesetzt; denn der Antragsgegner hat in unmissverständlicher Weise auf die Übermittlungspflicht nach § 52d FGO hingewiesen. Die Informationen lassen bei objektiver Betrachtung nicht erkennen, dass die Möglichkeit einer Fristwahrung gefährdet erschien (Stapperfend in Gräber a.a.O. § 55 Rz. 25).
2. Die Bevollmächtigte war zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 18.01.2023 dem Grunde nach verpflichtet, bestimmende Schriftsätze, zu denen auch Klageschriften gehören, als elektronisches Dokument an das FG zu übermitteln.
a) Nach § 52d Satz 1 FGO sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Gleiches gilt nach § 52d Satz 2 FGO für die nach der Finanzgerichtsordnung vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung steht. Ein sicherer Übermittlungsweg im Sinne des § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO ist der Übermittlungsweg zwischen den besonderen elektronischen Anwaltspostfächern nach den §§ 31a und 31b der Bundesrechtsanwaltsordnung -BRAO- oder einem entsprechenden, auf gesetzlicher Grundlage errichteten elektronischen Postfach und der elektronischen Poststelle des Gerichts. Zu den elektronischen Postfächern im Sinne des § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 FGO gehört das besondere elektronische Steuerberaterpostfach -beSt- (vgl. § 11 Abs. 1 der Verordnung über die Steuerberaterplattform und die besonderen elektronischen Steuerberaterpostfächer vom 25.11.2022, BGBl I 2022, Seite 2105 -StBPPV-). Durch § 86 Abs. 2 Nr. 10 und Nr. 11 des Steuerberatungsgesetzes -StBerG- in der am 01.08.2022 geltenden Fassung wurde die BStBK verpflichtet, eine Steuerberaterplattform nach § 86c StBerG und die besonderen Steuerberaterpostfächer nach den §§ 86d, 86e StBerG einzurichten. Nach § 86d Abs. 1 Satz 1 StBerG richtet die BStBK über die Steuerberaterplattform für jeden Steuerberater und Steuerbevollmächtigten ein besonderes Steuerberaterpostfach empfangsbereit ein. Die beSt-Infrastruktur stellt die erste Ausbaustufe des Steuerberaterportals dar. Die Registrierung bei der Steuerberaterplattform sowie die Erstanmeldung am beSt haben nach § 3 StBPPV in einem einheitlichen Vorgang zu erfolgen. Das beSt ist mit dem über die Steuerberaterplattform eingerichteten Nutzerkonto verknüpft. Über die Steuerberaterplattform wird die u. a. für die Nutzung des beSt erforderliche sog. "bestätigte Steuerberateridentität" bereitgestellt, d. h. über die Steuerberaterplattform erfolgt für jeden Einzelfall die Identifizierung, Authentifizierung und Bestätigung der (fortbestehenden) Berufsträgereigenschaft (vgl. BR-Drucks. 489/22, S. 16). In den personellen Anwendungsbereich des § 52d Satz 2 FGO fallen die nach der Finanzgerichtsordnung vertretungsberechtigten Personen und damit insbesondere auch die Steuerberater und Steuerbevollmächtigten (vgl. § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO). In sachlicher Hinsicht bezieht sich die Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung auch auf bestimmende Schriftsätze wie beispielsweise die Klageschrift (vgl. § 155 FGO i. V. m. § 253 Abs. 4 der ZPO). Eine Prozesserklärung, welche gegen § 52d FGO verstößt, ist formunwirksam (FG Münster, Gerichtsbescheid vom 14.04.2023 7 K 86/23 E, juris, II. B. II. 1. der Gründe m. w. N.).
Für die in § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO genannten Steuerberater steht seit dem 01.01.2023 ein sicherer Übermittlungsweg i.S. des § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung; denn seit dem 01.01.2023 (§ 157e StBerG) richtet die Bundessteuerberaterkammer über die Steuerberaterplattform für jeden Steuerberater ein besonderes elektronisches Steuerberaterpostfach empfangsbereit ein (§ 86d Abs. 1 Satz 1 StBerG). Steuerberater sind mit der Einrichtung des Postfachs, spätestens aber ab diesem Zeitpunkt (01.01.2023), nach § 52d Satz 2 FGO nutzungspflichtig (Bundesfinanzhof -BFH-, Beschluss vom 28.04.2023 XI B 101/22, juris, II. 1. c) bb) der Gründe m. w. N.).
b) Die Klageschrift ist erst nach dem 01.01.2023 eingereicht worden. Damit greift die Pflicht zur elektronischen Einreichung. Die Klageschrift ist aber nicht in elektronischer Form eingereicht worden.
2. Die Voraussetzungen einer Ersatzeinreichung nach § 52d Satz 3 FGO wegen einer vorübergehenden Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung aus technischen Gründen, liegen nicht vor. Abgesehen davon, dass eine vorübergehende technische Unmöglichkeit nicht die Fälle erfasst, wenn – wie hier – ein zugelassener elektronischer Übermittlungsweg noch gar nicht eingerichtet wurde (zutreffend FG Niedersachsen, Urteil vom 20.03.2023 7 K 183/22, juris Tz. 40; EFG 2023, 643 mit ablehnender Anm. von Kreft), wären aber auch die Voraussetzungen für eine Ersatzeinreichung in Papier- bzw. Faxform nach § 52d Sätze 3 und 4 FGO nach den hier bedeutsamen Prozessgeschehnissen, nicht gegeben. Die Klägerbevollmächtigte hat die Verhinderungsgründe nämlich nicht nach § 52d Satz 4 FGO in gebotener Weise unverzüglich glaubhaft gemacht. Weder gleichzeitig mit der Klageerhebung noch unverzüglich danach hat sie irgendwelche Angaben dazu gemacht, warum sie die Klageschrift nicht als elektronisches Dokument übermittelt hat. Vielmehr hat die Bevollmächtigte sowohl im Hauptsache- als auch im Eilverfahren erst geraume Zeit später (knapp zwei Monate nach Eingang des Fax-Klageschriftsatzes) nach einem Hinweis des Berichterstatters mit Schreiben vom 06.03.2023 auf die nach § 52d Satz 2 FGO bestehende elektronische Übermittlungspflicht (Bl. 62 GA 4 K 4005/23) ausgeführt, dass der ihre Geschäfte führende Steuerberater den Registrierungsbrief der BStBK vom 21.02.2023 tatsächlich erst am 10.03.2023 erhalten habe. Auch bei einer wohlwollenden Auslegung des Gesetzeswortlauts kann bei einer knapp zweimonatigen Reaktion jedoch nicht mehr von einem „unverzüglichen“ Tätigwerden i. S. des § 50d Satz 4 FGO ausgegangen werden.
3. Eine andere Beurteilung ergäbe sich für den vorliegenden Fall allerdings dann, wenn man der Rechtsauffassung des FG Münster (Gerichtsbescheid vom 14.04.2023 7 K 86/23 E, juris, II. B. II. 2. der Gründe; ebenso FG Hessen, Beschluss vom 21.03.2023 10 V 67/23, BeckRS 2023, 6086, II. 1. der Gründe; a. A. Niedersächsisches FG, Urteil vom 20.03.2023 7 K 183/22, juris) folgen wollte, dass schon § 52d Satz 2 FGO erst ab dem Zeitpunkt eingreife, in dem der betreffende Steuerberater seinen Registrierungsbrief von der BStBK erhalten habe. Eine andere Auffassung knüpft die Nutzungspflicht an die individuelle Erstanmeldung des jeweiligen Users an. Eine etwas engere Auffassung stellt für den Beginn der Nutzungspflicht des beSt nicht auf den Erhalt des Registrierungsbriefes, sondern stattdessen auf den erstmaligen „System-Rollout“ ab, d. h. den Zeitpunkt der Versendung der letzten Registrierungsbriefe zuzüglich einer angemessenen Frist zur unverzüglichen Einrichtung des beSt (z. B. FG Niedersachsen, Zwischengerichtsbescheid vom 14.04.2023 9 K 10/23, juris). Schließlich könnte die aktive und passive Nutzungspflicht in einem noch weiteren Sinne auch an die tatsächlich erfolgte Erstanmeldung des jeweiligen Users (Steuerberaters) geknüpft werden.
a) Dies hat den Hintergrund, dass die BStBK den Steuerberatern die Registrierungsbriefe, ohne die eine Freischaltung des beSt nicht möglich ist, erst im Laufe der ersten Wochen des Jahres 2023 zugesandt hat und dabei in der Reihenfolge der Anfangsbuchstaben der Nachnamen vorgegangen ist. Dem folgend war die reguläre Versendung der Registrierungsbriefe durch die BStBK bis zum 10.03.2023 abgeschlossen worden.
Die hiesige Klage ging aber bereits vor diesem Zeitpunkt am 18.01.2023 bei Gericht ein. Nach den unter 3. dargestellten Auffassungen wäre eine (aktive) Nutzungspflicht im Streitfall noch nicht eingetreten, denn – ungeachtet dessen, wann der Geschäftsführer der Bevollmächtigten den Registrierungsbrief der BStBK tatsächlich erhalten hatte – würde jedenfalls frühestens am Tag der Absendung des Registrierungsbriefes durch die BStBK, mithin hier der 21.02.2023 (Bl. 181 ff. GA 4 K 4005/23), überhaupt eine aktive Nutzungspflicht ausgelöst werden.
c) Der beschließende Senat folgt indes nicht diesen Auffassungen. Vielmehr folgt er mit dem Bundesfinanzhof (Beschluss vom 28.04.2023 XI B 101/22, juris) der Auffassung, dass die (aktive) Nutzungspflicht bereits mit Wirkung ab dem 01.01.2023 begann, weil den Steuerberatern (§ 62 Abs. 2 FGO) mit dem beSt ein sicherer Übertragungsweg nach § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung stand. Soweit die Antragsteller anführen, eine Nutzung des beSt sei in Ermangelung eines Registrierungsbriefes nicht möglich gewesen, ist darauf hinzuweisen, dass es bereits Anfang Januar 2023 die Möglichkeit gab, einen sog. „Fast-Lane-Antrag“ zu stellen, um den Registrierungsbrief bereits innerhalb weniger Tage (drei Werktage) vor dem Zeitpunkt zu erhalten, zu dem er regulär versandt worden wäre. Hätte die Bevollmächtigte von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, über welche auf der Internetseite der BStBK seinerzeit informiert wurde, hätte die Klagefrist hier mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eingehalten werden können. Darüber hinaus ist bedeutsam, dass die Bevollmächtigte sich auch durch die Nutzung eines elektronischen Anwaltsfaches eines Korrespondenzanwaltes hätte behelfen können, um den Klageschriftsatz (bestimmender Schriftsatz) auf korrektem Weg in elektronischer Form zu übermitteln. Von dieser Möglichkeit hat sie auch in einem späteren Stadium des Verfahrens durch eine Unterbevollmächtigung der L… GmbH Steuerberatungsgesellschaft (Bl.184 GA 4 K 4005/23) sowie Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltsfachs des Rechtsanwaltes und Steuerberater I… Gebrach gemacht (Bl. 63 ff. GA 4 K 4005/23).
Die hier vertretene Auffassung steht auch im Einklang mit der durch Art. 19 Abs. 4 GG geschützten Rechtsschutzgarantie. Die Formvorschriften zur wirksamen Erhebung einer (finanzgerichtlichen) Klage dienen als zwingendes Recht der Rechtssicherheit. Gleichzeitig wird dem verfassungsrechtlichen Gebot eines effektiven Rechtsschutzes durch das Instrument der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO angemessen und wirksam Rechnung getragen. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund fehlenden Verschuldens dient unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Grundsätze des Art. 19 Abs. 4 GG und des Art. 103 Abs. 1 GG (Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs) der Verwirklichung der Einzelfallgerechtigkeit (vgl. Stapperfend in Gräber, FGO, 9. Aufl. 2019, § 56 Rz. 1 mit Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerfG; Steinhauff, juris PR-SteuerR 23/2023).
4. Dem Antragsteller ist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
a) Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist ihm gemäß § 56 Abs. 1 FGO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. In formeller Hinsicht setzt die Gewährung der Wiedereinsetzung voraus, dass innerhalb einer Frist von zwei Wochen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO) nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll.
Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen. Jedes Verschulden mithin auch einfache Fahrlässigkeit schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Nach § 85 Abs. 2 der ZPO i. V. m. § 155 Satz 1 FGO muss sich jeder Beteiligte das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten wie eigenes Verschulden zurechnen lassen (BFH, Beschluss vom 28.04.2023 XI B 101/22, juris, II. 2. a) aa), bb) der Gründe m. w. N.).
b) Innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist, die spätestens mit dem Zugang des gerichtlichen Hinweises vom 06.03.2023 begonnen hat, hat die Antragstellerbevollmächtigte vorgetragen, sie sei an der elektronischen Übermittlung der Klageschrift gehindert gewesen, weil ihrem Geschäftsführer zu diesem Zeitpunkt noch kein Registrierungsbrief der BStBK zugegangen sei. Ausweislich seiner eidesstattlichen Versicherung sei ihm diese Unterlage tatsächlich erst am 10.03.2023 zugegangen. Die Möglichkeit eines „Fast Lane“-Zugangs sei nicht erwogen worden, weil seitens der BStBK und auch in der Literatur die Auffassung vertreten worden sei, eine (aktive) Nutzungspflicht des beSt beginne in concreto erst mit Erhalt des genannten Registrierungsbriefes. Dessen ungeachtet sei erst nach einem Gespräch mit dem Antragsteller Mitte Januar 2023 klar gewesen, dass wegen des strittigen Auslandssachverhalts Klage vor dem FG eingelegt werden solle. Zu diesem Zeitpunkt wäre eine Fast Lane zu spät gewesen.
Der von der Bevollmächtigten vorgebrachte Wiedereinsetzungssachverhalt entspricht nicht den Darlegungsanforderungen an einen ordnungsgemäßen Wiedereinsetzungssachverhalt, denn er ist lückenhaft und unschlüssig. Eine schlüssige und substantiierte Begründung hätte der Darlegung bedurft, dass auch die Bevollmächtigte selbst im Zeitpunkt des Ablaufs der Klagefrist am 18.01.2023 über kein beSt verfügte. Berufsausübungsgesellschaften in Gestalt einer Steuerberatungsgesellschaft fallen grundsätzlich unter § 52d Satz 2 FGO (BFH-Urteil vom 25.10.2022 XI R 3/22, juris). Unklar geblieben ist auch, ob etwa die weiteren Mitglieder oder angestellten Steuerberater der Bevollmächtigten ebenfalls über kein beSt verfügten. Zumindest der weitere Steuerberater M… hätte aufgrund des Procedere der BStBK, die Registrierungsbriefe in alphabetischer Reihenfolge nach dem Namen des jeweiligen Steuerberaters zeitversetzt zu versenden, einen solchen Brief früher erhalten als deren Geschäftsführer H…. Schließlich hat die Bevollmächtigte auch mit keinem Wort erwähnt, ob und zu welchem Zeitpunkt ein etwa für die Durchführung von Klageverfahren zuständiger Mitarbeiter über ein beSt verfügte. Dieser Gesichtspunkt ist für die Schlüssigkeit der Wiedereinsetzungsbegründung von Gewicht, denn ausweislich ihres Auftritts im Internet gehört zu ihren „Kernkompetenzen“ auch die Vertretung in Klageverfahren sowie die „außergerichtliche und gerichtliche Vertretung in steuerlichen Haftpflichtfällen“ (Bl. 192 ff. GA 4 K 4005/23).
Ungeachtet dessen vermag die Wiedereinsetzungsbegründung das Verschulden an der Fristversäumnis nicht entfallen zu lassen. Bei genauerer Betrachtung des geschilderten Wiedereinsetzungssachverhalts wird deutlich, dass der eigentliche Grund in der Fristversäumnis darin liegt, dass die Bevollmächtigte annahm, der Beginn der Nutzungspflicht des beSt hinge von dem Erhalt des Registrierungsbriefes ab. Denn andernfalls hätte sie bereits spätestens Mitte Januar 2023 nach dem Mandantengespräch dafür gesorgt, von der Möglichkeit der Priorisierung der Registrierung (Fast Lane für Berufsträger) Gebrauch zu machen. Dies hat sie indes nicht zeitnah, sondern erst geraume Zeit später am 17.03.2021 getan, denn aus der Tatsache, dass sie erst am 17.03.2023 über das beA des Rechtsanwaltes I… eine Klageerhebung bzw. eine Antragstellung nach § 69 Abs. 3 FGO erstmals in elektronischer Form nachgeholt hat, wird deutlich, dass sie bis zu diesem Zeitpunkt eine vorzeitige Implementierung eines beSt in der Person ihres Geschäftsführers oder eines anderen ihrer Steuerberater überhaupt nicht in Erwägung gezogen hatte.
Bei Würdigung aller Umstände des Streitfalls beruht dieser Mangel (Rechtsirrtum) auf einem Verschulden der Prozess- bzw. Antragsbevollmächtigten.
Jedes Verschulden – also auch einfache Fahrlässigkeit – schließt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (Stapperfend in Gräber a.a.O., § 56 Rz. 7 m.w.N.). Angesichts des Umstands, dass die Bevollmächtigte auch Klageverfahren durchführt, hätte es nahegelegen, dass sie sich bereits Anfang Januar 2023 um eine vorzeitige Implementierung eines beSt bemüht. Dies galt insbesondere auch im Hinblick auf den Streitfall. Angesichts der Tatsache, dass die Einspruchsentscheidungen am 16.12.2022 ergangen waren, und die mit erheblichen steuerlichen Nachforderungen (mehr als 50.000 €) verbundenen Steuerfestsetzungen drohten bestandskräftig zu werden, hätte es aus berufsrechtlicher Sicht nahegelegen, dass die Bevollmächtigte sich unverzüglich um ihre oder die Registrierung der für sie tätigen Steuerberater (insbesondere des mit der Durchführung von Klage- oder/und Rechtsmittelverfahren vor den Finanzgerichten bzw. dem BFH betrauten Berufsträger) bemüht. Es ist gerichtsbekannt, dass eine Fast Lane binnen nur weniger Tage seitens der BStBK erteilt wurde. Dies ist jedoch vorliegend nicht zeitnah geschehen. Der Irrtum über diese Obliegenheit ist ihr anzulasten, denn es wäre die Pflicht der Bevollmächtigten gewesen, sich in verlässlicher Weise über die gesetzlichen Regelungen zu informieren (siehe FG Niedersachsen, Urteil vom 20.03.2023 7 K 183/22, EFG 2023, 643). Hierbei durfte sich die Bevollmächtigte nicht auf die Verlautbarungen der BStBK allein verlassen, zumal diese selbst in ihren FAQ auf die Möglichkeit zur Stellung eines Fast Lane-Antrages hingewiesen hatte. Ungeachtet dessen gab es bereits im Jahr 2022 eine erste BFH-Entscheidung (Zwischenurteil vom 25.10.2022 XI R 3/22, BStBl II 2023, 267, Deutsches Steuerrecht – DStR – 2022, 2680), die zur Einrichtung eines beSt für Berufsausübungsgesellschaften – Steuerberatungsgesellschaften Stellung nahm und für die besondere Problematik hätte sensibilisieren müssen.
Der Senat hat die Beschwerde nach § 115 Abs. 2 FGO zugelassen, weil höchstrichterlich noch nicht eindeutig geklärt scheint, ob eine aktive Nutzungspflicht des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs aufgrund der Priorisierung der Registrierung („Fast Lane“) ungeachtet der individuellen Bereitstellung am 01.01.2023 beginnt (siehe FG Niedersachsen, Urteile vom 20.03.2023 7 K 183/22, EFG 2023, 643 und vom 14.04.2023 9 K 10/23, juris). Unklar ist ferner, ob die Sorgfaltspflicht eines Berufsträgers (Steuerberater u.s.w.) es gebietet, einen Fast Lane-Antrag vorsorglich bereits dann zu stellen, wenn zwar ein aktueller finanzgerichtlicher Rechtsstreit nicht anhängig ist, die Berufsausübungsgesellschaft aber die Durchführung von Klageverfahren auf ihrer Internetseite zu ihren Kernkompetenzen zählt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten nach § 128 Abs. 1 FGO die Beschwerde zu.
Die Beschwerde ist beim Finanzgericht Berlin-Brandenburg schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des vollständigen Beschlusses einzulegen. Die Frist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der genannten zwei Wochen beim Bundesfinanzhof eingeht.
Bei der Einlegung und Begründung der Beschwerde muss sich jeder Beteiligte durch einen Steuerberater, einen Steuerbevollmächtigten, einen Rechtsanwalt, einen niedergelassenen europäischen Rechtsanwalt, einen Wirtschaftsprüfer oder einen vereidigten Buchprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen. Zur Vertretung berechtigt sind auch Steuerberatungsgesellschaften, Rechtsanwaltsgesellschaften, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Buchprüfungsgesellschaften sowie Partnerschaftsgesellschaften, die durch einen der in dem vorherigen Satz aufgeführten Berufsangehörigen tätig werden. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst oder durch entsprechend befähigte Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hat die Postanschrift: Postfach 10 04 65, 03004 Cottbus, und die Hausanschrift: Von-Schön-Str. 10, 03050 Cottbus, sowie den Telefax-Anschluss: 0355/ 48644 1000; der Bundesfinanzhof hat die Postanschrift: Postfach 86 02 40, 81629 München, und die Hausanschrift: Ismaninger Str. 109, 81675 München, sowie den Telefax-Anschluss: 089/ 9231-201.
Die Beschwerde kann auch über den elektronischen Gerichtsbriefkasten des Bundesfinanzhofs oder des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg eingelegt werden. Die hierfür erforderliche Zugangs- und Übertragungssoftware kann über die Internetseite „www.egvp.de“ lizenzkostenfrei heruntergeladen werden. Hier finden Sie auch weitere Informationen über die Einzelheiten des Verfahrens.
Nach Maßgabe von § 52d FGO sind Rechtsanwälte, Behörden und die übrigen in dieser Vorschrift genannten Personen verpflichtet, vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln.