Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 18. Senat | Entscheidungsdatum | 26.03.2013 | |
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Aktenzeichen | L 18 AS 2006/10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 16 Abs 1 SGB 2 2006, § 421f SGB 3 2004 |
Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 1. Oktober 2010 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Klägerin begehrt die Zahlung der Restvergütung aus einem Vermittlungsgutschein in Höhe von 1.000 EUR. Sie ist Inhaberin der Firma C und als Arbeitsvermittlerin tätig. Die Klägerin schloss mit dem seit 2005 im laufenden Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) stehenden, 1979 geborenen Beigeladenen (Beiladungsbeschluss des SG Berlin vom 12. Juli 2010) am 28. Mai 2008 einen Vertrag zur Vermittlung einer Arbeitsstelle mit Vermittlungsgutschein, den ihm der Beklagte am 22. April 2008 in Höhe von 2.000 EUR für den Zeitraum vom 22. April bis 21. Juli 2008 ausgestellt hatte.
Die Klägerin vermittelte den Beigeladenen ab 21. Juli 2008 als Leiharbeitnehmer in ein Arbeitsverhältnis bei der A GmbH (A GmbH). Nach dem Arbeitsvertrag vom 1. Juli 2008 war das Arbeitsverhältnis zunächst bis 31. Dezember 2008 befristet bei einer monatlichen Arbeitszeit von durchschnittlich 130 Stunden. Am 30. Dezember 2008 schlossen der Beigeladene und die A GmbH eine Zusatzvereinbarung, wonach das Arbeitsverhältnis bis 31. Januar 2009 verlängert würde, und am 14. Januar 2009 mit Wirkung ab diesem Tage eine Aufhebungsvereinbarung wegen „Übernahme durch Kunden“. Ab 15. Januar 2009 wurde der Beigeladene bei der Firma W GmbH (W GmbH) als Kundenbetreuer, der stundenweise tätig werde, angestellt (Anstellungsvertrag vom 6. Januar 2009) und zum 21. Mai 2009 noch während der sechsmonatigen Probezeit gekündigt.
Nach Auszahlung von 1.000 EUR an die Klägerin beantragte diese beim Beklagten am 9. Februar 2009 die Zahlung des Restbetrags in Höhe von weiteren 1.000 EUR. Die A GmbH hatte unter dem 4. Februar 2009 bestätigt, die konkrete Beschäftigung habe ununterbrochen vom 21. Juli 2008 bis 14. Januar 2009 bestanden; eine Übernahme des Beigeladenen durch die W GmbH sei nahtlos zum 15. Januar 2009 erfolgt. Mit Bescheid vom 18. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2009 lehnte der Beklagte die beantragte Restzahlung von 1.000 EUR mit der Begründung ab, das Arbeitsverhältnis hätte nicht sechs Monate, sondern nur 5 ½ Monate bestanden. Ab dem 15. Januar 2009 hätte ein neues Arbeitsverhältnis begonnen.
Auf die am 20. Mai 2009 erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin mit Gerichtsbescheid vom 1. Oktober 2010 den Bescheid des Beklagten vom 18. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2009 aufgehoben und ihn verurteilt, an die Klägerin 1.000 EUR zu zahlen. Zwar habe das Beschäftigungsverhältnis mit der A GmbH nicht sechs Monate bestanden. Die Beschäftigungsverhältnisse bei der A GmbH und der W GmbH seien aber als Einheit zu sehen. Allein die vertragliche Ausgestaltung hätte sich geändert.
Gegen den am 13. Oktober 2010 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung des Beklagten vom 28. Oktober 2010, mit der er geltend macht, es hätte sich hier um zwei Beschäftigungen bei verschiedenen Arbeitgebern gehandelt, nicht hingegen um ein einheitliches Beschäftigungsverhältnis, wie sich auch aus dem Neubeginn der sechsmonatigen Probezeit ergebe, innerhalb derer der Beigeladene gekündigt worden sei. Eine dauerhafte Eingliederung in den Arbeitsmarkt sei nicht erfolgt.
Der Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 1. Oktober 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, Voraussetzung für den Vergütungsanspruch sei nicht, dass das Beschäftigungsverhältnis bei einem Arbeitgeber mindestens sechs Monate gedauert habe. Obgleich hier formell zwei Arbeitgeber beteiligt gewesen seien, habe es sich um eine einheitliche Beschäftigung gehandelt. Die Auslegung des Beklagten würde dazu führen, dass sich Zeitarbeitsunternehmen zukünftig möglicherweise „querstellten“, wenn ein Kunde an der dauerhaften Übernahme eines Arbeitnehmers interessiert und der Arbeitnehmer daher auf ein arbeitsvertragliches Entgegenkommen – wie hier aufgrund des Aufhebungsvertrages vom 14. Januar 2009 – angewiesen sei. Dies würde letztlich zu Lasten der Arbeitsuchenden gehen. Im Übrigen garantiere auch ein sechsmonatiges Beschäftigungsverhältnis keine dauerhafte Eingliederung.
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Die Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgang sowie die Leistungsakten des Beklagten in Bezug auf den Beigeladenen haben vorgelegen.
Die zulässige Berufung (vgl. §§ 143 ff. Sozialgerichtsgesetz – SGG –) ist begründet. Das Sozialgericht hat den Beklagten unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides zu Unrecht zur Zahlung einer Vergütung in Höhe des Restbetrages von 1.000 EUR aus dem Vermittlungsgutschein verurteilt.
Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II i.d.F. des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl. I, S. 1706) i.V.m. § 421g Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) i.d.F. des Vierten Gesetzes zur Änderung des SGB III und anderer Gesetze vom 19. November 2004 (BGBl. I, S. 2902). Der für die Rechtslage maßgebliche Zeitpunkt ist der Beginn der vermittelten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung – hier der 21. Juli 2008 (vgl. § 422 Abs. 1 SGB III analog sowie BSG, Urteil vom 16. Februar 2012 – B 4 AS 77/11 R – juris Rn. 13 unter Hinweis auf das Urteil des 7. Senats des BSG vom 6. Mai 2008 – B 7/7a AL 8/07 R – BSGE 100, 238 = juris Rn. 10).
Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 SGB II erbringt die Agentur für Arbeit zur Eingliederung die Leistungen nach § 35 SGB III; sie kann nach § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II u.a. auch die in § 421g SGB III geregelten Leistungen erbringen. Macht der Grundsicherungsträger von seinem Entschließungsermessen Gebrauch und erteilt – wie hier – einem nach dem SGB II Leistungsberechtigten einen Vermittlungsgutschein, ist er nach näherer Maßgabe des § 421g SGB III zur Erfüllung des Zahlungsanspruchs des vom Anspruchsberechtigten eingeschalteten Vermittlers, der diesen in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vermittelt hat, verpflichtet (vgl. § 421g Abs. 1 Sätze 1 und 4, Abs. 2 SGB III). Eine Vergütung in Höhe von 1.000 Euro wird nach einer sechswöchigen Dauer des Beschäftigungsverhältnisses und der vorliegend allein gegenständliche Restbetrag nach einer sechsmonatigen Dauer des Beschäftigungsverhältnisses unmittelbar an den Vermittler gezahlt (§ 421g Abs. 2 Sätze 2 und 3 SGB III). Einer der gesetzlichen Ausschlusstatbestände nach § 421g Abs. 3 SGB III liegt hier nicht vor.
Ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung des Restbetrages von 1.000 EUR besteht jedoch gegenüber dem Beklagten nicht, weil das von ihr dem Beigeladenen vermittelte Beschäftigungsverhältnis keine sechs Monate gedauert hat. Vielmehr war der Beigeladene infolge ihres Tätigwerdens bei der A GmbH aufgrund des Arbeitsvertrages vom 18. Juli 2008 und der Zusatzvereinbarung vom 30. Dezember 2008 insgesamt nur 5 Monate und 23 Tage als Leiharbeitnehmer angestellt, da das Beschäftigungsverhältnis am 14. Januar 2009 durch Aufhebungsvertrag vom selben Tag beendet wurde. Zwar nahm der Beigeladene ab dem 15. Januar 2009 ein weiteres Beschäftigungsverhältnis auf. Ob eine Vermittlung der Klägerin hierfür ursächlich geworden ist, kann aber dahinstehen. Denn die Gültigkeit des Vermittlungsgutscheins endete aufgrund der entsprechenden Befristung (vgl. § 421g Abs. 1 Satz 5 SGB III) bereits am 21. Juli 2008.
Dass der Beigeladene seit 21. Juli 2008 für mehr als sechs Monate letztlich am selben Beschäftigungsort bei der W GmbH tätig war, führt nicht dazu, dass hier von einem mehr als sechsmonatigen – einheitlichen – Beschäftigungsverhältnis auszugehen wäre.
Zwar ist der Begriff des Beschäftigungsverhältnisses im leistungsrechtlichen Sinne nicht mit dem des Arbeitsverhältnisses gleichzusetzen (vgl. etwa BSG, Urteil vom 29. Juni 1995 – 11 RAr 97/94 – juris Rn. 12; Brand in Niesel, SGB III, 4. Auflage 2010, § 25 Rn. 2 f.). So sind für die Feststellung eines Beschäftigungsverhältnisses im leistungsrechtlichen Sinn grundsätzlich die tatsächlichen Verhältnisse und nicht rechtsgeschäftliche Erklärungen der Beteiligten maßgebend, weil ein Beschäftigungsverhältnis durch Willenserklärungen unmittelbar weder begründet noch beendet wird. Dementsprechend sollen vorübergehende Unterbrechungen der tatsächlichen Arbeitsleistung den Bestand des Beschäftigungsverhältnisses unberührt lassen, wenn „das Arbeitsverhältnis fortbesteht und Arbeitgeber und Arbeitnehmer den Willen haben, das Beschäftigungsverhältnis fortzusetzen“ (vgl. etwa BSG, Urteil vom 28. September 1993 – 11 RAr 69/29 – juris Rn. 13 m.w.N.). Vorliegend endete aber mit dem Aufhebungsvertrag vom 14. Januar 2009 auch das Beschäftigungsverhältnis des Beigeladenen bei der A GmbH, deren Beschäftigter (vgl. § 25 SGB III, § 7 Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung -) er fortan nicht mehr war und die seither auch keine Direktionsbefugnis in Bezug auf den Beigeladenen mehr hatte.
Gegen die vom Sozialgericht vorgenommene Auslegung des § 421g Abs. 2 SGB III, wonach eine Addition mehrerer, aufeinanderfolgender Beschäftigungsverhältnisse – hier auch des Anschlussarbeitsverhältnisses bei der W GmbH – für das Entstehen des Restzahlungsanspruchs des Vermittlers nach sechsmonatiger Gesamtdauer ausreichen soll, spricht bereits der eindeutige Wortlaut der Norm, wonach ein bestimmtes – nämlich „das“ – Beschäftigungsverhältnis sechs Monate andauern muss (vgl. auch Brand, a.a.O. § 421g, Rn. 24). Allein hiermit im Einklang steht das gesetzgeberische Ziel, wonach die Staffelung der Vermittlungsgebühr – 1.000 EUR nach sechswöchigem Bestehen des Beschäftigungsverhältnisses und Restzahlung von 1.000 EUR (bzw. 1500 EUR für Arbeitsuchende mit Behinderung) nach sechsmonatigem Bestehen – einen besonderen Anreiz zugunsten einer dauerhaften Integration Arbeitsuchender in den Arbeitsmarkt durch die konkrete Vermittlung bewirken sollte (vgl. BT-Drs. 14/8546, S. 4; Peters-Lange in Gagel, SGB II/III, 48. Ergl. 2013, § 421g SGB III Rn. 23 sowie ferner § 421g Abs. 3 Nr. 3 SGB III). Dieses Ziel würde aber noch nicht dadurch erreicht, dass ein Arbeitsuchender bei gegebenenfalls unverändertem Beschäftigungsort als Zeitarbeitnehmer mehrere sich aneinander anschließende Arbeitsverträge mit verschiedenen Arbeitgebern schließt, in denen – wie hier – jeweils der Lauf einer neuen sechsmonatigen Probezeit geregelt ist, innerhalb derer er – wie zu Beginn der erstmaligen Tätigkeit – eine verkürzte Kündigungsfrist gegen sich gelten lassen muss.
Die Einlassung der Klägerin, die Integration insbesondere Langzeitarbeitsloser – bzw. auch anderer Personen, bei denen Vermittlungshemmnisse bestehen – würde sich im Falle einer entsprechenden Normauslegung gerade verschlechtern, weil sich Zeitarbeitsfirmen dann eher gegen die Einstellung dieser Arbeitsuchenden entscheiden würden, teilt der Senat nicht. Anders etwa als für die Frage einer Beschäftigungslosigkeit in § 138 Abs. 1 Nr. 1 SGB III, wonach arbeitslos derjenige ist, der neben anderen Voraussetzungen nicht in „einem“ Beschäftigungsverhältnis steht, soll der Leistungsanreiz aufgrund des Vermittlungsgutscheins nicht nur die zügige Vermittlung des Arbeitslosen in ein Arbeitsverhältnis bewirken, sondern darüber hinaus – wie ausgeführt – die Integration in den Arbeitsmarkt verfestigen, wofür nach Ablauf einer Arbeitsvertragslaufzeit von sechs Monaten bei demselben Arbeitgeber, was regelmäßig mit dem Ablauf der Probezeit einhergeht, eine höhere Wahrscheinlichkeit besteht als nach einem kürzeren Zeitraum. Schließlich wird hiermit auch einem – vermeintlichen, hier nicht relevanten – Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten entgegen gesteuert (vgl. auch § 421g Abs. 3 Nr. 4 SGB III sowie BT-Drs. 15/3674, S. 10).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 und 3 Verwaltungsgerichtsordnung (vgl. BSG, Urteil vom 6. April 2006 – B 7a AL 56/05 R – juris Rn. 21). Danach trägt der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens. Dem Beigeladenen sind Kosten nicht aufzuerlegen, da er weder Anträge gestellt noch Rechtsmittel eingelegt hat und die Voraussetzungen des § 197a Abs. 2 Satz 1 SGG nicht vorliegen.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe hierfür nach § 160 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.